QUARTALSBERICHT Projektland: Pakistan Quartal/Jahr: III/2012 SCHLAGZEILEN 1.Pakistanisch-indische Beziehungen 2.Innenpolitische Entwicklungen 3.Feuerkatastrophe in Karatschi 4.Sicherheitslage 5.„Der Tag der Liebe zum Propheten“ Pakistanisch-indische Beziehungen Anfang August besucht Asif Ali Zardari, Präsident der Islamischen Republik Pakistan und Vorsitzender der regierenden Pakistan Peoples Party (PPP), Neu Delhi. Dies ist die erste offizielle Reise eines pakistanischen Staatsoberhauptes nach Indien seit sieben Jahren. Seit dem Terroranschlag in Mumbai Ende November 2008, in dessen Folge es fast zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern gekommen wäre, haben sich Pakistan und Indien nur langsam wieder angenähert. Sowohl Präsident Zardari als auch Premierminister Singh versichern in Neu Delhi, dass sie an einer Verbesserung der Beziehungen beider Länder interessiert sind. Präsident Zardari sagt zu, in Pakistan die Lockerung von Handelsrestriktionen gegenüber Indien zu unterstützen und eine Liste mit Waren zu erstellen, die Pakistan von Indien zu importieren gedenke. Im Vorfeld des Besuchs hebt Indien formal das Verbot von ausländischen Direktinvestitionen aus Pakistan in Indien auf. Bestehen bleibt das Verbot von Investitionen im Verteidigungs-, Raumfahrt- und Atomsektor. Auch müssen weiterhin alle Investitionsvorhaben vorab von indischen Behörden genehmigt werden. Die Vereinbarung hierzu hatten die Handelsminister der beiden Länder bereits bei einem Treffen im April in Neu Delhi getroffen, auf dem auch eine Vereinfachung der Visaerteilung für Geschäftsreisende und die 'grenzüberschreitende' Eröffnung von Bankfilialen diskutiert wurde. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 1 Durch die Eröffnung einer zweiten, für Güter und Waren vorbehaltenen Zollabfertigungsstation an der pakistanisch-indischen Grenze bei Wagah – dem einzigen offiziellen Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien – wurden ebenfalls im April bereits die notwendigen Kapazitäten geschaffen, um täglich bis zu 600 LKWs (statt 150) abfertigen zu können. Mit diesen Maßnahmen soll der durch Handelsbeschränkungen fast zum Erliegen gekommene Warenaustausch zwischen beiden Ländern gefördert werden. Weitere Gespräche zur Verbesserung der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Staatsoberhäuptern werden in naher Zukunft auf Einladung Zardaris in Pakistan stattfinden. Einen weiteren Fortschritt erzielen die beiden Länder in ihrer auf Gegenseitigkeit beruhenden, äußerst restriktiven Vergabe von Einreisegenehmigungen. Am 8. September unterzeichnen Pakistans Innenminister Malik und Indiens Außenminister Krishna eine Vereinbarung zur Visapolitik, die eine Vereinfachung der Beantragung und Erteilung von Einreiseerlaubnissen immerhin für Geschäftsund Pilgerreisende, Künstler, Kinder und ältere Menschen vorsieht. Weitere Bestandteile des Abkommens sind die beabsichtigte Aufnahme von Direktflugverbindungen zwischen den Hauptstädten Islamabad und Neu Delhi, sowie die Wiederbelebung der bis Ende der 1960er Jahre bestehenden Fährverbindung zwischen den Handels- und Hafenmetropolen Karatschi und Mumbai. Wie störanfällig und empfindlich die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten, südasiatischen Ländern weiterhin sind, zeigt sich nur wenige Tage nach der Unterzeichnung des Visa-Abkommens, als das pakistanische Militär eine Hatf-VII Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von 700 km testet. Ungeachtet dieser Irritationen unterzeichnen Pakistan und Indien nach dem Test dennoch insgesamt drei Handelsabkommen, die den Waren- und Geldverkehr zwischen beiden Ländern erleichtern sollen. Die pakistanisch-indischen Beziehungen hatten zuletzt durch die Anschläge in Mumbai im November 2008 einen schweren Rückschlag erlitten. Erst 2010 wurde ein Kurs der vorsichtigen Wiederannäherung aufgenommen. Dabei sorgen die Verwicklungen der pakistanischen Terrororganisation Lashkar-e-Taiba in die Anschläge weiterhin für Spannungen zwischen den beiden Ländern. Der mutmaßliche Kopf der Terrororganisation, Hafiz Saeed, wurde nach den Anschlägen in Pakistan zwar unter Hausarrest gestellt, dieser wurde aber bereits 2009 von einem pakistanischen Gericht wieder aufgehoben. Saeed kann sich heute weitgehend frei bewegen, hält Reden auf politischen Großveranstaltungen und tritt im pakistanischen Fernsehen auf. Auch die Verhaftung und anschließende Auslieferung eines weiteren Hintermanns der Anschläge von SaudiArabien an Indien kann zu erneuten Verstimmungen zwischen beiden Ländern Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 2 führen. Dessen Aussagen belasten sowohl Hafiz Saeed als auch den pakistanischen Geheimdienst und bestätigen Indien in dem Verdacht, dass die Anschlagsplanungen unter geheimdienstlicher Mitwirkung in Pakistan durchgeführt wurden. Die Auslieferung eines Terrorverdächtigen durch Saudi-Arabien an Indien stellt ein Novum dar. In der Vergangenheit folgte man in Ryad in solchen Fällen immer der Bitte Islamabads, den/die Verdächtigen nach Pakistan zu überstellen. Die neue Vorgehensweise ist ein Hinweis darauf, dass möglicherweise auch in Ryad die Angst vor militanten islamistischen Gruppen wächst, insbesondere im Hinblick auf Lashkar-e-Taiba und Pakistans Einflussmöglichkeiten auf diese Organisation. Innenpolitische Entwicklungen Bei dem seit Monaten andauernden innenpolitischen Machtkampf gibt es keine Aussicht auf ein baldiges Ende. Nachdem Premierminister Gilani im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Präsident Zardari bzw. aufgrund einer Verurteilung durch das Oberste Gericht zurückgetreten ist (siehe QB II/12), ist nun sein Nachfolger Raja Pervez Ashraf mit derselben Situation konfrontiert: Er muss die Justiz bei den Ermittlungen gegen den Staatspräsidenten und Vorsitzenden seiner eigenen Partei unterstützen oder riskiert eine Verurteilung wegen Missachtung des Gerichts, was verfassungsmäßig zwangsweise seinen Rücktritt nach sich zieht. Die regierende PPP versucht seit Mitte Juli eine Wiederholung der Ereignisse zu verhindern und mit einem umstrittenen Gesetz die Immunität hochrangiger Regierungsvertreter bei Vorwürfen der Missachtung des Gerichts neu zu regeln. Ende Juli erklärt das Oberste Gericht das Gesetz jedoch für verfassungswidrig. Premierminister Ashraf wird erneut für den 18. September vorgeladen. Er erklärt sich schließlich dazu bereit, in seiner Funktion als Premierminister einen Brief an die Schweizerische Staatsanwaltschaft zu schreiben, der ein Geldwäscheverfahren gegen Präsident Zardari wieder in Gang setzen würde. Das Gericht gewährt ihm zur Vorlage des Briefs Fristverlängerung bis zum 25. September und tatsächlich legt Justizminister Farooq H. Naek dem Obersten Gericht fristgerecht einen Entwurf vor. Medienberichten zufolge soll das Schreiben Bezug nehmen auf Artikel 248 der pakistanischen Verfassung sowie die Genfer Konventionen, die beide die Immunität des Staatsoberhaupts regeln. Die Bitte um Wiederaufnahme des 2008 eingestellten Verfahrens gegen Zardari soll fehlen. Stattdessen wird die schriftliche Aussage des damaligen pakistanischen Generalstaatsanwalts zurückgezogen, die zur Einstellung des Verfahrens geführt hatte. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 3 Die Richter fordern bis zum 5. Oktober einen neuen Entwurf. Falls dieser nicht ihren Vorstellungen entspricht kündigen sie an, mit dem Verfahren gegen Premierminister Ashraf wegen Missachtung des Gerichts fortzufahren. Der an eine Seifenoper erinnernde Streit zwischen Judikative und Exekutive bestimmt seit vielen Monaten die innenpolitische Diskussion und füllt regelmäßig Zeitungsseiten und Fernsehprogramme. Für die Regierung und die PPP ist eine Fortdauer des Machtkampfs mit Blick auf die im nächsten Frühjahr stattfindenden Wahlen unerwünscht. Einen wirklichen Gewinner bei diesem innenpolitischen Machtkampf zwischen Regierung und Oberstem Gericht wird es kaum geben. Allenfalls könnte sich das Militär neuerlich als ordnende Macht profilieren und gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorgehen. Feuerkatastrophe in Karatschi In Karatschi ereignet sich Mitte September eine der größten Brandkatastrophen in Pakistan seit Jahrzehnten. Das Feuer bricht in einer Textilfabrik aus, in der rund 1.500 Menschen arbeiten. 258 Arbeiter sterben bei dem Brand. Die hohe Anzahl der Opfer ist auf massive Sicherheitsmängel zurückzuführen. Die wenigen Fenster waren meist vergittert und Fluchtwege durch geschlossene Türen versperrt. Der Besitzer der Fabrik wird mittlerweile wegen Mordes gesucht und ist auf der Flucht. In Lahore ereignet sich eine ähnliche Katastrophe in einer Schuhfabrik bei der mindestens 25 Menschen sterben, darunter auch der Fabrikbesitzer. Auch hier ist das große Ausmaß der Katastrophe auf massive Sicherheitsmängel zurückzuführen. Trotz des Aufschreis der Bevölkerung und dem Versprechen der Regierung, schärfere Kontrollen einzuführen, ist mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Sicherheitsmaßnahmen in der pakistanischen Textilindustrie nicht zu rechnen. Sie ist für über die Hälfte der pakistanischen Exporte verantwortlich und einem extremen Preisdruck durch andere Billiglohnländer ausgesetzt. Arbeitssicherheit und Brandschutz spielen beim Bau, dem Betrieb oder der Genehmigung solcher Fabriken keine oder nur eine sehr geringe Rolle. Sicherheitslage Im Berichtszeitraum weitet die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) ihre Angriffe auf pakistanische Sicherheitskräfte und ihre Einrichtungen aus. Nicht nur in der vorwiegend betroffenen Provinz Khyber-Paschtunistan (PKP), sondern auch in anderen Landesteilen kommt es zu Anschlägen. Anfang Juli sterben mehrere Sicherheitskräfte bei zwei Angriffen in der Provinz Pandschab; in Wazirabad Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 4 sterben sieben Soldaten, als sie von einem vorbeifahrenden Motorrad beschossen werden. Nur wenige Tage später stürmen TTP-Kämpfer im Osten von Lahore ein Polizeigebäude und töten neun Polizei-Kadetten. Am 16. August wird der Luftwaffenstützpunkt Minhas von schwerbewaffneten TTPKämpfern angegriffen. Der Angriff auf einen der größten und bestgesicherten Luftwaffenstützpunkte des Landes kann erst nach einem mehrstündigen Feuergefecht und dem Einsatz von Kommandosoldaten der Special Service Group (SSG) beendet werden. Alle neun Angreifer sowie zwei Soldaten werden getötet. Bei einem weiteren Anschlag der TTP auf einen Kleinbus der pakistanischen Air Force in Peschawar sterben am 19. September neun Menschen. Auch der ethno-politische Konflikt in der Millionenstadt Karatschi dauert an. Die Zahl der gezielten Tötungen (targeted killings) ist weiterhin hoch. Opfer werden zunehmend auch am Konflikt unbeteiligte Parteien und Personen in bisher eher als ruhig geltenden Stadtteilen. Bei einem Anschlag in Hyderi im Norden der Stadt werden acht Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Die dortigen Bewohner gehören den Dawoodi Bohra an, einer kleinen schiitischen Minderheit, die in Karatschi über historische Wurzeln verfügt, aber bisher an dem ethnopolitischen Konflikt nicht beteiligt war. Es lässt sich ebenfalls nicht ausschließen, dass der Anschlag Teil der seit langem andauernden sektiererischen Angriffe auf Schiiten in Pakistan ist (siehe u.a. QB II/12). Schiiten sind im Berichtszeitraum weiterhin Ziel von Angriffen. Im Norden des Landes stoppen neuerlich TTP-Kämpfer in Armeeuniformen drei Busse auf ihrem Weg von Rawalpindi nach Gilgit. Nach der Kontrolle der Ausweispapiere erschießen sie alle 20 schiitischen Businsassen. Dies ist bereits der dritte Vorfall dieser Art im laufenden Jahr (vgl. QB I/12 und II/12). „Der Tag der Liebe für den Propheten“ Im Zuge der weltweiten Proteste und Demonstrationen gegen das Video „Die Unschuld der Muslime“ ist Pakistan das einzige Land der Erde, das gewissermaßen auf Staatsebene zu Protesten aufruft: Nach ersten kleineren Demonstrationen unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos erklärt Innenminister Rehman Malik am 19. September den folgenden Freitag zum „Der Tag der Liebe für den Propheten“ – einem nationalen Feiertag. Premier Ashraf ruft in einer Ansprache alle Bürger des Landes dazu auf, friedlich gegen den Film zu protestieren. Für viele Demonstranten sind der Feiertag und der Aufruf zum Protest durch die Regierung eine willkommene Einladung, ihrem Frust Luft zu machen. Rasant steigende Lebensmittel- und Benzinpreise und notorische Engpässe bei der Gasund Stromversorgung hatten schon im Juli zu gewaltsamen Protesten geführt. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 5 Diese Faktoren und die gezielte Instrumentalisierung durch die politischen Parteien machen die Lage in Pakistan besonders explosiv. Auch die Ausrufung des Freitags zum Feiertag ist nur auf den Druck von islamistischen Parteien zurückzuführen. Sie gelten in Pakistan als 'Königsmacher' und fungieren bei Koalitionsbildungsversuchen oft als Zünglein an der Waage. Die Anfang 2013 anstehenden Parlamentswahlen erhöhen den überproportional großen Einfluss der islamistischen Parteien auf politische Entscheidungen zusätzlich. Bereits bei der Ausrufung des Feiertages am Mittwoch kommt es in Karatschi zu gewaltsamen Protestkundgebungen vor dem US-Konsulat. In Islamabad versuchen Demonstranten, das diplomatische Viertel der Stadt zu stürmen. Dort befinden sich neben der US-Botschaft zahlreiche weitere Botschaften und die Büros internationaler Vertretungen. Die Polizei verhindert ein Eindringen der Demonstranten, die stattdessen versuchen, ein bei Ausländern beliebtes Hotel in unmittelbarer Nähe zu stürmen. Bei den Protesten am Freitag kommt es landesweit zu schweren Ausschreitungen. Es werden mehrere Mautstationen, Kinos, Banken, Tankstellen, ein öffentliches Krankenhaus und eine Feuerwache angegriffen und zerstört. Verbotene islamistische Organisationen, darunter Jaish-e-Mohammad und Sipah-e-Sahaba, nutzen die Proteste, um offen Flagge zu zeigen. In Islamabad ziehen die Demonstranten erneut vor die diplomatische Enklave mit dem Ziel, die USBotschaft zu stürmen. Trotz des Vorfalls am Mittwoch und angeblich besserer Vorbereitung der Polizei muss im Laufe des Nachmittags die Armee zu Hilfe gerufen werden. Erst gegen Abend beruhigt sich die Lage. Bei den landesweiten Protesten kommen am Freitag insgesamt 21 Menschen ums Leben. Einen Tag nach den gewaltsamen Protesten ruft der pakistanische Eisenbahnminister, Ghulam Ahmad Bilour, zur Ergreifung des Videomachers auf und setzt ein Kopfgeld von 100.000 US-Dollar aus. Er bittet öffentlich Al Qaida und die Taliban um Mithilfe. Sein Aufruf findet weltweit Aufmerksamkeit. Als Motivation für den Mordaufruf werden Bilour allerdings persönliche Motive unterstellt, nicht etwa religiöse. Es heißt, er habe durch die gewaltsamen Proteste einen erheblichen materiellen Schaden zu beklagen. Der Sprecher von Premierminister Ashraf distanziert sich von dem Aufruf ebenso wie die Awami National Party (ANP), der der Minister angehört. Wegen der sympathisierenden öffentlichen Meinung in Pakistan muss Bilour um seinen Posten allerdings nicht fürchten. Martin Axmann Der Autor ist Projektleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Islamabad, Pakistan. Bericht erstellt unter Mitarbeit von Daniel Kramer. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 6 IMPRESSUM Erstellt: 10.10.2012 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2011 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzender: Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Christian J. Hegemer, Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected] | www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Pakistan, III/2012 7