E. Fricke Zusammenfassung Abstract Iodhaltige Kontrastmittel haben ein breites Anwendungsspektrum und werden heutzutage häufig verwendet. Auch wenn der Anteil an freiem anorganischen Iodid in den heute üblichen Kontrastmitteln gering ist, führt die In-vivo-Deiodierung der Kontrastmittel dennoch zu einer unphysiologisch hohen Exposition der Schilddrüse mit freiem Iodid. Während die gesunde Schilddrüse in der Lage ist, autoregulativ den Einbau von Iod und die Hormonsynthese anzupassen, ist dieser Mechanismus bei Vorliegen einer Schilddrüsenautonomie gestört. Klinische Studien haben insgesamt nur ein geringes Risiko einer iodinduzierten Hyperthyreose bei Kontrastmittelgabe gezeigt. Dennoch steht der Kliniker im Einzelfall der Frage gegenüber, wie hoch bei einem Patienten das Hyperthyreoserisiko ist und wie er darauf reagieren muss. Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich die Schilddrüsenszintigraphie mit quantitativer Uptakebestimmung (TcTU) an, ggf. unter exogener Suppression des nicht-autonomen Schilddrüsengewebes (TcTUs). Dieser Untersuchung sollten insbesondere jene Patienten zugeführt werden, bei denen eine latent hyperthyreote Stoffwechsellage vorliegt. Als Risikopersonen gelten auûerdem Patienten höheren Lebensalters sowie Patienten mit diffuser oder nodulärer Struma. Trotz der häufigen Anwendung iodhaltiger Röntgenkontrastmittel ist die Datenlage bezüglich Schilddrüsenszintigraphie und Hyperthyreoserisiko und auch zum Thema Effektivität einer medikamentösen Prophylaxe eher schlecht. Basierend auf eigenen Ergebnissen sowie unter Berücksichtigung der vorhandenen Literatur scheint bis zu einem TcTUs von 1 % das Risiko einer manifesten Hyperthyreose bei vorbestehender latenter Überfunktion vernachlässigbar zu Today, examinations using iodine containing contrast media are rather frequent. Even though in modern contrast agents the content of free iodine is low, in vivo deiodination results in a non physiologic high iodine load of the thyroid gland. Whilst in normal thyroid tissue iodine metabolism and hormone production are self-regulating in spite of the variable iodine load, those mechanisms are disturbed in autonomous thyroid tissue. Clinical studies displayed low risk of iodine induced thyrotoxicosis after application of contrast agent. Nonetheless the clinician has to assess the risk of thyrotoxicosis for each individual patient and he has to decide how to cope with this risk. Thyroid scintigraphy using Tc-99m-pertechnetate with quantitative measurement of the thyroidal uptake (TcTU) has been shown to be a useful tool in this question, especially when performed under suppression of the non-autonomous tissue (TcTUs). In particular patients with pre-existing suppression of the TSH secretion should be selected for this investigation. Also at risk are elderly persons and those with diffuse or nodular goitres. In spite of the high frequency of contrast agent applications, data on scintigraphy for risk evaluation of thyrotoxicosis and on efficacy of prophylactic medication are scarce. Based on own results and on a review of literature, the risk of thyrotoxicosis seems to be negligible in patients with a TcTUs of less than 1 % even in case of preexistent latent hyperthyroidism. If a suppressed TSH level is known and TcTUs is higher than 1 %, prophylactic medication should be given. There is evidence for a combination therapy inhibiting both iodine uptake and metabolism, i. e. with perchlorate and thiama- Institutsangaben Institut für Molekulare Biophysik, Radiochemie und Nuklearmedizin, Herz- und Diabeteszentrum Nordrheinwestfalen, Bad Oeynhausen, Germany Korrespondenzadresse Dr. Eva Fricke ´ Institut für Molekulare Biophysik, Radiochemie und Nuklearmedizin ´ Herz- und Diabeteszentrum Nordrheinwestfalen ´ Georgstr. 11 ´ 32545 Bad Oeynhausen ´ Germany ´ Tel.: +49/57 31-97-35 06 ´ Fax: +49/57 31-97-1819 ´ E-mail: [email protected] Bibliografie Der Nuklearmediziner 2004; 27: 73±77 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ´ New York DOI 10.1055/s-2004-822656 ISSN 723-7065 Schilddrüse ± Basiswissen und Aktuelles Risk Stratification of Iodine-Induced Thyrotoxicosis Before Contrast Agent Application 73 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Prognosebeurteilung bei geplanter Kontrastmittelexposition zole, being more efficient than monotherapy, particularly in patients with high risk of thyrotoxicosis. Schlüsselwörter Röntgenkontrastmittel ´ iodinduzierte Hyperthyreose ´ Schilddrüsenszintigraphie ´ prophylaktische Medikation Key words Contrast agent ´ iodine-induced thyrotoxicosis ´ scintigraphy of the thyroid gland ´ prophylactic medication Einleitung in Gensequenzen des TSH-Rezeptors, die zu einer Stimulation des Rezeptors und der nachgeschalteten Signalkette führen [7, 19]. Die Überstimulation der über cAMP vermittelten Signalkette führt wiederum zu einer Überexpression des Natrium-IodidSymporters [24]. Das Auftreten einer Hyperthyreose hängt damit von zwei Faktoren ab: zum einen der Menge und Aktivität des autonomen Gewebes und zum anderen der Höhe der Iodexposition durch das Kontrastmittel. Untersuchungen mit iodhaltigem Kontrastmittel sind in nahezu allen Fachbereichen der Medizin häufig. Umso erstaunlicher ist es, dass die Datenlage über das Risiko einer iodinduzierten Hyperthyreose und über die Effektivität einer medikamentösen Prophylaxe auch heute noch unzureichend ist. Gröûere prospektive Studien fehlen, so dass jeder Versuch, eine Empfehlung zu Diagnostik und prophylaktischer Therapie zu erstellen, am Ende mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. Dies ist möglicherweise einer der Gründe, warum es keine allgemein gültige Leitlinie zum Vorgehen bei Kontrastmittelgabe gibt. Ein weiterer möglicher Grund ist, dass iodinduzierte Hyperthyreosen vor allem in so genannten Iodmangelländern auftreten, in denen die Iodmangelstruma endemisch ist. Maûnahmen der letzten beiden Jahrzehnte haben zu einer Besserung der allgemeinen Iodversorgung in Deutschland geführt, wobei der Erfolg dieser Maûnahmen derzeit bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten ist, nicht aber in den Bevölkerungsgruppen höheren Lebensalters [17]. Das Risiko einer iodinduzierten Hyperthyreose steigt jedoch mit dem Lebensalter. Gerade bei älteren Menschen ist auch das Risiko erhöht, Komplikationen einer Hyperthyreose zu erleiden, insbesondere wenn eine kardiale Vorerkrankung besteht [11]. Der behandelnde Arzt ist daher aufgefordert, im Falle einer geplanten Kontrastmittelgabe eine Risikoabschätzung durchzuführen. Grundlage dieser Risikoabschätzung sind zunächst Anamnese und klinischer Befund, insbesondere der palpatorische Schilddrüsenbefund sowie die klinischen Zeichen einer Hyperthyreose. Bei älteren Patienten (Alter > 40 Jahre) ist die zusätzliche Bestimmung des basalen TSH empfehlenswert. Patienten mit latent hyperthyreoter Stoffwechsellage und Strumapatienten höheren Lebensalters sollten nuklearmedizinisch untersucht werden. Kontrastmittel und Iodexposition Für die Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion entscheidend ist nicht der Gesamtgehalt der Röntgenkontrastmittel an Iod, der, bezogen auf das Molekulargewicht, etwa die Hälfte des Kontrastmittels ausmacht. Entscheidend ist zum einen der Anteil an freiem, anorganischem Iodid und zum anderen das Ausmaû an in vivo abgespaltenem Iodid. Der Anteil an freiem Iodid ist in ionischen und nichtionischen Kontrastmitteln mit 0,002 bis 0,13 Promille des Gesamtiods sehr gering [20]. Demgegenüber werden nach einer Untersuchung von Rendl et al. innerhalb einer Woche nach Kontrastmittelgabe etwa 0,15 Prozent des Gesamtiodids abgespalten, was zu einer deutlich höheren Exposition mit freiem Iodid führt [20]. Werden zum Beispiel im Rahmen einer diagnostischen Herzkatheteruntersuchung 100 ml Ultravist 370 (Iopromid, Schering AG) appliziert, ergibt sich rechnerisch eine Gesamtexposition an freiem Iodid von mehr als 50 mg in der ersten Woche. Iod ist der gewichtsmäûig gröûte Bestandteil der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3). Aus der Blutbahn wird Iod gegen ein Konzentrationsgefälle unter Vermittlung des Natrium-Iodid-Symporters in die Schilddrüsenzelle transportiert. Wird eine bestimmte Iodkonzentration im Blut überschritten, führt dies zu einer Hemmung des Einbaus von Iod in organische Verbindungen und zu einer Hemmung der Hormonsynthese. Auch die Sekretion der Schilddrüsenhormone wird blockiert (Wolff-Chaikoff-Effekt). Die Eliminationshalbwertszeit von nierengängigen Kontrastmitteln ist mit ca. 2 Stunden relativ kurz. Daraus lässt sich jedoch nicht schlieûen, dass die vermehrte Iodexposition der Patienten ebenfalls nur von kurzer Dauer ist. In einer Verlaufsstudie nach Koronarangiographie unter Verwendung von Ultravist 370 (Iopromid, Schering AG) war die Iodausscheidung im Urin drei Wochen nach der Kontrastmittelgabe noch etwa auf das dreifache des Ausgangswertes erhöht [3]. In einer in unserer Klinik durchgeführten Studie zeigten sich vier Wochen nach Koronarangiographie im Mittel nahezu doppelt so hohe Iodausscheidungen im Urin wie vor der Kontrastmittelgabe [4]. Infolge ihrer langsameren Ausscheidung und der partiellen Teilnahme am enterohepatischen Kreislauf ist bei gallengängigen Kontrastmitteln, wie sie beispielsweise bei der Infusions-Cholegraphie Verwendung finden, die Dauer der Iodexposition noch länger. Bei autonomen Schilddrüsenzellen liegt ein gestörter Regulationsmechanismus vor. Verantwortlich dafür sind Mutationen Untersuchungen mit lipophilen Kontrastmitteln, wie zum Beispiel Lymphographien, sind heutzutage selten. Das in Europa Iodexposition und Schilddrüsenautonomie Fricke E. Prognosebeurteilung bei geplanter ¼ Der Nuklearmediziner 2004; 27: 73 ± 77 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Schilddrüse ± Basiswissen und Aktuelles 74 sein. Bei latenter Hyperthyreose und einem TcTUs von über 1 % sollte eine thyreoprotektive Medikation erfolgen. Dabei scheint insbesondere bei höherem Hyperthyreoserisiko eine kombinierte medikamentöse Hemmung von Iodaufnahme und Organifizierung, zum Beispiel durch Kombination von Perchlorat und Thiamazol, der Monotherapie überlegen zu sein. Iodinduzierte Hyperthyreosen nach Kontrastmittelgabe sind, gemessen an den Untersuchungszahlen, insgesamt selten. In Regionen mit chronischem Iodmangel, wie auch in Deutschland, ist ihr Auftreten durch die höhere Prävalenz von Schilddrüsenautonomien häufiger als in Ländern mit ausreichender Iodversorgung [25]. In Studien an unselektierten oder euthyreoten Patienten werden Häufigkeiten von 0 % bis 2,5 % angegeben [1, 3, 9]. Patienten, die zur Schilddrüsenuntersuchung vor elektiver KM-Untersuchung überwiesen werden, sind jedoch schon vorselektiert. Interessanter ist daher die Frage, wie häufig Hyperthyreosen bei Risikopatienten auftreten, also zum Beispiel bei Patienten mit vorbestehender latenter Hyperthyreose oder autonomer Knotenstruma. In einer Studie von Nolte et al. [18] traten bei 4 von 51 Patienten (7,8 %) mit latenter Hyperthyreose manifeste Schilddrüsenüberfunktionen auf, in 2/4 Fällen trotz Einnahme einer prophylaktischen Medikation. Gröûere Studien an Risikopatienten fehlen jedoch. Auch die Art des Kontrastmittels scheint einen Einfluss auf die Häufigkeit von Schilddrüsenfunktionsstörungen zu haben. So wurde zum Beispiel beschrieben, dass nach intravenöser oder oraler Cholegraphie Störungen des Schilddrüsenregelkreises häufiger sind, am ehesten durch die langsamere Ausscheidung des Kontrastmittels [26]. Daten über die Häufigkeit von Schilddrüsenfunktionsstörungen nach Gabe von Lipiodol zur Lymphographie fehlen. Es wird jedoch beschrieben, dass Hyperthyreosen, die nach Lipiodol-Gabe zur Strumatherapie auftreten, milde Verläufe zeigen und häufig selbst-limitierend sind [28]. Bedeutung der Schilddrüsenszintigraphie Die quantitative Bestimmung der Pertechnetataufnahme der Schilddrüse (TcTU) ist ein verlässliches Maû für den Iodumsatz der Schilddrüse und damit ihrer Funktion [14, 23]. Bei nicht supprimiertem TSH-Spiegel repräsentiert der TcTU sowohl die Aktivität des autonomen Gewebes, als auch die Aktivität des nichtautonomen Gewebes. Bei Patienten mit euthyreoter Stoffwechsellage ist somit die Durchführung einer Szintigraphie unter exogener TSH-Suppression erforderlich, um die Aktivität des autonomen Gewebes zu bestimmen (TcTUs) [15, 16]. Verschiedene Arbeitsgruppen haben bereits die Frage behandelt, ob es ein ¹kritisches Volumenª autonomen Schilddüsengewebes bzw. einen ¹kritischen TcTUsª gibt, ab dem das Auftreten einer Hyperthyreo- Schilddrüsendiagnostik vor Kontrastmittelgabe ± Warum? Gerade in Zeiten verstärkter gesundheitsökonomischer Überlegungen stellt sich die Frage, ob eine Schilddrüsendiagnostik vor Kontrastmittelgabe bei Risikopatienten gerechtfertigt ist. Man könnte ja auch den Ansatz verfolgen, die selten auftretenden Hyperthyreosen zu behandeln. Ein Argument gegen dieses Vorgehen ist sicherlich die verminderte Wirksamkeit der Thyreostatika bei hohem Iodgehalt der Schilddrüse. Zum anderen muss bedacht werden, dass iodinduzierte Hyperthyreosen vermehrt bei älteren Patienten auftreten, bei denen häufig Multimorbidität vorliegt. So ist die kardiovaskuläre Mortalität bei manifester Hyperthyreose erhöht [8]. Durch die Steigerung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs können bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung Angina pectoris Beschwerden verstärkt werden [11]. Bei Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz kann es zur kardialen Dekompensation kommen. Die arrhythmogene Wirkung der Schilddrüsenhormone zeigt sich in einem gehäuften Auftreten von Vorhofflimmern, das wiederum eine Emboliegefahr in sich birgt. Hinzu kommt, dass Hyperthyreosen im Alter aufgrund von atypischen oder oligosymptomati- Fricke E. Prognosebeurteilung bei geplanter ¼ Der Nuklearmediziner 2004; 27: 73 ± 77 Schilddrüse ± Basiswissen und Aktuelles Häufigkeit von kontrastmittelinduzierten Hyperthyreosen se wahrscheinlich oder sogar zwingend ist. Emrich et al. [2] kamen dabei zu dem Schluss, dass ab einem autonomen Volumen von mehr als 10 ml das Risiko einer Hyperthyreose besteht und ihr Auftreten bei einem Volumen von mehr als 16 ml sogar wahrscheinlich ist. Der Zusammenhang von TcTUs und autonomen Volumen (Va) wurde mit der Formel: 5 TcTUs = Va beschrieben, somit wäre der kritische TcTUs etwa 2 %. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die Arbeitsgruppe von Joseph et al. [10], von der ein autonomes Volumen von 9 ml als kritisch angesehen wird. Nach ihren Überlegungen ergibt sich das autonome Volumen aus dem TcTUs unter Verwendung der Formel: Va = 2,88 TcTUs + 0,09, der kritische TcTU beträgt somit 3,1 %. Basis dieser Ergebnisse sind jedoch nicht Untersuchungen nach Kontrastmittelgabe, sondern theoretische Überlegungen sowie klinische Verläufe von Patienten mit Autonomie. Die Frage bleibt noch zu klären, in wie weit die Ergebnisse auf die deutlich höhere Iodexposition bei Kontrastmittelgabe übertragbar sind. In einer Studie von Kreisig et al. [12] wurden 16 Strumapatienten mit einer Gabe von 500 g Iodid täglich behandelt, also in einer Dosierung, die über der üblichen Iodexposition von Patienten liegt. Dabei lagen die TcTUs-Werte bei den 6 von 16 Patienten, die eine latente Hyperthyreose entwickelten, bei über 1 %, während bei den übrigen Patienten, die euthyreot blieben, der TcTUs im Mittel bei 0,8 % lag. Diese Studie legt die Überlegung nahe, dass bei gröûerer Iodexposition das ¹kritische Volumenª niedriger anzusetzen ist. In einer eigenen laufenden Studie an latent hyperthyreoten Patienten vor Koronarangiographie legten wir einen TcTUs von 1 % bei Vorliegen einer uni- oder multifokalen Autonomie sowie bei Verdacht auf disseminierte Autonomie fest. Bei den Patienten, bei denen dieses Kriterium zutraf, trat bis 4 Wochen nach der Kontrastmittelgabe ohne Gabe einer thyreoprotektiven Medikation keine manifeste Hyperthyreose auf. Bei zwei Patienten mit fokaler Autonomie und TcTUs-Werten von jeweils 1,2 % traten milde verlaufende manifeste Hyperthyreosen auf, in einem Fall trotz prophylaktischer Gabe von Perchlorat (Irenat), im anderen Fall nach Absetzen der prophylaktischen Medikation wegen Nebenwirkungen. 75 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. verwendete Lipiodol (Guerbet, Roissy, Frankreich) hat einen Iodgehalt von 480 mg/ml. Im Vergleich zu den wasserlöslichen Kontrastmitteln zeichnen sich lipophile Kontrastmittel durch eine sehr lange biologische Halbwertszeit aus. Im Falle von Lipiodol wird diese mit 5,2 bis 12,6 Tagen angegeben. Der Kontrastmittelabbau erfolgt in den Fremdkörperriesenzellen durch eine Esterase, wobei als Abbauprodukt Natriumiodid entsteht. Die für Lymphographien verwendeten Kontrastmittelmengen sind relativ gering, so werden zum Beispiel für die Untersuchung einer unteren Extremität ca. 4±6 ml verwendet. Dennoch muss auch noch ein Jahr nach einer solchen Untersuchung mit einer erhöhten Iodexposition des Patienten gerechnet werden [13]. Thyreoprotektive Medikation Für eine prophylaktische Medikation bieten sich zum einen Substanzen an, die die Aufnahme von Iodid in die Schilddrüse hemmen (Iodinationshemmer) und zum anderen solche, die die Organifizierung von Iod in der Schilddrüsenzelle hemmen (Iodisationshemmer). Als Iodinationshemmer spielt insbesondere Perchlorat (Irenat) eine Rolle. Bei oraler Einnahme werden die maximalen Gewebespiegel in der Schilddrüse nach ca. 4 Stunden erreicht, die Wirkung hält einige Stunden an. Dies impliziert die Notwendigkeit eines Therapiebeginns etwa vier Stunden vor der Kontrastmittelgabe sowie einer mehrfach täglichen Einnahme. Bei den Iodisationshemmern kommt eine gröûere Palette von Substanzen in Betracht, wobei meist eine Gabe von Thiamazol empfohlen wird [20]. Sowohl theoretische Überlegungen als auch Studienergebnisse sprechen für eine Überlegenheit einer Kombinationstherapie von Iodinations- und Iodisationshemmern bei deutlich erhöhtem Hyperthyreoserisiko. Obwohl bei beiden Substanzgruppen die Wirksamkeit bei hoher Iodexposition vermindert ist, verspricht der unterschiedliche Wirkungsort synergistische Effekte. Im Tiermodell an humanem, auf die Nacktmaus xenotransplantiertem autonomem Schilddrüsengewebe konnte die Wirksamkeit einer Kombinationstherapie von Perchlorat und Thiamazol gezeigt werden, während eine Monotherapie mit einer der beiden Substanzen ohne Effekt war [22]. Fritsche et al. wiesen in einer Studie an 60 Patienten vor und nach Koronarangiographie nach, dass eine kurzzeitige Kombinationstherapie mit 1 g Perchlorat und 60 mg Methimazol zu einer geringeren Iodspeicherung in der Schilddrüse führt [5, 6]. Demgegenüber traten in einer Studie von Nolte et al. bei latent hyperthyreoten Patienten unter Monotherapie mit Perchlorat oder Thiamazol jeweils in einem von 17 Fällen manifeste Hyperthyreosen auf [18]. Zur Frage der erforderlichen Dauer und Dosierung einer thyreoprotektiven Medikation existieren nur wenige experimentelle Daten. Bei wasserlöslichen Kontrastmitteln wird im Allgemeinen eine Therapiedauer von 14 Tagen empfohlen. Die erforderliche Dosierung von Perchlorat wird zumeist mit 3 20 Tropfen (= 900 mg) pro Tag angegeben. Abhängig vom individuellen Hy- perthyreoserisiko wird zusätzlich eine Gabe von 20±60 mg Thiamazol empfohlen. Nicht vergessen darf man insbesondere bei höherer Dosierung der Thyreostatika die Möglichkeit von Nebenwirkungen. Dabei existieren Zahlen über die Häufigkeit von Nebenwirkungen nur für Langzeittherapien, nicht für den kurzzeitigen Einsatz der Medikamente. Schwere Nebenwirkungen treten sowohl bei Perchlorat als auch bei Thiamazol nur sehr selten auf. Das Auftreten von Leukopenien bis hin zu Agranulozytosen, Thrombopenien oder aplastischen Anämien unter Einnahme von Perchlorat wurde vorwiegend für Langzeittherapien beschrieben, die Häufigkeit wird mit 0,1 % angegeben [21, 27]. Auch für Thiamazol wird die Häufigkeit von schweren Nebenwirkungen, insbesondere Agranulozytosen, mit 0,1 % angegeben. So genannte leichte Nebenwirkungen treten demgegenüber bei beiden Medikamenten häufiger auf. So werden unter Einnahme von Perchlorat in 2±5 % der Fälle Exantheme, Übelkeit oder Arthralgien beobachtet. Die Häufigkeit ähnlicher Nebenwirkungen wird für Thiamazol mit 5±15 % angegeben. Auch wenn diese Nebenwirkungen primär nicht bedrohlich erscheinen, können sie beim betroffenen Patienten zu einem Leidensdruck führen, der das Absetzen der Medikamente nach sich ziehen kann. Die subjektiv belastenden Nebenwirkungen stehen einem theoretischen Risiko gegenüber. Ein vorzeitiges Beenden der Therapie geht jedoch erneut mit einem erhöhten Hyperthyreoserisiko einher [4]. Empfehlungen Die folgenden Empfehlungen basieren zum einen auf einer Durchsicht der vorhandenen Literatur, zum anderen auf eigenen klinischen Erfahrungen und Studienergebnissen. Sie sind nicht im Sinne einer auf einem Konsens beruhenden Leitlinie zu sehen. Zum Vorgehen bei vorbestehender manifester Hyperthyreose existieren keine studienbelegten Daten. Einigkeit besteht darüber, dass bei manifester Hyperthyreose nur bei absoluter Dringlichkeit eine Kontrastmittelgabe erfolgen sollte, so zum Beispiel im Rahmen einer Akut-Koronarangiographie bei Myokardinfarkt. Aus theoretischen Überlegungen sollte in diesem Fall eine hochdosierte Kombinationstherapie mit Perchlorat und Thiamazol durchgeführt werden und zwar nach Möglichkeit beginnend vor der Kontrastmittelgabe. Einer nuklearmedizinischen Diagnostik zugeführt werden im Allgemeinen Patienten, bei denen eine latente Hyperthyreose festgestellt wurde oder bei denen palpatorisch oder sonographisch eine Struma festgestellt wurde. Das empfohlene Vorgehen bei vorbestehender latenter Hyperthyreose ist in Abb. 1 zusammengefasst. Ab einem autonomen Volumen von 5 ml empfehlen wir die Gabe von 3 20 (= 900 mg) Tropfen Perchlorat über 14 Tage und 1 20 mg Thiamazol über 7 Tage, beginnend ca. 4 Stunden vor der Kontrastmittelgabe. Bei einem autonomen Volumen, das mehr als 10 ml beträgt, sollte die Indikation für eine Kontrastmittelgabe sehr eng gestellt werden. Wir empfehlen in diesem Falle die Erhöhung der Thiamazol-Dosierung auf bis zu 60 mg täglich für einen Zeitraum von 7 Tagen, gefolgt von einer niedriger dosierten Therapie in Abhängigkeit vom Verlauf der Schilddrüsenwerte. Fricke E. Prognosebeurteilung bei geplanter ¼ Der Nuklearmediziner 2004; 27: 73 ± 77 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Schilddrüse ± Basiswissen und Aktuelles 76 schen Verläufen teilweise nicht erkannt werden [21]. So kann zum Beispiel die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Patienten als altersbedingte physiologische Veränderung der Körperfunktion fehlgedeutet werden. Der Zusammenhang zwischen aktuellem Beschwerdebild und vorangegangener Kontrastmitteluntersuchung ist unter Umständen dem behandelnden Arzt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegenwärtig. Wird die Diagnose einer iodinduzierten Hyperthyreose gestellt, ist durch die Kontrastmittelgabe sowohl die szintigraphische Diagnostik als auch die Radioiodtherapie erschwert bzw. wird verzögert. Auch wenn es sich um ein seltenes Krankheitsbild handelt, soll das Risiko einer thyreotoxischen Krise mit einem Letalitätsrisiko von bis zu 30 % nicht unerwähnt bleiben. Es erscheint somit von Vorteil, bei Patienten mit erhöhtem Hyperthyreoserisiko die Schilddrüsendiagnostik der Kontrastmitteluntersuchung vorangehen zu lassen. Insbesondere bei nodöser Struma und höherem Lebensalter sollte bei noch intaktem Schilddrüsenregelkreis eine Suppressionsszintigraphie vor Kontrastmittelgabe erfolgen. Das weitere Vorgehen unterscheidet sich danach nicht von dem bei Patienten mit endogen supprimiertem Schilddrüsenregelkreis. Diese Empfehlungen beziehen sich nur auf die Gabe wasserlöslicher Kontrastmittel. Im seltenen Fall einer Gabe von fettlöslichen Kontrastmitteln sollte aufgrund der langen Halbwertszeit der Substanzen immer zunächst eine Sanierung der Schilddrüse angestrebt werden. Literatur 1 Conn JJ, Sebastian MJ, Deam D, Tam M, Martin FI. A prospective study of the effect of nonionic contrast media on thyroid function. Thyroid 1996; 6: 107 ± 110 2 Emrich D, Erlenmaier U, Pohl M, Luig H. Determination of the autonomously functioning volume of the thyroid. Eur J Nucl Med 1993; 20: 410 ± 414 3 Fassbender WJ, Schlüter S, Stracke H, Bretzel RG, Waas W, Tillmanns H. Schilddrüsenfunktion nach Gabe jodhaltigen Kontrastmittels bei Koronarangiographie ± eine prospektive Untersuchung euthyreoter Patienten. 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