Grażyna Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)

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Hauptseminararbeit
Komposition in Osteuropa 1930-1945
Grażyna Bacewicz:
Scherzo na fortepian
(1934)
Freie Universität Berlin
Musikwissenschaftliches Seminar
Prof. Dr. Albrecht Riethmüller
Andreas Richter
Ehrlichstraße 28
10318 Berlin
Wintersemester 2004/05
OS Komposition in Osteuropa 1930-1945
(17743)
eMail: [email protected]
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
-i-
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen ......................................................................................... 1
Zur Quellenlage ........................................................................................................ 2
Analyse
Das Scherzo als Form des subjektiven Ausdrucks ................................................... 3
Binnensatz oder Charakterstück ............................................................................... 4
Die Form ................................................................................................................... 5
Die Themen ............................................................................................................... 8
Die Motive .............................................................................................................. 12
Rhythmik - Metrik .................................................................................................. 14
Harmonik - Kadenzen ............................................................................................. 15
Abschließendes .......................................................................................... 18
Quellen ...................................................................................................... 20
Anhang
Biografischer Überblick
Partitur
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
-1-
Vorbemerkungen
Mit dieser Arbeit zum „Scherzo na fortepian“ (1934) von Grażyna Bacewicz1 (19091969) soll das Thema ‚Komposition in Osteuropa zwischen 1930 und 1945’ nun um ein
weiteres Puzzlestück ergänzt werden. Dass dieses Stück, von dieser Komponistin, aus
diesem Land in mehrfacher Hinsicht zunächst eine Randerscheinung ist, macht es nicht
weniger interessant. Polen ist sicher nicht das Land, an das man zuerst denkt, wenn es
um Komposition in Osteuropa in dieser Zeit geht. Falls doch, so wird die Aufmerksamkeit wohl zuallererst auf Karol Szymanowski (1882-1937) fallen. Er galt schon damals
als derjenige, der die polnische Musik ins 20. Jahrhundert führte, der größte polnische
Komponist seit Chopin. In seinem Schatten wuchs jedoch eine Generation junger Komponisten heran, die aus dessen Erfolg Selbstvertrauen und Enthusiasmus zog. So ermutigte er auch die junge Grażyna Bacewicz bei einer persönlichen Begegnung, ihre
Ausbildung in Paris bei Nadja Boulanger fortzusetzen.2 Zu dieser Generation gehörten
unter anderem Andrzej Panufnik (1914-1991), Stefan Kisielewski (1911-1991), Witold
Rudziński (*1913) sowie Witold Lutosławski (1913-1994), der ihr ein enger Freund
wurde. Die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts waren für alle diese jungen Komponisten Jahre des Lernens und des sich Ausprobierens. Auch in dieser Hinsicht ist das
„Scherzo na fortepian“ etwas besonderes, zeigt es doch die kompositorische Reife und
Interessenlage der 25jährigen Grażyna, die soeben ihr Studium in Paris beendet hatte.
Adrian Thomas3 beschreibt diese Lebensphase als hauptsächlich vorbereitend für ihre
weiteren, dennoch sehr eng miteinander verbundenen Schaffensphasen. Judith Rosen
spricht sogar von einer Unteilbarkeit dieser Phasen und sieht ihre gesamte
kompositorische Tätigkeit als „a slow and subtle evolutionary process. There was a
consistency and unity in her life’s work [...].“4
Wie auch immer, das vorliegende Scherzo ist ein gutes Beispiel für den damals gerade
aktuellen Einfluss des Neoklassizismus auf ihr kompositorisches Schaffen. Grażyna
Bacewicz selbst äußerte sich später in einem Interview folgendermaßen: „Was meine
Musik angeht, so schrieb ich lange Zeit ‚neoklassizistisch’, das heißt die heutige Harmonik wurde in klassizistische Formen eingesetzt.“ 5 Grażyna Briel stellt fest, dass zu
ihren bedeutendsten Kompositionen im neoklassizistischen Stil das Quintett für Bläser
1
sprich: Gra-schi’-nah Ba-tse’-witsch
Briel, Grazyna: Thematisches Verzeichnis der Werke von Grazyna Bacewicz, mit einem biografischen
Essay. Aachen 2001 zugl. Bonn, Univ. Diss. 2000, S. 2
3
Thomas, Adrian: Grazyna Bacewicz. Chamber and orchestral music. Los Angeles 1985, S. 25
4
Rosen, Judith: Grazyna Bacewicz. Her life and works. Los Angeles 1984, S. 16
5
zitiert nach Briel 2001, S. 22
2
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G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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(1932), „Convoi de joie“ für Orchester (1933) und die „Kindersuite“ von 1934 gehören;
das Scherzo entstand also in einer Phase der intensivsten Auseinandersetzung mit diesem Stil. Dieser Einfluss bleibt aber nicht auf die Vorkriegsjahre beschränkt. Briel attestiert ihr für ihr gesamtes Schaffen eine große Vorliebe für Formen und Satztechniken
des Barock und der Klassik.6 Auch Adrian Thomas verweist auf ihre „close identification with the mild strain of French neoclassicism“.7
Zuletzt darf noch darauf hingewiesen werden, dass es damals wie heute eher selten ist,
auf eine Komponistin zu treffen. Grażyna Bacewicz war darüber hinaus Pianistin sowie
eine sehr angesehene Violinistin. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Großteil ihrer
Stücke für Violine, Streichensemble sowie für das Klavier geschrieben wurden. Für ihre
Streichquartette erhielt sie große Anerkennung; zwei gewannen Preise - einen ersten
und einen zweiten - beim Internationalen Kompositionswettbewerb in Lüttich.8 Adrian
Thomas ist sogar der Ansicht, dass „as a corpus of works it is unrivalled in twentieth
century Polish music and it is a credible claim that, after Bartók, these five quartets
represent one of the century’s most significant contributions to the genre.“
9
Dennoch
bleibt unübersehen, dass Grażyna Bacewiczs Werke im heutigen Konzertleben ebenfalls
nur eine Randerscheinung sind.
Zur Quellenlage
1985 begann Wanda Wilk ihr Vorwort zu Adrian Thomas’ Arbeit über die Kammermusik von G. Bacewicz mit den beiden Sätzen: „An important contribution to the written
history of Polish music is being made with this monograph. It is the first analytical study devoted to the music of Grażyna Bacewicz in any language.“
10
Dies mag die Quel-
lenlage illustrieren, wie sie noch bis vor wenigen Jahren bestand. Mittlerweile gab es
hier einige Verbesserungen. Insbesondere die zu ihrem dreißigsten Todesjahr 1999 bei
der PWM Edition Krakau erschienen Partituren trugen dazu bei. Bei den CDEinspielungen ergab sich in den letzten Jahren ebenfalls eine grundsätzliche Verbesserung. So liegen im Bereich der Kammermusik für Klavier solo, für Violine und Klavier
sowie für das Streichquartett nun eine ganze Reihe von Aufnahmen vor, wobei sogar
von einigen Werken bereits mehrere Einspielungen unterschiedlicher Interpreten erhältlich sind.
6
ebd. S. 22
Thomas 1985, S. 26
8
ein biografischer Überblick mit den wichtigsten Daten ihrer Karriere befindet sich im Anhang
9
Thomas 1985, S. 61
10
Thomas 1985, S. 11
7
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Die
ersten
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
grundlegenden
biografischen
Monografien
-3-
beziehungsweise
Werkverzeichnisse wurden erst sehr spät, etwa dreißig Jahre nach ihrem Tod,
angefertigt. Auch das polnische Werkverzeichnis11 erschien erst 1999 (ebenfalls bei der
PWM Edition in Krakau), das heißt nur ein Jahr früher als die in Deutschland von G.
Briel vorgelegte Monografie12. Unter den zuvor erschienen Schriften, die Grażyna
Bacewicz behandeln, nehmen die bereits zitierten Arbeiten von Thomas und Rosen, die
von den „Friends of Polish Music“ in Los Angeles angeregt und veröffentlicht wurden,
auch in ihrer Form als Monografie eine Vorreiterrolle ein. Die meisten Beiträge zu
G. Bacewicz fanden zuvor ihren Platz zumeist in Sammelbänden zur polnischen Musikgeschichte, in denen jedoch biografische Aspekte dominieren und detailliertere oder gar
analytische Aussagen zu ihren Kompositionen fehlen.
Analyse
Die folgende Analyse ist systematisch angelegt und beleuchtet jeweils bestimmte Teilaspekte des vorliegenden Stückes: die Großform, die Themen, die Motive, die Rhythmik beziehungsweise Metrik sowie harmonische Wendungen und Kadenzen. Ein sehr
kurzer Blick auf die (Entwicklungs-) Geschichte des Scherzos sowie einige Bemerkungen zu den Besonderheiten dieser Gattung sollen zuvor die klassischen Wurzeln in Erinnerung rufen, auf die Grażyna Bacewicz mit ihrem Scherzo rekurriert.
Das Scherzo als Form des subjektiven Ausdrucks
Nach Josef Gmeiner13 ist die Entwicklung des Scherzo aus dem Menuett eine Geschichte der Erweiterung von Möglichkeiten und der Überwindung einer starren aber auch
verlässlichen Form. „Der formgewordenen Norm des Menuetts setzt das Scherzo die
formgewordene Freiheit entgegen, was an den Komponisten wiederum neue Anforderungen stellte.“
14
Eine dieser Anforderungen ist der „neue subjektive Gestaltungswil-
le“. So wünschte sich Haydn statt wertloser „Künsteleyen“, womit er auf doktrinäre
Forderungen von Zeitgenossen nach einem reinen Tonsatz reagierte, lieber, „daß einer
versuchte, einen wahrhaft neuen Menuet zu komponieren“. Gmeiner sieht darin den
stringenten Beweis dafür, „daß im Menuett die Erfüllung der Norm im Vordergrund
stand und daß erst in der Überwindung der absolutistischen Regelhaftigkeit das künst-
11
Gasiorowska, Malgorzata: Bacewicz, Krakau 1999
Briel 2001, zugl. Univ. Diss. 2000
13
Gmeiner, Josef: Menuett und Scherzo. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte und Soziologie des
Tanzsatzes in der Wiener Klassik. Tutzing 1979 zugl. Wien Univ.-Diss. 1976
14
ebd. S.157
12
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G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
lerische Individuum seinen adäquaten Ausdruck finden konnte.“
-415
Gmeiner weist
zugleich darauf hin, dass die künstlerische Drang hin zu mehr Individualismus ein Ersatzhandlung für das vergebliche Bestreben des Bürgertums im 18. Jahrhundert war,
sich im politischen Leben zu emanzipieren.
Bei Haydn begann also die Entwicklung des Scherzo zu einer eigenständigen Satzform.
Liegt bei ihm die kompositorische Hauptwirkung des Scherzo insbesondere in der Negation des Menuetts, so werden die kompositorischen Konsequenzen aus dieser Negation in den Augen Gmeiners erst im Werk Beethovens gezogen.16 Entsprechend war es
„nach den subjektiven Ausdeutungen, die das Scherzo bei Beethoven erfahren hatte, [...]
nicht mehr möglich, sich wie im statischen Menuett blind der Form anzuvertrauen ‚Ein Scherzo verlangt vorzüglich Neues’ [...]“
17
Die Entwicklung des Scherzo nach
Beethoven sei, wie Winfried Kirsch in seinem Beitrag zum Bruckner Symposion 1983
bemerkt, jedoch erst noch zu schreiben, wobei er gleichzeitig eine Monografie mit dieser Programmatik ankündigt.18
Binnensatz oder Charakterstück
Mit der Etablierung des Scherzo im Instrumentalzyklus blieb dessen Entwicklung keinesfalls stehen. Diente es zunächst der bürgerlichen Emanzipation, so gelang ihm nun
die eigene. Ein Ursache dafür mag immer noch die Möglichkeit des freieren Umgangs
mit Form und Material sein. So sind bis heute zwei Erscheinungsformen des Scherzo
anzutreffen: das Scherzo in seiner Rolle als Binnensatz einerseits sowie als eigenständiges Instrumentalstück andererseits. Auch Kirsch macht in seiner Programmatik für eine
Geschichte des Scherzo die - wie er es nennt - „Antinomie des Scherzos“ zu einer der
grundsätzlich zu berücksichtigen Eigenheiten dieser Gattung.19 Die dabei von ihm benannten Gegensätze sind Satzintegration vs. Satzautonomie sowie stilisierte Tanzform
vs. programmatisches Charakterstück. Diese Gegensätze deuten meines Erachtens jedoch eher historische Entwicklungsrichtungen beziehungsweise Tendenzen an, als dass
sie tatsächlich für eine genaue Klassifizierung der vielfältigen Erscheinungsformen des
Scherzos taugen. Allein bei den autonomen Instrumentalwerken wäre zu berücksichtigen, ob es sich um ein Orchesterstück, beispielsweise im Sinne Strawinskys „Scherzo
fantastique“, oder um kleine Klavierstücke wie Clara Schumanns Scherzi op.10 und
15
zitiert nach Gmeiner 1979, S. 156
ebd. S. 156f.
17
ebd. S. 157
18
Kirsch, Winfried: Das Scherzo bei Bruckner und Brahms. in: Wessely, Othmar (Hrsg.): Bruckner Symposion: Johannes Brahms und Anton Bruckner. Linz 1985, S. 155-172. Diese Monografie liegt leider
bisher nicht vor, obwohl sie sich nach damaligem Bekunden bereits in Vorbereitung befand.
19
Kirsch 1985, S. 155
16
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op.14 handelt. Chopins vier Scherzi für Klavier stellen wiederum eine neue Kategorie
sehr aufwendiger und schwieriger Solostücke dar. Ob man diese unterschiedlichen
Werke tatsächlich allein unter dem Begriff Charakterstück subsumieren kann, ist fraglich.
Grażyna Bacewiczs Scherzo gehört zu den kleinen autonomen Klavierstücken. Es kann
ohne große Zweifel als Charakterstück mit deutlich scherzhaften bis hin zu grotesken
Zügen bezeichnet werden. Trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Erscheinungsformen des Scherzos lassen sich all diese Vertreter nutzbringend
vor dem Hintergrund des klassischen Binnensatzscherzos untersuchen, wie es von
Gmeiner und Diepenthal-Fuder, hauptsächlich am Beispiel Beethovens, beschrieben
wird.
Die Form
In der großen formalen Anlage von Bacewiczs Scherzo sind die historischen Wurzeln
der Gattung gut zu erkennen. Die um eine Coda20 erweiterte A-B-A Form entspricht
dem gängigen Grundmuster vor allem der frühen Scherzi, die sich zunächst weiterhin an
der dreiteiligen Form des Menuetts (Menuett-Trio-Menuett) orientierten. Gmeiner weist
jedoch darauf hin, dass bereits Beethoven, vor allem in den später nicht mehr explizit
als Scherzo bezeichneten mittleren Sätzen, diese formale Verbindlichkeit aufgab und
um dann auch mit der Form individueller zu verfahren.21 Ein solch individueller Umgang zeigt sich beispielsweise auch in den Scherzi Chopins, insbesondere in Scherzo
Nr. 2 op. 31, in denen sich schnelle und langsame Teile häufiger abwechseln, aber auch
bei Clara Schumann, die in ihrem Scherzo op. 10 mit dem Wechsel von schnellen und
langsamen Passagen ähnlich wie Chopin in op. 31 verfährt. Chopins Scherzo Nr. 4 op.
54 findet dagegen wieder zurück zu der klassischen dreiteiligen Form mit Coda (ABA +
Coda). Auch Schubert (2 Scherzi von 1871) und Brahms (Scherzo Es-Moll op. 4) rücken in ihren frühen Versuchen über das Scherzo nicht von der traditionellen Dreiteiligkeit ab.
Abb. 1 Formverlauf - G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
20
Scherzo I
Trio
Scherzo II
Coda
T 1-60
T 61-103
T 104-179
T 180-218
Der hier als Coda bezeichnete Formteil weist gleichzeitig jedoch auch Merkmale einer Reprise auf.
Darauf wird im Abschnitt zur Coda noch näher eingegangen.
21
Gmeiner 1979, S. 175
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Bleibt Grażyna Bacewicz auf großformaler Ebene zunächst also eher konservativ, zeigt
sich ihr Wille zum individuellen Umgang mit der Norm dann innerhalb der großen
Formteile. So sperrt sich beispielsweise das Hauptthema gegen eine klassische formale
Beurteilung. Gängige Schemata wie Liedform, Satz oder Periode führen hier zu keinem
befriedigenden Ergebnis. Die Verdeutlichung des fünftaktigen Hauptthemas als solches
geschieht durch eine vierfache Wiederholung, das heißt, das Thema erklingt fünfmal.
Dabei wird es von Wiederholung zu Wiederholung unterschiedlich stark variiert. Der
Themenexposition folgt eine Überleitung, in der mithilfe eines abgespaltenen Teils des
Hauptthemas ein modulierender Übergang zum zweiten Thema hergestellt wird. Das
zweite Thema ist zwar kurz (zweimal zwei Takte) dafür umso markanter, da zunächst
deutlich weniger dissonant sowie in einem starken motivischen und rhythmischen Kontrast zum Hauptthema. Grażyna Bacewicz unterlässt es nun allerdings, das zweite Thema in diesem ersten Scherzo noch einmal zu wiederholen. Anstelle dessen beginnt erneut ein Übergangsteil, der für einen kurzen Moment (in den Takten 44/45 und 47/48)
den Anschein einer angegangenen Durchführung erweckt. Die spannungsgeladenen und
wie aus heiterem Himmel erscheinenden Tonika-Dominant-Einwürfe (Fis-Cis und AsEs) gestatten jedoch keinen ausführliche Beschäftigung mit den exponierten Themen
und Motiven sondern drängen auf eine Schlussbildung, so dass der erste Scherzoteil die
Verarbeitung seiner Themen aufgibt und die Überleitung in das Trio angeht.
Abb. 2 Formverlauf - Scherzo I
Hauptthema
Überleitung
T 1-26
T 27-37
Thema 2 Überleitung
T 38-41 T 42-60
Das Trio ist im Verhältnis zu den beiden Scherzoteilen recht kurz. Seine Hauptfunktion
ist hier die Schaffung eines Kontrastes zu den Scherzoteilen, um so dem gesamten
Stück ein deutlich wahrnehmbares formales Zentrum zu geben. Dies gelingt einerseits
durch das verminderte Tempo - Un poco meno mosso (ma non troppo) - sowie durch
eine veränderte Rhythmik und Motivik. Formal erleben wir ein achttaktiges Thema
(zweimal vier gleiche Takte), gefolgt von einem zehntaktigen, sehr mechanisch wirkenden, Zwischenspiel, wofür das Tempo kurzzeitig wieder etwas angezogen wird - Più
mosso. Die harmonisch und melodisch verfremdete Wiederholung des Triothemas erscheint dann wieder im vorrangegangenen Tempo. Sofort nach dieser Wiederholung des
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Triothemas beginnt das Trio durch weiträumige und orchestral wirkende Kadenzen mit
der Schlussbildung. Zwei Unterbrechungen lassen die Kadenzen jedoch unentschlossen
wirken, so dass sie ihre schlussbildende Wirkung nicht entfalten können. Eine schnelle
Septole aufwärts hin zu einem Sforzatoschlag beendet das Trio dann abrupt.
Abb. 3 Formverlauf - Trio
Triothema
Zwischenspiel
Triothema’
T 79-86
Kadenzen
T 87-103
Der zweite Scherzoteil beginnt erwartungsgemäß mit dem Hauptthema, das hier jedoch
nur dreimal erscheint, wobei der zweite Durchlauf um eine viertaktige Modulation verlängert wird und der dritte Durchlauf nur noch als Rudiment erscheint. Dies genügt jedoch, um den Wiedereinsatz des Scherzos zu markieren. Analog zum ersten Scherzoteil
müsste nun eine Überleitung folgen, die hier jedoch deutlich erkennbare Züge einer
Durchführung aufweist. Darin wird die Figur aus der ersten Überleitung zunächst in
Spiegelung und dann, nach einem kurzen Einschub, wieder in ursprünglicher Stellung
aufgegriffen. Von einer ‚echten’ oder vollständigen Durchführung (mit der Aufstellung
eines Modells, dessen Sequenzierung, Abspaltung und abschließender Liquidation)
kann hier allerdings nicht die Rede sein; dafür sind diese Passagen zu kurz, es bleibt
schlichtweg keine Zeit. Nach einem fast unspektakulären, weil kurzen und nicht dissonanten, Übergang erleben wir erneut das zweite Thema in seiner gewohnten Kürze. Nur
noch mit einiger Mühe lässt sich für die nachfolgenden Takte eine Analogie zu den entsprechenden Stellen des ersten Scherzoteil konstruieren. Im Grunde wird hier die motivische Arbeit fortgesetzt, in dem zwei neue, aus den Motiven des ersten Scherzoteils
abgeleitete Motive miteinander verzahnt werden (nach dem Schema: sieben Takte A,
drei Takte B, fünf Takte A, sieben Takte B’).
Abb. 4 Formverlauf - Scherzo II
Hauptthema
T 104-121
(Durchführung)
T 122-150
2. Thema
T 151-154
(Durchführung)
T 155-179
Nach zwei Takten einer solo geführten Skala erreichen das Stück die Coda, die aus zwei
Teilen besteht. Der Umstand, dass zunächst noch einmal das Hauptthema präsentiert
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G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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wird und dann das wichtige Drei-Achtel-Skalen-Motiv noch einmal in zwei verschiedenen Formen vorgestellt wird, lassen den ersten Teil (T. 181-199) wie eine Reprise erscheinen. Allerdings erklingt das Hauptthema weder vollständig noch mit der ursprünglichen Begleitung und auch nicht in der Ausgangstonart. So ist hier also nur bedingt von
einer Reprise zu sprechen, weshalb in der Beschreibung der Großform dieser Teil insgesamt als Coda bezeichnet wurde. Wild in die Tiefe stürzende Sechzehntel, gefolgt von
einem Aufwärtsglissando leiten den zweiten Teil mit der Schlusskadenz ein, in der der
Themenkopf in breiten Fortissimo-Oktaven, ein fulminantes Ende ankündigend, für
zwei letzte Male dargeboten wird. Eine Schlussgestaltung, die man sehr ähnlich zum
Beispiel auch in Chopins Scherzo Nr. 3 findet. Der Schluss jedoch ist ein Witz - was
auch sonst. Verschmitzt trippelnde, ineinander verhakelte Achteln holen das Scherzo
aus seinen großspurigen Träumen zurück auf den Boden, verwischen die Schlusskadenz
und bereiten dem Stück ein trocken-schmunzelndes Ende.
Abb. 5 Formverlauf - Coda
Hauptthema
T 181-184
(Reprise)
Motive
gliss. & Kadenz „Witz“
T 185-199
T 200-212
T 213-218
(Coda)
Die Themen
Drei unterschiedliche Themen sind in diesem Scherzo zu finden: das Hauptthema, das
zweite Scherzothema sowie das Triothema. Allen drei gemein ist eine eher lockere Fügung, die sie wie Fragmente erscheinen lässt. Dennoch sind sie durch die ihnen zuteil
werdende Behandlung sowie durch den Kontext, in den sie eingebettet sind, eindeutig
als Themen zu identifizieren. Petra Diepenthal-Fuder verweißt darauf, dass auch die
Scherzothemen bei Beethoven sehr häufig „den Eindruck erwecken, als würden sie mitten aus einem Verlauf herausgerissen und schon ‚geöffnet’ sein.“ 22
Das Hauptthema
Das Hauptthema gliedert sich formal in drei Teile, die sich auf fünf Takte verteilen. Der
Themenkopf (A) beginnt mit einem Auftakt, der jedoch in der Notation nicht als solcher
ausgewiesen wird (siehe Abb. 6). Im Grunde zieht Grażyna Bacewicz hier, bewusst
oder unbewusst, die letzte Konsequenz aus der Entwicklung, die der Auftakt im Scherzo
22
Diepenthal-Fuder, Petra: Menuett oder Scherzo? Untersuchungen zur Typologie lebhafter Binnensätze
anhand der frühen Ensemble-Kammermusik Ludwig van Beethovens. Frankfurt am Main 1997. Zugl.:
Bonn, Univ., Diss., 1995. S. 527f
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laut Gmeiner genommen hat. „Diese Auftaktbildung, die starke Bindung des Auftaktes
an den folgenden Abtakt, erweist sich als wesentlicher Faktor der Scherzowirkung.“
Und zwar insbesondere vor dem Hintergrund des zur Verselbständigung tendierenden
Auftaktes im Menuetts.23 Die Konsequenz liegt hier also darin, den Auftakt in der
Schriftform in den ersten Takt mit einzubeziehen. Diese enge Bindung an das folgende
Geschehen wird in diesem Fall noch dadurch verstärkt, dass der Auftakt in einer
gleichmäßigen Achtelskalenbewegung abwärts in das Thema führt, ähnlich einer
Rutschbahn; das schnelle Tempo tut das Übrige. Dass diese drei Achteln tatsächlich als
Auftakt gehört werden, ergibt sich aus der erst auf der zweiten Takthälfte einsetzenden
Begleitung sowie aus dem weiteren metrischen Geschehen, das einen wahrnehmbaren
9
/8-Takt über dem notierten 6/8-Takt etabliert. Auf diese Weise wird die Fünftaktigkeit
des Themas verschleiert beziehungsweise es wird deutlich, dass es mit großer Sicherheit
nicht in Bacewiczs Intention lag, ein fünftaktiges Thema zu komponieren.
Abb. 6 Gliederung des Hauptthemas:
Themenkopf (A)
Auftakt
Entwicklung (B)
Entwicklung (B’)
9
/8 -Takt
Das hüpfende und Leichtigkeit erzeugende Staccato gehört ebenso zu den Merkmalen
eines typischen Scherzothemas, wie die Verwendung einfachster Motive.24 Grażyna
Bacewiczs Hauptthema ist durch seine vielen Skalenelemente und die moderaten
Sprünge, die nicht mehr als eine Quarte überschreiten, geradezu sangbar, ja fast volksliedhaft. In seiner Schlichtheit erinnert es gleichzeitig an barocke Themen, wofür auf
den ersten Blick auch die kontrapunktisch beginnende und dann chromatisch abfallende
Begleitung spricht, allein die scharfen Reibungen machen die zeitliche Verortung im 20.
Jahrhundert wieder deutlich. Auch die modale Tonalität der Melodie - lydisch in diesem
Fall - erscheint wie ein historischer Verweis.
23
24
Gmeiner 1979, S. 184
vgl. Diepenthal-Fuder 1997, S. 528f
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Der ersten Exposition des Hauptthemas folgt nun dessen viermalige Wiederholung. Erwin Ratz weißt nachdrücklich darauf hin, dass die Wiederholung nicht nur das wichtigste Mittel der Gliederung ist. Sie ist zugleich wichtigster Träger der Spannung und damit
des musikalischen Ausdrucks, was seine Ursache darin hat, das wir bei einer angegangenen Wiederholung zunächst immer mit dem gleichen Ablauf rechnen.25 In den folgenden variierenden Wiederholungen ist beinahe beispielhaft zu beobachten, wie durch
diesen hörpsychologischen Effekt der Wiederholung einerseits die für ein Scherzo so
typischen Überraschungs- und Verwirrungseffekte, aber auch ein dramatischer Spannungsbogen erzeugt werden.
Die erste Wiederholung beschränkt sich noch darauf, in der Bassbegleitung lediglich
einige Töne zu verändern, so dass eine leicht veränderte Tonalität mit etwas mehr
Schärfe im Themenkopf etabliert wird. Die hier noch zu beobachtende Zurückhaltung
lässt sich mit dem Umstand erklären, dass das Hauptthema zunächst einer möglichst
unveränderten Bestätigung bedarf, um als solches deutlich erkannt zu werden. Die zweite Wiederholung, eingeleitet von einer kurzen halbtaktigen Modulation aus dem vorangegangenen Thema heraus, vergisst dagegen jegliche Zurückhaltung: die Melodie des
Hauptthemas erklingt eine Quarte höher; die Lage im Takt hat sich durch die Modulation um drei Achtel verschoben, was in Verbindung mit der nun auf den schweren Zählzeiten26 des 6/8-Taktes liegenden Oktav- beziehungsweise Akkordschlägen das Schaukeln des 9/8-Metrums auflöst und durch ein geradezu garstig-stolpernd wirkendes Zweiermetrum ersetzt; die Akzente der Themenmelodie werden oktaviert und stechen wie
Dornen aus dem Tonsatz heraus. Nach einem zweitaktigen Unisono aufsteigender Achtelskalen kehrt die dritte Wiederholung dann auf versöhnliche Weise sowohl zur Melodie in F, allerdings eine Oktave höher, als auch zum 9/8-Metrum zurück. Dafür verzichtet sie auf die kontrapunktische Skala in der Begleitung und beginnt sofort mit chromatisch absteigenden Terzen (mit oktaviertem Terzton) auf den schweren Zählzeiten. Die
vierte und letzte Wiederholung setzt die Begleitung aus der vorherigen Wiederholung
kontinuierlich fort. Das Thema selbst erscheint schließlich wieder in der ursprünglichen
Lage, muss jedoch auf seinen dritten Teil (B’) verzichten und darf sich lediglich als
Rudiment noch einmal präsentieren, bevor der Durchführungsteil beginnt.
25
vgl. Ratz, Erwin: Einführung in die musikalische Formenlehre. (3. erweiterte und neugestaltete Ausgabe) 1973, S. 22f.
26
um Missverständnisse zu vermeiden: mit schweren Zählzeiten meine ich in diesem Fall die erste und
die vierte Achtel des 6/8-Taktes und unterscheide nicht zwischen Haupt- und Nebenakzent bzw. -zählzeit
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Das zweites Thema
Mit dem zweiten Thema erreicht das Scherzo die Dominanttonart C-Dur. Zunächst synkopierte, danach in gleichmäßigen Achteln parallel verschobene C-Dur-Akkorde in
Quart-Sext-Stellung bilden einen deutlichen Kontrast zum melodischen Hauptthema.
Die nachschlagenden, in Sechzehnteln weiträumig abwärts gebrochenen Dreiklänge in
der Begleitung betonen die schweren Zählzeiten des 6/8-Taktes schwungvoll und mit
Nachdruck und verstärken so den eher rhythmischen und auf ein Zweiermetrum ausgerichteten Charakter dieses zweiten Themas.
Abb. 7 Zweites Thema (T. 38-42)
Angesichts seiner Kürze, denn dieses zweite Thema wird nicht wiederholt, drängt sich
die Frage auf, ob hier überhaupt von einem Thema gesprochen werden sollte oder nicht
vielmehr nur von einem sehr starken Motiv. Für ein vollwertiges Thema spricht jedoch
zum einen der starke Kontrast, den es dem Hauptthema entgegensetzt. Zweitens hat es
aufgrund dieses Kontrastes eine große Signalwirkung, durch die es Einfluss auf die
Wahrnehmung der formalen Gliederung des gesamten Stückes nimmt. Schließlich zeigt
sich, dass mit diesem Thema neues Material in das Scherzo eingeführt wird, das im weiteren Verlauf an Bedeutung gewinnt: einerseits die Synkope und andererseits die ungebrochenen massiven Akkorde.
Das Triothema
Mit dem Triothema wird ein dritter Charakter in dieses Scherzo eingeführt. Durch das
etwas langsamere Tempo, die energisch akzentuierten Synkopen sowie die Begleitung
auf den schweren Zählzeiten erhält dieses Thema einen übertrieben schreitenden Duktus. Die hohle Melodieführung in Quint- und Quartsprüngen erzeugt dabei zugleich eine
leicht dümmliche Unbeweglichkeit, die an die unbeholfenen Bewegungen einer Gliederpuppe oder an die Karikatur eines schlaksig daherschreitenden Höflings erinnert eine Verballhornung des höfischen Menuetts?
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Abb. 8 Triothema (T. 61-64, 65-68)
Die harmonische Schärfe, die vor allem durch die Begleitung erzeugt wird, steigert sich
in der Wiederholung dieses Themas in den Takten 79-86 noch einmal und überzeichnet
das Triothema bis ins Groteske. So antwortet dort auch die Melodie nicht sequenziell
sondern ist insbesondere im dritten Takt (T. 81) stark verfremdet. Die abwärts geführten
32tel des vierten Taktes werden durch ein Arpeggio ersetzt, so dass auch die abschließende Abwärtsbewegung in Takt 64 und 68 in der Wiederholung in Takt 82 und 86
konterkariert wird.
Die Motive
Ein für das gesamte Stück konstituierendes Motiv ist die sehr elementare diatonische
Abwärtsskala aus drei Achteln (
), das bereits im Hauptthema viermal Verwendung
findet (vgl. Abb. 6, S. 9). Grażyna Bacewicz greift dann im weiteren Verlauf immer
wieder darauf zurück, insbesondere in den Passagen mit durchführendem Charakter. So
beispielsweise im Anschluss an die Wiederholungen des Hauptthemas im Scherzo I
(T.27-34), wo es, vom angegangenen Themenkopf abgespalten, zunächst in beiden
Händen unisono wiederholt und dann, um einen Zweiklang auf dem ersten Akzent ergänzt, fortgeführt wird. In einer metrisch um eine Achtel verschobenen Position findet
man es auch im Anschluss an das zweite Thema, wo es wiederum in beiden Stimmen
gleichzeitig die auf den schweren Zählzeiten abwärts schreitenden Septakkorde umspielt (T. 44/45 und 47/48). Am Ende des Trios füllt es die Kadenzen aus und zwar in
der erweiterten Form, dass Dreiklänge mit Oktavbassbegleitung chromatisch abwärts
gleiten (T. 95 und 97). Im ersten Durchführungsteil des zweiten Scherzos tritt dieses
Motiv dann einmal gespiegelt sowie einmal in Originalstellung auf, analog zu den
Formteilen in Scherzo I. Schließlich wird es im ersten Teil der Coda zweimal in unterschiedlicher Ausprägung behandelt (T. 185-190 sowie 194-198), womit dessen hohe
Bedeutung für das gesamte Stück noch einmal deutlich unterstrichen wird. So ist es
auch wenig verwunderlich, dass es in der Schlussformation (T. 204-212) neben den ausladend erklingenden Themenkopf gestellt wird, und zwar wiederum in der Form der
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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abwärts geführten Akkorde, wie sie nun bereits aus dem Schluss des Trios (T. 95 und
97) bekannt sind. Durch dieses sich durch das gesamte Stück hindurchziehende einfache
Motiv erhält das Stück eine organische Geschlossenheit.
„Mit der Beschleunigung rückt das motorische Element in den Vordergrund motivischthematischer Gestaltungsweise.“
27
Das Drei-Achtel-Motiv zeigt deutlich diesen moto-
rischen Charakter. Weitere Passagen mit entsprechender und beinahe mechanischer Motorik finden sich in Grażyna Bacewiczs Scherzo vor allem in den Überleitungen. Beispielhaft dafür sind zum einen die zweistimmigen Skalen, die hier wie eine Art Klebstoff fungieren und einzelne Formteile mit einander verbinden. Zudem haben sie eine
nicht zu unterschätzende Signalwirkung, mit der sie thematische beziehungsweise formale Wechsel ankündigen. Dies gelingt ihnen durch ihre Schlichtheit, die frei von Dissonanzen ist, durch die sie sich aus dem ansonsten sehr oft dissonanten Kontext abheben. Zudem werden diese Skalen stets aufwärts geführt, was das signalartige noch unterstützt. Diese Passagen sind im einzelnen der Übergang von der zweiten zur dritten
Hauptthemenwiederholung (T. 16-17), jeweils die Übergänge zum zweiten Thema (T.
36-37 und T. 149-150) sowie der Übergang innerhalb des reprisenartigen Teils der Coda
(T. 191-192). Eine Besonderheit stellt die Skala im Übergang zur Coda selbst dar (T.
178-179), da diese nur einstimmig ist. Des Weiteren sind die in zwei Varianten
auftretenden 3/8-Gruppen, bei der die erste Achtel jeweils von der linken, die zweite und
die dritte Achtel jeweils von der rechten Hand gespielt werden (LRR-LRR usw.) zu
nennen. In der ersten Variante (T. 53-55 und 58/59) vollzieht die rechte Hand einen
Sprung abwärts, in der zweiten (T. 69-78) einen Aufwärtssprung. Akzentuiert ist in
beiden Varianten die erste Achtel, die von der linken Hand übernommen wird. Diese
Passagen werden in beiden Fällen für eine Modulation genutzt und erfüllen dadurch
wiederum eine überleitende Funktion.
Alles in allem ist die Motivik in diesem Stück sehr einfach gehalten und stützt sich
hauptsächlich auf rhythmische Figuren. Auch Petra Diepenthal-Fuder hat in den von ihr
untersuchten Scherzi Beethovens eine „auffällige Schlichtheit“ im Bezug auf die Motivik ausgemacht deren Ursache sie, ähnlich wie Gmeiner, im schnellen Tempo sieht.28
Rhythmik - Metrik
Die Schlichtheit in der Motivik ist für Diepenthal-Fuder aber auch gleichzeitig die Voraussetzung dafür, sich „auf die metrisch-rhythmischen Konfliktsituationen, auf die dia27
28
Gmeiner 1979, S. 187
Diepenthal-Fuder 1997, S. 528
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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lektischen Entwicklungen, auf das Spiel mit der Erwartungshaltung, auf die unterschwelligen Widersprüche und Brüche als solche zu konzentrieren.“
29
Dazu gehört
beispielsweise „das Problem der mehrdeutigen Taktsituation in den Scherzi [...]“ 30
Im Scherzo Grażyna Bacewiczs provoziert bereits die Anlage des Hauptthemas eine
solche metrische Mehrdeutigkeit beziehungsweise Konfliktsituation. Wie oben bereits
angedeutet, ist das Scherzo zwar in einem 6/8-Takt notiert, das Hauptthema beginnt jedoch zunächst in einem wahrnehmbaren 9/8-Metrum. Kennt man die Partitur nicht, wird
dieser Umstand bis zum Ende des ersten Themendurchlaufs kaum auffallen. Doch bereits mit dem Ansatz zur ersten Wiederholung des Hauptthemas, wo durch eine kurze
Unterbrechung des Metrums Platz für den Auftakt geschaffen wird (T. 6), kommt es zu
einer ersten Irritation. Da jedoch aufgrund des relativ hohen Tempos kaum Zeit bleibt,
sich lange darüber zu wundern, geht dieser erste Bruch fast glatt durch. Zumal nun das
Hauptthema nahezu identisch wiederholt wird und der Hörer erneut auf das 9/8-Metrum
eingestellt wird. So kann er im Nachhinein diesen Bruch als vollständigen Neuansatz
des Stückes deuten. Geht der Hörer durch diese zweimalige Bestätigung seines Eindrucks von einem 9/8-Takt nun davon aus, dass sich dieser auch im weiteren Verlauf des
Stückes fortsetzt, so wird diese Erwartung mit der anschließenden zweiten Wiederholung (T. 11-15) enttäuscht. Bereits die Überleitung aus der ersten Wiederholung besteht
nur noch aus zwei Drei-Achtel-Gruppen und kündigt so das neue Metrum an.
Das neue 6/8-Metrum wird durch eine zweigliedrige Bassbegleitung auf den schweren
Zählzeiten verdeutlicht. Mit diesem Wechsel des Metrums ist zwangsläufig auch eine
veränderte Schwerpunktsetzung innerhalb des Themas verbunden. So beginnt die Begleitung bereits mit dem Auftakt des Themenkopfes, wodurch dessen Auftaktfunktion
eliminiert wird (dennoch hat auch diese Wiederholung einen gut wahrnehmbaren Auftakt, nämlich die ersten drei Achteln des Taktes 11, die somit eine Doppelfunktion einnehmen: Ende der modulierenden Überleitung und gleichzeitig auftaktiger Beginn zu
sein). Die Auflösung des bisherigen Auftaktes wird zugleich durch den starken, da oktavierten, Akzent auf dem ersten Ton der Melodie unterstrichen. Interessanterweise ist
diese Wiederholung des Hauptthemas nun zum ersten Mal so im 6/8-Takt notiert, dass
der Auftakt als solcher auch in der Partitur zu erkennen gewesen wäre.
Das nun etablierte 6/8-Metrum wird jedoch auch nicht ungestört fortgesetzt. In der Mitte
der Wiederholung erfährt es sogleich wieder eine Unterbrechung (T. 13), unter anderem
um so den Ton g’’ auf der ersten Zählzeit des folgenden Taktes als einen der herausra29
30
ebd., S. 528
ebd., S. 527
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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genden Töne der Melodie akzentuieren zu können. Auf diese Weise entstehen zwei
gleichgroße Gruppen (jeweils zweimal die Sechs-Achtel-Bassfigur), die durch eine
Drei-Achtel-Gruppe getrennt sind (2-1-2). Dadurch bildet diese mittlere Themenwiederholung gleichzeitig die Symmetrie der gesamten Themenexposition ab.31 Schließlich
folgt dieser Themenwiederholung eine zweitaktige Skala, die das 6/8-Metrum wieder
verwischt, um so in der nächsten Wiederholung erneut das 9/8-Metrum aufgreifen zu
können.
Dieses Spiel mit dem Metrum wird im weiteren Verlauf des Stückes immer dann wieder
relevant, wenn das Hauptthema erscheint. In allen anderen Passagen setzt sich der 6/8Takt als bestimmende Größe durch. Mögliche Konflikte oder Brüche werden dort auf
anderen Ebenen ‚ausgetragen’. Eine letzte rhythmische Verschiebung, die jedoch das
zweigliedrige Metrum nicht unterbricht, wird kurz vor dem Übergang zur Coda vorgenommen (T. 175-177). Dort verschiebt sich der Akzent von der ersten schweren Zählzeit auf die zweite, was eine Art Stolpern bewirkt.
Harmonik - Kadenzen
Ein wesentliches Moment, das auf die Wahrnehmung der Gestalt dieses Scherzos großen Einfluss hat, ist die Ausgestaltung der harmonischen Verbindungen insbesondere
der Kadenzen. Am auffälligsten sind dabei wohl die vielen Dominat-Tonika- beziehungsweise Tonika-Dominant-Verbindungen in allen drei Teilen dieses Scherzos. Auch
Petra Diepenthal-Fuder findet in ihrer Untersuchung größtenteils schlicht gehaltene Akkordverbindungen, wobei überwiegend D/T-Beziehungen auftreten. Dieses „Nachvorne-Drängen“ bewirkt eine Prozeßhaftigkeit, die sich ihr zufolge auch formal niederschlägt, und zwar im Aneinanderrücken großformaler Abschnitte wie Exposition,
Durchführung oder Reprise.32 Dieses Phänomen ist auch im Scherzo von Grażyna Bacewicz zu beobachten. Bereits bei der Beschreibung der Form führte dies zu Schwierigkeiten bei der Deutung derjenigen Formteile, bei denen beispielsweise aufgrund ihrer
Kürze nur schwer zwischen Durchführung und Überleitung unterschieden werden konnte. Besonders deutlich wird dies unter anderem im letzten Teil des Scherzo I, der oben
als Überleitung bezeichnet wurde (T. 42-60).
Bei genauerer Betrachtung geschieht hier nämlich wesentlich mehr, als das bloße Überleiten zum Trio. Erstens gibt es zu Beginn zwei kurze Passagen mit durchführendem
Charakter (T. 43-45 und 47/48), in denen das Drei-Achtel-Skalen-Motiv des Hauptthe31
2-1-2 im Bezug sowohl auf die Metrik ( 2x 9/8- 1x 6/8- 2x 9/8) als auch auf den Ausgangspunkt der Melodie (2x von f - 1x von h - 2x von f)
32
Diepenthal-Fuder 1997, S. 526
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G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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mas mit den diatonisch absteigenden Sept-Akkorden, die im weitesten Sinne dem zweiten Thema entlehnt sind, verbunden werden. Diese Akkorde (e-Moll7, d-Moll7, C-Dur#7,
h-verm.7) bewegen sich noch eindeutig im zuvor erreichten C-Dur des zweiten Themas.
Des Weiteren wird, ebenfalls von Anfang an, durch eintaktige Tonika-DominantEinschübe auf eine Schlussbildung hingewirkt; motivisch sind diese zwar mit dem
zweiten Thema eng verwandt, jedoch rücken sie harmonisch weit von ihm ab (zweimal
Fis-Dur, zweimal As-Dur). Die durchführenden Teile in C-Dur werden dann durch Passagen mit deutlich überleitender Funktion, ebenfalls in C-Dur ersetzt. Abbildung 9 mag
dies verdeutlichen.
Abb. 9 Scherzo I - Takte 42-60
2. Thema
C
T/D
Fis
Durchf.
C
T.4
2
T/D
Fis
T. 46
Durchf.
C
T/D
As
Überl.
C
T.4
9
T/D
As
Überl.
C
Modul.
T.52
So entsteht ein Nebeneinander zweier ‚Handlungsstränge’, die unterschiedliche Ziele
verfolgen. Zum einen eine Schlussbildung für das Scherzo I und zum anderen eine zuerst durchführende dann modulierende Überleitung zum nächsten Formteil, dem Trio.
Dass die Schlussbildung hier nicht zu einem befriedigenden Ende geführt werden kann,
unterstreicht noch einmal den getriebenen Charakter des Scherzos.
Die Schlussbildungen im Trio steht zu der eben beschriebenen des Scherzo I in enger
Korrespondenz. Im Grunde wird dort ein weiteres Mal versucht, was zuvor ‚gescheitert’
war - und zwar ebenso ‚erfolglos’. Vorsorglich wird hier von der öffnenden TonikaDominant-Figur abgesehen und gleich eine Dominant-Tonika-Verbindung zum Einsatz
gebracht (zunächst d/T dann D/T, Takte 88-98). Allein es nützt nichts, denn die ausladende Geste mit den weit gespreizten Oktaven über fast das gesamte Register wird frech
von den sehr eng geführten Synkopen des Triothemas unterbrochen, muss daraufhin neu
ansetzen, schafft es dann nicht mehr, ein plausibles Ende zu finden und wird sogleich
noch einmal von den Synkopen überrascht. Eine schnelle Aufwärtsskala wird dann zum
Abschluss ‚aus Verlegenheit’.
Die Coda geht die Schlussbildung etwas anders und deutlich vielversprechender (im
Bezug auf ein traditionelles Dominante-Tonika Ende) an. Aus einem E-Dur-Tonraum
kommend33 wird von Takt 192 auf 193 relativ abrupt auf einen C-Dur-Akkord gewech-
33
die Melodie des Hauptthemas erklingt auf einer E-Dur-Skala, die Begleitung auf abwechselnd E-Dur
und D-Dur verwischt das E-Dur jedoch wiederum zu einem modal gefärbten Tonraum
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G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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selt. Abgesehen von der Molleinfärbung der Subdominante ergibt sich daraus in den
folgenden drei Takten eine vergleichsweise klassische Wendung D-s-D, die mit dem
Glissando fortgesetzt wird, das die Dominante verlängert und bekräftig. Nun folgt
zweimal die Tonika mit dem Themenkopf, allerdings im Wechsel mit einem dis-Moll7-Akkord (T. 207/8 und 211/12). Umgedeutet zu es-Moll, wie es in den Takten 208 und
212 auch notiert ist, entspricht dies in B-Dur der nach Moll eingefärbten Subdominante;
F-Dur wird also plötzlich zur Dominante. So büßen diese Takte ihre bereits erreichte
tonale Nähe zu einem Ende in F-Dur wieder ein. Ein Umweg über B-Dur als Auflösung
dieser angegangenen Kadenz und Rückmodulation zu F-Dur würde hier für harmonische Klarheit sorgen, aber die gibt es nicht. Anstelle dessen ein kurzer und heftiger FDur-Akkord, von dem man in diesem Moment nicht genau weiß, was er bedeutet. Unvermittelt setzen die bereits oben erwähnten trippelnden und ineinander verschränkten
Achteln ein, die nun ihrerseits auf ein Ende zielen. Damit wird klar, dass es den ausladenden und orchestralen Akkorden wieder nicht gelungen ist, rechtzeitig zu einem Ende
zu kommen. Denn es folgt eine im Bezug auf den Ambitus kleinräumige, harmonisch
verwischte und in seiner schnellen rhythmischen Form wenig deutliche Kadenz: F-Dur
(Tonika), A-Dur (Mediante), C-Dur7 mit übermäßiger Quarte (Dominante) und nochmals F, A, C#4,7, die schließlich auf einem changierenden aber dennoch dominanten
Ges-Dur/G-Dur-Akkord zum stehen kommt, bevor mit drei schnalzenden Vorschlägen
zum F dieses Scherzo kurz und schmerzlos doch noch ein Ende erfährt. Im inoffiziellen
Wettbewerb des Opulenten gegen das Spitzbübische, von dem man in der Rückschau im
Bezug auf die Schlussbildungen durchaus sprechen kann, hat der Schelm klar gewonnen.
Abschließendes
Der Umstand, dass bei der Untersuchung des Scherzos von Grażyna Bacewicz neben
den vielen harmonischen und tonalen Neuartigkeiten immer wieder Parallelen zu den
klassischen Scherzi gezogen werden können, wie sie in den Untersuchungen von Gmeiner und Diepenthal-Fuder am Beispiel Beethovens dargestellt werden, weißt mehr als
deutlich auf die neoklassizistische Provenienz dieses Stückes hin und macht zugleich
sichtbar, wie präzis sich Grażyna Bacewicz mit den klassischen Formen und Techniken
auseinandergesetzt hat. Dies wird umso verständlicher wenn man einerseits weiß, dass
ihre Lehrerin Nadja Boulanger stets eine perfekte Beherrschung von Harmonik, Kontrapunkt und Orchestration von ihren Studenten verlangte. Darüber hinaus galt Grażyna
Bacewiczs persönliches Interesse Zeit ihres Lebens vor allem der Musik der Renais-
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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sance, des Barock und der Wiener Klassik. So fühlte sie sich stets den klassischen Formen verpflichtet. Dies bedeutete jedoch keinesfalls, dass sie im Bezug auf das Finden
einer eigene Tonsprache ebenso konservativ war.34 Ihre Experimentierfreude ist in diesem Scherzo, insbesondere mit Blick auf die Tonalität, gut zu erkennen.
Ihr Scherzo ist ein sehr komprimiertes Stück, in dem vieles sehr schnell geschieht, so
dass kaum Zeit bleibt, sich über die raschen Wendungen und Brüche zu wundern. Am
Ende weiß man zunächst nicht genau warum, aber man schmunzelt. Sowohl bei der
Analyse dieses Stückes im Vorfeld als auch noch während der Herstellung des Textes
traten immer wieder neue und interessante Aspekte zu Tage, die hier nicht alle im Detail
wiedergegeben werden konnten. Einiges blieb rätselhaft oder unentschieden. Es ist aber
auch sicher kein Stück, dass virtuose Hände verlangt, wie die Scherzi Chopins. Ein
Grund dafür mag ihr eigenes pianistisches Können sein, das respektabel war, jedoch
nicht virtuos. Sonst hätte sie wohl eher als Konzertpianistin und nicht als Soloviolinistin
Karriere gemacht. Es lag aber auch nie in Grażyna Bacewiczs Ansinnen, gewollt virtuos
zu komponieren. So schrieb sie ihrem Bruder Witold noch 1963: „Mein Ideal ist es, so
zu schreiben, dass die Musik Interesse weckt und gleichzeitig für jeden Musiker ausführbar ist; er muss sie nach den Proben ohne größere Mühen spielen können. Nur der
Dirigent sollte sich den Kopf zerbrechen.“ 35
34
35
Briel 2001, S. 16f.
Briel 2001, S. 24
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G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
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Quellen
Literatur
Briel, Grażyna: Thematisches Verzeichnis der Werke von Grażyna Bacewicz, mit einem biografischen Essay. Aachen 2001 zugl. Bonn, Univ. Diss. 2000
Diepenthal-Fuder, Petra: Menuett oder Scherzo? Untersuchungen zur Typologie lebhafter Binnensätze anhand der frühen Ensemble-Kammermusik Ludwig van Beethovens. Frankfurt am Main 1997. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 36, Musikwissenschaft; Bd. 167) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1995
Erhardt, Ludwik: Die moderne Musik in Polen. Warschau 1966
Gasiorowska, Malgorzata: Bacewicz, Krakau 1999
Gmeiner, Josef: Menuett und Scherzo. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte und
Soziologie des Tanzsatzes in der Wiener Klassik. Tutzing 1979 zugl. Wien Univ.Diss. 1976
Jarociński, Stefan (ed.): Polish Music. Warschau 1965
Kirsch, Winfried: Das Scherzo bei Bruckner und Brahms. in: Wessely, Othmar
(Hrsg.): Bruckner Symposion: Johannes Brahms und Anton Bruckner. Linz 1985, S.
155-172
Maciejewski, B.M.: Twelve Polish Composers. London 1976
Ochlewski, T. (ed.): An Outline History of Polish Music. Warschau 1979
Ratz, Erwin: Einführung in die musikalische Formenlehre. (3. erweiterte und neugestaltete Ausgabe) 1973
Rogala, Jacek: Die Polnische Musik des 20. Jahrhunderts. Krakau 2000
Rosen, Judith: Grażyna Bacewicz. Her life and works. Los Angeles 1984
Thomas, Adrian: Grażyna Bacewicz. Chamber and orchestral music. Los Angeles
1985, S. 25
Wittig, Steffan: Die Kompositionstechnik der letzten Schaffensperiode Grażyna Bacewiczs (1960-1969). in Liedtke, Ulrike: Jeder nach seiner Fasson, Musikalische Neuansätze heute, Saarbrücken 1997
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Partituren
Scherzo na fortepian / for Piano: PWM edition (Polskie Wydawnictwo Muzyczne
S.A.), Krakau 1999 [www.pwm.com]
Aufnahmen
Anita Krochmalska: Grażyna Bacewicz Piano Works, Acte Prealable, AP0073, (2003)
Ewa Kupiec: Grażyna Bacewicz Piano Works, Hänssler Classic (2001)
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-I-
Anhang
Biografischer Überblick
5. Februar 1909
geboren in Łodz als drittes von vier Kindern (abweichendes Geburtsjahr in einigen Veröffentlichungen 1913)
Eltern
Vater Musiklehrer für Klavier und Violine, Mutter Pianistin, später
Bankangestellte, nach der Heirat Hausfrau
Geschwister
Kiejstut (1904-1993) Pianist
Witold (1905-1970) Komponist
Wanda (*1911) Schriftstellerin
ab 1913
Unterricht durch den Vater (Klavier, Violine, Cello, Musiktheorie)
25. Juni 1916
erstes öffentliches Konzert der siebenjährige Grażyna mit ihren
Brüdern Witold und Kiejstut
1919
Unterricht am Konservatorium von Prof. Helena Kijeńska
Violine bei Feliks Wiesenberg und Feliks Dzierżanowski
Klavier bei Helena Kijeńska und Anton Dobkiewicz
Kontrapunkt, Harmonie- und Formenlehre bei Kazimierz Wiłkomirski
1923
Grażynas Vater verlässt die Familie, um in seine litauische Heimat
zurückzukehren. Der Bruder Witold folgt dem Vater 1926, emigriert jedoch 1940 in die USA.
1928
Abitur im Juni und Abschluss der Musikschule
1928-1932
Studium in Warschau
Komposition bei Prof. Kazimierz Sikorski
Violine bei Prof. Józef Jarzębski
Klavier bei Prof. Józef Turczyński (abgebrochen)
Philosophie (abgebrochen)
1932
Diplome in Komposition sowie Violine und Bratsche
Konzertreise nach Litauen mit den Brüdern Witold und Kiejstut
1932/33
Paris, Studium an der „École Normale de Musique“
Kompositions- und Analysekurs bei Nadia Boulanger
Violinklasse bei André Touret
1933
1. Preis der Association „Aide aux femmes de professions liberales“ für ihr Quintett für Bläser (1932)
Festival für polnische Musik, Nizza
Chopin-Feierlichkeiten, Mallorca
Konzertreise durch Südfrankreich und Norditalien
Kurze Lehrtätigkeit am Konservatorium in Łodz (Kontrapunkt,
Harmonielehre, Violine)
1934
Mai, Konzert eigener Klavier- und Violinwerke in Warschau
1934
< Scherzo na fortepian >
Andreas Richter
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
- II -
Winter, Rückkehr nach Paris, Vorbereitung bei Carl Flesch auf den
Wieniawski-Violinwettbewerb im März 1935
1935
1. Violine im Orchesters des Polnischen Rundfunks unter der Leitung von Grzegorz Fitelberg (für zweieinhalb Jahre)
1936
Grażyna Bacewicz heiratet den Arzt und Musikliebhaber Andrzej
Biernacki
1935-1938
rege Konzerttätigkeit und Aufführungen eigener Werke u.a. Sinfonietta für Streichorchester (1935), Violinkonzert Nr.1 (1937)
1939
Frühjahr, Reise nach Paris, Aufführung ihrer Kammermusik im
„Salle de l’École Normale de Musique“
20. Juli 1939
Geburt ihrer einzigen Tochter Alina Biernacka
Rückkehr nach Warschau zwei Monate vor Kriegsausbruch
1939 -1945
trotz des Krieges schreibt Grażyna Bacewicz zahlreiche Stücke
u.a. Violinsonate (1941), Klaviersonate Nr. 2 (1942), Streichquartett Nr. 2 (1943), Ouvertüre für großes Orchester (1943)
1945
Lehrtätigkeit am Konservatorium in Łodz (Violinklasse)
1946
1. Reise nach Paris nach dem Krieg und dreimonatige Konzertreise
durch Frankreich
1949
Der Komponisten- und Musikkritikerkongress verabschiedet die
Grundprinzipien des sozialistischen Realismus. Daraus ergaben
sich massive Einschnitte in die künstlerische Freiheit der Komponisten, die sich an den aktuellen Entwicklungen der Musik im Westen orientierten.
1950
die Uraufführung sowie weitere Aufführungen des ‚Konzert für
Streichorchester’ (1948) erhielten große internationale Anerkennung
1951
1. Preis für ihr Streichquartett Nr. 4 beim „Concours International
de Composition pour Quartuor à la Cordes“ in Liège/Belgien
(Im Jahr darauf war sie Mitglied der Jury)
1952
Tod des Vaters
1954
Ein schwerer Autounfall kostet sie fast das Leben und beendet ihre
Karriere als Solistin. Sie konzentriert sich von nun an ganz auf das
Komponieren.
1956
2. Preis für ihr Streichquartett Nr. 5 (1955) beim Kompositionswettbewerb in Liège
Zwischen 1945 und 1956 entsteht mehr als die Hälfte ihrer Werke
(94 von 174 verbürgten Werken)
1956
das „Tauwetter“, das seit dem Tod Stalins 1953 in Polen Einzug
hielt führt zum Ende der stalinistischen Ausrichtung und zur Lockerung der Beschränkungen auch für Komponisten. Reisen zu den
wichtigen Festivals und Veranstaltungen der westeuropäischen
Musikszene, z.B. die Darmstädter Ferienkurse, werden möglich.
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1956
G. Bacewicz: Scherzo na fortepian (1934)
- III -
1. Internationalen Festspiele der modernen Musik in Warschau
(„Warschauer Herbst“) vom 10.-21. Oktober 1956
G. Bacewicz ist mit drei Stücken vertreten
1958
Violinsonate Nr. 2 und „Musik für Streicher, Trompeten und
Schlagzeug“ zeigen G. Bacewiczs neuen kompositorischen Weg,
der sich an aktuellen Strömungen orientiert.
„Musik für Streicher, Trompeten und Schlagzeug“ erhält 1959 den
3. Preis der „Tribune Internationale de Compositeurs UNESCO“ in
Paris. 1961 Aufführung beim WDR in Köln mit großer Resonanz.
Tod der Mutter
1960
Streichquartett Nr. 6
1963
Tod des Ehemanns
In den Jahren 1960-1965 entstehen nur rund zwei Werke pro Jahr
1965
Grażyna Bacewicz findet zu ihrer Schaffenskraft zurück und komponiert zehn umfangreiche Werke u.a. das Streichquartett Nr.7, das
Violinkonzert Nr.7, das Quintett für Streicher und Klavier Nr. 2,
das Divertimento für Streichorchester, „Kleines Tryptichon“ für
Klavier
1966
Leitung einer Kompositionsklasse an der Warschauer Musikhochschule
1967
Ernennung zur ordentlichen Professorin der Musikhochschule Warschau
1968
Konzert für Bratsche (Uraufführung Juni 1969)
Ballett Pożadąnié (unvollendet, Uraufführung posthum 1970)
1969
Grażyna Bacewicz stirbt am 17. Januar 1969
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