ADHS in der Schule - Salzmann

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ADHS in der Schule
Strategien für den Unterricht
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Autoren
Barbara Bargelé
Bundesverband Arbeitskreis Überaktives Kind e. V. (AÜK e. V.)
Dr. Jürgen Bausch
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Allgemeinmedizin
Ehrenvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
Monika Bohn
Gymnasiallehrerin, systemisch-lösungsorientierte Beraterin und
Supervisorin, Heilpraktikerin Psychotherapie
Cordula Neuhaus
Diplom-Psychologin, Diplom-Heilpädagogin, Psychologische
Psychotherapeutin, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin,
Verhaltenstherapeutin
Dr. Jan-Hendrik Puls
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Hochschulambulanz für Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
Campus Lübeck
Prof. Dr. Franz Resch
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am
Universitätsklinikum Heidelberg
Gabriele Schmid
Diplom-Psychologin
Hochschulambulanz für Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein,
Campus Lübeck
Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE)
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Wissen, was ADHS bedeutet
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Was ist ADHS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Symptome, Ursachen, Diagnose und Therapie von ADHS
Was bedeutet ADHS für den Lehrer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Fallbeispiel: Burn-out-Syndrom und vorzeitige Berentung
Was bedeutet ADHS für betroffene Kinder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Fallbeispiele: Felix und Saskia
Strategie-Bausteine für Lehrer
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Grundlage für weitere pädagogische Maßnahmen
Gesprächsleitfaden Elterngespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Empfehlungen für ein Gespräch mit den Eltern von Felix
Gesprächsleitfaden Schülergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Empfehlungen für ein Gespräch mit Felix
Modularer Leitfaden für den Unterricht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Anwendung von ausgewählten Techniken im Unterricht
Hilfreiche Informationen
Informationen zu gesetzlichen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Zusätzliche Unterstützung für ADHS-Kinder und deren Eltern
Informationsquellen zu ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Hilfreiche Empfehlungen für Eltern
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Was versteht man unter …?
Eckpunktepapier des BMGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur
Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Kopiervorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
ADHS in der Schule, 2. überarbeitete Auflage, 2006; PPPP Service
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Vorwort
Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,
wie Ihnen wahrscheinlich bekannt ist, geben
Angehörige Ihrer Berufsgruppe im Vergleich zu
anderen Akademikern vergleichsweise häufig
ihren Beruf auf. Der Anteil krankheitsbedingter
Frühpensionen bei Lehrern liegt seit zehn Jahren zwischen 50 und 60 Prozent. Ursache hierfür
ist nicht selten eine vollkommene psychische wie
auch körperliche Erschöpfung („Burn-out“) infolge der schwierigen alltäglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Eine wunschgemäße
Unterrichtsgestaltung und ein störungsfreier
Unterrichtsablauf scheinen aus außerordentlich
vielen Gründen erschwert zu sein – Lehrer zu
sein ist offensichtlich kein leichter Job in der
heutigen Zeit.
Dass es sich bei ADHS um eine ernst zu nehmende Erkrankung handelt (und nicht um ein
Erziehungsproblem o. Ä.), steht außer Zweifel.
Dies ist nicht nur Stand der Wissenschaft, sondern auch die Politik hat sich bereits intensiv mit
ADHS beschäftigt. So hat das Bundesministerium
für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS)
im Jahre 2002 ein Eckpunktepapier zur Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS verabschiedet, das klare Forderungen hinsichtlich der dringend nötigen Aufklärung über das Krankheitsbild ADHS und der Anerkennung der multimodalen Therapie, inklusive der medikamentösen
Therapie, enthält (s. „Hilfreiche Informationen“).
Besonders belastend für den Lehrer ist vor
allem der Umgang mit problematischen Kindern
in der Klasse. Unruhige und ungezogene Kinder
hat es zwar schon immer gegeben, aber es hat
den Anschein, dass es nicht nur immer schwieriger wird, mit ihnen umzugehen, sondern es auch
immer mehr Kinder gibt, die eine besondere
Aufmerksamkeit des Lehrers erfordern – eine
fast unlösbare Aufgabe in Anbetracht großer
Klassen und straffer Lehrpläne.
In diesem Eckpunktepapier wird vor allem
deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit aller
beteiligten Gruppen bei der Behandlung von
ADHS ist, dass Eltern, Ärzte und Lehrer „an
einem Strang ziehen“. Sie als Lehrer können
hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem Sie
frühzeitig auf Auffälligkeiten hinweisen, den Arzt
mithilfe Ihrer Beobachtungen bei der Diagnosestellung unterstützen und die in Frage kommenden Therapiemaßnahmen mittragen. Die Mitarbeit der Eltern vorausgesetzt, können Sie also
entscheidend dazu beitragen, dass Kindern mit
ADHS frühzeitig und adäquat geholfen wird,
diese somit – nicht nur in schulischer bzw. beruflicher Hinsicht – eine Zukunftsperspektive
haben.
Zu den problematischen Kindern gehören auch
diejenigen, die an der Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden. Bestimmt
haben Sie von ADHS schon gehört, gelesen oder
auch selbst bereits Erfahrungen mit ADHS-Kindern in der Klasse gemacht – bei rund 500.000
betroffenen Kindern in Deutschland müsste sich
rein statistisch gesehen in jeder Schulklasse
durchschnittlich ein Kind mit ADHS befinden. Die
Kernsymptome dieser Erkrankung (Unaufmerksamkeit, Impulsivität, Hyperaktivität) ermöglichen es den Betroffenen mitunter nicht, dem
Unterricht zu folgen, und erschweren es Ihnen
als Lehrer, einen geordneten Unterricht durchzuführen.
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Vor diesem Hintergrund, vor allem aber auch
angesichts der Probleme, die Sie als Lehrer im
Umgang mit ADHS-Kindern tagtäglich zu bewältigen haben, haben wir uns als Autoren dieses
Manuals zusammengefunden, um Ihnen im Rahmen eines neuen Konzepts Hilfestellung bei dieser speziellen pädagogischen Herausforderung
zu bieten. „Wir“ sind Pädagogen, Psychologen,
Psychotherapeuten und Ärzte, die sich bereits
intensiv mit dem Thema ADHS in der Schule
auseinander gesetzt haben.
Mit dem vorliegenden Manual möchten wir
Ihnen die erforderliche Kompetenz im Umgang
mit ADHS-Kindern vermitteln, dadurch Ihren
Stress abbauen, was sich positiv auf die gesamte
Unterrichtsgestaltung und Ihre Berufsgesundheit auswirken kann.
Wir hoffen, dass Ihnen das Manual gefällt und
es Ihnen vor allem in Ihrer täglichen Arbeit von
Nutzen sein wird. Über Rückmeldungen würden
wir uns sehr freuen.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!
Barbara Bargelé, Dr. Jürgen Bausch,
Monika Bohn, Cordula Neuhaus,
Dr. Jan-Hendrik Puls, Prof. Dr. Franz Resch,
Gabriele Schmid, Prof. Dr. Michael SchulteMarkwort
Das Manual besteht aus zwei Teilen:
• Im ersten Teil möchten wir Ihnen erklären, was
in Kindern im wahrsten Sinne des Wortes „vorgeht“, die aufgrund von ADHS über Tisch und
Bänke springen, wie abwesend erscheinen
oder sich partout nicht für längere Zeit auf eine
Sache konzentrieren können. Anhand aktueller
medizinischer Daten zu Ursachen, Diagnostik
sowie Therapie von ADHS und Fallbeispielen
möchten wir Ihnen das notwendige Hintergrundwissen zu ADHS an die Hand geben und
Ihnen verdeutlichen, welche Auswirkungen
ADHS für alle Beteiligten haben kann.
• Im zweiten Teil geht es um die konstruktive
Bewältigung von typischen Belastungssituationen. Sie finden dort Empfehlungen zu
Vorgehensweisen, wie zum Beispiel einen
modularen Unterrichtsleitfaden, der Ihnen
ganz konkret aufzeigt, wie Sie den Unterricht
mit einem ADHS-Kind gestalten können.
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Vorbemerkung
Lösungen für Probleme lassen sich leichter finden, wenn die aktuelle
Situation von den Beteiligten in der gleichen Weise wahrgenommen wird,
wenn die Erklärungsansätze für die aufgetretenen Probleme ähnlich sind,
wenn Einigkeit darin besteht, welche Ziele als Erstes verfolgt werden sollen, und wenn auf allen Seiten akzeptiert wird, dass es auf diesem Weg zu
weiteren Absprachen kommen kann, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
In Bezug auf ADHS ist es für Lehrer und Eltern ein erster wichtiger
Schritt, über ein gemeinsames und gut begründetes Wissen zu verfügen,
worin sich ADHS äußert und was das für das Kind und alle weiteren Beteiligten in ihrer besonderen Situation bedeutet.
Aus diesem Grund finden Sie in diesem ersten Kapitel sowohl Informationen zum Krankheitsbild ADHS („Was ist ADHS?“) als auch Fallbeispiele,
die deutlich zeigen, was ADHS konkret für den Lehrer und die betroffenen
Kinder bedeuten kann. Sie geben Ihnen die Möglichkeit zu überprüfen, was
Ihnen daran bekannt vorkommt oder neu erscheint. Die eine oder andere
Beschreibung deckt sich sicherlich mit Ihren Erfahrungen und wird diese –
abhängig von Ihrem Vorwissen – gegebenenfalls in ein anderes Licht rücken.
Als Lehrer verbringen Sie viele Stunden des Tages mit Ihren Schülerinnen und Schülern. Sie verfügen über die entsprechende pädagogische
Kompetenz, Kinder gemäß ihren Fähigkeiten zu fördern, sie zu bilden und
zu erziehen. Zudem erleben Sie die Kinder in der Schule in einem völlig
anderen sozialen Kontext als die Eltern.
Ein geschärfter Blick für das Krankheitsbild ADHS wird es Ihnen ermöglichen, die ersten Weichen für eine Differenzialdiagnostik von auffälligen
Kindern zu stellen und – für Sie als Lehrer entscheidend – den Unterricht
mit einem ADHS-Kind in der Klasse so zu gestalten, dass er entspannter ist.
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Was ist ADHS?
Symptome, Ursachen, Diagnose und Therapie von ADHS
Nomenklatur
Mit der Abkürzung ADHS bezeichnet man die Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung. Häufig trifft man auf weitere Bezeichnungen und
Abkürzungen, die für bestimmte Ausprägungen oder Subtypen der gleichen Erkrankung verwendet werden. Wir benutzen in unserem Manual einheitlich die Abkürzung ADHS – nur an den Stellen, an denen eine genauere
Spezifizierung des Krankheitsbilds für das Verständnis wichtig ist, weichen
wir davon ab.
3
=
4
:
2
2
1
=
x4
4
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3
:
2
2
1
=
3
4x
6
=
2
:
12
2
1
=
2
6x
Störungsbild
Aufmerksamkeitsstörungen können mit und ohne Hyperaktivität (ADHS/
ADS) auftreten. Um von ADHS sprechen zu können, müssen die Symptome
bereits vor dem Alter von sieben Jahren aufgetreten sein und länger als
ein halbes Jahr vorliegen. Insgesamt entsprechen die Auffälligkeiten und
das Verhalten der Kinder nicht ihrem Alter. Betroffen sind etwa 3 bis 7 Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter.
Häufige ADHS-Kernsymptome
Unaufmerksamkeit
• schlechte Konzentration
• leichte Ablenkbarkeit
• Vergesslichkeit
Impulsivität
• ständiges Unterbrechen und Stören anderer
• Herausplatzen mit Antworten
• nicht warten können
Hyperaktivität
•
•
•
•
extremer Bewegungsdrang
motorische Unruhe
ständiges Laufen und Klettern
Ruhelosigkeit/Getriebenheit
Es fällt den Kindern schwer, ihre Aufmerksamkeit gezielt und über eine
längere Zeitspanne hinweg Aufgaben zu widmen, besonders wenn diese
subjektiv als schwierig oder langweilig erachtet werden. Auch können sie
sich nicht schnell von einer Situation auf eine andere umorientieren, wenn
ihre Aufmerksamkeit bereits durch eine bestimmte Sache oder Person gebunden ist. Dazu kommt, dass der Wahrnehmungsstil dieser Kinder oberflächlich und flüchtig und dadurch mit einer entsprechend hohen Fehlerwahrscheinlichkeit behaftet ist. Sie nehmen oft ihre Umwelt nicht wertungsfrei wahr, sondern eher einseitig, direkt bewertend und polarisierend.
Begleitet wird dies häufig von raschen Stimmungsumschwüngen mit
extremen Gefühlsausprägungen: Die Kinder sind in einem Moment überschwänglich begeistert, im nächsten beleidigt und im übernächsten „stinksauer“. Sie steigern sich in diese Gefühle hinein, ohne dies zu wollen.
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Besonders problematisch für die soziale Interaktion ist, dass kein „automatischer Perspektivwechsel“ heranreift: ADHS-Kinder können sich nicht
wie ihre Altersgenossen in andere hineinversetzen oder automatisch vorwegnehmen, was der andere sieht oder wie er handeln wird. Auch ist die
Latenz, bis sie Regeln oder sie nicht interessierende Lerninhalte verinnerlicht haben, bedeutend höher als bei Nichtbetroffenen. Bei ADHS-Kindern
kann man sozusagen von einer „seelischen Entwicklungsverzögerung“ sprechen.
Die Probleme sind nicht nur auf bestimmte Situationen wie Schule oder
Hausaufgaben beschränkt, sondern treten fast durchgehend
In Deutschland sind
auf. Nur bei optimalen Bedingungen und in Einzelfällen können Kinder mit ADHS etwa gleich lange bei der Sache bleiben ca. 500.000 Kinder im
schulpflichtigen Alter
wie ihre Altersgenossen. Die Kernsymptome
an ADHS erkrankt. Das
Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität können
bedeutet, dass sich im
durch weitere Schwierigkeiten wie z.B. eine schlechte soziale
Durchschnitt in jeder
Integration, Aggressivität, mangelhafte Schulleistungen und
Schulklasse ein betrofgefahrenträchtiges Verhalten ergänzt werden. Dabei handelt
fenes Kind befindet.
es sich um sekundäre Probleme, die aufgrund von ADHS erst
entstehen.
Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, manchmal
wird das Vorliegen der Störung bei Mädchen aber auch einfach übersehen.
Besonders weil sie häufiger an der eher unauffälligen Variante dieser Erkrankung leiden – ADS –, die ohne Hyperaktivität einhergeht. Die Kinder
gelten als verträumt oder abwesend und vergesslich, an eine behandlungsbedürftige Störung denkt oft zunächst niemand.
Ursachen und deren Auswirkungen
ADHS ist eine neurobiologische Erkrankung: Im Vergleich zu Nichtbetroffenen zeigen sich bei Erkrankten neben strukturellen Unterschieden
Auffälligkeiten in bestimmten Botenstoffsystemen im Gehirn, die für die
Informationsübertragung von Zelle zu Zelle zuständig sind. Insbesondere
Dopamin und Noradrenalin spielen hier eine wichtige Rolle. Offensichtlich
nutzen Betroffene in der Folge ihre neuronalen Netzwerke anders. Es fällt
ihnen schwer, in einer vernetzten und geordneten Arbeitsweise komplexe
Aufgaben zu bewältigen, wichtige und unwichtige Wahrnehmungen voneinander zu unterscheiden und diese Informationen in der Handlungsplanung
zu berücksichtigen. Ihr Kurzzeitspeicher entwickelt nicht die normale Kapazität, der Spontanabruf von Gedächtnisinhalten und die Integration neuer
Informationen sind ebenfalls problematisch. Dadurch können ADHS-Kinder
nicht effektiv aus Erfahrungen lernen, und es entsteht kein Gefühl für Zeit,
so dass das Einteilen von Zeit oft misslingt. Das Ungleichgewicht im Stoffwechsel des Stirnhirns, in dem die so genannten exekutiven Funktionen
reguliert werden, macht es den Kindern schwer, Prioritäten zu setzen. Die
Fähigkeiten, reife und ausgewogene Entscheidungen zu treffen sowie planvoll und zielgerichtet zu handeln, sind nicht ausreichend entwickelt.
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Vorderes
Aufmerksamkeitssystem
Präfrontaler
Kortex
(Großhirnrinde
im vorderen
Stirnlappen)
Dopamin:
spielt eine wesentliche
Rolle bei Antrieb und
Motivation
Hinteres
Aufmerksamkeitssystem
Hinterer
parietaler
Kortex
(Großhirnrinde
im Scheitellappen)
Aufmerksamkeit
Impulsivität
Motorik
Noradrenalin:
spielt eine wesentliche
Rolle bei der
Aufmerksamkeit
Modifiziert nach Pliska et al. (1996): Catecholamines in attention-deficit hyperactivity disorder. J Am Acad Cild Adolesc Psychiatry,
35 (3): 264–272, sowie Himelstein et al. (2001): The neurobiology of attention-deficit hyperactivity disorder. Front Biosci 5: D461–78
Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat deutliche Fortschritte gemacht,
aber noch keine vollständige Aufklärung der Ursachen von ADHS erzielen
können. Man geht heute davon aus, dass viele verschiedene Faktoren an
der Entstehung und Ausprägung von ADHS beteiligt sind
(z. B. biologische und/oder psychosoziale Einflüsse). Als
ADHS ist eine neurogesichert kann gelten, dass die Dysregulation des Hirnbiologische Funktionsstoffwechsels in hohem Maße von genetischen Faktoren
störung mit einer hoabhängt. Darum sind nicht nur häufig mehrere Kinder
hen genetischen Komeiner Familie betroffen, sondern möglicherweise auch
ponente. ADHS wird
ihre Eltern und später ihre eigenen Kinder.
keinesfalls durch das
Verhalten oder die
Entsprechend den neurobiologischen Befunden zeigen
Erziehung der Eltern
die wissenschaftlichen Studien klar, dass die elterliche
verursacht.
Erziehung keinesfalls die Ursache von ADHS ist.
Verlauf
In der Rückschau berichten Eltern häufig, dass schon die allerersten Lebensjahre anders verlaufen seien als bei anderen Kindern. Im Kindergarten werden viele Familien erstmals auf das schwierige Verhalten ihrer Kinder angesprochen. Mit dem Schulbeginn können die Kernsymptome
immer eindeutiger beschrieben werden. Wenn in der PuADHS wächst sich nicht
bertät bei vielen Patienten die motorische Unruhe spürbar
aus. Bei rund zwei Dritnachlässt, hoffen viele, die Probleme seien nun zu Ende.
teln bleiben die SympDoch Unaufmerksamkeit und Impulsivität bestehen fort,
tome bis ins Erwachseund insbesondere ihr vorschnelles und unüberlegtes Hannenalter – wenn auch
deln bringt die Jugendlichen bei fehlender Unterstützung
in veränderter Form –
immer wieder in Schwierigkeiten. Der Konsum von legalen
erhalten. Meist domiund illegalen Drogen ist höher als bei Altersgenossen, und
niert die Aufmerksamoft kommt es zu kleineren oder größeren Straftaten. Die
keitsstörung.
Betroffenen sind häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt
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und haben Probleme in der Schule sowie später
am Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Rund zwei
Drittel der Kinder werden auch als Erwachsene
noch unter den Symptomen von ADHS leiden.
Selbstbild
Im Gegensatz zu ihrer Umwelt nehmen besonders Kindergarten- und Grundschulkinder die
Kernprobleme der Aufmerksamkeitsstörung kaum
selbst wahr. Sie tun einfach das, was ihnen im jeweiligen Augenblick richtig und wichtig erscheint.
Jugendliche sind zunehmend mehr in der Lage,
ihre Konzentrationsprobleme zu beschreiben und
zu bemerken, dass sie oft vorschnell handeln.
Was sie aber in der Regel sehr deutlich realisieren, ist, dass sie es mit den Menschen in ihrer
Umgebung schwer haben. Sie spüren, dass es
zunehmend problematischer wird, Freunde zu
finden, und dass sie ausgegrenzt werden. Häufig
gibt es Streit zu Hause, und in der Schule fällt
das Lernen schwer. Die Hausaufgaben sind eine
Qual, die Lehrer sind unzufrieden, weil Unterrichtsmaterial häufig vergessen wird und der Ablauf in der Klasse
gestört wird. Kinder
Wird ADHS nicht frühmit ADHS bringen
zeitig diagnostiziert
diese Dinge nicht
und adäquat behanunbedingt mit eigedelt, können diverse
nem Fehlverhalten
sekundäre Begleitin Verbindung, aber
erkrankungen und
sie fühlen sich von
Probleme auftreten.
ihren Mitmenschen
oft ungerecht behandelt. Wut und Aggression, aber auch sozialer
Rückzug, Ängste und Depressionen können die
Folge sein.
Familie
Für die Familie stellt sich bald die Frage, ob
die eigene Erziehung schuld an dem auffälligen
Verhalten des Kindes ist – häufig wird diese Frage auch von anderer Seite an die sich zunehmend überfordert fühlenden Eltern herangetragen. Partnerschaftskonflikte um Erziehungsfragen entstehen, und die Erwachsenen leiden insgesamt unter der ständig herrschenden Anspannung. Die schulischen Probleme führen zu Ängsten, mit der Schule in offenem Kontakt zu bleiben. Nicht betroffene Geschwister fühlen sich ins
Abseits gestellt und werben selbst auf ihre Art
und Weise um die Aufmerksamkeit von Mutter
und Vater. Zusätzlich erschwert werden kann die
Situation durch die ebenfalls vorliegende ADHSErkrankung eines oder beider Elternteile. Die
Betreuung der von ADHS betroffenen Kinder ist
schwierig, ihr lautes und ungestümes Verhalten
führt dazu, dass sie nicht immer gern gesehene
Gäste bei den Eltern anderer Kinder sind. Großeltern, Freunde und Babysitter fühlen sich der
Aufgabe häufig nicht gewachsen.
Schule
Obwohl die besonderen Probleme der Kinder
auch im Kindergartenalter oft schon erkennbar
sind, stellt die Schule die entscheidende Hürde
für die meisten Kinder mit ADHS dar. Das ungewohnte Stillsitzen und die notwendige Selbstkontrolle überfordern sie, es fällt schwer abzuwarten. Und 45 Minuten sind eine sehr lange
Zeit, wenn die Konzentration nach zehn Minuten
bereits am Ende ist. Kinder mit ADHS sind als
Gruppe nicht mehr und nicht weniger intelligent
als ihre Altersgenossen. Natürlich gibt es auch
unter ihnen Kinder mit hoher oder niedriger Intelligenz, doch weder sind sie übermäßig häufig
hochbegabt, noch in ihrer Mehrzahl Kandidaten
für die Förderschule. In jedem Fall aber fällt es
ihnen schwer, ihr intellektuelles Potenzial voll
auszuschöpfen. Damit enttäuschen sie nicht nur
sich selbst und ihre Eltern, sondern auch ihre
Lehrer, die nicht selten annehmen, das Kind
könne, wolle aber nicht mitarbeiten. Auch wer
als Lehrer um die besondere Problematik der
Kinder weiß, empfindet sie häufig als sehr
anstrengend. Oft scheint die Mühe, die sich viele
Lehrkräfte machen, nicht so recht zu fruchten.
Der Kontakt zu den Eltern wird zunehmend
angespannt. Die Konsequenz daraus ist, dass die
Quote der ADHSKinder, die eine
Kinder mit ADHS sind
Klasse wiederholen
im Durchschnitt NICHT
oder gar die Schule
mehr und NICHT weniohne Abschluss verger intelligent als ihre
lassen müssen,
Altersgenossen. Sie
deutlich erhöht ist.
können aber aufgrund
von ADHS ihr intellektuelles Potenzial oft
nicht voll ausschöpfen.
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Ansprechpartner
Die Diagnose sollte von Fachleuten gestellt
werden – dies sind Fachärzte für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, aber auch erfahrene und entsprechend qualifizierte Fachärzte für Kinderund Jugendmedizin sowie Klinische Psychologen.
Vorausgegangen sein sollte die körperliche und
neurologische Untersuchung durch einen Kinder- und Jugendarzt. Sinnvoll ist oft auch die
Vorstellung bei HNO- und Augenärzten, um entsprechende Beeinträchtigungen nicht zu übersehen. Weitere mögliche Ansprechpartner sind
sozialpädiatrische Zentren sowie der Schulpsychologische Dienst.
Untersuchung
Um andere Erkrankungen auszuschließen, gehört zur Basisdiagnostik eine eingehende körperlich-neurologische Untersuchung, gegebenenfalls ergänzt durch Laboranalysen und ein
EEG. Entscheidend ist die ausführliche Erhebung
der Vorgeschichte des Kindes und seiner Familie, die durch Fragebögen und Angaben von Dritten ergänzt wird. Die Durchsicht der Zeugnisse,
aber auch aktuelle Situationsbeschreibungen der
Lehrer und von ihnen ausgefüllte Fragebögen
sind unverzichtbarer Bestandteil der Diagnostik.
Standardmäßig werden darüber hinaus Intelligenz- und Aufmerksamkeitstest durchgeführt
und Teilfunktionen
Entscheidend ist: Keine
überprüft (GedächtTherapie ohne vorhernis, Wahrnehmung).
gehende Diagnose!
Psychologische TestADHS kann nicht durch
verfahren können
eine „Blickdiagnose“
die Diagnostik eroder ein kurzes Gegänzen. Kein Teil
spräch festgestellt
dieser Untersuchung
werden und erfordert
kann allein die Diagviel fachliche Erfahrung.
nose ADHS sichern.
Differenzialdiagnose
Die Symptome von ADHS können oberflächlich
betrachtet mit denen anderer Probleme, Störungen oder Krankheiten verwechselt werden. Für
den Bereich der Kinderheilkunde sind dies zum
Beispiel Schilddrüsenstörungen oder Anfallsleiden. Kinder- und jugendpsychiatrisch sollte
die Problematik von Sozialverhaltensstörungen,
Ängsten, Depressionen oder autistischen Störungen abgegrenzt werden. Vor allem bei Jugendlichen muss auch an eine beginnende Psychose
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oder eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung
gedacht werden. Auch Kinder mit einer Lernbehinderung oder, seltener, einer Hochbegabung
können sich ähnlich auffällig verhalten. Gleiches
gilt bei einer schulischen Überforderung – etwa
an der weiterführenden Schule – oder bei anderen Auslösern in der aktuellen Lebenssituation
des Kindes.
Begleiterkrankungen
Kinder mit ADHS haben häufig noch andere
kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen.
Neben einem trotzig-oppositionellen Verhalten
oder einer Sozialverhaltensstörung können dies
auch Depressionen, Ängste oder Zwänge sein.
Auch Tics und das Tourette-Syndrom, also Erkrankungen mit unwillkürlichen Muskelzuckungen, vor allem im
In mehr als der Hälfte
Gesichts- und
aller Fälle haben KinSchulterbereich,
der mit ADHS eine Beoder auch plötzligleiterkrankung, eine
chen und ungesogenannte Komorbide
wollten stimmlichen
Störung. Diese kann die
Äußerungen, treten
Entwicklung des Kindes
bei Kindern mit
zusätzlich erschweren.
ADHS gehäuft auf.
Oftmals finden sich
außerdem umschriebene Entwicklungsstörungen
und Teilleistungsschwächen wie Legasthenie und
Dyskalkulie. Schließlich kann ADHS auch von
einer Lernbehinderung begleitet werden.
Therapie
Die Therapie von ADHS sollte in der Regel
immer multimodal angelegt sein. Dabei ergänzen sich optimalerweise verschiedene Behandlungsmethoden, so dass mit ihrem Zusammenwirken der bestmögliche Erfolg erzielt wird.
Gleiches gilt für
Die Bausteine eines muldie Integration
timodalen Therapieverschiedener
konzepts sind Beratung
Ansprechpartner
und Aufklärung, Verin die Behandlung.
haltenstherapie sowie
medikamentöse Behandlung, die einzelfallabhängig kombiniert
werden.
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Multimodale Therapie
Beratung und
Aufklärung
Grundlage jeder Therapie muss wie bei allen
chronischen Erkrankungen die gründliche
Aufklärung und Information der Familie,
also altersentsprechend auch des Kindes
oder Jugendlichen,
über das Störungsbild
und seine Ursachen
sein. Eine kontinuierliche Betreuung und Beratung zu den immer
wieder auftretenden
Fragen ist unerlässlich.
Auch die Schule sollte
gut informiert sein. Nur
dann kann der Erfahrungsschatz der Lehrer,
aber auch ihre präzise
Beobachtung der erreichten Fortschritte,
für die Behandlung
genutzt werden.
Verhaltenstherapie
Verhaltenstherapeutische, störungsorientierte Verfahren (z. B.
Elterntrainings, siehe
nachfolgend) helfen,
störende Verhaltensweisen zu erkennen
und abzulegen sowie
neue, gewünschte zu
erlernen.
Ich ge
h
Du geh
s
er geh
t
Sie Geh
t
es Geh
t
wir geh
eN
ihr geh
t
sie geh
eN
Medikamente
Nicht alle ADHS-Kinder benötigen Medikamente. Wenn diese aber
angezeigt sind, können
sie die Symptome dieser Störung deutlich
mindern. Oft sind sie
erst die Grundvoraussetzung dafür, dass
weitere Maßnahmen
Erfolg bringend durchgeführt werden können.
Neben diesen wichtigsten Bausteinen des multimodalen Therapiekonzepts
können zusätzlich Trainings zur Konzentrations- und Wahrnehmungsförderung und sozialen Kompetenz hilfreich sein.
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Verhaltenstherapie
Von den verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren konnte insbesondere für die Verhaltenstherapie nachgewiesen werden, dass mit ihr
eine Reduktion der ADHS-typischen Symptome gelingt. In der Verhaltenstherapie, die als Einzel-, aber auch als Gruppentherapie angewendet werden kann, geht es um die gezielte Veränderung des täglichen Verhaltens.
So kann mit dem Kind herausgefunden werden, welche Verhaltensformen
besonders gut und welche weniger gut zur Bewältigung einer bestimmten
Situation geeignet sind. Die Therapie zielt darauf ab, das erwünschte Verhalten zu verstärken, also zu belohnen, so dass es häufiger angewendet
wird. Dazu ist die enge Kooperation mit den Eltern, aber auch mit der
Schule notwendig. Die Verhaltensänderungen können sich dabei auf die
Mitarbeit im Unterricht oder die Erledigung von Pflichten wie Hausaufgaben, aber auch auf den Umgang mit Stress und Streit oder negativen
Gefühlen wie Angst, Wut oder Selbstunsicherheit beziehen.
Elterntraining
Störungsspezifisch orientierte Elterntrainings sind eine Quelle der Entlastung und Information zugleich. Wie bei anderen Elterntrainings und
Erziehungsberatungen auch, liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlung
eines wohlwollenden, aber konsequenten Erziehungsansatzes sowie von
Sachwissen über die kindliche Entwicklung. Zudem wird Eltern erläutert,
wie sie auf die Besonderheiten ihrer Kinder mit ADHS eingehen können.
Durch die Begegnung mit anderen betroffenen Vätern und Müttern haben
viele Eltern erstmals das Gefühl, mit ihren speziellen Problemen nicht
allein zu stehen. In der Gruppe wird auch deutlich, dass es keine Patentlösungen gibt – wohl aber Erfahrungen, von denen andere profitieren können. Schließlich wird deutlich gemacht, dass die Eltern mit der Veränderung eigenen Verhaltens auch das Verhalten des Kindes beeinflussen können und so wesentlich zu seiner positiven Entwicklung beitragen können.
Medikamente
Die medikamentöse Behandlung ist eine der Säulen der Behandlung.
Während es in der Öffentlichkeit immer wieder Vorbehalte gibt, zeigen die
Forschungsergebnisse aus mehreren Jahrzehnten, dass diese Therapie
in der Regel wirksam und gut verträglich ist. Die Behandlung sollte sich
immer auf eine solide Diagnose stützen. Eine Medikation vor dem sechsten
Lebensjahr wird in der Regel nicht empfohlen. Danach sollte die Wirksamkeit ebenso wie mögliche Nebenwirkungen – die sich meist in Grenzen
halten – von Eltern und Lehrkräften gemeinsam beurteilt werden. Die zur
Behandlung einer ADHS eingesetzten Medikamente unterscheiden sich
zum einen in ihrem Wirkmechanismus (Psychostimulanzien und selektive
Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) und in ihrer Wirkdauer (von 2 bis
4 Stunden bis hin zu einer kontinuierlichen Wirkung). Dabei unterliegen die
Psychostimulanzien dem Betäubungsmittelgesetzt, weshalb sie auf einem
speziellen Rezept (dem sogenannten BtM-Rezept) verordnet werden müssen, während selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer auf einem
normalen Rezept verordnet werden können. Neuere Medikamente erlauben eine Behandlung über den ganzen Tag hinweg mit einer einmaligen
morgendlichen Gabe.
❮14❯
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Ergänzende Therapieoptionen
Viele Familien haben Erfahrungen mit weiteren therapeutischen Möglichkeiten gemacht, die allerdings bisher in ihrer Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachgewiesen wurden. So werden nicht nur die Verhaltenstherapie, sondern auch viele weitere psychotherapeutische Verfahren bei
der Behandlung der ADHS eingesetzt, unter anderen die Familientherapie.
Soziale Kompetenztrainings werden bei Kindern an Grundschulen und weiterführenden Schulen vor allem in Gruppen angewendet. Die Ergotherapie
wird vor allem mit Kindern im Vor- und Grundschulalter häufig durchgeführt. Psychomotorik kann bei Kindern dieser Altersgruppe die Bewegungsfreude aufgreifen und therapeutisch nutzen. Biofeedbackverfahren
haben erste ermutigende Ergebnisse gebracht. Darüber hinaus gibt es
Angebote für Trainings zur Konzentrationsförderung sowie lerntherapeutische Methoden.
3
=
4
:
12
2
1
=
4
3x
4
=
3
:
12
2
1
=
3
4x
6
=
2
:
12
1
=
2
6x
Zusammenfassung
Der Wissensstand zu ADHS ist umfangreich. Manche Details können Einsteigern als verwirrend erscheinen. Die wichtigsten Fakten sind jedoch
sehr eindeutig belegt. ADHS ist eine neurobiologische Erkrankung mit erheblichen psychosozialen Auswirkungen. Die Diagnose erfordert einen
hohen Aufwand und viel Erfahrung. Die Therapie sollte multimodal angelegt sein und dabei vor allem auf die Elemente Elterntraining, Verhaltenstherapie und Medikation zurückgreifen. Durch fachgerechte Behandlung
kann der Verlauf positiv beeinflusst werden.
❮15❯
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13:56 Uhr
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Was bedeutet ADHS für den Lehrer?
Fallbeispiel: Burn-out-Syndrom und vorzeitige Berentung
Das vorliegende Fallbeispiel beschreibt eine
Entwicklung, die Sie so oder so ähnlich vielleicht
schon einmal selbst in Ihrem Kollegenkreis miterlebt haben. Denn leider ist ein solcher Verlauf
nicht untypisch für den Lehrerberuf. Das Beispiel
zeigt deutlich, wie die Anforderungen des Lehrerberufes, vor allem kontinuierlich problematische
Unterrichtssituationen und Auseinandersetzungen mit Eltern auf lange Sicht ernsthaft krank
machen können. Und nicht selten sind die vermeintlichen „Störenfriede“ und „Klassenkasper“
ADHS-Kinder, die den Unterrichtsrahmen
schnell sprengen können.
❮16❯
Arno B. aus C., 56 Jahre, ist Witwer, der in einer
neuen Beziehung lebt. Er ist Grundschullehrer
und gilt in seiner Schule als schwierig und minder belastbar. Nach einem vergeblichen und lauten Disput mit einer allein erziehenden Mutter
bekommt er einen Hörsturz. Er hatte versucht,
der Frau begreiflich zu machen, dass ihr 9-jähriger Sohn als „Klassenkasper“ nahezu jede Unterrichtsstunde sprengt und außerdem erhebliche
Leistungsdefizite aufweist. Die gewünschte Unterstützung der Mutter zur Erziehung des unruhigen Jungen bleibt jedoch nicht nur aus, sondern wird von ihr umgemünzt als eine notwendige Reaktion des Buben auf seine Voreingenommenheit und Erziehungsschwäche. Nach einigen
Tagen kehrt das Gehör wieder zurück, jedoch
nur allmählich, und hinterlässt ein an Intensität
wechselndes störendes und einseitiges Ohrgeräusch. Schlaf und Konzentration leiden; Korrekturen, Unterrichtsvorbereitungen und das Disziplinieren der Klassen im Unterricht fallen ihm
immer schwerer. Am Morgen klagt er über Unwohlsein und Lustlosigkeit. Innerlich plagt ihn
auch die zunehmende Angst, allmählich zum
Versager zu werden und den Anforderungen
nicht mehr gewachsen zu sein – Arno B. hat
schließlich nicht nur diesen einen „Klassenkasper“ …
Die Schulleitung lässt ihn nach einer Attacke
des Elternbeirates im Regen stehen. Es folgt ein
erneuter Hörsturz. Trotz längerer Arbeitsunfähigkeit tritt keine Erholung ein. Es folgt eine
antidepressive medikamentöse Therapie, die
erfolglos bleibt. Nach einem vergeblichen Versuch der Wiederaufnahme des Unterrichts am
Ende eines eineinhalbjährigen, auch psychotherapeutisch begleiteten Leidenswegs ist die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand aus
Krankheitsgründen unvermeidlich.
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Was bedeutet ADHS für betroffene Kinder?
Fallbeispiele: Felix und Saskia
Die Fallbeispiele der Grundschulkinder Felix
und Saskia sind so ausgewählt, dass sie einerseits typische Merkmale von ADHS aufzeigen.
Andererseits beschreiben sie unterschiedliche
Perspektiven (Kind, Eltern, Lehrer) und machen
schließlich gleichzeitig auf schulrelevante Formulierungen aufmerksam, wie sie sich auch in
verbalisierten Zeugnissen finden.
Wir laden Sie an dieser Stelle explizit ein, sich
auf die verschiedenen Perspektiven einzulassen
und auf Ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen
zu achten. Perspektivwechsel können nützlich
sein, um die Situation der betroffenen Kinder
und ihrer Familien noch besser zu verstehen.
Dieser Ansatz wird bereits durch ein altes indianisches Sprichwort zum Ausdruck gebracht:
„Um jemanden wirklich verstehen zu können,
musst du mindestens tausend Meilen in seinen
Schuhen gegangen sein.“
Fallbeispiel 1: Felix (2. Schuljahr)
Der 8-jährige Felix besucht die zweite Grundschulklasse und fragt sich, warum das ganze
Leben so „blöd“ ist und ob es nicht viel besser
wäre, niemals geboren worden zu sein. In der
Familie sei alles nur „blöd“. Der jüngere Bruder
werde mehr geliebt und dürfe alles, er dürfe
nichts. Die Mama habe ihn eh nicht lieb, und der
Papa habe nie Zeit für ihn. Am liebsten ginge er
auch nicht in die Schule, weil dort alle nur gegen
ihn seien. Er werde ungerechterweise von den
Lehrerinnen immer beschuldigt, an allem schuld
zu sein. Und ständig werde er von anderen Kindern so provoziert, dass er nur noch wie wild um
sich schlage. Er wisse gar nicht, was mit ihm los
sei.
Die Lehrerinnen sehen Felix als Klassenkasper, der sich ständig in den Vordergrund spielen
muss. Besonders montags sei er kaum zu bremsen und störe massiv den Unterricht durch Zwischenrufe und Umherlaufen. Aufgrund seiner
niedrigen Frustrationsgrenze sei der Junge ständig in Streitereien und Schlägereien verwickelt.
Seine Leistungen seien schwankend und tagesformabhängig. Sein Schriftbild müsste Felix
dringend verbessern und er müsse mehr Ordnung halten. Erstaunlicherweise sei der Junge in
der Zweiersituation wie verwandelt und sehr zugänglich. Die Lehrerinnen sind der Auffassung,
dass die Eltern ihren Sohn nicht richtig erzögen.
Felix müsse einfach lernen, motivierter und ehrgeiziger zu sein.
Vor allem die Mutter ist verzweifelt. Sie hat das
Gefühl, dass ihr der ältere Sohn entgleitet, und
aufgrund der zahlreichen Klagen aus der Schule
befürchtet sie ein massives Schulversagen. Von
der Schule habe Felix eine sehr schlechte Meinung, alle Lehrerinnen seien „blöd“, „doof“ und
ungerecht. Keine verstehe ihn. Oft müsse er Strafarbeiten erledigen, die seinen Hass auf die
Schule noch verstärkten.
Zudem attackiere Felix ständig seinen kleineren Bruder. Seine Unruhe und Zerstreutheit habe
er kaum unter Kontrolle, und er fühle sich bereits durch die kleinste Kritik grundsätzlich in
Frage gestellt. Seine Essmanieren ließen sehr zu
wünschen übrig, und es falle immer etwas auf
den Boden.
❮17❯
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Von ihrem Mann fühlt sich Felix’ Mutter nicht
sehr verstanden und unterstützt. Er vertritt die
Auffassung, dass Felix ein wilder Junge sei, der
sich „die Hörner noch abstoße“.
Vorgehensweise und weitere Entwicklung
Als sich sich die Situation immer mehr zuspitzt, suchen die Eltern einen Facharzt auf. Die
psychologische Testung zeigt, dass Felix über eine gute Intelligenz verfügt, sich aber nur kurze
Zeit konzentrieren kann. Jedes Geräusch und
jede Bewegung lenken ihn ab. Nach der anschließenden medizinischen Untersuchung stellt
der Arzt die Diagnose ADHS mit ausgeprägter
Hyperaktivität und Impulsivität. Er empfiehlt, das
Kind zunächst psychotherapeutisch und gegebenenfalls medikamentös zu behandeln. Er rät den
Eltern, parallel dazu an einem Elterntraining
teilzunehmen. Sie stimmen diesem Vorgehen zu.
Felix lernt im verhaltenstherapeutischen Einzeltraining, mit seiner Impulsivität umzugehen und
Provokationen zu ignorieren, so dass sich die
Lage in der Schule und zu Hause etwas entspannt. Sein Selbstwertgefühl steigt, indem sein
Fokus auf das gelenkt wird, was ihm gelingt und
was er gut kann. Auch die Eltern profitieren von
ihrem Training. Sie lernen, auf die Unruhe ihres
Kindes gelassener zu reagieren und klarere
Strukturen und Regeln in den Familienalltag zu
bringen. Zudem informieren Felix’ Eltern seine
Lehrer und vereinbaren, dass der Junge Auszeiten erhält. Außerdem binden die Lehrer seinen Bewegungsdrang in hilfreiche Aktionen wie
Tafelputzen positiv ein. Der feste Sitzplatz an
einem Tisch mit ruhigeren Kindern erleichtert
Felix die konstruktive Mitarbeit im Unterricht.
Aufgrund seiner guten schulischen Leistungen
erhält Felix Mitte der 4. Klasse die Empfehlung
zum Wechsel auf das Gymnasium.
❮18❯
Fallbeispiel 2: Saskia (4. Schuljahr)
Saskia ist zehn Jahre alt und besucht die vierte
Grundschulklasse. Sie weiß, dass die Zeugnisnoten des 1. Halbjahres darüber entscheiden,
welche weiterführende Schule sie besuchen darf.
Obwohl sie fleißig lerne, wisse sie in den meisten
Klassenarbeiten nur noch wenig. Irgendwie fühle
sich das an, als wäre alles wie weggeblasen.
Saskia habe das Gefühl, „doof“ zu sein und nicht
so gut mitzukommen wie die anderen. Dabei
strenge sie sich doch so an. Während des Unterrichts sitze sie ganz still da und merke dann
plötzlich, dass sie in einer ganz anderen Welt gewesen sei. Die Wolken am Himmel oder der singende Vogel auf dem Baum vor dem Fenster
ihrer Klasse wüssten ja auch so interessante
Geschichten zu erzählen. Abends falle ihr das
Einschlafen immer schwerer. Vor lauter Bauchschmerzen und Kopfschmerzen wisse sie manchmal nicht mehr ein noch aus. Auch Mama sei nie
zufrieden mit ihr. Die „blöden“ Aufträge, wie Getränke holen oder Wäsche sortieren, könne sich
doch keiner merken. Es ist alles viel zu viel für sie.
Die Lehrerinnen können sich über Saskias
Sozialverhalten nicht beklagen. Das Mädchen
sitze ruhig an seinem Tisch und störe keinen.
Auch sei es in der Lage, seinen Platz in Ordnung
zu halten. Sogar der Ranzen wirke aufgeräumt.
Wenn Saskia wolle, zeige sie ein sehr ordentliches Schriftbild. Umso unverständlicher sei es
ihnen, dass das Mädchen in seinen Leistungen
so sehr nachgelassen habe. Geträumt habe
Saskia schon immer, aber sie sei bis zum dritten
Schuljahr doch noch ganz gut mitgekommen.
Nun ja, wahrscheinlich brauche sie noch mehr
Zeit, sich zu entwickeln. Sie sei eben extrem
langsam und lasse sich schnell ablenken.
Die Eltern verstehen die Welt nicht mehr. Ihre
beiden ältesten Kinder besuchen erfolgreich das
Gymnasium, und auch für Saskia sah es bis zum
dritten Schuljahr so aus, als könne sie den älteren Geschwistern folgen. Gut, so selbstständig
wie die Großen sei sie nie gewesen. Oft sei es
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notwendig, wegen der Hausaufgaben bei den
Klassenkameradinnen anzurufen, da Saskia vergessen habe, sie aufzuschreiben. Zudem müsse
man bei der Erledigung der Aufgaben immer
neben ihr sitzen, weil sie einfach keinen Anfang
findet. Mit etwas Unterstützung funktioniere es
dann aber eigentlich doch recht gut. Am Fleiß
könne es nicht liegen, denn Saskia verbringe
mittlerweile den ganzen Nachmittag mit Schulaufgaben. Umso bedauerlicher sei es, dass das
Kind das, was es zu Hause gekonnt habe, in den
Arbeiten nicht zeigen könne. Eine positive Ausnahme habe es allerdings gegeben, als Saskia
wegen einer Erkrankung die Deutscharbeit allein
mit der Lehrerin habe nachschreiben müssen.
Dank verständnisvoller Lehrerinnen, die Saskia
nun verstärkt Strukturierungshilfe geben, ihre
Konzentration immer wieder zum Unterricht zurücklenken und es ihr ermöglichen, die Klassenarbeiten in der Zweiersituation zu schreiben,
kann das Mädchen aufatmen und erste kleine
Erfolgserlebnisse verbuchen. Nach der vierten
Klasse wechselt sie auf eine Realschule, wo sie
unter Berücksichtigung des Nachteilsausgleiches
erfolgreich am Unterricht teilnehmen kann
(Informationen zum Nachteilsausgleich siehe
„Informationen zu gesetzlichen Ansprüchen“).
Der Mutter tut es Leid, dass sie so oft barsch
auf die Misserfolge des Kindes reagiert und ihr
die klugen Geschwister immer wieder vor Augen
führt. Schon seit einiger Zeit will sich Saskia
nicht einmal mehr mit Schulfreunden verabreden.
Vorgehensweise und weitere Entwicklung
Das Gespräch mit den Lehrerinnen am Elternsprechtag zeigt Saskias Eltern, dass ihre Tochter
Hilfe braucht. Das einst so fröhliche Kind hat
sich immer mehr in sich zurückgezogen und im
Religionsunterricht sogar gesagt, dass es gut
verstehen könne, wenn sich Menschen auf den
Tod freuen.
Der Kinderarzt überweist Saskia zu einer Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die
sich sehr viel Zeit für Gespräche und sorgfältige
Diagnostik nimmt. Nach eingehenden organischen, neurologischen und psychologischen Untersuchungen kommt die Ärztin zu dem Ergebnis, dass bei Saskia eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung, jedoch ohne Hyperaktivität (ADS) vorliege. Sie klärt die Eltern über mögliche Therapien auf, die Saskia unterstützen könnten. Nach
sorgfältigen Überlegungen stimmen sie zu, dass
Saskia mit einem aufmerksamkeitsfördernden
Medikament behandelt wird und zusätzlich eine
Verhaltenstherapie erhält.
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Vorbemerkung
Sie halten dieses Manual in den Händen, weil Sie auf der Suche nach
pädagogisch sinnvollen Möglichkeiten sind, ein Kind mit ADHS zu unterrichten und den Umgang mit diesem Kind in Ihren Schulstunden positiv zu
gestalten. Jedes Kind mit dem Störungsbild ADHS ist anders und in unterschiedlichen schulischen Bereichen beeinträchtigt – es benötigt also individuelle pädagogische Strategien, die Ihnen und dem Kind das schulische
Miteinander erleichtern können.
Dieses Manual bezieht sich auf einen konkreten Schüler, von dem
Sie wissen oder vermuten, dass er ADHS hat. Vielleicht haben Sie schon
Kontakt zu den Eltern oder einem Arzt/Psychologen und erste Möglichkeiten zum Umgang mit diesem Kind erarbeitet, oder aber Sie stehen
erst am „Anfang“ eines solchen Weges …
In jedem Fall besteht der erste logische Schritt – noch vor der Erarbeitung geeigneter pädagogischer Maßnahmen für ein Kind – in einer möglichst genauen Beschreibung des Verhaltens des Kindes: Was fällt im
Unterricht im Einzelnen auf? Mit welchen Verhaltensweisen behindert das
Kind sich selbst oder auch andere Kinder der Klasse? Andererseits:
Welche Stärken bzw. positiven Aspekte bringt das Kind in den Unterricht
ein? Der „Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung“ soll Ihnen hier eine
Hilfestellung geben.
Das weitere Vorgehen hängt natürlich von der jeweiligen Situation ab.
Aus diesem Grund haben wir für Sie in diesem Kapitel einzelne Bausteine
zusammengestellt, die wir für die Erarbeitung einer individuellen pädagogischen Strategie als wichtig erachten, die Sie aber unabhängig voneinander nutzen können. Sie finden dort – neben dem Fragebogen, der quasi die
Grundlage bildet – Empfehlungen für die Gespräche mit den Eltern und
dem Kind („Gesprächsleitfaden Eltern- bzw. Schülergespräch“) sowie Vorschläge zu konkreten Strategien für den Unterricht („Modularer Leitfaden
für den Unterricht“).
❮21❯
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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
Grundlage für weitere pädagogische Maßnahmen
Die Beantwortung der folgenden Fragen kann
Ihnen helfen, einen konkreten Schüler, von dem
Sie wissen oder vermuten, dass er ADHS hat,
besser einzuschätzen. Der Fragebogen führt Sie
durch verschiedene Verhaltens-, Persönlichkeits- und Leistungsmerkmale des Kindes und
Ihres pädagogischen Handelns. Dimensional
angelegte Beurteilungsskalen sollen die Ausprägung des in Frage stehenden Verhaltens des
Kindes bildhaft verdeutlichen – für Sie selbst
oder z. B. als Grundlage für ein Elterngespräch.
den Kontakt zu Lehrerkollegen, um das Kind
möglichst exakt beschreiben zu können. Greifen
Sie z. B. diejenigen Verhaltensweisen heraus, die
Sie als am meisten störend empfinden, und führen Sie in der kommenden Woche eine Strichliste über die Auftretenshäufigkeit in jeder einzelnen Schulstunde – ohne Ihr übliches Lehrverhalten zu verändern („beobachten und festhalten“). Dies kann Ihnen das Ausfüllen des
Bogens erleichtern und eine gute Grundlage für
Ihr weiteres pädagogisches Vorgehen sein.
Füllen Sie den Bogen so genau wie möglich
aus! Nutzen Sie bei Unsicherheiten einige Tage
der Verhaltensbeobachtung im Unterricht oder
(Eine Kopiervorlage dieses Bogens finden Sie am
Ende des Manuals.)
A. RAHMENBEDINGUNGEN
Name des Kindes:
Alter des Kindes:
Jahre
Klasse:
Unterrichtsfächer:
Wochenstunden:
Klassengröße:
Ich unterrichte das Kind seit:
Meine Beziehung zum Kind bewerte ich wie folgt:
Sitznachbar des Kindes (falls zutreffend):
Sitzt eher
❏ vorn
❏ mittig
❏ hinten
Gute/Eher gute Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:
Schlechte/Eher schlechte Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:
❮22❯
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Der letzte Elternkontakt (telefonisch, persönlich) fand vor
Wochen/Tagen statt.
Anlass:
Besteht eine formale ADHS-Diagnose?
❏ ja
❏ nein
Falls ja, ist mir diese bekannt seit
Gibt es bereits laufende Behandlungen, von denen ich weiß?
❏ Medikamente
❏ Elternberatung
❏ Ergotherapie
❏ Nachhilfe
❏ Verhaltenstherapie
❏ andere:
Behandelnder Arzt/Therapeut (falls bekannt):
Telefonnummer (falls bekannt):
Bestand bereits Kontakt zum Arzt/Therapeuten? Wenn ja, wann zuletzt?
Wie sehen die Schulleistungen des Kindes derzeit aus?
Deutsch
❏ gut
❏ befriedigend
❏ ausreichend
❏ schlechter
Mathematik
❏ gut
❏ befriedigend
❏ ausreichend
❏ schlechter
Sachkunde
❏ gut
❏ befriedigend
❏ ausreichend
❏ schlechter
In welchen Fächern/Bei welchen Kollegen bestehen die größten Verhaltens- bzw. Konzentrationsschwierigkeiten?
In welchen Fächern klappt es besser/am besten?
❮23❯
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Gibt es einen „typischen Verlauf“ der Auffälligkeiten
❏ über die Woche (z. B. schlechter am Wochenanfang)?
❏ am Schulvormittag (z. B. auffälliger in den ersten Stunden)?
B. VERHALTENSBEOBACHTUNGEN
Block 1
Worin bestehen leistungsbehindernde Verhaltensweisen im Unterricht?
nie/nein
durchschnittlich
immer/ja
durchschnittlich
immer/ja
fängt nicht mit der Arbeit an
kann sich nur kurzfristig auf eine Aufgabe konzentrieren
träumt oft vor sich hin
vergisst häufig Arbeitsanweisungen
beteiligt sich kaum am Unterricht
hat Schwierigkeiten mit schnellem schriftlichem Arbeiten
krakeliges Schriftbild
drückt beim Schreiben/Malen sehr fest auf
kann die Arbeitsmaterialien nicht organisieren
Materialien sind oft unvollständig
hat Schwierigkeiten, sauber zu arbeiten
scheint oft nicht zu wissen, was zu tun ist
Hausaufgaben oft nicht oder unvollständig gemacht
schafft oft nur einen Teil des Pensums
scheint Stoff zu beherrschen, versagt dann oft in Klassenarbeiten
schnelles Arbeiten geht genauem Arbeiten vor
ist bei Gruppenarbeiten oft in der Außenseiterrolle
sonstige:
Block 2
Was sind positive Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes?
nie/nein
ist anderen gegenüber hilfsbereit
hat freundliches Wesen/interessiert an seiner Umwelt /neugierig
ist spontan
❮24❯
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Seite 25
nie/nein
durchschnittlich
immer/ja
durchschnittlich
immer/ja
hat viele, oft kreative Ideen
kann sich für vieles begeistern
besitzt ausgeprägtes Mitgefühl
bringt andere zum Lachen
hat ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
ist anderen gegenüber nicht nachtragend
setzt sich für andere ein
kann den Unterricht oft bereichern
begeistert sich für Sport
sonstige:
Block 3
Worin bestehen den Unterricht störende Verhaltensweisen?
nie/nein
ruft und redet häufig dazwischen
kommentiert Beiträge anderer unangemessen
verlässt seinen Sitzplatz
verbreitet Unruhe am Sitzplatz/Tisch
fällt vom Stuhl
lenkt Sitznachbarn ab
möchte häufig der Erste sein
versucht, bei Gruppenaktivitäten zu dominieren
gerät im Unterricht in Auseinandersetzungen mit anderen
lenkt andere Kinder mit unterrichtsfremden Aktivitäten ab
sonstige:
Block 4
Worin bestehen mich persönlich störende Verhaltensweisen (über das bereits Gesagte hinaus)?
nie/nein
durchschnittlich
immer/ja
widersetzt sich oft meinen Anweisungen
beeinflusst andere Kinder/das Klassenklima negativ
ist mir gegenüber oft frech und anmaßend
bindet meine Aufmerksamkeit zu oft und zu lange
kostet mich viel Zeit im Unterricht
erfordert viele Kontakte zu Eltern/anderen Lehrern
sonstige:
❮25❯
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13:56 Uhr
Seite 26
C. MEIN EIGENES PÄDAGOGISCHES HANDELN
Was ich bereits versucht habe, um das problematische Verhalten des Kindes zu beeinflussen (Elternkontakt, Einzelplatz, Sanktionen etc.): (Listen Sie möglichst konkret ein Problemverhalten und die
durchgeführte Maßnahme auf und bewerten Sie den Erfolg ihrer Reaktion mit Noten von 1 bis 6)
Problemverhalten
Pädagogische Maßnahme
z. B. Hausaufgaben vergessen
z. B. nacharbeiten lassen
❮26❯
Erfolg
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13.07.2006
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Gesprächsleitfaden Elterngespräch
Empfehlungen für ein Gespräch mit den Eltern von Felix
„Viele LehrerInnen sind auch Eltern. Alle Eltern waren auch SchülerInnen.
Viele SchülerInnen werden Eltern. Manche SchülerInnen werden Lehrer.
Sollte es da kein Verstehen, keine Gemeinsamkeiten geben?“
Reinhold Miller
Erziehungsgemeinschaft von Eltern und Lehrern
Eltern und Lehrer tragen eine gemeinsame Verantwortung für die Bildung und Erziehung der Kinder. Sie haben es mit denselben Kindern zu
tun, die einen als professionelle und die anderen als natürliche Erzieher.
Da ist es absolut logisch, dass Erziehung am besten funktioniert, wenn die
Bemühungen von Eltern und Erziehern gut aufeinander abgestimmt sind.
Im Schulalltag hingegen ergeben sich immer wieder Situationen, in denen
sich Schüler, Eltern und Lehrer uneins sind, denn Konfliktfelder gibt es
genug. Hier ist Kommunikation dringend notwendig. Jeder sollte die Möglichkeit haben, bei auftretenden Problemen Gespräche zu führen, und mit
seinen Problemen ernst genommen werden.
Ziel des Elterngesprächs
Das Elterngespräch sollte ergebnisorientiert sein. Es sollte das Ziel verfolgen, ein Bündnis zwischen Lehrern und Eltern zu schließen, um dem
Kind gemeinsam helfen zu können.
Kontaktaufnahme mit den Eltern
Wenn Sie den Verdacht haben, dass das Kind ADHS hat:
• Laden Sie die Eltern frühzeitig zu einem Gespräch ein.
• Teilen Sie den Eltern Ihre Sorge um das Kind mit.
• Schildern Sie das Verhalten des Kindes im Unterricht, etwa:
Im Gegensatz zu den anderen Kindern der Klasse ist es
(z. B. unruhig, ruft dazwischen, zieht sich zurück, zeigt
Vermeidungsverhalten, ist oft traurig, kaspert).
• Verweisen Sie auch auf die Stärken, die Sie bei dem Kind
wahrnehmen.
• Ermuntern Sie die Eltern, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen und/oder zu einem Facharzt Kontakt aufzunehmen.
Voraussetzungen für ein erfolgreiches Elterngespräch
Vor dem Gespräch sollten die folgenden Punkte abgeklärt
werden:
Je früher ein Gespräch
mit den Eltern stattfindet, umso früher kann
auch dem betroffenen
Kind geholfen werden,
und die Situation in der
Klasse kann sich entspannen.
• Gibt es unterschiedliche Sichtweisen über das
Störungsbild ADHS?
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Eltern und Lehrer zu einer
gemeinsamen Sichtweise des Störungsbildes ADHS finden, ggf. unter
Einbeziehung von Fachleuten (behandelndem Arzt/Psychologen, Vertreter
eines Selbsthilfeverbandes). Nur auf dieser Grundlage kann auch ein
einheitlicher Lösungsweg (Hilfeplan) für das Kind entwickelt werden.
Beispiel: Aus Sicht der Lehrkraft sind die Verhaltensschwierigkeiten des
Kindes die Folge von übermäßigem TV-Konsum oder vernachlässigender
Erziehung. Tatsächlich wurde jedoch bereits fachärztlich das Krankheitsbild ADHS festgestellt. Die pädagogischen und therapeutischen Maßnahmen für dieses Kind würden somit sehr unterschiedlich ausfallen.
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13:56 Uhr
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Eine gemeinsame Grundlage könnte z. B. die Lektüre des „Leitfadens
ADS/ADHS“ des Hamburger Arbeitskreises sein (siehe „Informationsquellen zu ADHS“).
• Wie stark sind die aufgestauten Gefühle – bei mir und bei den Eltern?
Häufig wird erst das Gespräch mit den Eltern gesucht, wenn eine Situation bereits eskaliert ist. Dies ist keine gute Voraussetzung für ein konstruktives Gespräch. Eltern von ADHS-Kindern reagieren meist ausgesprochen sensibel, da sie oft schon jahrelang Schuldzuweisungen, Ablehnung und Ausgrenzung erfahren haben. Viele Eltern müssen erst verstehen, welche Schwierigkeiten das Verhalten ihres Kindes im Unterricht
mit sich bringt.
Gesprächsstrategie
Ein Elterngespräch kann im Sinne der Zielrichtung vorbereitet werden.
Dabei ist die Berücksichtigung der Gesprächsstrategien entscheidend:
• Suchen Sie das frühe Gespräch.
• Führen Sie kein Gespräch im Affekt, auch nicht
zwischen „Tür und Angel“.
• Benennen Sie konkret die positiven Seiten des Kindes und signalisieren
Sie so den Eltern, dass auch diese im Unterricht registriert werden. So
entschärfen Sie die oft negativ behaftete Gesprächssituation. (Im Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung finden Sie dazu Anregungen!)
• Benennen Sie konkrete Verhaltensweisen des Kindes, zum Beispiel:
„Er verlässt in der Deutschstunde mehrmals den Platz, während er das
im Sozialkunde-Unterricht nur selten tut.“ (Bei der genauen Beschreibung des Problemverhaltens kann Ihnen auch der Fragebogen helfen!)
• Entwickeln Sie ein gemeinsames Störungsmodell (siehe
Voraussetzungen).
Ich-Botschaften helfen,
• Tauschen Sie sich über Erziehungsgrundsätze aus.
dass ein Gespräch mit
• Bewerten Sie nicht, sondern schildern Sie Ihre Wahrnehden Eltern eines betrofmung in Ich-Botschaften wie zum Beispiel: „Ich erlebe
fenen Kindes positiv
Ihren Sohn als sehr unkonzentriert“ oder „Ich habe
verläuft.
den Eindruck, dass Ihr Kind unter der Situation leidet“.
• Vermeiden Sie Killerphrasen wie zum Beispiel: „Als verantwortungsvolle
Eltern müssen Sie doch einsehen …“, „ Ihr Sohn ist immer in Streitereien
verwickelt“, „Er hat nie seine Hausaufgaben gemacht“, „Es wäre nett,
wenn auch Ihr Sohn mal sein Turnzeug dabei hätte“, „Es muss sich
umgehend was ändern“.
• Erheben Sie keine Anschuldigungen und Vorwürfe.
• Bitten Sie die Eltern um Rat.
• Stellen Sie keine Forderung auf, sondern finden Sie
gemeinsame Ziele.
• Halten Sie den Kontakt zu den Eltern. Wichtig ist dabei
Regelmäßigkeit und dass Absprachen bei kleinen und groEntwickeln Sie gemeinßen Problemen verbindlich eingehalten werden.
sam mit den Eltern
• Vermitteln Sie die Botschaft „Wir sitzen in einem Boot“.
einen Plan, wie dem
Ziel ist es, gemeinsam einen Hilfeplan für das Kind zu
Kind geholfen werden
erstellen.
kann.
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strattera_schulproj_inh
13.07.2006
13:56 Uhr
Seite 29
Fazit:
• Stimmen Sie mit den Eltern Ihre Bemühungen ab.
• Nehmen Sie dabei keine Monopolstellung ein.
• Setzen Sie die Eltern nicht unter Druck.
• Tauschen Sie Wissen aus.
• Übernehmen Sie gemeinsam Erziehungsverantwortung
für ein und dasselbe Kind.
• Zeigen Sie Gesprächsbereitschaft und Akzeptanz.
Das Konfliktgespräch
Nicht immer gelingt es frühzeitig, mit den Eltern in Kontakt zu treten.
Sei es, weil die Eltern sich weigern, wenig Zeit haben oder man selbst die
Situation nicht richtig eingeschätzt hat. Hier ist es besonders wichtig,
sachlich und zum Wohle des Kindes zu handeln, denn es geht um das
Kind und nicht um die Erwachsenen. Häufig ist es sehr hilfreich, auch
andere beteiligte Personen zum Gespräch einzuladen, z. B. den behandelnden Arzt, Psychologen, Therapeuten oder Kollegen (natürlich in
Absprache mit den Eltern).
Bleiben Sie auch in
• Wenn es einen Konflikt gibt, versuchen Sie sachlich
einem Konfliktgespräch
aufzuklären.
immer sachlich.
• Benennen Sie den Gesprächsanlass und beschreiben Sie
dabei sachlich, was genau vorgefallen ist. Darüber hinaus
skizzieren Sie den Ablauf des Gespräches.
• Fragen Sie die Eltern nach deren subjektiver Sicht des Geschehens. Die
Eltern berichten zum Beispiel: „Bei Felix wurde bereits vor der Einschulung ADHS diagnostiziert. Felix entwickelt auch zu Hause zunehmend
Widerstand gegen schulische Anforderungen und verhält sich in der
Familie oft aggressiv.“ Die Eltern zeigen sich ratlos und verärgert, da
die ersten beiden Schuljahre recht gut verlaufen sind.
• Schildern Sie dann Ihre subjektive Sicht.
• Stellen Sie dar, wie sich die Verhaltensweisen des betroffenen Schülers
auf die Klasse bzw. den Unterricht auswirken. Zum Beispiel: „Felix ist
seit einiger Zeit sehr unruhig und abgelenkt. Er stört durch dieses Verhalten massiv seine Mitschüler, die ihn aufgrund seiner Kaspereien
inzwischen ausgrenzen. Ermahnungen und gutes Zureden zeigen wenig
Erfolg. Zunehmend reagiert er aggressiv, verweigert sich oder gibt sich
betont gleichgültig.“
• Bitten Sie die Eltern um Unterstützung, zum Beispiel
Denken Sie daran, die
um Informationen über ADHS, Tipps im Umgang mit
Eltern kennen ihr Kind
Aggressionen, welche Hilfen braucht das Kind etc.
am besten. Fragen Sie
• Stellen Sie den Eltern daraufhin vor, welche Maßnahmen
nach, welche Strategien
Sie sich überlegt haben, um ihrem Kind zu helfen.
sie im Umgang mit
(Geeignete Strategien werden Ihnen in „Modularer
dem Kind haben.
Leitfaden für den Unterricht“ vorgestellt.)
• Beziehen Sie gegebenenfalls andere Helfer mit ein.
• Halten Sie Abmachungen verbindlich ein.
• Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, halten Sie den weiteren
Dienstweg ein und ziehen Sie zum Beispiel einen weiteren Beratungslehrer hinzu.
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Verlieren Sie nicht den Humor, denn diese kleinen „Teufelchen“ haben
auch ihre guten Seiten.
Zitat einer Mutter: „Ich glaube, mein Sohn ist als Denkanstoß auf die
Welt gekommen. Nehmen wir diese Herausforderung doch einfach an!
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Gesprächsleitfaden Schülergespräch
Empfehlungen für ein Gespräch mit Felix
Sie haben in Ihrer Klasse ein Kind, auf das die weiter vorne ausgeführten
diagnostischen Beschreibungen zutreffen. Oder Sie sind von Eltern darüber
informiert worden, dass bei Felix (das ist unser Beispielkind) ADHS vorliegt.
Dieser Gesprächsleitfaden soll Ihnen helfen, ein Gespräch mit Felix unter
verschiedenen Bedingungen zu führen:
• Einmal kann es darum gehen, Ihren Verdacht weiter zu erhärten, um danach mit den Eltern zu besprechen, dass Sie eine vertiefte kinder- und
jugendpsychiatrische bzw. -psychologische Diagnostik empfehlen würden.
• Andererseits könnten Ihnen die Eltern bereits mitgeteilt haben, dass bei
ihrem Felix ADHS vorliegt, und Sie wollen auf der Grundlage des vorliegenden Manuals dem Kind das Lernen und sich den Unterricht erleichtern.
Allgemeiner Grundsatz
Das Gespräch mit Felix soll und kann keine Diagnostik ersetzen. Es kann
Ihnen aber helfen – auch in anderen Fällen als beim Verdacht auf ADHS –
Ihre Beziehung zum Kind zu verbessern, zu vertiefen oder überhaupt eine
tragfähige Beziehung zum Kind anzubahnen.
Zum besseren Verständnis haben wir den Gesprächsleitfaden schrittweise aufgebaut.
Schritt 1 – Das Setting
Unter Setting versteht man die Festlegung der Strukturen und Rahmenbedingungen, unter denen ein Gespräch stattfinden soll (z. B. Häufigkeit
und Dauer). Auch für das Gespräch mit Felix ist es wichtig, zunächst das
Setting festzulegen. Nur wenn der Rahmen für Sie ebenfalls stimmt, kann
das Gespräch erfolgreich verlaufen. Im Allgemeinen sollte das Gespräch
nur angeregt werden, wenn vorher die Eltern darüber informiert wurden
und sie einverstanden sind (siehe „Gesprächsleitfaden Elterngespräch“).
Zur Durchführung des Gesprächs sind ein paar Regeln hilfreich:
• Führen Sie kein Pausengespräch.
• Planen Sie mindestens 30 Minuten Zeit ein.
• Lassen Sie das Gespräch in einer „Extrazeit“ stattfinden, am besten
vor oder nach der Schule. Sollte dies aus organisatorischen Gründen
(z. B. Schulbus) nicht möglich sein, so sprechen Sie mit einem Kollegen
ab, dass Felix im Rahmen einer Ihrer Freistunden ausnahmsweise vom
Unterricht befreit wird.
Es macht wenig Sinn,
• Sorgen Sie dafür, dass Sie ungestört miteinander sprechen
mit einem Kind ein
können.
• Achten Sie nach Möglichkeit auf einen für beide Gesprächs- konstruktives Gespräch
zu suchen, wenn man
partner angenehmen Raum.
es nicht mag. Deshalb:
Suchen Sie aktiv nach
Schritt 2 – Ihre Haltung
liebenswerten EigenGehen Sie immer davon aus, dass sich Ihre Haltung einem
schaften des Kindes –
Kind gegenüber ausdrückt und vermittelt, auch wenn Sie
erst dann sollten Sie
bewusst versuchen, diese – z. B. ablehnende Haltung – zu
das Gespräch planen!
verbergen.
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• Versuchen Sie, sich für das Gespräch mit Felix in eine möglichst unvoreingenommene Haltung zu bringen. Überprüfen Sie Ihre Vorannahmen
über ihn (z. B.: Er ist faul; er ist darauf aus, mich zu provozieren) und
sorgen Sie dafür, dass diese Vorannahmen unwirksam werden. Hilfreich
ist hierbei die Technik des Reframings (Umdeutung). So könnte man
„Geschwätzigkeit“ umdeuten in „interessiert an sozialem Austausch“,
„faul“ könnte bedeuten „Fähigkeit, Arbeit aus dem Weg zu gehen“ oder
„sucht emotionale Motivation durch den Lehrer/die Lehrerin“. Bringen
Sie sich in eine Haltung, die von einem positiv-neugierigen Interesse für
Felix gekennzeichnet ist. Je mehr Sie sich authentisch (!) für Felix interessieren können, desto mehr werden Sie erfahren – und desto mehr werden Sie an Felix entdecken können, was Sie für ihn einnimmt.
• Überprüfen Sie, wie sympathisch Felix Ihnen ist.
• Grundsätzlich sollte Ihre Haltung dadurch gekennzeichnet sein, dass Sie
Informationen sammeln wollen über Felix. Je mehr er dabei Ihr Verbündeter ist („Wir erkunden gemeinsam den unbekannten Kontinent Felix“),
desto mehr werden Sie erfahren und umso weniger wird er sich bedrängt
fühlen.
• Gehen Sie davon aus, dass es sich bei dem Verhalten von Felix primär
um ein nicht beabsichtigtes Fehlverhalten handelt. Primär ist kein Kind –
auch Felix nicht – bösartig. Immer wird es Lebensgeschichten
Kontrolle ist gut,
geben, die uns ein solches Verhalten erklären können.
Vertrauen ist besser!
Je besser es Ihnen gelingt, sich in eine Haltung voller
Respekt Felix gegenüber zu bringen, desto effektiver wird jedes Gespräch
und jeder Kontakt sein – und desto respektvoller wird Felix Sie behandeln.
Schritt 3 – Gespächsbegründung
Wenn Sie Felix zum Gespräch bitten oder seine Eltern ihm dies ankündigen, nachdem Sie sich mit ihnen abgestimmt haben, gehen Sie davon aus,
dass allein diese Ankündigung beim Kind Befürchtungen und Ängste auslöst. Deshalb:
• Räumen Sie potenzielle Befürchtungen aus, auch wenn diese von Felix
nicht explizit benannt worden sind.
• Sprechen Sie aktiv an, dass das Gespräch nicht zensurenabhängig ist,
oder auch, dass es sich nicht um eine Strafe, ein Nachsitzen handelt.
Machen Sie stattdessen deutlich, dass Sie gemeinsam mit
Schaffen Sie
Felix überlegen möchten, was ihn in der Schule unterstützen
Transparenz!
könnte.
Sowohl in der Ankündigung für das Gespräch als auch in der unmittelbaren Gesprächseröffnung sollten Sie kurz und genau darstellen, worum es
geht. Was Sie wie lange und mit welchem Motiv und welchen Konsequenzen mit Felix besprechen wollen. Drücken Sie dabei immer Ihre Sorge aus,
lassen Sie nie Ihrer Skepsis oder Ihren – verständlichen – Vorwürfen freien
Lauf.
(„Ich möchte gerne mit dir sprechen, weil ich mir Sorgen mache darüber,
wie du im Unterricht mitkommst. Obwohl du ein kluger Junge bist, habe
ich den Eindruck, du stehst dir manchmal selbst im Weg und möchtest das
selbst nicht. Lass uns gemeinsam am XY in der Zeit von XY bis XY heraus-
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finden, was los sein könnte. Du darfst ganz gelassen bleiben – es geht mir
darum, ob ich herausfinden kann, wie ich dir helfen und dich besser verstehen kann.“)
23+4
12-3=
3x3=9
12+12=2
6x2=12
8-4=4
3+2=5
Bei der konkreten Gesprächseröffnung kann es darüber hinaus hilfreich
sein, darauf hinzuweisen, dass alles (wirklich alles!) gesagt werden darf
und dass sich das Gespräch insofern deutlich vom Unterricht unterscheidet. Machen Sie sich vorher klar, worüber Sie Stillschweigen bewahren
können und worüber Sie sich mit anderen möglicherweise austauschen
möchten. Besprechen Sie mit Felix die Frage der Vertraulichkeit vor Gesprächsbeginn.
Schritt 4 – Das Ziel
Zentrales Ziel des Gespräches mit Felix ist, seine Sicht der Dinge zu verstehen. Die Kindersicht ist das, was Sie interessiert. Interessieren Sie sich
für die Zufriedenheit von Felix, dafür, wie er sich selbst erlebt. Formulieren
Sie konstruktive W-Fragen:
• Wer sind deine Freunde?
• Wie gefällt es dir in deiner Klasse?
• Was für Hobbys hast du?
• Was machst du gerne in deiner Freizeit?
• Wie gerne machst Du Schularbeiten?
• Wie verbringst du deine Pausen?
• Wann macht dir Unterricht am meisten Freude?
• Wer zu Hause ist besonders wichtig für dich?
Stellen Sie diese Fragen so, dass Felix sich nicht wie am Richtertisch
fühlt. Wenn Sie den Eindruck haben, er reagiert auf manche Fragen abweisend oder wundert sich über Ihre „Neugier“ („Das geht Sie doch gar nichts
an!“), erklären Sie noch einmal, worum es Ihnen geht, und überprüfen Sie
Ihre Haltung. Im Zweifelsfall fragen Sie nicht weiter und verabreden sich
lieber ein zweites Mal.
Interessieren Sie sich dafür, was aus der Sicht von Felix schwierig ist
und was nicht. Falls Felix „alles normal“ findet, insistieren Sie nicht, und
vor allem: keine Moralisierungen („Du musst doch selbst merken …“)!
Und nicht zuletzt: Interessieren Sie sich für die Position von Felix im
Klassenverband. Wer oder was hilft ihm, wer oder was hilft ihm nicht und
schließlich: Wer stört ihn und wodurch?
Schritt 5 – Das Spiegeln
Ein weiteres Ziel des Gespräches ist eine möglichst umfassende Informationssammlung. Es darf keine Vorwürfe und auch keine Moralisierungen geben. Wichtiger ist die Frage: Wie reagiert Felix, wie kann er das Gesprächs- und Beziehungsangebot annehmen? Kann er – gemeinsam mit
Ihnen – Hilfsangebote entwickeln bzw. annehmen?
Verstärken Sie allenfalls Gedanken oder Gefühle, die von Felix selbst
kommen: „Das macht dich bestimmt traurig“, oder: „Da hast du es wirklich
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schwer“, oder: „Da bist du bestimmt manchmal sehr wütend …“
Verhalten Sie sich wie ein Spiegel für Felix, und zwar einer, in dem er
sich auch wirklich sehen kann! Die vermeintlichen Spiegel kennt er zur
Genüge („Du musst dich eben mehr anstrengen; so unordentlich will dich
keiner …“).
Schritt 5 – Die Verabredung
Wenn Sie genügend Informationen gesammelt haben, können Sie Felix
damit vertraut machen, dass Sie entweder seinen Eltern empfehlen werden, ihn einmal genauer untersuchen zu lassen (Version 1 des Gesprächs),
oder dass Sie sich gerne mit ihm für bestimmte Unterrichtstechniken verabreden möchten, um gemeinsam herauszufinden, ob der Unterricht für
Felix nicht besser gestaltet werden kann.
Besprechen Sie nun genau mit Felix, welche Inhalte des Gesprächs an
wen und zu welchem Zweck weitergegeben werden sollen. Auf keinen Fall
darf Felix das Gefühl bekommen, sein Vertrauen Ihnen gegenüber könnte
missbraucht werden.
Schritt 6 – Die Dokumentation
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Gespräch mit Felix so zu dokumentieren, dass Sie auch später und anderen gegenüber darauf zurückgreifen können.
• Eine Möglichkeit sind standardisierte Verfahren, wie zum Beispiel die
TRF (teacher report form), ein Verfahren, mit dem man allgemeine Verhaltensauffälligkeiten von Kindern erfassen kann.
• Eine zweite Möglichkeit sind die Connors-Skalen, mit denen man gezielt
– auch im Verlauf – Auffälligkeiten im Zusammenhang mit ADHS erfassen kann.
• Eine dritte Möglichkeit ist ein eigenes freies Protokoll, in dem Sie festhalten, wie das Gespräch verlaufen ist, was Ihnen aufgefallen ist und mit
welchen Absprachen es geendet hat. Dabei ist es für den weiteren Fortgang besonders wichtig, einzuschätzen und zu dokumentieren, wie gut
sich Felix auf Sie und das Gesprächsangebot einlassen konnte, wie er die
Beziehung zu Ihnen gestaltet hat und wie hoch Ihnen seine Reflexionsfähigkeit erscheint. Diese letzten Punkte sind wichtig, weil nur auf einer
freundlich-kooperativen Grundlage das „10-Stunden-Projekt“ (siehe
Kapitel „Modularer Leitfaden für den Unterricht“) gelingen kann.
Sollten Sie den Eindruck haben, mit dem Gespräch gescheitert zu sein,
überlegen Sie, ob Sie nicht erst noch einmal das Elterngespräch suchen,
um eine bessere Basis auf der Erwachsenenebene zu finden.
Man kann nicht alle
Suchen Sie lieber erneut das Gespräch mit Felix, als dass Sie
Familien und alle
den Unterrichtsversuch auf einer Basis starten, die nicht ausKinder erreichen!
reichend tragfähig ist!
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Modularer Leitfaden für den Unterricht
Anwendung von ausgewählten Techniken im Unterricht
Inzwischen haben Sie alle Vorbedingungen geschaffen, um jetzt Ihren
Unterricht mit Felix anzugehen und ihn zu verbessern. Denn wenn Felix
das Aufpassen leichter fällt, kann der Unterricht ruhiger und konzentrierter und somit für alle ergiebiger verlaufen.
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Das „10-Stunden-Projekt“
Wir schlagen vor, dass Sie nun ein kleines „Projekt“ starten, das zunächst
auf die Dauer von 10 Unterrichtsstunden beschränkt ist. Ziel ist es, ausgewählte Techniken – die wir Ihnen unten näher vorstellen – zunächst über
einen begrenzten Zeitraum anzuwenden. Damit steigt bei dem Kind und
auch bei Ihnen die Motivation, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und
sich über die Erfolge (oder Misserfolge) in kurzen Abständen auszutauschen. Beginnen Sie mit den Techniken, die Ihnen leicht umzusetzen erscheinen, und wählen Sie nicht mehr als drei auf einmal.
Voraussetzung
Voraussetzung für den Start dieses 10-Stunden-Projekts ist das Gespräch mit Felix und seinen Eltern und dass ein Konsens zwischen allen
Beteiligten hergestellt wurde.
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Weiter
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Vereinbarung von Zielen
Falls im Gespräch mit Felix noch nicht geschehen, sollten Sie nun einen
gemeinsamen Zielplan mit ihm erstellen. Achten Sie darauf, dass die Ziele
möglichst konkret, überschaubar und umsetzbar, d. h. realistisch, sind (z. B.
als Ziel für Felix möglichst nicht vereinbaren: „Ich will ruhiger werden“,
sondern: „Ich möchte es schaffen, 10 Minuten am Stück sitzen zu bleiben“
oder: „Ich möchte mein Hausaufgabenheft während der nächsten Woche
mitbringen“). Entscheidend ist, dass es wirklich gemeinsame Ziele sind.
Sollte Felix keine eigenen benennen können, schlagen Sie welche vor.
Nehmen Sie aber nur solche auf, die das Kind authentisch bejaht. Sie können die Ziele für jede Stunde neu oder gleich für alle 10 Stunden festlegen.
Nach Möglichkeit sollte Felix die Ziele selbst aufschreiben (siehe Kopiervorlage „Zielplan“).
Informieren der Klasse
Bevor Sie mit den konkreten Unterrichtseinheiten beginnen, kann es
sinnvoll sein, die Klasse zu informieren. Sprechen Sie diesen Schritt aber
unbedingt im Vorfeld mit Felix und den Eltern ab. Erklären Sie, dass Transparenz das Vorgehen erleichtern kann, akzeptieren Sie aber auch, wenn
diesem Vorgehen nicht zugestimmt wird. Wenn Sie die Klasse in Kenntnis
setzen, beobachten Sie, wie die Information aufgenommen wird, wer eventuell eifersüchtig reagiert oder wer auch gerne einbezogen wäre, wer das
Projekt stören könnte usw. Informieren Sie so sachlich wie möglich (Beispiel: „Ihr wisst ja alle, dass Felix manchmal Probleme mit dem Aufpassen
hat und dann sehr unruhig wird. Manche von euch fühlen sich dadurch gestört. Um Felix zu helfen, besser zurechtzukommen, habe ich mit ihm für
die nächsten 10 Unterrichtsstunden ein kleines Hilfeprojekt abgesprochen.
Wundert euch also bitte nicht, wenn ich z. B. Felix bestimmte Zeichen gebe
oder mich anders verhalte als sonst. Ich bitte euch herzlich, Felix und mich
in unserem Projekt zu unterstützen.“).
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Stundenprotokoll
Zwecks einer kontinuierlichen Dokumentation und zu Ihrer eigenen Kontrolle bietet es sich an, nach jeder Stunde ein kurzes Protokoll auszufüllen,
in dem Sie angeben, welche Technik(en) Sie mit welchem Erfolg angewandt
haben, sei es in Bezug auf das Verhalten von Felix oder Ihr eigenes Verhalten bzw. den Einsatz der beschriebenen Techniken (siehe Kopiervorlage
„Stundenprotokoll“).
Zufriedenheitsthermometer
Am Ende jeder Stunde (oder auch am Ende einer internen Unterrichtseinheit) kann es hilfreich sein, von Felix ein Zufriedenheitsthermometer
aktivieren zu lassen. Das Thermometer hat 100 Grad, 100 bedeutet eine
maximale Zufriedenheit und 0 völlige Unzufriedenheit mit seinem eigenen
Verhalten. Halten Sie sich mit Einschätzungen gegenüber Felix zurück – es
sei denn, Sie sind selbst sehr zufrieden. Schätzt Felix sich selbst schlecht
ein und deckt sich diese Einschätzung mit Ihrer, so ermuntern Sie ihn dahingehend, dass er morgen wieder eine neue Chance bekommt (siehe Kopiervorlage „Zufriedenheitsthermometer“).
Einschätzung der Zielerreichung
In mit Felix abgesprochenen Zeitabständen sollten Sie gemeinsam den
Grad der Zielerreichung einschätzen. Dies kann von den Werten Ihres
Stundenprotokolls bzw. Felix’ Zufriedenheitsthermometer (s. o.) abweichen, weil die subjektive Zufriedenheit nicht unbedingt mit erreichten
Zielen identisch ist (siehe Kopiervorlage „Gradmesser Zielerreichung“).
Implementierung in den Alltag
Waren die Interventionen erfolgreich, sollten Sie nun überlegen, welche
Strategien sich von jetzt an dauerhaft in den Unterrichtsalltag implementieren lassen. Wichtig dabei ist, nicht nachzulassen, weil Sie nicht davon
ausgehen können, dass veränderte Verhaltensweisen von Felix dauerhaft
erhalten bleiben. So können sich von Zeit zu Zeit „Auffrischeinheiten“ lohnen, die Sie nach Absprache mit Felix einsetzen. Unterstützen Sie ihn weiter!
Unter Soziometrie versteht man eine Methode der Sozialpsychologie, mit der man soziale
Beziehungen in einer
Gruppe von Menschen
in Bezug auf vorher definierte Kriterien sichtbar macht.
Vorab: Durchführung einer Soziometrie
Wenn es Ihnen hilfreich erscheint, können Sie zusätzlich vor
Beginn des Projekts eine Soziometrie durchführen, die es
Ihnen erleichtert, sich das soziale Beziehungsgefüge der
Klasse zu vergegenwärtigen und es unter Umständen für das
Projekt einzusetzen.
Überlegen Sie sich spezifische Fragen, nach denen Sie das
soziale Geflecht der Klasse besser verstehen möchten. Zum
Beispiel:
Wer sitzt gerne neben wem?
Wer möchte auf keinen Fall neben wem sitzen?
Wer verbringt die Pausen am liebsten mit wem?
Wer meidet den Pausenkontakt mit wem?
Wer ist mit wem über die Schule hinaus befreundet?
Wer hasst wen? Wer hilft wem? Wer ärgert wen?
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(Hier können Sie auch den ausgefüllten Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung zu Rate ziehen.)
Sie können sich natürlich auch eigene Fragen überlegen. Am einfachsten
ist es, wenn Sie die Fragen (nicht zu viele!) selbst beantworten können. Sie
können Sie aber auch der Klasse kurz schriftlich geben. Vorsicht: Achten
Sie darauf, dass jeder seinen Bogen für sich allein ausfüllt und die anderen
die Antworten nicht zu sehen bekommen, weil dies eventuell sehr kränkend
und verletzend sein kann! Dasselbe gilt für Ihre eigene Einschätzung: Behalten Sie sie für sich und nutzen Sie die Ergebnisse der Soziometrie nur
für sich.
Geben Sie für die Auswertung jedem Kind eine Nummer oder ein Kürzel.
Tragen Sie diese Kürzel als Kreise in gleichmäßiger Verteilung auf ein Blatt
Papier auf. Verbinden Sie dann die Kreise mit Pfeilen analog zu den Antworten, wobei Sie die jeweilige Wahl farblich markieren (positive Wahl ist
z. B. grün und Abwahl rot). Sortieren Sie dann die Kreise neu so, dass das
Gefüge übersichtlich wird. Sie werden sehen, dass es wenige sehr beliebte
und wenige unbeliebte Kinder gibt. Besonders wichtig – weil potenziell
konfliktreich – sind gegenläufige Wahlen (ein Kind wählt ein anderes positiv, dasselbe wählt im Gegenzug jedoch ab).
Beispiel einer Klassensoziometrie „Sitzordnung“
Fragestellung: Neben wem sitzt du am liebsten (grün)? Neben wem
möchtest du auf keinen Fall sitzen (rot)?
Anna
Sarah
Jakob
Lisa
Hannah
Lucas
Maria
Felix
Max
Florian
Jan
Achten Sie darauf, dass
keine Schüler durch
den Sitzplan missbraucht werden! Nur
weil ein bestimmtes
Mädchen z. B. ruhig
und verträglich ist,
darf über dessen Wahl
nicht hinweggegangen
werden!
Sie können die Ergebnisse der Soziometrie nun nutzen, um z. B. den
Sitzplan der Klasse so zu gestalten, dass möglichst wenig Reibung durch
nebeneinander sitzende Kinder mit negativen Wahlen entsteht. Gleichzeitig
können Sie die Position von Felix besser einschätzen und gerade ihm jemanden an die Seite geben, der – soziometrisch betrachtet – hilfreich sein
könnte.
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In unserem Beispiel wird klar ersichtlich, dass
neben Felix die wenigsten sitzen möchten (3 Abwahlen), wohingegen Lisa sich großer Beliebtheit
erfreut (3 positive Wahlen). Haben sich zwei Kinder gegenseitig als liebste Tischnachbarn gewählt (z. B. Lucas und Jan oder Anna und Lisa),
bietet es sich an, die beiden nebeneinander zu
setzen – vorausgesetzt, sie haben sich im Unterricht nicht „zu viel zu erzählen“. Als Tischnachbar für Felix kämen z. B. Maria, Sarah oder Max
in Frage – diese haben Felix nicht „abgewählt“
und haben keine „besten“ Freunde, durch die sie
gewählt wurden.
Techniken
Es gibt bestimmte, aus der Verhaltenspädagogik
abgeleitete Techniken, die nun im Unterrichtsprojekt eingesetzt werden sollen. Sie sollten alle
vor ihrem Einsatz daraufhin überprüfen, ob sie
Ihnen in Ihrem speziellen Fall sinnvoll und einsetzbar erscheinen. Diese sollten mit Felix abgesprochen sein, denn sie helfen nur, wenn alle
Beteiligten über deren Sinn und Zweck umfassend informiert sind.
Technik 1 – Blickkontakt
Verabreden Sie mit Felix, dass Sie häufig Blickkontakt zu ihm aufnehmen und halten werden.
Ermuntern Sie ihn, diesen Blickkontakt zu erwidern.
Technik 2 – Zeichensprache
Zusätzlich kann eine verabredete Zeichensprache hilfreich sein. Denken Sie sich gemeinsam
mit Felix eines oder mehrere „Geheimzeichen“
aus, die Sie fortan einsetzen. Achten Sie darauf,
dass diese Zeichen nach Möglichkeit ermunternd
und eher sekundär
Ein erhobener Zeigefin- ermahnend sind!
ger ist ein Drohsignal
und keine Ermunterung. Ein Victory-Zeichen dagegen erinnert
an die gemeinsam formulierte Ziellinie, die
erreicht werden will!
❮38❯
Technik 3 – Körperkontakt
Nutzen Sie die beruhigende Wirkung eines
freundlich-ermunternden Körperkontakts.
Gehen Sie während des Unterrichts an Felix vorbei und legen Sie ihm die Hand auf die Schulter.
Nach Möglichkeit immer dann, wenn ein Abfall
seiner Konzentration kurz bevorsteht, aber auch
dann, wenn er gerade wieder „aus dem Ruder“
läuft. Achten Sie auch hier darauf, dass der Kontakt vorher abgesprochen ist und ein „informed
consent“ (Einverständnis) besteht. Bei gegengeschlechtlichen Kontakten ist es besonKörperkontakt sollte
ders wichtig, die Zunur bis zu einem bestimmung dazu vorstimmten Alter eingeher einzuholen und
setzt werden. Spätesden Körperkontakt
tens mit dem Eintritt in
die Pubertät kann diese nur sehr sparsam
und unzweideutig
Technik kontraprodukeinzusetzen.
tiv werden!
Technik 4 – Karten
Setzen Sie farbige Karten (siehe Literaturverzeichnis) ein, um mit Felix während des Unterrichts nonverbal zu kommunizieren und ihm eine
Rückmeldung über sein Verhalten zu geben bzw.
um ihn anzuspornen.
Zeigen Sie ihm immer Stopp-Regeln verbrauwieder die grüne Karte chen sich schnell in
für ein „Go“, ein
ihrer Wirksamkeit!
„Weiter so“. Nutzen
Deshalb: sparsamer
Sie die gelbe Karte,
Einsatz!
wenn Sie den Eindruck
haben, dass ein
„Stopp“ notwendig ist.
Technik 5 – Time-out
Bei manchen Kindern kann es hilfreich sein,
ihnen von Zeit zu Zeit eine Auszeit zu gewähren.
Dies sollte am besten im Unterricht erfolgen,
damit Felix nicht ausgeschlossen wird („Du
brauchst jetzt 5 MiErwarten Sie nicht, dass nuten nicht aufzupassen – entspann
Felix nach einem kleidich mit …“ Hier können Lauf ruhiger ist.
nen z. B. kleine AufKinder mit ADHS wergaben eingesetzt
den nicht automatisch
werden, die ein moruhiger, wenn man sie
torisches „Austoben“
gewähren lässt!
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ermöglichen.) Es gibt aber auch Kinder, denen
besser damit geholfen ist, wenn sie 5 Minuten um
den Pausenhof laufen dürfen.
Technik 6 – Positive Verstärkung
Führen Sie mit Felix ein Punktesystem ein,
mit dem er sich an das gemeinsame Ziel heranarbeiten kann. Unterteilen Sie, soweit möglich,
den Unterricht in kleinere Einheiten, für die es jeweils zwei oder drei Punkte gibt. So kann Felix
z. B. neun Punkte pro Stunde sammeln, die dann
schon erreichte Subziele dokumentieren. Dieses
Punktesystem kann auch mit den Eltern abgesprochen werden, die dann für alle 40 bis 50
Punkte (Achtung: auf Erreichbarkeit achten!) eine besondere Aktivität mit Felix unternehmen
(nach Möglichkeit keine Geschenke im üblichen
Sinn, sondern eher gemeinsam verbrachte Zeit/
gemeinsame Aktivitäten – und nur, wenn die
Eltern bereit dazu sind und es sich leisten können).
Technik 9 – Rückfragen
Behalten Sie Felix im Auge und überprüfen Sie
sooft es geht, ob er dabeibleiben konnte. Unterstellen Sie dabei immer ein Nichtkönnen – nie
ein Nichtwollen. Fragen Sie z. B. in Verbindung
mit einem kurzen, freundlichen Körperkontakt:
„Wie gut konntest du zuhören?“ oder „Was konntest du verstehen?“ Überprüfen Sie, ob Ihre Aufgabenstellungen auch wirklich bei Felix angekommen sind.
Technik 10 – Hausaufgabenheft
Führen Sie für Felix ein Hausaufgabenheft ein,
das nach Absprache mit den Eltern von diesen
gegengezeichnet wird. Setzen Sie dieses Instrument immer als Unterstützung für Felix ein – nie
so, dass er das Gefühl bekommt, es handele sich
um ein Kontroll- und Reglementierungsinstrument.
Technik 7 – Feedback
Führen Sie mit Felix ein Rückmeldesystem ein,
das ihm möglichst zeitnah und knapp einen Eindruck über das Geleistete verschafft. Achten Sie
primär auf das, was er geschafft hat, das Nichterreichte wird nach Möglichkeit nicht erwähnt.
Nur in Ausnahmefällen und wenn Sie sicher sein
können, dass Felix die Kritik vertragen kann, erwähnen Sie auch das, was nicht so gut geklappt
hat. Sie können dieses System auch verschriftlichen und nach jeder Stunde bzw. nach der jeweils verabredeten Einheit Felix (auch für zu
Hause) mitgeben oder Sie führen jeweils eine
kurze Gesprächsrunde am Beginn der Pause ein.
(„Mir hat heute gefallen …“ Zuerst berichtet Felix
und dann Sie).
Technik 8 – Anspornen
Wenn es der Unterricht zulässt, sollten Sie
Felix immer dann anspornen, wenn Sie merken,
dass seine Aufmerksamkeit nachlässt. „Versuch,
noch länger durchzuhalten“ oder „Komm, noch
fünf Minuten – das kannst du schaffen“. Achten
Sie darauf, Felix nicht zu überfordern. Anspornen
macht nur Sinn, wenn die geforderte Leistung
auch zu schaffen ist. Wenn Felix nicht folgen
kann: „Macht nichts – bestimmt klappt es beim
nächsten Mal.“
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Informationen zu gesetzlichen Ansprüchen
Zusätzliche Unterstützung für ADHS-Kinder und deren Eltern
Die meisten ADHS-Kinder benötigen in der Schule besondere Unterstützung und Förderung, damit sie ihre Möglichkeiten ausschöpfen und somit den schulischen Erfordernissen gerecht werden können. Sie als Lehrer können den Familien –
neben einer adäquaten Unterrichtsgestaltung –
zusätzlich helfen, indem Sie die Eltern betroffener Kinder auf in gesetzlichen Regelungen vorgesehene Fördermöglichkeiten aufmerksam
machen und sie dahingehend beraten.
Folgende gesetzliche Regelungen können von
ADHS-Kindern bzw. deren Eltern in Anspruch
genommen werden:
A. Regelungen der Kultusministerien zum so
genannten Nachteilsausgleich
Hintergrund
Die Regelung des Umgangs mit kranken Kindern in den Schulen obliegt den Kultusministerien der Länder. Ein Vergleich der Regelungen
der Kultusministerien zeigt, dass keiner der Erlasse ADHS namentlich ausweist. Somit fällt
ADHS unter die Erlasse zu „Krankheiten“ allgemein und unter den Punkt „Sonderpädagogische
Förderung“. Voraussetzung dafür ist, dass eine
ärztliche Diagnose mit entsprechender Empfehlung für die Schule vorliegt.
Nachteilsausgleich
Der so genannte Nachteilsausgleich wird in
den meisten Bundesländern in den Schulgesetzen für kranke Schülerinnen und Schüler geregelt. Er sieht besondere Maßnahmen seitens der
Schule vor (z. B. Zeitverlängerung bei Klassenarbeiten). Ob ein solcher Nachteilsausgleich
gewährt wird, entscheidet die Schule selbst;
Antragsteller sind bei minderjährigen Kindern
die Eltern.
Stellvertretend für die verschiedenen Regelungen in den einzelnen Bundesländern folgt nun
ein Ausschnitt aus einem Erlass zum „Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderungen bei
Prüfungen und Leistungsnachweisen“ des Hessischen Kultusministeriums vom 19. Dezember
1995:
„Aufgrund des § 50 Hessisches Schulgesetz
haben die allgemeinen Schulen und die Sonderschulen den gemeinsamen Auftrag, bei der Rehabilitation und Eingliederung von Kindern und
Jugendlichen mit Behinderungen bzw. mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Gesellschaft mitzuwirken. Dieser Auftrag und Artikel 3
Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes erfordern die
besondere Fürsorge der Schule im täglichen
Schulleben in und außerhalb von Unterricht. Bei
Prüfungen ist Schülern und Schülerinnen nach
dem Grundsatz des § 6 Abs. 2 Hessische Laufbahnverordnung (HLVO) ein ihrer körperlichen
Behinderung angemessener Nachteilsausgleich
zu gewähren, die fachlichen Anforderungen dürfen jedoch nicht geringer bemessen werden.
§ 9 Abs. 2 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung regelt die Gestaltung des
gemeinsamen Unterrichts für Schüler und Schülerinnen mit abweichender Zielsetzung.
Schüler und Schülerinnen mit Behinderungen,
die zielgerichtet unterrichtet werden können, haben Anspruch auf Nachteilsausgleich bei Leistungsanforderungen im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht der Schule und der entsprechenden Regelungen im Schwerbehindertengesetz (Nachteilsausgleich § 48 Schwerbehindertengesetz [SchwbG]).
Schülern und Schülerinnen mit Behinderungen,
die gemeinsam mit Nichtbehinderten unterrichtet werden, darf bei der Leistungsvermittlung
kein Nachteil aufgrund ihrer Behinderung entstehen. Bei mündlichen, schriftlichen, praktischen und sonstigen Leistungsanforderungen ist
auf die Behinderung des Schülers bzw. der Schülerin angemessen Rücksicht zu nehmen und ggf.
ein Nachteilsausgleich zu schaffen bzw. eine differenzierte Leistungsanforderung zu stellen, z. B.:
• verlängerte Arbeitszeiten bei Klassenarbeiten;
• Bereitstellen bzw. Zulassen spezieller Arbeitsmittel (Einmaleinstabelle, Schreibmaschine,
Computer, Kassettenrecorder, größere bzw.
spezifisch gestaltete Arbeitsblätter, größere
Linien, spezielle Stifte u. Ä.);
• mündliche statt schriftlicher Prüfung
(z. B. einen Aufsatz auf Band sprechen);
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• unterrichtsorganisatorische Veränderungen (z.
B. individuell gestaltete Pausenregelungen,
individuelle Arbeitsplatzorganisation, Verzicht
auf Mitschrift von Tafeltexten);
• differenzierte Hausaufgabenstellung;
• individuelle Sportübungen.
Ein Nachteilsausgleich ist auch bei einer nur
vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung
(z. B. bei Armbruch) zu gewähren.
Antragsberechtigt sind für minderjährige
Schülerinnen und Schüler die Eltern, im Übrigen
die volljährige Schülerin bzw. der Schüler selbst.
Der Antrag ist an die Leiterin bzw. den Leiter der
besuchten Einrichtung zu richten.
Über eine Behinderung oder eine vorübergehende Beeinträchtigung ist ein entsprechender
Nachweis zu erbringen.
Über Art und Umfang eines zu gewährenden
Nachteilsausgleiches entscheidet die Leiterin
bzw. der Leiter der besuchten Schule in Absprache mit den unterrichtenden Lehrkräften.
Ihre bzw. seine Entscheidung ist zu den Akten
zu nehmen. In Zweifelsfällen ist die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde einzuholen.
Ein Vermerk über den gewährten Nachteilsausgleich darf nicht in Arbeiten und Zeugnissen
erscheinen (siehe § 52 SchwbG).“
B. Regelungen im Kinder- und
Jugendhilfegesetz
Das bundesweit geltende Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) wird als Instrument zur Vorbeugung, zur Hilfestellung und zum
Viele Eltern haben BeSchutz von Kindern
rührungsängste mit
und Jugendlichen
dem Jugendamt. Sie
verstanden. Im Vorwollen auf keinen Fall
dergrund stehen die
als „Sozialfall“ gelten.
Förderung der EntWichtig ist, die Eltern
wicklung junger
auf den unterstützenMenschen und die
den Charakter der
Integration in die GeJugendhilfe aufmerksellschaft durch allsam zu machen.
❮42❯
gemeine Förderungsangebote und Leistungen in
unterschiedlichen Lebenssituationen. Das KJHG
ist identisch mit dem achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII).
In besonderen
Einzelfällen bietet
das KJHG Familien
z. B. die Möglichkeit,
staatliche Mittel zur
Förderung ihrer
Kinder in Anspruch
zu nehmen. Denn
nicht immer werden
die Kosten für notwendige spezielle
Fördermaßnahmen
(v. a. Unterstützungsangebote freier Anbieter)
von den Krankenkassen gedeckt.
Ob und welche Zuwendungen Familien allerdings erhalten, hängt
von den einzelnen
Jugendämtern ab. Oft
werden Anträge auf
Kostenübernahme
privater Anbieter angesichts leerer Kassen
abgelehnt.
Anspruchsgrundlagen
Eltern von ADHS-Kindern können sich insbesondere auf den vierten Abschnitt des KJHG
berufen, der die „Hilfe zur Erziehung“ und die
„Eingliederungshilfe für seelisch behinderte
Kinder und Jugendliche“ regelt:
Hilfe zur Erziehung gem. § 27 KJHG
(1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der
Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen
Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn
eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung
geeignet und notwendig ist.
(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach
Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere
soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. Die Hilfe ist in der
Regel im Inland zu erbringen; sie darf nur dann
im Ausland erbracht werden, wenn dies nach
Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung des
Hilfezieles im Einzelfall erforderlich ist.
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(2 a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich,
so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung
nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu
übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese
Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf
in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und
37 zu decken.
(3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die
Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. Sie soll bei
Bedarf Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne von § 13 Abs. 2 einschließen.
(4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während
ihres Aufenthaltes in einer Einrichtung oder
einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes,
so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die
Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes.
Eingliederungshilfe für seelisch behinderte
Kinder und Jugendliche gem. § 35a SGB VIII
(1) Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf
Eingliederungshilfe, wenn
1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem
für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht
und
2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen
Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches
sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine
Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27
Abs. 4 gilt entsprechend.
(1 a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen
Gesundheit nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
1. eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
2. eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten
oder
3. eines Arztes oder eines psychologischen
Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei
Kindern und Jugendlichen verfügt, einzuholen.
Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der
Internationalen Klassifikation der Krankheiten in
der vom Deutschen Institut für medizinische
Dokumentation und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist
auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Die
Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst
oder der Einrichtung, der die Person angehört,
die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.
Ablauf
Grundsätzlich sollten zunächst die schulinternen Möglichkeiten ausgeschöpft werden (Durchführung von speziellen Maßnahmen wie Gesprächen, schulischen Fördermaßnahmen, Erarbeitung eines qualifizierten Förderangebots etc.).
Wenn diese Maßnahmen nicht zu einer Besserung der Lernsituation bzw. des Verhaltens führen und es zu Integrationsproblemen kommt,
kann die Inanspruchnahme von außerschulischen Hilfemöglichkeiten – wie z. B. ein Antrag
auf Leistungen nach dem KJHG – sinnvoll sein.
Der Ablauf für die Inanspruchnahme von
Leistungen nach dem KHJG ist wie folgt:
• Die Eltern des betroffenen Kindes stellen einen
Antrag auf Leistungen nach dem KJHG bei dem
zuständigen Jugendamt.
• In Abstimmung mit den Eltern, dem Kind sowie
in Kooperation mit den beteiligten Institutionen
prüft der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) die
Voraussetzungen zur Gewährung von ambulanten Hilfen zur Erziehung (§ 27 KJHG) sowie von
Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte
(§ 35a KJHG).
• Es werden Stellungnahmen des beteiligten
❮43❯
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Facharztes, der Schule etc. eingeholt und Gespräche mit den Eltern und dem Kind über
seine soziale Integration durchgeführt. Die
Untersuchung muss in der Regel der Amtsarzt
des Gesundheitsamtes vornehmen.
• Sind die Voraussetzungen für ambulante Hilfen
zur Erziehung nach § 27 KJHG oder Eingliederungshilfe nach § 35a KJHG gegeben, wird in
der Regel im Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte gemeinsam mit den Eltern und dem
Kind ein Hilfeplan gemäß § 36 KJHG erstellt;
dieser macht Feststellungen über den Bedarf,
die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen. Bei der Fortschreibung
des Hilfeplans, dessen Realisierung regelmäßig zu prüfen ist, sind die Schule, der beteiligte
Arzt, die Eltern und das Kind erneut hinzuzuziehen.
❮44❯
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Informationsquellen zu ADHS
Hilfreiche Empfehlungen für Eltern
Die Arbeit mit Schulen zeigt uns immer wieder,
dass in Lehrerkreisen oftmals Unsicherheit darin
besteht, die Eltern betroffener Kinder gut zu beraten. Dabei mangelt es nicht an Informationsquellen, die man zu Rate ziehen kann. Neben
Büchern und Broschüren bietet insbesondere
das Internet eine nahezu unüberschaubare Datenfülle zum Thema ADHS, die für jeden frei verfügbar ist. Gibt man in eine der gängigen Suchmaschinen den Begriff ADHS ein, erhält man
über 200.000 Einträge. Bei einer solchen Fülle
von Informationen fällt es natürlich nicht immer
leicht, seriös von unseriös zu unterscheiden.
Elternselbsthilfegruppen
Sie werden es bestimmt auch schon erlebt
haben, dass Eltern von Kindern mit ADHS Hilfe
suchend auf Sie zugekommen sind und um Ihren
Rat gebeten haben, an wen sie sich wenden können und wo sie Unterstützung erhalten.
Über hervorragendes Informationsmaterial
und kompetente Ansprechpartner verfügen in
der Regel die Elternselbsthilfegruppen. Hier erfahren Eltern Unterstützung und Begleitung in
allen Fragen, die ADHS betreffen. Auch Schulen
erhalten Hilfestellung durch Fortbildungsangebote und unterrichtsrelevante Broschüren.
Aufgrund ihres meist ausgezeichneten Informationsnetzes können Elternselbsthilfegruppen
darüber hinaus eine erste Orientierung geben,
an welche qualifizierten Fachärzte oder sonstigen kompetenten Anlaufstellen sich Eltern betroffener Kinder wenden können.
Die Adressen der Verbände der bundesweit
agierenden ADHS-Selbsthilfegruppen finden Sie
am Ende des Kapitels aufgeführt. Deren Regionalgruppen können Sie ausfindig machen entweder über deren Webseite oder über
• die Gelben Seiten,
• die Krankenkassen,
• den Schulpsychologischen Dienst des
zuständigen Schulamtes,
• Beratungsschulen (Förderschulen).
❮45❯
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Literatur
Zum Thema ADHS gibt es mindestens so viele
Bücher und Ratgeber, wie es Meinungen zu diesem Thema gibt. Wir beschränken uns daher
darauf, Sie auf ein Standardwerk und eine Broschüre des Hamburger Arbeitskreises zu verweisen. Hilfreiche Fachliteratur zu Unterrichtsmethodik finden Sie bei den Schulbuchverlagen,
die sich auf handlungsorientierten Unterricht
spezialisiert haben.
Staatsinstitut für Schulpädagogik und
Bildungsforschung München (Hrsg.):
Aufmerksamkeitsgestörte, hyperaktive Kinder
und Jugendliche im Unterricht.
Auer Verlag. ISBN 3-403-03248-5
Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS:
Informationsbroschüre „Leitfaden ADS/ADHS“
inklusive einer Übersicht praktischer Tipps
„ADS/ADHS im Alltag“
Der Leitfaden kann kostenlos angefordert
werden, entweder per Brief/Postkarte oder
per E-Mail.
Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS
Postfach 65 22 40, 22373 Hamburg
[email protected]
Signalkarten
Es geht auch ohne Worte.
Signalkarten für den Unterricht.
Hund, Wolfgang, Verlag an der Ruhr
Orientierung ohne Worte.
Kirschner, Jens und Treu, Sabine,
Verlag an der Ruhr
Weitere Informationen erhalten Sie auch unter:
www.info-adhs.de
❮46❯
Adressen Selbsthilfegruppen
BV AH
Bundesverband Aufmerksamkeitsstörungen/
Hyperaktivität e. V.
Postfach 60, 91291 Forchheim
Telefon 09191 704260, Fax 09191 34874
www.bv-ah.de
[email protected]
BV AÜK
Bundesverband Arbeitskreis überaktives Kind e. V.
Postfach 41 07 24, 12117 Berlin
Telefon 030 85605902, Fax 030 85605970
www.bv-auek.de
[email protected]
ADS e. V.
Elterninitiative zur Förderung von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen mit
AufmerksamkeitsDefizitSyndrom (ADS) mit/
ohne Hyperaktivität
Postfach 11 65, Im Tiefentobel 28, 73055 Ebersbach
Telefon 07161 920225, Fax 07161 920226
www.ads-ev.de
[email protected]
(An dieser Stelle sind nur die größten Verbände
aufgeführt. Auf den Internetseiten dieser Verbände finden Sie aber eine Vielzahl von Links
und Hinweisen zu weiteren Verbänden und regionalen Gruppen.)
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Glossar
Was versteht man unter…?
ADHS
Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit ➔ Hyperaktivität. Kernsymptome sind eine verminderte
Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit,
gesteigerter Bewegungsdrang sowie ➔ Impulsivität.
ADS
Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne ➔ Hyperaktivität. Die Kernsymptome sind verminderte
Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit,
➔ Impulsivität sowie ein normaler oder reduzierter Bewegungsdrang. Der Begriff ADHS wird
gewöhnlich für beide Varianten (ADS und ADHS)
verwandt.
Dopamin
➔ Neurotransmitter (Botenstoff), der eine wichtige Rolle bei der Reizweiterleitung im Gehirn
spielt.
EEG
Elektroenzephalogramm: das Aufzeichnen und
Auswerten des Hirnstrombildes.
Hyperaktivität
Gesteigerter Bewegungsdrang und körperliche
Unruhe.
Impulsivität, impulsives Verhalten
Spontanes, plötzliches Ausführen von Handlungen, ohne zu überlegen und/oder die Folgen zu
bedenken. Führt bei ADHS-Kindern häufig zu
Unfällen und Verletzungen.
Komorbiditäten
Begleiterkrankungen, die neben ADHS auftreten
und gesondert diagnostiziert und behandelt werden müssen.
❮48❯
Lese-Rechtsschreib- und Rechen-Schwäche
Teilleistungsstörungen, bei denen durch spezifische und umschriebene Funktionsstörungen in
bestimmten Hirnbereichen die Lese- und/oder
Rechtschreibleistungen des betroffenen Kindes
beeinträchtigt sind bzw. eine spezifische Rechenschwäche vorliegt. Beide Störungen gehen in der
Regel mit normaler Intelligenz einher.
Multimodale Therapie
Behandlung, die sich aus einer jeweils individuellen Kombination unterschiedlicher Therapieformen zusammensetzt. Der multimodale
Therapieansatz bei ADHS umfasst das Elterntraining, psychotherapeutische Maßnahmen,
(z. B. Verhaltenstherapie) und die medikamentöse Therapie.
Nachteilsausgleich
Vorschriften über Hilfen für behinderte Menschen zum Ausgleich behinderungsbedingter
Nachteile oder Mehraufwendungen.
Neurotransmitter
Im Nervensystem wirkende körpereigene Substanzen (Botenstoffe), die für die Reizübertragung zwischen Nervenzellen zuständig sind.
Die wichtigsten im Zusammenhang mit ADHS
sind ➔ Dopamin und ➔ Noradrenalin.
Noradrenalin
➔ Neurotransmitter (Botenstoff), der eine wichtige Rolle bei der Reizweiterleitung im Gehirn
spielt.
Psychostimulanzien
Substanzen (Psychopharmaka), die über eine
direkte Beeinflussung des Zentralnervensystems
Erleben und Verhalten des Patienten verändern
können. Bei Gesunden können sie den Antrieb
steigern und psychisch anregend wirken. Bei
ADHS hingegen wirken sie nicht anregend, sondern eher ausgleichend. Die Verordnung dieser
Medikamente unterliegt in Deutschland dem
Betäubungsmittelgesetz.
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Selktive NoradrenalinWiederaufnahmehemmer
Substanzen (Psychopharmaka), die zu einer
Regulation des ➔ Noradrenalin-Systems im
Gehirn beitragen können. Erste medikamentöse
Behandlungsoption für ADHS, die kein Psychostimulanz ist.
Soziometrie
Eine Methode der Sozialpsychologie, mit der
man soziale Beziehungen in einer Gruppe von
Menschen in Bezug auf vorher definierte Kriterien sichtbar macht.
Stimulanzien
➔ Psychostimulanzien
Teilleistungsstörungen
Leistungsstörungen, die bestimmte Funktionen
des Gehirns betreffen (Lesen, Schreiben, Rechnen). Zusammen mit ADHS können ➔ LeseRechtschreib- und Rechen-Schwäche vorkommen.
Tic-Störungen
Unwillkürliche Muskelzuckungen, besonders im
Gesicht, die bei ADHS häufig begleitend auftreten.
Tourette-Syndrom (TS)
Eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durch
komplexe (vokal/motorische) Tics charakterisiert
ist. Tics sind spontane, plötzliche und häufig heftige Bewegungen oder Lautäußerungen. Benannt
nach dem französischen Arzt Gilles de la Tourette,
der die Symptomatik erstmals um 1885 beschrieb.
Verhaltenstherapie
Psychotherapeutische Behandlung, bei der unerwünschte Verhaltensweisen abgebaut und gezielt durch neu erlernte ersetzt werden. Baustein
der ➔ multimodalen Therapie von ADHS.
❮49❯
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Eckpunktepapier des BMGS
Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur Verbesserung
der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
(Oktober 2002)
Pressemitteilung des Bundesministeriums
für Gesundheit und Soziale Sicherung vom
27. Dezember 2002:
Zur Verbesserung der Versorgung von Kindern,
Jugendlichen sowie von Erwachsenen mit der
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wurde auf Einladung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale
Sicherung eine Konferenz durchgeführt, auf der
ein weit reichender Konsens über verbindliche
Standards in der Diagnose und Behandlung des
ADHS erzielt wurde. An der Konferenz waren
Vertreter der Kinder- und Jugendmedizin, der
Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Psychologie,
weiterer Berufsgruppen sowie der Elternverbände beteiligt. Hierzu erklärt die Drogenbeauftragte
der Bundesregierung und Parlamentarische
Staatssekretärin im Bundesministerium für
Gesundheit und Soziale Sicherung, Marion
Caspers-Merk:
• eine Zusammenarbeit zwischen den einzelnen
Berufsgruppen über den Aufbau von regionalen
und überregionalen Netzwerken unter Beteiligung der Elternverbände verbessert werden
soll sowie
• die Fachkompetenz der jeweiligen ärztlichen
und nichtärztlichen Berufsgruppen über den
Aufbau eines fachübergreifenden modularen
Fortbildungsangebotes zur ADHS sichergestellt
wird.
„Ich begrüße es sehr, dass die unterschiedlichen
Berufs- und Fachgruppen, die mit der Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung konfrontiert sind, sich über wesentliche Kriterien zur Diagnose und Therapie einigen
konnten. Es geht dabei in erster Linie um die
Sicherstellung einer qualitätsgesicherten und
bedarfsgerechten Versorgung von Kindern und
Jugendlichen sowie der Gruppe von Erwachsenen mit ADHS. Dabei ist mir sehr wichtig, dass
über den erzielten Konsens nun:
Der Inhalt der Übereinkunft ist in einem Eckpunktepapier zusammengefasst.
• den betroffenen Familien und der Öffentlichkeit
ein gemeinsames Verständnis über das Krankheitsbild und die Behandlung vermittelt wird,
• die Verschreibung von Methylphenidat auf der
Grundlage wissenschaftlicher Standards im
Rahmen einer abgestimmten Diagnosestellung
und multimodalen Therapie erfolgt,
❮50❯
Mit der Einigung verbinde ich die Hoffnung, dass
wir die gesundheitliche Versorgung in der Diagnose und multimodalen Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
wesentlich verbessern können. Ich erhoffe mir
auch, dass die öffentliche Diskussion nicht weiterhin mit widersprüchlichen und unverantwortlichen Botschaften zur medikamentösen Behandlung behaftet ist.“
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Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur Verbesserung
der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
(Bonn, 28. und 29. Oktober 2002)
1. Aktuelle Prävalenzschätzungen zur ADHS
gehen von 2 bis 6 % betroffenen Kindern und
Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren aus.
ADHS ist damit eines der häufigsten chronisch
verlaufenden Krankheitsbilder bei Kindern und
Jugendlichen. Die bedarfsgerechte Versorgung
dieser Patienten – die durch unterschiedliche
Berufsgruppen getragen wird – ist derzeit nicht
flächendeckend gewährleistet. Es besteht noch
oft eine ungenügende Verzahnung kooperativer
Diagnostik. Es fehlt häufig an verlaufsbegleitenden Überprüfungen der Diagnostik nach dem
Einsetzen therapeutischer Maßnahmen.
2. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Betroffenen dauern die Symptome bis ins Erwachsenenalter an. ADHS stellt somit auch bei Erwachsenen eine behandlungsbedürftige psychische Störung dar. Es fehlen hier verbindliche
diagnostische Kriterien und angemessene Versorgungsstrukturen. Die Behandlung mit Methylphenidat erfolgt derzeit im Erwachsenenalter
„off label“, da dieses Medikament für die Behandlung von Erwachsenen bei dieser Indikation
nicht zugelassen ist.
3. In der Öffentlichkeit besteht noch weitgehende
Unkenntnis und Fehlinformation über das Krankheitsbild. Schulen, Tageseinrichtungen und andere Erziehungsinstitutionen sowie an der öffentlichen Gesundheitsfürsorge beteiligte Verwaltungen (Jugendamt, Gesundheitsamt, Sozialamt,
Strafvollzug und Polizei) sollten verstärkt über
ADHS informiert werden. Die Konsensuskonferenz erhebt die Forderung nach einem Awareness-Programm als gemeinsame Aktion.
4. Für eine korrekte Diagnosestellung der ADHS
ist eine umfassende Diagnostik und Differenzialdiagnostik anhand anerkannter Klassifikationsschemata (ICD 10 oder DSM IV) erforderlich.
Grundlage der Diagnosestellung sind Exploration
und klinische Untersuchung mit Verhaltensbeobachtung. Die störungsspezifische Anamnese
soll Familie und weiteres Umfeld (z. B. Schule)
einbeziehen und zusätzlich erschwerende sowie
entlastende Umgebungsfaktoren berücksichti-
gen. Fremdbeurteilungen durch Lehrer und Erzieher sollen einbezogen werden. Die Benutzung
von Fragebögen als diagnostische Hilfen ist sinnvoll. Intelligenzdiagnostik und Untersuchung von
Teilleistungsschwächen sollen das diagnostische
Mosaik ergänzen. Die differenzialdiagnostische
Abklärung zu anderen Erkrankungen mit ähnlichen (Teil-) Symptomen und die Erfassung von
Begleiterkrankungen bilden einen notwendigen
Baustein zur Diagnosesicherung. Eine solche
mehrdimensionale Diagnostik bildet die Grundlage der multimodalen Behandlung. Die Diagnostik der ADHS ebenso wie die Therapie, auch
die psychotherapeutische Behandlung, orientieren sich an den evidenzbasierten Leitlinien der
beteiligten Fachverbände. Derzeit scheitert die
multimodale Diagnostik noch in einigen Regionen Deutschlands an der Versorgungsrealität.
Um die Versorgungsstruktur zu verbessern, ist
Unterstützung der Politik erforderlich.
5. Eine qualitätsgesicherte Versorgung von ADHS
ist unter Einbeziehung aller beteiligten Berufsgruppen notwendig. Die Therapie der ADHS ist
als multimodales Behandlungsangebot definiert.
Nur ein Teil der Kinder bedarf der medikamentösen Therapie. Nach ausführlicher Diagnostik und
erst wenn psychoedukative und psychosoziale
Maßnahmen nach angemessener Zeit keine ausreichende Wirkung entfaltet haben, besteht die
Indikation zu einer medikamentösen Therapie.
Stimulanzien wie Methylphenidat stellen empirisch gesicherte Medikamente zur Behandlung
der ADHS dar, wobei der langfristige Einfluss
dieser Medikation auf die Entwicklung des Kindes verstärkt erforscht werden muss. Auch
andere Medikamente haben ihre Wirksamkeit
bewiesen. Im Vorschulalter soll erst nach Ausschöpfung aller Maßnahmen eine medikamentöse Behandlung im Einzelfall in Erwägung gezogen werden. Für die Behandlung sind spezielle
Kenntnisse der biologischen, psychischen und
sozialen Entwicklung des Kindes Voraussetzung.
6. Die spezielle Indikationsstellung zur medikamentösen Behandlung mit Stimulanzien ist im
Einzelfall ebenso wie die Entscheidung über
❮51❯
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Zeitpunkt, Dauer und Dosis sorgfältig und entsprechend dem aktuellen wissenschaftlichen
Standard zu treffen. Auf altersspezifische Besonderheiten im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter ist zu achten. Jede medikamentöse
Behandlung mit Stimulanzien ist in ein umfassendes Therapiekonzept im Sinne einer multimodalen Behandlung einzubinden. Jede medikamentöse Behandlung bedarf als Mindeststandard einer intensiven ärztlichen Begleitung und
ausführlichen Beratung. Die alleinige Verabreichung von Stimulanzien ist keine ausreichende Behandlungsmethode. Der Ausbau von Versorgungsstrukturen für begleitende psychosoziale und andere therapeutische Maßnahmen soll
von der Politik intensiv unterstützt werden.
7. Die bedarfsgerechte Versorgung erfordert eine
enge Zusammenarbeit der Ärzte untereinander
(Kinder- und Jugendärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychiater, Allgemeinmediziner) und
mit Psychologen, Psychotherapeuten, Pädagogen, Heilmittelerbringern (z. B. Ergotherapeuten)
und Selbsthilfeverbänden. Die enge Zusammenarbeit mit weiteren an der gesundheitlichen Versorgung beteiligten Berufsgruppen ist notwendig.
Erziehungsberatungsstellen sollen unter einer
pädagogischen Zielsetzung im Rahmen kooperativer Netzwerke tätig werden. Auch Kindergärten, Tagesstätten und Schulen sowie weitere psychosoziale Bereiche sollen unter Einschluss der
Jugendhilfe in das Behandlungsnetzwerk als Kompetenzpartner einbezogen werden, um einer schädlichen Desintegration der Kinder vorzubeugen.
8. Je nach Fachgruppe und therapeutischer Ausbildung besteht eine unterschiedliche Qualifikation zur Behandlung von ADHS. Die Verbesserung der Qualifikation muss daher differenziell
erfolgen. Angestrebt wird ein modulares Fortbildungskonzept mit unterschiedlicher Gewichtung der Inhalte. Grundlage dieses Konzeptes
soll empirisches Tatsachenwissen über Entstehung, Verlauf und Therapie von ADHS sein.
❮52❯
Die Grundlage für interdisziplinäre Zusammenarbeit bildet ein allen Berufsgruppen zugängliches Basiswissen, dessen Vermittlung eine gezielte Fortbildung der unterschiedlichen Beteiligten erfordert. Eine fachübergreifende gemeinsame Fortbildung im Sinne einer wechselseitigen
Erkenntniserweiterung ist anzustreben und ermöglicht eine qualifizierte Kooperation.
9. Interdisziplinäre Zusammenarbeit beruht auf
der Fachkompetenz und dem wechselseitigen
Respekt der beteiligten Berufsgruppen. Die Verantwortung für die Koordination der interdisziplinären Behandlung liegt in der Hand des zuständigen Arztes. Ziel ist ein abgestimmtes multimodales störungsspezifisches Vorgehen zur Behandlung der Kernsymptomatik und der Begleitstörungen auf Evidenzbasis.
10. Aus berufspolitischer Sicht der beteiligten
Verbände besteht Klärungsbedarf im Hinblick
auf Leistungsanreize und eine leistungsgerechte
Honorierung bzw. Finanzierung der Versorgungstätigkeit. Unter Einbezug von Leistungsträgern
und Leistungserbringern müssen solidarische
Finanzierungsmodelle im Rahmen der Leistungen der SGB V, VIII und IX gewährleistet sein. Die
Politik soll ihren Einfluss im Rahmen der Zuständigkeiten geltend machen.
11. Regionale und überregionale Netzwerke sollen gebildet und die vorhandenen Netzwerke
ausgebaut werden. Von der Politik wird eine
Hilfestellung bei der Bestandsaufnahme bestehender regionaler Netzwerke gewünscht. Diese
regionalen Netzwerke sollen die Umsetzung der
Leitlinien in die Praxis unterstützen. Die Politik
soll die Bildung qualifizierter interdisziplinär
orientierter Arbeitsgruppen zum Thema ADHS
unter Einbezug von Betroffenenvertretern begleiten und unterstützen.
12. Zum Thema ADHS besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf. Dies betrifft sowohl den
langfristigen Einfluss medikamentöser Therapien, besonders des Methylphenidats auf die
Entwicklung des Kindes, als auch empirische
Untersuchungen zur Wirkungsweise weiterer
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Behandlungsmaßnahmen bei ADHS. Auch die
Intensivierung der Forschung zur Evaluation der
Struktur-, Verlaufs- und Ergebnisqualität in Bezug auf diese unterschiedlichen Therapieverfahren und die bedarfsgerechte Versorgung ist notwendig und erwünscht.
Parlamentarische Staatssekretärin und
Drogenbeauftragte der Bundesregierung
Frau Caspers-Merk
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Prof. Dr. Resch
Für die Gesellschaften der Kinderheilkunde
und Jugendmedizin
Dr. Skrodzki
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Kopiervorlagen
• Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
• Zielplan „10-Stunden-Projekt“
• Stundenprotokoll „10-Stunden-Projekt“
• Zufriedenheitsthermometer „10-Stunden-Projekt“
• Gradmesser Zielerreichung „10-Stunden-Projekt“
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Seite 56
Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
A. RAHMENBEDINGUNGEN
Name des Kindes:
Alter des Kindes:
Jahre
Klasse:
Unterrichtsfächer:
Wochenstunden:
Klassengröße:
Ich unterrichte das Kind seit:
Meine Beziehung zum Kind bewerte ich wie folgt:
Sitznachbar des Kindes (falls zutreffend):
Sitzt eher
❏ vorn
❏ mittig
❏ hinten
Gute/Eher gute Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:
Schlechte/Eher schlechte Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:
Der letzte Elternkontakt (telefonisch, persönlich) fand vor
Wochen/Tagen statt.
Anlass:
Besteht eine formale ADHS-Diagnose?
Falls ja, ist mir diese bekannt seit
❮I❯
❏ ja
❏ nein
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Seite 57
Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
Gibt es bereits laufende Behandlungen, von denen ich weiß?
❏ Medikamente
❏ Elternberatung
❏ Ergotherapie
❏ Nachhilfe
❏ Verhaltenstherapie
❏ andere:
Behandelnder Arzt/Therapeut (falls bekannt):
Telefonnummer (falls bekannt):
Bestand bereits Kontakt zum Arzt/Therapeuten? Wenn ja, wann zuletzt?
Wie sehen die Schulleistungen des Kindes derzeit aus?
Deutsch
❏ gut
❏ befriedigend
❏ ausreichend
❏ schlechter
Mathematik
❏ gut
❏ befriedigend
❏ ausreichend
❏ schlechter
Sachkunde
❏ gut
❏ befriedigend
❏ ausreichend
❏ schlechter
In welchen Fächern/Bei welchen Kollegen bestehen die größten Verhaltens- bzw. Konzentrationsschwierigkeiten?
In welchen Fächern klappt es besser/am besten?
Gibt es einen „typischen Verlauf“ der Auffälligkeiten
❏ über die Woche (z. B. schlechter am Wochenanfang)?
❏ am Schulvormittag (z. B. auffälliger in den ersten Stunden)?
❮II❯
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Seite 58
Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
B. VERHALTENSBEOBACHTUNGEN
Block 1
Worin bestehen leistungsbehindernde Verhaltensweisen im Unterricht?
nie/nein
durchschnittlich
immer/ja
durchschnittlich
immer/ja
fängt nicht mit der Arbeit an
kann sich nur kurzfristig auf eine Aufgabe konzentrieren
träumt oft vor sich hin
vergisst häufig Arbeitsanweisungen
beteiligt sich kaum am Unterricht
hat Schwierigkeiten mit schnellem schriftlichem Arbeiten
krakeliges Schriftbild
drückt beim Schreiben/Malen sehr fest auf
kann die Arbeitsmaterialien nicht organisieren
Materialien sind oft unvollständig
hat Schwierigkeiten, sauber zu arbeiten
scheint oft nicht zu wissen, was zu tun ist
Hausaufgaben oft nicht oder unvollständig gemacht
schafft oft nur einen Teil des Pensums
scheint Stoff zu beherrschen, versagt dann oft in Klassenarbeiten
schnelles Arbeiten geht genauem Arbeiten vor
ist bei Gruppenarbeiten oft in der Außenseiterrolle
sonstige:
Block 2
Was sind positive Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes?
nie/nein
ist anderen gegenüber hilfsbereit
hat freundliches Wesen/interessiert an seiner Umwelt /neugierig
ist spontan
❮III❯
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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
nie/nein
durchschnittlich
immer/ja
durchschnittlich
immer/ja
hat viele, oft kreative Ideen
kann sich für vieles begeistern
besitzt ausgeprägtes Mitgefühl
bringt andere zum Lachen
hat ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
ist anderen gegenüber nicht nachtragend
setzt sich für andere ein
kann den Unterricht oft bereichern
begeistert sich für Sport
sonstige:
Block 3
Worin bestehen den Unterricht störende Verhaltensweisen?
nie/nein
ruft und redet häufig dazwischen
kommentiert Beiträge anderer unangemessen
verlässt seinen Sitzplatz
verbreitet Unruhe am Sitzplatz/Tisch
fällt vom Stuhl
lenkt Sitznachbarn ab
möchte häufig der Erste sein
versucht, bei Gruppenaktivitäten zu dominieren
gerät im Unterricht in Auseinandersetzungen mit anderen
lenkt andere Kinder mit unterrichtsfremden Aktivitäten ab
sonstige:
Block 4
Worin bestehen mich persönlich störende Verhaltensweisen (über das bereits gesagte hinaus)?
nie/nein
durchschnittlich
immer/ja
widersetzt sich oft meinen Anweisungen
beeinflusst andere Kinder/das Klassenklima negativ
ist mir gegenüber oft frech und anmaßend
bindet meine Aufmerksamkeit zu oft und zu lange
kostet mich viel Zeit im Unterricht
erfordert viele Kontakte zu Eltern/anderen Lehrern
sonstige:
❮IV❯
strattera_schulproj_inh
13.07.2006
13:56 Uhr
Seite 60
Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung
C. MEIN EIGENES PÄDAGOGISCHES HANDELN
Was ich bereits versucht habe, um das problematische Verhalten des Kindes zu beeinflussen (Elternkontakt, Einzelplatz, Sanktionen etc.): (Listen Sie möglichst konkret ein Problemverhalten und die
durchgeführte Maßnahme auf und bewerten Sie den Erfolg ihrer Reaktion mit Noten von 1 bis 6)
Problemverhalten
Pädagogische Maßnahme
z. B. Hausaufgaben vergessen
z. B. nacharbeiten lassen
❮V❯
Erfolg
strattera_schulproj_inh
13.07.2006
13:56 Uhr
Seite 61
Zielplan „10-Stunden-Projekt“
Unsere gemeinsamen Ziele für morgen/die nächsten 3 Stunden/die nächsten 10 Stunden:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Unsere gemeinsamen Ziele für die Zeit bis zu den Ferien/zum Halbjahreszeugnis/zum Zeugnis:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
❮VI❯
strattera_schulproj_inh
13.07.2006
13:56 Uhr
Seite 62
Stundenprotokoll „10-Stunden-Projekt“
Stunde Nr.
Eingesetzte Techniken:
1.
Erfolg:
1
2
3
4
5
6
(analog Schulnoten)
1
2
3
4
5
6
(analog Schulnoten)
1
2
3
4
5
6
(analog Schulnoten)
1
2
3
4
5
6
(analog Schulnoten)
1
2
3
4
5
6
(analog Schulnoten)
1
2
3
4
5
6
(analog Schulnoten)
2.
Erfolg:
3.
Erfolg:
4.
Erfolg:
5.
Erfolg:
6.
Erfolg:
Bemerkungen
❮VII❯
strattera_schulproj_inh
13.07.2006
13:56 Uhr
Seite 63
Zufriedenheitsthermometer „10-Stunden-Projekt“
Ich fand mein Verhalten heute
super
ganz o.k.
schlecht
❮VIII❯
strattera_schulproj_inh
13.07.2006
13:56 Uhr
Seite 64
Gradmesser „10-Stunden-Projekt“
Haben wir die vereinbarten Ziele erreicht?
Ziel 1
Ziel 2
ja
ja
ja
fast
fast
fast
ein wenig
ein wenig
ein wenig
nein
nein
nein
Ziel 4
❮IX❯
Ziel 3
Ziel 5
Ziel 6
ja
ja
ja
fast
fast
fast
ein wenig
ein wenig
ein wenig
nein
nein
nein
strattera_schulproj_umschl_copy
03.12.2007
10:00 Uhr
Seite 5
03.12.2007
Lilly Deutschland GmbH
Werner-Reimers-Straße 2–4
61352 Bad Homburg
www.lilly-pharma.de
www.info-adhs.de
10:00 Uhr
Seite 2
Schutzgebühr
EUR 4,90
ISBN 3-935966-19-9
PM 470477
strattera_schulproj_umschl_copy
Leitfaden ads | adhs
I N F O R M AT I O N S B R O S C H Ü R E
DES
HAMBURGER
ARBEITSKREISES
Stand: Dezember 2004, 2. überarbeitete Auflage
Leitfaden ads | adhs
Informationsbroschüre des Hamburger Arbeitskreises
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Der Hamburger Arbeitskreis ADS | ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Max, ein ganz normales ADHS-Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Definition von ADS | ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Was ist eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
ADS und ADHS – zwei Formen einer Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1. Aufmerksamkeitsdefizit ohne Hyperaktivität (ADS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2. Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivität (ADHS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Mögliche Folgen der Leitsymptome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Was passiert im Gehirn eines ADS | ADHS-Kindes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Wie äußert sich ADS | ADHS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Welche Begleiterkrankungen können auftreten?
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Wie viele ADS | ADHS-Betroffene gibt es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Was weiß man über die Ursachen von ADS | ADHS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Was weiß man heute über die Entstehung der
ADS | ADHS-typischen Symptome? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1. Biologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2. Psychosoziale Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Wer hilft bei der Diagnose von ADS | ADHS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Was können Eltern, Lehrer und Erzieher zur Diagnosestellung beitragen? . . . . . . . . . 24
Wo liegt die Schaltzentrale der Diagnose und Therapie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Welcher Facharzt sollte hinzugezogen werden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Basisdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Psychodiagnostik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Untersuchungen, die in jedem Fall durchgeführt werden müssen . . . . . . . . . . . . . 25
Untersuchungen, die nur in bestimmten Fällen durchgeführt werden müssen . . . 26
Untersuchungen vor Beginn einer medikamentösen Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Wie lange dauert die Diagnostik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Leitfaden des Hamburger Arbeitskreises zur Diagnostik der ADS | ADHS . . . . . . . 27
Das multimodale Therapiekonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
1. Obligate Therapiemaßnahmen
Information, Aufklärung und Anleitung von Eltern, Kind und Umfeld . . . . . . . . . . 31
2. Fakultative Therapiemaßnahmen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2 a) Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2 b) Psychotherapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2 c) „Übende Verfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2 d) Sozialpsychiatrische Therapie | Sonderpädagogische Maßnahmen . . . . . . . . . 35
Was ist von alternativen Therapieansätzen zu halten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Leitfaden des Hamburger Arbeitskreises zur
ärztlich-psychotherapeutischen Therapie von ADS | ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Kostenübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Fallbeispiele zu Diagnose und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1. Beispiel Lars. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2. Beispiel Felix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Kontaktadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
ADS | ADHS im Internet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Vorwort
GEMEINSAM HANDELN
Liebe Eltern, Lehrer und Ärzte,
kaum ein anderes psychisches Krankheitsbild und seine Behandlung haben in der jüngsten
Zeit so viele Diskussionen hervorgerufen wie die Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit
und ohne Hyperaktivität (ADS | ADHS).
An ADS | ADHS scheiden sich in der Öffentlichkeit die Geister: Die einen sehen darin
nichts weiter als eine „Modediagnose“ und führen das Verhalten der Kinder pauschal auf
Erziehungsfehler der Eltern zurück, andere hingegen sprechen von einem behandlungsbedürftigen Krankheitsbild.
Die Leidtragenden dieser oft mit wenig Sachkenntnis, aber dafür sehr emotional geführten Auseinandersetzungen sind die betroffenen Kinder und ihre Familien. Viele Eltern
sind verunsichert: Sie wissen nicht mehr, welchen Informationen sie noch Glauben
schenken sollen, wem sie vertrauen und an wen sie sich wenden können. Denn trotz der
zunehmenden Aufklärungsarbeit zum Thema ADS | ADHS, z. B. durch Tagungen und
Symposien der Elternselbsthilfegruppen und der verschiedenen ärztlichen Berufsverbände, gibt es auch unter vielen Ärzten noch immer großen Fortbildungsbedarf.
Die Diagnose und Behandlung von ADS | ADHS sind zudem sehr zeitaufwändig und erfordern
eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern, Schule und den einzelnen Facharztgruppen
– eine Kooperation, die bislang nur sehr selten gelingt. Die Folgen sind oft jahrelange
Arztodysseen und Schulwechsel, aber auch Fehldiagnosen und Therapie-Irrwege.
SEITE 4
Aus dieser Situation heraus hat sich im Frühjahr 2001 der Hamburger Arbeitskreis
ADS | ADHS (HAK) gegründet. Er ist ein bislang einmaliger fachübergreifender Zusammenschluss von Vertretern des regionalen Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, des regionalen Berufsverbandes der Kinderund Jugendärzte, von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie zweier Elternselbsthilfegruppen. Ziel des Arbeitskreises ist es, die Diskussion um das Thema
ADS | ADHS wieder zu versachlichen und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen
Facharztgruppen zu verstärken.
Zudem soll der Kenntnisstand über ADS|ADHS
sowohl bei den Ärzten als auch bei den Eltern, Lehrern und Erziehern verbessert werden, damit betroffene Kinder frühzeitig erkannt und behandelt werden können.
In dem vorliegenden Leitfaden ADS | ADHS hat der Hamburger Arbeitskreis seine gemeinsam erarbeiteten Empfehlungen zu Diagnose und Therapie für eine breite Öffentlichkeit zusammengefasst. Der Leitfaden richtet sich vor allem an die betroffenen Eltern,
aber auch an interessierte Ärzte und Lehrer. Er soll Orientierungshilfe und Wegweiser
durch den Diagnose- und Therapiedschungel sein. Wir freuen uns, damit Eltern, Lehrern
und Ärzten zum ersten Mal einen interdisziplinär erarbeiteten Leitfaden zum Thema
ADS|ADHS an die Hand geben zu können und hoffen damit eine größere Sicherheit im
Umgang mit dem Krankheitsbild zu vermitteln.
In dem Leitfaden finden sich neben allgemeinen Informationen zum Krankheitsbild ausführliche Empfehlungen des Hamburger Arbeitskreises zur Diagnose und Therapie von
ADS | ADHS. Der Arbeitskreis setzt sich darin klar für eine qualifizierte Diagnostik sowie
das multimodale Therapiekonzept ein. Kennzeichen des multimodalen Therapiekonzeptes
ist die jeweils individuelle Kombination aus verschiedenen Therapieformen, d. h. psychotherapeutische Maßnahmen, Elternberatung und gegebenenfalls medikamentöse Behandlung. Dabei erfordert das multimodale Therapiekonzept die enge Kooperation zwischen allen beteiligten Parteien (Kind, Eltern, Lehrern, Therapeuten und Fachärzten).
Der Hamburger Arbeitskreis unterstreicht durch den interdisziplinären Leitfaden die Bedeutung der Zusammenarbeit aller Fachgruppen, die sich mit dem Krankheitsbild befassen.
Es ist zu wünschen, dass diese Zusammenarbeit in der Diagnostik und Therapie auch in
der Praxis ausgebaut wird – zum Wohle der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen.
Der Hamburger Arbeitskreis ADS | ADHS
SEITE 5
Fachärzte für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Der
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Hamburger
und -psychotherapie
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und
Arbeitskreis
ADS | ADHS
Jugendpsychosomatik des Universitätsklinikums
Hamburg-Eppendorf
Dr. Tobias Wiencke
Niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Vorsitzender des Berufsverbandes der Ärzte für Kinderund Jugendpsychiatrie und –psychotherapie (BKJPP),
Landesverband Hamburg
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
Anne Schroeder
Dipl.-Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am Werner Otto Institut /
Sozialpädiatrisches Zentrum der ev. Stiftung Alsterdorf
SEITE 6
Fachärzte für
Vertreter
Kinder- und Jugendmedizin
Elternverbände
Dr. med. Christian Fricke
Werner Henschel
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
Andreas Weigel
Ärztlicher Leiter des Werner Otto Instituts
Leiter der Elternselbsthilfegruppe
Sozialpädiatrisches Zentrum der ev.
Michel, Mitglied im Bundesverband
Stiftung Alsterdorf
Aufmerksamkeitsstörung / Hyperaktivität
e.V. (BV AH), Regionalverband Hamburg
Dr. med. Kirsten Stollhoff
Niedergelassene Fachärztin für
Rita Schmidt
Kinder- und Jugendmedizin mit
Vorsitzende der Hamburger Eltern-
Schwerpunkt Neuropädiatrie
initiative zur Förderung der Kinder und
Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen
Dr. med. Michael Zinke
Niedergelassener Facharzt für
Kinder- und Jugendmedizin
Vorsitzender und Pressesprecher
(MCD / HKS /ADS / POS) e.V.,
Mitglied in der IG ADHD
(bundesweiter Zusammenschluss der
Elternselbsthilfegruppen)
des Berufsverbandes der Kinderund Jugendärzte, Landesverband
Hamburg
SEITE 7
Einleitung
AUS DER SICHT DER ELTERN
Max, ein ganz normales ADHS-Kind
Unser Max ist heute 13 Jahre alt. Seit seinem 2. Lebensjahr ist er verhaltensauffällig. Er
war ständig in Bewegung, turnte über die Möbel und sprang von Schränken. Er hatte
keine Angst davor, sich wehzutun, und seine Schmerzgrenze lag sehr hoch. Daher war
er sehr unfallgefährdet und wir waren zeitweilig häufig in den Unfallaufnahmen der
Krankenhäuser.
Ein ganz normaler Alltag mit unserem Max beginnt morgens um 6 Uhr mit dem Wecken.
Da er abends vor 22 Uhr nie zur Ruhe kommt, kann er morgens nicht gut wach werden.
Oft wird schon das Wecken zum Kampf und dauert seine Zeit. Anschließend geht es ins
Bad: Jeder Handgriff der Morgentoilette muss einzeln angesagt und eingefordert werden.
Das Fratzenziehen vor dem Spiegel beim Zähneputzen ist interessanter als das Zähneputzen selbst! Nun kommt das Anziehen. Steht nicht einer von uns dabei, so kann es
vorkommen, dass Max im Winter mit kurzen Hosen und T-Shirt am Frühstückstisch
erscheint. Es ist jetzt schon wieder so viel Zeit vergangen, dass das Frühstück im Eiltempo
und nur mit ständigem Antreiben unsererseits erfolgen kann.
Bereits im Kindergarten, besonders aber in der Schule fällt Max dadurch auf, dass er sich
unkonzentriert und fahrig, übermütig und körperlich sehr energisch verhält sowie ein
sensibles Gerechtigkeitsempfinden zeigt. Die LehrerInnen klagen darüber, dass unser
Sohn sehr leicht ablenkbar ist, den Unterricht stört, sich verweigert und Arbeitsunterlagen zerstört. Bei Themen jedoch, die ihn sehr interessieren, arbeitet er konzentriert und
begeistert mit. Auch für die LehrerInnen ist es ein immer währendes Ermahnen und
Sichbemühen, um Max durch den Schultag zu helfen.
SEITE 8
Die Intensität dieser Verhaltensweisen
Das Drama setzt sich zu Hause fort: Wo
nimmt mit zunehmendem Alter nicht ab,
sind die Arbeitsunterlagen und was habt ihr
sondern zu und mündet in einen regen
auf? Es werden also Mitschüler telefonisch
Wechsel von Institutionen, weil er überall
befragt und so können wir uns ein Bild
aneckt und weil ihm und uns als Eltern
machen. Das Erledigen der Hausaufgaben
schließlich seine Untragbarkeit signalisiert
ist für Max sehr anstrengend. Meist
wird. Am Ende des 2. Schuljahres muss er
benötigen wir zwei Stunden – harte Arbeit
zur Sonderschule für verhaltensgestörte
für Mutter und Kind mit Tränen, Gähnen,
Kinder wechseln.
Geschrei und Umherwerfen von Bleistift
und Radiergummi, Beschwichtigungen
Nach langem Suchen finden wir einen fach-
und unendlicher Geduld der Mutter.
kundigen Arzt, der bei Max die Diagnose
ADHS gestellt hat. 7 Monate lang kämpfen
Nach der Diagnosestellung wird Max fach-
wir, dass Max von der Sonderschule
kundig behandelt. Ihm wird dadurch der
zurück auf eine Grundschule wechseln
erneute Verweis auf die Sonderschule
kann.
erspart. Auch wir werden fachkundig unterstützt, unser Leben mit ihm konflikt- und
Mit den üblichen Erziehungsmethoden erleidet man bei Max Schiffbruch. Er ist nämlich
keineswegs im üblichen Sinne „ungehorsam“. Aufgrund seiner ADHS kann er sein
Verhalten nur schwer, manchmal auch gar
nicht steuern. Er kann nicht über längere
Zeit aufmerksam sein und er leidet selbst
unter seiner ausgeprägten motorischen
Unruhe, die ihm in der Schule immer wieder
ärgerliche
Zurechtweisungen
ein-
stressfreier zu gestalten. Diese Behandlung
bewirkt jedoch nicht, dass aus Max von
heute auf morgen ein völlig neues Kind
wird, aber er kann seine Möglichkeiten jetzt
viel besser nutzen und hat in der Schule
Erfolgserlebnisse. Es ist ein anstrengendes
Leben mit unserem Max, aber wir lieben ihn
– eigenwillig, schusselig, kreativ, explosiv,
unordentlich, vergesslich und pfiffig, wie
er ist!
bringt. Doch obwohl er oft den Unterricht
stört, ist er in der Klasse sehr beliebt. Er ist
Max ist nicht ungehorsam oder unwillig,
hilfsbereit, großzügig und reagiert sensibel
nicht schlecht erzogen und schon gar kein
und mitfühlend, wenn ein anderes Kind
„hoffnungsloser Fall“. Max leidet an der
Pech
Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-
gehabt
hat
oder
wegen
einer
schlechten Note traurig ist.
Störung, kurz ADHS genannt.
Seine Noten liegen trotz ADHS im mittleren
Bereich. Die Lehrer behaupten, Max könne
mehr erreichen, wenn er nur wolle. Wir
Eltern aber wissen, dass Max tut, was er
kann. Max kann seine Aufmerksamkeit
nicht willentlich steuern.
SEITE 9
Definition
von
Was ist eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung?
Von einer Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADS) spricht
man, wenn ein Kind länger als sechs Monate sowohl im Kindergarten, in der Schule (Gruppensituationen) als auch zu Hause
ADS | ADHS
durch ausgeprägt unaufmerksames und impulsives Verhalten
aufgefallen ist. Kommen motorische Unruhe und übermäßiger
Bewegungsdrang (Hyperaktivität) hinzu, dann spricht man
von einer ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-HyperaktivitätsStörung). Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität
sind die Leitsymptome der Erkrankung.
Typisch ist, dass die Verhaltensweisen weder dem Alter noch
dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechen und sich
nicht von allein wieder bessern. Das auffallende Verhalten tritt
also nicht phasenweise auf, sondern ist zeitlich stabil. Erhebliche Teilleistungsstörungen wie eine Lese-Rechtschreibschwäche oder eine Rechenschwäche können außerdem zu
Problemen im sozialen Umfeld und zu zusätzlichem Leistungsabfall in der Schule führen.
SEITE 10
ADS | ADHS: Zwei Formen einer Störung
ADS
1. Aufmerksamkeitsdefizit ohne Hyperaktivität (ADS)
Die ADS zeichnet sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität
sowie eher durch eine Aktivitätsverminderung (Hypoaktivität)
aus. Man geht davon aus, dass Mädchen von dieser Form
häufiger betroffen sind als Jungen.
Kinder mit ADS haben eine mangelnde, nicht altersgemäße
Konzentrationsspanne. Sie bringen kein Spiel zu Ende, sind fahrig und zerstreut, lassen oft Sachen liegen, kleinste Anweisungen
werden vergessen. Sie haben ein langsames Arbeitstempo
und wirken verträumt. Kinder mit ADS werden oft nicht als
solche erkannt.
Obwohl das überschießende Verhalten vollkommen fehlt,
werden auch Kinder mit ADS oft isoliert, denn auch sie neigen
zu Wutanfällen und heftigen Stimmungsschwankungen, sind
in der Schule aufgrund der Konzentrationsstörung leistungsschwach und gelten deshalb als dumm und /oder faul.
SEITE 11
ADHS
2.
Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivität (ADHS)
Viele Eltern beschreiben eine ausgeprägte und sehr lang anhaltende Trotzphase mit häufigen und imposanten Wutanfällen. Das Spielverhalten ist plan- und rastlos, die Ausdauer im
Einzel- und Gruppenspiel gering und der Umgang mit Spielzeug sinnwidrig und destruktiv.
Kinder mit ADHS sind im Vergleich zu anderen Kindern häufiger von motorischen Teilleistungsstörungen betroffen.
Das Sozialverhalten der Kinder mit ADHS kann sich im Laufe der Zeit ebenfalls gestört
entwickeln. Bei einem Teil der Kinder ist das Verhalten nicht vorhersehbar und kann sich
in aggressivem Verhalten äußern. Dies kann schließlich dazu führen, dass das Kind zunehmend isoliert wird, keine beständigen Freundschaften hat und nicht zu Kindergeburtstagen eingeladen wird.
In der Schule kommt es infolge der gesteigerten Anforderungen bald zu erheblichen
Schwierigkeiten. Das Kind stört anhaltend den Unterricht, zeigt wenig Ausdauer und ist
sehr schnell abgelenkt. Es gibt Eltern, die sich nahezu täglich mit den Lehrern auseinander setzen müssen, weil ihr Kind dazwischenredet, Geräusche produziert, zappelt, den
Banknachbarn nicht in Ruhe lässt, Klassenkameraden verletzt ... Die Beschwerden nehmen kein Ende.
Auf Ermahnungen reagiert das Kind häufig mit Wutanfällen. Oder es spielt den Klassenclown, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten. Auch das zieht eine Kette von
Ermahnungen und Bestrafungen nach sich. Die Grundstimmung des Kindes ist unglücklich, sein Selbstbewusstsein schwindet.
SEITE 12
Mögliche Folgen der Leitsymptome
Bei schwer betroffenen ADS | ADHS-Kindern kommt es oft
schon früh zu ausgeprägtem Trotzverhalten, das gemeinsam mit
den vielen Misserfolgen und der Isolation unter Gleichaltrigen
im Kindergarten oder in der Schule Probleme bereitet.
Kinder und Jugendliche mit ADS | ADHS haben ein mehrfach
gesteigertes Risiko für Unfälle. Immer wieder berichten Eltern
von Kindern mit ADS | ADHS über Beinaheunfälle.
Unbehandelte ADS | ADHS-Kinder beginnen oft schon in sehr
jungem Alter, Zigaretten zu rauchen oder Alkohol zu trinken.
Die Gefahr, süchtig zu werden, ist bei ihnen höher als bei
Kindern und Jugendlichen ohne ADS | ADHS.
SEITE 13
Was passiert im Gehirn eines
ADS | ADHS-Kindes?
Sowohl bei einer ADS mit Hyperaktivität als auch bei einer ADS ohne Hyperaktivität stehen
die Störung der Aufmerksamkeitsausrichtung und mangelnde Impulshemmung („erst
handeln, dann denken“) sowie eine „Reizüberflutung“ im Vordergrund.
Man kann sich das Gehirn eines Kindes mit ADS | ADHS als „Dschungelhirn“ vorstellen,
während Kinder ohne diese Störung eine Art „Informationsautobahn“ im Kopf haben.
Bei Kindern mit ADS | ADHS müssen sich Informationen durch viele geschlängelte Pfade
kämpfen und gehen dabei teilweise verloren, bevor der Rest über viele Umwege schließlich
im „Verarbeitungszentrum” ankommt. Deswegen vergessen Kinder mit ADS | ADHS aufgenommene Informationen schnell und lernen schlecht aus Erfahrungen.
SEITE 14
Wie äußert sich ADS | ADHS?
Durch die „Reizüberflutung“ sind die Kinder – im wahrsten Sinne des Wortes – ständig
„überreizt“ und immer an der Grenze ihrer Kraft. Aus diesem Dauerstress resultiert eine
sehr geringe Frustrationstoleranz mit starken Stimmungsschwankungen und heftigen Gefühlsabstürzen.
Viele Kinder mit ADS | ADHS scheinen nicht zu hören, wenn sie angesprochen werden,
und Dinge nicht zu finden, auch wenn sie direkt vor ihnen liegen. Kinder mit ADS | ADHS
haben in der Regel Schwierigkeiten in der kontrollierten Abfolge von – im Grunde ganz
alltäglichen – Handlungsabläufen, d. h. es fällt ihnen schwer, Handlungen in der durch
Eltern oder Lehrer vorgegebenen Reihenfolge auszuführen.
Das Schreiben fällt den Kindern oft sehr schwer. Die Schrift ist schlecht bis unleserlich, das
Heft unsauber geführt. Eine Lese-Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche kommt
häufig hinzu und kompliziert die Situation weiter. Die Hausaufgaben werden zu einem
täglichen Kampf zwischen Eltern und Kind.
Die Störung der Aufmerksamkeit und der Informationsverarbeitung führt zu einer Beeinträchtigung von Gedächtnis und Lernen, zu mangelhafter Strukturierung der Aufgaben
und schließlich zu Schulversagen. Lern- und Leistungsprobleme sind immer wieder Anlass
für Schulwechsel und Klassenwiederholungen.
Unbehandelte Jugendliche mit ADS | ADHS tendieren aufgrund einer möglichen (durch
eine ADS | ADHS begünstigten) Störung des Sozialverhaltens zu sozialen Randgruppen.
Eltern machen sich in dieser Zeit oft große Sorgen, ihr Kind könne in eine kriminelle
Laufbahn oder Suchtkarriere abgleiten. Diese Gefahr ist tatsächlich gegeben, wenn die
rechtzeitige Behandlung und stützende Faktoren fehlen.
SEITE 15
Begleiterkrankungen
Welche Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) können auftreten?
Wie erwähnt, entwickeln Kinder mit ADS | ADHS infolge der häufigen Misserfolge im
sozialen und schulischen Bereich und durch die Konflikte mit Gleichaltrigen wie auch zu
Hause oft weitere, so genannte sekundäre Störungen. So besitzen sie eine erhöhte
Anfälligkeit für bestimmte zusätzliche psychische Erkrankungen, die grundsätzlich
jedoch auch als eigenständiges Krankheitsbild auftreten können. Auch die Entwicklung von Teilfunktionsstörungen wie einer Lese-Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche tritt häufig auf.
Psychische Erkrankungen
•
Aggressive Störungen treten bei Kindern mit ADS | ADHS häufig auf, weil diese ihr
Verhalten nur schwer oder gar nicht steuern können. Ihre Gefühle fahren regelrecht
Achterbahn. Die Kinder sind jedoch nicht mit Absicht aggressiv. Es ist ihnen in dem
Moment der Wut nicht möglich, auf die „innere Bremse“ zu treten.
•
Bei entsprechender Ausprägung dieser Symptomatik spricht man von einer Störung
des Sozialverhaltens, die gehäuft kombiniert mit ADS | ADHS vorkommt.
SEITE 16
•
Depressionen gehören zu den häufigsten sekundären Störungen bei ADS | ADHS. Sie beruhen auf dem sich ständig
verschlechternden Selbstwertgefühl, das mit dem wiederholten Scheitern trotz aller Mühe einhergeht.
•
Von einer Angststörung spricht man, wenn das Ausmaß
und die Dauer der Ängste nicht mehr im Verhältnis zur angeschuldigten Ursache stehen.
•
Häufig sind auch Tic-Störungen. Etwa 50 % der Kinder mit
einfachen
Tic-Störungen
leiden
gleichzeitig
an
einer
ADS | ADHS. Unter einem Tic versteht man das unwillkürliche
Zucken von Muskeln, meistens im Gesicht. Der häufigste
Tic ist der Blinzel -Tic (Tics sind nicht zu verwechseln mit
Ticks, worunter man gemeinhin besondere Verhaltensweisen oder Vorlieben versteht).
Grundsätzlich müssen psychische Störungen, die zusätzlich
zur ADS | ADHS vorliegen, gesondert kinder- und jugendpsychiatrisch und -psychotherapeutisch diagnostiziert und
behandelt werden.
SEITE 17
BEGLEITERKRANKUNGEN
Teilfunktionsstörungen
•
Eine Lese-Rechtschreibschwäche und eine Rechenschwäche kommen bei
ADS | ADHS überdurchschnittlich häufig hinzu, ebenso zentralmotorische Koordinationsstörungen. Darunter versteht man die gestörte Umsetzung von Befehlen aus
dem Gehirn durch die Muskeln. Die Kinder haben z. B. eine schlechte Körperkoordination, können nicht gut Bälle fangen u. a. m. (Syndrom des ungeschickten Kindes).
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Wieviele
ADS | ADHS-Betroffene gibt es?
In der Literatur schwanken die Angaben zur Häufigkeit (Prävalenz) von ADS | ADHS bei Kindern von 5 bis 18 Jahren zwischen
2 % bis 18 %. Eine Ursache für diese Schwankungen sind die
unterschiedlichen Diagnosekriterien der internationalen Leitlinien
ICD-10 und DSM-IV (siehe Glossar). Ein weiterer Grund ist die
unterschiedliche Betrachtungsweise. Manche Autoren beschränken sich bei ihren Angaben auf Kinder, deren ADS | ADHS
einer medikamentösen Behandlung bedarf, während andere
auch die Kinder aufnehmen, bei denen eine Strukturierung
des Umfeldes, ein Elterntraining und ein Verhaltenstraining zur
Besserung der Störung ausreichen. Wieder andere Untersuchungen beschränken sich auf das Elternurteil.
Aufgrund repräsentativer nationaler Studien geht der Hamburger
Arbeitskreis ADS | ADHS von einer Häufigkeit von 2,5 % bis 6 %
in Deutschland für die Altersgruppe von 5 bis 18 Jahren aus.
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Entstehung & Ursachen
Was weiß man über die Ursachen von ADS | ADHS?
Die entscheidenden Erkenntnisse zu den Ursachen einer
ADS | ADHS wurden erst im Verlauf der letzten 15 Jahre gewonnen. Der Verdacht auf eine genetische Disposition
(Vererbung der Krankheit) konnte inzwischen durch groß angelegte Zwillings- und Adoptionsstudien weitgehend gesichert
werden.
Man geht heute davon aus, dass ADS | ADHS-Kinder mit einer
unterschiedlichen Anfälligkeit (Vulnerabilität) zur Welt kommen.
Diese Anfälligkeit trägt entscheidend dazu bei, ob sich beim
Kind eine ADS | ADHS ausbildet. Doch nicht nur die Vererbung
allein spielt eine Rolle – auch Umgebungsfaktoren sind mit
von Bedeutung. Denn je nachdem, ob das Kind in einer strukturierten und liebevollen Umgebung aufwächst oder nicht,
können die Symptome mehr oder weniger stark ausfallen. Ist
allerdings diese Anfälligkeit (Vulnerabilität) sehr stark ausgeprägt, so entwickelt sich in jedem Fall eine ADS | ADHS.
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Was weiß man heute über die Entstehung der
ADS | ADHS-typischen Symptome?
Bis heute diskutiert man zwei Komponenten in der Entstehung der ADS | ADHS: biologische
und psychosoziale Faktoren. Nach wie vor gibt es eine Unsicherheit über Ausmaß und
Bedeutung der psychosozialen Faktoren in der Entstehung eines ADS | ADHS.
1. Biologische Faktoren
Der Aufmerksamkeitsstörung und Impulsivität liegt bisherigen Studien zufolge sehr wahrscheinlich eine „Kommunikationsstörung“ zwischen Stirnhirn und Basalganglien zugrunde.
Die Basalganglien sind jene Bereiche des Zwischenhirns, in denen die unbewussten
Bewegungen gesteuert werden.
Die Nervenbahnen zwischen diesen beiden Hirnbereichen nutzen den Botenstoff Dopamin
zur Weiterleitung von Informationen oder „Befehlen“. Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt, sind erforderlich, weil die einzelnen Nervenzellen nicht direkt miteinander
verbunden sind. Zwischen ihnen liegt ein kleiner Spalt, der so genannte synaptische
Spalt, der von den Botenstoffen überbrückt wird. Wie kleine Schiffe transportieren die
Botenstoffe Informationen von einer Zelle zur nächsten.
Bei Menschen mit ADS | ADHS ist die Aktivität der Nervenzellen im Bereich BasalganglienStirnhirn deutlich herabgesetzt. Insbesondere im Stirnhirn, das für die Handlungsplanung zuständig ist, findet sich deutlich weniger Aktivität als bei Menschen ohne
ADS | ADHS.
Die Unteraktivität beruht wahrscheinlich auf einem Ungleichgewicht bestimmter Botenstoffe. Zu den wichtigsten Botenstoffen gehören im Zusammenhang mit dem
ADS | ADHS das Dopamin und das daraus gebildete Noradrenalin. So kann die Übermittlungsfunktion des Gehirns auch beeinträchtigt sein, wenn das Noradrenalin zu schnell
wieder in die Zelle aufgenommen wird. Daneben sind noch andere Hirnbotenstoffe in
einem sich gegenseitig beeinflussenden Gleichgewicht beteiligt.
SEITE 21
ENTSTEHUNG & URSACHEN
Bei Menschen mit ADS | ADHS liegen zu viele Transportereiweiße im synaptischen Spalt
vor,
die
wie
kleine
Staubsauger
funktionieren.
Kaum
ist
das
Dopamin
bzw.
Noradrenalin aus der Zelle freigesetzt, wird es von den vielen Transportereiweißen schon
wieder zurückgeholt. Die Botenstoffe haben also „keine Zeit“, ausreichend Informationen
zur nächsten Zelle fortzuleiten. Durch moderne Darstellungsverfahren konnte die erhöhte Dichte an Transportereiweißen bei Menschen mit ADS | ADHS kürzlich belegt werden.
Eine wichtige Funktion des Dopamins und Noradrenalins ist es, einströmende Reize
weiterzuleiten. Durch die zu schnelle Wiederaufnahme des Dopamins bzw. Noradrenalins
in die Nervenzellen leiden Kinder mit ADS | ADHS an einer „Reizüberflutung“. Bildlich
gesprochen, filtert bei Kindern ohne ADS | ADHS ein feines, intaktes Haarsieb die einströmenden Umgebungsreize, während bei Kindern mit ADS | ADHS ein sehr grobes Sieb
vorliegt, das außerdem an mehreren Stellen eingerissen ist. Dadurch sind die Kinder sehr
leicht ablenkbar. Andererseits ergeben sich durch die beschriebenen Neurotransmitterstörungen Ansätze für eine medikamentöse Behandlung (siehe weiter unten).
2. Psychosoziale Faktoren
Die wichtigsten psychosozialen Faktoren, die mit der Entstehung von ADS | ADHS in
Verbindung gebracht werden, sind ungünstige Familienverhältnisse bzw. Umgebungsbedingungen (so genannte deprivierende Verhältnisse). Darunter versteht man unklare,
unzuverlässige und/oder schnell wechselnde Beziehungsbedingungen, ungeordnete
Tagesabläufe sowie Vernachlässigung bis hin zur Misshandlung. Alle Umgebungsbedingungen, die unüberschaubar, unstrukturiert, chaotisch und /oder unzuverlässig sind,
können bei entsprechend anfälligen (vulnerablen) Kindern auslösend bzw. verstärkend
bezüglich ADS | ADHS wirken. Dies kann ebenso für belastende Lebensereignisse gelten,
denen die Kinder ausgesetzt sind wie z. B. Scheidung, psychische Erkrankung eines
Elternteils oder andere, plötzlich auftretende Belastungen.
SEITE 22
Diagnostik
Wer hilft bei der Diagnose von ADS | ADHS?
Der Hamburger Arbeitskreis ADS | ADHS betont, dass bei der
Diagnostik des Störungsbildes verschiedene Fachgruppen übergreifend zusammenarbeiten müssen. Die Diagnose ADS/ADHS
setzt sich wie ein Mosaik aus vielen verschiedenen Steinen
zusammen, die genau zueinander passen müssen. Um dieses
Mosaik perfekt zu machen, ist es erforderlich, dass Eltern,
Lehrer, Erzieher, Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit
besonderer Ausbildung, Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zum Wohle ihrer Patienten ein
Bündnis schließen. Dies ist der Grundgedanke des Hamburger
Arbeitskreises ADS | ADHS.
Die Diagnostik setzt sich aus der Beobachtung durch Eltern,
Erzieher und Lehrer sowie der ärztlichen Basisdiagnostik und
der
Differentialdiagnostik
Arbeitskreis
warnt
zusammen.
nachdrücklich
vor
Der
Hamburger
jeder
Art
von
„Blickdiagnose“ bei dem Verdacht auf ein ADS | ADHS.
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Was können Eltern, Lehrer und Erzieher zur Diagnosestellung beitragen?
Wenn Eltern und Erzieher Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern
registrieren und sie dann gezielt auf weitere für ADS | ADHStypische Besonderheiten beobachten, wird viel Zeit bis zur
Diagnose eingespart. Eltern, Lehrer und Erzieher können erheblich zu der Verdachtsdiagnose ADS | ADHS beitragen, wenn
sie mit den charakteristischen Auffälligkeiten des Störungsbildes vertraut sind.
Wo liegt die Schaltzentrale der Diagnose und Therapie?
Die Schaltzentrale liegt bei dem Arzt, der das Kind langfristig
betreut. Das kann der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder der speziell weitergebildete
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sein.
Welcher Facharzt sollte hinzugezogen werden ?
Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ist in der Regel aufgrund seiner Ausbildung ohne
weitere Qualifikation zu der Behandlung von Kindern mit
ADS | ADHS unter Einbeziehung der Familie und anderen mitbeteiligten und betroffenen Institutionen in der Lage. Sozialpädiatrische Zentren bieten durch enge kinderärztlich-psychotherapeutische Teamarbeit eine entsprechende Kompetenz. Bei
Ärzten für Kinder- und Jugendmedizin ist dies gegeben, wenn
sie sich zusätzlich qualifiziert haben. Liegt allerdings eine
zusätzliche psychische Störung vor oder besteht der Verdacht
darauf, dann ist in jedem Fall ein Facharzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie hinzuzuziehen.
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Die ärztliche Basisdiagnostik
Zur Basisdiagnostik gehören die grundlegenden medizinischen Untersuchungen und
psychologische Testungen. An erster Stelle steht eine gründliche Erhebung der Vorgeschichte nicht nur des Kindes (störungsspezifische Anamnese), sondern der ganzen
Familie (Familienanamnese). Durch den Einsatz von Fragebogen für Eltern, Lehrer und
Erzieher wird gezielt nach ADS | ADHS-typischen Auffälligkeiten im Verhalten des Kindes
in unterschiedlichen Situationen gesucht. Wichtig ist es, den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes sowie die Umgebungsfaktoren (Familie, Freunde, Schule etc.) zu
berücksichtigen.
Das Kind wird zu Beginn gründlich untersucht, um körperliche Krankheiten ausschließen
zu können und mögliche Entwicklungsrückstände sowie den Pflege- und Allgemeinzustand des Kindes zu erfassen.
Die gründliche neurologisch-motoskopische Untersuchung schließt neurologische
Erkrankungen aus und ermittelt, ob in den Bewegungsmustern der Kinder Auffälligkeiten
bestehen. Zum Ausschluss eines Anfallsleidens oder anderer organischer Hirnerkrankungen wird ein EEG abgeleitet.
Durch Laboranalysen können weitere körperliche Erkrankungen ausgeschlossen werden.
Psychodiagnostik
1. Psychologische Untersuchungen, die in jedem Falle durchgeführt werden
sollten (obligat)
Zunächst wird die Intelligenz des Kindes mit einem standardisierten Test ermittelt.
Außerdem werden mit verschiedenen Tests die Konzentrationsfähigkeit, die Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeitsspanne und die Merkfähigkeit untersucht. Besondere Aufmerksamkeit gilt den so genannten Teilfunktionen, über deren Testung sich z. B. Hinweise für
eine mögliche Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche ergeben.
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DIAGNOSTIK
2. Psychologische Untersuchungen, die nur in bestimmten
Fällen durchgeführt werden sollten (fakultativ)
Um die Diagnostik zu vervollständigen, können in bestimmten Fällen, z. B. durch Fragebogen, komorbide Störungen (vgl. „Welche Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) können
auftreten?“, S.16) erfasst werden. Durch spezifische Untersuchungsmethoden (z. B. projektive Testung) kann die emotionale Situation des Kindes ermittelt werden. Eine videogestützte Diagnostik kann zur bisher durchgeführten Diagnostik einen weiteren Beitrag
leisten.
In wenigen Fällen sind weiterführende diagnostische Maßnahmen notwendig.
Untersuchungen vor Beginn einer medikamentösen Therapie
Untersuchungen, die in jedem Falle durchgeführt werden sollten (obligat)
Wenn eine medikamentöse Behandlung durchgeführt werden muss, sollten zu Beginn
sowohl das Kind / der Jugendliche als auch seine Eltern hinsichtlich seiner / ihrer Bereitschaft und Fähigkeit zur Mitarbeit (Compliance) befragt werden. Bestehen keine Zweifel
an einer ausreichenden Compliance, so sind ein EKG, die in dem Leitfaden aufgeführten
Laboruntersuchungen sowie Körpergröße und -gewicht zu ermitteln.
Bei Jugendlichen ist ein Drogenmissbrauch auszuschließen (obligat).
Wie lange dauert die Diagnostik?
Der Hamburger Arbeitskreis geht im Allgemeinen von zirka 5 Stunden aus. Liegen jedoch
weitere Störungen vor, kann die Diagnostik bis zu 10 Stunden in Anspruch nehmen. Bei der
Überlagerung verschiedener Störungen gestaltet sich das diagnostische Mosaik sehr
viel schwieriger als bei einer ausschließlichen ADS | ADHS und erfordert den Einsatz aller
Fachleute.
SEITE 26
Leitfaden des Hamburger
Arbeitskreises zur Diagnostik der
ADS | ADHS
1. Ärztliche Basisdiagnostik
•
Allgemeine und störungsspezifische Anamnese und Familienanamnese
unter besonderer Berücksichtigung von Psychodynamik
•
Fragebogen Eltern /Kind / Kindergarten / Schule
•
Einbeziehung von Entwicklungsaspekten und Milieubedingungen
•
Psychiatrischer Befund
•
Körperliche und neurologisch-motoskopische Untersuchung
•
EEG
•
Labor: Blutbild, Differentialblutbild, Leberwerte, Schilddrüsenwerte,
Creatinin
2. Psychodiagnostik
•
obligat
a) Standardisierte IQ-Testung (z. B. K-ABC, HAWIK-III)
b) Überprüfung der Teilfunktionen (z. B. Gedächtnis, Wahrnehmung)
c) Testung und Überprüfung der Aufmerksamkeit
•
fakultativ
a) Erfassung komorbider Störungen (z. B. durch Fragebogen)
b) Erfassung von emotionalen Bedingungen (z. B. projektive Testung)
c) Videogestützte Diagnostik
3. Fakultative weiterführende Diagnostik
•
Phoniatrische Differentialdiagnostik
•
Pädaudiologische Differentialdiagnostik
•
Pädophtalmologische Differentialdiagnostik
•
Genetische Differentialdiagnostik
•
Bildgebende/elektophysiologische Verfahren
4. Untersuchungen zu Beginn einer
medikamentösen Therapie
•
obligat
a. Überprüfung der Bereitschaft und Fähigkeit
der Familie zur Mitarbeit (Compliance)
b. EKG
c. Labor (s.o.)
d. Körpergröße und Gewicht
e. Bei Jugendlichen ist ein Drogenmissbrauch
auszuschließen
Der Zeitaufwand für Basisdiagnostik und
Psychodiagnostik beträgt in der Regel 5 Stunden.
Diagnose von ADS | ADHS
S
Das multimodale Therapiekonzept
Auf die Diagnose folgt die Frage, welche Therapie nun die geeignetste ist. Darüber bestehen
auch unter Ärzten teilweise Meinungsverschiedenheiten. Häufig werden zur Behandlung von
ADS | ADHS Psychostimulanzien wie Methylphenidat eingesetzt. Ob eine medikamentöse
Therapie sinnvoll ist oder nicht, hängt jedoch stark vom Einzelfall ab.
Grundlegend sind in jedem Fall die umfassende Information und Aufklärung der Eltern.
Oft reichen bereits Verhaltensänderungen im Umgang mit dem Kind – wie z. B. Einführung
von übersichtlichen Strukturen im Alltag – aus, um Erfolge zu erzielen.
Der Hamburger Arbeitskreis ADS | ADHS setzt sich deshalb für das multimodale
Therapiekonzept ein.
Kennzeichen des multimodalen Therapiekonzeptes ist die jeweils individuelle
Kombination aus verschiedenen Therapieformen: Eltern-Kind-Beratung, psychotherapeuthische Maßnahmen (Verhaltenstherapie) und gegebenenfalls medikamentöse
Maßnahmen. Der Hamburger Arbeitskreis ADS | ADHS unterscheidet dabei – analog zur
Diagnosestellung – wieder zwischen obligaten Therapiemaßnahmen (in jedem Fall
notwendig, immer durchzuführen) und fakultativen Therapiemaßnahmen (nur in
bestimmten Fällen erforderlich). So gehört die medikamentöse Therapie nach Ansicht
des Hamburger Arbeitskreises ADS | ADHS in die Kategorie der fakultativen Behandlungsformen. Drittes wesentliches Merkmal des multimodalen Therapieansatzes ist
die enge Zusammenarbeit der verschiedenen in das Behandlungskonzept involvierten
Fachbereiche und -gruppen (Fachärzte, Psychologen, Eltern, Lehrer und Erzieher).
SEITE 30
1. Obligate Therapiemaßnahmen
Information, Aufklärung und Anleitung von Eltern, Kind und Umfeld
Unerlässlich (obligat) sind eine ausführliche Aufklärung und Beratung der Eltern und
des betroffenen Kindes. Wenn die Eltern über die Besonderheiten ihres Kindes informiert sind, können sie durch eine Strukturierung des Umfeldes und die Bereitstellung einfacher Hilfen sehr zur Besserung der Situation beitragen. Auch die Aufklärung der Lehrer
ist von großer Bedeutung. In der Eltern-Kind-Behandlung sowie einem speziellen
Elterntraining lernen die Eltern den Umgang mit ihrem eigenwilligen Kind, erhalten
Ratschläge und können Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen einüben. Sie lernen,
wie sie den Tag und die Hausaufgaben mit ihrem Kind erfolgreicher bewältigen und wie
Konflikte minimiert werden können.
Eine störungsspezifische Therapie setzt sich aus unterschiedlichen verhaltenstherapeutischen und tiefenpsychologisch orientierten Elementen zusammen. Da sich die
spezifische Behandlung nach dem individuellen Befund richtet, wird der behandelnde Arzt /Psychotherapeut für jedes Kind einen gesonderten Therapieplan erarbeiten.
Jede störungsspezifische Therapie des Kindes und seiner Familie sollte das soziale
Umfeld so weit wie möglich und nötig einbeziehen.
Bei der Information und Aufklärung spielen auch die Selbsthilfegruppen eine zentrale
Rolle. Hier können sich Eltern informieren, praktische Ratschläge und Tipps holen sowie
einfach einmal die Sorgen von der Seele reden. Die Gruppen halten meist regelmäßige
Treffen ab, denen man sich zwanglos anschließen kann. Eine Auflistung der Selbsthilfegruppen finden Sie am Ende dieses Leitfadens.
2. Fakultative Therapiemaßnahmen
Zusätzlich zu den Elterntrainings und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen können eine
medikamentöse Therapie (Pharmakotherapie) sowie weitere psychotherapeutische
Maßnahmen erforderlich werden (die Reihenfolge in der nachfolgenden Übersicht zur
Therapie der ADS | ADHS gibt keine Gewichtung wieder!).
SEITE 31
2 a) Pharmakotherapie
Wenn sich die ADS | ADHS-Symptome durch Veränderungen im Umfeld oder durch andere
begleitende Maßnahmen wie z. B. Elterntrainings und Verhaltenstherapie nicht hinreichend vermindern lassen, kann eine medikamentöse Therapie angezeigt sein. Nicht alle
Kinder mit einer ADS | ADHS brauchen eine medikamentöse Behandlung. Viele kommen zurecht, wenn bestimmte Veränderungen im sozialen Umfeld vorgenommen oder bestimmte Behandlungsformen eingeleitet werden. Auch hier muss in jedem Einzelfall entschieden werden, welche Behandlungsform die geeignete ist. Sind die Symptome jedoch sehr
stark ausgeprägt, so dass es zu einem Scheitern in der Schule oder zu erheblichen
Problemen in der Familie kommt, kann es sein, dass die medikamentöse Behandlung eine
wesentliche Voraussetzung dafür ist, um die anderen Behandlungsformen erfolgreich
einsetzen zu können.
Am häufigsten werden zur Behandlung des ADS | ADHS die so genannten Psychostimulanzien (das bekannteste ist das Methylphenidat) eingesetzt. Die genaue Wirkungsweise
dieser Psychostimulanzien ist bis heute nicht bekannt. Man geht jedoch davon aus, dass
es im präsynaptischen Spalt zu einer Blockade der Transportereiweiße für den Botenstoff Dopamin kommt und damit der zu schnelle Rücktransport in die Nervenzellen verhindert wird.
Gerade in der letzten Zeit wurde in den Medien der Einsatz von Psychostimulanzien in
Frage gestellt. Den Eltern warf man dabei oft unverantwortlichen Umgang mit der
Gesundheit ihrer Kinder vor, da Methylphenidat zur Gruppe der Psychostimulanzien, also
der Amphetamine, gehört. Psychostimulanzien wie Methylphenidat unterliegen tatsächlich
dem Betäubungsmittelgesetz, haben jedoch bei Kindern mit ADS | ADHS keine berauschende Wirkung und machen auch nicht süchtig. Bei Menschen ohne ADHS wirkt es
anregend, aufputschend und schlafmindernd. Wenn hingegen ein Kind mit ADS | ADHS
Methylphenidat einnimmt, kann es sich besser konzentrieren und sein Verhalten besser
steuern. Wenn man kleinere Kinder fragt, ob sich seit der Therapie etwas geändert habe,
dann sagen sie meist: „Mama schimpft nicht mehr so viel mit mir.“ Sie registrieren also
nicht die Wirkung des Medikaments, sondern die Wirkung ihres veränderten Verhaltens
auf das soziale Umfeld. Durch Studien ist belegt, dass die Gabe von Methylphenidat bei
ADS | ADHS in der Kindheit und / oder in der Jugend dieser Kinder dazu führt, dass sie
seltener zu Drogen greifen als unbehandelte Kinder.
SEITE 32
DAS MULTIMODALE THERAPIEKONZEPT
Die Wirkung von Methylphenidat tritt etwa 30 bis 45 Minuten nach Einnahme der Tabletten ein; sie hält dann etwa 2 bis 4 Stunden an. Danach schwächt sie sich ab. Bei manchen Kindern kann es deshalb notwendig sein, noch in der Schule eine zweite Tablette
einzunehmen. Bei einigen Kindern genügen sehr niedrige Dosierungen, andere benötigen
mehrere Tabletten. In jedem Falle muss die jeweils individuelle Dosierung in enger
Absprache und Kooperation mit dem behandelnden Arzt erfolgen. Eine enge Absprache
mit der Schule und den Lehrern ist zudem wünschenswert.
Allerdings ist der Einsatz von Methylphenidat auch mit Nebenwirkungen verbunden, die
mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Dazu zählen Einschlafstörungen und
Appetitlosigkeit. Manchmal treten auch Weinerlichkeit und Zuckungen im Gesicht (Tics)
auf. In der Regel sind diese Nebenwirkungen aber nicht sehr stark und lassen sich durch
eine Verminderung der Dosierung abschwächen.
Statt Methylphenidat wird auch oft Amphetaminsaft gegeben. Auch das Amphetamin
gehört zu den Stimulanzien. Warum es bei manchen Kindern mit ADS | ADHS besser
wirkt als Methylphenidat, ist ungeklärt. Mehrere Studien haben aber gezeigt, dass
Kinder, bei denen sich unter dem einen Stimulans die Symptomatik nicht bessert, nach
Umstellung auf das andere positiv reagieren können. Fenetyllin gehört ebenfalls zu den
Stimulanzien, wird aber nur verordnet, wenn mit Methylphenidat oder Amphetamin
keine Besserung zu erzielen ist. Es wirkt stärker und braucht deswegen meist nur einmal täglich eingenommen zu werden. Wegen der stärkeren Wirkung wird es aber nur bei
kräftigeren Kindern und nicht vor der Pubertät eingesetzt.
Seit Ende 2002 ist in den USA ein innovatives Medikament der Fa. Lilly zur Behandlung
der ADHS zugelassen, das in erster Linie in den Noradrenalin-Haushalt im Gehirn eingreift und kein Stimulanz ist. In Deutschland ist es seit März 2005 erhältlich. Dieses
Medikament hemmt hochselektiv die Noradrenalinwiederaufnahme und unterliegt nicht
dem Betäubungsmittelgesetz. In einigen Studien, die notwendige Grundlage der
Zulassung durch die amerikanischen Behörden waren, zeigte sich eine Wirksamkeit, die
mit der Wirkung von Methylphenidat als vergleichbar bezeichnet werden könnte. Eine
Stärke der Substanz dürfte die kontinuierliche, über den gesamten Tag andauernde
Wirkung
sein.
Auch
bezüglich
der
Verträglichkeit
und
der
Häufigkeit
von
Nebenwirkungen scheint der Wirkstoff mit Methylphenidat vergleichbar zu sein, bei
einem möglicherweise günstigeren Verträglichkeitsprofil in dem Bereich Schlaf.
SEITE 33
DAS MULTIMODALE THERAPIEKONZEPT
2 b) Psychotherapien
Als weitere fakultative Maßnahmen können verschiedene Arten der Psychotherapie
sinnvoll sein, die sich entweder allein auf das Kind (kindzentrierte Verfahren) oder auch
auf das Umfeld (Familie, Kindergarten, Schule) beziehen. Dazu zählen:
•
Einzelpsychotherapie
•
Gruppentherapie
•
Familientherapie
Im Zentrum einzelpsychotherapeutischer Maßnahmen steht die Verhaltenstherapie
mit begleitender Elternberatung. Es kann aber auch sein, dass eine tiefenpsychologisch
orientierte oder psychoanalytische Einzelpsychotherapie indiziert ist.
Gruppentherapeutische Verfahren kommen besonders dann infrage, wenn soziale Defizite
des betroffenen Kindes im Vordergrund stehen.
Das familientherapeutische Verfahren beeinflusst den Umgang der Familienmitglieder
mit dem betroffenen Kind. In spezifischen Eltern-Kind-Programmen geht es einerseits
um die Verbesserung der Verhaltenskontrolle des Kindes, andererseits lernen die Eltern
Techniken und Verhaltensweisen, wie sie ihr Kind darin stärken und Strategien, wie sie
ihren Umgang mit dem Kind positiv beeinflussen können.
SEITE 34
2 d) Sozialpsychiatrische Therapie /
2 c) „Übende Verfahren“
Sonderpädagogische Maßnahmen
•
Soziales Kompetenztraining
•
Aufmerksamkeitstraining
Die kindergarten- und schulzentrierten
Bei den kindzentrierten Interventionen
steht das soziale Kompetenztraining im
Mittelpunkt, das sich verschiedener Techniken bedient. Hierbei lernen die Kinder,
wie sie soziale Situationen richtig einschätzen und sich entsprechend ange-
Interventionen haben eine Verminderung
der
Verhaltensauffälligkeiten
in
den
jeweiligen Einrichtungen zum Ziel und
sind erforderlich, wenn bei dem Kind
ausgeprägte hyperkinetische und /oder
oppositionelle Auffälligkeiten vorliegen.
Für LehrerInnen / ErzieherInnen werden
messen verhalten können.
Möglichkeiten erarbeitet, die eine Integraüben
tion des Kindes in die Schule verbessern
die Kinder, z. B. mit computergestützten
helfen. Ein Austausch zwischen Eltern
Aufgaben ihre Ausdauer zu steigern oder
und Schule bzw. Kindergarten ist von
auch anhand sich ständig steigernder
grundlegender Bedeutung, um Erfolg
Schwierigkeitsgrade den Aufgaben über
oder Misserfolg der Therapie beurteilen
einen längeren Zeitraum mit Aufmerksam-
zu können.
Beim
Aufmerksamkeitstraining
keit zu folgen.
SEITE 35
DAS MULTIMODALE THERAPIEKONZEPT
Was ist von alternativen
Therapieansätzen zu halten?
Häufig werden auch so genannte alternative Therapien angeboten. Der Arbeitskreis
rät vom Einsatz dieser vermeintlichen
Alternativen bei ADS | ADHS ab, weil ihre
Wirkung
nicht
erwiesen
ist.
Zu
den
unwirksamen Maßnahmen gehören die
Prismenbrille, die Kinesiologie, die kraniosakrale Therapie, die Atlastherapie, die
Reflextherapie,
die
Klangtherapie,
die
Hörtherapie und die Festhaltetherapie.
Auch die Homöopathie, Bachblüten, Algen,
die kombinierte Calcium- und Vitamin-DGabe sowie die phosphatfreie, die salicylatfreie und die zuckerreduzierte Diät
nehmen keinen Einfluss auf die Symptomatik einer ADS | ADHS.
SEITE 36
Leitfaden des Hamburger
Arbeitskreises zur
ärztlich-psychotherapeutischen
Therapie von ADS | ADHS
1. Obligat
•
Information, Aufklärung und Anleitung von Kind, Eltern und Umfeld
•
Eltern-Kind-Behandlung
(störungsspezifische Behandlung von Familie und Kind unter
Einbeziehung des sozialen Kontextes mit speziellem Elterntraining)
•
Einleitung und Koordination begleitender Maßnahmen
2. Fakultativ
•
Psychopharmakotherapie
(bei erheblicher psychosozialer Gefährdung kann diese Behandlung
auch schon zu Beginn der Therapie eingesetzt werden)
•
Soziales Kompetenztraining
•
Aufmerksamkeitstraining
•
Einzelpsychotherapie
•
Gruppentherapie
•
Familientherapie
3. Behandlung komorbider Störungen
•
Störung des Sozialverhaltens
•
Umschriebene Entwicklungsstörungen
•
Depression
•
Angst
Wissenschaftlich nicht fundierte und z. T.
schädliche Verfahren für Diagnostik und Behandlung
•
Alleinige Videodiagnostik
•
Festhaltetherapie nach Prekop
•
Ernährungszusätze und Diäten, z. B.
– Calciumtherapie
– Fettsäurentherapie
– Algentherapie
– Bachblütentherapie
•
Knochen- und Gelenkbehandlungen, z. B.
– Cranio-Sacraltherapie
– Osteotherapie
– Atlastherapie
•
•
Klang- und Hörtherapien
Pseudoneurophysiologische Therapien, z. B.
– Reflextherapie
– Prismenbrillen
– Kinesiologie
•
Homöopathie
Therapie von ADS | ADHS
S
Kosten
Kostenübernahme
Bei ADS | ADHS handelt es sich um eine seelische Krankheit auf
der Basis einer neurobiologischen Störung. Die Kosten der ärztlichen Diagnostik und Behandlung werden von den Krankenkassen übernommen. Kosten für eine Behandlung durch einen
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten werden dann
übernommen,
wenn
dieser
von
den
kassenärztlichen
Vereinigungen zur testpsychologischen Diagnostik und Behandlung zugelassen ist. Es empfiehlt sich immer, alle Teile der
Diagnostik und Behandlung nur von den genannten Berufsgruppen durchführen zu lassen. Wissenschaftlich nicht fundierte
Therapieformen (s. o.) werden von den Kassen nicht bezahlt
und sollten vermieden werden.
SEITE 40
Fallbeispiele zu
Diagnose & Therapie
LARS
Zwei Fallbeispiele zur Diagnose und Therapie von ADS | ADHS
Im Folgenden stellt der Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS zwei Fallbeispiele zur
Diagnose und Therapie von ADS | ADHS vor. Das erste stammt von Dr. Kirsten Stollhoff
vom Kinderneurologischen Institut Prof. Dr. med. Lagenstein, das zweite wurde von
Dr. Christian Fricke, dem ärztlichen Leiter des Werner Otto Instituts, zur Verfügung
gestellt. Die Namen und persönlichen Angaben der Kinder wurden geändert. Die Fälle
entsprechen jedoch der Realität und sollen Ihnen einen Einblick in unterschiedliche
Diagnose- und Therapieformen geben.
1. Beispiel: Lars
Lars wurde mir im Alter von 6 Jahren zum ersten Mal vorgestellt. Die Mutter hatte von
einer Freundin über die Aufmerksamkeitsdefizitstörung gehört und fragte sich, ob die Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes nicht auf ein ADHS zurückzuführen seien.
Lars ist das erste Kind gesunder Eltern. Seine Schwester Rike wurde zwei Jahre nach
ihm geboren. Die Mutter, die als kaufmännische Angestellte arbeitete, ist seit der Geburt
ihres Sohnes nicht mehr berufstätig. Sie ist zufrieden mit ihrer jetzigen Aufgabe, ihre
Kinder zu erziehen und den Haushalt zu führen. Der Vater, im Management tätig, ist zwar
unter der Woche sehr beschäftigt, entlastet seine Frau aber an den Wochenenden nach
Kräften.
SEITE 41
LARS
Im Vergleich zu der zweiten Schwangerschaft war die erste für die Mutter wesentlich
anstrengender: Bereits früh habe Lars sich wie ein Wilder aufgeführt, berichtet die Mutter.
Ab der 25. Schwangerschaftswoche musste sie wegen vorzeitiger Wehen medikamentös
behandelt werden und viel liegen. Von Beginn an war das Leben mit Lars anders als es
sich die Eltern vorgestellt hatten. Alle Stillversuche schlugen fehl, Lars habe nur gebissen. Baden war eine Katastrophe, er habe nur geschrieen. Wickeln gelang oft nur mit
zwei Erwachsenen und wurden nach zwei Stürzen vom Wickeltisch nur noch auf dem
Boden durchgeführt. Die motorische Entwicklung war beschleunigt, mit 7 Monaten
krabbelte er und mit 10 Monaten lief er – und von da an nur noch weg. Die Sprachentwicklung verlief jedoch völlig normal.
In der Spielgruppe bestand sein Kontakt zu anderen Kindern in „Schubsen“, konstruktive
Spiele wurden schnell abgebrochen. Spielsachen wurden in der Regel als Wurfgeschosse
benutzt. Im Vergleich zu den anderen Kindern war er der motorisch Aktivste. Gemeinsames
Spielen mit anderen Kindern endete meist damit, dass die Mutter gebeten wurde, Lars
zu „entfernen“. Die Verwandtschaft und auch die Freunde begannen sich zu distanzieren.
Der hört ja nie – kommt doch vorbei, aber besser ohne Lars. Und immer deutlicher wurde
den Eltern Erziehungsunfähigkeit unterstellt. Die darauf besuchte Erziehungsberatung
empfahl ihnen, „strenger“ mit ihm zu sein.
SEITE 42
Auf die Schwester reagierte er mit heftiger Eifersucht und Zerstörungswut. Die beiden
konnten nie alleingelassen werden, da er sie immer wieder ohne ersichtlichen Grund trat
oder ihr ein Spielzeug ins Gesicht schleuderte. Auf der anderen Seite zeigte er aber eine
sensible Beobachtungsgabe für Dinge, Menschen und Situationen. Weinte Rike, dann
tröstete er sie, wurde ihr von anderen Kindern etwas weggenommen, dann erkämpfte
er es für sie zurück.
Der Versuch, Entlastung durch eine Tagesmutter zu erhalten, scheiterte, da Lars, inzwischen
3 Jahre, eine Tagesmutter nach der andern „verschliss“. Deren Kommentare lauteten
beispielsweise: Den tu ich mir doch nicht an, der hat ja eine kriminelle Energie.
Eine zu diesem Zeitpunkt konsultierte Kinderpsychologin konnte jedoch keine Auffälligkeit entdecken: Lars habe 1 Stunde mit ihr ausdauernd Kugelbahn gespielt und dabei
charmant und intelligent geplaudert. Sie haben wirklich einen prima Jungen, erklärte sie der
Mutter.
Mit 41/2 Jahren erhielt Lars einen Platz in einem Integrationskindergarten. Hier wurde seiner
Mutter erstmals bestätigt, dass ihr Kind anders als die anderen sei, er habe „Wahrnehmungsstörungen“. Er wurde schnell zum Außenseiter, kein Kind wollte mit ihm spielen, zu
Kindergeburtstagen wurde er nicht eingeladen.
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LARS
Eine Ergotherapie wurde begonnen, diese änderte jedoch weder seine Verhaltensauffälligkeit mit unberechenbaren, zum Teil aggressiven Handlungen, die ihn und andere
in Gefahr brachten, noch besserten sich seine reduzierte Ablenkbarkeit oder seine motorische Unruhe. Unverändert habe er Phasen von einigen Tagen, berichtete die Mutter, an
denen alle aufatmen, an denen er rücksichtsvoll, witzig und intelligent sei und sich eine
halbe Stunde alleine beschäftigen könne. Darauf folgten dann aber wieder Phasen, in
denen Lars mit zunehmender Kraft ausflippte.
Untersuchungsbefund
Schon während meines Gesprächs mit der Mutter schaffte es Lars, das Untersuchungszimmer zur Unkenntlichkeit umzugestalten. Als ich dann alleine mit ihm sprach, konnte
er sich jedoch über einen Zeitraum von 45 Minuten mit einem Spiel beschäftigen, redete
aber ununterbrochen. Er erzählte, dass er sich ärgere über seine Wutausbrüche, vor
allem darüber, dass er am Tag zuvor seine Lokomotive zerstört habe, ohne zu wissen,
warum. Seine Schwester fand er überflüssig und nervig, er war traurig darüber, keine
Freunde zu haben. Die neuropsychologische Testung, die Beobachtung im spontanen
und abgeleiteten Spiel zusammen mit den Informationen der Eltern und der Kindergärtner ergaben die Verdachtsdiagnose des ADHS mit sozialen Störungen. Mit Hilfe
eines Elterntrainings gelang es den Eltern zu Hause Strukturen und Grenzen zu setzen,
wenngleich es sehr anstrengend war und immer wieder gefährliche Situationen für die
jüngere Schwester entstanden. Die Androhung des Kindergartens, ihn auszuschließen,
führte dann zu der Entscheidung, eine medikamentöse Therapie zu beginnen.
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Verlauf
Unter einer Dosierung von Methylphenidat 3 x
1/2
Tablette ver-
änderte sich sein Verhalten schlagartig. Die Eltern waren
zuerst erschrocken über „seine Ruhe und Friedlichkeit“, konnten
aber seit Jahren erstmalig wieder die Geschwister unbeobachtet allein lassen, das familiäre Leben entspannte sich sichtlich. Auch im Kindergarten wurde eine positive Veränderung
beobachtet. Lars zeigte mehr Ausdauer im Gruppenspiel, sein
unberechenbarer Zerstörungsdrang ließ nach und seine
Wutanfälle traten nur noch selten auf. Lars wurde wenige
Monate nach Therapiebeginn erstmals zu einem Kindergeburtstag eingeladen und hat jetzt mehr Freunde. Ein
Problem stellen noch die morgendlichen und abendlichen
Phasen dar, wenn die Wirkung des Medikamentes noch nicht
oder nicht mehr besteht. Dann werden die Eltern wieder an
frühere Zeiten erinnert mit Türenschlagen und Geschrei. Als
Nebenwirkung wurde lediglich weniger Appetit tagsüber beobachtet. Da er abends seine Hauptmahlzeit einnimmt, hält
sich der Gewichtsverlust jedoch in Grenzen. Die Ergotherapie
– jetzt mit zwei anderen Kindern – wird noch weitergeführt, da
er dort ein soziales Kompetenztraining erhält. Lars wird jetzt,
inzwischen 7 Jahre alt, eingeschult werden – abzuwarten bleibt,
ob für die Schulanforderungen seine Aufmerksamkeit ausreicht.
Dr. Kirsten Stollhoff
Kinderneurologisches Institut Prof. Lagenstein
SEITE 45
FELIX
2. Beispiel: Felix
Bei der Erstvorstellung ist Felix 9 Jahre alt, er wird vorgestellt wegen Zappeligkeit, motorischer Unruhe und Koordinationsschwäche.
Felix ist das dritte Kind der Familie. Nach unkomplizierter Schwangerschaft muss die
Geburt mit Kaiserschnitt beendet werden. In der Neugeborenenzeit zeigt Felix keine
Auffälligkeiten. Er schläft als Säugling gut, ist aber immer sehr lebhaft. Im Vorschulalter
zeigen sich motorische Koordinationsprobleme (so kann er z. B. erst mit 6 Jahren Rad
fahren), therapeutische Maßnahmen werden nicht für erforderlich gehalten. Ansonsten
fallen bei den Vorsorgeuntersuchungen keine Besonderheiten auf. In der Vorschulzeit gilt
Felix ebenso wie seine ältere Schwester als sehr temperamentvolles Kind, was aber in
der Familie und in der sehr turbulenten Kindergartengruppe nicht als störend empfunden
wird.
Zunehmende Unruhe zeigt Felix mit Beginn des Schulbesuchs. Er kippelt auf dem Stuhl,
läuft in der Klasse herum und stört andere Kinder. Felix kann sich über eine kurze
Zeitspanne auf den Unterricht konzentrieren und zeigt dann durchaus eine gute Auffassungsgabe. Schreiben ist schwierig, erlernte Buchstaben werden wieder vergessen. Das
Schriftbild ist so schlecht, dass die eigene Schrift oft kaum gelesen werden kann. Die
Hausaufgaben, an denen Felix lange sitzt, werden zunehmend zur Qual.
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Zu Hause wird die bekannte Lebhaftigkeit zunehmend als
störende Unruhe erlebt, auch bei den Mahlzeiten fällt Felix das
Stillsitzen extrem schwer. Er ist leicht ablenkbar, verbale Aufforderungen erreichen ihn oft nicht. Die gesamte Familie leidet
zunehmend unter täglichen Auseinandersetzungen um Alltagsprobleme. Auch Felix wirkt unglücklich, zeigt oft Stimmungsschwankungen. Er hat nur wenige Freunde.
Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin überweist Felix in
ein Sozialpädiatrisches Zentrum. Bei den Untersuchungen
zeigen sich bei durchschnittlicher Intelligenz eine Rechtschreibschwäche (ansonsten keine Teilleistungsproblematik)
und eine leichte motorische Dyskoordination. Daneben finden
sich deutliche Zeichen einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung.
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FELIX
Wegen der Rechtschreibschwäche wird eine Lerntherapie für 11/2 Jahre eingeleitet. Felix
lernt in diesem Rahmen recht gut Lesen und Schreiben, die Hausaufgabensituation entspannt sich. Die motorische Unruhe und die schwankende Aufmerksamkeit bestehen
weiterhin und werden in Schulzeugnissen immer wieder bemerkt, Felix wird aber in die
nächsthöhere Klasse versetzt.
Die Eltern, die sich selbst mit der Thematik intensiv befasst hatten, werden ausführlich
psychologisch beraten. Eine Behandlung mit Stimulanzien wird zwar angesprochen, von
den Eltern und beteiligten Fachleuten aber als nicht erforderlich angesehen. Unter enger
Führung der konsequenten Eltern kommt Felix im familiären Rahmen und in der Freizeit
insgesamt zurecht. Er nimmt erfolgreich am Schwimmsport im Verein teil, nachdem er
zuvor beim Fußball gescheitert war.
Dr. Christian Fricke
Werner Otto Institut
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Kontaktadressen
Elternselbsthilfegruppen
des ADHS – Deutschland e.V.
Selbsthilfe für Menschen mit ADHS
Vertreten durch: Werner Henschel
Bodestr. 28, 21031 Hamburg
Telefon: 040 – 7 39 55 54, FAX: 040 – 7 65 09 28
Susanne Augstein, Telefon: 04158 – 89 03 35
Adressen
Michel Stadtteilgruppen
Gruppe HH-Barmbek
Treffen: jeden dritten Mittwoch im Monat um 20.00 Uhr
im KISS – Barmbek
Fuhlsbütteler Straße 401/ Ecke Harzloh
Kontakt: Andreas Weigel, Telefon: 040 – 6 52 76 89
Gruppe HH-Bergedorf
Treffen: jeden ersten Dienstag im Monat um 20.00 Uhr
im „Der Begleiter e.V.“, Soziales Zentrum,
Ludwig-Rosenberg-Ring 47, 21031 Hamburg
Kontakt: Helga Meyer, Telefon: 040 – 7 38 05 82
Gruppe HH – Harburg
Treffen: jeden ersten Donnerstag im Monat um 20.00 Uhr
im Kinder- und Jugendhilfezentrum in Harburg
Eißendorfer Pferdeweg 40a
Kontakt: Christiane Eich, Telefon: 04108 – 41 60 92
Gruppe Eidelstedt
Treffen: jeden letzten Dienstag im Monat um 20.00 Uhr
im Dörpsweg 1, 22527 Hamburg
Kontakt: Gerhild Gehrmann, Telefon: 04121 – 80 72 72
SEITE 49
KONTAKTADRESSEN
Elterninitiative Teilleistungsstörungen e.V. (ADS, POS, HKS)
Mitglied der IG ADHD
Leitung: Rita Schmidt und Petra Haupt
Auf der Heide 26 a, 22393 Hamburg
Telefon: 0 40 - 6 01 99 22, 0 40 - 61 16 38 95, Telefax: 040 - 6 01 99 22
E-Mail: elternini.adhs @ t-online.de
Elterninitiative Stadtteilgruppen
Sasel /Poppenbüttel /Rahlstedt
Treffen: jeden ersten Dienstag im Monat
Kontakt: Rita Schmidt, Telefon: 0 40 - 6 01 99 22
Bergedorf „Rappelzappel“
Treffen: jeden zweiten Donnerstag im Monat
Kontakt: Rita Hinz, Telefon: 0 40 -7 24 42 54
Harburg
Treffen: jeden dritten Mittwoch im Monat
Kontakt: Ute Kuck, Telefon: 0 40 -77 11 08 98
Elbvororte einschließlich Altona
Treffen: jeden vierten Mittwoch im Monat
Sabine Thilo, Telefon: 0 40 - 89 23 13
SEITE 50
ADS e.V.
Elterninitiative zur Förderung von Kindern mit
Aufmerksamkeitsstörung mit / ohne Hyperaktivität
Kontakt: Claudia Kloster
Telefon: 0 41 91 - 773 91,
E-Mail: info @ ads-norderstedt.de
SEITE
SEITE51
6
INFOS / TIPPS
Internet
Weiteres Informationsmaterial, praktische Tipps für Eltern und
Lehrer im Umgang mit ADS | ADHS-Kindern sowie Buchempfehlungen erhalten Sie bei den angegebenen Selbsthilfegruppen sowie ständig aktualisiert unter folgenden Internetseiten:
Bundesverband AH
www.osn.de/user/hunter/badd.htm
ADS e.V.
www.ads-ev.de
ADS Gesprächskreis Norderstedt
www.ads-norderstedt.de
AÜK e.V.
www.auek.de
Hier finden Sie teilweise auch Chatforen, in denen Sie sich direkt
mit anderen betroffenen Eltern austauschen können.
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Glossar
ADHS
Compliance
Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit Hyperaktivität.
Bereitschaft des Patienten, bei diagnostischen
Leitsymptome sind eine verminderte Konzentra-
und therapeutischen Maßnahmen mitzuwirken.
tions- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, gesteigerter
Beispiel: Zuverlässigkeit bezüglich des Befolgens
Bewegungsdrang sowie Impulsivität.
ärztlicher Anweisungen.
ADS
Deprivierende Verhältnisse
Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ohne Hyper-
Familiäre Bedingungen, die verwahrlosend auf
aktivität). Die Leitsymptome sind verminderte
das Kind wirken.
Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit,
Impulsivität sowie ein normaler oder reduzierter
Bewegungsdrang.
Dopamin
Botenstoff des Gehirns. Dopamin spielt eine
wichtige Rolle bei der Reizweiterleitung in den
Anamnese
➔ Synapsen.
Erhebung der Patientenvorgeschichte durch
den Arzt. Gespräch des Arztes mit dem
Patienten; bei Kindern auch mit den Eltern.
DSM IV
Diagnostisches Statistisches Manual. Richtlinie
zur Einteilung psychischer Störungen nach
Basalganglien
Empfehlungen der amerikanischen Gesellschaft
Ansammlung von Nervenzellkörpern (Kernge-
für Psychiatrie (APA). Für ADS | ADHS werden
biete), die tief im Zwischenhirn liegen. Sie sind
drei Unterklassifizierungen genannt:
die Zentren für die unbewusste Bewegungs-
• die überwiegend unaufmerksame Form,
koordination, Körperhaltung, Gestik und Mimik.
• die überwiegend hyperaktiv-impulsive Form,
• die gemischte Form, bei der alle drei
Bildgebende /elektrophysiologische
Verhaltensauffälligkeiten (unaufmerksamer,
Verfahren
impulsiver und hyperaktiver Typ) vorliegen.
Verfahren und Techniken zur Untersuchung von
Gehirnfunktionen, z. B. Computertomographie
oder Magnetresonanztomographie sowie z. B.
Elektroenzephalographie ( ➔ EEG).
EEG
Elektroenzephalogramm: das Aufzeichnen und
Auswerten des Hirnstrombildes.
SEITE 53
EKG
ICD-10
Elektrokardiogramm: diagnostisches Verfahren
Das ICD-10 ist das internationale Klassifikations-
zum Aufzeichnen der Herzmuskelströme.
system für psychische Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Elterntraining
Es unterscheidet zwei Kategorien:
Übungen für Eltern, mit denen sie lernen
• die einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeits-
können, auf bestimmte Verhaltensweisen
ihres Kindes angemessen zu reagieren.
störung,
• die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (Hyperaktivität in Kombination mit
Fakultativ
Der eigenen Entscheidung bzw. der
Entscheidung des Arztes überlassen.
Nur in bestimmten Fällen notwendig.
Familienzentrierte Therapie
Form der Psychotherapie, bei der die Familie als
Ganzes in die Behandlung mit einbezogen wird.
Dies bringt oft größere Behandlungserfolge als
sozialem Fehlverhalten).
Das ICD-10 ist in Deutschland das maßgebende
System zur Klassifizierung der ADS | ADHSSymptomatik.
Impulsives Verhalten, Impulsivität
Spontanes plötzliches Ausführen von Handlungen, ohne zu überlegen und /oder die Folgen
zu bedenken.
die Alleintherapie des Patienten.
Intervention
Genetische Differentialdiagnostik
Vorgehen zum Nachweis und zur Feststellung
von genetisch bedingten Krankheiten bzw. zum
Geplante und gezielt eingesetzte Maßnahmen,
um Störungen vorzubeugen, zu beheben oder
deren negative Folgen einzudämmen.
Nachweis einer vererbten Anfälligkeit für eine
Krankheit.
Kindzentrierte Verfahren
Behandlungen, die sich vornehmlich mit dem
Hyperaktivität
Kind beschäftigen.
(von griechisch hyper = über, hoch)
Übersteigerter Bewegungsdrang, Unrast,
Komorbiditäten
Unruhe.
Begleiterkrankungen, die neben der ADS | ADHS
auftreten und gesondert diagnostiziert und be-
Hyperkinetisches Syndrom
handelt werden müssen.
Anderer Begriff für das Krankheitsbild
ADS | ADHS.
Leitsymptome
Zentrale Symptome ( ➔ Symptome).
Hypoaktivität
(von griechisch hypo = unter, unterhalb)
Verminderter Bewegungsdrang.
SEITE 54
Lese-Rechtschreibschwäche/Rechenschwäche
Teilleistungsstörungen, bei denen durch spezifische und umschriebene
Störungen in bestimmten Hirnbereichen die Lese- und/oder Rechtschreibleistungen des betroffenen Kindes beeinträchtigt sind bzw. eine
spezifische Rechenschwäche vorliegt. Beide Störungen gehen in der
Regel mit normaler Intelligenz einher.
Motorik
Gesamtheit der vom Zentralnervensystem gesteuerten aktiven Bewegungen. Die Motorik beinhaltet die Einzelbewegung, das Zusammenspiel
aller Bewegungsabläufe sowie die Feinabstimmung der Bewegungen.
Störungen der Motorik können sowohl durch eine Erkrankung der
Muskulatur, der Bänder und Gelenke ausgelöst werden als auch auf
einer Störung des Nervensystems beruhen.
Motorische Teilleistungsstörungen
Spezifische Beeinträchtigungen in der Koordination der Bewegungsabläufe. Dies äußert sich z. B. bei Kindern darin, dass sie schlecht
Bälle fangen oder den Hampelmannsprung nicht ausführen können.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Syndrom des
„ungeschickten Kindes“.
Multimodaler Therapieansatz
Behandlung, die sich aus einer jeweils individuellen Kombination
unterschiedlicher Therapien bzw. Therapieanteilen zusammensetzt.
Der multimodale Therapieansatz bei ADS/ADHS umfasst die
Eltern-Kind-Beratung, psychotherapeutische Maßnahmen (z. B.
➔ Verhaltenstherapie) und gegebenenfalls eine medikamentöse
Therapie.
Neurologische Untersuchung
Analyse und Registrierung von Ausfällen der Funktionen und
Leistungen des Nervensystems.
Neurologisch-motoskopische Untersuchung
Neurologische Untersuchung eines Kindes mit zusätzlicher
spezifischer Untersuchung der Bewegungsabläufe.
Noradrenalin
Botenstoff des Gehirns. Noradrenalin spielt eine wichtige Rolle
bei der Reizweiterleitung in den ➔ Synapsen.
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Obligat
In jedem Fall notwendig.
Pädaudiologie
Fachrichtung der Medizin, die sich mit der Diagnostik und Behandlung
kindlicher Hörstörungen befasst.
Pädophthalmologie
Fachrichtung der Medizin, die sich mit der Diagnostik und Behandlung
kindlicher Sehstörungen befasst.
Pharmakotherapie
Therapie mit Medikamenten.
Phoniatrie
Fachrichtung der Medizin, die sich mit der Diagnostik und Behandlung
der Stimm- und Sprechstörungen befasst.
Projektive Testung
Testpsychologische Untersuchung, die sich die Eigenschaft von
Menschen zu Nutze macht, z. B. in einem gemalten Bild unbewusste
Prozesse auszudrücken oder aber in mehrdeutigen Abbildungen die
Dinge zu sehen, die für den jeweiligen Menschen von besonderer
Bedeutung sind.
Psychodiagnostik
Mit Hilfe von Verhaltensbeobachtung, Testverfahren oder Befragung
werden Eigenschaften systematisch erfasst, die eine Vorhersage oder
Erklärung von Verhalten zulassen.
Psychosoziale Faktoren
Faktoren der Umwelt (Familie, Schule, Beruf, Umfeld).
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Psychostimulanzien
Syndrom des ungeschickten Kindes
Auch: Psychopharmaka. Substanzen, die über
Siehe ➔ motorische Teilleistungsstörungen.
eine direkte Beeinflussung des Zentralnervensystems Erleben und Verhalten des Patienten verändern. Medikamente, die vor allem den Antrieb
steigern und psychisch anregend wirken.
Teilfunktionen, Teilleistungen
Gedächtnis, Wahrnehmung, Feinmotorik,
Koordination.
Die Verordnung dieser Medikamente unterliegt
in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz.
Teilleistungsstörungen
Stirnhirn
Großhirnlappen mit Zentren für willkürliche
Bewegungen sowie Kontrolle und Koordination
vegetativer, affektiver und geistiger Funktionen.
Symptome
Zeichen, die auf ein bestimmtes Krankheitsbild
hindeuten.
Störungen, die das Gedächtnis, die Wahrnehmung, die Feinmotorik oder die Koordination betreffen. In Zusammenhang mit ADS | ADHS sind
das vor allem die Lese-Rechtschreibschwäche
und die Rechenschwäche.
Tic-Störungen
Unwillkürliche Zuckung eines oder mehrerer
– meistens – Gesichtsmuskel, die sich unter
Anspannung verstärkt.
Synaptischer Spalt, Synapse
Als Synapse bezeichnet man die Kontaktstelle
zwischen zwei Nervenzellen. Sie ist die Umschaltstelle zur Übertragung von Erregungen
Übende Verfahren
Hierbei trainieren die Kinder, wie sie andere
Verhaltensweisen erlernen können.
von einer Nervenzelle auf die andere bzw. auf
das jeweilige Organ (z. B. auf den Muskel).
Die Erregungsübertragung erfolgt auf chemischem Weg über die Neurotransmitter. Die
Synapse besteht aus 2 Teilen, die durch den
synaptischen Spalt getrennt sind.
SEITE 57
Verhaltenstherapie
Psychotherapeutisches Verfahren zur Behandlung
von seelischen Störungen, bei dem störende Verhaltensweisen abgebaut und dafür neue erlernt
werden. Der Betroffene soll seine Störung gewissermaßen verlernen und stattdessen bestimmte
Bewältigungsstrategien erlernen, um sein Leben
zu meistern.
Eine Form der Verhaltenstherapie ist die operante Konditionierung. Hier werden erwünschte
Verhaltensweisen systematisch belohnt. Diese
Methode kommt auch bei der Behandlung der
ADS | ADHS zum Einsatz.
Videogestützte Diagnostik
Diagnostik unter Zuhilfenahme von Videoaufnahmen der betroffenen Kinder und ihrer Familien.
Vulnerabilität
Verletzlichkeit, Empfänglichkeit. Bezeichnung für
eine individuelle Empfänglichkeit, auf Belastungen
überdurchschnittlich stark zu reagieren. Diese
Verletzlichkeit kann durch genetische, organische,
biochemische, psychische und soziale Faktoren
bedingt sein.
Zentralmotorische Koordinationsstörungen
Siehe ➔ motorische Teilleistungsstörungen.
SEITE 58
Impressum
Text:
Hamburger Arbeitskreis ADS | ADHS
Postfach 65 22 40, 22373 Hamburg
Konzeption:
Gianni & Meissner PR GmbH, Frankfurt
Gestaltung:
Polarlicht Mediengestaltung GmbH,
Wiesbaden
SEITE 60
Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg
PM 470490
mit freundlicher Unterstützung von
Christian-Gotthilf-Salzmann-Schule
Schule zur Erziehungshilfe
Motto
Salzmann-Schule
Der Förderschwerpunkt „emotionale und soziale
Entwicklung“ umfasst Gefühls- und Verhaltensstörungen
Begriffsfassung (nach amerikanischen CCBD) entnommen Opp, Arbeitsbuch
schulische Erziehungshilfe 2003, S. 54
Beeinträchtigungen, die als emotionale Reaktionen und
Verhalten wahrgenommen werden und sich von altersangemessenen, kulturellen oder ethischen Normen so weit
unterscheiden, dass sie auf die Erziehungserfolge (schulische
Leistungen, soziale, berufsqualifizierende und persönliche
Fähigkeiten) der SchülerInnen einen negativen Einfluss haben
Salzmann-Schule
Gefühls- und Verhaltensstörungen
mehr als eine zeitlich begrenzte, erwartbare Reaktion auf
Stresseinflüsse im Lebensumfeld
tritt über einen längeren Zeitraum in mindestens zwei
verschiedenen Verhaltensbereichen auf, wobei mindestens einer
schulbezogen ist und
durch direkte Intervention im Rahmen allgemeiner Erziehungsmaßnahmen nicht aufhebbar (da diese bereits erfolglos waren)
Gefühls- und Verhaltensstörungen können im Zusammenhang mit weiteren
Behinderungen (schizophrenen, psychosomatischen o. Angst-Störungen
o.a.) auftreten, wenn diese den Erziehungserfolg dauerhaft negativ
beeinflussen)
Salzmann-Schule
Ziele
selbstbewusste und selbstständige Persönlichkeiten
Stärkung sozialer Kompetenzen
Rückführung in die Grund- oder Sekundarschulen
Erfolgreiche Berufsorientierung
Hauptschulabschluss
Erweiterter Hauptschulabschluss
Salzmann-Schule
personelle Bedingungen
87 Schüler und 12 Schülerinnen
20 LehrerInnen, davon 15 mit Ausbildung Förderschule
Zusatzqualifikation:
1 Sprachheilpädagogin
1 Lerntherapeut für Dyskalkulie
1 Sportförderlehrerin
Salzmann-Schule
personelle Bedingungen
9 pädagogische MitarbeiterInnen
davon 1 mit Montessori Diplom
3 LehramtsanwärterInnen
1 Schulsozialarbeiterin Qualifikation Diplompädagogin
1 Sekretärin
2 Hausmeister
Salzmann-Schule
räumliche Bedingungen
Schulleitung als ein Kommunikationszentrum
je Lerngruppe 1 Klassenraum und 1 Förderraum
moderne Fachkabinette
Lernwerkstatt und Hausaufgabenzimmer, Bibliothek
Entspannungsraum
Raum für therapeutische Angebote
Freizeitbereich für Fahrschüler
Salzmann-Schule
Kernelemente unserer (förder-)pädagogischen Arbeit
Salzmann-Schule
Kernelemente unserer (förder-)pädagogischen Arbeit
Schule als fürsorgliche Gemeinschaft
2-Pädagogen-System
projekt- und praxisbezogene Unterrichtsformen
jahrgangsübergreifende Lerngruppen (Klassenstufen 7 – 9) als
Teams
time-out-Angebote
professionsübergreifende Arbeit mit individuellen Förderplänen
temporäre Sonderstundenpläne für einzelne SchülerInnen
Salzmann-Schule
Kernelemente unserer (förder-)pädagogischen Arbeit
regelmäßiges Methodentraining
frühzeitige Berufsorientierung
schuleinheitliches Regel- und Tokensystem
tiergestützte Pädagogik
Vernetzung mit therapeutischen Angeboten
Elternarbeit
langjährige Etablierung bedarfsorientierter Schulsozialarbeit
Grafik GS und
Salzmann-Schule
SEK
Kernelemente unserer pädagogischen Arbeit
Grafik SK GS
Salzmann-Schule
Kernelemente unserer pädagogischen Arbeit
Grafik Wochenplan
GRAFIK WOCHENSTUNDEN
Salzmann-Schule
Techniken des Eingreifens im Unterricht
Bewusstes Ignorieren
Eingriff durch Signale
Eingreifen/Beruhigen durch körperliche Nähe und
Berührung
Engagement in einer „Interessengemeinschaft“
Affektive Zuwendung
Spannungsentschärfung durch Humor
Hilfestellung zur Überwindung von Hindernissen
Salzmann-Schule
Techniken des Eingreifens im Unterricht
Bewusster Blickkontakt
Positive Verstärkung /Tokensystem
zeitnahes Feedback
Anspornen
Nachfragen bei schwierigen Aufgaben
Rückmeldung im Pendel-/Hausaufgabenheft
Vermeidung von Überforderung durch Differenzierung
Salzmann-Schule
Techniken des Eingreifens im Unterricht
Deutung als Eingriff
Umgruppierung
Umstrukturierung
Direkter Appell
Einschränkung der räumlichen Bewegungsfreiheit und
der Verfügbarkeit von Gegenständen
Antiseptischer Hinauswurf (o. situative Entfernung)
Physisches Eingreifen
Salzmann-Schule
Techniken des Eingreifens im Unterricht
Erlaubnis
autoritatives Verbot
Versprechen
Belohnung
Bestrafung, Ankündigung Konsequenzen
Spiegelung
Verstärkung holen (lassen)
Salzmann-Schule
UnterstützerInnen - Netzwerk
Erlaubnis
autoritatives Verbot
Versprechen
Belohnung
Bestrafung
Drohungen
Verstärkung holen (lassen)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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