Römische Republik 1 EINLEITUNG Römische Republik, Epoche der römischen Antike, die traditionell auf die Zeit von 510 v. Chr., dem mutmaßlichen Jahr der Vertreibung des letzten Königs Lucius Tarquinius Superbus, bis 27 v. Chr., der Errichtung des Prinzipats durch Augustus, eingegrenzt wird und sich durch die kollektive Herrschaft der Senatsaristokratie auszeichnet. 2 INNERE ENTWICKLUNG ROMS IN DER FRÜHEN REPUBLIK (5. UND 4. JAHRHUNDERT V. CHR.) Roms expansive Energien, die seit dem späten 5. Jahrhundert v. Chr. erst Italien, dann den gesamten Mittelmeerraum und angrenzende Gebiete erfassten, gründeten maßgeblich in den Besonderheiten seiner Gesellschafts- und Staatsordnung. Der Zusammenhalt innerhalb der Aristokratie und über sie hinaus, entstanden in der Phase existentieller Bedrohung in der Frühzeit der Republik, erlaubte die Mobilisierung nahezu aller gesellschaftlichen Kräfte für den Krieg und entfachte so die Dynamik des sich formierenden Weltreiches. Wohl im ausgehenden 5. Jahrhundert v. Chr. stürzte der letzte König Roms aus der etruskischen Linie der Tarquinier (siehe Rom, Frühgeschichte). An die Stelle des Königtums trat eine kollektive Herrschaft der tonangebenden Geschlechter, des Patriziats. Die Patrizier leiteten ihre Macht ursprünglich von der Stellung eines pater familias ab (von lateinisch pater: Vater; familia: Hausgemeinschaft) und waren durch das Band gegenseitiger, hochformalisierter, von Rivalität keineswegs freier Freundschaft (lateinisch amicitia) miteinander verbunden. Die nichtpatrizische freie Bevölkerung (Plebejer) stand zu den Patriziern im patriarchalischen Verhältnis der Klientel, das die Patrone zur Schutzgewährung, die Klienten zu Dienst und Treue verpflichtete. Die Klientel wurde zentrales Bindeglied zwischen oben und unten: Bei Wahlen und Abstimmungen konnten mächtige Aristokraten das Gewicht ihrer Klientenzahl in die Waagschale werfen und so ihrem politischen Einfluss Geltung verschaffen. Allmählich schälte sich ein System hierarchisch gestaffelter Magistraturen heraus, dessen leitendes Prinzip Machtbegrenzung durch Annuität (zeitliche Begrenzung auf ein Jahr) und Kollegialität (mindestens zwei Amtsträger teilen sich eine Funktion) war. Beide Prinzipien waren nur in Krisensituationen durch das Instrument der Diktatur außer Kraft gesetzt. Die Wahl der Magistrate, an deren Spitze die Konsuln, zugleich militärische Befehlshaber im Krieg, standen, oblag der Volksversammlung (siehe Komitien). Gewesene Amtsträger rückten in den Senat. Ungefähr gleichzeitig mit der Formalisierung politischer Funktionen erfolgten erste Versuche der Rechtskodifikation: Ein erster Schritt hin zur Brechung des patrizischen Machtmonopols war das Zwölftafelgesetz (um 450 v. Chr.), das erstmals gewisse Eckpunkte des Zivil- und Strafrechts sowie der Prozessordnung schriftlich festhielt und einklagbar machte, mithin aristokratischer Amtswillkür entgegenwirkte. Der praktisch fortwährende Kriegszustand legte den Plebejern, die das Rückgrat des als Bürgermiliz organisierten Heeres bildeten, erhebliche Lasten auf, die in deutlichem Missverhältnis zu ihrem sozialen Status und politischen Einfluss standen und so zum Auslöser der Ständekämpfe zwischen Plebejern und Patriziern wurden. Die Forderungen der Plebejer konzentrierten sich zunächst auf die rechtliche Gleichstellung mit den zunehmend sich exklusiv gebärdenden Patriziern und auf das Mitspracherecht bei existentiellen politischen Entscheidungen (Krieg und Frieden). Als Druckmittel verweigerte sich die Plebs, bildete eine Schwurgemeinschaft, zog aus der Stadt aus und ging auf den Aventin, einen der sieben Hügel Roms, der damals noch außerhalb der Stadtbefestigung lag (secessio plebis, erstmals ca. 494 v. Chr.), trat also de facto in den Streik. Schrittweise erreichte die Plebs in der Folgezeit die Anerkennung der Volksversammlung und des Volkstribunats, die Legalisierung von Eheschließungen zwischen Plebejern und Patriziern (connubium) sowie die Zulassung zu den Magistraturen. Die Volkstribunen genossen religiös hergeleitete Unverletzlichkeit ihrer Person (sacrosanctitas) und konnten sich im Konfliktfall schützend vor Plebejer stellen (ius auxilii). Endgültig legte erst die lex Hortensia, die Volksbeschlüssen Gesetzeskraft verlieh, 287 v. Chr. die Ständekämpfe bei – nach der letzten (und historisch einzigen verbürgten) secessio plebis. Das Ergebnis der Ständekämpfe war ein Kompromiss, der die führenden plebejischen Familien ins aristokratische Herrschaftskartell integrierte und mit der Nobilität („Amtsadel”) einen neuen Typus Aristokratie hervorbrachte, der, insgesamt durchlässiger, doch die alten Bindungen von amicitia und Klientel konservierte. Weit mehr als in der griechischen Polis agierte der römische Bürgerverband als geschlossene Einheit, zusammengeschweißt durch die unbedingte Konsensbereitschaft seiner Mitglieder. 3 DIE RÖMISCHE EXPANSION IN ITALIEN (4. UND 3. JAHRHUNDERT V. CHR.) Die innere Kohärenz der römischen Gesellschaft, ihrerseits Folge äußerer Bedrohung, bildete die Basis der um 400 v. Chr. einsetzenden Expansion und ließ Rom auch schwerste außenpolitische Krisen (Kelteneinfälle, Pyrrhos, Hannibal in Italien) durchstehen. In Auseinandersetzung mit seinen unmittelbaren Nachbarn errang Rom zunächst die Hegemonie in Latium, dessen Kleinstaaten unter äußerem Druck das Bündnis mit der Tiberstadt suchten (1. Latinischer Bund, um 493 v. Chr.). Gemeinsam wehrten Römer und Latiner im 5. Jahrhundert die Bedrohung durch italische Bergstämme (Volsker, Äquer, Osker) ab. In Konflikt geriet Rom nach Vertreibung der tarquinischen Könige auch mit den benachbarten etruskischen Städten: Die Eroberung und Zerstörung von Veji (396 v. Chr.) war der erste Schritt zur Begründung der römischen Hegemonie in Italien. Seine Vormachtstellung in Mittelitalien, erschüttert durch die Niederlage gegen die Kelten an der Allia 387 v. Chr., baute Rom in einer Reihe von Siegen weiter aus: in den Jahren 340 bis 338 v. Chr. gegen die abgefallenen Latiner, 291 v. Chr. gegen eine Koalition osko-sabellischer Stämme (Sabiner, Samniten, Lukaner, Umbrer) mit Kelten und Etruskern und schließlich 272 v. Chr. gegen die griechischen Städte Süditaliens. Das unterworfene Italien überzog Rom mit einem Netz von Kolonialstädten und Straßen, das die Kontrolle weiter Räume gestattete. Die Römer gestalteten ein Bündnissystem, das die sozialen Nahverhältnisse von Klientel und amicitia auf die Außenpolitik übertrug und ihnen selbst die militärische Kommandogewalt sicherte. Die italische Bevölkerung teilte sich rechtlich in Römer, Latiner und Bundesgenossen. Rom war spätestens mit dem Einbruch in die griechische Staatenwelt Unteritaliens auf der politischen Bühne des Mittelmeerraums als erstrangiger Machtfaktor präsent. 282 v. Chr. schalteten sich die Römer in die Rivalität zwischen den Städten der Magna Graecia ein und unterstützten Thurioi, Lokroi und Rhegion gegen die mächtigste der Griechenstädte, Tarent (siehe Tarentinischer Krieg). Die Tarentiner verbündeten sich daraufhin mit Pyrrhos von Epirus, der 280 v. Chr. in Tarent landete und sofort zum Führer eines antirömischen Bündnisses mit Lukanern, Bruttiern und Samniten avancierte. In den wiederholten Niederlagen gegen Pyrrhos bewährte sich das politische System Roms, das, statt auf Pyrrhos’ Friedensbedingungen einzugehen, den Krieg hartnäckig fortsetzte. Stets hinderten die Römer den Epiroten daran, seine sprichwörtlichen, teuer erkauften „Pyrrhossiege” zu nutzen. Pyrrhos’ Stellung in Italien wurde schließlich unhaltbar, und 272 v. Chr. zog er sich nach Griechenland zurück. 4 DIE PUNISCHEN KRIEGE UND ROMS AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM HELLENISMUS (264-146 V. CHR.) Der Konflikt mit dem Epiroten Pyrrhos lieferte nur einen Vorgeschmack auf die kommende Konfrontation mit den mediterranen Großmächten in Ost (Makedonien, Seleukidenreich) und West (Karthago). Roms Aufstieg zur italischen Hegemonialmacht und seine wachsende Verstrickung in die große Politik machten den Zusammenstoß mit Karthago, das gleichfalls weitgespannte politische und merkantile Interessen in Italien verfolgte, auf Dauer unvermeidlich. Zum primären Konfliktherd wurde Sizilien, wo sich karthagische und römische Einflüsse und Interessen mehr und mehr überkreuzten. Durch die phönikische Kolonisation (seit dem 10. Jahrhundert v. Chr.) hatten der Westen und Nordwesten Siziliens eine phönikisch-punische Prägung erhalten und waren späterhin fester Bestandteil des maritimen karthagischen Imperiums. Im Osten und Süden hatten sich seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. Griechen festgesetzt. Hier entfaltete Syrakus eine Vormachtstellung, die einen latenten Dauerkonflikt mit der karthagischen Einflusssphäre begründete. Auseinandersetzungen brachen erneut auf, als sich im Zuge der Pyrrhoskriege kampanische Söldner, die Mamertiner („Söhne des Mars”), in Messina festsetzten und von hier aus in Raubzügen auf karthagisches und syrakusanisches Gebiet vorstießen. Vom syrakusanischen Strategen Hieron bedrängt, wandten sich die Mamertiner teils an Rom, teils an Karthago um Hilfe. Roms Eingreifen zu Gunsten der Mamertiner brachte die Kräftebalance in Sizilien in eine Schieflage, und der römische Angriff auf den karthagischen Verbündeten Akragas (Agrigent) provozierte punische Flottenoperationen an der Küste Italiens. Aus dem Kleinkrieg erwuchs eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen den Großmächten, der 1. Punische Krieg (264-241 v. Chr.), in dessen Verlauf Rom zur Seemacht aufstieg und schließlich Karthago in dessem ureigenen Element, dem Meer, bezwang (Seeschlacht bei den Ägadischen Inseln, 241 v. Chr.). Im Friedensschluss mit Rom verlor Karthago Sardinien und Sizilien, hinfort die Kornkammer des Römischen Reiches, und verpflichtete sich zu hohen Reparationen. Die rasche Erholung und den Wiederaufstieg verdankte Karthago der Politik des Hamilkar Barkas (der „Blitz”) und seiner Nachfolger, der Barkiden, die zur Kompensation der Verluste ihre Anstrengungen auf das punische Spanien richteten. Hier dehnten die Karthager ihre Positionen so weit nach Norden aus, dass die Römer um Eindämmung bemüht waren: 226 v. Chr. musste Hasdrubal, Hamilkars Schwiegersohn, den Ebro als Interessengrenze Roms anerkennen. Die Nichteinhaltung der Ebro-Linie durch Hasdrubals Sohn Hannibal (seit 221 v. Chr. Oberbefehlshaber der karthagischen Truppen in Spanien) blieb zunächst folgenlos, da die Römer mit der Bekämpfung illyrischer Piraten in der Adria beschäftigt waren. Die Überquerung der Alpen durch Hannibal 218 v. Chr. traf Rom völlig überraschend und löste unverzüglich den Abfall der gerade erst unterworfenen Kelten in der Poebene aus. Damit war der 2. Punische Krieg (218-201 v. Chr.) eröffnet. Zwei schwere Niederlagen in Folge – am Trasimenischen See 217 v. Chr. und bei Cannae 216 v. Chr. – brachten Rom an den Rand des Abgrunds. Abermals bewährte sich die innere Geschlossenheit der römischen Gesellschaft und des Bündnissystems. Die hinhaltende Taktik des Diktators Quintus Fabius Maximus Cunctator (der „Zauderer”) brachte Hannibal, der das eroberte Italien Stück für Stück wieder preisgeben musste, um seine Siege. Die römische Gegenoffensive trug den Krieg nach Sizilien (212 v. Chr.), in das punische Spanien (209 v. Chr.) und schließlich nach Nordafrika (204 v. Chr.). Isoliert und seiner Nachschubbasen beraubt, kehrte Hannibal nach Nordafrika zurück und unterlag 202 v. Chr. bei Zama dem römischen Heer unter Scipio Africanus dem Älteren. Nach seiner Niederlage musste Karthago sämtliche außerafrikanischen und einen Teil seiner nordafrikanischen Besitzungen abgeben und verlor seinen außenpolitischen Spielraum, blieb aber weiterhin eine bedeutende Handelsmacht. Rom war mit dem 2. Punischen Krieg endgültig zur Vormacht im westlichen Mittelmeerraum aufgestiegen. Nach dem Vorbild der bereits als Provinzen organisierten Inseln Sardinien und Sizilien wurde Spanien in zwei durch Legionen gesicherte Provinzen geteilt, deren Befriedung indes geraume Zeit in Anspruch nahm. Unmittelbar nach dem Sieg über Karthago wandte sich das Augenmerk der römischen Außenpolitik nach Osten. In einer inneren Krise des Ptolemäerreichs verständigten sich der Seleukide Antiochos III. und Philipp V. von Makedonien auf die Annexion ptolemäischer Gebiete in Kleinasien und Ägypten ( siehe Syrische Kriege). Hiervon alarmiert, suchten die regionalen Mittelmächte Pergamon und Rhodos 201 v. Chr. in Rom um Hilfe nach. Die Römer waren mit dem Makedonen, der sich mit Hannibal verbündet hatte, bereits am Rand des 2. Punischen Krieges aneinandergeraten (1. Makedonischer Krieg, 215-205 v. Chr.) und nahmen nun den Krieg wieder auf (2. Makedonischer Krieg, 200-197 v. Chr.). Der Krieg endete mit dem römischen Sieg bei Kynoskephalai und brachte das Ende der makedonischen Hegemonie über Griechenland, dessen Freiheit Titus Quinctius Flamininus bei den Isthmischen Spielen in Korinth 196 v. Chr. feierlich verkündete. Die Expansion des Seleukidenreiches unter Antiochos III. über Kleinasien nach Griechenland brachte ein römisch-pergamenischer Sieg 189 v. Chr. bei Magnesia in Kleinasien endgültig zum Stehen. Ohne oder gar gegen Rom war seitdem auch im hellenistischen Osten kein Staat mehr zu machen: Einen letzten Versuch zur Wiedererrichtung der makedonischen Hegemonie erstickte 168 v. Chr. ein römischer Sieg über die Makedonen bei Pydna im 3. Makedonischen Krieg (172-168 v. Chr.) im Keim. Im selben Jahr wies ein römischer Gesandter den nach Ägypten vorgestoßenen Seleukiden Antiochos IV. in die Schranken. Die fast gleichzeitig erfolgten Zerstörungen Karthagos und Korinths 146 v. Chr. zeigten aller Welt, wie rigoros die Weltmacht Rom gegen jede Form des Widerstands vorzugehen gedachte: Der Konflikt mit dem numidischen König Massinissa, zu dessen Gunsten Rom offen Partei ergriff, hatte Karthago geradewegs in den 3. Punischen Krieg (149-146 v. Chr.) getrieben, an dessen Ende, auf maßgebliches Betreiben des Senators Cato (Ceterum censeo Carthaginem esse delendam: „Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden muss”), die vollständige Zerstörung der punischen Metropole stand. Der Sieger Scipio Africanus der Jüngere ließ die Stadt dem Erdboden gleichmachen und in einem symbolischen Akt den Pflug über das zerstörte Karthago führen. Nicht weniger brachial unterdrückten die Römer einen letzten Auflehnungsversuch der im Achaiischen Bund zusammengeschlossenen Griechen und Makedonen: Sie zerstörten Korinth, deportierten Angehörige der Eliten und richteten die Provinzen Makedonien und Achaia (Peloponnes) ein. 5 GESELLSCHAFTLICHER UND KULTURELLER WANDEL (3. UND 2. JAHRHUNDERT V. CHR.) Innenpolitisch begleitete die römische Expansion eine fortschreitende Abschließung der Nobilität: Konsularische Familien, deren Angehörige sich in den Kriegen hervorgetan hatten, monopolisierten faktisch den Zugang zu den Magistraturen und damit zum Senat, der sich mehr und mehr zum erstrangigen Einflussfaktor entwickelte. Es geschah immer seltener, dass ein homo novus (neuer Mann), der keiner der konsularischen Familien angehörte, das höchste Amt errang. Allmählich entstand, als formalisierte Ämterlaufbahn, der cursus honorum, den der junge nobilis zu durchlaufen hatte und der ihn, im günstigsten Fall, von einem der niederen Ämter (Volkstribun, Quästor, Ädil) zur Prätur oder zum Konsulat führte. Gegenüber dem Prestigegewinn des Senats verlor die Volksversammlung an Gewicht; sie konnte zwar Gesetze beschließen, hatte aber kein Initiativrecht. Der Aufstieg der Republik zu imperialer Größe hatte aber noch weiter reichende Folgen: Die Eroberung des hellenistischen Ostens öffnete Italien allmählich für orientalische Einflüsse in Kultur, Philosophie und Religion. So bereitete sich das Eindringen orientalischer Kulte (Isis-, Mithras-, Kybele-Kult, auch des Christentums) besonders in das kaiserzeitliche Rom vor. Hellenistische Prachtentfaltung und charismatischer Führungsstil hielten Einzug in die römische Politik und gefährdeten zunehmend den Konsens der Eliten. Dem griechisch-orientalischen Einfluss trat unter Berufung auf den mos maiorum (Sitte der Vorfahren) die altrömische Reaktion unter Cato entgegen, freilich ohne die Hellenisierung auf Dauer verhindern zu können. Ökonomisch machte sich die Expansion durch den Zufluss großer Geldmengen und die Aneignung des eroberten Landes durch den senatorischen Großgrundbesitz bemerkbar. Die Konzentration des Grundbesitzes und der Übergang zur Güterwirtschaft mit Sklaveneinsatz in großem Stil setzte die durch langen Kriegsdienst ohnehin schon bedrängten Kleinbauern, die tragende Säule des Bürgerheeres, zusätzlich unter Druck. Entwurzelte Bauern drängten in die Stadt, wo sie sich als Gelegenheitsarbeiter verdingten und das Heer der Besitzlosen (proletarii) anschwellen ließen. 6 DAS JAHRHUNDERT DER BÜRGERKRIEGE (133-30 V. CHR.) Die aufgestauten sozialen Spannungen entluden sich, als ein Angehöriger der plebejischen Nobilität, der Volkstribun Tiberius Sempronius Gracchus, den Versuch unternahm, mit einem Ackergesetz den Großgrundbesitz zu beschränken und Land an Bedürftige zu verteilen (133 v. Chr.). Hintergrund der Reformanstrengung war die dramatische Rekrutierungskrise der Armee durch das Absinken der Kleinbauern zu proletarii. Den erbitterten Widerstand der Senatsmehrheit, die einen Kollegen des Gracchus sein Veto einlegen ließ, versuchte Gracchus auszuschalten, indem er den Kollegen für abgesetzt erklärte und, zwecks Wahrung seiner Immunität, die eigene Wiederwahl für das kommende Jahr betrieb. Den Regelverstoß ahndete die Nobilität, indem Senatoren Tiberius Gracchus in aller Öffentlichkeit lynchten. Tiberius’ Bruder Gaius Sempronius Gracchus machte sich das Reformprojekt zu eigen, zielte zudem auf eine Aufwertung des nach den Senatoren reichsten Standes der Equites (Ritter) und versprach den Bundesgenossen das römische Bürgerrecht. Nach zweijähriger Amtszeit (123/122 v. Chr.) als Volkstribun nicht wiedergewählt, fand auch er in einer Straßenschlacht in Rom den Tod. Der Sieg der Senatsmehrheit (Optimaten) über die „Volkspartei” (Popularen) brachte die Republik keineswegs zur Ruhe. Äußere und innere Symptome legten vielmehr das ganze Ausmaß der Krise offen: Sklavenaufstände (darunter der des Spartakus, 73-71 v. Chr.), Barbareneinfälle im Norden (Kimbern und Teutonen, 113-105 v. Chr.) und Konflikte an der Peripherie (Jugurthinischer Krieg gegen Numidien, 111105 v. Chr.) erschütterten Rom. Der Krise verdankte Gaius Marius, ein homo novus, seinen steilen Aufstieg: Nacheinander bezwang er Jugurtha (105 v. Chr.), die Teutonen (102 v. Chr.) und die Kimbern (101 v. Chr.). Anders als die Gracchen setzte Marius mit seinen Reformen beim Heer an, in dem nun auch Proletarier dienten, die späterhin als Veteranen mit Land abgefunden wurden. So bildete sich, wiederum als Klientelverhältnis, eine enge Bindung zwischen Feldherr und Soldaten heraus, mit wechselseitiger Verpflichtung und Verantwortung. Die Veteranenversorgung provozierte Widerstand gleich von zwei Seiten: der grundbesitzenden Senatsaristokratie und den Bundesgenossen, zu deren Lasten die Soldaten abgefunden werden sollten. So löste die Politik des Marius indirekt den Bundesgenossenkrieg (91-89 v. Chr.) aus, in dem sich die meisten italischen Bundesgenossen gegen Rom erhoben und, nach römischem Vorbild, einen eigenen Senat und eine Bundeshauptstadt (Italica) ins Leben riefen. Erst die Verleihung eines – allerdings zunächst faktisch eingeschränkten – Bürgerrechts an alle Bundesgenossen entzog der Sezession den Boden und beendete den Krieg. Kaum war der italische Bürgerkrieg beigelegt, drohte Rom von Osten her neue Gefahr: Mithridates VI. von Pontos brachte nach und nach ganz Kleinasien in seine Gewalt und gewann Athen und Böotien als Bündnispartner. Die römischen Popularen unter Cinna und Rufus wollten Marius mit dem Oberbefehl gegen Mithridates betrauen, was Lucius Cornelius Sulla, der sich im Bundesgenossenkrieg hervorgetan hatte, 88 v. Chr. zu seinem ersten „Marsch auf Rom” veranlasste. Die Rivalität zwischen den aristokratischen Führern mit ihrer jeweiligen Heeresklientel hatte eine gewichtige militärische Komponente erhalten. Der Bürgerkrieg war endgültig in seine heiße Phase getreten. Der Aufbruch Sullas, der nun den Oberbefehl gegen Mithridates erhielt, nach Osten überließ Rom erneut den Popularen, die blutige Rache an den Optimaten nahmen und 87 v. Chr. Sulla zum Staatsfeind erklärten. Nach seiner Rückkehr aus dem Orient errang Sulla einige Siege über die Popularen und zog 82 v. Chr. erneut in Rom ein. Zum Diktator für die „Gesetzgebung und die Wiederherstellung des Staates” ernannt, ließ Sulla nun die Anhänger des Marius durch Proskriptionen ausschalten und restaurierte die Führungsrolle des Senats, den er durch Aufnahme ihm gewogener Ritter von 300 auf 600 Mitglieder vergrößerte. Um eine Perspektive für die Rückkehr zur Normalität zu eröffnen, legte Sulla 79 v. Chr. die Diktatur nieder, bahnte damit aber nur zwei weiteren Männern mit hohen Ambitionen, Licinius Crassus und Gnaeus Pompeius, den Weg. 70 v. Chr. zu Konsuln avanciert, beseitigten die beiden die Sullanische Ordnung. Pompeius, der mit seinen Feldzügen im Osten Alexander dem Großen nacheiferte, bildete nach der Niederschlagung der Catilinarischen Verschwörung (siehe Catilina) durch Cicero (63/62 v. Chr.) zusammen mit Crassus und Gaius Julius Caesar ein Interessen- und Machtkartell mit erdrückendem politischem Gewicht, das so genannte 1. Triumvirat (60-53 v. Chr.). Das Triumvirat war ein Zweckbündnis auf Zeit, die Konfrontation zwischen Caesar und Pompeius vorprogrammiert. Caesar, Konsul im Jahr 59 v. Chr., sicherte sich ein prestigeträchtiges Kommando in Gallien, das er, virtuos innergallische Rivalitäten ausnutzend, in den folgenden Jahren eroberte. Als Crassus 53 v. Chr. während seines Partherfeldzuges den Tod fand, brach die Rivalität zwischen Caesar und Pompeius, der nun auf die Linie der Optimaten einschwenkte, offen aus: Caesar, der für den Fall seiner Rückkehr nach Italien politische Prozesse fürchten musste, überschritt 49 v. Chr. den Grenzfluss Rubikon und führte seine Truppen nach Rom – Auftakt zu einer neuen, blutigen Phase der Bürgerkriege. 48 v. Chr. errang er bei Pharsalos einen entscheidenden Sieg über Pompeius, der wenig später auf der Flucht ermordet wurde, und bis 45 v. Chr. hatte er endgültig im gesamten Reich die Oberhand über die Pompeianer gewonnen. Bei dem Versuch, seine faktische Alleinherrschaft institutionell zu verankern, scheiterte er jedoch: Kurz nach seiner Ernennung zum Diktator auf Lebenszeit, die seinen unbegrenzten Herrschaftsanspruch aller Welt manifestierte, fiel er an den Iden des März, dem 15. März 44 v. Chr., in der Kurie, dem Tagungsgebäude des Senats, einer republikanischen Verschwörung unter der Führung von Brutus und Cassius zum Opfer. Sofort entflammte der Bürgerkrieg von neuem, dessen Exponenten nun Marcus Antonius und Gaius Octavius (Octavian), der Großneffe und designierte Erbe Caesars, wurden. Zunächst aber verbanden sie sich 43 v. Chr. mit Aemilius Lepidus im 2. Triumvirat gegen die republikanische Opposition, gingen gemeinsam gegen die Caesarmörder vor und teilten nach ihrem Sieg bei Philippi 42 v. Chr. das Reich unter sich auf. Antonius, seit 41 v. Chr. mit der Ptolemäerin Kleopatra liiert, erhielt den Osten, Octavian, der spätere Kaiser Augustus, den Westen. Namentlich Octavian schürte – die Alleinherrschaft im Blick – den Konflikt mit Antonius und stellte propagandistisch geschickt traditionelle römische Werte gegen den orientalisch-hellenistischen Herrschaftsstil des Antonius. Mit Octavians Seesieg über Antonius bei Aktium am 2. September 31 v. Chr. endete, ein gutes Jahrhundert nach dem Ackergesetz des Tiberius Gracchus, die Periode der Bürgerkriege. Und es endete die Republik. Denn Octavian gab zwar 27 v. Chr. alle außerordentlichen Befungisse an Senat und Volk zurück und verkündete die Wiederherstellung der republikanischen Verfassung; faktisch übernahm er aber, vom Senat mit dem Ehrennamen Augustus ausgezeichnet, als princeps (der Erste) in quasimonarchischer Stellung die Alleinherrschaft im Staat. Zur weiteren Geschichte des Römischen Reiches siehe Römisches Kaiserreich. Verfasst von: Michael Sommer Microsoft ® Encarta ® Enzyklopädie 2003. © 1993-2002 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.