Kasuistik | Case report 309 Von Mäusen auf Menschen – Erkenntnisse aus der Hantavirus-Epidemie 2010 Autoren M. Loyen1 U. Helmchen2 J. Hofmann3 D.H. Krüger3 W. Clasen1 Institut 1 Klinik für Innere Medizin und Nephrologie/Dialyse, Herz-Jesu-Krankenhaus Münster-Hiltrup 2 Nierenregister am Institut für Pathologie der Universität Hamburg 3 Institut für Virologie, Helmut-Ruska-Haus, Charité – Universitätsmedizin Berlin Zusammenfassung ▼ Anamnese und klinischer Befund: Mit 2017 gemeldeten Fällen fand 2010 die bisher größte Hantavirus-Epidemie in Deutschland statt. Wir berichten über zwei besondere Fälle, die die Bandbreite der klinischen Manifestation der Hantavirus-Erkrankung und die Fallstricke der Diagnostik verdeutlichen sollen. Im ersten Fall eines schwer erkrankten dialysepflichtigen 44-jährigen Patienten mit einer ursprünglich grippalen Symptomatik und rasch eintretender Oligurie lenkte eine auswärts negativ bestimmte Hantavirus-Serologie den Fokus auf eine rapid-progressive Glomerulonephritis, im Fall 2 stand bei einem 22-jährigen männlichen Patienten eine schwere neurologische Symptomatik mit konvulsiven Episoden im Vordergrund. Untersuchung, Therapie und Verlauf: Die histologische Begutachtung der Nierenbiopsie in Fall 1 ergab das klassische Bild eines tubulointerstitiellen Schadens der Nierenrinde und des äußeren Marks wie bei Hantavirus-Infektionen. Eine erneute virologische Untersuchung konnte dann auch im EDTAPlasma Puumalavirus-RNA als Akutmarker nachweisen. Nach mehreren Hämodialysen und einem Steroidbolus kam es zu einer langsamen klinischen Besserung. Im Fall 2 führte die zunächst schwere neurologische Symptomatik zu einer umfassenden Diagnostik einschließlich Liquorpunktion und MRT, bevor im weiteren Verlauf durch den Nachweis spezifischer Antikörper und Puumalavirus-RNA eine Nephropathia epidemica als Erkrankung diagnostiziert wurde. Der Patient erholte sich nach 10 Tagen. Folgerung: Die Nephropathia epidemica kann in seltenen Fällen aufgrund der Symptomvariabilität und auch begleitender extrarenaler Manifestationen differenzialdiagnostische Probleme bereiten. Aufgrund der Analogie zu anderen aggressiven renalen Erkrankungen ist eine schnelle Diagnosestellung wichtig. Infektiologie, Nephrologie Kasuistik | Case report Schlüsselwörter Hantavirus Hämorrhagisches Fieber mit Renalem Syndrom Epidemie 2010 q q q Keywords Hantavirus Hemorrhagic fever with renal syndrome Epidemic 2010 q q q Einleitung ▼ Im Koreakrieg (1950 – 1953) erkrankten mehr als 3000 amerikanische Soldaten an einem zuvor unbekannten Krankheitsbild mit hohem Fieber, Hämorrhagien und akutem Nierenversagen. Erst 1976 wurde der Erreger, ein RNA-Virus aus der Familie der Bunyaviridae, durch Ho Wang Lee aus Lungengewebe der koreanischen Brandmaus (Apodemus agrarius) isoliert [11]. Der Name des Erregers leitet sich vom Hantaan-Gang, einem innerkoreanischen Grenzfluss ab. Die durch Hantaviren in Asien und Europa ausgelöste Erkrankung wird als Hämorrhagisches Fieber mit Renalem Syndrom bezeichnet, dessen leichte Verlaufsform als Nephropathia epidemica. Mittlerweile sind mehr als 10 humanpathogene Virustypen identifiziert, in Deutschland spielen jedoch nur das Puumalavirus, übertragen durch die Rötelmaus und im Norden und Osten der Ren publik das Dobravavirus, übertragen durch die Brandmaus, eine Rolle. Seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) 2001 werden Hantavirus-Infektionen dem Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet. Mit 2017 gemeldeten Infektionen wurde 2010 die Epidemie des Jahres 2007 (1687 Fälle) weit übertroffen. Auffällig war auch die Schwere einzelner Erkrankungen. Das Institut für Virologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist als Nationales Konsiliarlabor für Hantaviren des RKI bundesweit beratende und untersuchende Institution [9]. Das Münsterland ist eines der klassischen Endemiegebiete Deutschlands. Die Durchseuchungsrate der Bevölkerung wird in den Endemiegebieten auf 2 % geschätzt, bei Exponierten (z. B. Waldarbeitern) sogar auf 5 %. In unserer Klinik wurden 2010 insge- eingereicht 16.08.2011 akzeptiert 10.11.2011 Bibliografie DOI 10.1055/s-0031-1298904 Dtsch Med Wochenschr 0 2012; 1370 0:309–313 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Dr. med. Martin Loyen Klinik für Innere Medizin und Nephrologie/Dialyse, Herz-JesuKrankenhaus Münster-Hiltrup Westfalenstraße 109 48165 Münster eMail Martin.Loyen@ hjk-muenster.de Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! n Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. From mice to men – insights from the hantavirus epidemic in 2010 Kasuistik | Case report Tab. 1 Klinische Charakteristika der 21 Patienten mit gesicherter Hantavirus-Infektion. Patient Alter Maximales Proteinurie (Geschlecht) (Jahre) Kreatinin (g/24 h) Dialyse Biopsie 001 (m) 47 5,6 1,6 nein nein 002 (m) 64 003 (m) 58 6,4 1,5 nein nein 3,6 1,5 nein nein 004 (m) 005 (f) 24 3,3 0,3 nein nein 30 5,7 0,9 nein nein 006 (f) 30 6,4 2,2 nein nein 007 (m) 50 7,5 0,8 nein nein 008 (f) 65 5,6 0,6 nein nein 009 (m) 41 4,5 2,1 nein nein 010 (m) 22 6,1 0,5 nein nein 011 (f) 36 2,2 0,5 nein nein 012 (f) 52 7,2 0,3 nein ja 013 (f) 48 7,5 0,6 nein ja 014 (m) 43 8,3 0,1 nein nein 015 (m) 44 10,1 0,4 ja ja 016 (f) 46 9,2 1,5 nein ja 017 (m) 42 2,5 0,1 nein nein 018 (m) 44 2,5 0,1 nein ja (mmol/l) 12 Kreatinin (mg/dl) 10 8 6 4 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Behandlungstag Abb. 1 Kreatininverlauf bei Patient 1. Tab. 2 Klinisch-chemische Befunde im Fall 1 und 2. Fall 1 Fall 2 Normbereich 20,4 15,8 14,0–18,0 019 (m) 23 1,0 0,3 nein nein Hämoglobin (g/dl) 020 (f) 43 3,1 0,7 nein nein Hämatokrit (%) 62,5 45,9 40,0–52,0 021 (f) 54 0,8 0,4 nein nein Thrombozyten (10³/μl) 40 78 140–440 C-reaktives Protein (mg/dl) 6,1 13,8 <0,75 Kreatinin (mg/dl) 1,6 1,9 <1,24 Laktatdehydrogenase (IU/l) 337 315 <248 Gesamteiweiß (g/dl) 4,9 7,1 6,5–8,1 Quick (%) 62 102 70–120 U-Protein (mg/dl) 500 500 <10 U-Erythrozyten (Anzahl/μl) 10 50 <10 samt 21 Patienten mit einer serologisch nachgewiesenen Hantavirus-Erkrankung behandelt (q Tab. 1). Berichtet wird über 2 Fallbeispiele mit schwerem Verlauf. Hier wird auch auf die (i.d.R. nicht erforderliche) bioptische Untersuchung der erkrankten Niere eingegangen. Kasuistik 1 ▼ Anamnese Der 44-jährige Patient („015“ in q Tab. 1) klagte seit 5 Tagen über Fieber bis 39 °C, Kopfschmerzen und eine starke Abgeschlagenheit („Sonnenstich“). Zudem hatte der Patient einen stetigen Rückgang der Diurese bemerkt. Im Rahmen der Infektion kam es zu einer Synkope mit kurzer Bewusstlosigkeit. Beruflich arbeitete er im Gartenbau, 5 Tage zuvor hatte er einen Boden in einem Gartenhaus entfernt und neu verlegt. Eine vom Hausarzt initiierte auswärtige Hantavirus-Serologie war negativ. Körperlicher Untersuchungsbefund Exsikkierter 44-jähriger männlicher Patient, Körpergröße 184 cm, Gewicht 79 kg. Körpertemperatur 37,6 °C. Blutdruck 95 /60 mm Hg. Herzfrequenz 110 /min. Ausgeprägte Petechien und Sugillationen an beiden Unterschenkeln. Der klinische Befund entsprach einem hämodynamisch relevanten infektiologischen Krankheitsbild mit hämorrhagischer Diathese. Ergebnisse der klinisch-chemischen Untersuchung sind in q Tab. 2 aufgeführt. schen Mikroangiopathie (HUS/TTP) oder einer akuten interstitiellen Nephritis (z.B. Nephropathia epidemica). Aufgrund des raschen Nierenfunktionsverlustes (q Abb. 1), der auswärts negativen Hantavirus-Serologie und der außerordentlich dringlichen Indikation einer immunsuppressiven/zytotoxischen Therapie bei einer RPGN wurde eine Nierenbiopsie durchgeführt. Eine lichtmikroskopische Beurteilung konnte bereits nach 24 Stunden erfolgen. In der Nierenhistologie konnte eine Glomerulonephritis, insbesondere ein nekrotisierender bzw. extrakapillärer Typ oder eine thrombotische Mikroangiopathie, ausgeschlossen werden. Im äußeren Mark ließen sich frische Erythrozytenextravasate in einem stärker verbreiterten ödematösen Interstitium nachweisen. Im Bereich der peritubulären Kapillaren im äußeren Mark lagen die charakteristischen Endotheldefekte bei fehlender Positivität für CD31 und CD34 vor. Morphologisch konnte die Verdachtsdiagnose einer Nephropathia epidemica gestellt werden (q Abb. 2). Im Gegensatz zur auswärtig erhobenen negativen Serologie ließen sich von uns im Serum Puumalavirus-spezifische IgG-Antikörper nachweisen. Als Akutmarker wurde im EDTA-Plasma Puumalavirus-RNA nachgewiesen (Institut für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin). Therapie und Verlauf Die klinische Konstellation entsprach differenzialdiagnostisch einer rapid-progressiven Glomerulonephritis (RPGN), einer thromboti- Nach zwei intermittierenden Hämodialysen und supportiver intensivmedizinischer Therapie kam es zu einer langsamen Besse- Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 309–313 · M. Loyen et al., Von Mäusen auf … Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 310 Kasuistik | Case report 311 rung des schweren Krankheitsbildes. Die Nierenfunktion erholte sich nur zögerlich, bei Entlassung lag die GFR bei 46 ml/min, das Kreatinin bei 1,7 mg/dl. Nach einem insgesamt dreiwöchigen stationären Aufenthalt wurde der Patient entlassen, eine berufliche Tätigkeit war erst nach längerer Rekonvaleszenz möglich. Kasuistik 2 ▼ Anamnese Der 22-jährige Patient („010“ in q Tab. 1) wurde wegen seit 7 Tagen bestehender Gliederschmerzen mit im Verlauf auftretendem Fieber sowie abdominellen und Flankenschmerzen aufgenommen. Eine symptomatische Therapie mit Ibuprofen und Paracetamol hatte ambulant keine Besserung erbracht. Körperlicher Untersuchungsbefund 22-jähriger männlicher Patient, Körpergröße 181 cm, Gewicht 71 kg, Körpertemperatur 38,1 °C, Blutdruck 170/95 mm Hg, Herzfrequenz 84 /min. Keine neurologischen Defizite. Ergebnisse der klinisch-chemischen Untersuchung sind in q Tab. 2 aufgeführt. te Diffusionsstörungen (q Abb. 3). Das Bild entsprach am ehesten einem posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom (PRES) als Ausdruck einer schweren Endotheldysfunktion mit vasogenem Ödem [6, 14]. Eine Liquorpunktion ergab keine Hinweise auf ein bakterielles Geschehen. Durch eine antihypertensive Therapie bei gleichzeitiger Besserung der Nierenfunktion kam es zu einer Reversibilität der auffälligen MRT-Veränderungen. Zum Ausschluss einer thrombotischen Mikroangiopathie (HUS/TTP) erfolgte eine Bestimmung der Fragmentozyten sowie der Hämolyseparameter (Haptoglobinverbrauch), da aufgrund der Konstellation eines akuten Nierenversagen mit Thrombozytopenie und neurologischer Symptomatik die thrombotische Mikroangiopathie und eine septische Meningitis die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind. Das Kreatinin erreichte einen Maximalwert von 6,1 mg/dl und normalisierte sich innerhalb von 10 Tagen (q Abb. 4), eine Dialysepflichtigkeit bestand nicht. Therapie und Verlauf Im Serum fanden sich Puumalavirus-spezifische IgG- und IgMAntikörper. Auch bei diesem Patienten wurde im EDTA-Plasma Puumalavirus-RNA nachgewiesen. Laborchemisch fiel eine eingeschränkte Nierenfunktion mit einer GFR von 46 ml/min mit begleitender Thrombozytopenie auf. Im Urin fanden sich eine Proteinurie von 500 mg/dl und eine Mikrohämaturie. Es lag eine deutliche hypertensive Blutdrucklage vor. Diskussion ▼ Am 6. stationären Behandlungstag kam es zu einem Grand-Mal-Anfall, eine erneute konvulsive Episode ereignete sich 4 Stunden später. Die MRT des Kopfes in der FLAIR-Sequenz zeigte überwiegend kortikale Signalanhebungen parieto-occipital bds., temporodorsal bds., cerebellär bds. und im Grenzzonengebiet bifrontal sowie ausgepräg- Die akute Hantavirus-Infektion kann schwere neurologische Komplikationen hervorrufen, wobei die neurologischen Manifestationen auch als erste klinische Symptome auffallen können. Typisch sind dann kognitive Defizite, Cephalgien, Sehstörungen und konvulsive Anfälle. Zudem sind schwere hämorrhagisch-bedingte, hypophysäre Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 309–313 · M. Loyen et al., Von Mäusen auf … Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 2 Nieren-Histologie bei Patient 1. a) Nichteitrige interstitielle Nephritis im äußeren Mark (PAS, x 1140), b) Erythrozytenextravasat im Interstitium des äußeren Marks (Goldner Trichrom, x 1140), c) Endotheldefekte in peritubulären Kapillaren des äußeren Marks (Immunhistochemie, APAAP-Methode, Nachweis für den Endothelmarker CD 31, x 1140), d) Thrombozytenaggregate in peritubulären Kapillaren des äußeren Marks (Immunhistochemie, APAAP-Methode, Thrombozytenmarker CD 61, x 1140). Kasuistik | Case report (Phäochromozytom) auch Drogenintoxikationen (Kokain) und Medikamentennebenwirkungen durch Immunsupressiva (Tacrolimus, Cylosporin), Immunmodulatoren und Chemotherapeutika [5]. Die Nephropathia epidemica ist eine selbstlimitierende Erkrankung mit unterschiedlichsten Verlaufsformen und einer geringen Letalität von ca. 0,1 %. Eine fortbestehende milde tubuläre Funktionsstörung und die Entwicklung einer hypertensiven Blutdrucklage ist im Langzeitverlauf möglich [12]. Eine Steroidtherapie kann – möglicherweise durch den Einfluss auf die histologisch imponierende Endothelitis der peritubulären Kapillaren – den Krankheitsverlauf, insbesondere die Thrombozytopeniedauer verkürzen [1], wird aber nicht prinzipiell empfohlen. Ribavirin könnte einen positiven Einfluss auf die Krankheitsdauer von Hantavirus-Erkrankungen haben, jedoch sind die Ergebnisse klinischer Studien widersprüchlich [7, 13]. Abb. 3 Sagittales Bild (FLAIR-Sequenz) der MRT-Kopf-Untersuchung bei Patient 2. Diese zeigt eine kortikale Signalanhebung (Pfeile) (Gemeinschaftspraxis Radiologie/Neuroradiologie/Nuklearmedizin Dr. H.-V. Ho und Kollegen). 8 Kreatinin (mg/dl) Die manchmal auftretende Begleithepatitis bei einer HantavirusErkrankung zeigt im Gegensatz zur Leptospirose nur einen mäßigen Anstieg der Transaminasen und des Bilirubins [10]. 7 6 Für den betroffenen Patienten war eine rasche definitive Klärung der Diagnose von großer Bedeutung, da RPGN und HUS/TTP klinisch wie eine Hantavirus-Erkrankung verlaufen können, therapeutisch jedoch eine umgehende intensive Behandlung (Immunsupression, Plasmapherese) erfordern. Die nierenbioptische Abklärung kann daher v.a. bei schweren Verlaufsformen helfen [4] und innerhalb 3 bis 4 Stunden nach Eingang der Biopsie erfolgen. 5 4 3 2 1 0 Klinisch auffällig bei Patient 1 war ein schweres Krankheitsbild mit raschem Nierenfunktionsverlust, sodass auch angesichts der zunächst auswärts negativen Hantavirus-Serologie eine aggressive renale Grunderkrankung zu diskutieren war. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind: 1) rapid-progressive Glomerulonephritiden (RPGN), insbesondere die Lupusnephritis 2) thrombotische Mikroangiopathien (HUS/TTP) 3) akute interstitielle Nephritiden anderer Genese und 4) Leptospirosen. 1 3 5 7 9 11 Behandlungstag Abb. 4 Kreatininverlauf bei Patient 2. Insuffizienzen beschrieben. Vorwiegend betroffen von schweren neurologischen Komplikationen scheinen junge Männer zu sein [3], was sich auch in dieser Kasuistik bestätigt. Ursache sind möglicherweise nicht allein eine Endotheldysfunktion mit vasogenem Ödem und erhöhter Gewebspermeabilität, sondern auch die direkte Infektion des ZNS durch das Hantavirus. Die neurologisch-klinischen und neuro-radiologischen Veränderungen waren in unserer Kasuisitik vollständig reversibel, die Arbeitsgruppe von Kauma berichtet jedoch auch über Erkrankungen mit persistierenden neurologischen und hypophysären Defiziten [3]. Differenzialdiagnostisch zu beachtende Ursachen der neurologischen Symptomatik sind neben der hypertensiven Enzephalopathie bei Nierenerkrankungen und endokrinologischen Krisen Lichtmikroskopisch-typisch für die Nephropathia epidemica sind ein diffuser proximaler Tubulusschaden mit flachen Bürstensäumen und unterschiedlich stark geschwollenem Zytoplasma sowie aufgrund eines Kapillarwandschadens charakteristische Erythrozytenextravasate im äußeren Mark. Hinzu kommt häufig eine nichteitrige kleinherdige Nephritis. In einer vergleichenden Studie mit 24 Nierenbiopsaten eines slowenischen Kollektivs zeigten sich bei einer Dobravavirus-Infektion histopathologisch schwerere Schäden als bei einer Puumala-Infektion [2]. Warum die erste, auswärts durchgeführte Analyse der HantavirusSerologie negativ verlief, lässt sich nicht erklären, weist aber auf eine gelegentlich auftretende Problematik bei einer raschen virologischen Analyse hin. Für den Nachweis stehen verschiedene serologische Assays zur Verfügung. Wie die ersten 4 INSTAND-Ringversuche zur Qualitätssicherung in Deutschland zeigen, kann man bei einer Kombination von ELISA-basierten Tests mit einem Immunblot die Infektion zuverlässig bestätigen. Beim Antikörpertest ist eine Differenzierung in die verschiedenen Hantavirustypen eher schwierig. Dies liegt insbesondere an den eingesetzten Antige- Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 309–313 · M. Loyen et al., Von Mäusen auf … Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 312 Kasuistik | Case report Die virale Transmission erfolgt durch Inhalation von Aerosolen, die mit Exkrementen infizierter Mäuse kontaminiert sind [8], in dieser Kasuistik bei der Renovierung eines Gartenhauses. Präventionsmaßnahmen sind eine Expositionsprophylaxe, eine konsequente Schädlingsbekämpfung und im Falle einer Tätigkeit in kontaminierten staubbelasteten Bereichen das Tragen von Atemschutzmasken. Nach § 6 IfSG sind der Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod meldepflichtig. Konsequenz für Klinik und Praxis 3Die Diagnose der Hantavirus-Erkrankung bereitet i.d.R. aufgrund der typischen Symptomatik mit abrupt einsetzendem Fieber, Flankenschmerzen und unspezifischen grippeähnlichen Symptomen wie Kopfschmerzen und Myalgien in Verbindung mit einem akuten Nierenversagen und Thrombozytopenie keine Probleme. Stehen jedoch schwere enzephalitisartige neurologische Symptome im Vordergrund, ist eine Fehldiagnose möglich. 3Der differenzialdiagnostische Ausschluss einer rapid-progressiven Glomerulonephritis ist dringlich, in manchen schweren Fällen ist dazu eine Nierenbiopsie erforderlich. 3Die Behandlung erfolgt fast ausschließlich symptomatisch, die Prognose ist dabei gut. Dennoch können Residuen v.a. neurologischer Art verbleiben. Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Artikel eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt). Abstract Treatment and course: Pathological examination of the renal-biopsy specimen in Case 1 reportedly showed the typical pattern of tubulointerstitial damage in the renal cortex and the outer medulla as in hantavirus infection. In a repeated analysis Puumala virus RNA as a marker of acute infection was found. After dialysis and administration of higher-dose systemic glucocorticoids the patient slowly recovered. In Case 2 the severe neurological symptoms caused a complete neurological diagnostic with lumbar puncture and MRI before the detection of specific antibodies and Puumala virus RNA showed that nephropathia epidemica was the disease. The patient recovered after 10 days. Conclusion: Because of the variability of symptoms and the extrarenal manifestations of the disease the nephropathia epidemica can occasionally cause problems of differential diagnosis. A rapid diagnosis is important because of the urgent differentiation of other renal diseases with bad prognosis. Literatur 1 Dunst R, Mettang T, Kuhlmann U. Severe thrombocytopenia and response to corticosteroids in a case of nephropathia epidemica. Am J Kid Dis 1998; 31: 116–120 2 Ferluga F, Vizjak A. Hantavirus nephropathy. J Am Soc Nephrol 2008; 19: 1653–1658 3 Hautala T, Hautala N, Mähönen S et al. Young male patients are at elevated risk of developing serious central nervous system complications during acute Puumala hantavirus infection. BMC Infect Dis 2011; 11: 217 4 Helmchen U, Kneissler U, Velden J. Hantavirusinduzierte Nephropathia epidemica. Nephrologe 2010; 5: 501–507 5 Herberger S, Linn J, Pfefferkorn T et al. Reversibles posteriores Leukenzephalopathiesyndrom – Eine unglückliche Begriffsprägung für eine komplexe Erkrankung. Nervenarzt 2006; 77: 1218–1222 6 Hinchey J, Chaves C, Appignani B et al. Reversible posterior leukoencephalopthy Syndrome. N Engl J Med 1996; 334: 494–500 7 Jonsson CB, Hooper J, Mertz G. Treatment of hantavirus pulmonary syndrome. Antiviral Research 2008; 78: 162–169 8 Krüger DH, Schonrich G, Klempa B. Human pathogenic hantaviruses and prevention of infection. Hum Vaccin 2011; 7: 685–693 9 Krüger DH, Hofmann J, Ulrich R et al. Hantavirusinfektionen: Massiver Anstieg an Erkrankungen in Deutschland. Dtsch Arztebl 2010; 107: 31–32 10 Krüger DH, Ulrich R, Schütt M et al. Hantavirusinfektionen als Ursache des akuten Nierenversagens. Dtsch Ärztebl 2002; 10: 645–651 11 Lee HW, Lee PW, Johnson KM. Isolation of the etiologic agent of Korean hemorrhagic fever. J Infect Dis 1978; 137: 298–308 12 Mäkelä S, Ala-Houhala I, Mustonen J et al. 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An initially negative result of a hantavirus serology focused attention on rapidly progressive glomerulonephritis. The second patient, a 22-year-old man, presented with severe neurological symptoms with seizures. Dtsch Med Wochenschr 2012; 137: 309–313 · M. Loyen et al., Von Mäusen auf … Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. nen und deren Kreuzreaktivität. Eine zuverlässigere Unterscheidung bietet häufig ein Virus-Neutralisationstest, der aber aufgrund der langen Testdauer (ca. 10 – 14 Tage) und der notwendigen hohen Sicherheitsstufe (L3-Labor erforderlich) nur vom Nationalen Konsiliarlaboratorium angeboten wird. Die einzige Möglichkeit, sicher zwischen den einzelnen Hantavirustypen zu unterscheiden, bietet – wie in dieser Kasuistik – nur eine Genomanalyse. Dazu müssen Proben während der virämischen Phase untersucht werden, die oft nur wenige Tage dauert. Bei der ersten klinischen Verdachtsdiagnose ist daher häufig keine virale RNA mehr nachweisbar. Für eine schnelle Diagnostik – insbesondere an Wochenenden – empfehlen sich für den Nachweis von Puumalaviren auch Schnelltests. Die Ergebnisse sollten aber in der Routinediagnostik verifiziert werden. 313