A rc h i te k t u r p re i s B e to n 2 011 02. Dezember 2010 Be g r ünd u n g d er J u r y Die Jury zum Architekturpreis Beton 2011 tagte am 17. November 2010 im Deutschen Architekturzentrum DAZ in Berlin. Den Juryvorsitz übernahm Jan Störmer. Die Jury des Architekturpreises Beton 2011: Dipl.-Ing. Architekt Titus Bernhard Titus Bernhard Architekten, Augsburg Prof. Dipl.-Ing. Architektin Julia B. Bolles-Wilson Bolles + Wilson, Münster Dekanin des Fachbereichs Architektur der Fachhochschule Münster Dipl.-Ing. Architekt Michael Frielinghaus Präsident des Bundes Deutscher Architekten, BDA MDir. Günter Hoffmann Leiter der Abteilung Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten im Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin Prof. Dipl.-Ing. Architekt Karl-Heinz Petzinka TreuHandStelle GmbH (THS), Gelsenkirchen Dr., Kunst- und Architekturkritiker Hanno Rauterberg DIE ZEIT, Hamburg Prof. Dr.-Ing. Volker Schmid Institut für Bauingenieurwesen an der Technischen Universität, Berlin Arup, Berlin Dr. rer. nat. Martin Schneider Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Zementindustrie, Berlin Dipl.-Ing. Architekt Jan Störmer (Juryvorsitz) Störmer Murphy and Partners, Hamburg Seite 1 von 15 P re i st r ä ger Iller-Wasserkraftwerk AÜW, Kempten Architekten: becker architekten, Kempten Foto: Brigida Gonzalez, Stuttgart Beton ist ein Baustoff, der zunächst flüssig ist und erst durch architektonischen Willen und seinen Herstellungsprozess zu festen Formen findet. Diese sind dann robust, dauerhaft und unverrückbar. Sie bieten Schutz, trennen innen und außen und werden zum festen Bestandteil des Ortes, den sie besetzen. Das neu errichtete Wasserkraftwerk in Kempten versinnbildlicht diese Charaktereigenschaften des Betons und leistet darüber hinaus noch weit mehr: Zunächst wird die komplexe Technik des Kraftwerks fest im Fluss verankert und dauerhaft geschützt. Zugleich geht das Bauwerk eine Symbiose mit dem Ufer und dem bestehenden, sehr filigranen Kabelsteg ein, der damit vor dem geplanten Abriss bewahrt werden konnte. Das Wasserkraftwerk verstärkt die Identität des Ortes ungemein und schafft auf unerwartet spielerische Weise ein Wahrzeichen. Die Architektur des Wasserkraftwerks ist herausragend. Das ist um so bemerkenswerter, als es sich um eine Infrastrukturgebäude handelt – um Alltägliches und Allgegenwärtiges also, das für gewöhnlich nur mit wenig Bedacht und Gestaltungswillen geplant wird. Die Sorgfalt und Virtuosität, mit der dieses Gebäude entwickelt und realisiert wurde, sind deshalb vorbildhaft für unsere gesamte Baukultur. Seite 2 von 15 P re i st r ä ger Wiederaufbau Neues Museum, Berlin Architekten: David Chipperfield Architects Gesellschaft von Architekten mbH Foto: Jörg von Bruchhausen Zur architektonischen Qualität des Wiederaufbaus des Neuen Museums ist bereits viel gesagt und geschrieben worden. Diese Jury möchte sich daher auf die Bedeutung der Verwendung des Materials Beton konzentrieren. Warum nur entschieden sich die Architekten für Beton als bestimmendes Material für die Gestaltung der neuen Bauelemente: Treppen, Fußböden, Wände, Decken und Vitrinen inmitten der vielfältigen, charaktervollen, imposanten oder auch rudimentären Reste des historischen Gebäudes? Vielleicht, weil nur Beton mit seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Lage schien, dieser Vielfältigkeit mit zeitgemäßen Formen zu begegnen. Das Neue Museum ist heute wieder ebenso neu und in seiner Haltung modern, wie es das bereits zu seiner Ersteröffnung 1855 war. So wie damals durchdringen sich auch heute museale Ausstellungsstücke und Architektur. Sensibilität prägt spürbar das Haus. Das Neue Museum ist durch seinen Wiederaufbau noch reicher geworden – reicher an gebauten Erinnerungen und reizvollen Interpretationsmöglichkeiten. Dass dies so scheinbar mühelos gelingt, liegt auch an der Verwendung eines einheitlichen Materials für alles Neue. Der Einsatz des Betons ist gestalterisch und tech- Seite 3 von 15 nologisch voller Innovationsfreude, Kreativität und Souveränität. Das betrifft die grundsätzliche Haltung und die Detaillierung gleichermaßen. Die erreichte Präzision in der Ausführung beeindruckt nachhaltig. Im Neuen Museum in Berlin ist Beton zukunftsweisend in seine schönste Form gebracht worden. Seite 4 von 15 P re i st r ä ger Museum für Naturkunde Berlin, Neubau des Ostflügels Architekten: Diener & Diener Architekten Fotos: Christian Richters Der wiederaufgebaute Ostflügel des Naturkundemuseums nimmt zentrale Objekte der zoologischen Sammlung, Teile des Archivs sowie Arbeitsplätze für die Forschung auf. All dieses sollte im Rahmen der vorhandenen baulichen Fragmente und des existierenden Museumskomplexes untergebracht werden. Auf imponierende Weise gelang es den Architekten, Sammlung, Forschung und moderne Museumspädagogik zu verbinden. Zugleich ergänzten sie einen Teil der kriegsversehrten Gebäudestruktur des Ostflügels auf höchst spannungsvolle und spielerische Art. Die entstandene Architektur ist streng logisch entwickelt und radikal konstruiert worden und entbehrt doch nicht einer bemerkenswerten künstlerischen Poesie, die auch künftigen Generationen Freude an der Rezeption und Interpretation machen wird. Entscheidenden Anteil daran hat die besondere Form, in der die Rekonstruktion der Fassade inszeniert wurde. Für die Ergänzung der fehlenden Fassadenbereiche wurden von den originalen Fassaden Silikonabdrücke angefertigt, die dann ausgegossen wurden und nun als Betonfertigteile die Fehlstellen ergänzen. Das Gebäude wird in diesem Bereich zum Bühnenbild aus Beton – für seine eigene Geschichte und die umgebende städtische Struktur. Auf den ersten Seite 5 von 15 Blick könnte der flüchtige Betrachter glatt übersehen, dass es sich um eine nachahmende Ergänzung handelt. Die Architekten verzichten auf jede vordergründig-didaktische Unterscheidung von Neu und Alt. Vielmehr inszenieren sie ein subtiles Spiel, bei dem selbst die Fenstersprossen und die Fensterscheiben in Beton nachgeformt werden. So wirkt ihr Wiederaufbau weder platt noch nostalgisch, sondern als intellektuelle Herausforderung: Sie greifen die ursprüngliche Gebäudeform auf, abstrahieren diese aber und lassen damit alle Erwartungen, sowohl der Rekonstruktionsfreunde als auch der Modernisten, ins Leere laufen. Mit traumwandlerischer Sicherheit formuliert der Entwurf damit ein Statement, welches bei allen zeitgenössischen architektur- und gesellschaftstheoretischen Diskussionen über Rekonstruktion und Neubau ernst genommen werden sollte. Seite 6 von 15 P re i st r ä ger Marco Polo Tower, Hamburg Architekten: Behnisch Architekten – Stefan Behnisch, David Cook, Martin Haas Foto: Roland Halbe Der Marco Polo Tower bietet hochwertiges Wohnen und erscheint zugleich als Wahrzeichen an Hamburgs neuer Hafenkante. Mit seiner Verdichtung weist er in die Zukunft des Städtebaus. Zugleich wird ein ökologisches Gebäudekonzept entwickelt. Es ist den Architekten herausragend gelungen, daraus eine Identität stiftende Architektur zu entwickeln. Der Wohnturm markiert eine zentrale Stelle der Hamburger Hafen City. Seine skulpturale Erscheinung wird dabei der Bedeutung des Standortes gerecht, ohne in modische Spielereien zu verfallen. Das Gebäude wirkt auf angenehme Weise maritim und zeitlos. Die Schichtung der Geschosse lässt den Turm aus allen Himmelsrichtungen anders erscheinen. Zugleich werden individuelle Freiräume geschaffen. Damit entsteht ein zentrales Element für die von den Architekten angestrebte Interpretation der Wohnform „Villa mit Garten“. Die erreichte Wohnqualität überzeugt. Schwingende Terrassen mit Betonbrüstungen geben dem Turm seine besondere Dynamik. Sie verschatten die Fassaden soweit, dass auf einen konventionellen außenliegenden – und damit windanfälligen – Sonnenschutz verzichtet werden konnte. Vakuumkollektoren auf dem Dach Seite 7 von 15 wandeln solare Gewinne mittels eines Wärmetauschers in Kälte um und sorgen so für umweltverträgliche Kühlung. Der Wohnturm ist effizient und wirtschaftlich konstruiert. Dazu trägt auch die Verwendung des Stahlbetons als Baumaterial bei. Neben der größtmöglichen Flexibilität in der Statik, der Eignung für weit auskragende Decken und der Wirtschaftlichkeit ging es den Architekten auch um die hohe thermische Speicherfähigkeit des Materials. Beton prägt aber auch die äußere Erscheinung des Gebäudes, so dass die Potentiale des Materials in technischer und gestalterischer Hinsicht ausgelotet und in eine reizvolle, schöne Form gebracht wurden. Seite 8 von 15 P re i st r ä ger „Altes Parkhaus“, Münster Architekten: Fritzen + Müller-Giebeler Architekten BDA, Berlin Foto: Architekten Durch den Umbau der Stubengasse gewann die Stadt Münster einen neuen Platz, das bestehende Parkhaus allerdings verlor seine Funktion und musste neu definiert werden. Die Architekten entwickelten dafür eine innovative Lösung, die für viele Themen der aktuellen Architekturdebatten einen wichtigen Impuls gibt. Es geht um die Rückgewinnung innerstädtischer Lagen für die Stadtgesellschaft, um neue Wohnformen und um den Erhalt von bestehender, oftmals einfacher Bausubstanz, die gleichwohl materiellen als auch ideellen Nutzen besitzt. Dabei hat sich die mutige Entscheidung für den Erhalt zentraler Elemente der Tragstruktur des alten Parkhauses von 1964 gelohnt. Indem die Bausubstanz um nicht mehr benötigte Bauteile (etwa die alten Rampen) reduziert wurde, verblieb eine prägnante Tragstruktur, die in atmosphärisch dichter Weise die neu geschaffenen Verkaufsräume in den unteren Geschossen prägt. Der alte Charakter des Parkhauses bleibt präsent, die Struktur wird gleichsam in neues Licht getaucht und erzeugt einen unverwechselbaren Ort. Die oberen, neu errichteten Geschosse sind dem Wohnen vorbehalten. Dabei ist den Architekten zweierlei gelungen: dem Wohnen in der Innenstadt wird ein qualitätvoller Rahmen gegeben, der Gemein- Seite 9 von 15 schaft und Privatheit gleichermaßen ermöglicht und auch für Familien geeignet ist. Zugleich wird eine adäquate, städtische Antwort bei der Entwicklung von Baukörper und Fassade gefunden, die dem Gebäude Eleganz und urbane Grandezza verleiht. Die Mischung der prägenden Materialien Ziegel – entsprechend den Vorgaben der Münsteraner Altstadtsatzung – und helle, präzise hergestellte Betonfertigteile mit Glasflächen ist gelungen. Ein charaktervoller Stadtbaustein ist entstanden. Seite 10 von 15 Ane r ke n n u n g Das Ehrenmal der Bundeswehr, Berlin Architekten: meck architekten, München Fotos: Florian Holzherr, München Die Architekten standen vor der schwierigen Aufgabe, ein neues Ehrenmal für die Bundeswehr zu gestalten. Bewusst verzichteten sie darauf, ihr Bauwerk mit bedeutsamen Anspielungen und Interpretationshilfen zu überfrachten. Sie strebten nach einer angemessen und zurückhaltenden Lösung. Gleichwohl liegt dem Gebäude eine komplexe Gedankenwelt zugrunde, die sich dem Besucher jedoch nicht aufdrängt. Der Baukörper erweist sich als durchaus bescheiden und streng, zumindest was die Kubatur betrifft. Dabei nimmt die Positionierung des Ehrenmals genau Bezug auf das den Platz dominierende Gebäude, den Bendlerblock. Es gelingt den Architekten damit, den Platz zu fassen und einen würdigen Rahmen für offizielle zeremonielle Anlässe zu schaffen. Zugleich sorgen sie geschickt für die Möglichkeit eines „privaten“ Zugangs vom öffentlichen Raum aus. Erst bei näherer Betrachtung wird der Besucher die zweite Haut des Bauwerks bemerken. Es ist mit einem fein durchbrochenen „Bronzekleid“ bedeckt. Hier gelingt es den Architekten, die Dialektik von Bedeutung und repräsentativem Dekor mit einem einfachen, jedoch effektvollen Mittel umzusetzen. Besondere Anerkennung verdient die schlüssige und atmosphärisch stimmige Gestaltung Seite 11 von 15 des Innenraums. Der schlichte klare Raum ist in seiner Wirkung durch den Einsatz von Beton geprägt und nur in diesem Material vorstellbar. Seine Anmutung der Schwere und Geschlossenheit ist überaus beeindruckend. Die übergroßen Betonfertigteile wurden präzise geplant und hergestellt sowie sorgfältig und wohlüberlegt bearbeitet. Dabei kommen sowohl ausgesprochen handwerkliche Methoden zum Einsatz als auch neueste Entwicklungen der Betontechnologie, wie etwa der transluzente Beton. Insgesamt stellt sich das Ehrenmal der Bundeswehr mit großer Selbstverständlichkeit und Stimmigkeit dar. Der sensiblen und virtuosen Arbeit der Architekten ist hier die Entstehung eines besonderen Ortes mit großer atmosphärischer Kraft zu verdanken. Seite 12 von 15 Ane r ke n n u n g Haus der Jugend Hamburg - Kirchdorf Architekten: Kersten + Kopp Architekten Fotograf: Klemens Ortmeyer Das Haus der Jugend ist im besten Sinne eine heitere, aber auch komplexe Collage unterschiedlicher Nutzungen, Formen, Farben und Architekturen. Als Auftaktprojekt für die Internationale Bauausstellung 2013 in Hamburg-Wilhelmsburg mit den Bausteinen Freizeit, Sport und Weiterentwicklung bildet es einen neuen Schwerpunkt für die Jugendarbeit. Es geht um sportliche Aktivitäten verschiedener Couleur, um Bewegung und um das Zusammentreffen von jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Dieser Bauaufgabe wird der Entwurf mit beispielhafter Leichtigkeit und Lebendigkeit gerecht. Die Struktur Kirchdorfs ist ausgesprochen heterogen. Das Haus der Jugend bildet gemeinsam mit der benachbarten Maximilian-KolbeKirche und dem neuen gemeinsamen Stadtplatz ein neues Tor zum Park an der Schönefelder Wettern. Hier gelingt die Verzahnung mit einer Umgebung, deren Qualität vermutlich meist unerkannt bleibt. Den Architekten des Hauses der Jugend ist es gelungen, diese Bezüge aufzunehmen und in der eigenen Architektur zu potenzieren – zum Nutzen aller! Die Gebäudekonstruktion selbst ist ausgesprochen vielschichtig; sie entspricht der Nutzung und ist dieser jeweils zu-, aber auch Seite 13 von 15 untergeordnet worden. Die Gebäudehülle folgt der Idee einer Karosserie, das Freilegen und die Schnittmengen derselben sind Annäherungen an die umgebenden Frei- und Grünflächen. Funktionale Anforderungen, aber auch viel Sensibilität und Gefühl prägen die Entscheidungen für den rohen Beton, die metallische Härte oder die Glätte von Farbflächen. Für das Innere wurde die Idee der promenade architecturale zitiert und in der Tat sind es auch hier wieder Elemente der Bewegung, denen es gelingt, bei aller Vielfalt Zusammenhänge herzustellen. Schön und erfrischend ist es, wenn genau das gelingt und sich der Nutzer nicht nur im Inneren verankert fühlt, sondern auch als Teil eines sozialen Kontextes, in der Stadt und mit seinen Bewohnern. Genau dafür bietet das Haus der Jugend die richtige Architektur. Seite 14 von 15 Ane r ke n n u n g Grundschule und Grünwerkstatt Helsinkistraße, München Architekten: Architekten Fink + Jocher, München Fotograf: Architekten Der Entwurf dieser Grundschule ist visionär. Denn über die räumliche und architektonische Organisation eines vorbildlich funktionierenden Schulbetriebs hinaus wurde den Nachnutzungsvarianten bereits bei der Entwurfsplanung besonderes Augenmerk gewidmet. Dabei ist weit mehr möglich als die Umwidmung in ein Bürogebäude. Die größtmögliche Grundrissflexibilität wurde durch eine Reduktion der tragenden Innenkonstruktion auf ein Minimum erreicht. Zusätzlich erlaubt die massive Stahlbetondachkonstruktion variable Anschlussmöglichkeiten für künftige Innenausbauten. Der Entwurf der Architekten weist damit den Weg für die Herausforderungen aktueller Gebäudeplanungen. Zugleich fällt die atmosphärische Dichte des Gebäudeentwurfs auf. Die verschiedenfarbig gestalteten Sichtbetonfertigteile erzeugen eine sympathische Grundstimmung; die Plastizität der Fassade vermittelt Sicherheit und Vertrauen. Besondere Anerkennung verdient das gestalterische Niveau des jetzigen Ausbaus der Grundschule – das gilt für die räumliche Organisation, das Farb- und Materialkonzept und die Ausbauqualität gleichermaßen. Innerhalb des „Aktivitätenbandes“ der neuen Messestadt München-Riem ist den Architekten damit ein wertvoller und die Umgebung dauerhaft positiv beeinflussender Entwurf gelungen. Seite 15 von 15