15.4 Faltung, Fehlfaltung und Abbau der Proteine

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bar wird. Für die höher auflösenden elektronenmikroskopischen Darstellungen
werden Gold-dotierte Antikörper verwendet. Im elektronenmikroskopischen Bild werden die kleinen Goldpartikel aufgrund ihrer hohen Dichte sichtbar.
Eine Methode, um Proteine auch in lebenden Zellen zu lokalisieren, ist die Expression als Fusionsprotein mit einem fluoreszierenden Protein, dem GFP (engl.: Green
Fluorescent Protein), das ursprünglich in einer im Pazifik verbreiteten Qualle (Aequorea victoria) entdeckt wurde. GFP faltet sehr stabil und entwickelt seine fluoreszierende Eigenschaft autokatalytisch. Das Gen für das Fusionsprotein muss in die Zelle
eingeschleust und dort exprimiert werden, mit dem Fluoreszenzmikroskop lässt sich
die zelluläre Verteilung des Fusionsproteins entsprechend verfolgen. ■
15.4
15
Faltung, Fehlfaltung und Abbau der Proteine
Die Polypeptidkette der Proteine wird am Ribosom in einem linearen, ungefalteten
Zustand synthetisiert. Die Faltung in die native, funktionelle Proteinstruktur mit
dem thermodynamisch stabilsten Zustand (s. Kap. 5.4, S. 103) erweist sich unter
den zellulären Bedingungen als ein kritischer Prozess, bei dem Fehlfaltungen, die
nachträglich korrigiert werden müssen, nicht ausgeschlossen sind. Im Frühstadium
der Faltung tendieren exponierte hydrophobe Reste, die in der nativen Struktur des
Proteins zum hydrophoben Kern gehören, zur Aggregatbildung mit anderen hydrophoben Zellkomponenten. Die Zelle verfügt daher über eine Reihe von Faltungshilfen, die die Geschwindigkeit der Faltung beschleunigen und die Aggregatbildung
verhindern helfen.
Proteine, die nicht mehr benötigt werden oder fehlerhaft sind, werden gezielt
abgebaut. Durch Ubiquitinylierung werden dabei die Proteine markiert und dem
Abbau im Proteasom zugeführt.
15.4.1 Zelluläre Proteinfaltung
Faltungskinetik. Die Geschwindigkeit der Proteinfaltung in die native Struktur
(Faltungskinetik) ist unter anderem von der Aminosäuresequenz abhängig.
Konfiguration. Die Aminosäureseitenketten eines Polypeptids sind in Bezug auf
die Peptidbindung überwiegend in trans-Konfiguration angeordnet, einzelne Prolin-Reste können allerdings im nativen Zustand des Proteins auch eine cis-Konfiguration einnehmen. Das ist begründet in der speziellen internen Imidstruktur
des Prolins, die eine deutlich geringere Aktivierungsenergie des trans/cis-Übergangs im Vergleich zu den anderen Aminosäureseitenketten aufweist. An kritischen Stellen der Proteinstruktur sind cis-Prolinanordnungen erforderlich. Die
trans-cis-Isomerisierung erfolgt jedoch vergleichsweise langsam und begrenzt in
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15 Proteinbiosynthese
15.4 Faltung, Fehlfaltung und Abbau der Proteine
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Dusulfidbrücken. Ein weiterer problematischer Schritt auf dem Weg der Proteinfaltung ist die Ausbildung von Disulfidbrücken, die die native Proteinstruktur
stabilisieren. Während des Faltungsprozesses können SH-Gruppen jedoch auch
Disulfidbrücken ausbilden, die nicht denen der nativen Struktur entsprechen. Die
Ausbildung von Disulfidbrücken ist zwar prinzipiell reversibel, die Faltung zum
funktionellen Protein wird aber durch die Auflösung der falschen Disulfidbrücken
drastisch verlangsamt. Auch hier sorgt die Zelle durch ein Enzym, die Disulfidisomerase, für katalytische Unterstützung.
Interne Faltungshilfen. Einige Proteine besitzen spezielle Domänen, die an der
eigentlichen Proteinfunktion nicht beteiligt sind, jedoch als interne Faltungshilfen
für die Ausbildung der nativen Struktur sorgen.
Die Faltung der Polypeptidkette in eine definierte Struktur beginnt bereits während der
Synthese der Polypeptidkette am Ribosom. Bildet der N-terminale Bereich eine relativ unabhängige Domäne innerhalb eines Proteins, kann dieser schon gefaltet sein, während der
C-Terminus noch synthetisiert wird.
Es existiert allerdings kein definierter Faltungsweg. Proteine finden auch zu ihrer nativen,
funktionellen Struktur zurück, wenn sie durch Denaturierungsmittel aufgefaltet wurden. An
einigen Beispielen wurde experimentell gezeigt, dass die Lokalisation des N-Terminus der
Polypeptidkette für die Faltung zur nativen Struktur ohne Bedeutung ist. Thermodynamisch
betrachtet bedeutet die Proteinfaltung, dass die Proteinstruktur ein absolutes Energieminimum einnimmt und nicht durch einen definierten Faltungsweg in ein lokales Minimum
mündet. Das Auffinden dieses Energieminimums, d. h. den Faltungsprozess der Polypeptidkette, kann man sich als eine Art „Skiabfahrt ins Tal“ vorstellen, bei der viele Wege ins Ziel
führen, aber bestimmte (im Falle der Proteinstruktur energetisch ungünstige) Bereiche auch
ausgeschlossen sind, damit die Faltung in einem biologisch sinnvollen Zeitfenster ablaufen
kann.
Beim ungefalteten Protein und während der Faltung müssen Aggregationen, die
die Funktion des Proteins beeinträchtigen würden, verhindert werden. Die Zelle
verfügt daher im Zytoplasma, dem Endoplasmatischen Retikulum, den Mitochondrien und im Zellkern über Hilfsproteine, sogenannte Chaperone (engl.: chaperon
= Anstandsdame, Begleitperson), die mit aufgefalteten Polypeptidketten oder
Zwischenstadien der Faltung interagieren und dadurch Aggregationen verhindern.
Chaperone wurden zuerst in Bakterien als Hitzeschockproteine (HSP) während der Fermentation bei erhöhten Temperaturen nachgewiesen. Der Bedarf an nativ gefalteten Proteinen unter diesen Bedingungen führt zur Überexpression der HSP, welche eine ordnungs-
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diesen Fällen die Faltungsgeschwindigkeit. Die Zelle verfügt allerdings über einen
Katalysator dieser Reaktion, ein Enzym, das als Prolin-cis-trans-Isomerase bezeichnet wird und das diese Isomerisierung beschleunigt.
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gemäße Faltung und Funktion anderer Proteine gewährleisten und die daher für die Zelle
essenziell sind. Auch andere Stressoren, wie oxidativer Stress, führen zur vermehrten Chaperon-Expression.
Es existieren verschiedene Klassen von Chaperonen. Einige, insbesondere das HSP60 der
Mitochondrien, bilden aus einer Vielzahl von Untereinheiten fassähnliche Strukturen, die
eine komplette Polypeptidkette aufnehmen und von der Umgebung abschirmen können.
Ein „Deckel“ aus einem Komplex von HSP10-Untereinheiten verschließt dieses Fass. Die
bakteriellen Äquivalente von HSP60 und HSP10 heißen GroEL und GroES.
ATP-abhängig finden beträchtliche Konformationsänderungen statt, welche die Innenseite des Fasses von apolar, zur Aufnahme der Polypeptidkette, nach polar verändern, um die
Abgabe des inzwischen nativ gefalteten Proteins zu erleichtern. Dieser energieabhängige
Zyklus kann unter Umständen von ein und demselben Proteinmolekül mehrfach durchlaufen werden, bis dieses seine optimale Faltung erreicht hat.
Andere Chaperone, z. B. HSP70 oder HSP27, bilden hochmolekulare oligomere Komplexe,
die sehr wahrscheinlich durch direkte Bindung an auf- oder teilentfaltete Proteine deren
Aggregation verhindern.
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α-Crystallin, ein Protein der Augenlinse, ist in seiner Sequenz homolog dem HSP27
und gehört somit zur Chaperon-Familie. Es verhindert die vorzeitige Aggregation von
β- und γ-Crystallin, die in hoher Konzentration ebenfalls in der Linse vorkommen. Die
Proteine der Augenlinse müssen während der gesamten Lebensspanne funktionell
bleiben, da sie nicht nachsynthetisiert werden. Gendefekte, die dazu führen, dass αCrystallin fehlerhaft gebildet wird oder ganz fehlt, sind eine der möglichen Ursachen
für Linsentrübungen, die auch als Katarakt oder Grauer Star bezeichnet werden. ■
Fehlfaltungen. Während der Proteinfaltung kann es aus unterschiedlichen Gründen zu Fehlfaltungen kommen, z. B.:
● nach Einbau falscher Aminosäuren, bedingt durch eine fehlerhafte mRNA oder
Irrtümer im Prozess der Translation oder durch
● radikalisch bedingte Oxidationen von Aminosäureseitenketten (z. B. Bildung
von Cysteinsäure oder Methioninsulfoxid).
Im Endoplasmatischen Retikulum existiert ein Rezeptor, der solche fehlgefalteten
Proteinvarianten erkennt, sehr wahrscheinlich aufgrund erhöhter Hydrophobizität der Oberfläche. Eine translationsinaktive mRNA wird über einen Signalmechanismus im Zytoplasma aktiviert. Dies führt zur vermehrten Synthese eines ERChaperons, das die Aggregation des betreffenden Proteins verhindert. Zudem
erfolgt mithilfe eines speziellen Translokationssystems in der ER-Membran die
Rückführung dieser fehlgefalteten Polypeptidketten in das Zytoplasma. Dort werden sie dem proteolytischen Abbau zugeführt (s. u.).
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15 Proteinbiosynthese
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15.4 Faltung, Fehlfaltung und Abbau der Proteine
Proteine, die nicht mehr benötigt werden, fehlgefaltet oder durch chemische
Veränderungen von Aminosäuren ungefaltet oder aufgefaltet sind, werden für
den anschließenden Abbau in der Zelle spezifisch markiert. Bei dieser Markierung
spielt die Ubiquitinylierung eine zentrale Rolle. Ubiquitin wird durch eine Reihe
von enzymatischen Schritten in oligomerer Form an einen Lysin-Rest des zu
markierenden Proteins gekoppelt (Abb. 15.15). Die markierten Proteinmoleküle
werden dann von einem hochmolekularen, proteolytisch aktiven Proteinkomplex,
dem Proteasom (s. Abb. 5.5b, S. 107), abgebaut, das bei allen Eukaryonten im
Zytosol und im Zellkern lokalisiert ist. Mehrere katalytisch aktive Zentren im
Inneren des fassartigen Proteasoms zerlegen die Polypeptidkette, deren Ubiquitin-Oligomer durch eine Protease abgespalten wurde, in kleinere Peptide, die
anschließend das Proteasom verlassen.
N-Terminus
N
O
Ub
Ub
Ub
E2
SH
Ub
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E3
Substrat
C-Terminus,
Kopplung mit
Lysin-Seitenkette
a
–
O
Ub
O
+ ATP
N
Ligation
E1
AMP
+ PPi
E2
SH
E2
S
E3
O
O
Ub
Ub
Substrat
SH
NH2
Transfer
E1
E1
E2
Kopplung
SH
b
Transfer
S
O
S
O
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15.4.2 Proteinabbau
Ub
Ub
Abb. 15.15 Ubiquitin-Markierung von Proteinen. a Ubiquitinstruktur. b Proteine werden
für den Abbau durch Proteasomen, aber auch zu regulatorischen Zwecken ubiquitinyliert.
Die C-terminale Carboxylgruppe von Ubiquitin wird mit ATP aktiviert und auf Transferproteine (E1 und dann E2) übertragen. Eine Ubiquitin-Ligase (E3) übernimmt die Koppelung an
die freie Aminogruppe eines Lysinrests des zu markierenden Proteins. Als Markierung für
den proteasomalen Abbau sind mindestens 4 Ubiquitinmoleküle in Reihe erforderlich.
15 Proteinbiosynthese
Spezielle Peptidasen spalten die Peptide in ihre Einzelbausteine, die in den
allgemeinen Aminosäure-Pool fließen und entweder für die Neusynthese von
Proteinen verfügbar sind oder zur Energiegewinnung der Zelle beitragen. Zelleigene bzw. virale Peptide, die beim entsprechenden Proteinabbau im Proteasom
entstehen, werden zudem über MHC-I-Moleküle dem Immunsystem präsentiert,
das auf diese Weise gesunde Zellen von virusinfizierten Zellen unterscheiden
kann (s. Kap. 24, S. 698).
Ein weiterer Weg des zelleigenen Proteinabbaus, ebenso wie von Proteinen aus
phagozytierten Partikeln, ist die Aufnahme in Lysosomen, die neben anderen
lytischen Enzymen auch sehr effektive Proteasen enthalten.
Reaktive Fragmente, z. B. Dialdehyde, die bei der radikalischen Oxidation von Fettsäuren
entstehen, können u. a. über Lysin-Seitenketten unterschiedliche Proteinmoleküle miteinander verknüpfen. So entstehen unlösliche Aggregate, die oft mit Lipiden vergesellschaftet
sind. Sie werden als Lipofuscin bezeichnet und sind durch Proteasen kaum abbaubar. Daher
akkumulieren sie in den Zellen, speziell in Lysosomen, und werden mikroskopisch als gelbliche Granula sichtbar. Man nimmt an, dass Lipofuscinansammlungen wesentlich zur Zellalterung beitragen.
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