30 Thomas Bubendorfer Der Mensch entwickelt sich am besten unter Druck hg Thomas Bubendorfer hat schon mit zwölf Jahren seine Liebe zum Bergklettern entdeckt. Der Extrembergsteiger hat über 70 Erstbesteigungen hinter sich, viele im Alleingang und ohne Seil. Er kletterte in Rekordzeit in den Alpen, den Anden, in Alaska und im Himalaja. Sein bisher einziger Absturz – wobei er 20 Meter in felsigem Terrain abstürzte und sich mehrere Wirbel brach führte fast zu dem Ende seiner Karriere als Profikletterer, doch bereits ein Jahr später feierte er sein Comeback. In seinen Vorträgen und Seminaren bringt er Managern und Führungskräften seine Leistungsphilosophie näher. H Herr Bubendorfer, gibt es für Sie – als einen der meist meinem Unfall, mit einem steifen Sprunggelenk. Der bekannten und erfahrensten Bergsteiger der Welt – schnellste Alleingänger vor mir durch diese Wand, noch sportliche Ziele, die Sie gern erreichen möchten? die zu den drei höchsten der Erde gehört, hatte acht Ich bin 51 Jahre alt und mehr denn je davon Tage gebraucht. überzeugt, dass Körper und Geist im Einklang sein müssen. Daher wird nicht nur die geistige, sondern Im Jahr 1988 sind Sie - während der Dreharbeiten auch die physische Arbeit an mir selbst – also das zu einem TV-Spot – 20 Meter tief gefallen und Training und das Klettern – immer sehr wichtig sein. haben sich schwer verletzt. Haben Sie nach diesem Daraus ergeben sich bei einem Extrembergsteiger wie schweren Unfall daran gezweifelt je wieder klettern mir immer wieder neue Ziele, die aber zurzeit nicht zu gehen? konkret sind. Das ergibt sich dann immer von selbst. Nein. Welcher Aufstieg hat Sie in Ihrer Karriere am Hatten Sie jemals eine spirituelle Erfahrung meisten beeindruckt? während einer Ihrer Klettertouren? Das war die 1. Alleinbesteigung ohne Seil und an Beim Klettern nicht, aber einmal am Aconcagua einem Tag durch die 3.000 Meter hohe Südwand des im Basislager bei Schlechtwetter. Da sah ich mich 6.956 Meter hohen Aconcagua in den Anden nach plötzlich von oben im Zelt liegen... 31 Thomas Bubendorfer Würden Sie sagen, dass Extrembergsteiger mit wie ich meine in sehr extremen Bedingungen Leben und Tod spielen? Bedeutet Menschen wie gewonnen Einsichten über das Leben und vor allem Ihnen das Leben nicht gerade besonders viel? über die Entwicklung von Leistung und menschlichen Ich liebe mein Leben, nicht nur, weil ich drei Kinder Potentialen anderen Menschen zugänglich mache. habe! Ich riskiere mein Leben nicht (sonst hätte ich Ob das andere Bergsteiger auch tun weiß ich nicht. es in 30 Jahren Extrembergsteigen längst verloren), ich setze es ein. Das tue ich sehr vorsichtig und sehr Worin liegt für Sie eigentlich der Sinn des Bergsteigens? kalkuliert. Ich denke, dass ich ein sehr guter Risiko- Es ist meine Art Mensch zu sein. Es macht mich zu Manager bin, und ich weiß, dass ich mich sehr gut einem „ganzen“ Menschen. Ich tue es SEHR gern, es einschätzen kann. Sonst hätte ich nicht überlebt. tut mir gut, es fehlt mir, wenn ich es nicht tue. Mehr „Sinn“ gibt es nicht. Man hört häufig, dass Bergsteiger beim Klettern anfangen zu meditieren und über das Leben zu “Beim Extremklettern gibt es keinen Kredit“ philosophieren. Ist das so? Führt das Bergsteigen und die damit verbundenen Gefahren zu einem anderen, kontemplativen und meditativen Blick auf das Leben? Wenn Sie sind morgen die Welt regieren könnten, Ich habe als Ausgleich zu meinen sehr ausgeprägten welche Maßnahmen würden Sie ergreifen? physischen Aktivitäten (man darf nicht vergessen, Ich würde die Schulden abschaffen und Kredite auf ein dass das Training sehr viel Zeit beansprucht - schon absolutes Minimum reduzieren nach dem Prinzip „zuerst als 15-Jähriger lief ich 40 Kilometer am Tag und Leistung, dann Belohnung“. Beim Extremklettern gibt machte dazu 300 Klimmzüge) immer sehr gern es keinen „Kredit“. Du hast gut trainiert und dich richtig gelesen und mich neben Literatur auch für Geschichte eingeschätzt, dann kommst – Glück gehört natürlich und Philosophie interessiert. Für mich war es daher immer dazu – die Wand sicher hoch. Wenn man keine normal, über das Leben nachzudenken und darüber, Schulden hat, dann hat man den Kopf frei. 32 Wird unsere Gesellschaft weiter Fortschritt erleben? Oder wird es unseren Kindern und Enkeln weniger gut gehen als uns? Der Mensch wird sich immer weiter entwickeln, aber er tut es historisch gesehen am besten unter Druck. Ob es unseren Kindern und Enkeln weniger gut gehen wird als uns? Es wird darauf ankommen, ob es den Menschen gelingen wird, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich, wie ein Extrembergsteiger das ununterbrochen tut, diese ganz entscheidende Frage stellen: Was brauche ich wirklich? Und es wird darauf ankommen, ob sie die richtige Antwort darauf finden, aber da bin ich sehr optimistisch, denn in der Krise ist der Mensch am besten, und es wird eine richtige Krise auf uns zukommen, weil das Schuldenproblem in keiner Weise gelöst ist. Tatsache ist, dass wir nicht sehr viel brauchen, um glücklich zu sein, und dass Überfluss dem Mensch nicht gut tut. Dem Mensch geht es im Schlaraffenland nicht gut, denn darauf ist der Mensch nicht vorprogrammiert. Wir sind auf Not, also Anstrengung und Entbehrung vorprogrammiert, was man vor allem beim Extrembergsteigen ununterbrochen erlebt. Das macht mich zu einem maximal zufriedenen Mensch. Ich habe vom Extrembergsteigen gelernt, dass ich keine leichten Wege gehen darf und dass ich mir ununterbrochen gleichsam „künstliche Krisen“ schaffen muss, damit ich mich maximal weiter entwickle. Thomas Bubendorfer ist ein Weltklasse- Bergsteiger mit über 70 Erstbesteigungen, der mit Rekordzeiten in den Alpen, den Anden, in Alaska und im Himalaja kletterte. In seinen Vorträgen zieht Bubendorfer faszinierende und äußerst anregende Parallelen zwischen dem Bergsteigen und dem Manager-Beruf. [email protected] 33