Von Mäusen auf Menschen – Erkenntnisse aus

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Kasuistik | Case report
309
Von Mäusen auf Menschen –
Erkenntnisse aus der Hantavirus-Epidemie 2010
Autoren
M. Loyen1 U. Helmchen2 J. Hofmann3 D.H. Krüger3 W. Clasen1
Institut
1 Klinik für Innere Medizin und Nephrologie/Dialyse, Herz-Jesu-Krankenhaus Münster-Hiltrup
2 Nierenregister am Institut für Pathologie der Universität Hamburg
3 Institut für Virologie, Helmut-Ruska-Haus, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Zusammenfassung
▼
Anamnese und klinischer Befund: Mit 2017 gemeldeten Fällen fand 2010 die bisher größte Hantavirus-Epidemie in Deutschland statt. Wir berichten
über zwei besondere Fälle, die die Bandbreite der
klinischen Manifestation der Hantavirus-Erkrankung und die Fallstricke der Diagnostik verdeutlichen sollen. Im ersten Fall eines schwer erkrankten
dialysepflichtigen 44-jährigen Patienten mit einer
ursprünglich grippalen Symptomatik und rasch eintretender Oligurie lenkte eine auswärts negativ bestimmte Hantavirus-Serologie den Fokus auf eine
rapid-progressive Glomerulonephritis, im Fall 2
stand bei einem 22-jährigen männlichen Patienten
eine schwere neurologische Symptomatik mit konvulsiven Episoden im Vordergrund.
Untersuchung, Therapie und Verlauf: Die histologische Begutachtung der Nierenbiopsie in Fall 1
ergab das klassische Bild eines tubulointerstitiellen
Schadens der Nierenrinde und des äußeren Marks
wie bei Hantavirus-Infektionen. Eine erneute virologische Untersuchung konnte dann auch im EDTAPlasma Puumalavirus-RNA als Akutmarker nachweisen. Nach mehreren Hämodialysen und einem
Steroidbolus kam es zu einer langsamen klinischen
Besserung. Im Fall 2 führte die zunächst schwere
neurologische Symptomatik zu einer umfassenden
Diagnostik einschließlich Liquorpunktion und MRT,
bevor im weiteren Verlauf durch den Nachweis spezifischer Antikörper und Puumalavirus-RNA eine
Nephropathia epidemica als Erkrankung diagnostiziert wurde. Der Patient erholte sich nach 10 Tagen.
Folgerung: Die Nephropathia epidemica kann in
seltenen Fällen aufgrund der Symptomvariabilität
und auch begleitender extrarenaler Manifestationen differenzialdiagnostische Probleme bereiten.
Aufgrund der Analogie zu anderen aggressiven renalen Erkrankungen ist eine schnelle Diagnosestellung wichtig.
Infektiologie, Nephrologie
Kasuistik | Case report
Schlüsselwörter
Hantavirus
Hämorrhagisches Fieber mit
Renalem Syndrom
Epidemie 2010
q
q
q
Keywords
Hantavirus
Hemorrhagic fever with
renal syndrome
Epidemic 2010
q
q
q
Einleitung
▼
Im Koreakrieg (1950 – 1953) erkrankten mehr als
3000 amerikanische Soldaten an einem zuvor unbekannten Krankheitsbild mit hohem Fieber, Hämorrhagien und akutem Nierenversagen. Erst 1976
wurde der Erreger, ein RNA-Virus aus der Familie
der Bunyaviridae, durch Ho Wang Lee aus Lungengewebe der koreanischen Brandmaus (Apodemus
agrarius) isoliert [11]. Der Name des Erregers leitet
sich vom Hantaan-Gang, einem innerkoreanischen
Grenzfluss ab. Die durch Hantaviren in Asien und
Europa ausgelöste Erkrankung wird als Hämorrhagisches Fieber mit Renalem Syndrom bezeichnet,
dessen leichte Verlaufsform als Nephropathia epidemica.
Mittlerweile sind mehr als 10 humanpathogene
Virustypen identifiziert, in Deutschland spielen
jedoch nur das Puumalavirus, übertragen durch
die Rötelmaus und im Norden und Osten der Ren
publik das Dobravavirus, übertragen durch die
Brandmaus, eine Rolle.
Seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes
(IfSG) 2001 werden Hantavirus-Infektionen dem
Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet. Mit 2017 gemeldeten Infektionen wurde 2010 die Epidemie
des Jahres 2007 (1687 Fälle) weit übertroffen.
Auffällig war auch die Schwere einzelner Erkrankungen. Das Institut für Virologie der Charité –
Universitätsmedizin Berlin ist als Nationales Konsiliarlabor für Hantaviren des RKI bundesweit beratende und untersuchende Institution [9].
Das Münsterland ist eines der klassischen Endemiegebiete Deutschlands. Die Durchseuchungsrate
der Bevölkerung wird in den Endemiegebieten auf
2 % geschätzt, bei Exponierten (z. B. Waldarbeitern)
sogar auf 5 %. In unserer Klinik wurden 2010 insge-
eingereicht 16.08.2011
akzeptiert 10.11.2011
Bibliografie
DOI 10.1055/s-0031-1298904
Dtsch Med Wochenschr 0
2012;
1370
0:309–313 · © Georg
Thieme Verlag KG · Stuttgart ·
New York · ISSN 0012-04721439-4 13
Korrespondenz
Dr. med. Martin Loyen
Klinik für Innere Medizin und
Nephrologie/Dialyse, Herz-JesuKrankenhaus Münster-Hiltrup
Westfalenstraße 109
48165 Münster
eMail Martin.Loyen@
hjk-muenster.de
Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! n
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From mice to men – insights from the hantavirus epidemic in 2010
Kasuistik | Case report
Tab. 1 Klinische Charakteristika der 21 Patienten mit gesicherter Hantavirus-Infektion.
Patient
Alter
Maximales
Proteinurie
(Geschlecht)
(Jahre)
Kreatinin
(g/24 h)
Dialyse
Biopsie
001 (m)
47
5,6
1,6
nein
nein
002 (m)
64
003 (m)
58
6,4
1,5
nein
nein
3,6
1,5
nein
nein
004 (m)
005 (f)
24
3,3
0,3
nein
nein
30
5,7
0,9
nein
nein
006 (f)
30
6,4
2,2
nein
nein
007 (m)
50
7,5
0,8
nein
nein
008 (f)
65
5,6
0,6
nein
nein
009 (m)
41
4,5
2,1
nein
nein
010 (m)
22
6,1
0,5
nein
nein
011 (f)
36
2,2
0,5
nein
nein
012 (f)
52
7,2
0,3
nein
ja
013 (f)
48
7,5
0,6
nein
ja
014 (m)
43
8,3
0,1
nein
nein
015 (m)
44
10,1
0,4
ja
ja
016 (f)
46
9,2
1,5
nein
ja
017 (m)
42
2,5
0,1
nein
nein
018 (m)
44
2,5
0,1
nein
ja
(mmol/l)
12
Kreatinin (mg/dl)
10
8
6
4
2
0
1
2
3
4
5
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Behandlungstag
Abb. 1 Kreatininverlauf bei Patient 1.
Tab. 2
Klinisch-chemische Befunde im Fall 1 und 2.
Fall 1
Fall 2
Normbereich
20,4
15,8
14,0–18,0
019 (m)
23
1,0
0,3
nein
nein
Hämoglobin (g/dl)
020 (f)
43
3,1
0,7
nein
nein
Hämatokrit (%)
62,5
45,9
40,0–52,0
021 (f)
54
0,8
0,4
nein
nein
Thrombozyten (10³/μl)
40
78
140–440
C-reaktives Protein (mg/dl)
6,1
13,8
<0,75
Kreatinin (mg/dl)
1,6
1,9
<1,24
Laktatdehydrogenase (IU/l)
337
315
<248
Gesamteiweiß (g/dl)
4,9
7,1
6,5–8,1
Quick (%)
62
102
70–120
U-Protein (mg/dl)
500
500
<10
U-Erythrozyten (Anzahl/μl)
10
50
<10
samt 21 Patienten mit einer serologisch nachgewiesenen Hantavirus-Erkrankung behandelt (q Tab. 1). Berichtet wird über 2 Fallbeispiele mit schwerem Verlauf. Hier wird auch auf die (i.d.R. nicht
erforderliche) bioptische Untersuchung der erkrankten Niere eingegangen.
Kasuistik 1
▼
Anamnese
Der 44-jährige Patient („015“ in q Tab. 1) klagte seit 5 Tagen über
Fieber bis 39 °C, Kopfschmerzen und eine starke Abgeschlagenheit („Sonnenstich“). Zudem hatte der Patient einen stetigen
Rückgang der Diurese bemerkt. Im Rahmen der Infektion kam es
zu einer Synkope mit kurzer Bewusstlosigkeit.
Beruflich arbeitete er im Gartenbau, 5 Tage zuvor hatte er einen
Boden in einem Gartenhaus entfernt und neu verlegt. Eine vom
Hausarzt initiierte auswärtige Hantavirus-Serologie war negativ.
Körperlicher Untersuchungsbefund
Exsikkierter 44-jähriger männlicher Patient, Körpergröße
184 cm, Gewicht 79 kg. Körpertemperatur 37,6 °C. Blutdruck
95 /60 mm Hg. Herzfrequenz 110 /min. Ausgeprägte Petechien
und Sugillationen an beiden Unterschenkeln.
Der klinische Befund entsprach einem hämodynamisch relevanten
infektiologischen Krankheitsbild mit hämorrhagischer Diathese.
Ergebnisse der klinisch-chemischen Untersuchung sind in
q Tab. 2 aufgeführt.
schen Mikroangiopathie (HUS/TTP) oder einer akuten interstitiellen Nephritis (z.B. Nephropathia epidemica). Aufgrund des raschen
Nierenfunktionsverlustes (q Abb. 1), der auswärts negativen Hantavirus-Serologie und der außerordentlich dringlichen Indikation
einer immunsuppressiven/zytotoxischen Therapie bei einer RPGN
wurde eine Nierenbiopsie durchgeführt. Eine lichtmikroskopische
Beurteilung konnte bereits nach 24 Stunden erfolgen.
In der Nierenhistologie konnte eine Glomerulonephritis, insbesondere ein nekrotisierender bzw. extrakapillärer Typ oder eine
thrombotische Mikroangiopathie, ausgeschlossen werden. Im
äußeren Mark ließen sich frische Erythrozytenextravasate in einem stärker verbreiterten ödematösen Interstitium nachweisen. Im Bereich der peritubulären Kapillaren im äußeren Mark
lagen die charakteristischen Endotheldefekte bei fehlender Positivität für CD31 und CD34 vor. Morphologisch konnte die Verdachtsdiagnose einer Nephropathia epidemica gestellt werden
(q Abb. 2).
Im Gegensatz zur auswärtig erhobenen negativen Serologie ließen sich von uns im Serum Puumalavirus-spezifische IgG-Antikörper nachweisen. Als Akutmarker wurde im EDTA-Plasma Puumalavirus-RNA nachgewiesen (Institut für Virologie, Charité –
Universitätsmedizin Berlin).
Therapie und Verlauf
Die klinische Konstellation entsprach differenzialdiagnostisch einer
rapid-progressiven Glomerulonephritis (RPGN), einer thromboti-
Nach zwei intermittierenden Hämodialysen und supportiver intensivmedizinischer Therapie kam es zu einer langsamen Besse-
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310
Kasuistik | Case report
311
rung des schweren Krankheitsbildes. Die Nierenfunktion erholte sich nur zögerlich, bei Entlassung lag die GFR bei 46 ml/min,
das Kreatinin bei 1,7 mg/dl. Nach einem insgesamt dreiwöchigen
stationären Aufenthalt wurde der Patient entlassen, eine berufliche Tätigkeit war erst nach längerer Rekonvaleszenz möglich.
Kasuistik 2
▼
Anamnese
Der 22-jährige Patient („010“ in q Tab. 1) wurde wegen seit 7
Tagen bestehender Gliederschmerzen mit im Verlauf auftretendem Fieber sowie abdominellen und Flankenschmerzen aufgenommen. Eine symptomatische Therapie mit Ibuprofen und Paracetamol hatte ambulant keine Besserung erbracht.
Körperlicher Untersuchungsbefund
22-jähriger männlicher Patient, Körpergröße 181 cm, Gewicht
71 kg, Körpertemperatur 38,1 °C, Blutdruck 170/95 mm Hg, Herzfrequenz 84 /min. Keine neurologischen Defizite. Ergebnisse der
klinisch-chemischen Untersuchung sind in q Tab. 2 aufgeführt.
te Diffusionsstörungen (q Abb. 3). Das Bild entsprach am ehesten einem posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom (PRES) als
Ausdruck einer schweren Endotheldysfunktion mit vasogenem
Ödem [6, 14]. Eine Liquorpunktion ergab keine Hinweise auf ein
bakterielles Geschehen. Durch eine antihypertensive Therapie bei
gleichzeitiger Besserung der Nierenfunktion kam es zu einer Reversibilität der auffälligen MRT-Veränderungen.
Zum Ausschluss einer thrombotischen Mikroangiopathie
(HUS/TTP) erfolgte eine Bestimmung der Fragmentozyten sowie
der Hämolyseparameter (Haptoglobinverbrauch), da aufgrund
der Konstellation eines akuten Nierenversagen mit Thrombozytopenie und neurologischer Symptomatik die thrombotische
Mikroangiopathie und eine septische Meningitis die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind.
Das Kreatinin erreichte einen Maximalwert von 6,1 mg/dl und
normalisierte sich innerhalb von 10 Tagen (q Abb. 4), eine Dialysepflichtigkeit bestand nicht.
Therapie und Verlauf
Im Serum fanden sich Puumalavirus-spezifische IgG- und IgMAntikörper. Auch bei diesem Patienten wurde im EDTA-Plasma
Puumalavirus-RNA nachgewiesen.
Laborchemisch fiel eine eingeschränkte Nierenfunktion mit einer
GFR von 46 ml/min mit begleitender Thrombozytopenie auf. Im
Urin fanden sich eine Proteinurie von 500 mg/dl und eine Mikrohämaturie. Es lag eine deutliche hypertensive Blutdrucklage vor.
Diskussion
▼
Am 6. stationären Behandlungstag kam es zu einem Grand-Mal-Anfall, eine erneute konvulsive Episode ereignete sich 4 Stunden später.
Die MRT des Kopfes in der FLAIR-Sequenz zeigte überwiegend kortikale Signalanhebungen parieto-occipital bds., temporodorsal bds.,
cerebellär bds. und im Grenzzonengebiet bifrontal sowie ausgepräg-
Die akute Hantavirus-Infektion kann schwere neurologische Komplikationen hervorrufen, wobei die neurologischen Manifestationen
auch als erste klinische Symptome auffallen können. Typisch sind
dann kognitive Defizite, Cephalgien, Sehstörungen und konvulsive
Anfälle. Zudem sind schwere hämorrhagisch-bedingte, hypophysäre
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Abb. 2 Nieren-Histologie bei Patient 1. a) Nichteitrige interstitielle Nephritis im äußeren Mark (PAS,
x 1140), b) Erythrozytenextravasat im Interstitium
des äußeren Marks (Goldner Trichrom, x 1140),
c) Endotheldefekte in peritubulären Kapillaren des
äußeren Marks (Immunhistochemie, APAAP-Methode, Nachweis für den Endothelmarker CD 31,
x 1140), d) Thrombozytenaggregate in peritubulären Kapillaren des äußeren Marks (Immunhistochemie, APAAP-Methode, Thrombozytenmarker
CD 61, x 1140).
Kasuistik | Case report
(Phäochromozytom) auch Drogenintoxikationen (Kokain) und Medikamentennebenwirkungen durch Immunsupressiva (Tacrolimus,
Cylosporin), Immunmodulatoren und Chemotherapeutika [5].
Die Nephropathia epidemica ist eine selbstlimitierende Erkrankung
mit unterschiedlichsten Verlaufsformen und einer geringen Letalität von ca. 0,1 %. Eine fortbestehende milde tubuläre Funktionsstörung und die Entwicklung einer hypertensiven Blutdrucklage ist im
Langzeitverlauf möglich [12]. Eine Steroidtherapie kann – möglicherweise durch den Einfluss auf die histologisch imponierende Endothelitis der peritubulären Kapillaren – den Krankheitsverlauf,
insbesondere die Thrombozytopeniedauer verkürzen [1], wird aber
nicht prinzipiell empfohlen. Ribavirin könnte einen positiven Einfluss auf die Krankheitsdauer von Hantavirus-Erkrankungen haben,
jedoch sind die Ergebnisse klinischer Studien widersprüchlich
[7, 13].
Abb. 3 Sagittales Bild (FLAIR-Sequenz) der MRT-Kopf-Untersuchung bei
Patient 2. Diese zeigt eine kortikale Signalanhebung (Pfeile) (Gemeinschaftspraxis Radiologie/Neuroradiologie/Nuklearmedizin Dr. H.-V. Ho
und Kollegen).
8
Kreatinin (mg/dl)
Die manchmal auftretende Begleithepatitis bei einer HantavirusErkrankung zeigt im Gegensatz zur Leptospirose nur einen mäßigen Anstieg der Transaminasen und des Bilirubins [10].
7
6
Für den betroffenen Patienten war eine rasche definitive Klärung
der Diagnose von großer Bedeutung, da RPGN und HUS/TTP klinisch wie eine Hantavirus-Erkrankung verlaufen können, therapeutisch jedoch eine umgehende intensive Behandlung (Immunsupression, Plasmapherese) erfordern. Die nierenbioptische Abklärung kann daher v.a. bei schweren Verlaufsformen helfen [4]
und innerhalb 3 bis 4 Stunden nach Eingang der Biopsie erfolgen.
5
4
3
2
1
0
Klinisch auffällig bei Patient 1 war ein schweres Krankheitsbild
mit raschem Nierenfunktionsverlust, sodass auch angesichts der
zunächst auswärts negativen Hantavirus-Serologie eine aggressive renale Grunderkrankung zu diskutieren war. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind:
1) rapid-progressive Glomerulonephritiden (RPGN),
insbesondere die Lupusnephritis
2) thrombotische Mikroangiopathien (HUS/TTP)
3) akute interstitielle Nephritiden anderer Genese und
4) Leptospirosen.
1
3
5
7
9
11
Behandlungstag
Abb. 4 Kreatininverlauf bei Patient 2.
Insuffizienzen beschrieben. Vorwiegend betroffen von schweren
neurologischen Komplikationen scheinen junge Männer zu sein [3],
was sich auch in dieser Kasuistik bestätigt. Ursache sind möglicherweise nicht allein eine Endotheldysfunktion mit vasogenem Ödem
und erhöhter Gewebspermeabilität, sondern auch die direkte Infektion des ZNS durch das Hantavirus. Die neurologisch-klinischen und
neuro-radiologischen Veränderungen waren in unserer Kasuisitik
vollständig reversibel, die Arbeitsgruppe von Kauma berichtet jedoch auch über Erkrankungen mit persistierenden neurologischen
und hypophysären Defiziten [3].
Differenzialdiagnostisch zu beachtende Ursachen der neurologischen Symptomatik sind neben der hypertensiven Enzephalopathie bei Nierenerkrankungen und endokrinologischen Krisen
Lichtmikroskopisch-typisch für die Nephropathia epidemica sind
ein diffuser proximaler Tubulusschaden mit flachen Bürstensäumen und unterschiedlich stark geschwollenem Zytoplasma sowie
aufgrund eines Kapillarwandschadens charakteristische Erythrozytenextravasate im äußeren Mark. Hinzu kommt häufig eine
nichteitrige kleinherdige Nephritis. In einer vergleichenden Studie
mit 24 Nierenbiopsaten eines slowenischen Kollektivs zeigten sich
bei einer Dobravavirus-Infektion histopathologisch schwerere
Schäden als bei einer Puumala-Infektion [2].
Warum die erste, auswärts durchgeführte Analyse der HantavirusSerologie negativ verlief, lässt sich nicht erklären, weist aber auf
eine gelegentlich auftretende Problematik bei einer raschen virologischen Analyse hin.
Für den Nachweis stehen verschiedene serologische Assays zur
Verfügung. Wie die ersten 4 INSTAND-Ringversuche zur Qualitätssicherung in Deutschland zeigen, kann man bei einer Kombination von ELISA-basierten Tests mit einem Immunblot die
Infektion zuverlässig bestätigen. Beim Antikörpertest ist eine
Differenzierung in die verschiedenen Hantavirustypen eher
schwierig. Dies liegt insbesondere an den eingesetzten Antige-
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Kasuistik | Case report
Die virale Transmission erfolgt durch Inhalation von Aerosolen,
die mit Exkrementen infizierter Mäuse kontaminiert sind [8], in
dieser Kasuistik bei der Renovierung eines Gartenhauses. Präventionsmaßnahmen sind eine Expositionsprophylaxe, eine
konsequente Schädlingsbekämpfung und im Falle einer Tätigkeit in kontaminierten staubbelasteten Bereichen das Tragen
von Atemschutzmasken.
Nach § 6 IfSG sind der Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod
meldepflichtig.
Konsequenz für Klinik und Praxis
3Die Diagnose der Hantavirus-Erkrankung bereitet i.d.R. aufgrund
der typischen Symptomatik mit abrupt einsetzendem Fieber,
Flankenschmerzen und unspezifischen grippeähnlichen Symptomen wie Kopfschmerzen und Myalgien in Verbindung mit einem
akuten Nierenversagen und Thrombozytopenie keine Probleme.
Stehen jedoch schwere enzephalitisartige neurologische Symptome im Vordergrund, ist eine Fehldiagnose möglich.
3Der differenzialdiagnostische Ausschluss einer rapid-progressiven Glomerulonephritis ist dringlich, in manchen schweren
Fällen ist dazu eine Nierenbiopsie erforderlich.
3Die Behandlung erfolgt fast ausschließlich symptomatisch, die
Prognose ist dabei gut. Dennoch können Residuen v.a. neurologischer Art verbleiben.
Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in
diesem Artikel eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein
Konkurrenzprodukt vertreibt).
Abstract
Treatment and course: Pathological examination of the renal-biopsy specimen in Case 1 reportedly showed the typical pattern of
tubulointerstitial damage in the renal cortex and the outer medulla
as in hantavirus infection. In a repeated analysis Puumala virus
RNA as a marker of acute infection was found. After dialysis and
administration of higher-dose systemic glucocorticoids the patient
slowly recovered. In Case 2 the severe neurological symptoms
caused a complete neurological diagnostic with lumbar puncture
and MRI before the detection of specific antibodies and Puumala
virus RNA showed that nephropathia epidemica was the disease.
The patient recovered after 10 days.
Conclusion: Because of the variability of symptoms and the extrarenal manifestations of the disease the nephropathia epidemica
can occasionally cause problems of differential diagnosis. A rapid
diagnosis is important because of the urgent differentiation of other renal diseases with bad prognosis.
Literatur
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Neuroradiol 2003; 13: 34–44
From mice to men – Insights from the hantavirus
epidemic in 2010
▼
History and admission findings: With 2017 notified cases the
largest hantavirus epidemic in Germany has occurred in 2010. We
report on two interesting cases illustrating the wide range of the
individual clinical course and the diagnostic problems in hantavirus disease. The first patient was a seriously ill 44-year-old man
who needed dialysis after an onset of flu-like symptoms with oliguria. An initially negative result of a hantavirus serology focused
attention on rapidly progressive glomerulonephritis. The second
patient, a 22-year-old man, presented with severe neurological
symptoms with seizures.
Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 309–313 · M. Loyen et al., Von Mäusen auf …
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nen und deren Kreuzreaktivität. Eine zuverlässigere Unterscheidung bietet häufig ein Virus-Neutralisationstest, der aber aufgrund der langen Testdauer (ca. 10 – 14 Tage) und der notwendigen hohen Sicherheitsstufe (L3-Labor erforderlich) nur vom Nationalen Konsiliarlaboratorium angeboten wird. Die einzige
Möglichkeit, sicher zwischen den einzelnen Hantavirustypen zu
unterscheiden, bietet – wie in dieser Kasuistik – nur eine Genomanalyse. Dazu müssen Proben während der virämischen Phase
untersucht werden, die oft nur wenige Tage dauert. Bei der ersten klinischen Verdachtsdiagnose ist daher häufig keine virale
RNA mehr nachweisbar. Für eine schnelle Diagnostik – insbesondere an Wochenenden – empfehlen sich für den Nachweis
von Puumalaviren auch Schnelltests. Die Ergebnisse sollten aber
in der Routinediagnostik verifiziert werden.
313
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