Landeshauptstadt Magdeburg

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Landeshauptstadt
Magdeburg
Stadtplanungsamt Magdeburg
Stadtfeld Süd
Stadtplanungsamt Magdeburg
Mitarbeiter:
Hans-Reinhard Adler
Christa Anger
Peter Anger
Birgit Arend
Amir Badnjevic
Heidrun Bartel
Roswitha Baumgart
Monika Bohnert
Sylvia Böttger
Wolfgang Buchholz
Klaus Danneberg
Renate Dilz
Sybille Dirschka
Wilma Ebeling
Gabriele Eschholz
Klaus Eschke
Jutta Fittkau
Hannelore Friedrich
Hans Gottschalk
Margot Gottschalk
Gabriele Grickscheit
Marlies Grunert
Andrea Hartkopf
Hans-Georg Heinecke
Anette Heinicke
Ingrid Heptner
Sabine Hlous
Heinrich Höltje
Wilfried Hoffmann
Gudrun Hunger
Wolfgang Jäger
Heinz Jasniak
Heinz Karl
Krista Kinkeldey
Hannelore Kirstein
Jutta Klose
Helga Körner
Brigitte Koch
Dr. Günther Korbel
Christa Kummer
Peter Krämer
Thomas Lemm
Marlies Lochau
Bernd Martin
Konrad Meng
Helmut Menzel
Angelika Meyer
Heike Moreth
Bernd Niebur
Doris Nikoll
Corina Nürnberg
Heinz-Joachim Olbricht
Dr. Carola Perlich
Dr. Eckhart W. Peters
Dirk Polzin
Liane Radike
Jörg Rehbaum
Karin Richter
Dirk Rock
Burkhard Rönick
Jens Rückriem
Karin Schadenberg
Hannelore Schettler
Katharina Schmidt
Günter Schöne
Monika Schubert
Helga Schröter
Klaus Schulz
Joachim Schulze
Hannelore Seeger
Britta Seil
Rudolf Sendt
Siegrid Szabö
Heike Thomale
Judith Ulbricht
Wolfgang Warnke
Rolf Weinreich
Astrid Wende
Burkhard Wrede-Pummerer
Marietta Zimmermann
Bisher erschienene Dokumentationen der Gutachten
des Stadtplanungsamtes
1990 Workshop •
Die Zukunft des Magdeburger Stadtzentrums •
1/93 Strukturplan
2/93 Verkehrliches Leitbild
3/93 Das Landschaftsbild im Stadtgebiet Magdeburgs ein Beitrag zum Flächennutzungsplan
4/95 Teilflächennutzungsplan Rothensee
5/93 Sanierungsgebiet Buckau - Städtebaulicher
Rahmenplan
5/93 Kurzfassung Stadtsanierung Magdeburg-Buckau
6/93 Städtebaulicher Ideenwettbewerb • Domplatz
Magdeburg •
7/93 Workshop • Nördlicher Stadteingang •
8/93 Städtebaulicher Denkmalschutz
9/93 Radverkehrskonzeption
10/93 Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV-Konzept)
11 /93 Workshop • Kaiserpfalz •
12/94 Kleingartenwesen der Stadt Magdeburg
13/94 Hermann-Beims-Siedlung
14/94 Siedlung Cracau I
15/94 Städtebauliche Entwicklung 1990-1994
16/95 Gartenstadtkolonie Reform
17/94 Schlachthofquartier
18/I/94 Die Napoleonischen Gründungen Magdeburgs Sozio-urbane Untersuchungen
18/II/94 Die Napoleonischen Gründungen Magdeburgs Zur Baugeschichte in der Neuen Neustadt
18/III/94 Die Napoleonischen Gründungen Magdeburgs Zur Baugeschichte in der Sudenburg
19/94 Die Anger-Siedlung
20/94 Bruno Taut - eine Dokumentation
21/95 Stadtteilentwicklung Ottersleben
22/94 Die Curie-Siedlung in Neustadt
23/94 Gartenstadtsiedlung Westernplan
24/95 Fachwerkhäuser in Magdeburg
25/95 Stadtteilentwicklung Rothensee
26/95 Gartenstadt Hopfengarten
28/94 Magdeburg Bundesgartenschau 1998 - Rahmenplan
29/94 Workshop • Siedlungen der 20er Jahre der Stadt
Magdeburg •
30/95 Südwestliche Stadterweiterung
31/I/95 Parkanlagen der Stadt Magdeburg
32/I/95 Stadtfeld Nord
32/II/95 Stadtfeld Süd
33/95 Magdeburger Märktekonzept
34/95 Sozialistischer Städtebau
35/95 Siedlungsentwicklung Westerhüsen
36/95 Tempo 30 - Verkehrsberuhigung in Magdeburg
37/95 Siedlung Fermersleben
38/95 Gartenstadt- und Erwerbslosensiedlungen
Lindenweiler, Kreuzbreite, Eulegraben
39/I/95 Kommunalgeschichte Magdeburgs Weimarer Republik
39/II/95 Magdeburgs Aufbruch in die Moderne
41/95 Stadtteilentwicklung Olvenstedt
42/95 Stadtsanierung Magdeburg-Buckau
43/I/95 Nationalsozialistischer Wohn- und Siedlungsbau
44/95 Klimagutachten für das Stadtgebiet Magdeburgs ein Beitrag zum Flächennutzungsplan
45/95 Genossenschaftswesen Magdeburgs
46/95 Industriegeschichte Magdeburgs
47/95 Workshop • Universitätsplatz •
48/I/II/95 Symposium BRUNO TAUT
49/95 Gutachterverfahren Elbe-Bahnhof
50/95 Stadtteilentwicklung Cracau-Prester
51/95 Gründerzeitliche Villen Magdeburgs
Landeshauptstadt
Magdeburg
Stadtplanungsamt Magdeburg
Stadtfeld Süd
Die historische und architekturgeschichtliche
Entwicklung eines Magdeburger Stadtteils
Sabine Ullrich
Lückenbebauung im Stadtfeld
Friedrich Jakobs
2
STADTFELD SÜD
GRUSSWORT
3
GRÜNDERZEIT IN MAGDEBURG
4
Vorbemerkung
10
DIE GESCHICHTE DES STADTFELDES
11
RAYONHÄUSER
Liebknechtstraße 26
Liebknechtstraße 14
15
15
17
MASSENWOHNUNGSBAU BIS ZUM 1. WELTKRIEG
Zur Geschichte des Mietshauses
Fortgang der Bebauung im südlichen Stadtfeld
Baukonstruktion
Typische Grundrißbeispiele Magdeburger Mietshäuser vom Historismus bis zum 1. Weltkrieg
Statistische Angaben zu Bautätigkeit und Wohnsituation im Stadtfeld am Beispiel des Jahres 1904
19
19
22
25
34
38
AUSGEWÄHLTE BEISPIELE AUS DEM WOHNUNGSBAU
Annastraße 30 - ein fünfgeschossiges Wohnhaus
Eckhaus Liebknechtstraße 30 und Arndtstraße 26
Ein Projekt der Baufirma Brandt & Brunkow
Gehobene mittelständische Einfamilienhäuser in der Gerhart-Hauptmann-Straße
Westring 8 und 10 - Wohnhäuser mit Läden
Adelheidring 17
Ein ausgezeichnetes Bauprojekt: Wilhelm-Külz-Straße 10 und Hans-Löscher-Straße 28
Schellheimerplatz 9
Wilhelm-Kobelt-Straße 5
Eine Maßnahme der Stadt zur Minderung der Wohnungsnot (Westring 36 - 46 a)
40
40
42
44
46
49
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53
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DETAILS AM MIETWOHNUNGSBAU VOM HISTORISMUS BIS ZUM ERSTEN WELTKRIEG
Fensterarchitekturen an Mietshäusern
Fensterkreuze und Jalousieblenden
Haustüren und -tore
Ladenfronten
Treppenhausfenster und Türverglasungen
Wandfliesen
Durchfahrten und Aufgänge
Fenstergitter
Balkongitter aus Metall
Vorgarteneinfriedungen
Kleinprojekte in Holzbauweise
62
62
66
67
70
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76
76
77
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82
FABRIKATIONSSTÄTTEN UND INDUSTRIEANLAGEN
85
ANHANG
Wichtige Adressen im Stadtfeld, aus dem Adressbuch von 1914 (Stadtfeld Nord und Süd)
Geänderte Straßennamen (Stadtfeld Nord und Süd)
Alte und neue Straßennamen und ihre Herleitungen (Stadtfeld Nord und Süd)
94
94
94
95
Literaturauswahl
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LÜCKENBEBAUUNG IM STADTFELD
99
DER SCHELLHEIMERPLATZ
105
STADTFELDER BILDERBOGEN
110
Abbildungsnachweis
113
3
GRUSSWORT
Liebe Leserinnen und Leser,
Was in keinem Geschichtsbuch steht, können Sie in
dieser Broschüre des Stadtplanungsamtes nachlesen:
Wie lebten die Magdeburger vor einhundert Jahren?
Aus welchen Materialien bauten sie ihre Häuser? Warum griffen sie auf Stilelemente früherer Epochen zurück? Wie sahen Wohnungsgrundrisse und -ausstattung aus? Die Dokumentation zur städtebaulichen und
architekturgeschichtlichen Entwicklung des Stadtfeldes
antwortet auch auf solche Fragen.
Sie mögen banal scheinen, sind es aber keineswegs.
Immerhin haben wir heute sehr genaue Vorstellungen
darüber, wie unsere Wohnung und das Wohnumfeld
aussehen sollen, was uns wichtig ist, und worauf wir
verzichten können. Das sollte uns gelegentlich einige
Überlegungen darüber wert sein, mit welchen Ansprüchen und technischen Möglichkeiten unsere Vorfahren
die Häuser errichteten, in denen wir heute noch immer
wohnen.
Die Broschüre zum Stadtfeld-Süd ergänzt die Dokumentation zum nördlichen Stadtfeld. Beide beschreiben die
baugeschichtlichen und architektonischen Besonderheiten eines Magdeburger Stadtviertels. Und weil diese
Besonderheiten nur aus dem Wechselspiel der großen
zeitgeschichtlichen Strömungen und der Bedingungen
vor Ort erklärbar sind, beschreibt diese Broschüre auch
ein Kapitel Heimatgeschichte.
Es ist - wie schon in den Veröffentlichungen über andere Magdeburger Stadtteile und Siedlungen - nicht nur
die Frage nach dem „Was" und dem „Wie", sondern
auch die Frage nach dem „Warum", der die Autorin
nachgeht. Und gerade das macht diese Dokumentation für den Architekten, Baufachmann oder Stadtplaner
wie für den Historiker und geschichtlich interessierten
Bürger gleichermaßen interessant.
Dr. Willi Polte
Oberbürgermeister
4
STADTFELD SÜD
GRÜNDERZEIT IN MAGDEBURG
Dort, wo in Magdeburg Fabrikschlote rauchten und industrielle Arbeitsstätten ausgebaut wurden, begann
die neue Zeit. An diese neuen Arbeitsstätten, an dieses Wachstum
der neuen Industriezweige band sich
die Hoffnung der Magdeburger auf
Wohlstand oder zumindest auf Verbesserung der Existenz durch regelmäßige Arbeit.
Die Arbeiter verbrachten sechzehn
Stunden am Tag in der Fabrik. Zur
Fabrikbelegschaft gehörten in erster
Linie ehemalige Landarbeiter, weiterhin Bauern, die ihr Land aufgegeben hatten, bankrotte Handwerker,
Frauen (in manchen Sektoren über
die Hälfte der Beschäftigten) und
selbst Kinder unter 14 Jahren. Die
Arbeitsbedingungen waren für den
heutigen Menschen unvorstellbar
schlimm: Lärm, Erschütterungen,
schlechte Luft und unzureichende Aus Statistisches Jahrbuch 1935: Bevölkerungsentwicklung
sanitäre Bedingungen beanspruchten den arbeitenden Menschen bis an die äußerste
Grenze der Erträglichkeit. Die Wohnverhältnisse wa- Im Zuge der Industrialisierung Magdeburgs setzte eine
explosionsartige Erweiterung vieler Magdeburger Beren erdrückend.
(s. ausf. Günther Korbel in: Die napoleonischen Gründun- triebe ein. Siebzig Jahre nach der Gründung der ergen Magdeburgs, Heft 18, 1994).
sten Fabriken war der entscheidende Sprung zur Industrialisierung schließlich auch in Deutschland vollzogen.
Die Fabrik wurde nunmehr über „Kapital, Arbeit und Leistung" definiert
und zu dem Zweck gegründet, mit
mechanischer Kraft möglichst große Produktmengen zu erzielen.
Zilles Milljöh war auch in Magdeburg
Die Gründerzeit im engeren Sinne
begann unmittelbar nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich,
also in den Jahren von 1871 bis
1873. Gemäß des Friedensschlusses von Versailles mußte Frankreich dem Deutschen Reich die gewaltige Kriegsentschädigung von
fünf Milliarden Francs zahlen. Diese unter den damaligen Verhältnissen unglaublich hohe Summe wurde auch tatsächlich in überraschend kurzer Zeit bezahlt. Diese
Reparationsgelder riefen eine übertriebene Spekulation hervor; allein
5
Plan vom Stadtfeld aus dem Jahr 1922
in Preußen wurden 1871/72 etwa achthundert neue
Aktiengesellschaften gegründet (in den hundert Jahren davor waren es gerade knapp dreihundert).
In Magdeburg erwarb die Kommune zwischen der
Danzstraße und der Sternstraße vom preußischen Militärfiskus für sechs Millionen Mark neue Flächen der
ehemaligen Festungsanlagen und verkaufte diese Parzellen als Bauland. Zuerst wurde die Generalkommandantur des IV. Armee-Korps in der Augustastraße (heute Hegelstraße) gebaut, dann setzte eine fieberhafte
Spekulation ein; der Quadratmeter Bauland wurde mit
233 Mark angeboten. Jedoch schon wenig später
(1873) rief ein allgemeiner Kurssturz den Zusammenbruch zahlreicher Gründungen und Unternehmungen
hervor. Mit dieser großen Depression endete die Gründerzeit im engeren Sinne.
Nach der Depression von 1873 sanken die Zinssätze
ganz erheblich; langfristiges Geldkapital wurde zu günstigen Bedingungen reichlich angeboten und diese
preiswerten Finanzierungsmöglichkeiten bildeten eine
der Ursachen für einen neuen Aufschwung, der an der
„Südfront" Magdeburgs, im Stadtfeld - der späteren
Wilhelmstadt und heute wieder Stadtfeld - und später
an der „Nordfront" deutlich nachzuweisen ist. Die Bautätigkeit wurde angeregt und nur so ist jenes Phänomen der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu erklären, als die Bauherren der mehrgeschossigen, eindrucksvollen Bauten in der Mehrzahl kleine Handwerksmeister waren. Nicht nur in den Stadtteilen, sondern auch in den ländlichen Randgemeinden setzte
eine dynamische Entwicklung ein. Die Architektur war
dem Historismus verpflichtet; maßgebend waren die
Stilformen der Neoromanik, Neogotik, Neorenaissance und des Neobarock. Später folgten der Jugendstil, der Werkbund und auch das Bauen der 20er Jahre. Das Mauerwerk der Häuser war außerordentlich
solide - meistens verputzt und selten verklinkert -, die
Räume (Vorderhaus) waren hoch und licht, günstig
angeordnet und geräumig (im Gegensatz zu den Hinterhäusern). Wäre dieser Wohnraum in den vergan-
6
STADTFELD SÜD
Darüber hinaus wurden die Quartiere mit breiten Strassen, mit vielfältigem Pflaster, Fuß- und Radwegen, Baumreihen und Plätzen gegliedert, je nach ihrer städtebaulichen Bedeutung. Interessanterweise wurde die Wilhelm-Külz-Straße,
wie die alte kleine Diesdorfer Straße hieß, mit einem kleinen Platz
auf den Dom orientiert. Bruno Taut
hat diese Achse über die Spielhagenstraße in seiner Grünzone der
Hermann-Beims-Siedlung Richtung Westen fortgesetzt.
Restauriertes Haus am Westring
genen Jahrzehnten angemessen saniert und modernisiert worden, stünden heute mehrere tausend schöne Wohnungen zur Verfügung.
Plan von 1889 mit Flurformen
Nur wenige Reste aus der Zeit vor
der Flurbereinigung, ToepffersPark, der Militärfriedhof und wenige Gebäude aus dem vorigen
Jahrhundert, sind erhalten geblieben. Die Landvermesser, Spekulanten, Architekten und Stadtplaner bestimmten den schachbrettartigen Aufbau Stadtfelds. Äußere bestimmende Anknüpfungspunkte neben der Eisenbahn und den Festungsbauten gab es
7
wenige, die Schrote wurde mit ihrem Bachbett verlegt
(leider später in Teilbereichen verrohrt), die wenigen
Grünflächen wurden erhalten und die oftmals schmalen, gewundenen Streifenfluren wurden zu Blockfluren zusammengelegt.
Bis auf wenige handwerkliche und gärtnerische Betriebe waren die Flächen landwirtschaftlich genutzt.
Erst zum Ende des vorigen Jahrhunderts setzte eine
deutliche Wandlung ein. Stadtfeld entwickelte sich als
das „Beamtenviertel Magdeburgs" (1894 waren es von
15783 Einwohnern 795 Beamte), wobei im Erdgeschoß
in den Vordergebäuden viele Geschäfte untergeschoben waren. Die Hinterhöfe waren darüber hinaus oft
mit kleinen und mittelgroßen Handwerks- und Produktionsstätten belegt.
Liebknechtstraße mit Blick auf den Dom.
Plan aus der Gründerzeit (Stadtführer von 1922)
Neben den gründerzeitlichen Wohnhäusern wurden
auch öffentliche Gebäude, wie Schulen, Pflege- und
Altersheime und die Provinzial- Hebammen- Lehr- undEntbindungsanstalt Landesfrauenklinik in der Gerhart-
8
STADTFELD SÜD
Hauptmann-Straße, errichtet. Hier
erblickten viele Magdeburger das
Licht der Welt und erfreulicherweise hat die Landesfrauenklinik heute nicht an Bedeutung verloren.
Die Jahrzehnte ab 1880 werden als
Gründerzeit im weiteren Sinne verstanden. Es waren gleichzeitig jene
Jahre, in denen mit dem Durchbruch
der Elektrotechnik die zweite Industrialisierungsphase begann. Die
Elektrifizierung des öffentlichen
Nahverkehrs (Straßenbahnen) beschleunigte den innerstädtischen
Verkehr, die Einführung des Glühlichts (Edison 1878) verbesserte die
Beleuchtung und der Fernsprecher
schuf ein neues Netz der individuellen Kommunikation. Neue Ämter
und öffentliche Gebäude entstanden, private Haushalte und Büros
sowie Fabriken erhielten die entsprechenden Einrichtungen. Es darf
dennoch nicht übersehen werden,
daß während des gesamten Zeitraums von der südlichen und nördlichen Stadterweiterung und der Bebauung Stadtfelds bis zum Ersten
Weltkrieg die beiden Krisen von
1847/48 und 1873 nicht die einzigen
geblieben sind.
Im zweiten Halbjahr des Jahres
1900 setzte eine Rezession ein,
wie es sie seit dem „Gründerkrach"
im Jahre 1873 nicht mehr gegeben
hatte. (Siehe ausführlich Günther
Korbel, „Die napoleonischen Gründungen Magdeburgs", Heft 18,
1994, S. 26).
Originelle Lokale haben sich im Stadtfeld wieder angesiedelt
und bereichern die Infrastruktur.
Der nächste Konjunkturaufschwung, der sich im Verlauf des Jahres 1904 abgezeichnet hatte, führte dann 1905 zu einem erneuten
steilen Aufschwung der Produktion - zu Lasten vieler
kleiner Zulieferbetriebe.
Erst zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam es wieder
zu einer bemerkenswerten Krise („Kriegsstoß"). Sie
war die Folge von Mobilmachung, Unterbrechung der
Lieferbeziehungen, vorsichtiger Verfügung bei Absatzplanungen, bei Kauf und Kreditgewährung, allgemein
aber auch eine Fortwirkung der ohnehin rezessiven
Tendenzen des Jahres 1914. Die Gründerzeit in
Deutschland war beendet.
Die Architektur der Gründerzeit ging einen schweren
Weg der Anerkennung. Sie stand noch vor zwanzig
Jahren in keinem guten Ruf. „Die Großbourgeoisie sei
zu keinem eigenen Stil fähig gewesen", so urteilte der
Sozialismus (auch in Westdeutschland sind im großen Umfang bis zu den 70er Jahren die gründerzeitliche Gebäude vernachlässigt worden), und plante den
flächendeckenden Abriß alter Stadtteile, um neue
Stadtviertel bauen zu können. So auch in der DDR bis
in die 70er Jahre. Allerdings fehlten für ein flächendeckendes „Aufräumen" Geld und Baukapazitäten. So
blieb das Übernommene stehen, wenn auch als Stiefkind des Städtebaus und dem zunehmenden Verfall
9
ausgeliefert. Mit Beginn des Wohnungsbauprogrammes in den 70er Jahren am Rande des Stadtgebietes
kam es zu einer Entvölkerung der gründerzeitlichen
Viertel. 1981 verzeichnete die Stadt einen Rückgang
von 35 % der Einwohner, unmittelbar in den Wohnquartieren um den Hasselbachplatz waren es sogar
5 1 % . (VWGZ vom 1.1.1981)
Die Ursachen für die Bevölkerungsfluktuation lagen
vorwiegend in der desolaten Bausubstanz, den großen Wohnungen mit der mangelhaften Ausstattung
sowie dem vernachlässigten Wohnumfeld, wobei nur
wenige Kriegsschäden und wenige Baulücken zu verzeichnen waren. Hinter- und auch Vorderhäuser hinterließen einen trostlosen Eindruck. Viele Bewohner
Magdeburgs verließen die alten Stadtgebiete und zogen in die technisch gut ausgestatteten Neubausiedlungen im Süden, Südwesten, Norden und Nordwesten der Stadt.
Heute gelangt die Architektur der Gründerzeit zu neuen Ehren. Dazu trägt auch ein neues Verständnis bei.
Bemerkenswert ist das Interesse vieler Bauherren, die
Geld investieren, um auch zu „heilen", d. h., die die
verlorengegangenen Fassadenqualitäten wiederherstellen. Ursprünglich waren 27 Gebiete der Stadt als
Sanierungsgebiet beantragt worden, jedoch sind durch
das Land Sachsen-Anhalt nur das südliche Stadtzentrum und Buckau genehmigt worden, später folgten
die Friedrichstadt und die Anger-Siedlung. Die Entwicklung in den letzten fünf Jahren hat den Verfall der letzten Jahrzehnte gestoppt, neue Gebäude füllen die
Baulücken, eine neue Gründerzeit hat begonnen. Die
heute noch vorhandene Zellenstruktur und die oftmals
geklärten Besitzverhältnisse führen zu relativ schnellen Investitionen (siehe Stadtfelder Bilderbogen). Das
Stadtfeld entwickelt sich und gewinnt neben typischen
deutschen Lokalen wie „Kartoffelhaus No. 1" oder
„Zobi" auch durch die internationale Küche - chinesich, griechisch, türkisch, italienisch usw.
Der Magdeburger Architekt Jakobs hat Ideen zur Lükkenbebauung des Stadtfeldes entwickelt. Ausführlich
wird dieses Thema bezogen auf das Stadtfeld Süd am
Ende des Heftes dokumentiert.
Der Schellheimerplatz gehört neben dem Domplatz
und dem Universitätsplatz zu den größten Plätzen der
Landeshauptstadt und ist von der Zerstörung im 2.
Weltkrieg verschont geblieben. Er liegt inmitten der
um die Jahrhundertwende entstandenen ehem. Wilhelmstadt, dem heutigen Stadtfeld. Ebenfalls wird dieses Thema am Ende des Heftes ausführlich dokumentiert.
Noch sind die Platzwände, die Bürgerhäuser mit ihren Vorgärten erst teilweise saniert, so daß die Schönheit des Platzes nicht voll zur Geltung kommt. Einige
Gebäude am Platz sind Baudenkmale im Sinne des
Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt.
Wir denken, das Stadtfeld wird sich - als Wohn- und
Geschäftsquartier mit wenigen handwerklichen Betrieben - von dem Zweiten Weltkrieg und auch von den
unterschiedlichen Strömungen erholen und wieder zu
einer Stimmung finden, die liebenswert ist. Wie alle
Städte pulsiert auch Magdeburg im Rhythmus der heute oftmals hektischen Zeit und wird von künftigen Generationen, neuen politischen Ideologien, ökologischen
Grenzen des Wachstums, ökonomischen Gedanken
und hoffentlich auch von ethischen Grundsätzen geformt werden. Stadtfeld erstrahlt im neuen Glanze.
Eckhart W. Peters
Klaus Schulz
10
STADTFELD SÜD
VORBEMERKUNG
Der vorliegenden Publikation liegt
eine Untersuchung zugrunde, die
sich mit der städtebaulichen und architekturgeschichtlichen Entwicklung des Magdeburger Stadtteiles
Stadtfeld beschäftigt. Dabei wurde
der Schwerpunkt auf die Zeit des Historismus bis zum 1. Weltkrieg gelegt. Wegen der Vielseitigkeit und
Menge des vorhandenen Materials
ist eine Zweiteilung in den nördlichen und den südlichen Teil vorgenommen worden, die jedoch beide
mit der gleichen Zielstellung untersucht wurden. Zur Bearbeitung des
Abb. 1 Blick in die Große Diesdorfer Straße kurz nach der Jahrhundertwende;
nach links zweigt die Arndtstraße ab, auf dem freien Platz rechts steht heute das
Gebäude der Stadtsparkasse
im zweiten Teil auf Abbildungsbeispiele aus dem nördlichen Stadtfeld
zurückgegriffen, insofern diese und
die dazugehörige Thematik im Band
Stadtfeld Nord nicht behandelt sind
und eine Ergänzung zum Material
des südlichen Stadtfeldes bieten.
Abb. 2 Kreuzung dreier Straßen, Blick in Südrichtung; hinter der Litfaßsäule
verläuft die Arndtstraße, rechts hinten liegt die Einfahrt in die Lessingstraße,
vorne rechts zweigt die Wilhelm-Külz-Straße ab; Postkarte gestempelt 1918
südlichen Teiles galten als Grenzen
die Große Diesdorfer Straße, die
Liebknechtstraße, der Westring und
die Tangente. Für die schriftliche
Ausarbeitung von Teil 1 und 2 konnten Wiederholungen nicht gänzlich
vermieden werden. Daneben hat
sich die Autorin bemüht, einige im
ersten Teil nicht oder nur am Rand
angesprochene Aspekte im zweiten Teil ausführlicher zu behandeln,
um dem Leser einen Anreiz auch
zur Lektüre des zweiten Bandes zu
bieten und um auf die Vielfalt der
erhaltenen Materie hinzuweisen.
Nur in wenigen Ausnahmefällen wird
Abb. 3 Blick von der Großen Diesdorfer Straße nach Norden in die Annastraße,
im Hintergrund die Pauluskirche, ohne Datum
11
DIE GESCHICHTE DES STADTFELDES
lagen gelegenen Grundstücke sehr
stark einschränkten. Das Gebiet vor
der Stadtmauer war seit dem Ende
des 18. Jahrhunderts in drei Zonen,
sogenannte Rayons, unterteilt, die
sich von der vordersten Verteidigungslinie aus ringförmig um die
Stadt legten. Im 1. Rayon durften
überhaupt keine Wohnhäuser gebaut werden. Im 2. Rayon war die
Bauweise auf das Fachwerk beschränkt. So kam es, daß die frühesten massiven, zu Wohnzwecken
genutzten Baulichkeiten erst im 3.
Rayon entstanden. Die eigentlich
wichtige Phase für die Entstehung
eines neuen Stadtteiles begann im
letzten Drittel des 19. Jahrhunderts
Abb. 4
Der Weg ins Stadtfeld im Jahr 1904, Blick von der Innenstadt in
und nahm nach Abschaffung der
Richtung Ulrichstor; im Hintergrund ist das Gebäude der Wilhelma-Versicherungs
Rayongesetzte 1891 einen rasanten
anstatt zu sehen
Aufschwung. Während sich für das
Das Gebiet des im Westen der Stadt Magdeburg gele- Jahr 1871 erst 114 Wohngrundstücke nachweisen lasgenen Stadtteiles Stadtfeld, welches seit der Errichtung sen, wohnten 1886 bereits fast 6.000 Menschen im
der Festungsanlagen auch als Feld vor dem Ulrichs- Stadtfeld. Bis 1890 waren es 10.792, im Jahr 1894
tore benannt war, erstreckt sich
über die Feldmarken dreier schon
im Frühmittelalter bezeugter Siedlungen: Harsdorf, Schrottorf und
Rottersdorf. Diese drei Dörfer verschwanden jedoch nach mehrfacher
Zerstörung. Eine erneute, noch
spärliche Besiedlung der Ländereien fand nach dem Westfälischen
Frieden statt. Bis zum 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Nutzung
der außerhalb des Ulrichstores
gelegenen Flächen auf die Landund Viehwirtschaft. Daneben siedelten sich an der Schrote Wassermühlen und über das ganze Stadtfeld verteilt Windmühlen an.
Ab dem Anfang des 19. Jahrhunderts kamen Gewerbebetriebe hinzu. Es lassen sich zum Beispiel Zichorienfabriken und Holzstrecken
nachweisen.
Eine umfangreiche Erweiterung des
Stadtgebietes konnte trotz zunehmenden Platzmangels in der Altstadt nicht erfolgen, da bestehende
Reichs-Rayon-Bestimmungen eine
Bebauung der vor den Festungsan-
Abb. 5
Die Karte zeigt einen Ausschnitt des Großen Diesdorfer Weges (Große
Diesdorfer Straße) aus dem Jahr 1873; der Weg in Nord-Süd-Richtung ist die
heutige Liebermannstraße
12
Abb. 6
STADTFELD SÜD
Das neue Straßensystem für das Stadtfeld, Plan von 1890, rote Einzeichnungen eventuell erst 1893
13
die Anzahl der massiven Häuser
und ihrer Bewohner im Jahr 1875
auf dem im 3. Festungsrayon gelegenen Teil der Straße hervor. Zusätzlich enthält diese Quelle allgemeine Angaben über die Entwicklung der Straße. 1858 wurde die
Große Diesdorfer Straße als Chausseezug mit einem 16 Fuß breiten
Steinpflaster versehen. Sie hatte ein
Materialienbankett, einen Sommerweg und seitliche Gräben. 1868 erfolgte die Aufstellung von 36 Öllampen. An der Nordseite ließ die Stadt
1874 einen gepflasterten Fußweg
von 1,25 m Breite anlegen. Zu dieser Zeit lagen zwischen der Grenze
zum 1. Rayon, in der Nähe des Militärbegräbnisplatzes, und dem EnAbb. 7
Der Hofjäger am Adelheidring, Karte 1905 gestempelt
ckeschen Grundstück etwa 40 be15.783,1900 21.913 und 1910 32.898 Einwohner. 1892
baute Grundstücke. Im 3. Festungsrayon standen dawurde das Stadtfeld zu Ehren des deutschen Kaisers
von folgende in massiver Bauweise ausgeführte Gein Wilhelmstadt umbenannt.
bäude.
1)
Die ältesten Wege durch das Stadtfeld sind auch heute
noch die wichtigsten und die den Stadtteil am meisten
prägenden Straßen. Vom Ulrichstor aus führte im 19.
Jahrhundert eine Straße nach Olvenstedt, ein Weg nach
Diesdorf und ein zweiter nach Hohendodeleben. Eine
Nord-Süd-Verbindung bestand unmittelbar im Anschluß
an die Festungsanlagen, entlang des Glacis (Ringstraße, heute Adelheidring und Sachsenring). Von den drei
Straßen in Ost-West-Richtung, heute Olvenstedter Straße, Große Diesdorfer Straße und Liebknechtstraße, bestimmen in unserer Zeit in Bezug auf Verkehr und Belebung durch Geschäfte vornehmlich die beiden nördlichen das Wohngebiet. Die in Nord-Süd-Richtung angelegten Straßen und die Plätze, Olvenstedter Platz
und Schellheimerplatz, treten gegenüber den genannten Hauptachsen in den Hintergrund.
Für die frühen baulichen Unternehmungen waren die
Verbindungswege das wichtigste Kriterium. Aus einem
1898 geführten Streit um die Bezeichnung der Großen
Diesdorfer Straße als „historische" Straße, woran die
Festlegung von Bauvorschriften gebunden war, gehen
Besitzer
Bewohnerzahl
Grünwald i. Wernigerode (an der Querstraße)
6
Schneider, Akkordeonfabrik
4
Encke, Parkettfabrik
0
Wilhelm, Restaurateur
1
Hoffmann, Zimmermeister
15
Heyer, Steinsetzer
2
Heyer, Arbeiter
0
Krampe, Viehhändler und
Müller & Weichsel Nachf.
1
Pohlmann, Fleischermeister, Annacker, Privatmann,
und Klipp, Zimmermann
3
Schulz, Nähmaschinenfabrik
1
Graban, Bäckermeister
im Bau
Ergang, Fabrikant
14
Schwarz, Lackfabrik
2
Laue, Lackfabrik
3
Lorenz geb. Stärke
3
Abb. 8 Werbeanzeige aus dem Magdeburger Adreßbuch von 1914
14
STADTFELD SÜD
schoben worden war. Der Abriß erfolgte erst 1930. An der südlichen
Seite schloß sich unmittelbar der
sog. Hofjäger an, ein großes Garten- und Saaletablissement mit
Cafe, Restaurant und Kegelbahnen. Eine alte Postkarte zeigt die
Anlage um die Jahrhundertwende
(Abb. 7). Ebenfalls am Adelheidring
gelegen, am Anfang der Großen
Diesdorfer Straße, steht das Gebäude der Freddrichs Gaststätten.
Die ehemals um den Eingang verteilten Tische waren ursprünglich
durch eine dichte Bepflanzung von
der Straße abgeschirmt (Abb. 9).
An der Stelle, wo die GerhartHauptmann-Straße auf den AdelAbb. 9
Ansicht der Freddrichs Gaststätten Ecke Große Diesdorfer Straße und
heidring
trifft, lag ein weiteres LoAdelheidring, 1945 (?)
kal, das den Krieg nicht überlebte.
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erfolgte eine Eine alte Aufnahme zeigt das Gebäude des Herrn Carl
gezielte Straßenplanung für den neu entstandenen Plagens mit dem Glacis-Restaurant, früher GerhartHauptmann-Straße 66 (Abb. 10).
Stadtteil (Abb.6).
Im Jahr 1900 bestanden neben den genannten alten
Verbindungswegen erst wenige neu befestigte Straßen, so die Kleine Diesdorfer Straße (Vorgängerin der
Wilhelm-Külz-Straße) und die Kleine Straße am Toepfferschen Park. Die jüngeren Straßen waren der Sedanring (heute Westring) zwischen der Großen Diesdorfer Straße und der Spielhagenstraße (damals noch
die nicht ausgebaute Kleine Diesdorfer Straße), die
Annastraße bis zum Schellheimerplatz und in ostwestlicher Richtung die Hans-Löscher-Straße zwischen
Westring und Annastraße (damals
Belfortstraße).
Das Stadtfeld scheint schon sehr
früh bei Magdeburger Bürgern als
Naherholungs- und Ausflugsziel beliebt gewesen zu sein, wofür zahlreiche Tabagien und Kegelbahnen
sprechen. Hierfür war die Gegend
um die Schrote und nach Entstehen des neuen Stadtteiles auch die
Nähe des Glacis prädestiniert. Einige Überbleibsel der vielen Restaurants und Etablissements am
Adelheidring sind noch heute zu
sehen. Direkt in Nähe des Damaschkeplatzes, auf dem Grundstück des jetzigen Gebrauchtwagenhändlers, befand sich das Etablissement Stadt Köln, das anläßlich der Erweiterung der Festungsanlagen 1868 - 1872 hierher ver-
Abb. 10 Das Glacis-Restaurant Gerhart-Hauptmann-Straße 66,
Aufnahme vom 27.7.1943
15
RAYONHÄUSER
Aus der Zeit der Rayongesetze, die
für den zweiten Rayongürtel nur
Häuser in Fachwerkbauweise vorsahen, sind ein paar Zeitzeugen in
der Wilhelm-Külz-Straße, in der
Kleinen Straße und an der Liebknechtstraße erhalten geblieben.
LIEBKNECHTSTRASSE 26
Zu den frühesten Vergnügungsstätten im Stadtfeld gehörte zweifelsohne die seit 1846 in den Bauakten nachweisbare Tabagie mit
Kegelbahn der Müllerwitwe Ahrendt
auf dem späteren Grundstück
Liebknechtstraße 26, damals im
Stadtfelde 1. Das noch vorhandene, direkt an der Straße stehende
Fachwerkhaus wurde 1864 vom
zweiten Ehemann der Witwe, von
Müllermeister Heinrich Schönfuß,
erbaut. Es erhielt die Maße von 40
Fuß Länge und 35 Fuß Breite, außerdem zwei Etagen mit einer lichten Höhe von 9 Fuß. Der Balkenkeller bekam eine Tiefe von 7 Fuß.
Unter dem mit Ziegeln gedeckten
Dach wurden zwei Giebelstuben
eingerichtet. Ausführende waren
der Maurermeister Strube und der
Zimmermeister A. Dietel aus Sudenburg. Zusätzlich ließ der Müller
einen Stall und eine separate
Abb. 11 Liebknechtstraße 26, Querschnitt und Grundrisse des 1864 gebauten
Wohnhauses
Waschküche errichten. Die Windmühle des Bauherrn
und ein dazugehöriges Göpelwerk lagen im Osten des
langgestreckten Grundstückes, noch im 1. Festungsrayon.
Abb. 12 Liebknechtstraße 26, Situationszeichnung der
Kegelbahn und eines älteren Wohnhauses 1846
Abb. 13
Liebknechtstraße 26, Ansicht von der Straße
16
STADTFELD SÜD
Die am bestehenden Bau festzustellenden Veränderungen wurden
1898 durchgeführt. In diesem Jahr
entstanden der Vorbau an der rechten Seite des Wohnhauses, welcher
im Erdgeschoß als Windfang und
in der 1. Etage als offener Balkon
ausgeführt ist, und die überhängende, hölzerne Giebelkonstruktion an
der Straßenseite. Die Veranda hinter dem Haus wurde erst 1912 angefügt.
Abb. 14 Liebknechtstraße 26,
Abbildung der Ostfassade aus dem
Jahr 1912
Abb. 15 Liebknechtstraße 26,
Blick von Osten
17
LIEBKNECHTSTRASSE 14
Das prächtigste Beispiel des noch
vorhandenen Fachwerkbestandes
im südlichen Stadtfeld stellt das Gebäude in der Liebknechtstraße 14
dar. An den ursprünglichen Besitzer
Richard Toepffer, Ingenieur und Vertreiber von Dampfpflügen, erinnert
noch der heutige Straßenname
Toepfferspark. Er erklärt sich aus
der ursprünglich ca. 13 Morgen großen Anlage, deren Gestaltung 1884
der städtische Gartenbaudirektor
Niemeyer übernahm.
„Das Toepffersche Grundstück ist
begrenzt: im Osten von der Ringstraße im Magdeburger Stadtfelde,
im Norden von der Kleinen Straße,
im Westen von dem Kloseschen
Grundstücke und im Süden von
dem Mühlensteige. Es wird beabsichtigt auf dem Toepfferschen
Grundstück eine Anpflanzung von Abb. 16 Liebknechtstraße 14, Lageplan des Grundstückes aus dem Jahr 1910
Büschen und Bäumen zu Promenadenzwecken anzulegen und den
Platz in der Mitte desselben zu einem Versuchsfelde te die Ausführung des erst 1890 begonnenen Gebäudes bis 1891. Das zweigeschossige, 13 m hohe und
für Dampfpflüge einzurichten."
18,48 x 26,58 m große Fachwerkhaus mit ZiegelausDer größte Teil des Grundstückes lag noch im 1. Ray- mauerung erhielt eine Schiefer- und Pappeindeckung.
on. Die Villa errichtete Toepffer nach Plänen des Bau- Die Fundamente wurden in Ziegelsteinen gelegt.
meisters H. Cornelius im unmittelbaren Anschluß an
den Grenzverlauf zwischen 1. und 2. Rayon. Zwar wur- Nach Einstellung des Toepfferschen Betriebes änderte
de der Bauantrag schon 1885 eingereicht, doch dauer- sich mit den unterschiedlichen Besitzern - zuerst Druidenheim Baugenossenschaft, später schweizerische Unfallversicherungsgesellschaft in Winterthur,
dann Stadtgemeinde Magdeburg auch die Nutzung des Gebäudes.
Nach dem Krieg war es vorübergehend ein Säuglingsheim, danach
Kindergarten und später Gästehaus
der SED. Die Parzellierung und
Bebauung der Parkanlage mit überwiegend Ein- und Zweifamilienhäusern erfolgte spätestens in den 30er
Jahren.
2)
Abb. 17 Liebknechtstraße 14, Fassadenentwurf, Gartenansicht
18
STADTFELD SÜD
Abb. 18 Liebknechtstraße 14,
Grundriß der Villa, Obergeschoß
Abb. 19 Liebknechtstraße 14, Querschnitt
Abb. 20 Liebknechtstraße 14,
Konstruktion des nicht erhaltenen Turmes
Abb. 21 Liebknechtstraße 14,
Blick von der Straße
19
MASSENWOHNUNGSBAU BIS ZUM 1. WELTKRIEG
ZUR GESCHICHTE DES MIETSHAUSES
Obwohl bereits im Mittelalter und bis in das 18. Jahrhundert hinein ein bestimmter Teil der Stadtbevölkerung in gemieteten Wohnungen wohnte, war dennoch
der Typ des Wohnhauses überwiegend von der Nutzung durch den Hauseigentümer bestimmt. Die mittlere Belegungsdichte eines mittelalterlichen Hausgrundstückes betrug etwa sieben bjs acht Personen und stieg
im 18. Jahrhundert in den großen deutschen Städten
wie Berlin auf etwa drei bis vier Familien mit zusammen 15 - 17 Personen. Eine Steigerung der Belegungsdichte ließ sich durch zunehmende Errichtung von Hintergebäuden auf den Hof- und Gartenteilen der Grundstücke ermöglichen, so daß hier auch die ersten ausschließlich für Vermietungen gedachten Haustypen entstanden. Überwiegend handelte es sich dabei um zweiund dreigeschossige, einhüftige Seitengebäude, die auf
jeder Etage rechts und links am Treppenhaus zwei Wohnungen mit Küche und Stube enthielten.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts setzte eine große Bevölkerungszuwanderung in die Städte ein, die eine
Überbelegung des Wohnraums verursachte und die
Errichtung von Mietshäusern begünstigte. Zwar war
schon im 18. Jahrhundert der Bau von zwei- und dreigeschossigen Wohnhäusern aus repräsentativen Gründen vom preußischen König Friedrich II. begünstigt
worden, doch trat das eigentliche Mietshausproblem
erst mit der Bevölkerungsexplosion in den Städten hervor. Von nun an ging es nicht mehr um die Vermietung
überschüssiger Räume, sondern um die Schaffung von
Wohnraum für viele Familien. In Magdeburg war der
Bau von Mietshäusern wegen des bestehenden Festungsgürtels und der somit begrenzten Grundfläche
nicht ohne weiteres möglich. Noch 1905, als seit der
Aufhebung der Rayonvorschriften schon ein paar Jahre vergangen waren und ein Großteil der Wilhelmstädter Baugrundstücke erschlossen und bebaut war, be-
Abb. 22 Wasserpumpe am Schellheimerplatz
Abb. 23 Gaslaterne am Schellheimerplatz
20
STADTFELD SÜD
vom Treppenhaus her üblich, der als Zwischenglied die
einzelnen Räume der Wohnung miteinander verband
und gleichzeitig als Eingangsraum zur Wohnung vom
Treppenhausflur aus diente. Diese dunklen Flure erhielten entweder durch Glas in den Türen oder in den
Feldern oberhalb der Türen spärliches Licht und konnten nicht direkt belüftet werden. Das Ende der bis zur
Brandmauer durchgezogenen Flure beherbergte nach
Einführung von Wassertoiletten im Gebäude nicht selten in einem Verschlag die ebenfalls unbelichteten Aborte, bis man diese später neben die Küchen verlegte
und mit Hilfe von Rohglasscheiben über die Speisekammer hinweg mit Licht versorgte.
Abb. 24 Detail der Gaslateme am Schellheimerplatz mit
dem Magdeburger Stadtwappen und der Jahreszahl 1882
trug die Wohndichte in Magdeburg im Durchschnitt
35,23 Menschen pro Wohngebäude und nahm somit
hinter Berlin in Deutschland den zweiten Platz ein.
3)
Die Frage nach der Unterbringung der höchstmöglichen
Zahl von Wohnungen als Grundlage für die Bebauung
trat dominierend in den Vordergrund. Hier konnten nur
technische Grenzen, bau- und feuerpolizeiliche Bestimmungen und die Notwendigkeit des Zuganges zu Luft
und Licht einer völligen Überbauung der Grundstücke
Einhalt gebieten. Bei den frühen Mietshäusern hatten
die Wohnungen oftmals nur einen beheizbaren Raum,
manchmal auch zwei, in der Regel war jedoch nur die
Küche mit einem Ofen ausgerüstet. Die Toiletten lagen
im Hof über den Sickergruben. Nicht jeder Wohnung
stand ein eigener Wasserhahn zur Verfügung, Doppelfenster gehörten nicht zum Standard, ebensowenig eine
ausreichende Beleuchtung. Seit der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts wurde der Zwischenflur als Stichflur
Während im Erdgeschoß zur Verbesserung der Mieteinnahmen häufig Läden und Werkstätten eingerichtet
waren, wurden die Wohnräume des 1. Obergeschosses zumindest im Vorderhaus manchmal bevorzugt ausgestattet und hatten dementsprechend auch die größte Raumhöhe vorzuweisen. Diese nahm mit zunehmender Geschoßzahl ab. Die kleineren Wohnungen für die
einfacheren Wohnbedürfnisse lagen in den oberen Etagen und den Hinter- und Seitenhäusern. Sie waren
häufig mit Etagentoilette ausgestattet, während in den
Vorderhäusern jeder besseren und größeren Wohnung
eine eigene Toilette zugeordnet war. Erstreckte sich eine
Wohnung über Teile des Vorderhauses bis in den Seitenflügel, so lagen die repräsentativen Zimmer zur Straße hin ausgerichtet und die Nebenräume im Seitenflügel. Zum verbindenden Glied wurde das Berliner Zimmer, das in der dunklen Ecke im Übergangsbereich von
Vorder- und Seitenhaus lag und nur durch den Winkelpunkt her belichtet werden konnte. Dieses Durchgangszimmer diente meistens als Speisezimmer odpr als eigentliches Wohnzimmer. Lag die Küche im Seitenflügel, war sie häufig durch eine zusätzliche hintere Treppe erreichbar.
Ging es Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts bei der Diskussion um die Wohnungsnot in erster
Linie um den Mangel an kleineren Wohnungen, so stand
zu Beginn der 90er Jahre die Qualität der Wohnungen
und ihre Nutzung im Mittelpunkt der Gespräche um das
Wohnungselend. Man beklagte zunehmend die schlechten hygienischen Verhältnisse, gesundheitliche Auswirkungen von Keller- und Dachwohnungen und die Überbelegung von Wohnraum mit einer hohen Gefahr für
Cholera und Tuberkulose.
Aus der Zeit kurz nach 1900 bis zum 1. Weltkrieg hat
man es deshalb meistens mit anspruchsvolleren Wohnanlagen zu tun. Die Ausstattungsunterschiede zwischen
Vorder- und Hinterhauswohnungen verwischten sich,
Bäder gehörten zur Standardeinrichtung, ebenso Mädchenzimmer. In zunehmendem Maße traten Architek-
21
ten in Erscheinung, während die früheren Bauten überwiegend in der
Hand kommerzieller Bauunternehmer lagen. Für die Wilhelmstadt gilt,
daß bis zum Jahr 1900 weniger als
10 % aller Mietshäuser Architekten
zuzuordnen sind, während in der
Zeit nach 1900 bis zum 1. Weltkrieg
um die 50 % von namentlich genannten Architekten erbaut wurden.
Einige wenige aus der Zeit vor 1900
sind Otto Genze, Cornelius und
Jaehn, Paul Schrader, P. Geimer
und Otto Eilenstein. Daneben traten
als Bauausführende die Baufirmen
Sack und Co. und Brandt und Brunkow auf. Für das Stadtfeld wichtige
oder häufig anzutreffende Namen
aus späterer Zeit sind G. Blume,
Walther Förster, Heinrich Geiling, G.
Grote, Bartel Hanftmann, Ferdinand
Heres, Fritz Reichel, Robert Rogge,
Otto Schlieder, Alfred Schmelzer,
Max Suppeina und Maximilian
Worm. Hierdurch wird ersichtlich,
daß wir es insbesondere bei den
Mietshäusern des Historismus mit
einer Masse von Häusern zu tun
haben, die bis hin zur Fassade keinen künstlerischen Anspruch erhoben und daher auch nicht in den Veröffentlichungen wie Bauzeichnungen
und Fotomappen erschienen sind.
Dafür spricht auch die nicht selten
veränderte oder kleinteiligere Ausführung des ursprünglich eingereichten Fassadenentwurfes.
Abb. 25 Pfändungsprotokoll aus der Bauakte Lessingstraße 23
22
STADTFELD SÜD
FORTGANG DER BEBAUUNG IM SÜDLICHEN STADTFELD
wie aus Mietpfändungen und
Zwangsversteigerungen der halb
fertiggestellten Wohnhäuser herauszulesen ist.
Erste große Mietshäuser im südlichen Stadtfeld entstanden ein paar
Jahre später als im nördlichen Teil,
dennoch ebenfalls schon kurz vor
Aufhebung der Rayongesetze 1891.
Zeugen einer älteren, massiven Bebauung vor Beginn der großen
Mietshauswelle, wie sie in der Liebermannstraße noch stehen, sind
im südlichen Stadtfeld nicht zu finden.
Ab 1889 sind Bauanträge für mehrstöckige Wohnhäuser im 3. FeAbb. 26 Arndtstraße, Beispiel für die lokomotivmäßige Bebauung
stungsrayon zu verzeichnen, die jedoch vorerst noch vereinzelt und für
„Im Westen der Stadt, jenseits des Glacis, entstand um zum Teil verstreute Bauplätze eingereicht wurden. Das
1900 ein neuer Stadtteil, der wie in vielen anderen Groß- Entstehen des neuen Stadtteiles war auf die vorhanstädten das sogenannte „vornehme" Viertel bildete. denen Straßen beschränkt. Zu den bereits 1889 beanLeider wurde in dieser Zeit auch das Stadtbild im wil- tragten Bauten gehören die Wohnhäuser Hans-Löscherhelminischen Prunkstil verschandelt. Das reichgewor- Straße 20 und 22, Schenkendorfstraße 9, die vier Häudene Großbürgertum wollte durch Repräsentationsbau- ser Annastraße 23, 26, 31 und 32 und das Haus am
ten, wie sie uns heute noch im Hauptpostgebäude, Ju- Schellheimerplatz 1. Der Bauherr des Letzteren erhielt
stizpalast und Denkmalen z. T. erhalten sind, seine jedoch erst Mitte 1890 eine Bauerlaubnis. An der Großen Diesdorfer Straße 203 entstand 1889 das FabrikMacht demonstrieren."
4)
Die Vorstellung von der Verschandelung durch den historistischen
Stil, wie er in diesem Zitat aus einem Katalog des Kulturhistorischen
Museums aus dem Jahr 1960 zum
Ausdruck kommt, entwickelte sich
bereits um die Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert und hielt sich erstaunlich lange. Auch muß die Zuschreibung der in der Gründerzeit
entstandenen Wohnbauten an das
reichgewordene Großbürgertum
nach Untersuchung des vorhandenen Gebäudebestandes revidiert
werden, handelt es sich doch bei
den Bauherren zum überwiegenden
Teil um mittelständische Kleinunternehmer und Handwerksmeister aus
dem Baugewerbe, die sich von der
vorherrschenden Wohnungsnot
Profit erhofften. Nicht selten war ihre
eigene Existenz dabei gefährdet,
Abb. 27 Matthissonstraße; einheitlich erstreckt sich das Relief der Fassaden
mit ihren gleichartigen Erkern über die ganze Straßenlänge; Beispiel für die
lokomotivmäßige Bauweise
23
und Wohnhaus des Kaufmanns B. Trenckman. Eine
größere Zahl an Gebäuden wurde ab 1890/91 am Westring, damals große Ringstraße, und entlang dem südlichen Teil der Annastraße vor dem Schellheimerplatz
errichtet.
Anfangs durfte bei Wohnhäusern fünfstöckig gebaut
werden. Mit der 1893 erschienenen Bauverordnung
änderten sich die Vorschriften dahingehend, daß jetzt
nur noch vier zum dauernden Aufenthalt von Menschen
bestimmte Geschosse, nebst einem bewohnbaren Zimmer im Dachgeschoß, zugelassen waren. Als maximale Gebäudehöhe waren 20 m erlaubt. An Straßen bis
zu 9 m Breite durfte sogar nur dreigeschossig gebaut
werden. 1896 kamen mit Einführung einzelner Bauzonen - man unterschied zwischen altstädtischer
Bebauung (violette bzw. graue
Zone), äußerer Bebauung mit altstädtischen Hofgrößen (gelbe
Zone), äußere Bebauung mit erweiterten Hofgrößen (weiße Zone), Bebauung mit Bauwich (grüne Zone)
und Fabrikbebauung - weitere Änderungen hinzu, welche die bauliche Gestalt der neuen Wohnquartiere entscheidend veränderten und
neben Angaben für Hofgrößen und
Abstände zwischen den Gebäuden
die später vielgeschmähte, sogenannte lokomotivähnliche Bebauung ermöglichten. Hiermit ist eine
teils dreistöckige, teils vierstöckige
Bauweise innerhalb eines Gebäudes gemeint, die durch einen auf
70 m beschränkten Ausbau des
Dachgeschosses zurückzuführen
ist. Im Stadtfeld sind ganze Straßen einheitlich in dieser Art bebaut
worden.
ring, begrenzt im Norden durch die Hans-Löscher-Straße und im Süden von der Liebknechtstraße. Hier dauerte es bis ins vierte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts,
bis die noch freien Bauplätze geschlossen wurden. Dabei sind zwei Phasen festzustellen, zum einen die bis
zum 1. Weltkrieg entstandenen Wohnhäuser, zum anderen große, in den 30er Jahren für Baugenossenschaften errichtete Wohnblöcke.
Nachkriegsbauten aus den 50er Jahren, System Calbe, sind in der Großen Diesdorfer Straße, der Gerhart-Hauptmann-Straße und der Bakestraße zu finden.
2
Bis in die ersten Jahre nach der
Jahrhundertwende wurden flächendeckend Wohnhäuser an neu angelegten Straßen errichtet. Beispiele für eine zügige und einheitlich geschlossene Bebauung dieser Zeit
sind insbesondere die Arndt- und
Matthissonstraße. Für die Matthissonstraße wurden sämtliche Bauanträge in nur zwei Jahren, 1901
und 1902, eingereicht.
Eine Ausnahme bildet das Stück
westlich der Achse Winckelmannund Annastraße und dem West-
Abb. 28 Situation im Stadtfeld Ende der 20er Jahre (Ausschnitt)
24
STADTFELD SÜD
Abb. 30 Lindenbäume in der Schenkendorfstraße, Aufnahme vom 19.7.1940
Das Areal des ehemaligen Toepfferspark mit angrenzenden Grundstücken im Norden, westlich derTangente
und nördlich der Liebknechtstraße, ist ebenfalls erst in
den 30er Jahren bebaut worden. Hier stehen fast ausschließlich Ein- und Zweifamilienhäuser.
Abb. 29 Blick vom Schellheimerplatz in die Annastraße,
Aufnahme vom 19.7.1940
Abb. 31 Bunkerbau am Schellheimerplatz
25
BAUKONSTRUKTION
Der Rohbau
Zu den Rohbauarbeiten sind die
Ausschachtung der Fundamente,
das Auf mauern der Wände, die Herstellung der Decken, Treppen und
des Daches in den Rohmaterialien
Ziegel, Holz, Kalk und Sand zu zählen.
Arbeitskräfte gab es reichlich, zumal
für viele Handlangerarbeiten keine
spezielleAusbildung notwendig war.
Nach Beendigung der Rohbauarbeiten mußte eine erste Abnahme beantragt werden.
Die Wände
Die Magdeburger Bauordnung bestimmte, daß Wände, auf denen
Balken ruhen sollen, massiv auszuführen seien, womit man eine Fachwerkbauweise ausschloß.
Die tragenden Wände der großen
Mietshäuser sind ausschließlich aus
Backsteinen gemauert und meistens verputzt, manchmal auch verklinkert. Die Stärke der Mauern
nimmt nach oben hin ab. Die Gesamthöhe der Gebäude wurde
durch die Bauordnung in Abhängigkeit von der Straßenbreite geregelt,
während für die einzelnen Geschosse Mindesthöhen galten, die jedoch
in der Regel weit überschritten wurden. Die leichten, später auf die
Decken aufgesetzten Trennwände
wurden einen Stein stark gemauert
und kamen anfangs auch als Fachwerkwände vor, die man dann durch Abb. 32 Dokument über die Rohbauabnahme des Mietshauses Annastraße 37
Rabitzwände ersetzte. Rabitzwän- aus dem Jahr 1893
de bestehen aus einem angespannten Drahtgewebe als Putzträger und
einem Putzüberzug aus Gips, gemischt mit Kalkmörtel und Kälberhaaren.
Massivdecken
Übliche Maße bei vier- oder fünfstöckigen Bauten am
Beispiel Annastraße 30:
Die Umfassungswände sind in massivem Mauerwerk
aus Ziegelsteinen aufgeführt. Im Keller und im Erdgeschoß beträgt ihre Stärke 65 cm, im 1. und 2. Obergeschoß 52 cm, im 3. und 4. Obergeschoß 39 cm und im
Dachgeschoß 26 cm.
5)
Vor der Entwicklung der Kleineschen Decke 1892 und
auch noch einige Zeit danach wurden Massivdecken
im Wohnungsbau vor allem als flache Tonnengewölbe,
sogenannte preußische Kappen, aus Vollsteinen oder
Stampfbeton hergestellt. Da Massivdecken nicht vom
Hausschwamm befallen werden können und außerdem
einen höheren Feuerwiderstand als Holzbalkendecken
aufweisen, wurden sie vorwiegend über Kellern, in
26
Abb. 33
STADTFELD SÜD
Preußische Kappen
Treppenhäusern, aber auch unter Bädern und Küchen
angebracht. Für den Wohnungsbau boten sich gegenüber halbkreisförmigen oder gedrückten Tonnengewölben die preußischen Kappen wegen ihrer geringen Pfeilhöhe von einem Achtel bis einem Zwölftel der Spannweite an. Die Bauhöhe der Decken sollte möglichst niedrig gehalten werden.
Abb. 35 Kräfte am Widerlager einer
preußischen Kappe Fh Horizontal kraft
Gewölbeschub; Fv Vertikalkraft
Gewölbe werden auf Druck beansprucht und leiten
senkrechte Lasten etwa in Richtung der Wölbung zu
den Widerlagern. Auf die Widerlager wirken horizontale und vertikale Kräfte ein. Aufgrund der geringen
Pfeilhöhe bei den preußischen Kappen ist der Gewölbeschub (die horizontal wirkende Kraft) immer größer als die senkrecht wirkende Kraft. Wenn zwei Kappen aufeinanderstoßen, welche die gleiche Spannwei-
Abb. 34 Querschnitt des Wohnhauses Annastraße 34,
1894, preußische Kappen im Keller und im Treppenhaus
te und Belastung aufweisen, hebt sich der Gewölbeschub beider Kappen auf. Nur an den Seiten der überwölbten Fläche muß der Gewölbeschub durch besondere bauliche Maßnahmen abgefangen werden. Für
die maximale Spannweite der Kappen ist die Festigkeit der Ziegel und Steine maßgeblich. Sie hängen
entweder auf I-Trägern, Gurtbögen oder Wandmauerwerk.
Auf der Oberseite wurden die Kappen meistens mit
Beton und Aufschüttungen aus Sand oder Schlacke
abgeglichen, die Unterseiten dagegen so verputzt, daß
die Kappen sichtbar blieben. Sollte ein Treppenhaus
mit Stuck verziert werden oder die Untersicht einfach
flach sein, konnten Holzleisten auf die Flanschen der
I-Profile aufgelegt werden. An den Holzleisten konnte
man wiederum eine Unterdecke befestigen.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts nahmen zusehends neue Deckenkonstruktionen überhand. Hier ist
vor allem die Förstersche Decke zu nennen (möglicherweise nach einem Patent der Magdeburger Baufirma und Ziegelei Förster). Die Ziegel der FörsterDecke verzahnen sich ineinander, weshalb sie auch
27
Abb. 36
Förster-Decke
für unbewehrte Steindecken eingesetzt werden konnten. Andere häufig anzutreffende Systeme sind u. a.
das System Richter und das System Westphal.
Holzbalkendecken
Der konstruktive Aufbau eines Gebäudes mit tragenden
Außenwänden und Mittelwand und dem massiv ummauerten, ausgesteiften Treppenhaus bildete das Grundgerüst. Auf diesen Wänden lagen die Holzbalken der Dekken auf, deren Traglänge von ca. 6 m die Gebäudetiefe
einerseits, die Tiefe der Zimmer andererseits vorgab.
Die Raumbreite blieb dabei variabel und wurde nur durch
den Balkenabstand und den Abstand der Fenster bestimmt.
Entfielen im Keller- oder Erdgeschoß Trenn- bzw. Mittelwände, mußten gußeiserne Säulen die Stützfunktion
der Balkendecken übernehmen (Abb. 40 u. 41).
Abgesehen von den massiven Decken sind bis zum 2.
Weltkrieg noch alle Geschoß- und
Dachgeschoßdecken als Holzbalkendecken mit Zwischendecken aus
Lehm-, Sand- und Schlackenauffüllung konstruiert worden. Ihre Unterseiten wurden anschließend geschalt, gerohrt und geputzt. Gegenüber den Massivdecken waren die
Holzbalkendecken billiger, leichter,
wohnlicher und erforderten eine geringere Konstruktionshöhe. Außerdem boten sie einen guten Schallund Wärmeschutz. Als Nachteile
mußten der große Holzbedarf, die
Feuergefahr und ein möglicher Befall durch tierische und pflanzliche
Holzschädlinge in Kauf genommen
werden.
Gewöhnlich legte man die Balken im
rechten Winkel zur Außenwand,
nach der Tiefe des Gebäudes, um
Abb. 37
Deckenhohlstein Förster
so eine Unterstützung durch die Mittelwand zu erhalten
und die Aussteifung des Gebäudes zu fördern. Manchmal bedingten Grundriß, Gestaltung und Raumabmessung Balkenlagen parallel zur Außenwand. Hierdurch
konnte gleichzeitig bei wechselseitiger Anordnung der
Balken, entweder parallel oder im rechten Winkel zu den
Umfassungswänden, in mehrstöckigen Gebäuden die
Außenwand entlastet werden. Die Verankerung der Balkenlagen erfolgte durch schmiedeeiserne Balken- oder
Kopfanker sowohl mit den Frontmauern als auch mit
den Giebelmauern. Kopfanker können im Mauerwerk
liegen, aber auch davor, an der Außenseite der Fassade, und als Zieranker ausgebildet sein. Erhaltene Beispiele dieser Zieranker sind an der Fassade GerhartHauptmann-Straße 64 zu sehen (Abb. 42).
28
STADTFELD SÜD
ten oder eine dem Verbrennen Widerstand leistende
Abdeckung gegen schnelles Erglühen geschützt ist.
Treppen aus Kunststein, Zementbeton oder Zementstufen sind überall da ausgeschlossen, wo erhöhte Anforderungen an die Sicherheit der Treppen zu stellen
sind, insbesondere in allen Fabrikgebäuden und in solchen Wohngebäuden, welche bei mehr als zwei Stockwerken über dem Erdgeschoß für jede Wohnung nur
direkten Zugang zu einer unverbrennlichen Treppe erhalten sollen.
Auf Verlangen der Polizeiverwaltung muß die Tragfähigkeit usw. nachgewiesen werden.
Als feuersicher ist eine Treppe anzusehen, wenn sie,
auch ohne daß dieselbe nach Vorstehendem aus unverbrennlichen Stoff hergestellt ist, von unten auf von
massiven Wänden, welche bis zur Decke über dem Austritt hochgeführt sind, eingeschlossen ist und wenn ihre
Läufe, Podeste und Decken unterhalb geschalt und mit
Mörtelputz bekleidet sind. Die Länge des feuersicheren Zugangs von jedem Raume der oberen Geschosse darf zu den Treppen 25 m nicht übersteigen.
Abb. 39 Holzbalkendecke: Bohlenbalkendecke
mit Kreuzhölzern um 1900
Treppenanlagen - Auszug aus der Magdeburger
Bauordnung von 1893
§ 41. Jedes mehrgeschossige Gebäude muß zwischen
den einzelnen Geschossen eine ausreichende Verbindung durch Treppen haben (...).
In der Regel müssen die zur Verbindung der Geschosse dienenden Treppen bis zum Dachboden durchgeführt werden. Ausnahmen hiervon sind nur zulässig,
wenn nach dem Ermessen der Baupolizei die Zugänglichkeit des Dachraums anderweit ausreichend gesichert ist.
§ 42. Treppen gelten als unverbrennlich, wenn deren
tragende Teile in Läufen und Podesten von unten auf
bezw. von der Kellersohle an in unverbrennlichem Material ausgeführt sind und wenn sie zwischen massiven bis zur Dachfläche emporgeführten Wänden und
unter unverbrennlicher Decke liegen. Treppen aus Eisen gelten als unverbrennlich, wenn die Oberfläche der
eisernen Stufen in geeigneter Weise durch Steinplat-
Abb. 40 Konstruktionszeichnung einer in Pfeilermauerwerk
eingebetteten, gußeisernen Säule, Liebknechtstraße 30
29
Abb. 41 Große Diesdorfer Straße 210, Querschnitt durch das Niederlagegebäude,
in Keller und Erdgeschoß sind gußeiserne Säulen als Stützen der Balkendecken eingetragen.
30
STADTFELD SÜD
Zugänge zu den Treppen gelten als feuersicher, wenn
dieselben gleichfalls mindestens 1 m breit sind und die
diese Zugänge begrenzenden Wände massiv oder mit
Rohrputz verkleidet sind. Die über den feuersicheren
Zugängen liegenden Balkendecken müssen zum Wenigsten verschalt und mit Rohrputz verkleidet sein.
§ 43. Jedes Geschoß mit zum Aufenthalte von Menschen bestimmten Räumen, deren Fußboden 2 bis 7
m über dem Erdboden liegt, muß mindestens zu einer
feuersicheren Treppe einen direkten feuersicheren Zugang erhalten; liegt der Fußboden solcher Räume mehr
als 7 m über dem Erdboden, so muß eine unverbrennlichen Treppe mit einem feuersicheren Zugang angelegt werden. An Stelle einer unverbrennlichen Treppe
können zwei feuersichere Treppen mit feuersicheren
Zugängen gestattet werden. (...)
Abb. 42 Schmiedeeiserner Zieranker an der Fassade
Gerhart-Hauptmann-Straße 64
Alle Treppenläufe, welche als unverbrennliche oder als
feuersichere gelten sollen, müssen außerdem mindestens 1 m nutzbare Breite haben.
Bretterwände, Verschläge und ähnliche Unterbauten,
mit Ausnahme der Verschläge von Kellereingängen,
sind unter solchen Treppen nicht zulässig.
Dacheindeckung
Für die Eindeckung der Dächer gab es unterschiedliche Möglichkeiten. Bei den Wohnhäusern mit leicht
nach hinten abfallendem Pultdach kam durchweg einfache Dachpappe zur Anwendung. Die Bauherren der
Mietshäuser mit den vorgetäuschten Mansardendächern bevorzugten für die an der Straße sichtbaren
Dachflächen und für Erker und Gauben Dachpfannen
oder Biberschwänze, während bei den zum Hof gelegenen, nicht sichtbaren Dachflächen die Abdeckung mit Teerpappe beibehalten wurde.
„Die gewöhnlichen Dachsteine, die
sog. Biberschwänze haben die Form
Fig. 571 (Abb. 44) und hat das in
Deutschland neu eingeführte Format
derselben 40 Centim. Länge, 15 Centim. Breite und 12 Millim. Stärke: sie
werden auf Latten als Spliess-, Doppel- und Kronendach eingedeckt;
beim Spliess- und Doppeldach verwendet man 6 : 4, beim Kronendach
7 : 5 Centim. starke Latten. In Fig. 572
ist A die Eindeckung eines Spliess-,
B die eines Doppel- und C die eines
Kronendaches.
Abb. 43 Konstruktionszeichnung für ein feuerfestes Treppenhaus,
Wilhelm-Kobelt-Straße 16
Das Spliessdach wird ca. 20 Centim. weit gelattet, und es sind pro
• Meter Dachfläche ca. 35 Biberschwänze erforderlich. Die Stossfugen werden durch 4 Millim. dicke, 5
Centim. breite Holzbrettchen, sog.
Splisse, geschlossen, die man aus
31
Beim Kronendach liegen auf jeder Latte doppelte Dachsteinreihen, wodurch die Steine theilweise 4fach übereinander zu liegen kommen (...). Dieses Dach wird ca.
26 Centim. weit gelattet und erfordert pro • Meter
Dachfläche ca. 55 Stück Steine, wozu für alle drei Dächer noch für Bruch ca. 5 % mehr erforderlich werden.
Abb. 44 Biberschwanzeindeckungen
astfreien Blöcken von der Dachsteinlänge spaltet; diese Brettchen halten in ihrer Dicke zugleich die Lagerfugen offen, welche von unten mit Mörtel verstrichen
werden. An der unteren Kante sind die Dachsteine
aus dem Grunde abgerundet, damit das Wasser von
den Stossfugen abgehalten wird. Sowohl am First wie
an der Traufe werden bei diesem wie auch beim Doppeldache doppelte Reihen Dachsteine eingedeckt,
weil an diesen Stellen etwaige Reparaturen beschwerlich sind.
Das Doppeldach erhält ca. 14 Centim. weite Lattung
und erfordert pro • Meter Dachfläche ca. 50 Dachsteine; hierbei überdeckt jeder Stein noch den 3. unter ihm
liegenden und da die Steine im Verband eingedeckt
werden, so sind hierbei keine Splisse erforderlich.
Das Spliessdach ist von diesen drei Eindeckungen das
leichteste und billigste, aber auch das am wenigsten
dichte und am meisten reparaturbedürftige. In Bezug
auf Schwere und Dichtigkeit ist das Doppel- und Kronendach ziemlich gleich; das erstere erfordert mehr
Latten, das letztere dagegen mehr Steine."
(Handbuch der Hochbau-Construktion in Eisen und
anderen Metallen, 1876)
6)
Putz und Fassaden
Den Beginn der Putzarbeiten setzte die Baupolizei durch
die Rohbauabnahme fest. Ihre Ausführung geschah in
Kalkmörtel, bei besserer Qualität auch mal in verlängertem Zementmörtel oder hydraulischem Kalk. Beim
Putzen der in Backstein gemauerten Gesimse, Pilaster
und anderen Gliederungen wurde dem Gips Kalkmörtel zugesetzt, um die einzelnen Teile schärfer ausarbeiten zu können. Bei größeren Ausladungen und an
Abb. 45 Konstruktionszeichnung für die Befestigung von Erkerkonsolen, Arndtstraße 4
32
STADTFELD SÜD
Verkröpfungen benötigten einzelne Fassadengliederungselemente leichte Eisenkonstruktionen zur Unterstützung. Eiserne Nägel und Bankeisen hielten kleine
Konsolen des Hauptgesimses und Schlußsteine, Strebeeisen die größeren Konsolen und Kragsteine von
Baikonen und Erkern. Die ornamentierten Fassadenteile wurden als Gipsstuck nachträglich angesetzt. Diese
konnten auch aus Zementguß oder gebranntem Ton
hergestellt werden. Die weit ausladenden Teile der
Hauptgesimse sind fast durchweg aus Holz gefertigt
und an den Zangen der Drempelwand verankert worden. Sämtliche hervortretende und dem Regen ausge-
Abb. 46 Zeichnung für die Tragkonstruktion des Erkers, Westring 6
setzte Gesimsteile deckte man mit Zinkblech ab. Daneben gab es die Möglichkeit, besonders von der Witterung bedrohte Einzelteile wie Figuren, Vasen, Attiken
etc. ganz aus Zink zu gießen oder aus Zinkblech auszustanzen.
Der Fassadenentwurf wurde teils mit Hilfe von Vorlagebüchern erstellt oder nur ungefähr vom Bauherrn und
Baumeister vorgegeben und dann per Katalog ausgewählt. Die geputzten Fassaden erhielten nach dem Austrocknen einen haltbaren Ölfarbenanstrich.
33
Abb. 47 Gebräuchliche Konstruktionen von Gesimsschalungen um 1890
Ein Rezept für die Herstellung von Stuck
„Masse für Stuckornamente
Die Masse besteht aus:
WO Teilen Gips
50Teilen Schlämmkreide
7,5 Teilen Caput mortuum
0,5 Teilen Karbolsäure
5,5 Teilen Dertrin
Änderungen in der quantitativen Zusammensetzung
sind immer zulässig, so daß in weiter Fassung die Masse zu bezeichnen wäre als enthaltend auf WO Teile
Gips:
40 - 60
Teile Schlämmkreide
5 - 15
Teile Dertrin
7,5 Teile Caput mortuum
0,5 Teile Karbolsäure
den danach auch die Formen entsprechend länger. Auf
die erste dünne Lage werden alsdann Hanffasern aufgelegt, mit einem straffen Pinsel eingedrückt und wieder mit der Masse bestrichen. Bei einfachen schmalen
Leisten wird dann eine, bei breiten Stücken werden zwei
bis drei oder noch mehr Holzleisten hinten aufgelegt
und sorgfältig mit der Masse bestrichen. Diese Holzleisten, etwa 4 bis 6 cm breit und 1 bis 2 cm stark, sind
aus astfreiem Kiefernholz gefertigt und werden einige
Tage vor Verwendung in Dertrinlösung gelegt. Sie verbinden sich dadurch leicht mit der Masse und trocknen
gleichmäßig mit dieser zusammen. Endlich wird hinten
in ganzer Breite ein Streifen grober Leinwand aufgelegt und wieder mit der Masse verstrichen. Die Befestigung an Ort und Stelle geschieht durch Holzschrauben, welche durch die eingelegten Holzleisten gezogen werden."
7)
Die Bestandteile werden innig gemischt und die Masse
ebenso wie feiner Gips und Wasser angerührt und dann
in möglichst dünner Lage in die geölte Leim- oder Gipsform, ganz wie man sie bei der Herstellung von Gipsabgüssen verwendet, gestrichen. Man kann den Formstücken bedeutend größere Längen geben und wer-
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STADTFELD SÜD
TYPISCHE GRUNDRISSBEISPIELE MAGDEBURGER MIETSHÄUSER
VOM HISTORISMUS BIS ZUM 1. WELTKRIEG
Der sehr komplexe Bereich städtischen Wohnbaus zur
Zeit des Historismus und auch in der nachfolgenden
Periode bis zum 1. Weltkrieg entstand in geschlossenen, oft einheitlich konzipierten Reihen und über gleichartig geschnittenen Grundstücken. Aufgrund dieser Tatsache bietet sich vor allem für die mit beiden Giebeln
aneinanderliegenden Mietshäuser und deren Grundrißformen eine Typisierung an.
Typ A besteht aus einem Verbund aus Vorderhaus,
Seitenflügel und Hintergebäude, wobei sich zwei Varianten unterscheiden lassen: Variante 1 aus Vorderhaus,
rechtem Seitengebäude und Hinterhaus und Variante
2 aus Vorderhaus, linkem Seitenbau und Hintergebäude. Beide Varianten schließen sich in der Regel über
zwei Grundstücke hinweg zu einem kastenförmigen
Baugefüge zusammen, das in der Mitte einen längsrechteckigen Hof umgrenzt. Um zu den Hintergebäuden zu gelangen, muß eine Durchfahrt im Erdgeschoß
vorhanden sein. Schließt sich an das Hinterhaus ein
zweiter Hof oder Garten an, so enthält auch dieses eine
Durchfahrt. Üblich sind außerdem insgesamt zwei bis
drei Treppenhäuser, entweder in jedem Bauteil eines
oder eins vorne und ein zweites für Hinterhaus und Seitenhaus zusammen (Abb. 53, linke Hälfte).
Typ B umfaßt zwei rechteckige, voneinander unabhängige Baublöcke, die sich als Vorder- und Hinterhaus
hintereinander staffeln. Dabei war es wegen der Tiefe
der Grundstücke manchmal möglich, als dritten Baukörper noch ein niedrigeres Werkstatt- oder Stallgebäude, auch mit Gesellenwohnungen im Obergeschoß, anzuschließen. Dieses letzte Gebäude ist wiederum durch
zwei Durchfahrten und über die beiden Innenhöfe hinweg erreichbar.
In einem Fall ist im Stadtfeld ein dreifach gestaffeltes
Wohnhaus entstanden, in dem auch im zweiten Hintergebäude Wohnungen eingerichtet worden sind. Bei der
Wohnhausanlage Liebknechtstraße 48 reihen sich auf
einem 56 m tiefen Grundstück ein 12 m tiefes Vorderhaus, ein 10,95 m tiefes Mittelgebäude und ein nur 5 m
tiefes Hintergebäude hintereinander (Abb. 48). Die dazwischenliegenden Höfe weisen eine Tiefe von 12 m
(1. Hof) und 16,05 m (2. Hof) auf.
Als Drittes hat sich Typ C, bestehend aus Vorderhaus
und einem unterschiedlich langen, seitlichen Flügel
herausgebildet, der jedoch immerhin so lang ist, daß
hier meistens ein zweites Treppenhaus und eigenständige Wohnungen untergebracht werden können. Typisch für diese Bauform wie für alle Mietshäuser mit
Abb. 48 Grundrißtyp B, Liebknechtstraße 48, Erdgeschoß
35
Abb. 49 Grundrißtyp C, Winckelmannstraße 7, Erdgeschoß
direkt anschließendem Seitenflügel
ist das sogenannte Berliner Zimmer,
ein dunkler Eckraum an der Grenze
von Vorder- und Seitengebäude. Er
dient bei Wohnungen, die teils im Vorderhaus, teils im Seitenhaus liegen,
als Durchgangszimmer zu den hinteren Räumlichkeiten (Abb. 49).
Typ D umfaßt ein Hauptgebäude mit
seitlichem, kurzem Anbau, in dem
sich zu den Wohnungen im Vorderhaus gehörige Nebenzimmer befinden. Von Vorder- und Seitengebäude im eigentlichen Sinne kann deshalb keine Rede sein. Eine Durchfahrt ist nicht unbedingt erforderlich.
Typ E umschreibt einen U-förmigen
Grundriß mit zentrierter Durchfahrt
im Erdgeschoß (Abb. 50). Am vorgestellten Beispiel ordnen sich alle
Räume symmetrisch zur Durchfahrt
an. Jeweils rechts und links des Treppenhauses befindet sich eine Wohnung, die bis in die hintere Ecke des
Seitenflügels reicht.
Abb. 50 Grundrißtyp E, Annastraße 34, 1. Obergeschoß
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