Die Anwendbarkeit von Nicht-Opioid

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Diplomarbeit
Die Anwendbarkeit von Nicht-Opioid-Analgetika
bei Sportverletzungen und ihren Folgeschäden
eingereicht von
Simon Geisler
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der gesamten Heilkunde
(Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
unter der Anleitung von
Mag. pharm. Dr. phil. Univ.-Prof. Eckhard Beubler
Graz, am 16.07.2015
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet
habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen
als solche kenntlich gemacht habe.
Graz, am 16.07.2015
Simon Geisler eh
i
Danksagungen
Ich bedanke mich bei meinem Diplomarbeitsbetreuer Herrn Mag. pharm. Dr. phil.
Univ.-Prof. Eckhard Beubler für seine Geduld, seine Kooperation und die mir zur
Verfügung gestellte Hilfe in allen Belangen. Ein Dank gilt meinem Kollegen und
sehr guten Freund Johannes Scharinger, der mich zu jeder möglichen Zeit mit
gutem Zuspruch und motivierenden Worten unterstützt hat. Die Aussage „steady
and slow“ war mein stetiger Begleiter, vor allem während der letzten Kapitel.
Meinen guten Freunden Manfred Herzog und Dr. Peter Emich möchte ich für die
ersten Korrekturlesungen danken. Schließlich gilt ein herzlicher Dank meiner
Schwester Sandra Geisler, BA und meiner besten Freundin Verena Mayer für den
kritischen Blick auf die englische Übersetzung (Abstract).
Meiner Familie gilt ein besonderer Dank:
Herrn Martin Geisler
Frau Elisabeth Geisler
Herrn Sebastian Geisler
Frau Sandra Geisler, BA
Eine der wenigen Konstanten im Leben ist die Familie.
ii
Zusammenfassung
Sportverletzungen sind der dritthäufigste Verletzungsgrund in Deutschland.
Ca. 60 % davon sind muskuloskelettale bzw. ligamentäre Läsionen wie
Kontusionen, Luxationen oder Schäden am Kapsel-Band-Apparat. In Österreich
sind im Jahre 2013 knapp 200.000 Personen aufgrund von entstandenen
Sportverletzungen in einem Krankenhaus versorgt worden. Die Zahl derer, die ihre
Sportverletzungen in anderen Einrichtungen oder selbstständig behandelten, wird
um ein Vielfaches größer geschätzt.
Schmerz ist der häufigste Grund einer ärztlichen Konsultation und steht deshalb
im Mittelpunkt des therapeutischen Geschehens. Die Ausprägung und die Art der
Schmerzen, die bei Sportunfällen oder im Zuge von Überlastungsschäden
entstehen, müssen jedoch nicht unbedingt an ihre ursprüngliche Verletzung
gebunden sein. Das bedeutet, dass jedwede Sportläsion alle möglichen
Schmerzarten provozieren kann, welche unterschiedliche therapeutische Schritte
benötigen. Schmerz ist ein subjektives Empfinden, welches immer motivationalen
und kognitiven Faktoren unterliegt.
In vielen Fällen liegen Mischschmerzen vor. Aus akuten Schmerzzuständen
können chronische werden. Während bei nozizeptiven Schmerzen die Diagnostik
in der Regel einfach durchzuführen ist und die Therapiewahl erleichtert wird, ist
bei neuropathischen Schmerzen die Diagnostik komplexer. Bei chronischen bzw.
psychogenen Schmerzen ist das organische Korrelat nicht mehr bzw. gar nicht
auszumachen.
Viel
mehr
zeigt
sich,
dass
bei
gleichen
Verletzungen
unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen im Zuge der Schädigung und
der Reparatur unterschiedliche Schmerzsensationen auslösen. Letztlich erfordert
dieses
individuelle
somatosensorische
Profil
einen
personalisierten
Therapieansatz. Diese Arbeitshypothese steckt noch in den Kinderschuhen, doch
ist es absehbar, dass sich zukünftig die Therapie von neuropathischen und
chronischen Schmerzen mechanismenorientiert gestalten könnte.
Nicht-Opioid-Analgetika (NOA) sind eine bedeutende Substanzklasse. Ihre leichte
Erhältlichkeit sowie ihr unterschätztes Nebenwirkungsspektrum führen dazu, dass
iii
NOA häufig falsch und missbräuchlich verwendet werden. Sie können je nach
Substanzlasse unterschiedliche, jedoch meistens unspezifische und somit schwer
identifizierbare Nebenwirkungen hervorrufen. Toxische Überdosierungen werden
lediglich symptomatisch therapiert. Zu den unerwünschten Wirkungen gehören
Schäden im Gastrointestinaltrakt, in der Leber,
in der Niere und die
Veränderungen des Fließgleichgewichtes im Blut. Des Weiteren können
allergische
Reaktionen,
ZNS-Veränderungen
sowie
Blutbildungsstörungen
beobachtet werden. Die Arzneimittelwahl obliegt somit den individuellen
Umständen und möglichen relativen oder absoluten Kontraindikationen.
Die topische Applikation von Ibuprofen, Piroxicam und v.a. Diclofenac stellt eine
effektive Alternative bei Zerrungen, Verrenkungen oder Prellungen dar. Für
Diclofenac konnte in der Langzeitbehandlung von Osteoarthrose der Hand oder
des Knies gezeigt werden, dass die topische Applikation in ihrer Wirksamkeit der
oralen entspricht.
Paracetamol und Metamizol gelten als die sichersten NOA. Die bekannten
Nebenwirkungen
bei
Paracetamol
(Agranulozytose)
scheinen
mit
(Lebertoxizität)
bzw.
Lebervorschädigungen
oder
Metamizol
toxischer
Überdosierung zusammenzuhängen bzw. sind gut feststellbar und schnell
reversibel. Paracetamol kann bei Kindern eingesetzt werden und ist die Therapie
der ersten Wahl bei schmerzhafter Osteoarthrose. Metamizol ist ein potentes
postoperatives Schmerzmedikament und ist überdies bei akuten und chronischen
Schmerzen eine Alternative.
Flupirtin ist zurzeit in Österreich nicht im Handel erhältlich. Es entfaltet seine
Wirkung nicht über eine Hemmung der Cyclooxygenasen (COX). Flupirtin hat
seine
Wirksamkeit
in
der
Behandlung
von
akuten
schmerzhaften
Muskelverspannungen gezeigt.
Die klassischen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) bestechen durch die
Kombination aus Schmerzstillung und Entzündungshemmung. Es ist aufgrund
ihrer
breiten
Nebenwirkungspalette
auf
entsprechende
Vorerkrankungen,
respektive Risikofaktoren sowie auf gefährliche Interaktionen mit anderen
iv
Medikamenten
zu
achten.
Ihr
Haupteinsatzgebiet
sind
rheumatoide
Schmerzzustände, leichte bis mittelstarke Schmerzen in Verbindung mit Fieber
und Entzündung sowie muskuloskelettale Schmerzen.
Selektive COX-2-Hemmer (Coxibe) haben durch den Mechanismus, vorwiegend
die
COX-2
zu
inhibieren,
ein
geringeres
Risiko
für
gastrointestinale
Nebenwirkungen. Auf der anderen Seite ist ihr kardiovaskuläres Risiko relativ
hoch. Es bestehen viele mögliche, zum Teil gefährliche Wechselwirkungen mit
anderen Arzneimitteln. Einsatzmöglichkeiten betreffen vor allem Arthrosen und
rheumatoide Erkrankungen sowie bei Etoricoxib mitunter Tendinopathien.
v
Abstract
Sports injuries are the third most common source of injuries in Germany.
Approximately 60 percent of these are musculoskeletally and ligamentary lesions
such as contusions, luxations and defects of the capsular ligaments. In Austria in
2013 nearly 200,000 people were treated in hospitals because of sports injuries.
The numbers of those who had their sports injuries treated in other medical
facilities or who treated themselves is estimated to be many times higher.
Since pain is the most frequent cause for consulting a Doctor, reducing it is one of
the main parts of the therapy. The extent and type of pain that occurs due to
sports accidents or by overuse injuries is not necessarily linked to the original
cause. This means that any sports lesion can provoke all possible types of pain,
each necessitating different kinds of therapy. The experience of pain is a
subjective one which is based on motivational and cognitive factors.
In many cases mixed pain syndromes exist. Acute pain states can become
chronic. Whereas nociceptive pain is relatively easy to diagnose and subsequently
the choice of the therapeutic method is made easier, diagnosing neuropathic pain
is more complex. The organic correlation no longer exist at chronic pain patients.
Instead, increasingly it is shown that the same injuries show different
pathophysiological mechanisms within the lesion and the reparation which create
various pain sensations. This individual somatosensorical profile requires a
personalised therapy. This working hypothesis is at an early stage. Though it is
foreseeable that the therapy of neuropathic and chronic pain will be based on the
pathophysiological mechanisms in the future.
Non-opioid analgesics (NOAs) are a significant substance class. The ease of
availability and its underestimated spectrum of adverse effects lead to frequent
incorrect use and abuse. These medications can provoke unspecific side effects
that are difficult to identify. Toxic overdoses are only treated symptomatically.
Damages in the gastrointestinal tract, liver or kidney and changes to the dynamic
equilibrium in the blood are common adverse effects. In addition, allergic
reactions, changes in the central nervous system and blood production disorders
vi
can also be observed. The choice of the medication depends on individual factors
as well as on relative and absolute contraindications.
The topical application of Ibuprofen, Piroxicam and Diclofenac represents an
effective alternative for strains, subluxations or contusions. It has been shown that
the topical application of Diclofenac is as effective as an oral application in terms
of long term treatment of osteoarthritis of the hand or knee.
Paracetamol and Metamizol are considered to belong to the safest NOAs. Liver
toxicity, the well known side effect of Paracetamol, appears to be associated with
pre-existing liver damage or toxic overdose. Agranulocytosis is frequently
mentioned as a dangerous adverse effect of Metamizol, even though it is easy to
identify and quickly reversible. Paracetamol can be used on children and is the
first choice for painful osteoarthritis. Metamizol is a potent post-operative painkiller
and is also an alternative for acute and chronic pain.
Flupirtin has shown its efficacy in the treatment of acute painful muscle tensions.
Since its analgesic effect is not based on the inhibition of cyclooxygenase (COX),
it is considered an alternative to other NOAs.
The classic non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs) stand out due their
positive effects such as reducing pain on the one hand and inflammation on the
other. Because of their broad range of possible side effects, previous illnesses and
present risk factors of the patient as well as drug interactions have to be taken into
consideration. The main use is the treatment of rheumatoid pain states, slight to
moderate pain in connection with fever and inflammation and musculoskeletal
pain.
COX-2 selective inhibitors carry a relatively small risk on gastrointestinal side
effects due to their mechanism that primarily operates on COX-2. However, they
bear a relatively high cardiovascular risk. In addition, there exist many possible
and, in part, dangerous drug interactions with other medications. The main use is
the treatment of osteoarthritis and several forms of rheumatoid diseases as well as
tendinopathies with Etoricoxib.
vii
Inhaltsverzeichnis
DANKSAGUNGEN
II
ZUSAMMENFASSUNG
III
ABSTRACT
VI
INHALTSVERZEICHNIS
GLOSSAR UND ABKÜRZUNGEN
VIII
X
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
XII
TABELLENVERZEICHNIS
XIII
1
EINLEITUNG
1
2
ALLGEMEIN
3
2.1
HÄUFIGKEIT VON SPORTVERLETZUNGEN
3
2.2
SCHMERZPHYSIOLOGIE
6
2.2.1
ENTSTEHUNG
6
2.2.2
WEITERLEITUNG
8
2.2.3
VERARBEITUNG
10
2.2.4
INTERPRETATION
12
2.3
AKUTE VS. CHRONISCHE SCHMERZEN
13
2.3.1
AKUTE SCHMERZEN
14
2.3.2
CHRONISCHE SCHMERZEN
15
2.3.3
SCHMERZCHRONIFIZIERUNG
16
2.4
SCHMERZARTEN
18
2.4.1
NOZIZEPTIVE SCHMERZEN
18
2.4.2
NEUROPATHISCHE SCHMERZEN
20
2.4.3
PSYCHOGENE SCHMERZEN
25
2.4.4
MISCHSCHMERZEN
27
2.5
3
DIAGNOSTIK
SCHMERZTHERAPIE MIT NICHT-OPIOID-ANALGETIKA
28
32
3.1
EINTEILUNG
32
3.2
CYCLOOXYGENASEN
34
3.3
GEFAHREN UND NEBENWIRKUNGEN VON NOA
37
viii
3.3.1
GASTROINTESTINALTRAKT UND UNTERE DARMREGION
38
3.3.2
NIERE
38
3.3.3
LEBER
39
3.3.4
THROMBOZYTENAGGREGATIONSHEMMUNG
39
3.3.5
THROMBOSE
39
3.3.6
ZNS-VERÄNDERUNGEN
40
3.3.7
ALLERGISCHE REAKTIONEN
40
3.3.8
BLUTBILDUNGSSTÖRUNGEN
41
3.3.9
VORZEITIGER VERSCHLUSS DES DUCTUS ARTERIOSUS BOTALLI
41
3.4
GRUNDSÄTZE DES ANALGETISCHEN EINSATZES
42
3.4.1
DER WHO-STUFENPLAN
43
3.4.2
AUSWAHL DES RICHTIGEN ANALGETIKUMS
46
3.4.3
SCHMERZTHERAPIE IM GANZHEITLICHEN VERSTÄNDNIS
47
3.4.4
ZUKUNFTSAUSSICHT
47
3.5
TOPISCHE ANWENDUNG
49
3.6
NICHT SAURE, ANTIPYRETISCHE ANALGETIKA
50
3.6.1
PARACETAMOL
50
3.6.2
METAMIZOL
52
3.7
NOA OHNE ANTIPYRETISCHE UND ANTIPHLOGISTISCHE WIRKUNG
3.7.1
3.8
FLUPIRTIN
54
FEHLER! TEXTMARKE NICHT DEFINIERT.
SAURE, ANTIPYRETISCHE UND ANTIHLOGISTISCHE ANALGETIKA
56
3.8.1
ACETYLSALICYLSÄURE
56
3.8.2
DICLOFENAC
58
3.8.3
INDOMETACIN
59
3.8.4
IBUPROFEN
60
3.8.5
DEXIBUPROFEN
61
3.8.6
NAPROXEN
62
3.8.7
MELOXICAM
63
3.8.8
PIROXICAM
64
3.8.9
LORNOXICAM
65
3.8.10
NIMESULID
66
3.9
SELEKTIVE COX-2-HEMMER
68
3.9.1
CELECOXIB
68
3.9.2
PARECOXIB
69
3.9.3
ETORICOXIB
70
4
LITERATURVERZEICHNIS
72
ix
Glossar und Abkürzungen
%
Prozent
ACE
Angiotensin-Converting-Enzyme
ASS
Acetylsalicylsäure
ca.
circa
CGRP
Calcitonin Gene-Related Peptide
COX
Cyclooxygenase bzw. Cyclooxygenasen
CRPS
komplexes regionales Schmerzsyndrom
CYP
Cytochrom P450
FPS
Faces-Pain-Skala
FR
Formatio reticularis
GABA
γ-Aminobuttersäure
GIT
Gastrointestinaltrakt
h
Stunde
KFV
Kuratorium für Verkehrssicherheit
kg
Kilogramm
KG
Körpergewicht
KHK
koronare Herzkrankheit
LOX
Lipoxygenase bzw. Lipoxygenasen
MAA
4-N-Methylaminoantipyrin: wirksamer Metabolit von Metamizol
max.
maximal bzw. maximale
Ncl.
Nucleus
NMDA
N-Methyl-D-Aspartat
NOA
Nicht-Opioid-Analgetikum bzw. -Analgetika
NRS
numerische Rating-Skala
NSAR
Nichtsteroidale Antirheumatika
PNS
peripheres Nervensystem
PPI
Protonenpumpenhemmer
SMP
sympathisch unterhaltener Schmerz
sog.
sogenannt
SSNRI
selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
SSRI
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
x
TCA
trizyklische Antidepressiva
TIA
transitorische ischämische Attacke
u.a.
unter anderem
v.a.
vor allem
VAS
visuelle Analog-Skala
VRS
verbale Rating-Skala
vs.
versus
WDR-Neuron wide-dynamic-range-Neuron
WHO
Weltgesundheitsorganisation
z.B.
zum Beispiel
ZNS
Zentralnervensystem
xi
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verteilung von Druck- und Schmerzpunkten auf der Haut eines Unterarms (aus
Bartels & Bartels 2004, S. 273)_________________________________________________ 7
Abbildung 2: Mögliche Schmerzzentren (und ihre Funktionen) einer Schmerzerfahrung (aus
Butler & Moseley 2009, S. 33) ________________________________________________ 11
Abbildung 3: Schmerzerfassung mittels Schmerzskalen (aus Beubler 2012, S. 7)_________ 30
Abbildung 4: WHO-Stufenleiter (aus Diener & Maier 2011, S. 234) ____________________ 43
xii
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Sportverletzungen in Österreich 2013: aufgeschlüsselt nach Körperregionen (aus
KFV 2013)_________________________________________________________________ 4
Tabelle 2: Charakteristika von akutem und chronischem Schmerz (aus Specht-Tomann &
Sandner-Kiesling 2014, S. 35) ________________________________________________ 13
Tabelle 3: Fragenkatalog zur Schmerzerfassung __________________________________ 29
Tabelle 4: Einteilung der Nicht-Opioid-Analgetika (modifiziert nach Beubler 2012, S. 18) ___ 33
Tabelle 5: Selektivität der COX-Hemmung (modifiziert nach Beubler 2012, S. 20) ________ 35
Tabelle 6: Prozentuale COX-2-Hemmung (modifiziert nach García Rodríguez et al. 2008) __ 36
Tabelle 7: Arzneimittelentscheidungshilfe (aus Beubler 2012, S. 100) __________________ 46
xiii
1 Einleitung
Egal ob bei Hobby- oder Spitzensportlern, egal ob zur Gesundheitserhaltung, zur
Gesundheitswiedererlangung oder um persönliche Ziele zu erreichen, Sport spielt
für sehr viele Menschen eine wichtige Rolle im Leben. Einhergehend mit
sportlichen Tätigkeiten sind leider häufig Verletzungen bzw. die Folgeschäden von
jahrelanger Fehl- oder Überbelastung. Im Zentrum der Behandlung steht mitunter
der Schmerz. Aus ärztlicher Sicht ist es ein notwendiges Ziel Schmerzreduktion
bzw.
Schmerzfreiheit
zu
erreichen.
Dabei
können
die
therapeutischen
Möglichkeiten unterschiedlicher nicht sein. Angefangen von Sofortmaßnahmen an
Ort und Stelle über Trainings-Zwangspausen, medikamentöser Schmerzstillung,
Wiederherstellung der Bewegungsfunktion bis hin zur Begleitung chronischer
Angelegenheiten reicht das therapeutische Spektrum.
Im allgemeinen Teil dieser Arbeit wird auf die Häufigkeit von Sportverletzungen
und auf die physiologischen und pathophysiologischen Prozesse bei der
Entstehung, der Weiterleitung, der Interpretation und der Unterhaltung von
Schmerzen eingegangen. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen akuten
und
chronischen
Schmerzen
Schmerzchronifizierung
Schmerzarten
führen.
besprochen.
aufgezeigt
Andererseits
Nozizeptive,
und
welche
werden
die
neuropathische
Prozesse
zur
unterschiedlichen
oder
psychogene
Schmerzen entstehen auf unterschiedlichen Wegen. Die Kenntnis darüber ist
deshalb wichtig, da einzelne Schmerzarten besser oder schlechter auf die
diversen Schmerztherapien anschlagen. Oft liegt aber nicht nur eine einzelne
Schmerzform vor, sondern eine Kombination von mehreren Arten, sogenannten
Mischschmerzen. Innerhalb der Klasse der neuropathischen Schmerzen führen
diverse
pathophysiologische
Mechanismen
zu
einem
individuellen
somatosensorischen Schmerzprofil. Dies verkompliziert die Wahl einer geeigneten
Therapie immens und erklärt das teilweise noch unzufriedenstellende Outcome.
Die Anzahl chronischer Schmerzpatienten/innen in Europa liegt bei ca. 20 % und
verdeutlicht, dass dieses Volksleiden eine große Rolle spielt und bis dato nur
unzureichend effektiv therapiert wird (Van Hecke et al. 2013). In dieser Studie
1
sollen mögliche Arbeitshypothesen und Theorien aufgezeigt werden, die
zukünftige Schmerztherapien revolutionieren und Alternativen bieten könnten.
Im
speziellen
Teil
Einsatzmöglichkeiten
werden
die
besprochen.
Nicht-Opioid-Analgetika
Die
Substanzklassen
werden
und
ihre
in
ihren
generellen Wirkungen und Wechselwirkungen vorgestellt. Innerhalb der einzelnen
Substanzklassen
werden
die
gängigsten
Arzneimittel
im
Hinblick
auf
Pharmakodynamik, -kinetik und den Nebenwirkungen zueinander verglichen. Ein
eigenes Kapitel ist der topischen Applikation gewidmet. Wer häufig Sport treibt,
kann häufig von Schmerzen betroffen sein (Seither 2008). Ein oftmaliger Einsatz
von Analgetika erhöht die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen. Deshalb gilt
es
festzustellen,
ob
die
topische
Verabreichung
eine
konkurrenzfähige
Therapieerwägung ist.
2
2 Allgemein
2.1 Häufigkeit von Sportverletzungen
Sportliche Tätigkeiten können den aktiven Menschen auf verschiedenste Art und
Weise in Mitleidenschaft ziehen. Die eingeschränkte Bewegungsfunktion und
vorhandene Schmerzen sind die häufigsten Gründe für eine ärztliche Konsultation
(Brasseur 1997).
Grob werden aus sportmedizinischer Sicht akute Verletzungen von chronischen
Überlastungsschäden unterschieden.
Akute Verletzungen können nach Ereignissen wie Stürzen, Zusammenstößen,
Unfällen, etc. entstehen und sind meist mit Makrotraumen verbunden. Einer
Datenerhebung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zufolge, verletzten sich im
Jahr 2013 in Österreich knapp 200.000 Menschen im Zuge von sportlichen
Aktivitäten so schwer, dass eine Versorgung in einem Krankenhaus die Folge war.
Die Sportarten Skifahren, Fußballspielen und Radfahren deckten in Österreich fast
die Hälfte aller behandelten Sportunfälle ab. Verletzungen an der oberen oder
unteren Extremität überwiegen gegenüber jenen von anderen Körperteilen. Das
Risiko für Kopfverletzungen ist anteilsmäßig vor allem beim Reiten und anderen
Pferdesportarten sowie beim Schwimmen, Springen und Tauchen erhöht. Beim
Ausüben der Sportarten Snowboarden, Inlineskaten und Skateboarden sieht man
sich anteilsmäßig vor allem mit Verletzungen an Schulter, Arm und Handgelenk
konfrontiert. Fußballer, Wanderer und Jogger sind mit einem erhöhten
Verletzungsrisiko besonders der unteren Extremität behaftet.
3
Tabelle 1: Sportverletzungen in Österreich 2013: aufgeschlüsselt nach Körperregionen (aus
KFV 2013)
Zu diesen 200.000 Sportunfällen kommt wahrscheinlich ein Vielfaches an
Schmerzzuständen als Folge von sportlicher Tätigkeit hinzu, die bei dem/der
Hausarzt/Hausärztin, einem/r anderen Therapeuten/in oder zu Hause selbst
behandelt werden.
Eine repräsentative Studie in Deutschland unter 7.000 Befragten ergab, dass sich
3,1 % der untersuchten Personen in den vorhergehenden zwölf Monaten eine
Sportverletzung zugezogen haben. Damit liegen Sportverletzungen an dritter
Stelle knapp nach Heim- bzw. Arbeitsunfällen (3,7 % bzw. 3,2 %). Mit Zunahme
der sportlichen Tätigkeit erhöht sich die Gefahr eine Verletzung zu erleiden.
Bereits bei durchschnittlich einer Trainingsstunde pro Woche erhöht sich die
jährliche Inzidenz auf 6,4 %. Ca. 60 % aller Verletzungen sind muskuloskelettale
bzw. ligamentäre Verletzungen wie Kontusionen, Luxationen oder Schäden am
Kapsel-Band-Apparat (Seither 2008). Hochrisikogruppen sind junge Männer.
Sportverletzungen, die zur ärztlichen Versorgung gelangten, waren in über der
Hälfte der Fälle mit einer Arbeitsunfähigkeitsperiode verbunden. Zwei Drittel davon
4
konnten der Arbeit nach spätestens zwei Wochen wieder nachkommen (Schneider
et al. 2006).
Im Gegensatz zu Sportunfällen entstehen chronische Beschwerdebilder infolge
von
Überbeanspruchungen
des
skelettalen
oder
muskulären
Bewegungsapparates über einen längeren Zeitraum. Hierbei handelt es sich um
entstandene Mikrotraumen, die sich über die Zeit zu einem Belastungsschaden
subsummieren können. Jahrelanges Überbeanspruchen einer Körperregion
aufgrund
falscher
Haltung
oder
falschem
Ehrgeiz
kann
die
Basis
für
Folgeerkrankungen bilden.
5
2.2 Schmerzphysiologie
Die Kenntnis über die physiologischen sowie pathophysiologischen Abläufe der
Schmerzverarbeitung
bildet
die
Grundlage
für
das
Verständnis
der
Schmerztherapie. Es handelt sich um eine vielschichtige Sinnesempfindung, die
ihren
Ursprung
(v.a.
beim
nozizeptiven
Schmerz)
in
den
Schmerz
wahrnehmenden Nozizeptoren des PNS (peripheres Nervensystem) hat. Über
sensorische Nervenfasern erfolgt die Weiterleitung. Verarbeitet und interpretiert
werden die eingehenden Signale vom ZNS.
2.2.1 Entstehung
Schmerz entsteht u.a. in Nozizeptoren. Rein morphologisch handelt es sich hier
um freie Nervenendigungen, an denen aus gewebsschädigenden Reizen ein
elektrisches Potenzial entsteht und weitergeleitet wird. Solche Nozizeptoren
befinden sich in allen schmerzempfindlichen Geweben, u.a. in Haut, Gelenken,
Muskeln, Bändern (Lüllmann-Rauch 2012).
Die Zahl der Nozizeptoren ist in manchen Geweben, z.B. in der Haut, um ein
Vielfaches höher als die Zahl anderer Hautrezeptoren. In Abbildung 1 wird die
Dichte von Nozizeptoren im Vergleich zu jenen von Druckrezeptoren und Haaren
auf der Beugeseite eines Unterarmes gezeigt.
6
Abbildung 1: Verteilung von Druck- und Schmerzpunkten auf der Haut eines Unterarms (aus
Bartels & Bartels 2004, S. 273)
Nozizeptoren werden durch unterschiedliche Reizarten erregt. Thermische,
mechanische oder chemische Reize von genügend hoher Intensität lösen ein
Aktionspotenzial
aus. Auf
chemischem
Wege führen schmerzauslösende
Mediatoren, die z.B. bei Entzündungen oder Zellzerstörung ausgeschüttet werden,
zu einer nozizeptiven Erregung (D’Mello & Dickenson 2008).
Zu diesen Botenstoffen, gehören u.a. Kalium, Histamine, Prostaglandine,
Bradykinin, Leukotriene und Zytokine. Der Gewebeschaden regt des Weiteren die
Blutgerinnung an, welche zur Ausschüttung von Bradykinin und Serotonin führt. Es
kommt zu Gefäßverschlüssen. Die entstehende Ischämie und der durch die
eigentliche Verletzung entstandene Zellschaden bedingen eine extrazelluläre
Anhäufung von Kaliumionen und Protonen, die Nozizeptoren werden für weitere
Reize sensibilisiert. Dagegen wirken Bradykinin, Histamin und Prostaglandin E2
vasodilatatorisch, steigern die Gefäßpermeabilität und führen zu einem lokalen
Ödem. Der erhöhte Druck durch die Raumforderung sensibilisiert seinerseits die
Nozizeptoren. Substanz P und CGRP werden bei eingehenden Reizen sezerniert,
was ebenfalls die Entzündung und die Vasodilatation fördert sowie eine erhöhte
Gefäßdurchlässigkeit bewirkt. Durch diese vielfältigen Prozesse wird das
schmerzwahrnehmende Gebiet in Summe empfänglicher und größer (Silbernagl &
Lang 2009).
7
2.2.2 Weiterleitung
Sobald genügend Schmerzreize (chemisch, thermisch, mechanisch) auf die
pseudounipolaren Neurone wirken, wird ein kritischer Schwellenwert erreicht. Mit
dem Überschreiten dieser Schwelle wird ein Aktionspotenzial ausgelöst. Das
elektrische Signal wird von unterschiedlichen Fasertypen zum Rückenmark
befördert.
Zum kleineren Teil gibt es A-δ-Fasern. Sie sind dünn myelinisiert und leiten
deshalb die Information relativ rasch weiter (10 – 30 m/s). Diese erste
Schmerzempfindung wird häufig auch als 1. (Oberflächen-)Schmerz bezeichnet
und eher als „scharf und schnell“ beschrieben. Schmerzen, die durch A-δ-Fasern
übertragen werden, sind zumeist gut lokalisierbar. Sie sind für die rasche
Entwicklung von Flucht- und Abwehrreflexen verantwortlich.
Nach dem ersten Schmerz erfolgt nach einem kurzen Latenzintervall der eher als
„dumpf“
empfundene
sogenannte
2.
(Oberflächen-)Schmerz.
Dieser
ist
schwieriger zu lokalisieren. Schätzungen gehen davon aus, dass 80 - 90 % aller
Nozizeptoren langsame C-Fasern (0,5 – 2 m/s) haben (Gekle et al. 2010). CFasern sind entwicklungsgeschichtlich älter und besitzen keine Myelinscheiden.
Das erklärt die geringere Leitgeschwindigkeit.
Am anderen Ende des ersten Neurons kommt das Signal im Hinterhorn des
Rückenmarks an und wird dort umgeschaltet. Biochemisch gesehen kommt es am
synaptischen Spalt zur Ausschüttung von Neurotransmittern, wodurch das Signal
auf das zweite Neuron übertragen wird.
Einerseits kommt es hier zu Reflexverschaltungen. Damit wird der eigentliche
Warncharakter erfüllt. Noch bevor der Schmerz bewusst wahrgenommen wird,
wird eine Flucht- oder Abwehrbewegung getätigt. Beim Berühren eines spitzen
Gegenstandes
z.B.
wird
der
Fuß
reflexartig
zurückgezogen.
Auf der anderen Seite kreuzen die Fasern nach Umschaltung im Rückenmark zur
Gegenseite und gelangen über den Tractus spinothalamicus bzw. den Tractus
spinoreticularis (2. Neuron) ins Gehirn, wo die Informationen weitergeleitet,
verarbeitet und interpretiert werden. Erst so kommt es zu einer bewussten
schmerzhaften Empfindung.
8
2.2.2.1 Spinale Modulation
Die komplexen Verschaltungen im Rückenmark machen es möglich, dass die
Signale vor ihrer Weiterleitung ans Gehirn verstärkt oder gehemmt werden
können. Eine Schwächung des Immunsystems infolge einer Erkrankung kann eine
Signalverstärkung bedingen, weshalb Menschen, die z.B. an einer Grippe leiden,
eine allgemein höhere Schmerzempfindlichkeit haben.
Dagegen kann es zu einer Signalminderung kommen. Die Schmerzempfindung ist
unter
Schock
oder
großer
Euphorie
gedämpft.
Für
diese
Modulation
mitverantwortlich sind Interneurone, WDR-Neurone und absteigende hemmende
Bahnen.
 Interneurone sind Nervenzellen, die in kleinen definierten Bereichen
andere Nervenzellen miteinander verschalten. Im Rückenmark haben sie
die Aufgabe das Signal vom 1. Neuron (Nozizeptoren) zum 2. Neuron
weiterzuleiten. Diese Zwischenstationen steuern den Ein- und Ausgang der
Nervenzellen und können so die Signalströme modifizieren. So haben
GABAerge Interneurone einen hemmenden Einfluss auf WDR-Neurone.
 Das 2. Neuron ist ein WDR-Neuron (wide-dynamic-range). Sie haben die
Fähigkeit aus der Peripherie multizeptive (Schmerz, Berührung, Druck,
Wärme), polymodale (A-δ-Fasern, C-Fasern) Signale aufzunehmen und
projizieren weiter im Tractus spinothalamicus. Das bedeutet, dass viele
Signale
(Nozizeptoren,
Mechanorezeptoren)
auf
ein
WDR-Neuron
zusammenlaufen (Konvergenz). Diese Tatsache ist die Basis der GateControl-Theorie. Melzack und Wall postulierten zum ersten Mal 1965 mit
ihrer Gate-Control-Theorie eine multidimensionale Darstellung eines
Schmerzkonzeptes und formulierten eine Schmerzverarbeitung, welche auf
mehreren Ebenen passiere. Sie sprachen dabei der spinalen Verschaltung
im Hinterhorn einen hohen Stellenwert zu. Viele unterschiedliche Neurone
aus der Peripherie konvergieren dort mit einer Menge an eingehenden
Sinnesreizen auf ein Neuron. Mehrere eingehende Berührungsreize (A-βFasern) hätten so z.B. einen hemmenden Effekt auf nozizeptive Afferenzen.
Die Gate-Control-Theorie beschränkt sich auf das Verständnis des
klassischen, nozizeptiven Schmerzes, wurde aber selbst in diesem Kontext
von anderen Arbeiten widerlegt (Schmidt 1993). Nichtsdestotrotz prägte
9
das Gedankengut, Schmerzen auf mehreren Ebenen zu betrachten und
auch psychische Faktoren miteinzubeziehen, die folgenden Jahre der
Schmerzforschung.
Eine Hyperreagibilität peripherer Afferenzen führt sekundär zu einer
Veränderung der chemischen Zusammensetzung am synaptischen Spalt
der WDR-Neurone, wodurch sie ebenfalls verstärkt erregbar sind. In
diesem Zusammenhang spricht man von zentraler Sensibilisierung (Traub
1997; Baron et al. 2013). WDR-Neurone haben dadurch einen großen
Einfluss auf das Schmerzgedächtnis.
 Vom
Locus
coeruleus
und
den
Raphekernen
kommend
ziehen
absteigende inhibitorische Bahnen zum Rückenmark und projizieren dort
auf Interneurone. Diese wiederum hemmen GABAerg oder durch endogene
Opiode die Übertragung vom Nozizeptor auf das zweite Neuron. Ihr
physiologischer
Nutzen
Schmerzchronifizierung
liegt
von
des
Beginn
Weiteren
an
darin,
einer
entgegenzuwirken.
Pharmakologisch setzen Opioide an genau diesem Punkt an. Sie sind
hochpotente Schmerzmittel und hemmen über Bindung an verschiedenen
Opioid-Rezeptoren zum einen die Schmerzübertragung im Rückenmark
und aktivieren zum anderen die absteigende hemmende Bahn.
2.2.3 Verarbeitung
Die im Rückenmark aufsteigenden Bahnen erreichen das Gehirn und werden dort
verarbeitet. Die bewusste Wahrnehmung, die kognitive und emotionale Bewertung
und die affektiven, endokrinen, motorischen, autonomen und vegetativen
Reaktionen
erfolgen
in
zahlreichen
sogenannten
Schmerzzentren,
die
untereinander vernetzt sind und sich so gegenseitig beeinflussen. Es ist
festzuhalten, dass im Gegensatz zur Berührungs- und Temperaturempfindung die
Schmerzwahrnehmung ein unglaublich komplexes Geschehen ist. Im Folgenden
wird versucht die Schmerzverarbeitung grob darzustellen.
10
Abbildung 2: Mögliche Schmerzzentren (und ihre Funktionen) einer Schmerzerfahrung (aus
Butler & Moseley 2009, S. 33)
Abbildung 2 zeigt Hirnareale, die im Zuge von Schmerzerfahrungen häufig aktiv
sind. Die zugehörigen Funktionen sind ebenso aufgelistet.
Wichtige Projektionsorte und -bahnen sind überdies:
 Der Ventrobasalkern des Thalamus: Die vom Tractus spinothalamicus
aufsteigenden Nervenfasern erreichen den Ventrobasalkern des Thalamus
und gelangen von dort zum somatosensorischen Kortex (3. Neuron), wo die
bewusste Schmerzwahrnehmung und -lokalisierung erfolgt.
 Die Formatio reticularis (FR): Lateral des Tractus spinothalamicus steigt
der Tractus spinoreticularis im Rückenmark auf zur Formatio reticularis, wo
die durch Schmerzreize ausgelöste Weckreaktion ihren Ursprung hat.
 Von der FR ziehen Fasern zum Hypothalamus. Hier resultieren einige der
vegetativen und endokrinen Reaktionen auf Schmerzreize.
11
 Des Weiteren gibt es von der FR Projektionen zur Amygdala. Vor allem die
affektiven Komponenten des Schmerzes werden hier vermittelt (Furcht,
Angst).
 Aufsteigende
Informationen
werden
in
medialen
Thalamuskernen
umgeschaltet und verlaufen von dort zu anderen Strukturen des
limbischen Systems (z.B. zum Gyrus cinguli), welche für die emotionale
Bewertung zuständig sind.
Bildgebende Untersuchungen über die Hirnaktivität bei Schmerzen haben gezeigt,
dass Schmerzerfahrungen konstante Aktivierungsmuster aufweisen können. Das
Maß der Hirnaktivität und die Lokalisation der angeregten Areale schwanken
zwischen mehreren Personen aber enorm. Selbst bei ein und derselben Person
sind
unter
verschiedenen
Gegebenheiten
mannigfaltige
Ergebnisse
im
Aktivitätsmuster festzustellen. Die Verarbeitung und Interpretation von Schmerzen
obliegt also nicht nur einzelnen Schmerzzentren, sondern erfolgt in einer Vielzahl
von Hirnanteilen (Peyron et al. 2000; Ingvar 1999).
Die Erkenntnis über die komplexe Schmerzverarbeitung im Gehirn und der
individuellen Abweichung der hirnaktiven Zentren ist die Basis für ein erweitertes
Verständnis der Schmerzentstehung und der Schmerzbetrachtung aus ärztlicher
Sicht.
2.2.4 Interpretation
Schmerz ist nicht einfach nur das Ergebnis von angeregten Nozizeptoren, deren
Signale über verschiedene Umschaltstationen ins Gehirn geleitet und eben als
solche wahrgenommen werden. Es handelt sich um ein subjektives Empfinden.
Seit unzähligen Jahren werden deshalb zur Feststellung von Schmerzzuständen
mitunter Anamnesegespräche durchgeführt, in denen es um die Wahrnehmung
aus
der
Sicht
des/der
Patienten/in
geht.
So
wird
die
subjektive
Schmerzempfindung, besonders bei chronischen Schmerzerlebnissen, sehr von
motivationalen (Clark et al. 2001; Auvray et al. 2010) und kognitiven (Bunketorp et
al. 2006; Tremblay & Sullivan 2010) Faktoren geprägt.
12
2.3 Akute vs. Chronische Schmerzen
Schmerzen
äußern
sich
auf
unterschiedlichsten
Ebenen.
Um
dem/der
behandelnden Arzt/Ärztin die Auswahl des Therapeutikums zu erleichtern, ist eine
Einteilung von Vorteil. Dahingehend werden sie nach ihrem zeitlichen Auftreten in
akute und chronische Schmerzen eingeteilt.
Akute Schmerzen hängen ursächlich mit körperlichen Schäden zusammen und
dienen als Warnsignal. Dieser Zusammenhang ist für die Diagnose oft
wegweisend.
Sie
sind
durch
Behebung
der
Ursache
und
adäquater
Schmerztherapie nach Stunden bis Tagen reversibel.
Chronische Schmerzen haben dagegen ihr körperliches Korrelat verloren, dafür
kommen soziale und psychische Faktoren hinzu (Rückzugsverhalten, Isolation,
Katastrophisierung, Angst, Depression usw.), die den Zustand für den/die
Patienten/in unerträglich machen können. Die Behandlung dieser ist wesentlich
schwieriger. Je nach Autor/in spricht man von chronischen Schmerzen, wenn
diese länger als drei bis zwölf Monate bestehen.
Tabelle 2: Charakteristika von akutem und chronischem Schmerz (aus Specht-Tomann &
Sandner-Kiesling 2014, S. 35)
Sowohl akute Sportverletzungen, als auch chronische Überlastungsschäden
können sich vorerst durch akute Schmerzen äußern und später chronifizieren. Z.B.
13
kann
eine
wochenlange
Reizung
der
Achillessehne
(chronischer
Überlastungsschaden) plötzlich schmerzhaft werden (akute Schmerzen). Bei
Nichtbeachtung des Warnsignales kann die betroffene Region hinterher dauerhaft
schmerzen (Schmerzchronifizierung).
2.3.1 Akute Schmerzen
Akute Schmerzen sind als Warnsignal anzusehen. Sie entstehen durch
gegenwärtige oder potenzielle Gewebeschädigung, haben also einen körperlichen
Bezugspunkt und sind wichtige Wegbegleiter. Primäres Ziel ist es den Organismus
vor weiteren Schäden zu schützen. Sie können physiologische Prozesse wie z.B.
das Knochenwachstum in den Wachstumsfugen begleiten. Sie kommen zum
Vorschein, wenn durch endogene oder exogene Faktoren eine Gefährdung
besteht. Zum einen wird gemeldet, wann die körperlichen Grenzen im Zuge einer
Beanspruchung erreicht sind. Bei oberflächlichen Verletzungen schützen akute
Schmerzen vor weiteren Schäden. Andererseits geben sie einen Hinweis darauf,
dass ein Lebenswandel oder ein Umdenken z.B. in der Trainingsplangestaltung
notwendig ist. Sie sind gut behandelbar und bilden sich nach kausaler Therapie
oder mit entsprechenden Therapeutika schnell zurück. Auch heilen sie ohne
ärztliches Zutun nach einer gewissen Zeit komplikationslos ab.
NOA können, sofern keine Kontraindikationen bzw. kein Indiz für eine andere
bessere Therapie vorliegen, initial bei akuten Schmerzen verwendet werden. Bei
Verstauchungen, Prellungen und anderen mit Sportverletzungen häufig in
Verbindung gebrachten Schmerzzuständen ist ein NOA ein möglicher Startpunkt.
Die Auswahl des NOA richtet sich nach den Begleiterscheinungen und eventuell
vorhandenen Vorerkrankungen. Muskelverspannungen, Entzündungen etc. sind
Sachverhalte, die die Arzneiwahl beeinflussen.
Bei
unzufriedenstellendem
Therapieerfolg
sollte
die
Schmerzdiagnose
(fehldiagnostizierte Schmerzart) überdacht und eventuell die Arzneimittelklasse
geändert werden. Ansonsten kann bei Fortdauer der Schmerzen der Empfehlung
des WHO-Stufenschemas folgend auf die nächsthöhere Stufe gewechselt werden.
14
2.3.2 Chronische Schmerzen
Im Gegensatz dazu hat der chronische Schmerz seinen physiologischen Nutzen
als Warnsignal verloren und wird von dem/der Patienten/in als belastend
betrachtet. Das ursprünglich auslösende körperliche Geschehen ist bereits
abgeheilt oder hat mit der Fortdauer der Schmerzzustände gar nichts mehr zu tun.
Vielmehr kommt es im Rückenmark und Gehirn zu Strukturveränderungen.
Kleinste Schmerzreize oder Berührungen werden übertrieben lang und stark
empfunden.
Dazu
gesellen
sich
körperliche
und
psychische
Chronifizierungsfaktoren, die schmerzverstärkend und schmerzerhaltend wirken.
Das Spektrum reicht von Angst, Depression, Lustlosigkeit, Antrieblosigkeit,
Schlafstörungen und Verdauungsstörungen bis hin zu Appetitlosigkeit. Zu den
quälenden Schmerzen und der niedergeschlagenen Psyche kommen soziale
Verhaltensänderungen
hinzu.
Rückzugstendenzen
und
Isolation
sind
zu
beobachten. Aufgrund dessen, dass Leidende dazu neigen immerzu über ihre
Schmerzen und die damit verbundenen Probleme zu reden, wird der Kontakt mit
ihnen zusätzlich gemieden. Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn sich
diese über einen Zeitraum von mehr als drei bis zwölf Monaten erstrecken.
Langwierige
und
schwer
behandelbare
Rückenschmerzen,
degenerative
Wirbelsäulen- und Bandscheibenläsionen, rheumatische Erkrankungen oder
Abnutzungserscheinungen an Gelenken (wie z.B. die Arthrose) sind Beispiele für
Erkrankungen mit häufig vorkommenden, chronischen Schmerzen.
Die Gabe von NSAR hat sich bei chronischen Schmerzen nicht bewährt (außer bei
Erkrankungen des rheumatoiden Formenkreises bzw. bei Schmerzen, die eine
wesentliche Entzündungskomponente inkludieren). Stattdessen werden Opioide,
Antikonvulsiva und Antidepressiva bei chronischen Schmerzen verabreicht.
Antidepressiva haben bei neuropathischen Schmerzen ihren Nutzen. Sie können
auch bei einer ausgeprägten psychogenen Komponente einen hilfreichen Anstoß
aus einer depressiven Phase geben. Je länger ein Schmerzzustand andauert,
desto mehr muss der Behandelnde psychologische und ökosoziale Aspekte mit in
die Therapie integrieren. Physiotherapie, Psychoedukation und die Schaffung bzw.
Festigung sozialer Netzwerke können für den Menschen äußerst dienlich sein.
Verhaltenstherapeutische Ansätze, die in der Akuttherapie keine Rolle spielen,
15
erweisen sich bei chronischen Schmerzpatienten/innen als sehr hilfreich
(Pfingsten et al. 1997).
2.3.3 Schmerzchronifizierung
Im
Rahmen
von
sportlichen
Schmerzchronifizierung
kommen.
Tätigkeiten
Werden
über
kann
es
indirekt
einen
längeren
zur
Zeitraum
Sportübungen im Sinne einer körperschädigenden Ausführung falsch praktiziert,
kann es zu Verletzungen des Halte- und Bewegungsapparates kommen (z.B.
Bandscheibenvorfall, Nervenwurzelkompressionssyndrom etc.), welche in weiterer
Folge
zu
einer
chronischen
Schmerzkrankheit
führen.
Bei
der
Schmerzchronifizierung kommen verschiedene Mechanismen zum Tragen. Sie
beruhen auf Neuroplastiztiät, also der Fähigkeit des Nervensystems sich abhängig
von ihrer Verwendung in ihren Eigenschaften zu verändern. Die wichtigsten
Mechanismen sind das Schmerzgedächtnis und das Wind-Up-Phänomen.
2.3.3.1 Schmerzgedächtnis
Wiederholte Schmerzreize bedingen molekularbiologische Veränderungen im
Reiz-Leitungssystem.
Diese
äußern
sich
durch
Anpassung
der
Proteinbiosynthese. Verschiedene Proteine für Rezeptoren und Ionenkanäle
werden in Folge in einer unphysiologisch hohen Anzahl umgesetzt. Es kommt zu
einer Veränderung der Synapsen und dem Umbau von Zellnetzwerken. Die
Reaktionsbereitschaft
bleibt
der
Nervenzelle
erhalten,
sodass
selbst
physiologische Reize auf chemischem, thermischem oder mechanischem Wege
Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten (sog. Allodynie). Mehrere Tierversuche
haben
Veränderungen
der
Genexpression
im
Hinterwurzelganglion
nach
Verletzung (Bangaru et al. 2015), nach induziertem Kältestress (Kozaki et al.
2015) und bei Entzündung (Watanabe et al. 2015) belegt. Das Spinalganglion
könnte eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Schmerzgedächtnisses
einnehmen.
Bis zu einem gewissen Grad kann der Körper durch die hemmenden
absteigenden Bahnen die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses kontrollieren.
16
Ab einem gewissen Punkt ist dies aber nicht mehr möglich. Therapeutisches Ziel
ist es daher der Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses zuvorzukommen.
Allerdings haben Untersuchungen gezeigt, dass durch den Einsatz von Opiaten
der Zustand eines Schmerzgedächtnisses reversibel ist (Drdla-Schutting et al.
2012).
2.3.3.2 Wind-Up-Phänomen
Repetitive Schmerzreize lassen die Intensität des 1. Schmerzes kontinuierlich
abnehmen, während sich die Ausprägung des 2. Schmerzes erhöht. Über CFasern kommende Schmerzmeldungen summieren sich langsam und folgende
Reize werden mit einer immer ausgeprägteren Stärke und länger empfunden. Die
NMDA-Rezeptoren an den glutaminergen Synapsen scheinen bei der Entstehung
der bedeutendste Faktor zu sein (Woda et al. 2001). Letztlich kommt es zu einer
verstärkten
Reizweiterleitung,
was
einer
erhöhten
Schmerzwahrnehmung
entspricht (sog. Hyperalgesie). Auch kann es zu Entladungen kommen, ohne dass
es einer Reizung bedarf.
17
2.4 Schmerzarten
Einerseits wird zwischen akuten und chronischen Schmerzen, auf der anderen
Seite
zwischen
ihrer
Entstehungsart
und
den
damit
verbundenen
(patho-)physiologischen Grundlagen differenziert. Speziell für die Therapieplanung
ist dies von enormer Bedeutsamkeit. Je nach Autor/in sind zwischen drei und fünf
Formen zu nennen. Im Folgenden ist eine Aufteilung in die drei Kategorien
nozizeptiver (Unterpunkt: viszeraler Schmerz), neuropathischer (Unterpunkt:
Sympathikus-vermittelte Schmerzen) und psychogener Schmerz gewählt worden.
Dabei kommen die einzelnen Schmerzarten selten isoliert voneinander vor.
Meistens
lassen
sich
bei
einem
pathologischen
Geschehen
mehrere
Komponenten gemeinsam ausmachen. Man spricht dann von Mischschmerzen.
2.4.1 Nozizeptive Schmerzen
Jeder Mensch erfährt während seines Lebens unzählige Male den nozizeptiven
Schmerz. Wann immer durch innere oder äußere Ereignisse eine zu hohe
mechanische, thermische oder chemische Belastung auf ein Gewebe einwirkt,
werden Nozizeptoren aktiv und generieren den nozizeptiven Schmerz. Es werden
mehrere Untergruppen unterschieden, die verschieden wahrgenommen werden.
 Oberflächenschmerzen
 Tiefenschmerzen
 Viszerale Schmerzen
Zusätzlich kann man ebenso Kopfschmerzen und Tumorschmerzen dem
nozizeptiven Schmerz zuordnen, auf die im Folgenden nicht eingegangen wird.
18
2.4.1.1 Oberflächenschmerz:
Dieser entsteht kutan z.B. bei einer Schnittverletzung, bei einer Verbrennung oder
einer Verätzung. Da in der Haut viele freie Nervenendigungen liegen, ist dieser
Schmerz zumeist gut lokalisierbar.
Er wird zu Beginn vorwiegend von schnell leitenden A-δ-Fasern geleitet und wird
deshalb als „hell, scharf, schneidend, stechend und spitz“ beschrieben (1.
Oberflächenschmerz).
Wenn das Agens länger auf das Gewebe einwirkt, kommt es durch die sekundäre
Ausschüttung von Gewebshormonen zur Unterhaltung der Entzündung. Dies führt
zu einer Mehrdurchblutung und einer peripheren Sensibilisierung für weitere
Schmerzreize mit dem Ergebnis, dass das Areal später als „dumpf, pochend und
hämmernd“ aufgefasst wird. Die Übertragung erfolgt durch langsamere C-Fasern
(2. Oberflächenschmerz).
2.4.1.2 Tiefenschmerz
Läsionen des Bewegungsapparates (Bänder, Sehnen, Muskeln, Knochen,
Gelenke) äußern sich als Tiefenschmerz. Die geringe Anzahl an Nozizeptoren
bedingt die schlechtere Lokalisierbarkeit. Meist strahlt er in die Umgebung aus.
Das
Spektrum
der
Schmerzsensation
entspricht
dem
des
sekundären
Oberflächenschmerzes. Er wird als „dumpf“ beschrieben und ebenso vorwiegend
von C-Fasern geleitet.
Oberflächenschmerzen und Tiefenschmerzen können mit unterschiedlichsten
NOA behandelt werden. Der Grad der Verletzung bzw. die Schmerzintensität, die
Lokalisation,
ihre
Begleiterscheinungen
und
etwaige
Kontraindikationen
bestimmen die Medikamentenklasse und die Applikationsform. Hierbei darf nicht
vergessen werden, dass auch bei offensichtlichen Verletzungen eine weitere
Komponente bestehen kann, die z.B. neuropathische Schmerzen verursachen
könnte.
19
2.4.1.3 Viszerale Schmerzen
Zur Gruppe des Nozizeptorschmerzes gehören ebenso viszerale Schmerzen, die
sich
auf
den
Brust-
und
Bauchraum
beziehen.
Im
Vergleich
zum
Oberflächenschmerz decken wenige Nervenfasern ein größeres Gebiet ab. Dies
bedingt, dass die Schmerzen meist schwer zu lokalisieren sind und eher als diffus
erlebt werden. Je näher sich die geschädigte Region an der Brust- oder
Bauchwand befindet, welche verhältnismäßig stark innerviert sind, desto besser ist
der Schmerz zu lokalisieren und desto klarer (heller, schärfer) wird er
wahrgenommen. Eingeweideschmerzen treten u.a. bei Sodbrennen, Gastritiden,
Blinddarmentzündungen, Herzinfarkten, Gallenkoliken und Blasenentzündungen
auf.
Bei viszeralen Schmerzen muss therapeutisch immer an Begleiterkrankungen
gedacht werden, die eine relative bzw. absolute Kontraindikation für die Gabe von
NOA
darstellen
(gastrointestinale
Geschehen,
Blutungen,
Leber-
oder
Nierenschäden etc.). Deshalb schränkt sich die Anwendung von NOA ein. Aus der
Gruppe der NOA ist Metamizol für seine spasmolytischen Eigenschaften bekannt
und wird u.a. bei kolikartigen Schmerzen gegeben.
2.4.2 Neuropathische Schmerzen
Beim neuropathischen Schmerz handelt es sich um einen pathologischen
Prozess, der seinen Ursprung in den Nervenfasern selbst hat. Meistens ist das
PNS betroffen. Zentrale neuropathische Schmerzen haben ihren Ursprung im
ZNS, liegen also im Gehirn oder im Rückenmark. Läsionen im Thalamus (Ncl.
ventralis posterolateralis), der sogenannte Thalamusschmerz sowie im Tractus
spinothalamicus im Rückenmark sind bekannte Vertreter dieser Gruppe.
Bei den häufigeren, peripheren neuropathischen Schmerzen gibt es kein
schädigendes Korrelat an den freien Nervenendigungen, weshalb der klassische
Erklärungsansatz der Schmerzphysiologie hier nicht anzuwenden ist. Auf
vielfältigste Weise können die Nervenfasern betroffen sein, wodurch es zu
Schmerzen kommt.
20
Durch die Irritation kommt es am Entstehungsort sowohl in der Peripherie als auch
im ZNS zu weitreichenden Umbauvorgängen. Die Schmerzen selbst werden
vorwiegend im Bereich des Versorgungsgebietes verspürt. Es kommt auch dort zu
schmerzbegleitenden entzündlichen Prozessen (Ausschüttung von Mediatoren,
Schwellung). Ein verletzter Nerv im Rücken kann z.B. einen geschwollen,
geröteten Fuß zur Folge haben (Howe et al. 1977).
Für den/die Therapeuten/in und den/die Patienten/in sind Nervenschmerzen
aufgrund ihrer vielfältigen zugrunde liegenden Pathomechanismen viel schwieriger
zu bewältigen. Man schätzt, dass 5% der Bevölkerung unter neuropathischen
Schmerzen leiden. Genauere Zahlen dazu gibt es nicht. Die Prävalenz dieser
Erkrankungen scheint deutlich unterschätzt zu werden. Es ist davon auszugehen,
dass aufgrund der längeren Lebenserwartung neuropathische Schmerzzustände
in Zukunft noch häufiger werden (Dworkin 2002).
Ursachen:
 Direkt-mechanisch bedingte Beschwerden entstehen nach Durchtrennung
eines Nervs, welcher darauf mittels verschiedener Reparaturmechanismen
wieder zusammenwächst. Dabei können unterschiedlichste Probleme
entstehen. Phantomschmerzen entstehen, wenn ein schmerzfähiges Areal
des Körpers abgetrennt wird. Je größer das betroffene Areal, desto stärker
ist die Empfindung.
 Wird ein Nerv gequetscht, entzündet sich dieser durch die mechanische
Irritation (man spricht von indirekt-mechanischen Prozessen). Je nach der
Dauer
der
Einwirkung
kommt
es
zu
kleineren
oder
größeren
Umbauprozessen, welche für die Schmerzen verantwortlich sind. Beispiele
für indirekt-mechanische Schädigungen sind das Karpaltunnelsyndrom oder
das Nervenwurzelkompressionssyndrom.
 Metabolische Erkrankungen wie Diabetes Mellitus oder Amyloidosen
schädigen
multiple
Nervenfasern
und
werden
deshalb
auch
den
Polyneuropathien zugeordnet.
 Manche Infektionen können das Nervensystem in Mitleidenschaft ziehen.
Verbleiben nach einer Windpockeninfektion Varicella-Zoster-Viren in den
21
Nervenwurzeln, kann es durch Reaktivierung zu einer Zosterneuralgie
(Gürtelrose) kommen.
Des Weiteren können vaskuläre Pathologien und neoplastische Prozesse
neuropathische Schmerzen verursachen.
Pathophyisiologische Erklärungsmodelle:
Neuropathische
Grundsätzen
Schmerzen
der
lassen
nozizeptiven
sich
mit
den
Schmerzentstehung,
(patho-)physiologischen
-weiterleitung
und
-
verarbeitung nur bedingt erklären. Wie sich die jeweiligen Schmerzen äußern,
hängt weniger mit ihrer Ursache, sondern viel mehr mit den Vorgängen
zusammen, die während der Schädigung bzw. der Reparatur vor sich gehen. Sie
sind
das
Produkt
von
individuell
unterschiedlich
ausgeprägten
pathophysiologischen Veränderungen peripherer und zentraler Strukturen auf
physiologischem,
morphologischem
und
biochemischem
Weg.
Die
noch
unzufriedenstellende Behandlung neuropathischer Schmerzen könnte in Zukunft
auf
Basis
der
zugrunde
liegenden
pathophysiologischen
Mechanismen
treffsicherer gestaltet werden (Baron 2006; Baron et al. 2010).
 Ein Ansatz basiert auf der Vernarbung im Läsionsgebiet, wodurch es zu
Verbindungen zwischen verschiedenen Nerventypen kommen kann. So
können z.B. Berührungsnerven mit Schmerzleitungen verschmelzen. Dies
zieht
nach
sich,
dass
Berührungen
schmerzhaft
verspürt
werden
(Allodynie). Diese Verbindungen können ihrerseits Impulse entladen. Eine
Arbeit aus dem Jahre 1993 schreibt sensibilisierten C-Fasern infolge einer
Nervenverletzung die Ursache zu (Ochoa & Yarnitsky 1993).
 Entzündungszellen, die nach einer Nervenläsion einwandern, bedingen
Veränderungen der Nervenfaser und ihrer Umgebung. Es kommt zu
Spontanentladungen und einer Hyperreagibilität der Schmerzleitungen.
Spontanschmerzen, Hyperalgesie und Allodynie auf thermische und
mechanische Reize sind die Folge (Nickel et al. 2012).
 Einschießende Spontanschmerzen entstehen durch neu exprimierte
Ionenkanäle, die die Erregungsschwelle senken können. Patienten/innen
22
berichten
über
ausgeprägte
Schmerzverstärkungen,
die
Sekunden
andauern (von Hehn et al. 2012).
 Bei Nervendurchtrennungen ging man früher davon aus, dass in dem
betroffenen Bereich ein Entzündungsprozess stattfindet und dieser den
Fortbestand
von
Schmerzsensationen
sicherte.
Der
mangelnde
Therapieerfolg (chirurgische Entfernung von vermuteten, entzündeten
Nervenendigungen) legte dar, dass das angenommene Konzept nicht zu
verwenden ist. Anfang der Neunziger wurde ein anderes Erklärungsmodell
entwickelt. Bei Amputationen übernehmen im somatosensorischen Kortex
durch Ausfall der Afferenzen benachbarte Areale - dem Homunkulus
entsprechend - zum Teil die Repräsentation. Man spricht vom Remapping.
Dies führt dazu, dass Berührungen einer angrenzenden Region eine
Empfindung in der fehlenden Gliedmaße auslösen können (Borsook et al.
1998). Eine neuere Studie zeigt, dass die Neuroplastizität nicht alleine auf
das Remapping vom somatosensorischen Homunkulus beschränkt ist,
sondern eine Reihe von kortikalen Reorganisationen in anderen Bereichen
zusätzlich vonstattengehen (Makin et al. 2015).
 Die Neurone selbst sind mit zahlreichen Nozizeptoren ausgestattet, die
ihrerseits wie alle anderen schmerzempfindlichen Gewebe im menschlichen
Körper bei mechanischer, chemischer oder thermischer Irritation erregt
werden können.
Klinik:
Man unterscheidet Positiv- und Negativ-Symptome. Die individuell ausgeprägte
Zusammenschau aus diesen Symptomen wird somatosensorisches Profil
genannt. Gesteigerte sensorische Empfindungen wie z.B. Par- und Dysästhesien,
evozierte Schmerzen (Hyperalgesie oder Allodynie bei mechanischen oder
thermischen Reizen) oder Spontanschmerzen werden den Positiv-Symptomen
zugesprochen. Auf der anderen Seite können sensorische Reize von den von den
betroffenen Nerven versorgten Regionen schlechter (Hypalgesie) oder gar nicht
(Analgesie) wahrgenommen werden oder das Berührungsempfinden herabgesetzt
sein (Hypästhesie). Diese Zeichen entsprechen den Negativ-Symptomen.
23
Neuropathische
Schmerzen
werden
als
elektrisierend,
einschießend,
explosionsartig und wegen ihrer Intensität oft als unerträglich beschrieben. Sie
können aber auch länger andauern und als brennend, dumpf und schwer
lokalisierbar bei mittlerer bis höherer Intensität wahrgenommen werden. Häufig
wird klinisch der Dreierverbund aus einschießenden Schmerzattacken, evozierten
Schmerzen sowie brennenden Spontanschmerzen beobachtet.
Patienten/innen mit derselben Erkrankung weisen dabei oft ein unterschiedliches
somatosensorisches
Profil
auf.
Umgekehrt
können
sich
verschiedene
Erkrankungen, die neuropathische Schmerzen bedingen, aber in denselben
Symptomenmustern äußern (Maier et al. 2010; von Hehn et al. 2012).
NOA, manche Antikonvulsiva mit der Wirkung auf neuronale Natrium- oder
Calciumkanäle und Antidepressiva wie TCA oder SSNRI können initial angewandt
werden. Alternativ sind topische Arzneimittel wie Capsaicin- oder Lidocainpflaster
angezeigt. Bei unzureichendem Therapieerfolg kann die behandelnde Person auf
langwirksame Opioide umsteigen.
2.4.2.1 Sympathikus-vermittelte Schmerzen
Das
sympathische
Nervensystem
ist
bei
einigen
Schmerzerkrankungen
mitbeteiligt (Maier & Gleim 1998). Man geht einerseits davon aus, dass es nach
Nervenverletzungen (z.B. im Zuge von Frakturen) an der Verletzungsstelle zu
Kurzschlüssen zwischen sympathischen Efferenzen und Schmerzafferenzen
kommen kann. Es wird vermutet, dass nozizeptive Fasern adrenerge αRezeptoren exprimieren, welche bei einer Noradrenalinfreisetzung genau wie das
sympathische Nervensystem aktiviert werden (Treede 1998). Eine andere Theorie
spricht einer sympathisch vermittelten Entzündungsreaktion mit nachfolgender
Sensibilisierung des nozizeptiven Systems die pathophysiologische Basis zu
(Michaelis & Jänig 1998).
Andererseits kann es bei neuropathischen Schmerzen im Bereich der Zellkörper
des
1.
Neurons
(Spinalganglion)
zur
Aussprossung
(Sprouting)
von
sympathischen Nervenfasern rund um den Zellkörper kommen, weshalb auch hier
24
Verbindungen zwischen dem nozizeptiven und dem sympathischen Nervensystem
entstehen können (Jones et al. 1999).
Schmerzen, die im Zusammenhang mit pathologischen Phänomenen des
Vegetativums stehen, äußern sich durch starke Berührungsschmerzen und /oder
übertriebene
Hitze-
oder
Kälteempfindlichkeit.
Begleitsymptome
sind
oft
hinweisend. Die Haut kann in Farbe (heller, dunkler, rot), Konsistenz (Ödem,
teigig) und Wärme im Seitenvergleich unterschiedlich auftreten. Haare können an
der betroffenen Region ausfallen. Die Motorik kann eingeschränkt sein.
Einige Erkrankungen, wie z.B. das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS),
sind durch das Symptom des sympathisch unterhaltenen Schmerzes (SMP),
gekennzeichnet. Werden die Schmerzen bei sympathischer Aktivität verstärkt,
stellt die Sympathikusblockade eine Therapiemöglichkeit dar.
2.4.3 Psychogene Schmerzen
Psychogene Schmerzen stehen im Zusammenhang mit seelischen Problemen
und betreffen Sportverletzungen nur indirekt. Daher soll die Kenntnis und die
therapeutische Herangehensweise von psychogenen Schmerzen hier nur kurz
umrissen werden. Es werden belastende Erfahrungen wie etwa Kummer,
Trennung, Zurückweisung, Verlust, Ängste, Überlastung, Depression etc. als
körperlicher Schaden empfunden (Somatisierung). Außerdem können somatische
Beschwerden eine Ursache sein, aus der sich somatoforme Störungen entwickeln.
Die während des Krankheitsprozesses erhaltene Aufmerksamkeit und Zuwendung
stellen für Betroffene oft einen Krankheitsgewinn dar, weshalb ein Circulus vitiosus
entsteht und der Fortbestand der Schmerzerkrankung gesichert ist. Psychogene
Schmerzzustände zählen mit einer Lebenszeitprävalenz von 12,9 % zu den
häufigsten psychischen Störungen überhaupt (Meyer et al. 2000).
Bei längerem Bestehen der Erkrankung sind anamnestisch häufig ausgeprägte
diagnostische Eingriffe mit wenig bis keinem organischem Korrelat zu erheben.
Klassische Analgetika und auch Opioide bringen nur bedingt und große,
missverständlich durchgeführte Operationen oft nur temporär einen Nutzen.
Bemerkenswert ist, wie sensibel auf ein Anzweifeln der Schmerzen reagiert wird.
25
In dieser Hinsicht kann auch der Begriff „Sportverletzung“ anamnestisch bei
psychogenen Schmerzen erhoben werden. Es ist gar nicht so selten, dass das
eigentliche psychische Problem durch eine vermeintliche Verletzung, die im Alltag
oder eben im Sport entstanden sein soll, überdeckt wird. Um seitens des/der
Patienten/in zu untermauern, dass man kein/e Simulant/in oder Hypochonder ist,
erklärt sich dieser oft und überaus schnell zu großen Eingriffen bereit.
Psychogene Schmerzen sind für den/die Therapeuten/in äußerst schwer zu
behandeln. Häufig entsteht aufgrund einer nicht enden wollenden Suche nach
einer organischen Ursache seitens des/der Patienten/in ein Zielkonflikt zwischen
Behandler/in und zu behandelnder Person. Zusätzlich kommen die meisten
Patienten/innen anamnestisch mit einer langen Liste von bereits durchlebten und
für
sie
nicht
zufriedenstellenden
Therapieversuchen.
Eine
zu
hohe
Erwartungshaltung ist die Folge, die für einen/eine ungeduldigen/ungeduldige
Hilfesuchenden/Hilfesuchende sofort in Enttäuschung münden kann (Kenny
2004). Diese Punkte tragen von vornherein zu einer erschwerten Beziehung
zwischen Arzt/Ärztin und Patient/in bei, welche aber Basis für alle weiteren
Behandlungsschritte wäre.
Auf eine unnötige Medikamentenanhäufung ist Acht zu geben. Dies stellt eine
besondere Herausforderung dar, da psychogene Schmerzpatienten/innen von Zeit
zu Zeit neue Symptome entwickeln können. Tranquilizer, im Speziellen
Benzodiazepine, sind aufgrund ihrer Suchtgefahr abzulehnen. Neuroleptika sind
ebenso
nicht
zu
empfehlen.
Opioide
sollten
nur
bei
entsprechenden
Komorbiditäten verwendet werden (z.B. starke Schmerzen bei schwerer
Osteoarthrose).
Antidepressiva,
insbesondere
trizyklische,
können
eine
schmerzstillende Wirkung erzeugen und zusätzlich bei Einschlafstörungen
verwendet werden (Fishbain et al. 1998).
Die Psychotherapie gilt zurzeit als Therapie der ersten Wahl. Sie inkludiert die
Aufklärung über die Krankheit, ihr Entstehen und psychologische bzw. soziale
Faktoren. Schmerzbewältigungsstrategien werden vermittelt und psychische
Konflikte erkannt und behoben.
26
2.4.4 Mischschmerzen
Tatsächlich ist in den seltensten Fällen nur eine Schmerzart für den/die
Hilfesuchenden/Hilfesuchende das Problem. Zumeist sind mehrere Schmerzarten
an der Erkrankung beteiligt. Die Schmerzen wie z.B. beim Bandscheibenvorfall
oder einer Risswunde bestehen aus einer nozizeptiven und einer neuropathischen
Komponente. Ohtori et al. (2013) kam in einer Arbeit zur Behandlung von
schmerzhafter Gonarthrose zum Schluss, dass die Kombination von Meloxicam
mit Pregabalin Meloxicam alleine überlegen war. Dies lässt die Folgerung zu, dass
bei osteoarthrotischen Beschwerden ein neuropathischer Anteil für die Schmerzen
mitverantwortlich ist (Ohtori et al. 2013).
Auf
der
anderen
Seite
ist
jede
ärztliche
Konsultation
auch
nur
eine
Momentaufnahme. Zu der ursprünglichen Schmerzart können sich im Verlauf
andere hinzugesellen. Der Bandscheibenvorfall kann psychogene Schmerzen
triggern. So ermöglicht die Erkrankung das Fernbleiben von Problemstellen (z.B.
Mobbing am Arbeitsplatz). Ein Fortbestand der Schmerzsymptomatik wäre ein
Krankheitsgewinn. An der Risswunde könnte es zu nozizeptiv-sympathischen
Verschaltungen kommen. Ein komplexes regionales Schmerzsyndrom könnte die
Folge sein.
27
2.5 Diagnostik
Die Schwierigkeit der Schmerzdiagnostik liegt in der Subjektivität. Steht der
Schmerz im Mittelpunkt der ärztlichen Konsultation, ist ein ausführliches
Anamnesegespräch das wichtigste Diagnostikum. Neben gezielten Fragen werden
verschiedene Schmerzskalen zur Objektivierung verwendet. Eine ausgiebige
Inspektion und Palpation sowie klinische Tests und Untersuchungen (orthopädisch
wie neurologisch) können vor allem nach einer entsprechenden Vorgeschichte
nützliche Hinweise zur Therapieplanung geben. Zur Feststellung organischer
Schäden
sind
bildgebende
Verfahren
wie
Röntgen,
Sonografie,
Computertomografie, Magnetresonanztomografie etc. hilfreich. Bei chronischen
und schwer behandelbaren Schmerzpatienten/innen ist anamnestisch immer an
psychische und soziale Aspekte zu denken.
Ein organischer Schaden - wenn überhaupt vorhanden - gibt keinen Rückschluss
auf die vorhandenen Schmerzen, weder auf die Stärke noch auf die Ausprägung.
Um eine erfolgversprechende Therapieschiene zu wählen, ist die Anamnese das
A und O der Diagnosestellung. Angelehnt an den offiziellen Leitlinien der
Deutschen Krebsgesellschaft, sind Schmerzen anamnestisch auf sieben Ebenen
zu erfassen. Die Lokalisation, die Schmerzstärke, die Qualität, die Häufigkeit, die
Dauer, modulierende Faktoren und Begleiterscheinungen sind zu erheben.
28
Mit einfachen „W-Fragen“ kann der/die Therapeut/in die Informationserfassung
einleiten.
W-Frage
Charakteristikum
Wo?
Lokalisation und Ausstrahlung
Wie stark?
Schmerzintensität
Wie fühlt es sich an?
Qualität
Wie oft/regelmäßig?
Frequenz
Wie lange?
Dauer
Was macht den Schmerz stärker/schwächer?
Modulierende Faktoren
Was hat sich noch verändert?
Begleitsymptome
Tabelle 3: Fragenkatalog zur Schmerzerfassung
Lokalisation und Ausstrahlung
Mithilfe von einfachen Fragen kann der/die behandelnde Arzt/Ärztin bei der
Erstkonsultation das Schmerzgebiet eingrenzen. Wandernde Schmerzen im
Verlauf geben Rückschlüsse auf die Erkrankungsursache. Eine etwaige
Ausstrahlung in andere Körperregionen weist auf Kompressionssyndrome hin.
Vermeintlich offensichtliche Ursachen von Schmerzen können in Wahrheit auch
andernorts begründet liegen.
Diffuse, nicht genau lokalisierbare Schmerzen weisen eher auf einen nozizeptiven
Tiefenschmerz oder auf einen viszeralen Schmerz hin. Der Tiefenschmerz strahlt
häufig in benachbarte Regionen aus.
29
Schmerzintensität
Ein sehr wichtiges Charakteristikum zur Ersteinschätzung der Schmerzerkrankung
- aber auch zur Therapiekontrolle - ist die Intensität. Um dem subjektiven Leiden
des/der
Hilfesuchenden
Selbstbeurteilungsskalen
Ausdruck
herangezogen.
zu
Die
verleihen,
am
werden
häufigsten
hierfür
verwendete
Schmerzskala ist die numerische Ratingskala (NRS). Hierbei wird der/die
Patient/in gebeten den erlebten Schmerz mit einer Zahl zwischen Null und Zehn
zu bewerten, wobei Null einem schmerzfreien Zustand entspricht und Zehn den
stärksten vorstellbaren Schmerz darstellt. Analog verhält es sich mit den anderen
Skalen, die in Abbildung 3 ersichtlich sind. Die verbale Ratingskala (VRS), die
visuelle Analog-Skala (VAS) und die NRS können ab einem Alter von ca. 4 Jahren
verwendet werden. Bis zu diesem Alter ist die Smiley-Skala nach Pothmann sehr
gängig.
Abbildung 3: Schmerzerfassung mittels Schmerzskalen (aus Beubler 2012, S. 7)
Die Faces-Pain-Skala (FPS) ist ein weiteres, mittlerweile sehr gängiges
Schmerzerfassungsinstrument und hat den Vorteil gegenüber der Smiley-Skala
nach Pothmann, dass die gezeigten Gesichtsausdrücke Schmerzen verdeutlichen,
30
wohingegen die Smiley-Skala mit Emotionen wie Fröhlichkeit und Furcht
verbunden werden kann.
Qualität
Neben
der Schmerzquantität
ist die
Schmerzqualität
ein
wegweisendes
Charakteristikum zur Diagnosestellung und zur weiteren Planung. Für den/die
Therapeuten/in kann es hilfreich sein, sich die Beschwerden in ihrer Ausprägung
beschreiben zu lassen. Die Frage „Wie fühlen sich die Schmerzen an?“ kann ein
Anstoß sein. Zur genaueren Differenzierung können Adjektive verbal oder mittels
eines Fragebogens angeboten werden. Häufig verwendet wird die Kurzform des
McGill-Pain-Fragebogens. Dieser stellt zur genaueren Schmerzbeschreibung
mehr als ein Dutzend Adjektive zur Verfügung.
Frequenz, Dauer, Auslöser und modulierende Faktoren
Die Frequenz und die Dauer des Auftretens geben in Kombination mit
auslösenden und/oder modulierenden Faktoren wertvolle Rückschlüsse auf die
pathophysiologischen Mechanismen, auf etwaige Körperschäden und somit auf
die vorhandene Schmerzart.
Begleitsymptome
Eventuell vorhandene Begleitsymptome (Rötung, Ödem, Überwärmung) deuten
auf einen Entzündungsprozess hin, der im Zuge eines Traumas entstanden ist.
Außerdem können zusätzliche vegetative Symptome auftreten. Besteht zwischen
der Verletzung und vegetativen Symptomen ein zeitliches symptomloses Intervall
bzw. verstärken sich diese, könnte dies ein Hinweis auf einen Sympathikus
unterhaltenen
Schmerz
sein,
der
möglicherweise
mit
einem
CRPS
zusammenhängt.
31
3 Schmerztherapie mit Nicht-Opioid-Analgetika
Nicht-Opioid-Analgetika zählen rund um den Globus zu den am meisten
eingenommenen Medikamenten überhaupt. Aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit
gelten sie als sehr beliebt. Aufgrund ihres breiten Nebenwirkungsspektrums
gerade bei Langzeittherapie ist der kritische Blick unabdingbar. Sie sind in der
Medizin unverzichtbar, aber nicht in jeder Schmerzsituation die passende Arznei.
NOA können mit zig anderen Arzneimitteln interagieren und so schwerwiegende
Komplikationen verursachen. Ein Grundsatz lautet:
Speziell bei polygramatischen Patienten/innen ist genau zu überprüfen, ob die
Wechselwirkungen von NOA diese zur Schmerztherapie disqualifizieren können.
Alternativ bieten sich hier Opioide an.
3.1 Einteilung
Bei den Nicht-Opiod-Analgetika wird zwischen folgenden Gruppen differenziert.
 nicht saure, antipyretische Analgetika
 NOA ohne antipyretische und antiphlogistische Wirkung
 klassische
NSAR
(saure,
antipyretische
und
antiphlogistische
Schmerzmittel)

neue NSAR (selektive COX-2-Hemmer, kurz: Coxibe)
32
 Nicht saure, antipyretische Analgetika
Paracetamol, Metamizol, Phenazon
 Nicht-Opioid-Analgetika ohne antipyretische und antiphlogistische
Wirkung
Flupirtin
 Klassische NSAR: Saure, antiphlogistisch-antipyretische Analgetika
Salicylate (Acetylsalicylsäure)
Arylessigsäuren (Diclofenac, Indometacin)
Arylproprionsäuren (Ibuprofen, Dexibuprofen, Naproxen)
Anthranilsäuren (Mefenaminsäure)
Heterozyklische Ketoenolsäuren (Meloxicam, Piroxicam, Lornoxicam,
Nimesulid)
 Neue NSAR: Selektive COX-2-Hemmer
Celecoxib, Parecoxib, Etoricoxib
Tabelle 4: Einteilung der Nicht-Opioid-Analgetika (modifiziert nach Beubler 2012, S. 18)
33
3.2 Cyclooxygenasen
Die Cyclooxygenase ist ein Enzym, dem ein wesentlicher Beitrag an der
Schmerzentstehung zukommt. Durch das Enzym Phospholipase A 2 wird aus
Membranlipiden die vierfach ungesättigte Fettsäure Arachidonsäure freigesetzt.
Diese wird mittels der COX zu zyklischen Endoperoxiden metabolisiert. Durch
weitere biochemische Vorgänge entstehen daraus Prostanoide. Dazu zählen u.a.
Prostacyclin, Prostaglandin E2, Prostaglandin F2α und Thromboxan A2. Die
Wirkungen der genannten Vertreter sind äußerst variabel, der Einfluss stellt sich
abhängig vom Rezeptor bei ein und demselben Prostanoid vielfältig dar. Im
Folgenden werden für das grundlegende Verständnis die hauptsächlichen
Funktionen gezeigt.
 Prostacyclin:
Es
hemmt
die
Thrombozytenaggregation
und
wirkt
vasodilatatorisch. Sein Gegenspieler ist das Thromboxan A 2. Zusätzlich
wirkt Prostacyclin pyretisch und erhöht die Schmerzempfindlichkeit. Es wird
von den Endothelzellen der Gefäßwände über COX-2 produziert.
 Prostaglandin E2: Dieses ist unter anderem an der Fieber- und
Schmerzentstehung, am Schutz der Magenschleimhaut und an der
normalen renalen Funktionstätigkeit beteiligt.
 Prostaglandin
F2α:
Es
steuert
u.a.
den
Muskeltonus
der
Bronchialmuskulatur und des Uterus.
 Thromboxan A2: Es ist der Gegenspieler von Prostacyclin. Es ist für die
Thrombozytenaggregation und für die Vasokonstriktion mitverantwortlich.
Thromboxan A2 wird mittels COX-1 von den Thrombozyten produziert.
In der Schmerzentstehung gelten die Prostaglandine als wichtige Faktoren, wobei
im Speziellen das Prostaglandin E2 das bedeutendste entzündungsfördernde
Prostaglandin darstellt. Die Häufigkeit ihres Vorkommens ist abhängig davon, wie
viel seiner Vorstufen durch die Cyclooxygenase metabolisiert werden kann.
Pharmakologisch kann antiinflammatorisch auf der Achse der Phospholipase A 2
34
(Hemmung des Enzyms durch Glukokortikoide) wie auch auf der nächsten Ebene
durch Hemmung der Cyclooxygenasen (COX-Hemmer) angesetzt werden. Zum
ersten Mal wurde Anfang der 70er-Jahre gezeigt, dass ASS (und verwandte
Stoffe) durch Hemmung der COX die Ausschüttung proinflammatorischer
Prostaglandine verringern (Vane 1971).
In den 90er-Jahren wurden zwei verschiedene Isoformen von COX entdeckt.
Vane & Botting (1995) stellten fest, dass COX-1 physiologischerweise fast überall
im Körper vorkommt und dort wertvolle Aufgaben erfüllt. Dagegen finde man einen
sehr hohen Umsatz der COX-2 in entzündeten Geweben (Vane & Botting 1995).
Die Idee nur das Isoenzym COX-2 zu hemmen, um ausschließlich auf den
Entzündungsprozess abzuzielen und damit vielen Nebenwirkungen zu entgehen,
war Grundlage für intensive Forschung. Mittlerweile weiß man, dass auch die
COX-2 physiologischerweise in verschiedenen Organsystemen vorkommt und
bedeutend zur Wundheilung beiträgt.
Eine Einteilung der NSAR im weitesten Sinne wird mitunter auch dadurch
getroffen, in welcher Relation zueinander die beiden COX-Isoformen inhibiert
werden.
 präferenzielle COX-1-Hemmer (ca. 10 fach COX-1 selektiv):
Indomethacin, Ibuprofen, Naproxen, Piroxicam, ASS
 unselektive COX-Hemmer:
Metamizol
 präferenzielle COX-2-Hemmer (2-10 fach COX-2 selektiv):
Paracetamol, Meloxicam, Diclofenac, Celecoxib
 selektive COX-2-Hemmer (80-100 fach COX-2 selektiv):
Parecoxib, Etoricoxib
Tabelle 5: Selektivität der COX-Hemmung (modifiziert nach Beubler 2012, S. 20)
Als Daumenregel gilt: Je größer die Hemmungsrelation zwischen COX-1- und
COX-2 ausfällt, desto stärker ist die Thrombozytenaggregationshemmung, sprich
die
Wahrscheinlichkeit
Arneimittelnebenwirkungen
einer
mit
Blutung.
Todesfolge
geht
Die
auf
Mehrzahl
aller
Blutungen
zurück.
Gerinnungshemmende Mittel (auch SSRI) und NSAR wurden mit den meisten der
tödlichen Fälle in Verbindung gebracht (Wester et al. 2008).
35
Je größer die Inhibition der COX-2 im Vergleich zur COX-1 ist, desto weniger GITassoziierte Nebenwirkungen stellen sich ein. Auf der anderen Seite birgt eine
verstärkte COX-2-Hemmung aber ein erhöhtes Thromboserisiko. Deshalb kann
man NOA auch bezogen auf ihr Thromboserisiko einteilen:
 COX-2-Hemmung < 90 % (relatives Risiko einer Thrombose: 1,02 - 1,38):
Ibuprofen, Meloxicam, Celecoxib, Etoricoxib
 COX-2-Hemmung >90 % (relatives Risiko einer Thrombose: 1,41 - 1,81):
Diclofenac, Indomethacin, Piroxicam
Tabelle 6: Prozentuale COX-2-Hemmung (modifiziert nach García Rodríguez et al. 2008)
Je höher das Ausmaß der tatsächlichen COX-2-Hemmung ist (unabhängig von
der Selektivität), desto höher ist das Risiko einen ischämischen Insult oder einen
nicht-tödlichen Myokardinfarkt heraufzubeschwören (García Rodríguez et al.
2008).
36
3.3 Gefahren und Nebenwirkungen von NOA
Tatsächlich wird das breite Nebenwirkungsprofil von Nicht-Opioid-Analgetika,
besonders der klassischen NSAR und ASS, vom Gros der Bevölkerung
unterschätzt. Rezeptfreie Schmerzmittel werden, vermutlich auch aufgrund ihrer
Vermarktung als „verträgliche Soforthelfer“, zu schnell, zu oft und zu häufig
eingenommen.
Im
Einzugsbereich
des
Giftnotrufs
Erfurt
(Mecklenburg-
Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: ca. 11.000.000 Einwohner)
wurden im Zeitraum von zehn Jahren (2003 bis 2012) knapp 5.000 Vergiftungen
durch Mono-Expositionen von Nicht-Opioid-Analgetika gemeldet. Ein großer Anteil
der Vergiftungen geschah in suizidaler bzw. parasuizidaler Absicht, ebenso groß
ist der Anteil der Vergiftungen, die zufällig entstanden sind (wahrscheinlich aus
Unwissenheit). Auch wenn großteils keine bis nur leichte Symptome feststellbar
waren (77 %), erinnern diese Zahlen an die unverantwortliche Einnahme von
manchen Patienten/innen in Eigenregie (Hentschel et al. 2014).
Kombinationspräparate mit Zusätzen wie Koffein haben dazu geführt, dass die
Einnahmefrequenz von NOA mit Koffein als Adjuvans in die Höhe schoss. Der
minimale
therapeutische
Vorteil
einer
schnelleren
Anlaufzeit
wich
dem
putschenden Effekt auf das ZNS mit der Folge der vermehrten missbräuchlichen
Verwendung.
Bei einer Untersuchung von 127 zahnärztlichen Patienten/innen kamen bei der
Erstvorstellung 99 Patienten bereits analgetisch prämediziert. 54 % davon
nahmen mindestens zwei verschiedene rezeptfreie Schmerzmedikamente schon
vorab ein (Heard et al. 2008).
Eine Befragung unter über 500 Patienten/innen, die sich in einer Notfallambulanz
vorstellten, ergab, dass 56 % Naproxen, Paracetamol, Ibuprofen oder ASS
innerhalb von 72 Stunden vor der ärztlichen Konsultation einnahmen. Sechs
Prozent der Patienten/innen gaben an, die vom Hersteller vorgeschriebene
tägliche Dosis überschritten zu haben (Heard et al. 2006).
37
Die unerwünschten Wirkungen von NOA unterscheiden sich von Substanzklasse
zu Substanzklasse und selbst darin von Präparat zu Präparat. Zu den häufigsten
Nebenwirkungen
gehören
Schäden
und
Veränderungen
des
Gastrointestinaltrakts, der Niere, der Leber und der Hämostase. Des Weiteren
sind ZNS-Veränderungen, allergische Reaktionen und Blutbildveränderungen
möglich. Bei Schwangeren und Kindern ist der Einsatz von NOA eingeschränkt
möglich und von der Substanz abhängig.
3.3.1 Gastrointestinaltrakt und untere Darmregion
Durch die verminderte Synthese von Prostaglandin E2 (COX-Hemmung) wird die
protektive Wirkung der Magenschleimhaut gestört. Das Spektrum der Symptome
bzw. Schäden reicht von Bauchschmerzen, Übelkeit, Sodbrennen, Durchfall bis
hin zur Entstehung von Geschwüren und Blutungen. Präferenzielle COX-1Hemmer bergen dahingehend das größte Risiko. Um möglichen Magen-DarmProblemen
entgegen
zu
wirken,
können
Misoprostol
oder
Protonenpumpenhemmer zusätzlich verabreicht werden. Dieser kombinierte
Einsatz soll aber nicht der Norm entsprechen und nur bei längerer NSAR-Therapie
Verwendung
finden.
Zahlreiche
Studien
weisen
daraufhin,
dass
viele
Nebenwirkungen (Blutungen, Ulzerationen etc.) ebenso im unteren Darmtrakt
auftreten können (Bjarnason et al. 1993; Thiéfin & Beaugerie 2005).
3.3.2 Niere
Durch die lokale Hemmung der COX wird die Nierendurchblutung gedrosselt. Der
Körper ist daraufhin bemüht, dagegen zu steuern. Dies geschieht, indem Wasser
und Natrium retiniert werden. Die Folge ist eine Blutdruckerhöhung. Dies ist vor
allem dann kritisch, wenn die Niere schon vorgeschädigt ist bzw. die
Patienten/innen an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden. In extremen Fällen
kann es zu einer Niereninsuffizienz kommen (Cheng & Harris 2005).
Relative
Kontraindikationen
bestehen
bei
Nierenvorgeschädigten.
Dosisanpassungen sind bei älteren Menschen abhängig von der Nierenfunktion zu
machen.
38
3.3.3 Leber
Es kann zu Störungen der Leberfunktion kommen. Leberzellnekrosen oder
Hepatitiden treten selten auf, aber sind möglich. In fast allen Fällen mit
Leberversagen nach NOA-Gabe wurde entweder über- oder zu lange dosiert oder
es handelte sich um Patienten/innen mit bereits vorgeschädigten Lebern. Relativ
kontraindiziert
ist
die
Gabe
bei
chronischem
Alkoholabusus
oder
Mb.
Meulengracht, absolut bei einer fulminanten Hepatitis oder bei Leberinsuffizienz.
3.3.4 Thrombozytenaggregationshemmung
Nicht nur im Magen-Darm-Trakt, sondern auch in anderen Regionen, wie z.B. Hirn
und untere Darmregion (Bjarnason et al. 1993; Thiéfin & Beaugerie 2005) kann es
zu Hämorrhagien kommen. Je größer die COX-1-Hemmung ausfällt, desto größer
ist das Blutungsrisiko. Dies ist bei chirurgischen Eingriffen (insbesondere bei
neurochirurgischen) zu bedenken. Ein präoperatives Absetzen entsprechend der
Halbwertszeit ist ratsam (Naidech et al. 2009).
3.3.5 Thrombose
Demgegenüber erhöht sich das Thromboserisiko und damit das Risiko einen
ischämischen Insult oder einen Myokardinfarkt zu entwickeln bei höherer
tatsächlicher COX-2-Hemmung (Olsen et al. 2012).
Naproxen
scheint
der
aktuellen
Datenlage
folgend
doch
das
gleiche
kardiovaskuläre Risiko zu besitzen wie andere NSAR (De Vecchis et al. 2014).
Obwohl für Metamizol bislang kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko in Studien
nachgewiesen wurde, scheint es die COX-2 in einem gleichen Maße zu inhibieren
wie vergleichbare Arzneistoffe, für welche ein Risiko belegt ist (Hinz et al. 2007).
39
3.3.6 ZNS-Veränderungen
Schwindel, Müdigkeit und Verwirrtheit sind zwar weniger bekannte, aber dennoch
relativ häufige Begleiterscheinungen von NOA. Dazu zählen auch Kopfschmerzen.
Man spricht dabei von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen.
3.3.7 Allergische Reaktionen
Diverse
Überempfindlichkeitsreaktionen
wie
Rhinitis,
Photosensibilität,
Bronchialasthma, Hypotension bis hin zum Schock können vorkommen. Die Haut
kann ebenso betroffen sein (Erytheme, Ekzeme, Urtikaria und seltener StevenJohnson- und Lyell-Syndrom).
Pseudoallergische Reaktionen bei Morbus Widal (Polyposis nasi und Asthma
bronchiale) basieren auf einer Veränderung im Arachidonsäuremetabolismus.
Arachidonsäure kann durch die Lipoxygenase (LOX) zu Cysteinyl-Leukotrienen
oder durch die COX zu Prostanoiden umgebaut werden. Die Einnahme von COXHemmern bedingt, dass Arachidonsäure in einem größeren Ausmaß auf dem
zweiten Schenkel durch die LOX zu Leukotrienen umgewandelt wird, wodurch
mehr Leukotriene letztendlich synthetisiert werden. Diese Mechanismen zeigen
sich auch bei Personen, die keine Überempfindlichkeitsreaktionen entwickeln. Es
ist davon auszugehen, dass zusätzlich eine abnormale Empfindlichkeit gegen
Cysteinyl-Leukotriene besteht.
Die Inzidenz einer ASS-Unverträglichkeit liegt in der Gesamtbevölkerung bei
0,6 - 2,5 %. Sie tritt bei Frauen früher und häufiger auf (2,3:1). Bei Patienten/innen
mit Asthma bronchiale liegt die Inzidenz bei bis zu 10 % und bei Asthmatikern, die
zusätzlich an Rhinosinusitis und Polyposis nasi leiden, liegt die Rate bei 40 - 80 %
(Pfaar & Klimek 2006; Szczeklik et al. 2000).
Bei einer bestehenden ASS-Unverträglichkeit sind wegen Kreuzreaktionen alle
anderen nicht selektiven COX-Hemmer und NSAR zu meiden. Eine Alternative
stellt Paracetamol dar.
40
3.3.8 Blutbildungsstörungen
Selten, aber doch kann es auch zu Blutbildungsstörungen kommen. Dies betrifft
vor allem Metamizol. Deshalb wurde es in einigen Ländern wie Schweden oder in
den USA vom Markt genommen. Generell scheint das Risiko einer Agranulozytose
oder einer Thromozytopenie äußerst klein zu sein und variiert je nach Literatur
zwischen 1 : 1.000 und 1 : 1.000.000. Dies und die Tatsache, dass die
Blutbildungsstörungen bei frühem Erkennen (regelmäßige Laborkontrollen)
reversibel sind, bescheinigt Metamizol ein günstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis.
3.3.9 Vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus Botalli
Der Ductus arteriosus Botalli stellt im fetalen Kreislauf eine wichtige Verbindung
zwischen Truncus pulmonalis und Aorta dar. Da zu diesem Zeitpunkt die Lungen
nicht belüftet sind, gelangt das Blut aus der Arteria pulmonalis direkt in die Aorta.
Der Ductus wird in dieser Phase von Prostaglandinen offen gehalten. Ein Einsatz
von COX-Hemmern v.a. in der Spätschwangerschaft sollte vermieden werden.
Generell ist der Einsatz von NOA bei Schwangeren streng abzuwägen.
41
3.4 Grundsätze des analgetischen Einsatzes
NOA sind ohne Frage wichtige Arzneimittel. Als behandelnder/behandelnde
Therapeut/in ist es wesentlich zu wissen, bei welchen Indikationen NOA angezeigt
sind und welche grundlegenden Regeln beim Einsatz dieser Therapeutika
vorherrschen.
Des Weiteren sind die Grenzen dieser Wirkstoffgruppe zu kennen und zu wissen
wann welche anderen Medikamente oder Therapien besser geeignet sind. Die
Schmerzmitteltherapie ist an die zugrundeliegende Erkrankung bzw. deren
pathophysiologischen Mechanismen, sofern bekannt, gekoppelt. So erfordern
unterschiedliche Schmerzausprägungen (bezogen auf Dauer und Schmerzart)
unterschiedliche Analgetika. Akute Schmerzen können durch Hemmung von
Schmerzmediatoren (NSAR), der Schmerzweiterleitung (Lokalanästhetika) oder
zentraler Dämpfung (Opioide) behandelt werden. Letztere eignen sich speziell bei
äußerst starken akuten wie auch bei chronischen Schmerzen. Trizyklische
Antidepressiva und Antikonvulsiva zeigten durch Verstärkung hemmender
deszendierender Bahnen bzw. durch Hemmung aktivierender aszendierender
Bahnen ihren Nutzen bei neuropathischen Schmerzen. Dagegen ist ihr Einsatz bei
akuten Schmerzen wertlos (Baron et al. 2010).
Wichtige Grundsätze in der Schmerzbehandlung sind wie folgt:
 Posttraumatische Schmerzen sind unabhängig von ihrer Genese sofort zu
behandeln. Gerade bei Sportverletzungen kann oft - noch bevor ein
Medikament in Griffweite ist - durch einfache Maßnahmen unmittelbar der
Genesungsverlauf positiv beeinflusst werden (PECH-Regel: Pause, Eis,
Compression,
Hochlagern).
Dabei
ist
wichtig,
dass
eine
initiale
Schmerztherapie natürlich nicht die Diagnostik ersetzt. Diese erfolgt aber
danach.
 Vorhersehbare Schmerzen (z.B. nach Operationen) oder Schmerzen, die in
ihrem Verlauf sich zu verstärken scheinen, sind rechtzeitig und suffizient zu
behandeln,
um
der
Entwicklung
einer
komplizierten
chronischen
Schmerzerkrankung zuvorzukommen.
42
 Fest vorgegebene Zeitpläne der Applikation fördern die Compliance und
minimieren die Gefahr einer Überdosierung.
 Im Akutfall sind parenterale Gaben vorzuziehen. Im Verlauf kann auf die
orale Applikation umgestellt werden. Bei leichten Sportverletzungen sind
Salben, Sprays oder Cremes aufgrund ihrer niedrigen systemischen
Wirkung vorteilhaft. Selbst bei chronischen Schmerzpatienten/innen können
Pflaster eine Alternative darstellen.
3.4.1 Der WHO-Stufenplan
1982 wurde in Mailand durch die Idee, Krebspatienten/innen analgetisch optimal
zu versorgen, die Grundlage für den WHO-Stufenplan gelegt. Codein, Morphin
und ASS wurden damals empfohlen, um die Mehrheit der onkologischen
Patienten/innen in die Schmerzfreiheit zu führen. Im Jahr 1986 wurde schließlich
der WHO-Stufenplan publiziert. Die Grundidee besteht darin, Schmerzen zu
Beginn mit Nicht-Opioiden zu therapieren (Stufe 1). Sollten diese nicht ausreichen,
soll auf schwache Opioide (Stufe 2), und falls diese ungenügend sind, schließlich
auf starke Opioide (Stufe 3) gewechselt werden.
Abbildung 4: WHO-Stufenleiter (aus Diener & Maier 2011, S. 234)
43
Dies bedeutet, dass bei nicht zufriedenstellenden Ergebnissen von Nicht-Opioiden
in ihrer empfohlenen Dosis und Einnahmefrequenz auf die nächsthöhere Stufe
eskaliert werden soll.
Es ist somit nicht empfohlen auf ein anderes Medikament der gleichen Stufe zu
wechseln.
Es ist nicht zulässig, das ineffektive Medikament mit einem zweiten NOA aus der
identen Substanzklasse zu kombinieren.
Und es ist untersagt eine weitere Dosiserhöhung durchzuführen.
Es ist zu berücksichtigen, dass unterstützend eine Begleitmedikation aus
Koanalgetika und Adjuvantien gegeben werden kann. Koanalgetika (u.a.
trizyklische Antidepressiva und Antikonvulsiva) sind Arzneimittel, die beim
Gesunden nur unwesentliche analgetische Effekte erzielen, bei neuropathischen
Schmerzen aber die Schmerzempfindung symptomatisch modulieren. Zur
Behandlung von möglichen Nebenwirkungen, die im Verlauf der Schmerztherapie
wahrscheinlich entstehen, werden sogenannte Adjuvantien eingesetzt. In der
ursprünglichen
WHO-Ausgabe
gehörten
zur
Begleitmedikation
das
Antikonvulsivum Carbamazepin, das Neuroleptikum Haloperidol, das Anxiolytikum
Diazepam und die Glukokortikoide Prednisolon oder Dexamethason. Mittlerweile
sind zu diesen Substanzen noch viele andere dazu gekommen.
Des Weiteren empfiehlt der WHO-Stufenplan fünf Behandlungsgrundsätze (die
ursprüngliche Fassung mit drei Einträgen wurde 1996 um zwei weitere ergänzt):
 by the mouth: Die Schmerztherapie sollte oral erfolgen. Im eigentlichen
Sinne ist eine patienten/innenfreundliche, selbstständige Einnahme das
ausgeschriebene
Ziel.
Dieser
Punkt
ist
um
Applikationspflaster,
analgetische Salben etc. zu erweitern.
 by the clock: Der/Die Therapeut/in muss den/die Patienten/in vor einer
Übermedikation schützen. Durch fix vorgegebene Applikationszeitpunkte
wird eine Art Gewohnheit für den/die Patienten/in geschaffen, was sich
positiv auf die Compliance auswirkt. Bei Nicht-Opioiden ist aufgrund ihrer
Nebenwirkungen
die
geringstmögliche
Dosis
zu
wählen,
worunter
Schmerzfreiheit erzielt wird. Bei starken Opioiden wird unter professioneller
Anleitung solange die Dosis erhöht bzw. die Einnahmefrequenz verändert,
bis Schmerzfreiheit erreicht wird.
44
 by the ladder: Bei unzureichendem Therapieerfolg ist auf die nächsthöhere
Stufe zu wechseln.
 for the individual: Die Auswahl des Medikaments (auch des Adjuvans)
bzw. die Dosierung bei Opioiden richtet sich ausschließlich daran, wann
Schmerzreduktion bzw. Schmerzfreiheit erreicht wird. Auf der anderen
Seite gilt es zu beachten, dass jeder/jede Patient/in Nebenwirkungen
entwickeln kann und diese individuell abzuwägen sind.
 attention to detail: Die Bedürfnisse der Patienten/innen, Umwelt- und
Sozialfaktoren (psychogene Schmerzen) sind in die Therapieplanung
miteinzubeziehen. Dahingehend darf nicht auf Alternativmaßnahmen
vergessen werden.
Mittlerweile stellt der WHO-Stufenplan die grundlegende Basis für die Behandlung
von chronischen Schmerzen dar.
45
3.4.2 Auswahl des richtigen Analgetikums
Die Auswahl des richtigen Analgetikums ist, wie oben dargelegt, abhängig von
vielen Parametern, richtet sich aber vor allem an die individuellen Bedürfnisse
des/der Patienten/in. Hilfreich ist eine korrekte und ausführliche Anamnese, die
Rückschlüsse auf die Schmerzart erlaubt. Tabelle 7 zeigt anschaulich die
Einsatzmöglichkeiten
unterschiedlicher
Analgetika
(u.a.
NOA)
und
und
Koanalgetika abhängig von der Schmerzart und der betroffenen Lokalisation.
Tabelle 7: Arzneimittelentscheidungshilfe (aus Beubler 2012, S. 100)
46
3.4.3 Schmerztherapie im ganzheitlichen Verständnis
In den letzten Jahren hat man sich verstärkt dem Thema biopsychosoziales
Modell zugewandt. Dem biopsychosozialen Modell folgend, ist neben dem
organischen Korrelat einer Erkrankung immer die Psyche involviert. Ökosoziale
und ethnische Faktoren können (als dritter Punkt) die Erkrankung positiv oder
negativ beeinflussen bzw. sich in diesen Extremen auch auf den Heilungsverlauf
auswirken. Diese Aspekte sollten alle eigenständig sowie auch in ihrer komplexen
Wirkung
zueinander
wahrgenommen
werden.
Bei
der
psychologischen
Komponente ist unter anderem an den Charakter des Menschen, an den
Lebensstil
und
an
die
damit
einhergehenden
Verhaltensweisen
bzw.
Bewältigungsstrategien zu denken. Dazu gehört auch, dass die Krankheitstheorien
des/der Patienten/in in die Therapie miteinbezogen werden. Ökosoziale Faktoren
betreffen das familiäre Umfeld, den sozialen Rückhalt und die beruflichen
Bedingungen.
Vor allem Patienten/innen, die unter chronischen oder psychogenen Schmerzen
leiden, profitieren von einem ganzheitlichen Zugang zur Problematik. Bei längerer
Betreuung wird der/die Arzt/Ärztin automatisch zu einem/r Begleiter/in. Ein
vertrauensvolles
Kommunikationsverhältnis,
das
vor
allem
auf
Empathie,
Zuwendung und auf das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse beruht, ist deshalb
unabdingbar, um den/die Hilfesuchenden/Hilfesuchende auch durch schwierige
Phasen leiten zu können. Der Denkansatz, dass neben der biologischen
Komponente auch die Psyche und die ökosozialen Aspekte berücksichtigt werden,
eröffnet
eine
breite
Palette
an
alternativen
Behandlungen.
So
können
interdisziplinär Physiotherapie, Psychotherapie etc. ihren Teil zur Verbesserung
der Lebensqualität beitragen.
3.4.4 Zukunftsaussicht
Baron et al. (2012) haben festgestellt, dass vielversprechende Medikamente zur
Behandlung von neuropathischen Schmerzen aus Tierversuchen sich in klinischen
Studien am Menschen als wirkungslos erwiesen haben. Dies könnte auch daran
47
liegen, dass in die Studien Patienten/innen mit der gleichen Symptomatik inkludiert
wurden, aber völlig unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen zugrunde
lagen, auf die die zu untersuchenden Arzneistoffe gar nicht ansprechen konnten.
Deshalb
würden
Einschlusskriterien
bezogen
auf
die
vorliegenden
Schmerzentstehungsprozesse in dieser Hinsicht mehr Sinn machen (Baron et al.
2012).
Möglicherweise
werden
die
verschiedenen
Pathomechanismen,
die
zur
Schmerzentstehung und -unterhaltung beitragen, zukünftig so gut verstanden,
dass basierend auf den pathophysiologischen Zusammenhängen Therapien und
Medikamente entwickelt werden, die zielgenauere Behandlungen ermöglichen.
Eine Studie zur Behandlung von diabetischer Neuropathie hat z.B. gezeigt, dass
Duloxetin (ein SNRI), das indirekt absteigende hemmende Bahnen verstärkt, bei
denjenigen Patienten/innen am besten geholfen hat, die über eine eingeschränkte
deszendierende Schmerzhemmung verfügten (Yarnitsky et al. 2012).
48
3.5 Topische Anwendung
Eine alternative Applikationsform zur oralen Gabe besteht in der topischen
Anwendung. Durch die Haut penetriert der Wirkstoff weiter durch die Subkutis in
die Faszie und tiefer in die Muskulatur, in Sehnen und Bänder und erreicht durch
die Gelenkskapsel schließlich die Synovialflüssigkeit, über die er sich im Gelenk
auf die angrenzenden Strukturen verteilen kann. Dabei werden durchaus effektive
Wirkspiegel erreicht, die letztendlich aber nur mit sehr kleinen Plasmaspiegeln
einhergehen, wodurch systemische unerwünschte Wirkungen fast nicht mehr
auftreten (Massey et al. 2010; Derry et al. 2015). Obwohl die Datenlage im
Hinblick auf einen Vergleich von topischen Präparaten untereinander bzw. einem
Wirkstoff topisch oder oral verabreicht, mangelhaft ist (Derry et al. 2015), stellt die
Anwendung bei Zerrungen, Verrenkungen oder Prellungen eine effektive
Alternative bei einem niedrigen Risiko systemische unerwünschte Wirkungen zu
kreieren, dar. Massey et al. (2010) belegen dies durch eine große Metaanalyse, in
der 47 Studien und knapp 3.500 Patienten/innen (Behandlungsdauer zwischen
sechs und 14 Tagen) inkludiert wurden, die die topische Anwendung von NSAR
(wie Diclofenac, Ibuprofen, Piroxicam und Indometacin) mit einem Placebo
verglich.
Für
Diclofenac,
Ibuprofen
und
Piroxicam
konnte
eine
gute
Schmerzreduktion bei topischer Applikation (Gel, Salbe oder Spray) gezeigt
werden. Indometacin hat keinen Vorteil gegenüber Placebo (Massey et al. 2010).
Eine andere Metaanalyse zur Feststellung der Wirksamkeit von topisch
aufgetragenen NSAR bei Langzeitbehandlung (mind. zwei Wochen) scheiterte
zum Teil an der Datenlage. Für Diclofenac konnte bei den Indikationen
Osteoarthrose der Hand oder des Knies gezeigt werden, dass die topische
Applikation in ihrer Wirksamkeit der oralen entspricht (Derry et al. 2015).
In der Behandlung von leichten neuropathischen Schmerzen stellen NOA-Salben
eine Alternative dar. In einer kleinen Studiengruppe wurde die topische
Anwendung
einer
1,5
prozentigen
Diclofenac-Salbe
bei
postherpetischer
Neuralgie und CRPS mit einer Placebogruppe verglichen und konnte überzeugen
(Ahmed et al. 2015).
49
3.6 Nicht saure, antipyretische Analgetika
3.6.1 Paracetamol
Anwendung:
 Leichte bis mittelstarke Schmerzen und Fieber
 In Kombination mit Opioiden bei starken Schmerzen
 Postoperative Schmerzen
 Osteoarthrose
Paracetamol gilt als eines der sichersten Nicht-Opiod-Analgetika bei gutem
Wirkungsprofil. Die Pharmakodynamik von Paracetamol ist bis heute noch nicht
abschließend geklärt. Einige kontrovers diskutierte Mechanismen spielen dabei
zusammen. Neben einer zentralen Wirkung verfügt dieser Arzneistoff über die
Fähigkeit selektiv die COX-2 zu hemmen. So ließe sich erklären, weshalb
Paracetamol einerseits kaum entzündungshemmend wirkt und andererseits
bekannte Nebenwirkungen der NSAR (wie Blutungsneigung, Schädigung der
Niere oder der Magenschleimhaut) wegfallen. Bei normaler Dosierung kommt es
in
extrem
seltenen
Fällen
zu
lebertoxischen
Reaktionen.
Schwere
Leberinsuffizienz stellt eine Kontraindikation dar. Relativ kontraindiziert ist die
Gabe bei chronischem Alkoholabusus, schwerer Niereninsuffizienz sowie bei
Morbus Meulengracht mit eingeschränkter Glukuronidierung.
Paracetamol wird von mehreren Leitlinien als Mittel der ersten Wahl zur
Schmerzbehandlung von Osteoarthrose empfohlen. Einzig die Compliance
aufgrund der häufigen täglichen Applikation war bisher verbesserungswürdig.
Yaligod et al. (2014) verglichen im Rahmen einer Studie das klinische Outcome
(Schmerz,
Funktionalität)
und
die
Zufriedenheit
der
Patienten/innen
bei
unterschiedlichen Dosisintervallen und Dosierungen. Dabei zeigte sich bei 250
teilnehmenden Personen, dass die klinischen Parameter und die subjektive
Bewertung
jener
Gruppe
von
Patienten/innen
mit
einem
längeren
Einnahmeintervall (zweimal täglich 650 mg) dem der anderen Probanden/innen,
die dreimal täglich 500 mg Paracetamol zu sich nahmen, überlegen war (Yaligod
et al. 2014).
50
Paracetamol wird des Öfteren mit Doping in Verbindung gebracht. 2010 zeigte
eine Arbeit, dass Radrennfahrer/innen in einem ca. halbstündigen Zeitfahren unter
der Einnahme von Paracetamol signifikant schneller fuhren als die Placebogruppe.
Die Idee, dass körperliche Leistung durch eine erhöhte Schmerztoleranz
gesteigert werden kann, wurde bestätigt (Mauger et al. 2010). In einem ähnlichen
Studienmodell bei Radkurzsprints wurden gleichwertige Ergebnisse erfasst (Foster
et al. 2014).
Das
Antiemetikum
schmerzstillenden
Garnisetron
Effekt
von
kann
bei
Paracetamol
gleichzeitiger
hemmen.
Einnahme
Alkohol
fördert
den
die
leberschädigende Komponente. Antikoagulantien wie Warfarin fördern die
Blutungsgefahr.
Dosierung:
Max. Tagesdosis: 50 mg/kg Körpergewicht
(Erwachsener/Erwachsene mit 80 kg KG: 4000 mg)
Einzeldosis: ca. ein Viertel der Tagesdosis
Einnahmefrequenz: bis zu 4 mal täglich
Die
Dosierung
orientiert
sich
ausschließlich
am
Körpergewicht
des/der
Patienten/in. Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollte die Dosis reduziert bzw.
das
Einnahmeintervall
verlängert
werden.
Die
meisten
lebertoxischen
Komplikationen entstehen durch Überdosierungen.
Pharmakokinetik:
Blutspiegelmaximum nach ca. 0,5 - 2 h
Eliminationshalbwertszeit: ca. 1,5 - 2 h
Die Glukuronidierung und Sulfatierung erfolgt in der Leber. Über Cytochrom P4502E1 (CYP2E1) entstehen lebertoxische Metabolite, die an und für sich durch
Glutathion (durch Konjugation) entgiftet werden. Bei Glutathionmangel wirkt
Paracetamol rascher hepatotoxisch.
51
3.6.2 Metamizol
Anwendung:
 Starke akute und chronische Schmerzen
 Tumorschmerzen
 Postoperative Schmerzen
 Bei hohem Fieber als Alternative
 Kolikartige Schmerzen
Die Pharmakodynamik von Metamizol ist noch nicht vollständig geklärt. In
entzündeten Geweben erfolgt durch die basischen Gegebenheiten keine
Anreicherung, weshalb periphere COX nicht gehemmt werden und somit kaum
antientzündliche Eigenschaften bestehen. Die beobachteten Wirkungen schreibt
man am ehesten einer Hemmung zentraler COX zu. Metamizol ist als sehr
potentes Analgetikum bekannt. Zur Behandlung postoperativer Schmerzen nach
lumbaler Mikrobandscheibenentfernung konnten Grundmann et al. (2006) in einer
Studie zeigen, dass Metamizol in der analgetischen Potenz Parecoxib und
Paracetamol überlegen war (Grundmann et al. 2006). Zusätzlich wirkt es
fiebersenkend und spasmolytisch, weshalb sein Anwendungsgebiet auf viszerale
Schmerzen (v.a. Koliken von Harn- und Gallenwege) erweitert werden kann.
Als Nebenwirkungen sind allergische Reaktionen bekannt, weshalb intravenöse
Injektionen langsam und unter Beobachtung erfolgen sollten. Die sehr gefährliche
Agranulozytose als unerwünschte Wirkung hat dazu geführt, dass Metamizol in
einigen
Ländern
nicht
zugelassen
ist
(darunter:
Schweden,
Japan,
angelsächsische Länder). Vor und regelmäßig während der Therapie sollte ein
Blutbild
und
ein
Differenzialblutbild
erstellt
werden,
um
eine
mögliche
Agranulozytose oder eine Thrombozytopenie rechtzeitig erkennen zu können.
Aktuell variiert das in der Literatur angegebene Risiko zwischen 1 : 1.000 und
1 : 1.000.000. Laut einem Artikel der Arzneimittelkommission ist im deutschen
Spontanmeldesystem bei 1.478 Verdachtsfällen von unerwünschten Wirkungen
bei
Metamizolgabe
der
Großteil
auf
Haut-
und
Hautanhangsgebilde,
Veränderungen des Blutbildes sowie generalisierte Störungen gefallen. Knapp
52
acht Prozent aller gemeldeten Kasus bezogen sich auf zerntralnervöse bzw.
psychische Störungen. Darunter fallen Verwirrung, Somnolenz, Angst und seltener
Agitiertheit, Delir, Depressionen und Haluzinationen (Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft 2006).
Kombinationen mit Opioiden, speziell bei chronischen Schmerzen, sind möglich. In
einem Tierversuch im Jahre 2013 wurde bei der Kombination von Metamizol mit
Tramadol ein synergistischer analgetischer Effekt beobachtet (Poveda et al.
2003).
Metamizol könnte im Vergleich zu anderen NSAR möglicherweise ebenso häufig
kardiovaskuläre Probleme hervorrufen. Es konnte gezeigt werden, dass es ebenso
einen starken hemmenden Einfluss auf die COX-2 besitzt (Hinz et al. 2007).
In Summe ist Metamizol ein sehr potentes Analgetikum mit einem vertretbaren
Risiko.
Dosierung:
 Max. Tagesdosen für Erwachsene: 3 - 5 g
 Einnahmefrequenz abhängig von Applikationsform
Die Dosierung richtet sich nach Alter und Gewicht des/der Patienten/in.
Injektionslösungen,
Tabletten,
Tropfen
oder
Zäpfchen
sind
häufige
Applikationsformen.
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 1,5 - 2 h
 Eliminationshalbwertszeit von MAA: ca. 3 h
 Wirkdauer: 4 - 6 h
Metamizol wird nach oraler Gabe zu seinem aktiven Metaboliten 4-NMethylaminophenazon (MAA) umgewandelt. Die Elimination erfolgt hepatisch und
renal. Deshalb sollten bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion hohe
Metamizoldosen vermieden werden.
53
3.7 NOA ohne antipyretische und antiphlogistische Wirkung
3.7.1 Flupirtin
Anwendung:
 Schmerzhafte Muskelverspannungen
 Postoperative Schmerzen
 Tumorschmerzen
 Spannungskopfschmerzen
 Dysmenorrhö
Flupirtin ist zurzeit nicht in Österreich, aber z.B. in Deutschland im Handel
erhältlich. Es ist bei mittelstarken Schmerzen, besonders in Verbindung mit
Muskelverspannungen des Bewegungs- und Halteapparates eine Alternative. Es
ist das einzige der aufgezählten Nicht-Opioide, welches nicht über die Hemmung
einer Cyclooxygenase ihren Effekt entfaltet. Bisweilen geht man davon aus, dass
die Wirkung auf G-Protein-gekoppelten Kaliumkanälen beruht, welche die
Aktivierung von NMDA-Rezeptoren hemmen (Raffa & Pergolizzi 2012). So wird
angenommen, dass einerseits die Weiterleitung afferenter nozizeptiver Signale
abgeschwächt und andererseits über polysynaptische Hemmung von spinalen
Reflexen eine muskelrelaxierende Wirkung erzielt wird. Derzeit gilt das NutzenRisiko-Verhältnis von Flupirtin als umstritten. Die Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft veröffentlichte 2007 einen Artikel, in dem hervorging, dass
Flupirtin mit Leberschäden in Verbindung zu bringen ist (Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft 2007). Uberall et al. (2013) konnten zeigen, dass zur
Behandlung von muskulär bedingten akuten Schmerzen des unteren Rückens
Flurptin in Wirksamkeit und Verträglichkeit Diclofenac überlegen war (Uberall et al.
2013).
Flupirtin kann mit anderen NSAR kombiniert werden.
Als
Nebenwirkungen
sind
sehr
häufig
Müdigkeit,
Schwindel,
Unruhe,
Kopfschmerzen, Nausea und Emesis bekannt. Gelegentlich treten Magen-DarmProbleme oder Lebererkrankungen auf.
54
Kontraindiziert ist die Behandlung von Patienten/innen mit Lebervorerkrankungen
oder Myasthenia Gravis.
Dosierung:
 Max. Tagesdosis: 600 mg
 Einnahmefrequenz: 3 - 4 mal täglich
Flupirtin wird beim erwachsenen Menschen mehrmals täglich als Tablette oral
verabreicht. Bei Kindern können über den Tag gleichmäßig verteilt Zäpfchen
verabreicht werden. Auch Retardtabletten für Einmalgaben sind erhältlich.
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 0,5 - 2 h
 Eliminationshalbwertszeit: ca. 7 h
Der Arzneistoff wird vorwiegend über die Leber metabolisiert.
55
3.8 Saure, antipyretische und antihlogistische Analgetika
Die Kombination von Entzündungshemmung und Schmerzstillung hat die Gruppe
der klassischen NSAR zu einer der bedeutendsten Arzneimittel der Welt gemacht.
Nebenwirkungen treten relativ häufig auf. Die Symptome sind unspezifisch, die
Diagnostik ist aus diesem Grund schwierig. Adäquate kausale Notfallmaßnahmen
gibt es nicht. Bei einer Überdosierung ist auf den Säure-Basen-Haushalt zu
achten. Eine symptomatische Therapie ist angezeigt.
Deshalb wird empfohlen, NSAR in der angegebenen Dosis und Frequenz so kurz
wie möglich zu applizieren (bzw. bei Schmerzfreiheit in der niedrigstmöglichen
Dosis).
Klassische
NSAR
in
Kombination
mit
Antikoagulantien,
SSRI
oder
Glukokortikoiden erhöhen das Blutungsrisiko. Die blutdrucksenkende Wirkung von
verschiedensten Diuretika wird unter gleichzeitiger Einnahme von NSAR deutlich
herabgesetzt.
Zusätzlich
kann
es
zu
Elektrolytentgleisungen
und
Herzrhythmusstörungen kommen.
3.8.1 Acetylsalicylsäure
Anwendung:
 Sekundär- und Tertiärprophylaxe nach Infarkt oder Insult bzw. TIA
 Bei Vorhofflimmern als Alternativmedikament
 Polycythemia vera
 Akute
mittelstarke
(Zahnschmerzen,
Schmerzen
Regelschmerzen,
mit
Entzündungsbeteiligung
Schmerzen
bei
Fieber
und
Erkältungen)
Acetylsalicylsäure wirkt über die Hemmung der COX-1 und der COX-2 in ungefähr
gleichem Ausmaß. So kommt die antiphlogistische, analgetische, antipyretische
und thrombozytenaggregationshemmende Wirkung zustande. Für eine Hemmung
der COX-1 in Thrombozyten (Gerinnungshemmung) reichen 30 - 100 mg täglich
56
aus. Zu beachten ist, dass die COX-1 (zur Produktion von Thromboxan A2) für ihre
Lebensdauer von knapp zehn Tagen irreversibel gehemmt wird, da die
Thrombozyten keine COX-1 synthetisieren können. Dagegen kann die COX-2 in
den Endothelzellen nach kurzzeitiger Inhibition wieder neu synthetisiert werden,
mit der Konsequenz, dass die Produktion von Prostacyclin rascher als die von
Thromboxan
anläuft.
Durch
diesen
Mechanismus
wird
die
thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von ASS zusätzlich verstärkt.
Die analgetische Wirkung wird erst ab 500 - 1500 mg täglich erreicht, die
antiphlogistische in ausgeprägtem Maße erst ab 2.000 mg. Das ausgeprägte
Nebenwirkungsprofil bei längerer Einnahme und in höheren Dosen reduziert eine
vernünftige Verwendung (neben der sekundärprophylaktischen Gabe nach
atherosklerotischen bzw. -thrombotischen Ereignissen) auf die kurzzeitige
Behandlung von mittelstarken Schmerzen mit Entzündungsbeteiligung. Von den
unerwünschten Wirkungen sind Mikroblutungen und Geschwüre, speziell im
Magen und Zwölffingerdarm sowie Sodbrennen, Appetitlosigkeit, Nausea und
Emesis bekannt. In hohen Dosen sind ebenfalls Leberpathologien möglich.
Kontraindiziert ist die Therapie bei chronischen Leberschäden. Das ReyeSyndrom ist zwar eine äußerst seltene, aber sehr schwere Erkrankung der
Pädiatrie mit Hirn- und Leberbeteiligung mit oft letalem Ausgang. Es wird neben
Viren durch Salicylate wie ASS ausgelöst. Deshalb sollte ASS bei Kindern unter
12 Jahren überhaupt nicht angewandt werden. Paracetamol stellt für Kinder eine
Alternative zu ASS dar.
Dosierung:
 Max. Tagesdosis: 3.000 mg
 Einzeldosis: 500 - 1.000 mg
 Einnahmefrequenz: bis zu 3 mal täglich
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 0,5 - 1 h
 Eliminationshalbwertszeit: ca. 2 - 6 h (bei normalen Dosen)
 Wirkdauer: 4 - 6 h
57
Ca. ein Drittel der Acetylsalicylsäure wird im Plasma und in der Leber deacetyliert.
Daraus entsteht die Salicylsäure, deren Elimination in der Leber wegen der
begrenzten Kapazität der dortigen Enzyme dosisabhängig ist. Der pH-Wert des
Urins entscheidet maßgeblich darüber wie groß der renal ausgeschiedene Anteil
ist (5 - 35 %). Die Eliminationshalbwertszeit ist stark von der zugeführten Menge
abhängig. Sie kann bei sehr hohen Dosen bis zu 30 Stunden betragen, bei
Normaldosen dauert sie zwei bis sechs Stunden.
3.8.2 Diclofenac
Anwendung:
 Schmerzhafte
Entzündungen
oder
Schwellungen
postoperativ
oder
posttraumatisch
 Akute und chronische Arthritiden (Gichtanfall, chronische Polyarthritis)
 Rheumatisch-entzündliche Wirbelsäulenerkrankungen (Morbus Bechterew)
 Spondylarthrosen
 Muskuloskelettale Beschwerden
Diclofenac gehört zu den Arylessigsäurederivaten. Seine Anwendung ist vor allem
als Antirheumatikum geschätzt. Die COX-inhibitorische Potenz ist hoch, wobei die
Affinität zu COX-2 um das ca. Dreifache höher ist als zu COX-1. In einer
Metaanalyse
(2015)
wurden
Daten
von
176
Studien
(knapp
150.000
Patienten/innen) in der Behandlung von Osteoarthrose und rheumatoider Arthritis
mit klassischen NSAR verglichen. Dabei wurden die Medikamente Diclofenac,
Ibuprofen, Naproxen, Celecoxib und Etoricoxib im Hinblick auf ihre Wirksamkeit
und die Verträglichkeit untersucht. Nutzen und Risiko von Diclofenac waren
hierunter vergleichbar mit jenem der anderen Medikamente, weshalb die Wahl des
Arzneimittels individuell entschieden werden sollte (van Walsem et al. 2015).
Gastrointestinale Ulzerationen treten relativ häufig auf, weshalb bei längerer
Anwendung die zusätzliche Gabe von Protonenpumpenhemmern erfolgen soll.
Leber- oder Nierenschädigungen kommen sehr selten vor. Nichtsdestotrotz gilt es,
bei langzeitiger Applikation regelmäßige Laborkontrollen durchzuführen. Des
Weiteren kann es zu Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen kommen. Das
58
kardiovaskuläre Risiko ist bei der Gabe von Diclofenac im Vergleich zu anderen
NSAR möglicherweise in der Langzeitbehandlung (größer als 30 Tage) erhöht. Die
Datenlage hierzu ist jedoch unzureichend (Salvo et al. 2014).
Als topisches Präparat (Gel oder Pflaster) kann es bei muskuloskelettalen
Schmerzen und akuten Schmerzen bei kleineren Sportverletzungen angewandt
werden (Derry et al. 2015; Predel et al. 2015).
Dosierung:
 Max. Tagesdosis: 150 mg
 Einzeldosis: 50 - 100 mg
 Einnahmefrequenz: 2 bis 3 mal täglich
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 h
 Halbwertszeit im Plasma: ca. 1 - 2 h
Die maximale Plasmakonzentration im Blut wird nach ca. zwei Stunden erreicht, in
der Synovialflüssigkeit nach zwei bis vier Stunden. Die Ausscheidung erfolgt über
die Niere und die Leber.
3.8.3 Indometacin
Anwendung:
 Rheumatische Erkrankungen (Morbus Bechterew, rheumatoide Arthritis)
 Akuter Gichtanfall
 Hemicrania continua und paroxysmale Hemikranie
 Verschluss eines persistierenden Ductus arteriousus bei Frühgeborenen
Indometacin ist ebenso den Arylessigsäurederivaten zuzuordnen und hat aufgrund
seiner hohen Nebenwirkungsrate ein beschränktes Einsatzgebiet. Diverse MagenDarm-Probleme wie Übelkeit, Erbrechen, Druckgefühl, Bauchschmerzen und
Ulzera sowie Kopfschmerzen, Schwindel und psychische Veränderungen treten
bei bis zu 30 % der Patienten/innen auf. Allergische Hautreaktionen, Leukopenie
59
und Thrombopenie sind weniger häufig anzutreffen. Kontraindiziert ist die
Anwendung bei einer Organinsuffizienz von Herz, Niere oder Leber, bei
Blutbildungsstörungen, Ulcus ventriculi sowie bei einer bekannten Allergie gegen
NSAR.
Dosierung:
 Einzeldosis: 25 - 50 mg
 Einnahmefrequenz: 2 bis 3 mal täglich
 Tagesdosis: 100 - 200 mg
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 1 - 2 h
 Eliminationshalbwertszeit: ca. 3 - 11 h
3.8.4 Ibuprofen
Anwendung:
 Als Antirheumatikum
 Akute Migräneattacken mit oder ohne Aura
 Leichte bis mäßig starke Schmerzen mit Fieber
Ibuprofen ist chemisch gesehen eine Arylpropionsäure und in seiner COXhemmenden Potenz geringer als Diclofenac. Dafür sind die Nebenwirkungen im
Vergleich zu anderen NSAR relativ gering. Es kann bei akuten und chronischen
Schmerzbildern bei Verletzungen des muskuloskelettalen Apparates eingesetzt
werden sowie bei rheumatoider Arthritis und Arthrose. Kontraindiziert ist es bei
Nieren-, Herz- oder Leberinsuffizienz, bei gastrointestinalen Geschwüren und bei
Blutbildungsstörungen. Wegen Wechselwirkungen mit Acetylsalicylsäure sollte
Ibuprofen bei KHK-Patienten/innen nur kurzfristig eingenommen werden. Es kann
während der Stillzeit verabreicht werden.
Dosierung:
 Einzeldosis: 100 - 400 mg (Analgetikum); 400 - 800 mg (Antirheumatikum)
60
 Einnahmefrequenz: 2 bis 3 mal täglich
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 1 - 2 h
 Eliminationshalbwertszeit: ca. 2 h
3.8.5 Dexibuprofen
Anwendung:
 Als Antirheumatikum (speziell bei Arthrosen, auch bei anderen Arthritiden
und Weichteilrheumatismus)
 Stauchungen und Zerrungen
 Leichte bis mittelstarke Schmerzen mit Fieber
 Zahnschmerzen
 Dysmenorrhö
Dexibuprofen ist die rechts drehende Variante des Razemats Ibuprofen. Das
S(+)Enantiomer Dexibuprofen löst sich im Vergleich zu Ibuprofen gastral schneller
auf, weshalb in kürzerer Zeit effektive Wirkspiegel in den Zielorganen erreicht
werden. Zur Behandlung von Gelenksschmerzen bei Osteoarthrose von Hüfte
oder Knie ist Dexibuprofen bei gleicher Effektivität seinem Razemat Ibuprofen
hinsichtlich seiner Verträglichkeit überlegen (Zamani et al. 2014). In seiner
Wirkstärke findet sich der Arzneistoff zwischen ASS, welches schwächer ist und
Diclofenac, welches als stärker analgetisch angesehen wird, wieder. Zur
Behandlung schmerzender Gonarthrose besitzt Dexibuprofen das gleiche
klinische Outcome wie Diclofenac, wobei es sich als besser verträglich darstellt
(Hawel et al. 1997). Bei gleicher Wirkung im Vergleich zu Ibuprofen
(Dosisratio 0,5 : 1), Diclofenac, Naproxen und Celecoxib ist Dexibuprofen im
Allgemeinen
besser
verträglich.
Eine
Metaanalyse
mit
knapp
5.000
Patienten/innen kam zum Ergebnis, dass lediglich 3,7 % der behandelten
Personen über Nebenwirkungen berichteten und nur drei Personen schwere
Reaktionen zeigten (Kaehler et al. 2003). Die Nebenwirkungen sind mit denen von
61
Ibuprofen zu vergleichen und betreffen vor allem den Magen-Darm-Trakt bzw. die
Nieren, die Leber, das Herz und das Blutbild.
Dosierung:
 Einzeldosis: 200 - 400 mg
 Einnahmefrequenz: 2 bis 3 mal täglich
 Max. Tagesdosis: 1200 mg (Antirheumatikum)
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 1 - 2 h
 Eliminationshalbwertszeit im Plasma: ca. 2 h
Die
Plasmaspiegel
von
Dexibuprofen
täuschen
über
seine
tatsächliche
Wirkungsdauer hinweg. In den Organen sind die wirklichen Konzentrationsspiegel
länger und höher vorhanden als im Plasma.
3.8.6 Naproxen
Anwendung:
 Als Antirheumatikum (chronische entzündliche Gelenkserkrankungen und
andere entzündliche rheumatische Erkrankungen)
 Postoperativ
oder
posttraumatisch
entstandene
schmerzhafte
Entzündungen oder Schwellungen (auch bei Zahnextraktionen)
 Muskel- und Gelenksschmerzen
Naproxen gehört wie Ibuprofen und Dexibuprofen zu den Arylpropionsäuren. Die
Einsatzgebiete entsprechen dem von Diclofenac.
Dosierung:
 Einzeldosis: 250 - 500 mg
 Einnahmefrequenz: 2 bis max. 3 mal täglich
 Max. Tagesdosis: 1.000 mg
62
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 - 4 h
 Wirkdauer: 8 - 12 h
 Eliminationshalbwertszeit im Plasma: ca. 10 - 18 h
Im Vergleich zu anderen NSAR hat Naproxen eine relativ lange Halbwertszeit
sowie eine lange Wirkdauer und sollte deshalb ein günstiges kardiovaskuläres
Nebenwirkungsprofil aufweisen. Es zeigte in größeren Metaanalysen, u.a. Trelle et
al.
(2011),
hinsichtlich
kardiovaskulärer
Sicherheit
wegen
der
einhundertprozentigen COX-1 Hemmung leichte Vorteile gegenüber anderen
NSAR und selektiven COX-2-Hemmern (Trelle et al. 2011). Der aktuellen
Datenlage folgend ist das kardiovaskuläre Nebenwirkungsprofil von Naproxen
aber mit dem anderer NSAR zu vergleichen (De Vecchis et al. 2014).
3.8.7 Meloxicam
Anwendung:
 Chronische Gelenkserkrankungen (Arthritiden, aktivierte Arthrosen)
 Andere rheumatische Erkrankungen (v.a. Morbus Bechterew)
 Gicht
 Ischiassyndrom
 Schmerztherapie prä- und postoperativ
Meloxicam gehört zu den heterozyklischen Ketoenolsäuren. Klinisch wird es
gemeinsam mit seinen Namensvettern den Oxicamen zugeordnet.
Dosierung:
 Einzeldosis: 7,5 - 15 mg
 Einnahmefrequenz: 1 mal täglich
 Max. Tagesdosis: 15 mg
63
Es besitzt eine lange Halbwertszeit, weshalb eine anwenderfreundliche, einmal
tägliche Gabe während einer Mahlzeit favorisiert wird. Bei Schmerzzuständen
oder aktivierten Arthrosen sind 7,5 mg zu geben bzw. kann die Dosis bei
unzureichendem Therapieerfolg auf 15 mg erhöht werden. Eine südkoreanische
Arbeit kam zu dem Schluss, dass die Kombination von Meloxicam mit Pregabalin
in der Behandlung von schmerzhafter Gonarthrose Meloxicam alleine überlegen
war. Dies lässt die Folgerung zu, dass bei osteoarthrotischen Beschwerden ein
neuropathischer Anteil für die Schmerzen mitverantwortlich ist (Ohtori et al. 2013).
Zur antirheumatischen Behandlung von rheumatoider Arthritis bzw. Morbus
Bechterew wird eine tägliche Gabe von 15 mg empfohlen. Wie bei allen anderen
Nicht-Opioid-Analgetika
ist
die
niedrigstmögliche
Dosis
bei
gleichzeitig
zufriedenstellendem Therapieoutcome zu wählen.
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 h bei Suspension bzw. nach ca. 5 - 6 h bei
Kapseln oder Tabletten
 Wirkdauer: ca. 24 h
 Eliminationshalbwertszeit im Plasma: ca. 20 h
Meloxicam reichert sich in der Synovialflüssigkeit mit Konzentrationen in Höhe der
ca. halben Plasmakonzentration an. Es wird hauptsächlich über CYP2C9
metabolisiert. Eliminiert wird es zu ca. gleichen Teilen über den Urin bzw. den
Fäzes.
3.8.8 Piroxicam
Anwendung:
 Als Antirheumatikum (chronische entzündliche Gelenkserkrankungen und
andere entzündliche rheumatische Erkrankungen, im Besonderen: Mb.
Bechterew, aktivierte Arthrosen, rheumatoide Arthritis)
Piroxicam ist ein Oxicam und gehört zur Gruppe der heterozyklischen
Ketoenolsäuren. Es besitzt ein gute Wirksamkeit, dies geht aber auf Kosten des
64
Nebenwirkungsprofils. Deshalb wird es bei den angegeben Indikationen als Mittel
der zweiten Wahl verwende. Die Nebenwirkungen entsprechen im Allgemeinen
denen der anderen NSAR. Bei längerer Einnahme wird in regelmäßigen
Abständen eine Überwachung der Blut-, und besonders der Nieren- und
Leberwerte, empfohlen.
Dosierung:
 Einzeldosis: 20 mg
 Einnahmefrequenz: 1 mal täglich
 Empfohlene Tagesdosis: 20 mg
Es wird einmal täglich während oder nach einer Mahlzeit gegeben. Piroxicam ist in
Tabletten- oder Kapselform, als Injektionslösung oder als Gel erhältlich.
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 - 3 h bzw. erneuter Peak nach ca. 6 - 10 h
 Eliminationshalbwertszeit im Plasma: ca. 50 h
Piroxicam besitzt eine sehr lange Halbwertszeit von 30 bis 60 Stunden, im Mittel
50 Stunden. Bei täglicher Einnahme wird nach ca. fünf bis zehn Tagen ein SteadyState mit konstanten Plasmaspiegeln erreicht.
3.8.9 Lornoxicam
Anwendung:
 Chronische Polyarthritis
 Osteoarthrosen
Lornoxicam ist ein weiterer Vertreter der Oxicame. Es wird zur symptomatischen
Behandlung
von
Zusammenhang
Schmerzen
und
mit entzündlichen
Entzündungen
und
verabreicht,
degenerativen
die
Erkrankungen
im
des
rheumatischen Formenkreises stehen.
65
Dosierung:
 Einzeldosis: 4 - 8 mg
 Einnahmefrequenz: 2 bis 3 mal täglich
 Empfohlene Tagesdosis: 8 - 16 mg
Im Vergleich zu den anderen Oxicamen ist die Halbwertszeit und damit die
Wirkungsdauer relativ gering.
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 h
 Eliminationshalbwertszeit im Plasma: ca. 4 h
In der Synovialflüssigkeit liegen Konzentrationsspiegel in der Höhe von ca. einem
Drittel der Plasmakonzentration vor. Lornoxicam wird in der Leber hydroxyliert und
konjugiert. Etwa ein Drittel der zugeführten Dosis wird renal und etwa zwei Drittel
werden biliär eliminiert.
3.8.10
Nimesulid
Anwendung:
 Akute Schmerzen
 Primäre Dysmenorrhö
Nimesulid inhibiert die COX-2 etwa zehnfach stärker als die COX-1 und liegt damit
zwischen Diclofenac und Celecoxib. Es war früher als Therapie der zweiten Wahl
zur Behandlung von akuten Schmerzen und primärer Dysmenorrhö zugelassen.
Vor ein paar Jahren wurde es aufgrund der vermeintlich erhöhten Lebertoxizität in
der Behandlung gegen Arthrose gestrichen, mittlerweile ist es nicht mehr im
Handel erhältlich.
66
Dosierung:
 Einzeldosis: 100 mg
 Einnahmefrequenz: 2 mal täglich
 Max. Tagesdosis: 200 mg
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 - 3 h
 Eliminationshalbwertszeit im Plasma: ca. 3 - 6 h
Nimesulid wird in der Leber über CYP2C9 metabolisiert. Die Elimination erfolgt
hauptsächlich über den Urin. Obwohl die Eliminationshalbwertszeit relativ kurz ist,
reicht grundsätzlich eine zweimal tägliche Gabe von 100 mg, um die Wirkspiegel
aufrechtzuerhalten.
67
3.9 Selektive COX-2-Hemmer
Die selektiven COX-2-Hemmer (Coxibe) werden im erweiterten Sinne auch den
NSAR zugeordnet. Der Ausdruck Coxibe beruht dabei nicht auf gemeinsame
chemische Strukturen, sondern betont die Funktion dieser Wirkstoffklasse selektiv
die COX-2 inhibieren zu können.
Sie haben gegenüber den klassischen NSAR den Vorteil, dass sie wesentlich
weniger gastrointestinale Beschwerden verursachen. Auf der anderen Seite ist
das kardiovaskuläre Risiko durch die COX-2-Hemmung erhöht. Koronare oder
zerebrovaskuläre Erkrankungen (KHK, Myokardinfarkt, Insult) im Vorfeld bzw.
Prädispositionsfaktoren, die zu solchen Krankheiten führen, wie Hypertonie,
Hyperlipidämie oder Diabetes, müssen berücksichtigt werden.
Antikoagulantien
kombiniert
mit
Coxiben
erhöhen
die
Blutungsgefahr.
Antihypertensiva können bei gleichzeitiger Einnahme von COX-2-Hemmern in
ihrer Wirksamkeit deutlich abgeschwächt werden. Bei ACE-Hemmern, Ciclosporin
und Tacrolimus sind die Nierenfunktionswerte zu überwachen. Ein Coxib kann die
Plasmaspiegel von Methotrexat toxisch erhöhen.
3.9.1 Celecoxib
Anwendung:
 Osteoarthrosen
 Rheumatoider Arthritis
 Zahnextraktionen
Bei aktivierten Arthrosen und rheumatoider Arthritis ist die Verwendung von
Celecoxib geeignet. Das Risiko für gastrointestinale Geschwüre ist durch ihre
COX-2-Selektivität verringert. Jedoch ist die Anwendung bei gastrointestinalen
Erkrankungen
und
vorbestehenden
Ulzerationen
kontrainidiziert.
Bei
gastrointestinalen Risikopatienten/innen stellt Celecoxib in Verbindung mit
Protonenpumpenhemmern eine Alternative zu klassischen NSAR dar. Als
68
besondere Nebenwirkung ist bei Celecoxib das Auftreten von Infektionen der
oberen Atemwege bekannt.
Dosierung:
 Dosis: 200 - 400 mg pro Tag
 Einnahmefrequenz: 1 - 2 mal täglich
Die tägliche Maximaldosis ist 400 mg. Studien mit Tagesdosen von 800 mg
wurden ebenso durchgeführt und wiesen Celecoxib eine hohe Wirksamkeit bei
gleichzeitig guter Verträglichkeit zur Behandlung von akuter Gichtarthritis nach
(Schumacher et al. 2012).
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 2 h
 Eliminationshalbwertszeit: 6 - 12 h
Die Biotransformation erfolgt langsam über das CYP2C9. Bei bekannten CYP2C9Poor-Metabolisierer ist die Hälfte der niedrigsten empfohlenen Dosis zu wählen.
3.9.2 Parecoxib
Anwendung:
 Postoperative Schmerzen
Parecoxib kann intravenös verabreicht werden. Postoperative Schmerzen können
damit gut behandelt werden, da die Funktionalität der Thrombozytenaggregation
unverändert
bleibt.
Eine
multizentrische
Studie,
die
den
postoperativen
analgetischen Einsatz von Parecoxib bei offener Prostatektomie untersuchte,
konnte Parecoxib eine gute analgetische Wirksamkeit bescheinigen, die
Blutungsereignisse waren jedoch in der Parecoxib-Gruppe erhöht (Dirkmann et al.
2015). Die wirksame Substanz Valdecoxib (aus der Vorstufe Parecoxib) bedingt
kutane Nebenwirkungen, weshalb sich sein Einsatz auf kurzfristige Applikationen
bei postoperativen Schmerzen beschränkt.
69
Dosierung:
 Initial 40 mg, Nachdosierungen bis 80 mg täglich
 Einnahmefrequenz: 1 mal täglich
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 0,5 h
 Eliminationshalbwertszeit: ca. 8 h
Parecoxib wird im Körper zügig in seine Wirkform Valdecoxib umgewandelt.
Valdecoxib wird über CYP2C9 und CYP3A4 abgebaut.
3.9.3 Etoricoxib
Anwendung:
 Arthrosen
 Rheumatoider Arthritis, Gichtarthritis
 Tendinopathien
Etoricoxib ist Diclofenac in analgetischer und entzündungshemmender Wirkung
identisch, wobei die gastrointestinale Verträglichkeit bei Etoricoxib besser
ausgeprägt ist. Bei Osteoarthrosen in Knie oder Hüfte konnte man zeigen, dass
eine tägliche Dosis von 60 mg Etoricoxib gegenüber einer dreimal täglichen
Einnahme von jeweils 50 mg Diclofenac im Hinblick auf physische Größen und
Schmerzparameter idente Erfolge erzielen konnte. Etoricoxib zeigte am ersten
Tag eine bessere klinische Wirksamkeit. Beide Medikamente wurden gut
vertragen (Zacher et al. 2003). Bei Achillestendinopathien stehen in der
therapeutischen Herangehensweise eine Schmerzreduktion und eine schnelle
Wiederherstellung der Funktionalität im Vordergrund. Hierbei wurden Diclofenac
und Etoricoxib in einer georgischen Arbeit untersucht. Beide Medikamente waren
im Stande Schmerzen und die vorhandene Fußsteifigkeit zu reduzieren, wobei
Etoricoxib signifikant weniger Nebenwirkungen aufwies (Maquirriain & Kokalj
70
2013). Bei schweren Leberinsuffizienzen, einer stark herabgesetzten KreatininClearance sowie bei Jugendlichen unter 16 Jahren ist Etoricoxib kontraindiziert.
Etoricoxib wird ein im Vergleich zu anderen NSAR erhöhtes kardiovaskuläres
Risiko nachgesagt (McGettigan & Henry 2013).
Dosierung:
 30 - 120 mg pro Tag
 Einnahmefrequenz: 1 mal täglich
Obwohl das Nebenwirkungsprofil sehr günstig erscheint, gilt wie bei allen
selektiven COX-2-Hemmern, dass die niedrigst mögliche Dosierung so kurz wie
möglich gegeben wird, um kardiovaskulären Nebenwirkungen entgegenzuwirken.
Pharmakokinetik:
 Blutspiegelmaximum nach ca. 1 h
 Eliminationshalbwertszeit: 22 h
Die Elimination erfolgt über CYP3A4 mit einer langen Halbwertszeit. Die inaktiven
Metaboliten werden überwiegend renal ausgeschieden.
71
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