Bayerisches Staatsballett II Junior Company LAUDA Choreographien von Norbert Graf und Simone Sandroni Musik Gavin Bryars Kostüme Susanne Stehle Im Rahmen der Feierlichkeiten zu 200 Jahren Wiedererrichtung des Jesuitenordens URAUFFÜHRUNG Freitag, 14.11.2014 Samstag, 15.11.2014 Jesuitenkirche St. Michael München 2014–2015 Programm Eröffnungsrede Godehard Brüntrup SJ Teil 1 Musik Lauda 1 Venite a laudare, Lauda dolce 1, Lauda con sordino Choreographie Norbert Graf Eine Veranstaltung des Bayerischen Staatsballetts und der Kirchstiftung St. Michael/Christof Wolf SJ Unser Dank geht an Markus Hille, Karl Kern SJ und Christof Wolf SJ. Wir danken Frau Dr. h.c. Irène Lejeune für ihre großzügige Unterstützung dieses Projekts. Alisa Bartels, Pauline Simon, Annamaria Voltolini, Paola Kumanaku, Carl van Godtsenhoven, Elvis Abazi, Filippo Lussana Teil 2 Musik Lauda dolce 2, Lauda 15 O Maria dei cella, Lauda 19 Omne homo, Lauda 13 Stomme allegro, Lauda 2 Lauda novella, Lauda 12 Ave trinità beata Choreographie Simone Sandroni Laura Moreno Gasulla, Isidora Marković, Marta Cerioli, Anna-Lena Uth Simon Jones, Marten Baum, Alexander Bennett Sopran Orlanda Bryars und das Gavin Bryars Ensemble Morgan Goff (Viola), James Woodrow (Electric Guitar), Audrey Riley (Violoncello), Gavin Bryars (Double Bass und Piano) Gavin Bryars: Copyright Schott, London Beginn 20.30 Uhr Ende 21.30 Uhr Keine Pause LAUDE - VON GAVIN BRYARS Meine Laude haben ihren Ursprung in der Welt der Alten Musik. Sie basieren, was Geist und Empfinden betrifft, auf den reinen Gesangslaude einer Manuskriptsammlung aus dem Cortona des 12. Jahrhunderts. Die Menschen, die diese Stücke ursprünglich sangen – die so genannten „laudesi“ – waren in Gemeinschaften vereint, wurden aber nicht mit einer bestimmten Kirche assoziiert. Ihre Musik war nicht Teil irgendeiner Liturgie. Sie zogen von Ort zu Ort und sangen außerhalb der Kirchen – mit dem Ziel, die Bevölkerung in die Kirchen zu locken. Als die Choreografin Carolyn Carlson im März 2002 ihr Solostück Writings on Water auf die Bühne brachte, verwendete sie hierfür einige meiner Instrumentalwerke. Ein paar davon überarbeitete ich vorab. Für den Anfang ihres Stückes wollte sie ursprünglich eine der drei Sololaude aus dem 12. Jahrhundert verwenden, die auf der ersten CD des Trio Mediaeval zu hören sind. Ich schlug vor, eine neue Lauda, basierend auf dem bisherigen Text und im Geiste des Originals zu schreiben, anstatt eine vorhandene Lauda zu verwenden. Fälschlicherweise schrieb ich zuerst eine neue Version der Lauda Venite a laudare. Ich war in dem Glauben, das sei die Lauda, die sie verwendet hatte, stellte dann aber fest, dass es sich um eine andere handelte, nämlich die Laude novella, die auf derselben Aufnahme zu hören ist. Also schrieb ich eine Version dieser Lauda, welche zu Beginn von Writings on Water am Teatro Malibran in Venedig dann auch zu hören war. Nachdem ich diese beiden Laude geschrieben hatte, erschien es mir sinnvoll, das Set zu vervollständigen, so dass ich zudem eine neue Variante der vorhandenen Lauda Ave donna santissima komponierte. Ein paar Monate später wurde ich vom Radiosender CBC beauftragt, anlässlich des Gedenkens an die Katastrophe vom 11. September 2009 ein Stück zu schreiben. Und so entstand meine vierte Lauda, Oi me lasso, bei welcher neben dem Solosopran eine zweite Stimme zu hören ist, und zwar ein Tenor, anfangs in Form eines Summens. Zum Schluss kristallisiert sich in dieser Lauda aber ein Duett heraus, welches immer chromatischer wird. Kurz danach schrieb ich ein paar Laude für die Sopranistinnen des Trio Mediaeval. Mit der Zeit wurden es immer mehr, auch für andere Stimmlagen: eine Lauda für Sopran, Tenor und Bass für Red Byrd sowie eine für neun bzw. elf Frauenstimmen für Anna Friman und ihre Studenten in York. Trotzdem besann ich mich mit der Zeit zurück auf die „reineren“ Solo- oder Duolaude. Zu guter Letzt entschied ich mich, das gesamte Cortona-Manuskript zu bearbeiten, was mehr als 50 Gesangsstücke ergibt. (45 Stück davon habe ich bis zum heutigen Tag geschrieben.) Wenn man an den Ursprung der Laude denkt, erscheint es beinahe ketzerisch, dass ich im Verlauf der Zeit angefangen habe, Laude mit Instrumentalbegleitung und für größere Chorensembles zu komponieren. Manches Mal habe ich ein und denselben Text auch auf unterschiedliche Weise vertont. Aber im Grunde bleiben die Laude doch eine Liebeserklärung an eine einzelne Stimme, vor allem den Sopran – allein oder in Kombination mit anderen Stimmlagen. Ich habe ironischerweise sogar zwei Laude geschrieben, in denen gar keine weibliche Stimme zu hören ist. Eine davon für den Nationalen Männerchor von Estland, wo die Musik schon dichter an der russisch-orthodoxen Kirche ist. In jedem Fall jedoch behandle ich die ursprünglichen Laude mit Respekt. Ich halte mich so weit wie möglich an die Anzahl der Noten pro Silbe, die bei der mittelalterlichen Version verwendet wurde. Meistens übernehme ich auch die Melodielinien und oft zitiere ich einzelne Phrasen. Die Sololaude sind schnell geschrieben, das dauert meist nicht mehr als ein paar Stunden. Und das Komponieren derer ist für mich oftmals eine schöne Abwechslung zu dem, woran ich ansonsten gerade arbeite (Madrigale, Opern, Werke für Chor oder Konzerte). Im Jahre 2005, als ich für manche der Laude auch Instrumentallinien geschrieben hatte, fing ich an, Laude für Soloinstrumente, aber ohne Gesang zu komponieren. Diese basierten auf Gesangslauden und ich schrieb sie für Solisten, mit denen ich auch zuvor schon eng zusammen gearbeitet hatte. So zum Beispiel Tre Laude (col legno) für Bassklarinette (Ro- ger Heaton), die Lauda (con sordino) für Solocello (Audrey Riley), Klavier und E-Gitarre, Tre Laude Dolçe für Solocello (Audrey Riley), eine Version von Tre Laude Dolçe für Kontrabass (Daniele Roccato) und die Lauda Rubata a Tre für Bassklarinette, Cello und E-Gitarre (Roger Heaton, Audrey Riley, James Woodrow). Wie die Gesangslaude basieren auch die Instrumentalwerke auf der zentralen Solomelodie, obwohl ich die Eigenschaften des jeweiligen Instruments beachtet und Noten zugunsten von Harmonien oder zur reinen Verschönerung ergänzt habe. Ich schrieb zudem einfache Begleitlinien zu den Solostücken. Im Kern jedoch blieb der vorhandene Geist immer erhalten. Im Winter organisierte Bettina Wagner-Bergelt mit Horst Konietzny im Münchner KLANGRAUM nach Vorstellungen im Prinzregententheater ein Konzert für mich und mein Ensemble. Wir spielten einige der Laude dort und so kam es zu der Idee, diese für die Neuproduktion der Junior Company in St. Michael zu verwenden. Es erscheint mir passend, dass meine Laude, die nun begonnen haben, sich in der Tanzwelt zu bewegen, ein neues Zuhause innerhalb eines Tanzprojektes finden sollen – vor allem in einem des Bayerischen Staatsballetts, mit dem ich in den letzten Jahren bereits mit Freude zusammengearbeitet habe. Gavin Bryars, übersetzt von Laura Schieferle NORBERT GRAF Norbert Graf studierte an der Münchner Ballett-Akademie/Heinz-Bosl-Stiftung und ging 1989 nach seinem Diplom zum Bayerischen Staatsballett. Seit 1994 ist Norbert Graf Solist. In seiner über zwanzigjährigen Karriere als Tänzer interpretierte er ein riesiges zeitgenössisches und klassisches Repertoire und stand im Mittelpunkt zahlreicher Uraufführungen. Mehrmals wurde er in Umfragen internationaler Ballettzeitschriften als einer der herausragenden Tänzer Deutschlands ausgezeichnet. Heute steht er im Charakterfach noch auf der Bühne, vor allem aber als Ballettmeister hinter der Bühne. 2002 trat Norbert Graf zum ersten Mal als Choreograph in der Reihe „Junge Choreographen“ mit den Werken Loggia und Richard hervor. Loggia war daraufhin zweimal im Rahmen von Matineen der Heinz-BoslStiftung im Nationaltheater zu sehen. In einer Inszenierung in einem italienischen Schloss als Film festgehalten, erhielt die Choreographie 2003 einen wichtigen amerikanischen Video-Preis. 2002 choreographierte er Il Combattimento di Tancredi e Clorinda und 2003, ebenfalls im Rahmen „Junge Choreographen“, das Ballett Insections. Es folgten noch zahlreiche Choreographien für verschiedene Gelegenheiten, unter anderem auch für Anna tanzt und Heinrich tanzt, die Jugendproduktionen von CAMPUS Staatsballett. Mit seiner Lebenspartnerin, der Ballettmeisterin Valentina Divina, hat er drei Söhne. 2008 wurde Norbert Graf zum Bayerischen Kammertänzer ernannt. Im selben Jahr erhielt er den Ballettpreis „Classique“ der Heinz-Bosl-Stiftung. SIMONE SANDRONI war 1987 in Brüssel Gründungsmitglied der Gruppe „Ultima Vez“ und arbeitete bis 1992 mit der Compagnie von Wim Vandekeybus zusammen. 1993 gründete er in Brüssel seine eigene Gruppe „Ernesto“ und begann, erste eigene Werke zu entwickeln. Neben der Arbeit mit seiner eigenen Compagnie realisierte er eine stattliche Anzahl von Werken für Festivals, freie Künstler und Schulen in Belgien, Italien, Kanada, der Schweiz, Tschechien und der Slowakei (Festival de Beweeging Antwerp, Theatre Varia Brussels, Compania Sosta Palmizi und MUK in Cortona und Padova, Four Chambers Dance Projects in Toronto, Luzerner Theater, Duncan Centre und Petr Tyc in Prag, Musikakademie Bratislava). 1996 gründete er in Prag zusammen mit Lenka Flory die Compagnie „Déjà Donné“, mit der er inzwischen in der freien Szene weltweit Erfolge feierte, zuletzt mit seiner 2006 für die Festspiele Ludwigshafen entstandenen Arbeit „My name is King“ und 2011 mit „Not made for Flying“. Außerdem schuf er für sein Ensemble u.a. die Produktionen Déjà Donné (1997), Aria Spinta (1999), In Bella Copia (2001), There where we were (2003) und Piotr and the Stars of Tut (2005). In zwei Produkti- onen integrierte er Schulklassen, die in Projekten der kulturellen Bildung an Schulen speziell für seine Stücke proben konnten. „Déjà Donné“ ist bereits in 26 Ländern Europas, Nordamerikas und Asiens aufgetreten. Zusätzlich zu seiner choreographischen Arbeit u.a. in Bielefeld, Prag und München, leitet Sandroni zahlreiche Workshops zum Thema „Präsenz und szenische Flexibilität“ in Europa und den USA. 2010 führte er Regie im Opernhaus Prag, „Der Liebestrank“. Beim Bayerischen Staatsballett in München realisierte er 2008 „Cambio d`Abito“, 2010 „P.S. Isabel Sévers“, für Norbert Graf „Schütze, Aszendent Skorpion“, 2012 „Das Mädchen und der Messerwerfer“ nach einem Gedichtzyklus von Wolf Wondratschek. GAVIN BRYARS Gavin Bryars stammt aus Goole, England. Die Vielseitigkeit seiner Arbeit, die Verbindung bildender Kunst mit multi-media Elementen, unkonventionelle Arbeitsmethoden und die kreative Zusammenarbeit mit anderen Komponisten zeichnen ihn als einen wichtigen Künstler des Übergangs zwischen dem 20. und 21. Jahrhundert aus. Durch die Zugänglichkeit seiner stets innovativen Kompositionen genießt er außerdem hohe Popularität - nicht nur in der Fachwelt. Gavin Bryars studierte Philosophie an der Universität von Sheffield und trat regelmäßig mit seinen Partnern Derek Bailey und Tony Oxley im Jazzimprovisationstrio „Joseph Holbrooke“ auf. Ende der 1960er Jahre studierte er unter John Cage in den USA, bevor er eine Professur für schöne Künste am Portsmouth College of Art annahm. Hier komponierte er 1969 „The Sinking of the Titanic“ – ein umfangreiches Werk, das das Drama des Untergangs der Titanic durch Hinzufügen von immer mehr Instrumenten und Klangvolumen spürbar machte. Sein zweites Stück, „Jesus‘ Blood Never Failed Me Yet“ (1971), baut sowohl konzeptionell wie akustisch auf Gesangszeilen eines Obdachlosen auf. Die leicht schief gesungene Strophe aus dem gleichnamigen Hymnus wird in einer Endlosschleife wiederholt und zunehmend mit komplexen orchestralen Sätzen hinterlegt. William Forsythe choreographierte darauf sein geniales Ballett „Quintet“. Gavin Bryars war Mitbegründer der „Portsmouth Sinfonia“, in der enthusiastische Musikamateure neben erfahrenen Profis Konzerte spielten. 1981 gründete er das „Gavin Bryars Ensemble“, schrieb 1984 eine Version von „Medea“ für die Opéra de Lyon sowie 1988 sein erstes Auftragswerk für das berühmte Hilliard Ensemble, mit dem er künstlerisch eng verbunden blieb. Er leistete außerdem einen musikalischen Beitrag zur Eröffnung der Tate Galery Liverpool. Weitere Auftragswerke für das BBC Symphony Orchestra („The War in Heaven, 1993) und die English National Opera („Doctor Ox‘s Experiment“, 1998) folgten. Merce Cunningham begleitete Bryars ab 1999 mit seinem Ensemble auf alle Gastspielorte, um BIPED live zu spielen. Mehr unter: http://www.gavinbryars.com/info/biography Bayerisches Staatsballett II/ Junior Company Leitung Ivan Liška, eine gemeinsame Initiative von: Bayerisches Staatsballett – Heinz–Bosl– Stiftung – Hochschule für Musik und Theater München Beleuchtung Christian Kass Technische Leitung Joachim Ehrler Gastspiel–Organisation Bettina Kräutler Programm Bettina Wagner–Bergelt, Mitarbeit Ludwig Sinzinger, Übersetzung Laura Schieferle Ensemble Stipendiaten der Heinz–Bosl–Stiftung Isidora Marković Paola Kumanaku Anna–Lena Uth Elvis Abazi Simon Jones Filippo Lussana Volontäre des Bayerischen Staatsballetts Alisa Bartels Marta Cerioli Laura Moreno Gasulla Pauline Simon Annamaria Voltolini Marten Baum Alexander Bennett Carl van Godtsenhoven Flemming Puthenpurayil Pia und Pino Mlakar, 300 Jahre Ballettgeschichte der Oper in München, Band 1. St. Michael und seine Ballett- und Theatertradition Die Autoren schreiben: „Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts standen die holzgeschnitzten Tanzfiguren der Zunftmeister und Gesellen von Erasmus Grasser im großen Saal des alten Rathauses am Thalbruckertor zu München. Bekannt unter dem Namen „Moriskentänzer“, sind sie in ihrer ergötzlichen Körpersprache Herolde der Zaubermacht des Tanzes. Unter ihren aufmunternden Blicken und Gesten fühlten sich die herumziehenden Komödianten aus nah und fern, die mit Erlaubnis des Magistrats hier spielten, in guter Obhut. Tanz war für Patrizier, Bürger, Zunfttänzer und das ganze Landvolk Bayerns Ausdruck ureigenster Freude. Die Jesuitenspiele in München nutzten den Tanz, um Motive aus Bibel und aus Legenden durch rhythmisch gestaltete Szenen darzustellen: „Glänzende Dekorationen und Kostüme, zahlreiche Komparsen, komplizierte Maschinen, Musik und Tanz – kurz alles, was auf die äußeren Sinne wirken konnte, kam hier zur Anwendung. Eine der merkwürdigsten Vorstellungen dieser Art fand am 7. Juli 1597 zur Feier der Einweihung der Michaelskirche in München statt. Sie führten den Titel “Triumph und Freudenfest zu Ehren des heiligen Erzengel Michael“. Diese theatralischen Vorstellungen kann man unbedenklich als die Vorläufer der späteren Hofprunkoper betrachten.“