Manuskript des Vortrags, den Sabine Doyé und

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Manuskript des Vortrags, den Sabine Doyé und Friederike Kuster am 26.09.1994
an der FernUniversität gehalten haben. Die Verantwortung für den Inhalt liegt
allein bei den Autorinnen.
Redaktion:
Die Frauenbeauftragte
Marita Dickenscheid, Ulrike Schultz,
Birgit Frinke
Herausgeber: Der Rektor
© FernUniversität - Gesamthochschule in Hagen 1995
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Grundpositionen feministischer Philosophie
Grundpositionen
feministischer
Philosophie∗
∗ Bei diesem Text handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrages, den wir am
21.01.1994 in Wuppertal anläßlich des Kolloquiums „Frauen und Philosophie“ gehalten haben.
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Sabine Doyé / Friederike Kuster
In diesem Vortrag kann es nicht darum gehen, feministische Theoriebildung in ihrer für
den einzelnen fast nicht mehr überschaubaren Komplexität vorzustellen; wir wollen
vielmehr Grundpositionen rekonstruieren. Dabei nehmen wir starke Vereinfachungen in
Kauf. Diese kommen vor allem dadurch zustande, daß wir uns an einer Leitfrage
orientieren, die auch unabhängig von der Perspektive feministischer Philosophie von
allgemeinem philosophischen Interesse ist: das ist die Frage nach der Möglichkeit einer
anderen, einer nicht-männlichen Vernunft, einer Vernunft also, die der herrschenden
Rationalität entgegenzustellen wäre und an die sich die Hoffnung auf eine humane, nicht
entfremdete Kultur knüpft. Die Kritik am Vernunft- und Rationalitätsverständnis der
europäischen Neuzeit und den Deformationen der technisch-wissenschaftlichen
Zivilisation hat Konjunktur, seitdem die Grenzen des technischen Fortschritts nicht
mehr zu übersehen sind. In der Philosophie hat sich eine Denkrichtung herausgebildet,
die diese Kritik zu ihrem Leitthema gemacht hat: das ist das Denken der sg.
Postmoderne, das die Epoche der Moderne an ihr geschichtliches Ende gekommen sieht
und das Vernunftverständnis des okzidentalen Rationalismus überhaupt verabschieden
will. Das Interessante an dieser Denkrichtung im Zusammenhang unseres Themas ist,
daß die neueren Versuche feministischer Theoriebildung in der Tradition der
Postmoderne stehen; sie verschärfen und radikalisieren freilich deren Kritik dadurch,
daß sie die technisch-wissenschaftliche Rationalität als Ausgeburt männlicher Vernunft
bezeichnen und damit das Postulat einer anderen Vernunft konkret fassen können: die
andere Vernunft soll weibliche Vernunft sein.
Der Vortrag gliedert sich wie folgt: es wird zunächst der Vernunftbegriff der Moderne,
d.h. der der Aufklärung in der Absicht skizziert, aufzeigen, in welchem Sinne auch diesem traditionellen Vernunftverständnis eine Position "feministischer" Theoriebildung
zugehört: das ist die Position, der wir im Grunde im praktisch-politischen Alltag alle
folgen. Gemeint ist die Denkrichtung, durch die die Frauenbewegung der 2. Hälfte
dieses Jahrhunderts überhaupt in Gang gekommen ist und für die sich die Bezeichnung
"Humanistischer Feminismus" eingebürgert hat. Philosophische Urstifterin dieser Bewegung ist Simone de Beauvoir. In einem zweiten Schritt werden dann die postmoderne
Kritik und jene Denkrichtungen charakterisiert, die dem Postulat einer anderen Vernunft
nachgehen und die sich vom humanistischen Feminismus radikal unterscheiden.
Dem Rationalitätsverständnis der Moderne liegt jener abendländische Vernunftbegriff
zugrunde, den die Griechen geprägt haben und dessen neuzeitliche Fassung die Philosophie des deutschen Idealismus ausbuchstabiert hat.
Danach hat Vernunft/Rationalität mit Wissen zu tun, Wissen aber nicht in erster Linie
verstanden als Wissen über etwas, so daß es beim Erwerb von Wissen um die
Anhäufung von gegenständlichem Wissen über die Welt ginge; sondern Wissen meint
in erster Linie sich wissen als wissend, also Selbstbewußtsein. Mit Selbstbewußtsein ist
die Fähigkeit der Reflexion gemeint, die Fähigkeit des vorstellenden/erkennenden
Grundpositionen feministischer Philosophie
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Subjekts, sich auf sich zurückzubeugen und sich als mit sich identisches Subjekt
festzuhalten, - als ein Selbst, das sich in der Mannigfaltigkeit des Vorgestellten nicht
verliert. Und diese Fähigkeit zeichnet das Subjektsein aus gegenüber allem, das nur
Objekt, nur Gegenstand von Vorstellungen ist. Vermöge dieser Fähigkeit ist der Mensch
eben Wesen des Geistes. Was ist mit dieser Auszeichnung bzw. Selbstauszeichnung
menschlicher Subjektivität gemeint: das wird deutlich, wenn wir uns die Losungsworte
der Aufklärung in Erinnerung rufen, nämlich Mündigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung,
Emanzipation. Was dem Geist zuwider ist, ist Begrenztsein, Eingeschränktsein,
Bestimmtsein durch solches, das von sich her da ist, das an und durch sich selber, also
unabhängig von der Tätigkeit des Geistes, existiert; das ist in erster Linie die Region der
Natur, aber im weiteren Sinne alles, was den Charakter des Gegebenen, des bloß
Vorgefundenen hat, wie die tradierten religiös-metaphysischen Weltbilder und wie die
auf der Grundlage dieser Weltbilder errichteten politisch-gesellschaftlichen
Verhältnisse. Der Grundimpuls der Aufklärung und der Französischen Revolution wird
prägnant gefaßt in einem vielzitierten Satz, der lautet: "Alle festen eingerosteten
Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen
werden aufgelöst... . Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird
entweiht..." (K. Marx, Manifest der Kommunistischen Partei).
Das Wesen des Geistes ist also Aktivität, Tätigkeit: er macht alles bloß Vorgefundene
zum Material seiner Tätigkeit, er setzt es herab zum Stoff der Bearbeitung, um im fertigen Produkt sich selbst, sein eigenes Tätigsein zu erkennen.
In der Bildungs-und Entwicklungsgeschichte eines jeden Individuums ist das, was dem
Wesen des Geistes gemäß gemacht werden muß, zunächst die eigene Natur: sie ist nach
idealistischer Auffassung das Kampffeld des Geistes par excellence, sie ist die Region,
gegen welche der Geist seine Autonomie, seine Selbstidentität erringt: als leibliche bedürftige Naturwesen sind wir nämlich nichts als Trieb und Begierde, sind wir ständig
auf das bezogen, was außer uns ist und dessen wir bedürfen, um zu überleben. Als Natur
sind wir blinder Wille, Trieb zur Selbsterhaltung, und die Realisationsform dieses
Triebs ist einfach. Hegel hat sie wie folgt charakterisiert: es ist der ins Unendliche sich
fortsetzende "langweilige Wechsel der Begierde und der Befriedigung derselben"
(Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften § 429): langweiliger
Wechsel deshalb, weil nach jeder Befriedigung die Begierde sich aufs neue meldet und
wiederum Befriedigung will.
Dieser sich ins Unendliche wiederholende Wechsel ist also ein Kreislauf, der
ausschließt, daß wirkliche Veränderung, daß Neues entsteht. Wirkliche Veränderungen
und damit Fortschritt entstehen, so Hegel, allein auf geistigem Boden, setzen also die
Zwecksetzungen selbstbewußter Subjekte voraus.
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Sabine Doyé / Friederike Kuster
Dieser Naturkreislauf, in dem wir als leibliche Wesen befangen sind, markiert die
Naturseite menschlicher Existenz. Das ist die Sphäre der Selbsterhaltung, der bloßen
Reproduktion; sie ist Grundlage und Bedingung jener Sphäre des autonomen Geistes, in
der sich alle produktive Tätigkeit vollzieht.
Die Geschichte der europäischen Kultur ist nun dadurch geprägt, daß beide Sphären im
Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander stehen: was bloß Grundlage und
Bedingung für anderes ist, das ist eben das Niedere, das hat kein eigenes substantielles
Dasein, sondern hat bloß dienende, bloße Mittelfunktion.
Das hierarchische Verhältnis beider Sphären findet seine klassische Prägung bei den
Griechen. In der griechischen Antike wird die Naturseite menschlicher Existenz
verwaltet durch diejenigen, die im Vollsinne keine Menschen, keine Bürger sind: die
Sklaven, das Hausgesinde, die Frauen: die sind zuständig für den Bereich des
Hauswesens und der Familie, jenen Bereich des Oikos, der insgesamt als Sphäre des
bloß Privaten der Sphäre der Öffentlichkeit, des Lebens der Polis gegenübersteht: das
Reich des Privaten ist das der Lebensnotdurft, das Reich von Geburt und Tod, des
Notwendigen und Vergänglichen, in dem nichts Bleibendes entsteht, nichts, das währt,
das dem Vergehen standhält. Dieses Leben spielt sich im Verborgenen ab und das heißt
eben, im Privaten; es ist ausgeschlossen aus dem Leben der Öffentlichkeit, der
politischen Praxis, dem Feld, auf dem sich die Individuen als Freie und Gleiche
begegnen und über die öffentlichen Angelegenheiten beraten.
Es ist nun außerordentlich merkwürdig - oder eben gerade nicht-, daß wir in dieser
Charakterisierung der Sphäre des Privaten ohne wesentliche Abstriche die Realität des
(Haus)Frauenlebens von heute wiederfinden. Jedenfalls gilt diese Einschätzung für die
Vorkämpferin der modernen Frauenbewegung, Simone de Beauvoir. Das Gegensatzpaar
"öffentlich-privat" faßt sie in den philosophischen Begriffen "Immanenz" und "Transzendenz". "Immanenz" kennzeichnet den weiblichen Lebenszusammenhang.
All die Grundworte, die Hegel für die Seinsweise der Natur geprägt hat und deren konkrete historische Gestalt wir uns an der Bestimmung des griechischen Oikos
klargemacht haben, finden sich in der Bestimmung der „Immanenz“ wieder: gemeint ist
die Sphäre der bloßen Reproduktion, die Wiederholung der immer gleichen
Lebenserfordernisse der Gattung, Schwangerschaft, Aufzucht der Kinder, Hausarbeit: es
ist ein Leben, das in sich kreist, Wiederholung des immer Gleichen, langweiliger,
entwürdigender Kreislauf der Natur.
Und entsprechend wird mit "Transzendenz" die Seinsweise des Geistes gekennzeichnet.
"Transzendenz" heißt Überschreiten der Sphäre der bloßen Reproduktion, heißt sich
Befreien aus der Gefangenschaft der sinnlichen Anschauung und der Befangenheit in
partikularen, bloß kreatürlichen Interessen, heißt: den individuellen Lebenszusammen-
Grundpositionen feministischer Philosophie
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hang als Wagnis begreifen, als einmaligen und unverwechselbaren Entwurf, der alle
tradierten gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Normen hinter sich läßt.
Vor diesem Hintergrund läßt sich der berühmte Satz verstehen: "Man wird nicht als
Frau geboren, man wird zu ihr gemacht". Mit dieser Formulierung ist gesagt: die
Gefangenschaft der einen Hälfte der Menschheit in der Immanenz, die Reduktion der
Frauen auf die Sphäre der Reproduktion, auf den ewigen Kreislauf der Natur ist Resultat
eines Machens, ist gewollt - und eben nicht vorgesehen im ewigen Schöpfungsplan der
Natur. Die Natur kennt keinen Plan, sie setzt keine Zwecke, die Natur kreist nur dumpf
und blind ewig in sich. Die Rede von der "natürlichen Bestimmung" der Frau, ihre
Prädestination für die Nachtseite des Lebens, für das, was nur Grundlage und Bedingung
für das Leben des Geistes ist, ist Ideologie. Und für das männliche Geschlecht bedeutet
das: die Seinsweise des Geistes, die Fähigkeit zur Transzendenz ist nicht die "natürliche
Bestimmung" des Mannes. Vielmehr gilt: der Geist hat kein Geschlecht.
Die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Geschlecht ist kontingentes Faktum, nicht
anders als soziale Herkunft und kulturelle Tradition, in die der einzelne hineingeboren
wird. Besonderheiten dieser Art liegen unterhalb der Ebene, auf der die wesentliche
Gleichheit der Menschen normativ verankert ist, und das ist die universelle
Vernunftnatur des Menschen.
Diese aus der Tradition der aufgeklärten Moderne gespeisten Einsichten führen zu den
Forderungen, die noch heute auf der Tagesordnung der Frauenbewegung stehen: Frauen
muß die Möglichkeit eingeräumt werden, die Sphäre zu erobern, die bisher den
Männern vorbehalten war. Sie führen ihren Kampf um gleiche Lebenschancen vor dem
Gerichtshof der Vernunft: angeklagt ist in diesem Prozeß die Usurpation der einen
Menschenvernunft durch die männliche Hälfte der Menschheit, ist die
Instrumentalisierung der Vernunft für die Zwecke männlicher Vorherrschaft.
Unter dem Vorzeichen jener radikalen Vernunftkritik, wie sie das Denken der Postmoderne artikuliert, geraten die emanzipatorischen Vorstellungen des humanistischen
Feminismus nun freilich in ein eigentümliches Zwielicht.
Die skeptische Frage lautet: läßt sich die Gleichheitsforderung aufrechterhalten, wenn
der Gerichtshof der Vernunft gar keine neutrale, vorurteilsfreie Instanz ist, und zwar
nicht, weil er historisch-faktisch von Männern besetzt ist, sondern weil die menschliche
Vernunft ihrem Wesen nach selber Instanz von Herrschaft ist? Wie also, wenn die Annahme einer interessefreien, überparteilichen und geschlechtsneutralen Vernunft selber
Illusion wäre, wenn die Grundprämisse, die substantielle Differenz zwischen Geist und
Natur Täuschung ist, wenn der Geist in Wahrheit nichts anderes wäre als Natur, wenn
die Differenz einzig darin bestünde, daß das, was in der Natur blinder Trieb zur
Selbsterhaltung ist, mit der Entstehung des Menschen zum sich wissenden Willen wird?
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Sabine Doyé / Friederike Kuster
Das sind die Grundfragen einer Vernunftkritik, wie sie im Ausgang von Nietzsche auf
unterschiedliche Weise in den vierziger Jahren die "Dialektik der Aufklärung" und in
den letzten Jahrzehnten den französischen Poststrukturalismus geprägt haben, und die
heute aufgenommen werden im Denken der Postmoderne.
Thesenhaft zugespitzt lautet die vernunftkritische Einsicht: dem menschlichen Geist
geht es nicht um Wahrheit, sondern um Selbstvergewisserung und das heißt: in letzter
Instanz um Herrschaft. Das läßt sich auf der Grundlage der Hegelschen Begrifflichkeit
leicht nachvollziehen:
die transzendierende Kraft des Geistes, jene Fähigkeit, die ihm den Aufschwung über
die Sphäre des sinnlich Gegebenen, bloß Empirischen erlaubt, verdankt der Geist nach
idealistischer Lesart seinem eigenen Wesen. Darin besteht seine Superiorität gegenüber
der Natur. Aber zugleich hat er sich dieses sein Wesen allererst anzueignen, er hat es
tätig zu verwirklichen, und diese Selbstverwirklichung gelingt nur auf dem Wege der
Befreiung aus den Verstrickungen, in denen die Natur den Geist befangen hält: zu sich
Kommen, mit sich identisch sein setzt voraus die Überwindung des Außersichseins in
den Weisen des sich Affizieren-lassens im Gefühl, der Neigung, der Hingabe an
anderes: all jener Einstellungen und Verhaltensweisen, die das kindliche Weltverhalten
und die Kindheit der Menschheit insgesamt kennzeichnen. In der "Dialektik der
Aufklärung" (Horkheimer/ Adorno) steht der vielzitierte Satz: "Furchtbares hat die
Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete,
männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder
Kindheit wiederholt".
Die Männlichkeit der erwachsenen Menschheit ist also Resultat eines Prozesses der
Selbstdisziplinierung; Selbstidentität bedeutet Herrschaft des Einen über das Nichtidentische, Amorphe, das ungeordnete, sich zerstreuende Viele, bedeutet: diese Viele auf
Distanz und unter die Herrschaft des Zweckbegriffs bringen. Diese Selbstbeherrschung
ist Bedingung der Herrschaft über die äußere Natur, ist Bedingung jener technischwissenschaftlichen Rationalität, deren fatale "Siege" wir fürchten gelernt haben.
Nach dieser Einsicht läßt sich also die Selbstidentität menschlichen Geistes nicht idealistisch aus der immanenten Struktur des Selbstbewußtseins entwickeln, sie ist vielmehr
Gewordenes, sie hat eine Geschichte, die in die Natur hineinragt: Seine Selbstidentität
hat der Geist sich errungen im Kampf mit der Natur, mit der äußeren wie der eignen
inneren Natur, d.h. in der Unterwerfung jener Mächte, die als das Chaotische, SinnlichAmorphe, Nichtidentische das harte, männliche, mit sich identische Selbst permanent
bedrohen. Bei Strafe des Rückfalls auf Natur muß der Geist seine Selbstidentität ständig
sichern durch die Herrschaft über die bedrohlichen Naturmächte, und darin
unterscheidet er sich in nichts von der übrigen Natur.
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Wie sind vor dem Hintergrund dieser Diagnose die emanzipatorischen Ideale von
Simone de Beauvoir, wie ist der Kampf um Gleichheit zu beurteilen? Wenn die
Grundstruktur menschlichen Geistes nicht auf Autonomie, sondern auf Herrschaft
angelegt ist, wenn die Geschichte der europäischen Zivilisation insgesamt Ausdruck
einer zutiefst inhumanen, deformierten, kognitiv-instrumentell vereinseitigten Vernunft
ist, dann können Frauen nur mit Erleichterung registrieren, daß sie an dieser Geschichte
nicht mitgewirkt haben. Sich dem männlichen Zwangscharakter anpassen, sich zum
Mittäter machen an den Verheerungen, in die männliche Vernunft die Welt gestürzt hat,
wäre absurd.
Deswegen hat der neuere, radikale gynozentrisch inspirierte Feminismus die
Gleichheitsparolen der traditionellen Frauenbewegung verabschiedet: an die Stelle der
Gleichheit tritt Differenz, tritt das Bemühen, einer anderen, weiblichen Vernunft
Ausdruck zu geben.
Damit stehen wir vor der Frage, ob die Konzepte postmodernen Denkens Anschlußmöglichkeiten bieten für die feministische Versuche, so etwas wie weibliche Vernunft zu
denken. Zum Abschluß dieses ersten Teils unserer Überlegungen sollen deshalb kurz die
Grundimpulse postmodernen Denkens skizziert werden.
Dieses Denken will mit der herrschaftlichen Grundstruktur des Geistes brechen. Dieser
Grundstruktur verdankt sich der totalitäre Gestus aller Großphilosophie, die als prima
philosophia, als Erste Wissenschaft den Einzelwissenschaften ihren Platz zuweisen will.
Nach postmoderner Lesart sind die Systemkonstruktionen zumal der idealistischen
Philosophie nichts als getreuer Ausdruck jenes Zwangszusammenhangs, jenes
"stählernen Gehäuses der Hörigkeit" (Max Weber), zu der der männliche
Zwangscharakter die Welt des Menschen, Geschichte, Gesellschaft, Kultur hat
verkommen lassen.
Angesichts dieser Diagnose wird der Rückgriff auf die vermeintlich der menschlichen
Vernunft innewohnenden universalen Prinzipien der Erkenntnis und des Handelns für
das postmoderne Denken obsolet. An die Stelle der totalitären Ordnungsprinzipien des
philosophischen Metadiskurses setzt das postmoderne Denken auf eine Pluralität von
Diskursformen und Sprachspielen, wie sie sich nicht nur in der alltäglichen Lebenswelt,
sondern vor allem in Literatur, Kunst und mythischem Denken immer schon und zwar
unterhalb der Ebene der Wissenschaft gebildet haben. So sucht dieses Denken Partei zu
ergreifen für das, was unter der Logik der Identität immer nur als Mangel, als Schwäche
und als Defizit figurieren konnte. In mikroskopischer Analyse gilt es, dem Anderen als
dem Widerständigen, Ausgeschlossenen, Inkommensurablen, Ungedachten und
Unbedachten gerecht zu werden: es gilt, das Andere der Vernunft nicht mehr zum
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Sabine Doyé / Friederike Kuster
Gegenstand von Herrschaft zu machen und damit zugleich einer anderen Vernunft
Gehör zu verschaffen.
Sich zum Anwalt eines „Anderen der Vernunft“ zu machen und damit diesem Anderen
Gehör zu verschaffen, das wird allerdings erst in einem weiteren Schritt zu einem im
eigentlichen Sinne feministischen Anliegen. Dieser Schritt besteht darin, daß die vermeintlich reine Theorie nun als eine institutionell verankerte Wissenschaftspraxis und
damit als eine konkrete und geschichtliche Form von Wissens- und
Wahrheitsproduktion in den Blick genommen wird. Dann aber ist das Andere der
Vernunft nicht länger nur auf der Ebene der Begriffe zu suchen, sondern, und hier
fangen die Schwierigkeiten an, aufzusuchen und aufzuspüren sind die konkreten
anderen Stimmen, die zum Schweigen gebracht wurden, oder, und dann wird es
paradox, die Stimmen, die nie die Möglichkeit zur Artikulation besessen haben.
Mit dem Blick auf die historische Praxis, nämlich den jahrhunderte-, oder besser:
jahrtausendelangen Ausschluß der Frauen aus der Bildungs- und Wissenschaftstradition
legt sich auch von diesem Blickwinkel her der Verdacht nahe, daß es sich mit der
spezifisch abendländischen Ausprägung von Rationalität, auch gerade in ihrer so
fragwürdig gewordenen Funktion als Herrschafts- und Kontrollinstrument, um eine
spezifisch männliche Variante von Vernunft handeln könnte.
Die im eigentlichen Sinne feministische Rationalisierung von Vernunftkritik geschieht
mit der von Frauen gestellten Frage: wer spricht eigentlich, wenn die Vernunft spricht?;
und wer spricht eigentlich, wenn im Namen eines universellen Subjektes gesprochen
wird? Und was haben wir zu bedenken und zu gewärtigen, wenn es nicht eine
geschlechtsneutrale Vernunft war, die sich bisher Gehör verschaffen konnte, sondern
eine männliche.
Denn wenn die Rede des universellen Subjektes von einem universellen Subjekt
verdächtig geworden ist, wenn hinter dem Menschen immer deutlicher „Der Mann“
(man, l´homme, l´uomo) herauftaucht, so bleibt dies nicht ohne Konsequenzen für das
Selbstverständnis der Frauen in ihren emanzipatorischen Zielen und in ihren praktischpolitischen Kämpfen.
In ihren bisherigen Anläufen, ihre Gleichberechtigung einzuklagen haben Frauen ja
gerade eine wesentliche Andersartigkeit von Frauen bestritten und betont, daß der
Unterschied zwischen Männern und Frauen unwesentlich sei. Vor dem Hintergrund der
Geschichte des bürgerlichen Subjekts war es durchaus sinnvoll, diese Position zu beziehen, da die Formulierung eines geschlechtlichen Unterschieds nichts anderes als gesellschaftliche und rechtliche Ungleichheit nach sich zog.
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Aber, wie bereits angedeutet, das ehemals so kämpferische Postulat der Gleichberechtigung wird schal, je deutlicher seine Ausrichtung an männlichen Lebensläufen und
Karrieren zu Tage tritt und andererseits die gleichheitsfundierende Würde- und
Vernunftnatur des Menschen sich auch nur als Verallgemeinerung männlicher Denk-,
Gefühls- und Lebenswelten entpuppt.
Auf der Ebene der Definitionen behalf man sich, um die Gleichberechtigung vor der formalen Gleichmacherei zu schützen, mit dem Begriff der Gleichwertigkeit.
Aber sowohl auf der Ebene der Praxis wie auf der Ebene der Theorie droht man hier in
eine Falle zu tappen. Denn es wurde bald einsichtig, daß der Begriff Gleichwertigkeit
hinterrücks auf das Gefälligste eine konservative Funktion erfüllt - dann nämlich, wenn,
um ein konkretes Beispiel zu nennen, Haus- und Reproduktionsarbeit als der Erwerbsarbeit gleichwertig anerkannt werden, ohne daß es aber in der Folge zur Aufhebung der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung kommt.
Ebenfalls bedenklich wird es, wenn im Zuge der Aufwertung weil Gleichwertung des
„Weiblichen“ typisch weibliche Verhaltensmuster, die den Tätigkeitsformen männlicher
Rationalität entgegengesetzt sind, auch gerade vor dem Hintergrund gesellschaftlicher
Mißstände mit neuer Aufmerksamkeit bedacht werden. Verhaltensweisen des Beschützens und Bewahrens, der Hege und Pflege, des Mitgefühls mit der bedrängten Kreatur,
des sensiblen, einfühlsamen Umgangs miteinander.
Auf den Eigenwert dieser traditionell weiblichen Tugenden pocht eine, wenn man so
will, „gynozentrische“ Variante des Feminismus mit durchaus berechtigtem
Selbstbewußtsein, gepaart allerdings auch mit dem entsprechenden Maß an Verachtung
für die gemäß männlicher Normen strukturierten Öffentlichkeitsfelder.
Mit dieser Haltung jedoch läuft dieser gynozentrische Feminismus Gefahr, in Zeiten der
Krise zu Reparaturzwecken des bestehenden Systems mißbraucht zu werden. Mißbraucht wird er vor allem dann, wenn neuerlich und weiterhin die Sphäre der Reproduktion, die private Sphäre von Ehe und Familie den Frauen als das Terrain ihrer sanften
und reaktiven Verhaltensmuster anempfohlen wird und das bevorzugt von Männern.
Spätestens an den praktischen Folgen wird klar, daß die feministische Kritik, welche die
männliche Vernunft in ihrer wissenschaftlichen Verstiegenheit als das allem Sinnlichen,
allem Kreatürlichen, Lebendigen, Organischen, kurz: als das der Natur feindliche
Prinzip ausgemacht hat, daß eine solche Kritik Gefahr läuft, die Frau und „das
Weibliche“ genau an dem Ort wieder auftauchen zu lassen, wo ein patriachales
Herrschaftsverhältnis sie immer schon angesiedelt hatte und auch genau in der Gestalt,
die es ihr immer zugedacht hatte.
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Sabine Doyé / Friederike Kuster
An dieser Falle gilt es nun theoretisch wie praktisch listig vorbeizukommen. Theoretisch
zumindest ergibt sich dazu die Möglichkeit im Rahmen des als postmodern
bezeichneten Denkens.
Dieses hat unter dem Namen der „Dekonstruktion“ [Destruktion, Konstruktion] sich an
die Zersetzungsarbeit der klassischen Begriffspaare gemacht, die das traditionelle
abendländische Denken wie Stützpfeiler getragen haben. Gegensätze wie Partikularität
und Universalität, Körper und Geist, Passivität und Aktivität, Natur und Kultur werden
in ihrer Eindeutigkeit fundamental in Frage gestellt und die Begriffsränder beginnen unscharf zu werden.
Im Zuge dieser Verflüssigung von Dichotomien verlieren aber auch die Konzepte von
Männlichkeit und Weiblichkeit, verliert auch der Geschlechtergegensatz von männlich
und weiblich, seiner Trennschärfe und wird in zunehmenden Maße fragwürdig.
Fragwürdig, und das heißt suspekt und befragenswert zugleich, werden die allzu lange
als naturwüchsig betrachteten Geschlechtscharaktere vor allem insofern, als sich die
Einsicht in ihren künstlichen, d.h. ihren gesellschaftlich produzierten Charakter vertieft.
Dort aber, wo menschlich Gemachtes sich erfolgreich als von der Natur Gegebenes zu
maskieren weiß, - und das ist vielleicht die wirkungsvollste Art der Ideologisierung -, ist
philosophische Wachsamkeit geboten.
Wachsam gemacht, sich allerdings nun den Kopf zu zerbrechen, was die Frau, ihre
Natur, ihr Wesen und Wollen diesseits oder jenseits einer patriachalen Ordnung sein
könnte, das führte ehedem zu einer Art Frauenforschung, die neben der Geschichte des
Tees oder der Mode auch noch eine der Frauen schrieb und ansonsten als eine weitere
Wabe im akademischen Bienenkorb ihr Leben fristete.
Mittlerweile erscheint es sinnvoller zu erforschen, wie Männlichkeit und Weiblichkeit
als ein aufeinander bezogener Gegensatz definiert werden und vor allem wie sie
„gemacht“ werden, d.h. gesellschaftlich produziert und als gesellschaftliche Realität
installiert werden. Und da es um die Geschlechter in ihrer Komplementarität geht,
spricht die Forschung mittlerweile auch zu Recht nicht mehr von Frauenforschung,
sondern von „gender-studies“.
Der Ansatz der „gender-studies“ ist grundsätzlicher und damit provokanter als derjenige
der herkömmlichen Frauenforschung und stellt auch eine gewisse Zumutung für den
alltäglichen Verstand dar, weil mit geballter theoretischer Kraft und spitzer Feder gegen
das Selbstverständlichste und vermeintlich Natürlichste zu Felde gezogen wird - gegen
die Körper nämlich.
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Ursprünglich waren im Rahmen der „gender-studies“ „sex“: Körpergeschlecht und
„gender“: soziales Geschlecht oder Geschlechtsrolle unterschieden worden. Es ging, und
das schien sinnvoll, darum, einen Unterschied zu markieren zwischen der Tatsache, daß
es biologisch Männer und Frauen gibt und der Tatsache, daß Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte kulturell, historisch oder schichtspezifisch durchaus variabel sind.
Die Debatte um die „gender“, die Geschlechter, die Gattungen, die Geschlechtsrollen
hat sich aber mittlerweile radikalisiert. Auch „sex“, das Körpergeschlecht wird als
ebenso machbar und variabel, herstellbar und veränderbar behauptet wie eine
Geschlechtsrolle und ist deshalb gar nicht mehr von „gender“, dem sozialen Geschlecht
zu trennen.
Die aktuelle Zuspitzung der „gender-studies“ liegt in dem theoretischen Unternehmen,
auch noch das Naturwüchsige am Männlichen und am Weiblichen als gesellschaftliche
Konstruktionen
zu
entlarven
und
zwar
als
Konstruktionen
eines
Herrschaftsverhältnisses, das sich zu seiner Begründung und Legitimation eine Rede
vom Körper zurechtlegt.
Damit stabilisiert sich dieses heterosexuelle Herrschaftsverhältnis über eine
ideologische Analogiebildung, indem es männliches und weibliches Verhalten aus
einem als „natürlich“ aufgefaßten biologischen Substrat ableitet und indem es die
soziale Geschlechtsidentität ihrerseits für den Ausdruck des biologischen Geschlechts
nimmt.
Männlichkeit und Weiblichkeit sind aber, so die These, nicht nur nicht Ausdruck von
Natur, sie haben auch überhaupt keine natürliche Grundlage mehr außer der einen, daß
es eine Differenz an den Körpern gibt, die zu Interpretationen auffordert. (Aber die Tatsache, daß es eine Differenz gibt, ist als solche nichts spezifisch Naturhaftes.) Weiblichkeit und Männlichkeit sind das Ergebnis von Interpretationen, die eine Materie
informieren, d.h. formen und gestalten.
Zusammengefaßt und in einer provokanten Formulierung auf den Begriff gebracht, heißt
es dann: „Die Zeichen sind der Stoff aus dem die Körper sind.“
Wenn sich nun aber die bislang so eindeutigen Geschlechtscharaktere als ein Resultat
von Interpretationen herausstellen, dann steht allerdings ihrer prinzipiellen
Veränderbarkeit nichts mehr im Wege.
Und vielleicht sind plötzlich Veränderungen möglich, die sich heutzutage noch schwer
vorstellen lassen: eine Pluralisierung von Geschlechterrollen jenseits der uns vertrauten
heterosexuellen Matrix.
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Die politischen Möglichkeiten, die aus diesem sogenannten dekonstruktiven
Feminismus erwachsen, umreißt dieser selbst im Begriff der „Politik der Parodie“.
Damit ist eine spielerische, ironische Haltung gegenüber den bornierten und
diskriminierenden gesellschaftlichen Geschlechterklischees und Geschlechtspraktiken
gemeint. Eine Haltung, die der Gesellschaft den (Zerr-) Spiegel ihres
Geschlechtertheaters vorhält, damit vielleicht aber auch nur in der allmächtigohnmächtigen Position des scharfsinnigen/scharfsichtigen Hofnarren verharrt.
Was sich nun aber aus der These der Konstruiertheit der Geschlechter in ihrer radikalen
Zuspitzung auf jeden Fall lernen läßt, ist, daß den Feministinnen und Feministen die
Rede von der Natürlichkeit der Natur mit Recht zuhöchst verdächtig geworden ist.
Gegen die jahrhundertelang vielleicht vor allem von den Philosophen geführte Rede, die
unablässig wiederholte, daß es einfach von Natur aus so sei, daß die Frau der Natur
näherstünde, - (und das hieß im weiteren, in moralischer und intellektueller Hinsicht
rückständig sei) -, sagen die Frauen jetzt: von Natur aus ist gar nichts außer Natur, und
was, bitteschön, ist die Natur?
Daß sich jedoch diese Art von feministisch motivierter Reflexion, die auf die Auflösung
der zweigeschlechtlichen Geschlechterwelt in eine Aufführungspraxis vielgestaltiger
Rollen und vielfältiger Maskeraden zielt, in einem schwelenden Konflikt mit einem
noch, immer noch, frauenzentrieten Feminismus befindet, liegt auf der Hand.
Denn dieser Feminismus hält trotz aller theoretischen Widersprüche und trotz
praktischer Sackgassen daran fest, daß genuin weibliche Erfahrung, und sei sie auch nur
als patriachal verbogene authentisch, zur Aussprache zu bringen sei.
Argwöhnisch lassen sich denn auch von dieser Seite Stimmen vernehmen, die fragen,
was es zu bedeuten habe, daß die Geschlechterdifferenz gerade in dem historischen
Moment aufgelöst werden soll, wo die Frauen beginnen, sich massiv Gehör zu
verschaffen.
An dieser Stelle wird aber deutlich, daß es sich bei der feministischen Theorie mittlerweile um ein kontroverses Diskussionsfeld handelt, in welchem sich die Positionen
nicht mehr ohne weiteres vereinbaren, geschweige denn harmonisieren, lassen.
Nun gut. Aber zurück zu unserer Ausgangsfrage. Was bedeutet das für die Philosophie?
In welchem Sinne - sollte es denn so sein, daß auch das theoretisierende Subjekt ein
geschlechtliches ist - kann man von einem weiblichen Philosophieren sprechen?
Von welchem Ort aus sollen, können oder könnten Frauen Philosophie betreiben? Ist
der Ort von dem aus sie philosophieren könnten, schon längst eingenommen, steht er
noch aus, oder ist er nichts als ein Ab-ort?
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Naiv ist die Vorstellung, einen ursprünglichen Ort eines ursprungmäßig Eigenen und
wesensmäßig Ursprünglichen für sich zu reklamieren. Wo in der historischen Zeit und
wo im gegenwärtigen Erleben sollte er aufzufinden sein? Demiurgisch ist der andere
Weg, mit der Einsicht in die Fatalität des Geschlechterverhältnisses dieses ganz zu verwerfen und die geschlechtlichen Körper zum großen Illusionstheater zu erklären - also
mit trotziger Geste tabula rasa zu machen.
Die Frauen müßten einen Ort beziehen können jenseits eines naiven Rückgriffs von
Weiblichkeit, aber diesseits einer nur noch ironischen Mummenschanzes der
rhetorischer Effekte. Diesen Ort zu beziehen könnte eine Bewegung der
Wiederaneignung sein. Eine Wiederaneignung im Bewußtsein der unvermeindlichen
Maskerade, eine Wiederaneignung sozusagen durch das Spiegelkabinett der Bilder und
Rollen und Zuschreibungen von Weiblichkeit hindurch.
Prosaisch formuliert könnte man sagen: man muß sozusagen das Kind festhalten, während das Bad ausgeschüttet wird, ein theoretisch riskantes Unternehmen. Das heißt
allerdings auch, darauf zu wetten, daß etwas Verstummtes und Verschüttetes zu Tage
gefördert werden kann, allerdings unabhängig und abgelöst von einer wieder-holenden,
die Tradition, auch die philosphische Tradition durchquerende Arbeit.
Das bedeutet, die historische Position der Frauen und die herrschenden Definitionen
nicht zu verwerfen oder zu verleugnen im naiven Unterschreiten oder im intellektualistischem Überflug, sondern sie sich in der Übernahme und im theoretischen Durcharbeiten wiederanzueignen. Eine solche aktive verantwortliche Aneignung wäre kein machtloses Sichfügen mehr, sondern eine heimliche Mimikry. Und schließlich würde, was
eine frauenverachtende Tradition vorgegeben hat in selbsttätiger Verwandlung als das
Weibliche, das es so nie gegeben hatte, hervortreten.
Bis dahin allerdings bleibt den reflektierenden Frauen nur das eine, nämlich, den Standpunkt von Frauen behaupten durch die Erklärung und die Kritik seiner Unmöglichkeit.
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Sabine Doyé / Friederike Kuster
Literaturverzeichnis
KARL MARX, Manifest der Kommunistischen Partei, in: K. Marx, F. Engels, Werke
(MEW) Bd. 4, Berlin 1972, S. 465
G.W.F. HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
(1830). Dritter Teil: Die Philosophie des Geistes, §429 (Zusatz), in: Ders., Werke in 20
Bänden, Hg. K.M. Michel/E. Moldenhauer, BD. 10, Frankfurt/Main 1970
M. HORKHEIMER/TH. W. ADORNO, Dialektik der Aufklärung. Philosophische
Fragmente. Amsterdam 1968, S. 47
Weiterführende Literatur:
GERHARD, Ute / JANSEN, Mechthild / MAIHOFER, Andrea / SCHMID, Pia / SCHULTZ,
Irmgard (Hrsg.): Differenz und Gleichheit, Meschenrechte haben (k)ein Geschlecht,
Frankfurt/Main 1990
LIST, Elisabeth / STUDER, Herlinde (Hrsg.): Denkverhältnisse, Feminismus und Kritik,
Frankfurt/Main 1989
Neue Rundschau, 104. Jahrgang 1993, Heft 4: Den Körper neu denken. Gender Studies,
Frankfurt/Main 1993
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