kritischer raum Das autophile Fossil Die Stadt Bremen wusste um den Wert des eleganten Bauwerks und schrieb einen Wettbewerb für die Umgestaltung des denkmalgeschützten Schuppens aus, der mit dem Ende der ursprünglichen Nutzung der Bremer Überseestadt funktionslos geworden war. Das Bauwerk mit 400 Meter Länge wurde in zwei Tranchen vergeben, von denen eine an Birgit und Jost Westphal ging, die mit einem automobilverliebten Investor angetreten waren. Dessen Leidenschaft ist Der Umbau von Schuppen 1 in der Bremer Überseestadt von Westphal Architekten, 2008 – 2013 Der Rückbau des Bremer Überseehafens hat nicht nur zugeschüttete Becken und Spuren abgerissener Speicher hinterlassen. Zumindest ein Teil der Anlagen ist erhalten geblieben und wartet nun – neben den mitunter befremdlichen Neubauten und neuen Funktionen auf seine Wiedererweckung. Das galt bis vor kurzem auch für den Schuppen 1, ein schier unendlich langes, zweigeschossiges Stückgutlager, das eines der erhaltenen Hafenbecken säumt. Das Besondere der gewaltigen ziegelverfachten Stahlbetonkonstruktion, die mit dem Bild des Schuppens nur den Namen teilt, ist nicht nur die stapelfreundliche Größe und Höhe der Innenräume, sondern auch die Kranlaufbahn, die auf 8 Kaiseite in Traufhöhe verläuft und ehemals einem Portalkran als Widerlager diente, der die Be- und Entladung der Schiffe versah.. zum Leitmotiv einer wegweisenden architektonischen Konzeption geworden. Idee der Architekten für diesen Teil war ein Erhalt aller wichtigen Gestaltungsmerkmale des Schuppens in seiner überlieferten Form der architekt 6/13 Westphal Architekten BDA, Umbau Schuppen 1, Bremer 2008 – 2013, Fotos: Conné van d’Grachten und die Umwandlung von 25000 Quadratmetern Nutzfläche für eine Mischnutzung aus Museum, Garage, Werkstatt, Shops und Wohnungen. Dabei herausgekommen ist eine überraschende Konzeption, die ein Beispiel für die Entwicklung einer neuen Raumtypologie aus dem Bestand gibt. Während seiner Betriebszeit als Kaffeelager war das zweigeschossige Bauwerk im Innern mit zahlreichen Einbauten ausgestattet worden. Die Architekten ließen das Äußere des Lagers weitgehend unverändert, legten aber die Binnenstruktur völlig frei. Etwa in der Mitte des Bauabschnitts, den die Westphals betreuten, führt der landseitige Eingang quer durchs Gebäude auf ein Café zu. Links erschließt das hohe und licht wirkende Foyer das Oldund Newtimermuseum des Bauherrn. Auf der anderen Seite eröffnet sich der Blick in eine mall-ähnliche Passage mittig längs der Gebäudeachse, an deren Außenseiten „Kojen“ mit Shops, Büros und Ausstellungsräumen mit Industrieglaselementen abgetrennt wurden, die allesamt der Pflege, der Reparatur, der Restaurierung und dem Verkauf historischer Fahrzeuge gewidmet sind. Der Geruch nach Ölen und der architekt 6/13 Fetten, Reifenabrieb und Reinigungsmitteln, Farben und Dieseldunst liegt hier in der Luft. Den Raumeindruck bestimmen neben den automobilen Düften die Staffelung der hohen Betonträger in die Tiefe der Halle, die eine robuste, strapazierfähige und zugleich flexible Struktur für die durch hellgrünes Industrieglaspaneele gekennzeichneten Einbauten bilden, die in angemessener Formsprache und Detaillierung in der Industriearchitektur aufgehen. Mehrere Treppenhäuser und ein Autolift führen ins obere Stockwerk. Hier haben die Architekten den wohl überraschendsten Teil ihrer hybriden Konzeption platziert: Längs des Gebäudes läuft eine oben offene Straße, für die ein Teil des Schuppendaches weichen musste. Der Straßenzug erschließt auf der zum Kai gelegenen Seite zwanzig in Reihe gesetzte Maisonettewohnungen mit Blick auf das Hafenbecken, die auf Wunsch der Käufer mit ins Wohnkonzept integrierten Garagen ausgestattet werden konnten. Auf der anderen Seite liegen weitere Garagenräume und Abstellplätze, die vor allem von Automobilsammlern genutzt werden. An mehreren platzartigen Erweiterungen sind große Bürolofts in die 50 Meter tiefe Speicherstruktur eingebaut worden, die durch Zwischendecken in den hohen Räumen partiell zweigeschossig genutzt werden können. Durchgängig haben Birgit und Jost Westphal nicht nur das Thema „Auto“ verfolgt. Das Anspruchsniveau, das der Industriebau durch seine Größe, seine einfache Konstruktion und seine grobe Materialität setzt, ist an allen Stellen bewahrt und atmosphärisch wirkungsvoll ergänzt worden. Ob dass der Außenwirkung der Maisonetten zum Vorteil gereicht hat, wird erst der Alterungsprozess zeigen, dem die eternitbelegten Fassaden ausgesetzt sind. Aber das sind Kleinigkeiten gegenüber dem, was an diesem Gebäude wirklich bemerkenswert ist: Es ging den Architekten hier nicht um das bloße Einnisten in die abgelebten, in ihrer Funktion überholten und unverstandenen „Fossilien“, über das sich Semper einst mokierte, sondern vielmehr darum, dieses Fossil in seinem Aufbau und seinem Ausdruck zu verstehen und ihm einen neuen Sinn zu geben. Das ist gelungen: Schuppen 1 ist sicherlich die Erfüllung des Traum einer veryspecial-interest-Gruppe der Gesellschaft, die genügend Geld hat, um sich für ein teures Hobby schöne Räume und vielleicht sogar eine Wohnung dazu zu erlauben. Aber die vielfältige, in sich schlüssige Konzeption der Architekten macht aus dieser Extremsituation ein Exempel: Sie zeigt, wie sich eine schwer zu bewältigende Bausubstanz in einer kritischen Lage ohne wesentlichen Substanzverlust so adaptieren lässt, dass Format, Materialeigenschaften, Raumqualitäten und originelle Nutzungskonzepte zu Stimmungswerten führen, denen man sich kaum entziehen kann. Den Mut zu solchen Experimenten mit großen Strukturen wünschte man sich häufiger. Andreas Denk 9