––––––– büro für umweltchemie –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Report Energiefachbuch 2005 Ein Blick zurück nach vorn Hauswarte, Verwalter, Besitzer und Nutzer erzählen die Geschichte von Gebäuden, die anfangs der Neunzigerjahre als ökologisch und energetisch vorbildlich galten. Die Betroffenen blicken zurück auf ihre Erfahrungen mit einem Schulhaus, einer Wohnsiedlung, einem Bürogebäude und einem Mehrfamilienhaus. Aus der Gegenüberstellung der vier Gebäudebiographien mit den damaligen Absichten und Zielsetzungen ergeben sich sozusagen empirische Beiträge zur Nachhaltigkeitsdiskussion. „Nachhalten“ hat auch immer etwas mit Dauerhaftigkeit und Beständigkeit zu tun. Diese lässt sich letzten Endes nur im nachhinein objektiv überprüfen. Nun präsentiert das Energiefachbuch seit 22 Jahren eine Anzahl konkreter Gebäude, die das repräsentieren was man als „Stand der Technik“ des nachhaltigen Bauens bezeichnen kann. Sie setzen Massstäbe, sind richtungsweisend und Vorbild für manch andere Projekte. Das ist auch in diesem Jahr nicht anders. Doch für einmal soll auch der Blick zurück gewagt werden. Hat sich auch längerfristig bewährt, was sich die Pioniere Ende der Achtzigerjahre ausgedacht haben? Sind die Gebäude auch auf die Dauer intensiv genutzt, ressourceschionend und beständig? Vier vorbildliche Gebäude aus den Jahren 1990 bis 1994 wurden biographisch aufgearbeitet. Es kommen Personen zu Wort, die in diesen Gebäuden wohnen, diese verwalten oder unterhalten müssen. Ihre persönliche Erfahrungen und Einschätzungen sollen den Blick für die Zukunft schärfen. ––––––– Ueli Kasser ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Gemeindestrasse 62 • CH-8032 Zürich • [email protected] 0041 1 252 32 03 • 0041 79 210 69 67 (Mobile) ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Primarschule Chräzeren-Hof St.Gallen Bild 1 Bild 2 . 1990 Heute Der Pausenhof 1990 mit den Zu- und Abluftschächten für die Lüftung von Klassenzimmer und Turnhalle. Der Neubau war auf eine langfristige ökologische Nutzung mit minimalem Primärenergieverbrauch und guter Raumluftqualität ausgelegt. Der bekieste Pausenplatz 2004 mit Wildkräutern bewachsen und einer ergrauten Holzstülpschalung, die sich wie vieles andere an diesem Schulbeispiel ökologischen Bauens bewährt hat. Architektur: Benz und Engeler Architekten BSA/SIA, St.Gallen Gebäudehülle Massivbau mit Holzstülpschalung gegen Norden und unbehandelte Sperrholzplatten (mit Vordach) gegen Süden Die Holzfassade ist in einwandfreiem Zustand und muss in absehbarer Zeit nicht renoviert oder saniert werden. Extensiv begrüntes Flachdach. Dank jährlichen Kontrollen des Flachdachs konnten mangelhafte Spenglerarbeiten rechtzeitig repariert und tiefwurzelnde Pflanzen vom Gärtner entfernt werden. Innenausbau Rote Steinholzböden in den Erschliessungszonen Der Steinholzboden erweist sich dank seiner natürlichen Patina als sehr unterhaltsfreundlich, ist jedoch ästhetisch wegen den vielen kleinen Schwindrissen umstritten. Buchenparkett mit Wassersiegel in den Klassenzimmern Der Parkettboden hat sich dank Finkenbetrieb gut gehalten und musste bisher nie neu versiegelt werden. Korklinoleumboden in der Turnhalle Der Turnhalleboden war der Beanspruchung (Verletzung durch Geräte) nicht gewachsen und wurde nach 13 Jahren durch einen Sportlinolbelag ersetzt. Energieerzeugung Totalenergiemodul Totem kombiniert mit einem konventionellen Gasheizkessel und einem 4m3 Wasserwärmespeicher Die Analge funktioniert so wie sie damals ausgelegt wurde, erforderte jedoch eine längere Phase der Einregulierung und ist vergleichsweise unterhaltsintensiv. Der Nutzen des Wasserspeichers ist umstritten, der -2- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Energiespareffekt nicht nachweisen. Energiekennzahlen Planwerte 1990 EBF0 2250 m2 Erfahrungswerte der letzten Jahre EBF 3005 m2 (EBF0)* 210 MJ/m2 a Heizen Lüften und Warmwasser 195 MJ/m2 a ( 260) 50 MJ/m2 a Elektrizität 45 MJ/m2 a (60) Lüftung Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung und Luft-Wasser-Wärmepumpe Die Lüftung funktioniert ohne Probleme, das Leitungssystem musste bisher noch nie gereinigt werden, die Energieeinsparung beträgt schätzungsweise 40 MJ/m2 und Jahr Wirtschaftlichkeit Mehrinvestitionen von Fr. 175'000.– ( ca. 2 % der Anlagekosten) für Totem-Wärmepumpenanlage und Komfortlüftung in den Klassenzimmern. Auf der monetären Ebene lassen sich die Investitionen nicht amortisieren. Umweltnutzen und gutes Raumluftklima stehen im Vordergrund. * Im Gegensatz zu heute rechnete man damals mit der nicht höhenkorrigierten Energiebezugsfläche EBF0 Schule als Schulbeispiel Die Schule sollte Schule machen dachte man sich auf dem Städtischen Hochbauamt St.Gallen als man Mitte der Achtzigerjahre das Primarschulhaus Chräzerenhof plante. Ein kleines Blockheizkraftwerk, das Totem (Total Energie Modul) der Fa. Saurer sollte sowohl Wärme wie Elektrische Energie produzieren. Die Totems wurden als ein möglicher Weg in eine atomkraftwerkfreie Zukunft propagiert. Für kältere Tage brauchte es einen zusätzlichen konventionellen Heizkessel. Eine Komfortlüftung der Schulzimmer wurde unter dem Aspekt der Wärmeverlustminimierung gebaut und war für damalige Zeiten aussergewöhnlich. Die Wärme der lernenden Kinder wird über die Abluft im Wärmetauscher wieder der Zuluft zugeführt. Nach dem Wärmetauscher entnimmt eine Luft-Wasser-Wärmepumpe der Abluft die restliche Energie und speist sie in den Warmwasserkreislauf ein. Damit überschüssige Wärme auch gespeichert werden kann, steht im Technikraum ein 4 m3 grosser Wasserspeicher. Doch Energie sollte nur ein Aspekt des vorbildlichen Primarschulhauses sein. Die Gebäudehülle und die Materialien im Innern wurden nach ökologische Gesichtspunkten realisiert. Das Buchenholzparkett wurde mit den damals noch umstrittenen Siegel auf Wasserbasis beschichtet, in den Korridoren plante man einen rötlichen, fusswarmen Steinholzboden, der aus einem mineralischem Bindemittel, Eisenpigmenten und Sägemehl besteht. Seine Herstellung ist besonders ressourcenschonend. Die massiven Aussenwände mit Dämmstärken von 14 cm wurden mit Holzwerkstoffen verkleidet, das Flachdach extensiv begrünt und die Umgebung naturnah gestaltet. 1990 wurde das Vorzeigeobjekt den Lehrern und Schülerinnen übergeben. Lieber Lüftung als Lift 14 Jahre später ist das Schulhaus fast unverändert. Abgesehen von der grau gewordenen Holzschalung hat sich weder an der Bauhülle noch an der Technik viel verändert. Beat Bigler vom Hochbauamt der Stadt St.Gallen ist zufrieden. Vor allem die gute Raumluftqualität wird von der -3- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Lehrerschaft geschätzt. Allerdings braucht es zu Beginn der Heizsaison immer noch eine Überwindung, die Fenster geschlossen zu lassen. Es ist mehr eine emotionale Angelegenheit. Bei der kühlen Aussenluft hat man einfach mehr das Gefühl von Frische, sagt der Hauswart Walter Frei. Eine Lehrerin, die seit 14 Jahren im Chräzerenhof Schule gibt, sagt ohne Begeisterung, man habe sich nun einfach daran gewöhnt. Aus Kostengründen vor die Wahl gestellt, im Erweiterungsbau 1994 entweder eine Lüftung oder einen Lift zu bauen, hat sich die Mehrheit der Lehrerschaft für die Lüftung entschieden. Schlussendlich wurde aus Gründen der Behindertengerechtigkeit der Lift ebenfalls gebaut. Kies gegen Asphalt Walter Frei, seit 14 Jahren Hauswart im Schulhaus verfügt über eine breite Erfahrung im Umgang mit ökologischen Materialien und Massnahmen. Er wird schon fast philosophisch, wenn er diese zusammenfassen soll. Überall gebe es Probleme die einen Mehraufwand für den Hauswart verursachen. Die Frage sei nur, ob man stets dagegen kämpft, oder die Probleme anpackt. Es sei in einem ökologischen Schulhaus auch besonders wichtig, dass man mit Lehrern, Besuchern und Eltern spricht. Er habe sich nicht verstecken wollen, weil auf dem bekiesten Pausenplatz halt immer Wildkräuter wachsen und das Kies nicht immer nur dort liegen bleibt wo es hingehört. Eine asphaltierte Umgebung sei einfacher sauber zu halten und verursache weniger Schäden auf dem Belägen im Innern des Schulhauses. Doch die Kinder hätten auf dem Kiesplatz mehr Spass. Der engagierte Hauswart ist überzeugt, dass diese naturnahe Umgebung einen positiven Effekt auf die Atmosphäre der Schülerinnen und Schüler habe. Bild 3 Walter Frei, Hauswart im Chäzeren-Hof-Schulhaus: „ Eine naturnahe Umgebung ist für die Atmosphäre unter den Schülern und Lehrern gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig“ Portrait Walter Frei Kontroverse Steinholzböden Die rötlich eingefärbten Steinholzböden in den Korridoren haben sich im grossen und ganzen bewährt. Man müsse allerdings die Patina und das wolkige Erscheinungsbild akzeptieren. Die Reinigung ist einfach, weil die Böden keine Grundreinigung und Beschichtung erfordern. Unbefriedigend für das ästhetische Empfindungen eines Hauswart sind nach Frei die vielen kleineren und grösseren Schwindrisse, die nach seiner Ansicht auf eine mangelhafte Ausführung zurückzuführen sind. Im Untergeschoss musste man deswegen die Steinholzböden vor einem Jahr mit einem Zweikomponenten-Kunstharzfliessestrich überdecken. Gute Erfahrungen hat Walter Frei mit dem Buchenparkett in den Klassenzimmern gemacht. Er wurde vor vierzehn Jahren mit den damals noch neuen Wassersiegel beschichtet. Die Oberfläche hat dank Finkenbetrieb und entsprechender Pflege 14 Jahre gehalten. -4- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Zu viele Systeme Das Energieproduktionssystem funktioniert so, wie es seiner Zeit ausgelegt wurde. Das komplizierte System erfordert jedoch stets ein waches Auge. Walter Frei hat viele Stunden im Technikraum verbracht, bis er das System verstanden und im Griff gehabt habe. Nun könne er bei jedem Ausfall eines Teilsystems richtig reagieren. Der Energieverbrauch liegt sowohl bei Heizung und Warmwasser wie auch bei der Elektrizität etwa 20 % über den Planwerten (vgl. Übersicht). Verglichen mit dem heutigen Minergiestandard (gewichtete Energieträger) braucht das 14-jährige Schulhaus etwa 30 % mehr Energie . Bei der Elektrizität wird der SIA-Grenzwert 380/4 um 50 % überschritten. Dies ist wohl das Ergebnis einer intensivierten Nutzung (Mittagstisch) und der Technisierung des Unterrichts. Bild 4 Trotz guter Zugänglichkeit der Zu- und Abluftstutzen auf dem Pausenhof im Chräzerenhof-Schulhaus, musste das Lüftungssystem in den letzten 14 Jahren noch nie gereinigt werden. Als Umweltnutzen und Raumluftqualität verbuchen Dass sich die Mehrinvestitionen finanziell nicht auszahlen werden, hatte man von Anfang an geahnt. Auch bei deutlich höheren Energiepreisen müssten sie unter Umweltnutzen und Raumluftqualität verbucht werden. Hanspeter Bohren vom Hochbauamt der Stadt St.Gallen, seit 14 Jahren für die Haustechnik des Schulhauses verantwortlich, schätzt dass die jährliche Wartung der drei Produktionssysteme und der Lüftung rund fünf Mal teurer zu stehen kommt, als wenn man nur einen Gasheizkessel warten müsste. Zudem zeichnet sich bereits ab, dass das Totem wohl kaum über das Jahr 2010 wirtschaftlich zu betreiben ist und für diese relativ kurze Nutzungszeit viel zu kurze Betriebszeiten aufweist (2200 Std. pro Jahr). Auch der Nutzen des 4 m3 grossen Wasserspeichers ist umstritten und lässt sich kaum quantifizieren. Heute würde man nach Meinung von Hanspeter Bohren wohl eher eine Holzschnitzelfeuerung zur Wärmeerzeugung installieren. Drei verschiedene parallele System seien unter dem Aspekt des Unterhalts, der unterschiedlichen Nutzungsdauer und der Störanfälligkeit einfach zu viel. -5- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Wohnbausiedlung „Im Niederholzboden“ in Riehen bei Basel Bild 5 Bild 6 1994 Heute Die Genossenschaft Wohnstadt hatte ambitiöse Ziele: Gute Architektur und preisgünstige Wohnungen sollten mit Selbstverwaltung und Ökologie verbunden werden. Architektur: Metron Architekturbüro Brugg Thomas Fries, Bewohner der Siedlung Niederholzboden seit Beginn und seit zwei Jahren verantwortlich für die Wartung der Gebäudetechnik „ Die Siedlung ist fast optimal, vielleicht könnte man ein paar Details anders machen, aber das hätte vermutlich wiederum andere Nachteile“ Gebäudehülle Extensiv begrüntes Flachdach, hinterlüftet und mit Zellulosefasern gedämmt (Kaltdach) Im Dach haben die regelmässigen Kontrollen bis heute keine Schäden ergeben. Aussenwände aus KS mit 16 cm Glaswolle gedämmt und einer farbig lasierten, hinterlüfteten Dreischichtplatte verkleidet. Die Dreischichtplatten sind dank dem grossen Vordach als Witterungsschutz auf der Ostseite fast wie neu, auf der Westseite etwas stärker verwittert.. Innenausbau Eichenparkett mit einem Wasserlack versiegelt in allen Zimmer und Diele Keramikplatten in Küche und Nasszellen Der Weissputz an Wänden mit Naturharzdispersion gestrichen Das einfache Materialkonzept hat sich bewährt. Bei Wohnungswechsel kann nach Bedarf das Eichenparkett geschliffen und neu geölt werden. Der Weissputz ist beschädigungsanfällig, weil er wahrscheinlich verarbeitungsbedingt zu weich ist. Energieerzeugung Konventioneller Gasheizkessel, Radiatoren im hinteren Teil der Zimmer Erfahrungswerte gemessen 1994/95, heizgradtagbereinigt: Energiekennzahl Planwerte 72 – 108 MJ/m2 a für Heizen Geschosswohnungen: 100 + 85 MJ/m2 (Heizen + Warmwasser) Durchschnitt gesamte Siedlung* 150 + 85 MJ/m2 (Heizen + Warmwasser) Lüftungsanlage Wohnungseigene Lüftungsgeräte mit Wärmerückgewinnung und Vorkonditionierung über erdverlegte Zuluftschächte, Zulufteinlass über den Heizkörpern, Abluft in Bad/WC und Küche, Die Qualität der Raumluft wird geschätzt, die Lüftungsanlage funktioniert im grossen und ganzen, auch wenn immer wieder Probleme auftauchen. Sie ist wartungsintensiv (34 -6- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Individuelle Regulierung über drei Stufen. Monoblockeinheiten!) und die periodische Reinigung kostenintensiv. Wirtschaftlichkeit Mehrinvestitionen von Fr. 16'500.– für die gesamte Lüftungsanlage pro Wohnung. Auf der monetären Ebene lassen sich die Investitionen nicht amortisieren. Der Unterhalt der Anlage ist etwa gleich gross wie die Einsparung von Energiekosten. Umweltnutzen (CO2 Reduktion), Reduktion von Bauschäden und verbessertes Raumklima stehen im Vordergrund. * Der Kopfbau mit 12 Kleinwohnungen für Behinderte hat keine Komfortlüftung, die 4 Reiheneinfamilienhäuser haben einen erhöhten Energiebedarf. Ziele erreicht Günstig, schön und sparsam waren die Zielvorgaben der Baugenossenschaft Wohnstadt, die das Grundstück im Baurecht erworben und die Siedlung bei den Metron Architekten in Brugg in Auftrag gegeben hat. Die Siedlung sollte zum Vorzeigeobjekt von DIANE werden, einem Bundesprogramm im Rahmen von Energie 2000, das der innovativen Anwendung von neuen Energietechniken zum Durchbruch verhelfen sollte. Heute, nachdem das 10-jährige Bestehen gefeiert wurde sieht die Bilanz sehr positiv aus. Das erste grössere Wohnbauprojekt in der Schweiz mit einer kontrollierten Wohnungslüftung hat den „Praxistauglichkeitstest“ gut bestanden. Etwa die Hälfte der Erstbewohner leben noch immer in der Siedlung. Die Siedlung wird intensiv genutzt. In den 30 Wohnungen und 4 Reiheneinfamilienhäusern leben zwischen 50 bis 60 Kinder. Der effektive Energieverbrauch entspricht den Planungswerten und erreicht zumindest in den Geschosswohnungen mit Komfortlüftungen annähernd den heutigen Minergiestandard. Die Lüftungsanlagen funktionieren im wesentlichen gut, wenn auch mit erheblichem Unterhaltsaufwand. Architektur, Gebäudehülle und Materialkonzept haben sich bewährt. Bild 7 Die farbig lasierten Dreischichtplatten an der Westfassade 1994 (links) und nach 10 Jahren (rechts) : trotz ausreichendem Vordach sind die Folgen der UV-Strahlung und Verwitterung erkennbar. In den nächsten Jahren ist eine sanfte Erneuerung des Anstrichs nötig. Faktor Neun für Benutzerverhalten Dass Komfortlüftungen in Wohnungen während der Heizperiode ein anderes Benutzerverhalten verlangen, ist allgemein bekannt. Dem wurde zumindest am Anfang zu wenig Rechnung getragen. Die neuen Mieter waren zuwenig informiert. Eine Erfolgskontrolle in der ersten Heizperiode ergabt -7- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– nutzungsbedingte Unterschiede im Heizenergieverbrauch von einem Faktor neun. Die Information wurde inzwischen verbessert. Ein Prospekt gibt u.a. Tipps zum energiesparenden Heizen und Lüften. Zur Sensibilisierung wurde eine transparente, verbrauchsabhängige Heizkostenabrechnung an alle Mieter verteilt. Die Mieter konnten so ihren eigenen Verbrauch am Durchschnitt und den Extremwerten aller Geschosswohnungen messen. Doch das hat wenig bis nichts gebracht. Thomas Fries, Verantwortlich für die Wartung der technischen Anlagen führt dies weitgehend auf das unterschiedliche Fensterlüften zurück. Offensichtlich sind angestammte Gewohnheiten kaum beeinflussbar. Bild 8 Ostfassade mit Zuluftschacht: die mechanische Bedarfslüftung im Wohnungsbau ist vergleichsweise unterhaltsintensiv und gibt auch nach 10 Jahren noch zu Diskussionen Anlass. Teurer Lüftungsservice Dass sich die energiesparende Bauweise günstig auf die Nebenkosten auswirken sollten war eine Illusion. Die Heizkosten sind zwar mit durchschnittlichen Fr. 17.– pro Monat für eine warme 4-ZiWohnung sehr niedrig. Dazu kommen jedoch beispielsweise gleichviel für den Unterhalt und Betrieb der Lüftung, Fr. 24.– für Warmwasser, Fr 32.– für Wasser/Abwasser usw. Mit Fr. 200.– pro Monat und Wohnung sind die gesamten Nebenkosten nicht günstiger als anderswo. Für die kürzlich erfolgte, erstmalige Reinigung aller Lüftungsleitungen in der Siedlung bezahlte die Genossenschaft Fr. 25'000.–. Besonders die Abluftleitungen waren stark verschmutzt. Die Abluftfilter müssen in der Regel zweimal jährlich gewechselt werden und der Ausfall von technischen Komponenten nimmt langsam zu. Thomas Fries sieht ein weiteres Problem auf die Siedlung zukommen. Für die 34 Monoblockeinheiten in der Siedlung mit je zwei Ventilatoren, zwei Filtern, dem Wärmetauscher und der Regeltechnik ist das Ende der Nutzungsdauer absehbar. Ersatzteile sind zunehmend schwieriger zu beschaffen, da die Herstellerfirma nicht mehr existiert. Heizen durch Lüften ? Thomas Fries als Pionierbewohner und kompetenter Beobachter des Gebäudes würde kaum etwas ändern, wenn er die Möglichkeit hätte. Der Wohnungsgrundriss sei sehr gut, das Mitsprache- und Partizipationsmodell funktioniere und die Stimmung im Hause gut. Allerdings brauche es immer Mieter, die am Gemeinschaftsleben interessiert und für die Ökologie sensibilisiert seien. Das sei vielleicht in Zukunft, angesichts der gestiegenen Mietpreise nicht mehr in dem Masse gewährleistet wie in der Anfangsphase. Bei der Technik würde Thomas Fries die Möglichkeit prüfen, ob sich Lüftung und Heizung nicht kombinieren liessen. Es wäre doch ein grosser Vorteil wenn man durch Vorwärmen der Luft und eine geschickte Verteilung in der Wohnung auf Heizkessel und Radiatoren verzichten könnte. Auch Andreas Herbster, -8- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Geschäftsführer der Baugenossenschaft Wohnstadt zieht eine positive Bilanz: „Wir haben Freude an diesem Haus, es ist ein erfolgreiches, innovatives Projekt“. -9- ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Büroneubau Tenum, Zentrum mit Infrastrukturen und Dienstleistungen in Liestal Bild 9 Bild 10 1991 Heute Das energie- und umweltbewusste Bürogebäude von 1991 sollte auch einen Beitrag zur Humanisierung der Arbeitsplätze leisten Die Solartankstelle wird kaum mehr benutzt, von der ambitiösen Technik zur rationellen Energienutzung ist einiges verschwunden. Architektur: IEU artevetro ag, Liestal Gebäudehülle Vorfabriziertes Sandwichelement aus Holz und Gipswerkstoffen mit Zellulosedämmung, teils mit Holzschalung und teils mit zementgebundenen Holzwerkstoffplatten verkleidet Fichtenholzfenster imprägniert mit drei verschiedenen Wärmeschutzglastypen Die Konstruktionen haben sich bis heute mehrheitlich bewährt. Die Holzflächen sind je nach Orientierung der Fassade unterschiedlich verwittert Die Holzfenster auf der Westseite sind stark verwittert und verzogen. Heute würde man dort Holz-/Alufenster montieren. Stoffstoren, Fluchtbalkone und Blenden aus Glaslaminaten mit Fotovoltaikzellen als Sonnenschutz In den meisten Büros sind innen zusätzliche Blendschutzvorrichtungen angebracht worden. Innenausbau KS-Wände, Betonstützen und Betondecken sind meist roh, Trennwände aus Gipsständerkonstruktionen gestrichen. In den Erschliessungszonen und in den Büro ist der Boden mit graublau marmorierten Linoleum belegt. Die Oberflächen sind in guten Zustand. ästhetisch ansprechend und unterhaltsarm. Der Linolbelag in den Erschliessungszonen wurde erst kürzlich einer Grundreinigung und Neubeschichtung unterzogen. Den Mietern kann man allerdings nicht verwehren, den Innenausbau individuell zu gestalten und beispielsweise Laminate auf den Linoleumbelag zu verlegen. Energieerzeugung Grünschnitzelfeuerung mit Rauchgaskondensator (ein Prototyp) Der Rauchgaskondensator war vor allem Experimentierfeld für die Ingenieure und Hersteller. Der Reparatur- und Unterhaltsaufwand wurde so gross, dass die Anlage vor 5 Jahren ausgebaut wurde. 80 m2 Photovoltaik an den Südost und – Südwest-Fassaden als Glas-Laminatblenden 9000 kWh pro Jahr für die Solartankstelle Die Photovoltaikanalge produzierte 1993 5000 kWh pro Jahr und wird heute von der Elektra Baselland EBL betrieben und unterhalten. Die - 10 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Solartankstelle wird nur noch sehr selten genutzt. 8 m2 Sonnenkollektoren 3200 kWh pro Jahr für Warmwasserbedarf der Hauswartwohnung und Reinigung, dezentrale 15 Liter Warmwasserboiler elektrisch Die Warmwasserkollektoranlage funktioniert gut und das dezentrale Konzept hat sich bewährt, die meisten Boiler sind ausgeschaltet. Energiekennzahl Planwerte 150 MJ/m2 a Heizen 100 MJ/m2 a Elektrisch Erfahrungswerte gemessen 1992 – 94* 125 MJ/m2 a Heizen 80 MJ/m2 a Elektrisch Wegen der Stillegung der Lüftungsanlage und dem Ausbau des Rauchgaskondensators dürften die Werte heute deutlich höher liegen. Die Wärme wird heute im Contracting von der Elektra Baselland EBL bezogen, ein Controlling wird nicht mehr durchgeführt. Lüftungsanlage Komfortlüftung nach dem Quelllüftungssystem mit niedrigem Luftwechsel und Wärmerückgewinnung (Rotationswärmetauscher), Luft-LuftWärmepumpe Die zentrale Lüftungsanlage wurde vor drei Jahren stillgelegt, sie war nicht ausgelegt für die häufig wechselnden Büroraumunterteilungen, verursachte immer wieder Neuinstallationen und Neuregulierungen, Geruchsübertragungen und hat auch bei stärkeren Windlagen nicht funktioniert. Die Wärmepumpe war eine Fehlplanung und hat nie funktioniert. Regenwassernutzung Einsparung 500 m3 Trinkwasser pro Jahr für die Effektive Einsparung 1993 360 m3 (1993), die WC-Spülung Anlage funktioniert gut, erfordert wenig Unterhalt, es wird keine Erfolgskontrolle mehr durchgeführt. Wirtschaftlichkeit Die Mehrinvestitionen für besonders energiesparende Massnahmen betrugen inkl. Planung etwa 500'000.–, (ca. 4,1 % der Anlagekosten) ohne Lüftungsanlage, davon 270'000.– für Photovoltaik und 90'000.– für die Kondensationsanlage Die jährlichen Einsparungen an Energiekosten betrugen 1992 -94 etwa Fr. 8'000.–. Der Unterhaltsaufwand ist im Vergleich zu konventionellen Systemen hoch und in der Bilanz nicht berücksichtigt. Die Investitionen mussten als Lehrgeld abgeschrieben werden. Besonders teuer war die Wärme aus der Kondensationsanlage und sind der Strom aus Photovoltaik. * Wegen unterschiedlicher Werte für die Energiebezugsfläche während Planungsphase und Erfolgskontrolle sind die Werte nur begrenzt miteinander vergleichbar. Konzentrierte Kompetenz - 11 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Etwa 40 Firmen, von denen viele im Bereich der Planung und Ausführung von Energie- und Umwelttechnik tätig sind, haben ihren Sitz im Bürogebäude Tenum im Industrie Quartier Grammet, am südlichen Stadtrand von Liestal. Sie sind Mieter und teilweise auch Miteigentümer des 1991 als energetisch und ökologisch vorbildlich erstellten Musterbaus. Man wollte damals die vereinigte Kompetenz und das Beratungsknow-how der Initianten nutzen und die Technik der rationellen Energienutzung und des ökologischen Bauens eins zu eins am eigenen Gebäude umsetzen. Entstanden ist ein fünfgeschossiges Bürogebäude in gemischter Bauweise mit einem Raumangebot für 120 bis 150 Arbeitsplätzen und gemeinsamer Infrastruktur. Viel Technik, viel Holz Die Betondecken werden durch Stützen getragen, der kompakte Gebäudekörper ist mit vorfabrizierten Sandwich-Elementen eingekleidet. Die Fassadenflächen bestehen zu 55 % aus Holzfenstern und sind je nach Orientierung funktionell unterschiedlich gestaltet. Im Südosten sind Laminatgläser mit Photovoltaik gleichzeitig Blendschutz, Witterungsschutz und Brandabschottung der hinterlüfteten Holzschalung. Im Nordosten übernehmen die Laubengänge aus einer StahlHolz-Konstruktionen diese Funktion und sind gleichzeitig Fluchtwege. Die anderen Fassaden sind mit zementgebundenen Spanplatten verkleidet und durch Stoffstoren geschützt. Hinter dieser variantenreichen Fassade versteckt sich ein Haufen Technik: Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung und Wärmepumpe, Grünschnitzelfeuerung mit Prototyp einer Rauchgaskondensationsanlage, eine Regenwassersammlungsanlage für WC-Spülung, Flachkollektoren für Warmwasser, ein dreistufiges Beleuchtungskonzept und energiesparende Aufzüge. Viel Technik mit Pilot- und Pionier- und Prototypcharakter. Bild 11 Der Innenhof mit der Cafeteria als Platz für Gedankenaustausch und Ideenentwicklung unter den 40 Firmen ist das Herzstück des Tenum geblieben. Energieverbauch ist kein Thema mehr Die Energiekennzahl lag aufgrund der Messwerte im zweiten und dritten Betriebsjahr deutlich unter dem Minergiestandard. Das erstaunte, da die Gebäudehülle mit einem durchschnittlichen U-Wert von 0,6 relativ schlecht gedämmt ist. Man konnte sich diese, durch eine seriöse Erfolgskontrolle bestätigte Tatsache nur mit zwei Faktoren erklären: die Sonnenenergie und die internen „Gewinne“ wurden in diesem kompakten Gebäude optimal genutzt und das Benutzerverhalten der meist im Energie oder Umweltbereich tätigen Firmen war vorbildlich. Doch das ist heute, im dreizehnten Betriebsjahr nicht mehr aktuell. Bild 12 Hans Jörg Luchsinger Mitinitiant, Miteigentümer und Mitbenutzer des Bürogebäude Tenum, „Die - 12 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Flexibilität in unserem Bürogebäude ist extrem wichtig, ich würde heute die ganze Technik, dezentralisieren und möglichst autonome Arbeitsplätze schaffen. Nur die einfachen Systeme haben sich bewährt“ Zurückbuchstabieren Hans Jörg Luchsinger, Mitinitiant und Nutzer des Gebäudes erläutert die verschiedenen Gründe, weshalb heute das Gebäude ohne Lüftungsanlage und Rauchgaskondensator betrieben wird, und man sich um die Energiebilanz des Vorzeigeobjektes, das bis weit über die Grenzen hinaus Beachtung fand, nicht mehr kümmern mag. Die Hauptursache ist in der fehlenden Flexibilität zentraler und komplizierter Technik zu suchen. In den 13 Jahren habe er anhand der eigenen Firma erfahren, wie schnell die Bedürfnisses wechseln. Die eine Firma expandiert, die andere verkleinert, jene wollen Grossraumbüros, diese bevorzugen Einzelräume. Ein Bürogebäude mit einem Potential von 130 Arbeitsplätzen müsse heute ausserordentlich flexibel sein. Das habe man in der Planung teilweise unterschätzt. Dank dem Stützenraster seien zwar die baulichen Anpassungen verhältnismässig einfach, Technik und Vernetzung jedoch viel zu wenig flexibel. Lüftungsanlage stillgelegt, Kondensationsanlage demontiert Bei jeder baulichen Veränderung der Bürotrennwände habe man die Leitung und die Steuerung der Lüftung den neuen Verhältnissen anpassen müssen. Geruchsübertragungen und Zugserscheinungen konnten immer weniger gelöst werden, die Reparatur- und Unterhaltskosten stiegen enorm, so dass man die Anlage vor drei Jahren schliesslich ausser Betrieb gesetzt hat. Auch bei gewissen Windverhältnissen habe sie nicht richtig funktioniert. Geprägt von der reichen Erfahrung ist Hans Jörg Luchsinger heute überzeugt, dass man die Probleme nur mit mehr Autonomie am Arbeitsplatz lösen könne. Einfachere und intelligentere Systeme würde er heute für ein solches Bürogebäude in Betracht ziehen, z. B. dezentrale Lüftungselemente an den Fensterbrüstungen, Leuchten mit Sensoren an jedem Arbeitsplatz und individuellen Eingriffsmöglichkeiten, Pumpen und Ventilatoren die sich dank eingebauter Elektronik selber Regulieren. Eine Rauchgaskondensationsanlage sei ein kleinere chemische Fabrik und für so ein Gebäude viel zu störanfällig, unterhalts- und wartungsintensiv. Bild 13 Zu komplex und zu wenig flexibel: trotz konzentriertem Know-how unter den TenumMietern und Besitzern ist das Energiekonzept gescheitert. - 13 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Wirtschaftlich trotz allem Die Mehrinvestitionen in die effiziente Energienutzung von rund einer halben Million Franken (ohne Lüftungssystem) bei gesamten Anlagekosten von 12 Millionen liessen sich selbstverständlich nicht durch Einsparungen amortisieren oder gar verzinsen. Die Energieeinsparungen wurden in den ersten Jahren, als die ganze Haustechnik noch in Betrieb war mit Fr. 8'000.– berechnet. Dieser Betrag vermochte wahrscheinlich nicht einmal den erhöhten Unterhaltsaufwand decken. Besonders teuer war die Energie aus der Kondensationsanlage und Photovoltaik. Der Liter Erdölaequivalent aus der Rauchgaskondensationsanlage dürfte etwa 5 Franken betragen haben, der Solarstrom kommt deutlich über einen Franken pro kWh zu stehen. Man hat die halbe Million von Beginn weg als Investition in Know-how abgeschrieben. Dennoch ist das Gebäude wirtschaftlich. Mehr Nutzungsqualität weniger Technik Die Büroräume können auch heute gut vermietet werden, die Mieten sind konkurrenzfähig und die Arbeitsplatzqualität hoch. Besonders geschätzt wird die Cafeteria im Lichthof, wo beim täglichen Mittagstisch ein reger Austausch zwischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der verschiedenen Firmen stattfindet. Auch die beiden Damen im Empfang wirken mit ihrem Telefon- und Schreibdiensten integrativ. Das Auditorium wird wenig genutzt und ist eher zu klein. Aus der geplanten gemeinsamen Bibliothek ist eine virtuelle Bibliothek entstanden. „Heute würde ich bedeutend mehr in die Nutzungsqualität investieren und den entsprechenden Betrag bei der Technik einsparen“ meint Hans Jörg Luchsinger in einem zusammenfassenden Statement. - 14 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Solares Mehrfamilienhaus Dentenberg bei Worb (BE) Bild 14 Bild 15 Ein Pionierwerk in der Landwirtschaftszone von Worb wollte gute alte Bautradition mit revolutionärer Energietechnik verbinden So wie die Lebensdauer dieser Flachkollektoren wurde vieles zu optimistisch eingeschätzt. Das Haus ist auch heute noch ein Experimentierfeld für Solartechnik. 1992 Heute Gebäudehülle KS-Mauern und Betondecken neu als Tragstruktur des alten Daches, Aussenwände mit 32 cm Glaswolle gedämmt und mit einer hinterlüfteten Holzschalung resp. Dreischichtplatten verkleidet. Dank den grosszügigen Vordächern wie sie bei Bauernhäusern Tradition sind und einer fachgerechten Konstruktion ist die Gebäudehülle in einwandfreiem Zustand. Selbst die der Witterung ausgesetzten Balkonbrüstungen aus unbehandelten Dreischichtplatten sind intakt. Ein zukünftiger Ersatz ist problemlos möglich Holzfensterrahmen mit Argon gefüllten Isolierglaskonstruktionen. Energieerzeugung 22 m2 Vakuumkollektoren auf dem Steildach 70 m2 Flachkollektoren im Garten Die Solaranlage war zu optimistisch ausgelegt. Seit 1993 muss das Haus ab Mitte bis Ende Januar zusätzlich geheizt werden. Eine WasserWasser-Wärmepumpe, die die Restwärme aus dem Speicher nutzen sollte war zu wenig effizient. Danach wurde ein zusätzlicher, konventioneller Heizkessel eingebaut. 172 m3 Wasserspeicher in der Mitte des Hauses für Warmwasser und Heizenergie Wärmetauscher für die Nutzung der Restwärme aus dem Grauwasser (Bad, Küche) Der Nutzen der Brauchwasserwärmerückgewinnung ist umstritten, der Wartungsaufwand enorm gross. Energiekennzahlen Planwerte 100 MJ/m2 a Heizen 42 MJ/m2 a Warmwasser Die Planwerte wurden nie seriös überprüft, allein der heutige zusätzliche Heizölbedarf (ohne Elektrizität für die Solaranlage) überschreitet die Planwerte deutlich. Wirtschaftlichkeit Mehrinvestitionen von Fr. 500‘000.– ( 14,7 % der Anlagekosten) für die solare Wärmeerzeugungsanlage und den Mehraufwand an Wärmedämmung Die Kosten müssen als Investitionen in die Zukunft und Lehrgeld für Erfahrungen mit solaren Energieversorgungssystemen abgeschrieben werden. Abgesehen von den Kollektoren handelt es sich um Investitionen mit grosser Nutzungsdauer (Speicher, Gebäudehülle) - 15 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ambitiöses Pionierwerk Eine günstige Gelegenheit in den Achtzigerjahren war die Ausgangssituation für Jürg Mauerhofer. dem Mitbesitzer, dem Architekt, dem Baumeister, dem Verwalter und dem Bewohner des solaren Mehrfamilienhauses auf dem Dentenberg. Er ist ein Totalunternehmer im Taschenformat und Investor darüberhinaus. Am Südhang gegen das Aaretal zwischen Bern und Worb stand ein stattliches Bauernhaus, das durch die Zusammenlegung von Gütern und mangels Erben leer stand und landwirtschaftlich nicht mehr genutzt werden konnte. In der Tradition des Bauernhauses wollte Jürg Mauerhofer unter dem bestehenden Dach möglichst vielen Leuten ein Wohnen im Einklang mit der Natur ermöglichen. Als Gegner der damaligen Energie- und Atomkraftwerkpolitik plante er ein Haus, dessen Wärme- und Warmwasserbedarf ausschliesslich durch aktive Nutzung der Sonnenenergie gedeckt wird. Fünf attraktive Wohnungen, eine Werkstatt, ein Büro und ein Atelierraum entstanden unter dem bestehenden Dach. 32 cm Dämmung Ein 12 Meter hoher Wasserspeicher aus Beton mit 4,4 Metern Durchmesser und rundum mit 50 cm Dämmung wurde ins Zentrum des sternförmigen Hauses gebaut. Er ist ausschliesslich von beheiztem Wohnraum umgeben. Die 172 m3 Speichervolumen entsprechen der Wassermenge eines grösseren Swimmingpool und sollen die Wärme aus den Sommermonaten aufnehmen und für den Winter speichern. Um die Sonnenenergie einzufangen sind auf dem Dach Vakuumröhrenkollektoren und im Garten Flachkollektoren montiert. Aussenwände und Dach sind mit 32 cm Glaswolle gedämmt, was auch heute noch eine absolute Ausnahme darstellt. Um die Verluste zu minimieren wird auch dem Brauchwasser aus Küche, Dusche und Badewanne die Restwärme mit einem Wärmetauscher entzogen und genutzt. An eine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung, um die Lüftungsverluste zu minimieren, hat Jürg Mauerhofer damals nicht gedacht. Das hätte dem bäuerlichen Charakter doch etwas gar widersprochen. Es sollte sich im nachhinein als eine von mehreren „Fehlkalkulationen“ erweisen. Bild 16 In der Tradition des Bauernhauses: die gut geschützte Holzfassade (Vordach) mit 32cm Dämmung ist gut erhalten und ein bleibender Wert Merkblatt für energiebewusstes Lüften In den ersten Jahren hat Jürg Mauerhofer als Besitzer, Mitbewohner und Verwalter, den Mietern anfangs der Heizperiode ein Merkblatt über das energiebewusste Lüften in einem solaren Mehrfamilienhaus verteilt. Doch er habe die Illusion schnell verloren, dass man die Leute erziehen könne. Seine Mieter entschliessen sich für eine Wohnung wegen der einmaligen Lage und dem Ausblick ins Aaretal in der ländlichen, ruhigen Umgebung, die dennoch nicht weit von Bern entfernt ist. Auch der Grundriss der Wohnungen ist attraktiv. Aber die erforderlichen Einschränkungen - 16 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– bezüglich Lüften in der Heizperiode wollen die meisten Mieter nicht in Kauf nehmen. Er hätte sogar Mieter gehabt, die die Haustüre täglich längere Zeit offen liessen, um den Hunden freien Ausgang zu ermöglichen. Der ursprüngliche Gedanke, die Wohnungen vor allem an umweltbewusste Mieter abzugeben habe sich nicht realisieren lassen. Auch in einem Solarhaus herrscht in erster Linie das Gesetz von Angebot und Nachfrage. „Man sollte nicht gegen das normale Verhalten der Leute planen, man sollte es in die Planung einbeziehen“ Jürg Mauerhofer, Architekt, Baufachmann, Besitzer und Bewohner des solaren Mehrfamilienhauses Dentenberg So habe sich bereits in der ersten Heizperiode gezeigt, dass die teure Solaranlage im Winter nicht länger als bis Ende Januar ausreiche, um eine komfortable Wärme in den Wohnungen sicherzustellen. Allerdings sind die Lüftungsverluste bei weitem nicht die einzige Ursache. Die volle Nutzung der Geschossfläche als beheizte Wohnfläche sei zuwenig mit dem Speichervolumen abgestimmt und die Wirkungsgrade der technischen Komponenten zu optimistisch geplant worden. So muss heute in der Regel ab Mitte Januar mit einem zusätzlichen, konventionellen Heizkessel geheizt werden. Der Verbrauch an fossilen Brennstoffen liegt etwas höher als der Minergiestandard für Neubauten. Ein Geschenk an die zukünftige Generation Im Laufe der Planung wurde schnell einmal klar, dass sich die Mehrinvestitionen nie amortisieren lassen. Etwa eine halbe Million hat der Allroundbaufachmann und Besitzer in die solare Versorgung und die überdimensionale Dämmung investiert. Den verhältnismässig aufwändigen Unterhalt bewerkstelligt er sozusagen in der Freizeit. Alleine die Reinigung des Wärmetauschers für das Brauchwasser erfordere 2 Tage Arbeit pro Jahr. Die Nutzungsdauer der Flachkollektoren ist nach 12 Jahren bereits absehbar. Die UV-Strahlung und die enorme Hitze in den Kammern lassen Folien, Dichtungen und Abdeckungen schnell altern. Da hätten sich die Vakuumröhren viel besser bewährt. Dennoch hat Jürg Mauerhofer Freude an seinem Haus, das einen besonderen Charme ausstrahlt. Dass er die Fr. 500'000.– nie mehr sehen werde nimmt der leidenschaftliche Handwerker gelassen. Das sei ein Geschenk an die Zukunft. Der Wert der soliden massiven Gebäudehülle und der übergrosse Speicher bleiben erhalten. Mit diesem könne man etwas machen, d.h. sein Nachfolger, denn er möchte nach der bevorstehenden Pensionierung wieder in die Stadt ziehen. - 17 - ––––––– büro für umweltchemie ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Teure Negawatts Was viele Ende der Achtzigerjahre bereits geahnt hat, hat sich an den vier Beispielen mit aller Deutlichkeit bewahrheitet. Alternative Energieträger oder eingesparte Energie, die man früher Negawatt nannte sind teuer. .Die Mehrinvestitionen in die rationelle liessen sich bei keinem der vier Gebäude durch Einsparungen amortisieren oder verzinsen. Selbst bei massiv höheren Energiepreisen, die volkswirtschaftlich erhebliche Folgen verursachen würden, wären die Systeme kaum rentabel gewesen. Die Wartungs- und Unterhaltskosten für der Haustechnik sind meist ebenso hoch wenn nicht höher als die Kosten für die eingesparten Energieträger. Sie nehmen mit dem Alter der Gebäude naturgemäss zu. Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Haustechnikkomponenten wurde in allen Fällen überschätzt. Für den Investor und Planer hat die weitreichende Konsequenzen. Die Mehrinvestitionen in das ökologische Bauen müssen entweder besondere Nutzungsqualitäten aufweisen oder durch Einsparungen an anderen Orten kompensiert werden. Auch Politiker sollten die Lehren aus dem Rückblick ziehen. Nur durch substanzielle Unterstützung oder gesetzliche Regelungen kann der rationellen Verwendung von Energie im Gebäude zum Durchbruch verholfen werden. Einfach und flexibel Die rationelle Verwendung von Energie verführte die Planer oft zu mehr Haustechnik. Jede aus dem Gebäude entweichende Restwärme wollte auch noch mit einer Wärmepumpe genutzt werden. Diese Strategie hat sich als falsch erwiesen. Mehr Technik bedeutet immer auch mehr Unterhalt, mehr Störanfälligkeit und geringere Wirtschaftlichkeit. Auch in der Niedrigenergiebauweise muss die Technik einfach bleiben. In Zukunft werden wohl jene Lösungen Erfolg haben, die den Wärme- und Frischluftbedarf mit einem einzigen System decken können. Einfache Systeme sind auch flexibler. Nur der Blick zurück vermag zu konkretisieren, wie schnell sich beispielsweise die Raum- und Infrastrukturbedürfnisse von Firmen im Bürobereich oder in der Schule ändern. Vor zehn Jahren plante man für Schulen noch spezielle EDV-Klassenzimmer mit hoher Abwärme. Solche Räume waren meistens bereits bei der Inbetriebnahme nicht mehr gefragt. Und wer weiss heute schon wie die Elektrizitäts- und Medienversorgung von Gebäuden in 15 Jahren aussieht? Faktor Mensch Die vier Biographien veranschaulichen sehr deutlich wie gross auch im Gebäude der Einfluss des Individuums auf den Energieverbauch ist. Im Minergiebereich mit kontrollierter Lüftung sind verhaltensbedingte Unterschiede vermutlich besonders gross. Bevor man neue technische Standards schafft müsste man eigentlich ein Minergielabel für Nutzerinnen und Nutzer kreieren. Ihr Spielraum ist viel grösserer als derjenige der Planer und Investoren. Durch vorbildliches Verhalten lässt sich auch im Niedrigenergiebereich beispielsweise ein berechneter Standardverbrauch um den Faktor vier unterschreiten, ohne besonderen Aufwand. Der „Faktor“ Mensch wäre volkswirtschaftlich somit unglaublich effizient. Allerdings belegen die Gebäudegeschichten aber auch, dass sich dass individuelle Verhalten der Bewohnerinnen und Nutzer kaum ändern lässt. Nichts ist so unflexibel wie der Mensch. Gewohnheiten lassen sich durch Aufklärung und Sensibilisierung kaum ändern. Der Mensch ist Schlüssel und Rätsel zugleich. Ueli Kasser, 09.10.2004 - 18 -