21 Interview 44 Villa Berg: Was tun? wurden und deren Erhalt aus meiner Sicht dringend geboten ist, um dem weiteren Verfall Einhalt zu gebieten. Durch das ungeschickte Vorgehen der Stadt mit der Villa und ihrem Park seit Kriegsende war dies nicht möglich. Aber jetzt, nach Regelung der Grundstücksverhältnisse, bietet sich die einmalige Chance, ein solches Bauwerk wieder seiner Bedeutung entsprechend zu sanieren und zu beleben. Fragen von Prof. Horst Sondermann an Deborah Brinkschulte von Occupy Villa Berg und Ulrich Scholtz, Vorstandsvorsitzender Initiativkreis Stuttgarter Stiftungen e.V. und Vorstand der Knödler-Decker-Stiftung Prof. Horst Sondermann Sondermann (S): Frau Brinkschulte, Herr Scholtz, Sie beide engagieren sich seit Jahren für die Villa Berg. Was war der Auslöser? Deborah Brinkschulte (DB): Im Mai 2013 kam mein Freund Christian Dosch auf mich und einige andere zu und erzählte uns von der Villa Berg und davon, dass sie leer stand und verfiel. Er hatte einige historische Postkarten mitgebracht, die die Villa in ihrer ganzen Pracht zeigten. Um ehrlich zu sein: Ich hatte zuvor noch nie von dem Gebäude gehört. Ich fand es sofort wichtig, diesen Zustand, in dem die Villa sich befindet, zu ändern. Zusätzlich war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass in den Plänen von Investoren beispielweise ein Businessclub und Luxuswohnungen eine Rolle spielten und im Falle einer Umsetzung eine starke Privatisierung im Areal vorhanden sein würde. Eine Gegenbewegung zur zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums war mir schon immer ein wichtiges Anliegen. Die offene Zukunft des Areals – die interessierten Investoren waren entweder insolvent, sodass es nicht zu einer Umsetzung kam, oder hatten kein Baurecht für ihre Pläne – reizte und verärgerte mich gleichermaßen. Ich ärgerte mich über die Stadtverwaltung und Politik, die zuließ, dass ein solch bedeutsames Gebäude offensichtlich nur auf seinen Abriss wartete. Gleichzeitig bot dieses bei der Stadt scheinbar völlig vergessene Kleinod aber die Möglichkeit und Zeit, tatsächlich eine völlig ergebnisoffene Beteiligung durchzuführen. Welches Areal in einer dicht besiedelten Stadt mit nur noch wenigen zu bebauenden Flächen bietet schon eine solche Möglichkeit? Wenn ein Nutzer ein Gebäude verlässt, sind die Verhandlungen zum Umbau, zur Umnutzung, zum Abriss meist längst abseits der Öffentlichkeit geführt und beschlossene Sache. Ulrich Scholtz (US): Über Prof. Dr. Peter Schneider von der HFT Stuttgart, der mit seinen Studierenden eine Bauaufnahme vom Belvedere im Park der Villa Berg gemacht hat, lernte ich den Park und die Villa näher kennen. Aufgrund des desolaten Zustandes des Egle-Pavillons war ich der Ansicht, dass dieser dringend saniert gehört. Ich habe daraufhin mit der verantwortlichen Behörde, dem Garten- und Friedhofsamt der Stadt Stuttgart, Kontakt aufgenommen, inwieweit eine Sanierung möglich ist und welche Mittel zur Verfügung gestellt werden können. Man sagte mir eine gewisse Sanierung zu, daher wurde ich aktiv. S: In welcher Form engagieren Sie sich für die Anlage und den Park? DB: Im Sommer 2013 habe ich in einem Team aus etwa 20 Mitgliedern mit der von uns gegründeten Initiative »Occupy Villa Berg« ein Bürgerbeteiligungs-Experiment durchgeführt. Wir wollten spielerisch zunächst wieder auf den Ort aufmerksam machen, Erinnerungen wecken, Geschichten festhalten, eine Wiederaneignung initiieren und mit niederschwelligen Formaten unsere Gäste einladen, ihre Ideen für die Villa und den Park einzubringen. Dazu haben wir zunächst einfach zu Deborah Brinkschulte Ulrich Scholtz einem Picknick in den Park eingeladen. Unsere drei Picknick haben wir mit Spielen ergänzt, die zum Erkunden des Ortes eingeladen haben und dazu, Blicke aus neuen, ungewohnten Positionen auf das Gebäude zu werfen. Wir haben Ideen gesammelt, sowohl in Gesprächen und langen Aufschrieben als auch in Schlagworten. Auf Fotos konnten unsere Gäste ihren Ideen ein Gesicht geben, auf Postkarten zeichnen oder Collagen entwickeln, in Videos ihre Erlebnisse erzählen. Alle Ergebnisse – Grundlagenrecherche, Geschichten und Bilder – haben wir in Texten, Bildern und Videos dokumentiert und online zur Verfügung gestellt. Zusätzlich haben wir einen 150-seitigen Bericht verfasst und die vorhandenen Ideen zu einem Leitbild verdichtet und mit Empfehlungen für eine offizielle Beteiligung ergänzt. In den Jahren 2014/15 haben wir uns darauf konzentriert, verschiedene Themen aufzuarbeiten und dafür mit Experten zu verschiedenen Themen zusammengearbeitet sowie Veranstaltungen vor Ort durchgeführt. US: Zunächst konnte ich Frau Prof. Dr. Gabriele Grassegger für die Analyse der Bauschäden am Belvedere gewinnen und eine Grundlage für die Sanierung des Natursteins erstellen lassen. Das Projekt »Villa Berg« wurde als HFT-Förderprojekt der Knödler-Decker-StifVilla Berg: tung aufgenommen. Aufgrund meiner ehrenamtlichen Tätigkeit HFT-Förderim Stiftungswesen konnte ich projekt der zusätzlich eine Reihe von Sponsoren gewinnen, welche die KnödlerSanierung mit Sachleistungen Decker-Stiftung und Geldmitteln unterstützen. Die Sanierung ist zwischenzeitlich angelaufen und kann mit Hilfe der Sponsoren fachgerecht ausgeführt werden. Somit wird das Belvedere mit den angrenzenden Mauern, Treppen und Brunnenanlagen in weiten Teilen in den Ursprungszustand zurückversetzt. S: Die Villa Berg wurde vor 162 Jahren fertiggestellt. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach ein so altes Baudenkmal für Stuttgart? DB: Die Villa Berg ist ein Denkmal der Stuttgarter Stadtgeschichte und der württembergischen Landesgeschichte. Allein in dieser Funktion gehört sie erhalten. Darüber hinaus ist sie – wie im Übrigen auch der Park – in ihrer Anlage und ihren Ideen bis heute bemerkenswert und einzigartig. Sie ist ein wichtiges architekturhistorisches Denkmal. In einer Stadt wie Stuttgart, die – zum Teil kriegsbedingt, zum Teil aber auch mangels Wertschätzung – kaum noch historische Bausubstanz aufweist, gibt sie der Stadt Identität und prägt deren Stadtbild mit. US: Durch die Kriegsfolgen sind die meisten der historischen Bauten in Stuttgart zerstört und nur zum Teil wieder aufgebaut worden. Die Villa Berg und ihr Park gehören zu den letzten bedeutenden Bauwerken, die bisher vernachlässigt S: Der Sendesaal, der in die Villa eingebaut wurde, ist jetzt Gegenstand heftiger Diskussion. Haben Sie selbst Veranstaltungen in diesem Saal erlebt? Wenn ja, wie schätzen Sie in der Erinnerung die Qualität des Saals an diesem speziellen Ort ein? Muss er erhalten werden? DB: Ich selbst habe im Sendesaal keine Veranstaltung erlebt. Aus Erzählungen weiß ich, dass er eine tolle Akustik haben soll. Mir stellt sich eher die Frage, ob eine Nutzung der Villa mit einem Erhalt des Sendesaals überhaupt möglich ist. Da ist einerseits die Problematik, dass der Saal nur eine eingeschränkte Zahl an Nutzungen, nämlich beispielsweise Konzerte und andere Bühnenaufführungen, zulässt und gleichzeitig durch den Einbau des Saals kaum mehr als »Restecken« übrig geblieben sind, die als Büros und Garderoben genutzt wurden, und andererseits die Frage, ob der Saal als Veranstaltungslocation überhaupt heutigen Anforderungen gerecht würde oder werden könnte. Selbst wenn man Fragen nach einer begleitenden Gastronomie – die fast schon notwendig ist für eine wirtschaftliche Tragfähigkeit – außer Acht lässt, so stellt sich doch beispielsweise die unabdingbare Frage nach den heute aktuellen Brandschutzanforderungen. Da die Sendestudios mittelfristig abgerissen werden sollen und somit kaum Nebennutzungsfläche zur Verfügung stünde, ist auch die Frage, wie das – mit dem Sendesaal ja unausweichliche – Bühnenprogramm entstehen bzw. zusammengestellt werden soll. Eine eigene Produktion wäre zumindest ortsnah kaum möglich, selbst die eigene Verwaltung wäre vermutlich nur beengt unterzubringen. Darüber hinaus ist eine Entfernung des Sendesaal die Voraussetzung dafür, dass sich das äußere Erscheinungsbild an das historische annähern kann. Zur Implementierung des Saals wurde nämlich die bereits durch eine Bombe zerstörte Villa durch den Süddeutschen Rundfunk weiter zerstört. Aus statischen Gründen mussten zum Einbau des Saals die vier Ecktürme der Villa entfernt werden. Die Fassade der Villa und ihr Inneres haben heute nichts mehr miteinander zu tun. Über die Frage des Saals hinaus bleibt übrigens die nach der nur wenigen bekannten Orgel, die zu den wertvollsten Instrumenten dieser Art zählt. US: Ich habe Veranstaltungen in dem Saal erlebt. Mir blieb ein sehr unpersönlicher, wenig einladender Eindruck zurück. Aus meiner Sicht ist der Saal nur eingeschränkt nutzbar. Die Bühnentechnik und die Beleuchtung sind völlig überaltert und unzureichend. Es sind keine Nebenräume vorhanden. Brandschutzmaßnahmen sind – gerade aus heutiger Sicht – völlig unzureichend und ein barrierefreier Zugang ist auch nicht möglich. Der Saal, der zweifelsfrei architektonische Qualitäten aufweist, verhindert eine variable Nutzung und ist in seiner Form nicht flexibel genug für die Anforderungen heutiger Veranstaltungen. Mein Vorschlag wäre, ihn abzubauen und an anderer Stelle eine adäquate Hülle zu finden bzw. zu bauen, zumal die Außenhaut architektonisch überhaupt nicht mit der Gestaltung des Saals zusammenpasst. S: Wie sollte Stuttgart die Villa Berg heute nutzen? DB: Für eine neue Nutzung wird zunächst die Entscheidung für oder gegen den Sendesaal fallen müssen. Muss er aus denkmalpflegerischer Sicht bleiben, bleiben wie oben beschrieben kaum Möglichkeiten. Daher wünsche ich mir zunächst Offenheit bei der Stadt, was den Sendesaal angeht. In einer vorherigen Planung – beim Businessclub – gab es bereits einmal grünes Licht für die Entfernung des Saals. Sollte einer Entfernung des Sendesaals stattgegeben werden und eine weitere Bandbreite an Nutzungen möglich sein, halte ich eine Anknüpfung an bisherige Nutzungen anstelle einer beliebigen Füllung mit neuen Inhalten für verfolgenswert. Die Geschichte der Villa bietet dafür mit ihrer wechselvollen Geschichte zahlreiche Möglichkeiten. Von einer sozialen Nutzung in Anknüpfung an die Ideen und Ideale von Königin Olga über Park und Villa eine künstlerische Nutzung als Städtische Gemäldegalerie bis bilden hin zu einer Mediennutzung in eine Einheit Anlehnung an die Zeit des SDR und des Dokumentarfilms ist einiges möglich. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass den Park eine bunte Nutzermischung umgibt und die Villa am Kreuzungspunkt dreier Stadtteile liegt und somit mit ihrer Neunutzung ein Ort des Austauschs und der Nachbarschaft werden kann. Nicht zuletzt bilden Park und Villa eine Einheit. Eine Nutzung im Inneren der Villa und eine Neukonzeption des Parks sollten daher im Einklang und vielleicht auch im Fortsetzung Seite 22 Austausch stehen. Hochschule für Technik Stuttgart Stallgeflüster 44 November 2015 22 Interview 44 US: Da die Villa an einem Schnittpunkt wichtiger städtebaulicher Projekte, aber vor allem auch am Schnittpunkt dreier Stadtteile liegt und in Bezug auf Alter und kulturellen Hintergrund eine heterogene Nutzerumgebung – auch mit sozialen Problemen – vorliegt, sollte das Areal auf jeden Fall ein Ort des Austauschs und des DiaVilla Berg sollte logs werden und als informeller ein offener, leben- Begegnungsort das soziale Miteinander fördern. Man sollte diger Ort fürMenschen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen anspreBegegnungen chen und einen offenen und werden lebendigen Ort aus der Villa Berg machen, einen Ort für Junge und Alte, für Stuttgarter und Gäste der Stadt. Die Neukonzeption der Nutzung und die Neugestaltung sollte unter Einbeziehung der Bürgerschaft erfolgen. Um die Villa nachhaltig zu nutzen, ist aus meiner Sicht die Erarbeitung eines Konzepts erforderlich, die Villa Berg für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen, um Veranstaltungen in den Bereichen Kunst, Kultur, Bildung und Denkmalpflege anzubieten. S: Was ist die wichtigste Funktion des Parks für Stuttgart, auch im Vergleich zum nahe gelegenen Schlossgarten? DB: Der Park ist mehr stadtteilbezogen als es die Schlossanlagen sind. Er bietet Naherholung und Ruhe für die Anwohner und diejenigen, die um den Park herum arbeiten, während er den Bürgern anderer Stadtteile bisher eher verborgen ist. Diese Funktion sollte er nicht verlieren. Zahlreiche Veranstaltungen unserer Initiative haben aber gezeigt, dass der Park mit ruhigen Veranstaltungen gut zu bespielen ist, ohne dass Anwohner und aktuelle Nutzer beeinträchtigt werden. So haben wir Führungen durch den Park angeboten sowie kleine Konzerte und Theater veranstaltet. US: Es ist der einzige Park im Stuttgarter Osten und hat im Vergleich zum Schlossgarten seinen eigenen Charakter. Gerade in Verbindung mit der Villa Berg bietet der Park besondere Nutzungsmöglichkeiten, die der Schlossgarten so nicht hat. S: Wie sollte mit dem Gutbrod’schen Bauten umgegangen werden? DB: Ich persönlich bin kein großer Anhänger des Gutbrod-Baus. Von mir aus kann er gerne weg. Allerdings ist das mein persönlicher Geschmack. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen, was seine Denkmalqualitäten angeht. Das müssen andere entscheiden. Für eine Rekonstruktion der Villa inklusive ihrer Nordflügel ist er im Weg. Ich schätze, es wäre wichtig abzuwägen, was die höhere Denkmalqualität hat. Liest man sich in die Ideen und Konzeption der Villa ein, ist die Villa ohne ihre Flügelbauten einfach unvollständig, allerdings ist für mich dieser Kompromiss eher denkbar als die Aufgabe der Innen-Außen-Beziehungen durch die Trennung der Fassade vom Innenleben und den Einbau des Sendesaals. US: Das Funkstudio nördlich der Villa steht unter Denkmalschutz und wird derzeit vom SWR als Übungs- und Senderaum genutzt. Eine Einbeziehung in die Gesamtkonzeption für dieses Gebäude ist erforderlich. Ein Planungsprozess kann aufzeigen, ob die Gebäude in ihrer Nutzungsart beibehalten werden können und in eine Gesamtkonzeption zu integrieren sind. Für die ehemaligen Fernsehstudios, die ebenfalls leer stehen, ist von Seiten der Stadt der Abbruch beschlossen. Ich schlage vor, diese, bis ein Planungskonzept steht, als Räume für kulturelle Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen, die in Stuttgart dringend nötig sind. Auch die Tiefgarage sollte bleiben, denn diese ist für die weitere Nutzung der Villa und des Parks notwendig. S: Was sollte die Stadt als nächstes unternehmen? DB: Als wichtigste Aufgabe erachte ich die Untersuchung der Substanz. Was ist überhaupt in welchem Zustand? Manch eine Frage wird sich dann vielleicht schon erübrigen oder leichter beantworten lassen. Für eine gelungene Beteiligung – die unbedingt zeitnah oder schon parallel beginnen sollte – halte ich eine Erarbeitung von Grundlagen, die allen BeOffener Dialog teiligten einen gleichen Kennterwünscht nisstand ermöglicht, für notwendig. Für die Beteiligung selbst wünsche ich mir einen offenen, intensiven Dialog. Für die Bauphase kann ich mir gut vorstellen, dass eine eigene Bauhütte gegründet wird oder in einer anderen Form die Villa als Schule für Handwerksberufe dient und die Bauphase selbst schon eine erste Phase der Nutzung darstellt. US: Es ist vorgesehen, die Villa zu sanieren und einer öffentlichen Nutzung zuzuführen. Wie dies im Einzelnen aussehen kann, sollte ein Planungsprozess in Form eines Architektenwettbewerbs ergeben. Villa Berg und das Engagement der Hochschule für Technik Stuttgart Fragen von Occupy Villa Berg-Mitgliedern an Prof. Horst Sondermann Occupy Villa Berg (OVB): Herr Sondermann, Sie sind Dekan der Fakultät Architektur und Gestaltung an der Hochschule für Technik Stuttgart. Ihre Hochschule engagiert sich für die Villa Berg? Wie kam es dazu? Sondermann (S): Ich bin seit September 2013 Dekan der Fakultät Architektur und Gestaltung an der HFT Stuttgart. Die Fakultät umfasst sieben Studiengänge der Architektur, Innenarchitektur (jeweils Bachelor und Master) sowie für Stadtplanung (Master), International Project Management (Master) und KlimaEngineering (Bachelor). Die Zusammenarbeit zwischen den Studiengängen ist aufgrund unserer überschaubaren Größe eng und konstruktiv. Die Villa Berg hat in der Vergangenheit schon einige Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Studiengängen beschäftigt, das Thema wurde in Seminaren behandelt, zum Beispiel von Prof. Dr. Peter Schneider in der Bauaufnahme. Mit meinem Amtsantritt habe ich mir vorgenommen, dass Lehre, Projektarbeit und Forschungstätigkeit an unserer Fakultät Architektur und Gestaltung einen neuen Schwerpunkt erhalten sollen: Architektur in Stuttgart – aktuelle Herausforderungen im Kontext ihrer Bau-, Stadtbau- und Planungsgeschichte. Mir ist wichtig, dass wir als Fakultät für den Bereich Architektur und Gestaltung substantielle Beiträge zur Stadtbaudiskussion in Stuttgart liefern und damit sichtbar werden. Park und Gebäudebestand der Villa Berg verlangen danach, dass für eine sinnvolle Debatte um ihre Zukunft Grundlagen ermittelt und bereitgestellt werden, aus denen sich die Geschichte des Baus und seines Verfalls besser erklärt. Frei von politischen und kommerziellen Interessen kann unsere Fakultät dies in vielfältiger Weise tun. OVB: Das Engagement der Hochschule für die Villa ist groß. Warum halten Sie diese Arbeit für wichtig? Spielt die Villa Ihrer Meinung nach eine wichtige Rolle für Stuttgart? Wenn ja, warum? S: Kultur wird selektiv rezipiert, Stadt kollektiv – in der Gesamtheit ihrer Quartiere, Bauten, Bahnhöfe, Straßen, Plätze, Parks ist sie ein Kulturprojekt für alle. Stadt konfrontiert uns mit gemeinsamer Geschichte und hat damit zentrale Bedeutung für unsere Selbstvergewisserung als politische Gemeinschaft. Ihre tieferen Texturschichten erlauben Erinnerungen und Einsichten in eine Welt jenseits eigenen Erlebens und familiärer Erzählung. Die Bilderwelt der Stadt ist ausund abgelagertes kollektives Bewusstsein – schwinden die Bilder, verblassen die Erinnerungen. Geschichtslos und politisch dement, droht uns die Reduktion auf das Management des Augenblicks: Das Ende einer erfolgreichen Gesellschaft. Wir brauchen Denkmäler zum Überleben. Die Villa Berg erinnert an das Haus Württemberg und die einst enge Verbindung zu Russland, an eine produktive königliche Stifterin diverser karitativer Einrichtungen, an das Erwachen bürgerlichen-emanzipativen Bewusstseins. Sie ist ein wichtiger Beitrag der Villenbaugeschichte im 19. Jahrhundert, erzählt von der Schöpfungsgeschichte der modernen Architektur und mit ihrem Park illustriert sie einen Teil Stadtgeschichte. OVB: Wie ist der Forschungsstand? Haben Sie überraschende, spannende Entdeckungen gemacht? S: Bei gründlicher Lektüre historischer Skizzen, Pläne, Darstellungen und Texte offenbaren sich tiefere Einsichten in die architektonische Motivation des Villenarchitekten Leins. Die bislang vorgenommene Stilzuweisung greift für das Verständnis des Projekts Villa Berg viel zu kurz – wie beim bekannteren Schinkel liegen wesentliche Entwurfsideen und Innovationen verborgen hinter dem Vorhang historistischer Fassaden. Der Bau der Villa Berg korreliert mit Emanzipation und Ermächtigung des Bürgertums als Motor der industriellen Revolution und illustriert dies auch in Form bemerkenswerter bautypologischer Neuinterpretationen, die Leins gegenüber dem klassischen Kanon vornimmt. Hier sind insbesondere der Kontrast zwischen traditioneller Portalsymbolik und pragmatischer Hauserschließung, zwischen humanistischem Grundrissideal und zweckmäßiger Wohnkonzeption zu nennen. Der 31-jährige Leins ist mit seinem Villenentwurf von 1845 ein bislang unbekannter Wegbereiter der modernen Architektur. OVB: Die Arbeit der Hochschule gliedert sich in zwei Teile: den Pavillon am Belvedere und die Villa. Das Belvedere wird auf Anstoß und mit Unterstützung Ihrer Hoch- schule saniert. Welchen Bezug haben Sie als Hochschule zu dem Gebäude? Welche Arbeit leistet die Hochschule im Bereich des Belvedere und welche Kolleginnen und Kollegen, welche Partner sind eingebunden? S: Wir haben als Gegenstand unseres Engagements den Park der Villa Berg als städtisches Areal identifiziert. Damit ist alles eingeschlossen, was innerhalb liegt, also das Belvedere mit seiner Pergolenkaskade, der Villentorso nebst Sendesaal, die SWR-Bauten, Tiefgarage und die Parkanlage selbst. Architekt des Belvedere war Joseph von Egle, der viele Jahre Rektor unserer Hochschule war. Der Pavillon war Gegenstand umfassender bautechnischer Untersuchungen unter der Leitung der Kollegin Dr. Gabriele Grassegger-Schön, unterstützt von Bauaufnahme und Dokumentation unter der Leitung von Dr. Peter Schneider, finanziell unterstützt von der Knödler-Decker-Stiftung, in Person durch Ulrich Scholtz. Die Sanierung erfolgt jetzt durch die Firma Kärcher im Rahmen ihres Kultursponsoring unter der Leitung der Architekten Till Läpple und Manuel Sauter. OVB: Welche Arbeiten sind für die Villa abgeschlossen, in Arbeit oder für die Zukunft geplant und welche Studienbereiche sind hier involviert? S: Abgeschlossen ist der Bau eines großen städtebaulichen Modells, das im Maßstab 1:1000 einen Ausschnitt Stuttgarts mit dem Park der Villa Berg zeigt. In Arbeit ist eine umfassende Sammlung von Archivalien: Pläne, Darstellungen, Quellentexte. Parallel werden diese ausgewertet und an einer aktualisierten baugeschichtlichen Darstellung und Bewertung der ehemaligen Villa gearbeitet. Jetzt beginnen wir mit der digitalen Rekonstruktion der Villa, sowohl in historischer wie aktueller Fassung. Diverse Seminararbeiten von Studierenden sind in Arbeit bzw. abgeschlossen. Geplant ist eine von uns kuratierte Ausstellung zur Villa Berg im April, in der wir unsere Archivalien, Modelle, Zusammenfassungen unserer Recherchen und Studienarbeiten präsentieren werden. Involviert sind dabei an erster Stelle Kolleginnen und Kollegen der Fakultät Architektur und Gestaltung, die Studienarbeiten betreut haben oder dies noch tun werden: Dr. Peter Schneider (i.R.), Jo Frowein, Dr.-Ing. Christina Simon-Philipp, Dr.-Ing. Detlef Kurth, Roland Dieterle, Rebecca Chestnutt, Tobias Wulf, Harald Roser und Peter Krebs. Von der Fakultät Bauingenieurwesen, Bauphysik und Wirtschaft hat sich Dr. Gabriele Grassegger-Schön mit bautechnischen Untersuchungen des Belvedere befasst. Für die Gesamtkoordination des Villa Berg-Engagements unserer Fakultät bin ich zuständig. Rektor Rainer Franke und Ulrich Scholtz von der Knödler-Decker-Stiftung unterstützen das Projekt mit Nachdruck und Geld. OVB: Welche Rolle spielt der Park bei Ihrer Arbeit? S: Unser Engagement umfasst das Areal des Parks und damit auch die Parkgestaltung selbst. Überdies wäre die Recherche zu einer Villa ohne Untersuchung des Grünraums, der sie umgibt, bautypologisch unvollständig bzw. sinnlos. Insgesamt bietet der Park natürlich das größte Potential für neue Konzepte bürgerschaftlicher Teilhabe. Auch hier ist aber zwingend, dass das historische Parklayout zuerst recherchiert und verstanden ist, bevor seine Neuformatierung debattiert wird. Beispiel: Historisch bestand eine prägnante Teilung des Parks in Ost und West mit der Villenanlage als trennende Baufigur in der Mitte. Eine Rekonstruktion derselben würde die Wiederherstellung der Platanenallee auf der Ostseite nahelegen. Villa und Park waren ein Gesamtkunstwerk und haben verdient, wieder eines zu werden – in einem zeitgemäßen, zu diskutierenden Format. OVB: Werden die Ergebnisse öffentlich gemacht? S: Öffentlich präsentieren werden wir unsere Ergebnisse in der genannten Ausstellung. Darüber hinaus empfehlen wir uns von der Fakultät Architektur und Gestaltung der HFT Stuttgart für die Vorbereitung, Ausschreibung und Betreuung eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs zum Park und Gebäudebestand der Villa Berg – Teilnehmer sollten Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitektinnen sein. Ein konstruktiver, kulturell nachhaltiger Bürgerdialog über die Zukunft der Villa Berg und ihres Parks kann nur auf der Basis gesicherten Wissens und fachlich fundierter Ideen gelingen. Hochschule für Technik Stuttgart Stallgeflüster 44 November 2015