Landeshauptstadt Magdeburg Stadtplanungsamt Magdeburg Stadtfeld Süd Stadtplanungsamt Magdeburg Mitarbeiter: Hans-Reinhard Adler Christa Anger Peter Anger Birgit Arend Amir Badnjevic Heidrun Bartel Roswitha Baumgart Monika Bohnert Sylvia Böttger Wolfgang Buchholz Klaus Danneberg Renate Dilz Sybille Dirschka Wilma Ebeling Gabriele Eschholz Klaus Eschke Jutta Fittkau Hannelore Friedrich Hans Gottschalk Margot Gottschalk Gabriele Grickscheit Marlies Grunert Andrea Hartkopf Hans-Georg Heinecke Anette Heinicke Ingrid Heptner Sabine Hlous Heinrich Höltje Wilfried Hoffmann Gudrun Hunger Wolfgang Jäger Heinz Jasniak Heinz Karl Krista Kinkeldey Hannelore Kirstein Jutta Klose Helga Körner Brigitte Koch Dr. Günther Korbel Christa Kummer Peter Krämer Thomas Lemm Marlies Lochau Bernd Martin Konrad Meng Helmut Menzel Angelika Meyer Heike Moreth Bernd Niebur Doris Nikoll Corina Nürnberg Heinz-Joachim Olbricht Dr. Carola Perlich Dr. Eckhart W. Peters Dirk Polzin Liane Radike Jörg Rehbaum Karin Richter Dirk Rock Burkhard Rönick Jens Rückriem Karin Schadenberg Hannelore Schettler Katharina Schmidt Günter Schöne Monika Schubert Helga Schröter Klaus Schulz Joachim Schulze Hannelore Seeger Britta Seil Rudolf Sendt Siegrid Szabö Heike Thomale Judith Ulbricht Wolfgang Warnke Rolf Weinreich Astrid Wende Burkhard Wrede-Pummerer Marietta Zimmermann Bisher erschienene Dokumentationen der Gutachten des Stadtplanungsamtes 1990 Workshop • Die Zukunft des Magdeburger Stadtzentrums • 1/93 Strukturplan 2/93 Verkehrliches Leitbild 3/93 Das Landschaftsbild im Stadtgebiet Magdeburgs ein Beitrag zum Flächennutzungsplan 4/95 Teilflächennutzungsplan Rothensee 5/93 Sanierungsgebiet Buckau - Städtebaulicher Rahmenplan 5/93 Kurzfassung Stadtsanierung Magdeburg-Buckau 6/93 Städtebaulicher Ideenwettbewerb • Domplatz Magdeburg • 7/93 Workshop • Nördlicher Stadteingang • 8/93 Städtebaulicher Denkmalschutz 9/93 Radverkehrskonzeption 10/93 Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV-Konzept) 11 /93 Workshop • Kaiserpfalz • 12/94 Kleingartenwesen der Stadt Magdeburg 13/94 Hermann-Beims-Siedlung 14/94 Siedlung Cracau I 15/94 Städtebauliche Entwicklung 1990-1994 16/95 Gartenstadtkolonie Reform 17/94 Schlachthofquartier 18/I/94 Die Napoleonischen Gründungen Magdeburgs Sozio-urbane Untersuchungen 18/II/94 Die Napoleonischen Gründungen Magdeburgs Zur Baugeschichte in der Neuen Neustadt 18/III/94 Die Napoleonischen Gründungen Magdeburgs Zur Baugeschichte in der Sudenburg 19/94 Die Anger-Siedlung 20/94 Bruno Taut - eine Dokumentation 21/95 Stadtteilentwicklung Ottersleben 22/94 Die Curie-Siedlung in Neustadt 23/94 Gartenstadtsiedlung Westernplan 24/95 Fachwerkhäuser in Magdeburg 25/95 Stadtteilentwicklung Rothensee 26/95 Gartenstadt Hopfengarten 28/94 Magdeburg Bundesgartenschau 1998 - Rahmenplan 29/94 Workshop • Siedlungen der 20er Jahre der Stadt Magdeburg • 30/95 Südwestliche Stadterweiterung 31/I/95 Parkanlagen der Stadt Magdeburg 32/I/95 Stadtfeld Nord 32/II/95 Stadtfeld Süd 33/95 Magdeburger Märktekonzept 34/95 Sozialistischer Städtebau 35/95 Siedlungsentwicklung Westerhüsen 36/95 Tempo 30 - Verkehrsberuhigung in Magdeburg 37/95 Siedlung Fermersleben 38/95 Gartenstadt- und Erwerbslosensiedlungen Lindenweiler, Kreuzbreite, Eulegraben 39/I/95 Kommunalgeschichte Magdeburgs Weimarer Republik 39/II/95 Magdeburgs Aufbruch in die Moderne 41/95 Stadtteilentwicklung Olvenstedt 42/95 Stadtsanierung Magdeburg-Buckau 43/I/95 Nationalsozialistischer Wohn- und Siedlungsbau 44/95 Klimagutachten für das Stadtgebiet Magdeburgs ein Beitrag zum Flächennutzungsplan 45/95 Genossenschaftswesen Magdeburgs 46/95 Industriegeschichte Magdeburgs 47/95 Workshop • Universitätsplatz • 48/I/II/95 Symposium BRUNO TAUT 49/95 Gutachterverfahren Elbe-Bahnhof 50/95 Stadtteilentwicklung Cracau-Prester 51/95 Gründerzeitliche Villen Magdeburgs Landeshauptstadt Magdeburg Stadtplanungsamt Magdeburg Stadtfeld Süd Die historische und architekturgeschichtliche Entwicklung eines Magdeburger Stadtteils Sabine Ullrich Lückenbebauung im Stadtfeld Friedrich Jakobs 2 STADTFELD SÜD GRUSSWORT 3 GRÜNDERZEIT IN MAGDEBURG 4 Vorbemerkung 10 DIE GESCHICHTE DES STADTFELDES 11 RAYONHÄUSER Liebknechtstraße 26 Liebknechtstraße 14 15 15 17 MASSENWOHNUNGSBAU BIS ZUM 1. WELTKRIEG Zur Geschichte des Mietshauses Fortgang der Bebauung im südlichen Stadtfeld Baukonstruktion Typische Grundrißbeispiele Magdeburger Mietshäuser vom Historismus bis zum 1. Weltkrieg Statistische Angaben zu Bautätigkeit und Wohnsituation im Stadtfeld am Beispiel des Jahres 1904 19 19 22 25 34 38 AUSGEWÄHLTE BEISPIELE AUS DEM WOHNUNGSBAU Annastraße 30 - ein fünfgeschossiges Wohnhaus Eckhaus Liebknechtstraße 30 und Arndtstraße 26 Ein Projekt der Baufirma Brandt & Brunkow Gehobene mittelständische Einfamilienhäuser in der Gerhart-Hauptmann-Straße Westring 8 und 10 - Wohnhäuser mit Läden Adelheidring 17 Ein ausgezeichnetes Bauprojekt: Wilhelm-Külz-Straße 10 und Hans-Löscher-Straße 28 Schellheimerplatz 9 Wilhelm-Kobelt-Straße 5 Eine Maßnahme der Stadt zur Minderung der Wohnungsnot (Westring 36 - 46 a) 40 40 42 44 46 49 51 53 55 56 59 DETAILS AM MIETWOHNUNGSBAU VOM HISTORISMUS BIS ZUM ERSTEN WELTKRIEG Fensterarchitekturen an Mietshäusern Fensterkreuze und Jalousieblenden Haustüren und -tore Ladenfronten Treppenhausfenster und Türverglasungen Wandfliesen Durchfahrten und Aufgänge Fenstergitter Balkongitter aus Metall Vorgarteneinfriedungen Kleinprojekte in Holzbauweise 62 62 66 67 70 72 76 76 77 78 79 82 FABRIKATIONSSTÄTTEN UND INDUSTRIEANLAGEN 85 ANHANG Wichtige Adressen im Stadtfeld, aus dem Adressbuch von 1914 (Stadtfeld Nord und Süd) Geänderte Straßennamen (Stadtfeld Nord und Süd) Alte und neue Straßennamen und ihre Herleitungen (Stadtfeld Nord und Süd) 94 94 94 95 Literaturauswahl 97 LÜCKENBEBAUUNG IM STADTFELD 99 DER SCHELLHEIMERPLATZ 105 STADTFELDER BILDERBOGEN 110 Abbildungsnachweis 113 3 GRUSSWORT Liebe Leserinnen und Leser, Was in keinem Geschichtsbuch steht, können Sie in dieser Broschüre des Stadtplanungsamtes nachlesen: Wie lebten die Magdeburger vor einhundert Jahren? Aus welchen Materialien bauten sie ihre Häuser? Warum griffen sie auf Stilelemente früherer Epochen zurück? Wie sahen Wohnungsgrundrisse und -ausstattung aus? Die Dokumentation zur städtebaulichen und architekturgeschichtlichen Entwicklung des Stadtfeldes antwortet auch auf solche Fragen. Sie mögen banal scheinen, sind es aber keineswegs. Immerhin haben wir heute sehr genaue Vorstellungen darüber, wie unsere Wohnung und das Wohnumfeld aussehen sollen, was uns wichtig ist, und worauf wir verzichten können. Das sollte uns gelegentlich einige Überlegungen darüber wert sein, mit welchen Ansprüchen und technischen Möglichkeiten unsere Vorfahren die Häuser errichteten, in denen wir heute noch immer wohnen. Die Broschüre zum Stadtfeld-Süd ergänzt die Dokumentation zum nördlichen Stadtfeld. Beide beschreiben die baugeschichtlichen und architektonischen Besonderheiten eines Magdeburger Stadtviertels. Und weil diese Besonderheiten nur aus dem Wechselspiel der großen zeitgeschichtlichen Strömungen und der Bedingungen vor Ort erklärbar sind, beschreibt diese Broschüre auch ein Kapitel Heimatgeschichte. Es ist - wie schon in den Veröffentlichungen über andere Magdeburger Stadtteile und Siedlungen - nicht nur die Frage nach dem „Was" und dem „Wie", sondern auch die Frage nach dem „Warum", der die Autorin nachgeht. Und gerade das macht diese Dokumentation für den Architekten, Baufachmann oder Stadtplaner wie für den Historiker und geschichtlich interessierten Bürger gleichermaßen interessant. Dr. Willi Polte Oberbürgermeister 4 STADTFELD SÜD GRÜNDERZEIT IN MAGDEBURG Dort, wo in Magdeburg Fabrikschlote rauchten und industrielle Arbeitsstätten ausgebaut wurden, begann die neue Zeit. An diese neuen Arbeitsstätten, an dieses Wachstum der neuen Industriezweige band sich die Hoffnung der Magdeburger auf Wohlstand oder zumindest auf Verbesserung der Existenz durch regelmäßige Arbeit. Die Arbeiter verbrachten sechzehn Stunden am Tag in der Fabrik. Zur Fabrikbelegschaft gehörten in erster Linie ehemalige Landarbeiter, weiterhin Bauern, die ihr Land aufgegeben hatten, bankrotte Handwerker, Frauen (in manchen Sektoren über die Hälfte der Beschäftigten) und selbst Kinder unter 14 Jahren. Die Arbeitsbedingungen waren für den heutigen Menschen unvorstellbar schlimm: Lärm, Erschütterungen, schlechte Luft und unzureichende Aus Statistisches Jahrbuch 1935: Bevölkerungsentwicklung sanitäre Bedingungen beanspruchten den arbeitenden Menschen bis an die äußerste Grenze der Erträglichkeit. Die Wohnverhältnisse wa- Im Zuge der Industrialisierung Magdeburgs setzte eine explosionsartige Erweiterung vieler Magdeburger Beren erdrückend. (s. ausf. Günther Korbel in: Die napoleonischen Gründun- triebe ein. Siebzig Jahre nach der Gründung der ergen Magdeburgs, Heft 18, 1994). sten Fabriken war der entscheidende Sprung zur Industrialisierung schließlich auch in Deutschland vollzogen. Die Fabrik wurde nunmehr über „Kapital, Arbeit und Leistung" definiert und zu dem Zweck gegründet, mit mechanischer Kraft möglichst große Produktmengen zu erzielen. Zilles Milljöh war auch in Magdeburg Die Gründerzeit im engeren Sinne begann unmittelbar nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich, also in den Jahren von 1871 bis 1873. Gemäß des Friedensschlusses von Versailles mußte Frankreich dem Deutschen Reich die gewaltige Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Francs zahlen. Diese unter den damaligen Verhältnissen unglaublich hohe Summe wurde auch tatsächlich in überraschend kurzer Zeit bezahlt. Diese Reparationsgelder riefen eine übertriebene Spekulation hervor; allein 5 Plan vom Stadtfeld aus dem Jahr 1922 in Preußen wurden 1871/72 etwa achthundert neue Aktiengesellschaften gegründet (in den hundert Jahren davor waren es gerade knapp dreihundert). In Magdeburg erwarb die Kommune zwischen der Danzstraße und der Sternstraße vom preußischen Militärfiskus für sechs Millionen Mark neue Flächen der ehemaligen Festungsanlagen und verkaufte diese Parzellen als Bauland. Zuerst wurde die Generalkommandantur des IV. Armee-Korps in der Augustastraße (heute Hegelstraße) gebaut, dann setzte eine fieberhafte Spekulation ein; der Quadratmeter Bauland wurde mit 233 Mark angeboten. Jedoch schon wenig später (1873) rief ein allgemeiner Kurssturz den Zusammenbruch zahlreicher Gründungen und Unternehmungen hervor. Mit dieser großen Depression endete die Gründerzeit im engeren Sinne. Nach der Depression von 1873 sanken die Zinssätze ganz erheblich; langfristiges Geldkapital wurde zu günstigen Bedingungen reichlich angeboten und diese preiswerten Finanzierungsmöglichkeiten bildeten eine der Ursachen für einen neuen Aufschwung, der an der „Südfront" Magdeburgs, im Stadtfeld - der späteren Wilhelmstadt und heute wieder Stadtfeld - und später an der „Nordfront" deutlich nachzuweisen ist. Die Bautätigkeit wurde angeregt und nur so ist jenes Phänomen der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu erklären, als die Bauherren der mehrgeschossigen, eindrucksvollen Bauten in der Mehrzahl kleine Handwerksmeister waren. Nicht nur in den Stadtteilen, sondern auch in den ländlichen Randgemeinden setzte eine dynamische Entwicklung ein. Die Architektur war dem Historismus verpflichtet; maßgebend waren die Stilformen der Neoromanik, Neogotik, Neorenaissance und des Neobarock. Später folgten der Jugendstil, der Werkbund und auch das Bauen der 20er Jahre. Das Mauerwerk der Häuser war außerordentlich solide - meistens verputzt und selten verklinkert -, die Räume (Vorderhaus) waren hoch und licht, günstig angeordnet und geräumig (im Gegensatz zu den Hinterhäusern). Wäre dieser Wohnraum in den vergan- 6 STADTFELD SÜD Darüber hinaus wurden die Quartiere mit breiten Strassen, mit vielfältigem Pflaster, Fuß- und Radwegen, Baumreihen und Plätzen gegliedert, je nach ihrer städtebaulichen Bedeutung. Interessanterweise wurde die Wilhelm-Külz-Straße, wie die alte kleine Diesdorfer Straße hieß, mit einem kleinen Platz auf den Dom orientiert. Bruno Taut hat diese Achse über die Spielhagenstraße in seiner Grünzone der Hermann-Beims-Siedlung Richtung Westen fortgesetzt. Restauriertes Haus am Westring genen Jahrzehnten angemessen saniert und modernisiert worden, stünden heute mehrere tausend schöne Wohnungen zur Verfügung. Plan von 1889 mit Flurformen Nur wenige Reste aus der Zeit vor der Flurbereinigung, ToepffersPark, der Militärfriedhof und wenige Gebäude aus dem vorigen Jahrhundert, sind erhalten geblieben. Die Landvermesser, Spekulanten, Architekten und Stadtplaner bestimmten den schachbrettartigen Aufbau Stadtfelds. Äußere bestimmende Anknüpfungspunkte neben der Eisenbahn und den Festungsbauten gab es 7 wenige, die Schrote wurde mit ihrem Bachbett verlegt (leider später in Teilbereichen verrohrt), die wenigen Grünflächen wurden erhalten und die oftmals schmalen, gewundenen Streifenfluren wurden zu Blockfluren zusammengelegt. Bis auf wenige handwerkliche und gärtnerische Betriebe waren die Flächen landwirtschaftlich genutzt. Erst zum Ende des vorigen Jahrhunderts setzte eine deutliche Wandlung ein. Stadtfeld entwickelte sich als das „Beamtenviertel Magdeburgs" (1894 waren es von 15783 Einwohnern 795 Beamte), wobei im Erdgeschoß in den Vordergebäuden viele Geschäfte untergeschoben waren. Die Hinterhöfe waren darüber hinaus oft mit kleinen und mittelgroßen Handwerks- und Produktionsstätten belegt. Liebknechtstraße mit Blick auf den Dom. Plan aus der Gründerzeit (Stadtführer von 1922) Neben den gründerzeitlichen Wohnhäusern wurden auch öffentliche Gebäude, wie Schulen, Pflege- und Altersheime und die Provinzial- Hebammen- Lehr- undEntbindungsanstalt Landesfrauenklinik in der Gerhart- 8 STADTFELD SÜD Hauptmann-Straße, errichtet. Hier erblickten viele Magdeburger das Licht der Welt und erfreulicherweise hat die Landesfrauenklinik heute nicht an Bedeutung verloren. Die Jahrzehnte ab 1880 werden als Gründerzeit im weiteren Sinne verstanden. Es waren gleichzeitig jene Jahre, in denen mit dem Durchbruch der Elektrotechnik die zweite Industrialisierungsphase begann. Die Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs (Straßenbahnen) beschleunigte den innerstädtischen Verkehr, die Einführung des Glühlichts (Edison 1878) verbesserte die Beleuchtung und der Fernsprecher schuf ein neues Netz der individuellen Kommunikation. Neue Ämter und öffentliche Gebäude entstanden, private Haushalte und Büros sowie Fabriken erhielten die entsprechenden Einrichtungen. Es darf dennoch nicht übersehen werden, daß während des gesamten Zeitraums von der südlichen und nördlichen Stadterweiterung und der Bebauung Stadtfelds bis zum Ersten Weltkrieg die beiden Krisen von 1847/48 und 1873 nicht die einzigen geblieben sind. Im zweiten Halbjahr des Jahres 1900 setzte eine Rezession ein, wie es sie seit dem „Gründerkrach" im Jahre 1873 nicht mehr gegeben hatte. (Siehe ausführlich Günther Korbel, „Die napoleonischen Gründungen Magdeburgs", Heft 18, 1994, S. 26). Originelle Lokale haben sich im Stadtfeld wieder angesiedelt und bereichern die Infrastruktur. Der nächste Konjunkturaufschwung, der sich im Verlauf des Jahres 1904 abgezeichnet hatte, führte dann 1905 zu einem erneuten steilen Aufschwung der Produktion - zu Lasten vieler kleiner Zulieferbetriebe. Erst zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam es wieder zu einer bemerkenswerten Krise („Kriegsstoß"). Sie war die Folge von Mobilmachung, Unterbrechung der Lieferbeziehungen, vorsichtiger Verfügung bei Absatzplanungen, bei Kauf und Kreditgewährung, allgemein aber auch eine Fortwirkung der ohnehin rezessiven Tendenzen des Jahres 1914. Die Gründerzeit in Deutschland war beendet. Die Architektur der Gründerzeit ging einen schweren Weg der Anerkennung. Sie stand noch vor zwanzig Jahren in keinem guten Ruf. „Die Großbourgeoisie sei zu keinem eigenen Stil fähig gewesen", so urteilte der Sozialismus (auch in Westdeutschland sind im großen Umfang bis zu den 70er Jahren die gründerzeitliche Gebäude vernachlässigt worden), und plante den flächendeckenden Abriß alter Stadtteile, um neue Stadtviertel bauen zu können. So auch in der DDR bis in die 70er Jahre. Allerdings fehlten für ein flächendeckendes „Aufräumen" Geld und Baukapazitäten. So blieb das Übernommene stehen, wenn auch als Stiefkind des Städtebaus und dem zunehmenden Verfall 9 ausgeliefert. Mit Beginn des Wohnungsbauprogrammes in den 70er Jahren am Rande des Stadtgebietes kam es zu einer Entvölkerung der gründerzeitlichen Viertel. 1981 verzeichnete die Stadt einen Rückgang von 35 % der Einwohner, unmittelbar in den Wohnquartieren um den Hasselbachplatz waren es sogar 5 1 % . (VWGZ vom 1.1.1981) Die Ursachen für die Bevölkerungsfluktuation lagen vorwiegend in der desolaten Bausubstanz, den großen Wohnungen mit der mangelhaften Ausstattung sowie dem vernachlässigten Wohnumfeld, wobei nur wenige Kriegsschäden und wenige Baulücken zu verzeichnen waren. Hinter- und auch Vorderhäuser hinterließen einen trostlosen Eindruck. Viele Bewohner Magdeburgs verließen die alten Stadtgebiete und zogen in die technisch gut ausgestatteten Neubausiedlungen im Süden, Südwesten, Norden und Nordwesten der Stadt. Heute gelangt die Architektur der Gründerzeit zu neuen Ehren. Dazu trägt auch ein neues Verständnis bei. Bemerkenswert ist das Interesse vieler Bauherren, die Geld investieren, um auch zu „heilen", d. h., die die verlorengegangenen Fassadenqualitäten wiederherstellen. Ursprünglich waren 27 Gebiete der Stadt als Sanierungsgebiet beantragt worden, jedoch sind durch das Land Sachsen-Anhalt nur das südliche Stadtzentrum und Buckau genehmigt worden, später folgten die Friedrichstadt und die Anger-Siedlung. Die Entwicklung in den letzten fünf Jahren hat den Verfall der letzten Jahrzehnte gestoppt, neue Gebäude füllen die Baulücken, eine neue Gründerzeit hat begonnen. Die heute noch vorhandene Zellenstruktur und die oftmals geklärten Besitzverhältnisse führen zu relativ schnellen Investitionen (siehe Stadtfelder Bilderbogen). Das Stadtfeld entwickelt sich und gewinnt neben typischen deutschen Lokalen wie „Kartoffelhaus No. 1" oder „Zobi" auch durch die internationale Küche - chinesich, griechisch, türkisch, italienisch usw. Der Magdeburger Architekt Jakobs hat Ideen zur Lükkenbebauung des Stadtfeldes entwickelt. Ausführlich wird dieses Thema bezogen auf das Stadtfeld Süd am Ende des Heftes dokumentiert. Der Schellheimerplatz gehört neben dem Domplatz und dem Universitätsplatz zu den größten Plätzen der Landeshauptstadt und ist von der Zerstörung im 2. Weltkrieg verschont geblieben. Er liegt inmitten der um die Jahrhundertwende entstandenen ehem. Wilhelmstadt, dem heutigen Stadtfeld. Ebenfalls wird dieses Thema am Ende des Heftes ausführlich dokumentiert. Noch sind die Platzwände, die Bürgerhäuser mit ihren Vorgärten erst teilweise saniert, so daß die Schönheit des Platzes nicht voll zur Geltung kommt. Einige Gebäude am Platz sind Baudenkmale im Sinne des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt. Wir denken, das Stadtfeld wird sich - als Wohn- und Geschäftsquartier mit wenigen handwerklichen Betrieben - von dem Zweiten Weltkrieg und auch von den unterschiedlichen Strömungen erholen und wieder zu einer Stimmung finden, die liebenswert ist. Wie alle Städte pulsiert auch Magdeburg im Rhythmus der heute oftmals hektischen Zeit und wird von künftigen Generationen, neuen politischen Ideologien, ökologischen Grenzen des Wachstums, ökonomischen Gedanken und hoffentlich auch von ethischen Grundsätzen geformt werden. Stadtfeld erstrahlt im neuen Glanze. Eckhart W. Peters Klaus Schulz 10 STADTFELD SÜD VORBEMERKUNG Der vorliegenden Publikation liegt eine Untersuchung zugrunde, die sich mit der städtebaulichen und architekturgeschichtlichen Entwicklung des Magdeburger Stadtteiles Stadtfeld beschäftigt. Dabei wurde der Schwerpunkt auf die Zeit des Historismus bis zum 1. Weltkrieg gelegt. Wegen der Vielseitigkeit und Menge des vorhandenen Materials ist eine Zweiteilung in den nördlichen und den südlichen Teil vorgenommen worden, die jedoch beide mit der gleichen Zielstellung untersucht wurden. Zur Bearbeitung des Abb. 1 Blick in die Große Diesdorfer Straße kurz nach der Jahrhundertwende; nach links zweigt die Arndtstraße ab, auf dem freien Platz rechts steht heute das Gebäude der Stadtsparkasse im zweiten Teil auf Abbildungsbeispiele aus dem nördlichen Stadtfeld zurückgegriffen, insofern diese und die dazugehörige Thematik im Band Stadtfeld Nord nicht behandelt sind und eine Ergänzung zum Material des südlichen Stadtfeldes bieten. Abb. 2 Kreuzung dreier Straßen, Blick in Südrichtung; hinter der Litfaßsäule verläuft die Arndtstraße, rechts hinten liegt die Einfahrt in die Lessingstraße, vorne rechts zweigt die Wilhelm-Külz-Straße ab; Postkarte gestempelt 1918 südlichen Teiles galten als Grenzen die Große Diesdorfer Straße, die Liebknechtstraße, der Westring und die Tangente. Für die schriftliche Ausarbeitung von Teil 1 und 2 konnten Wiederholungen nicht gänzlich vermieden werden. Daneben hat sich die Autorin bemüht, einige im ersten Teil nicht oder nur am Rand angesprochene Aspekte im zweiten Teil ausführlicher zu behandeln, um dem Leser einen Anreiz auch zur Lektüre des zweiten Bandes zu bieten und um auf die Vielfalt der erhaltenen Materie hinzuweisen. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird Abb. 3 Blick von der Großen Diesdorfer Straße nach Norden in die Annastraße, im Hintergrund die Pauluskirche, ohne Datum 11 DIE GESCHICHTE DES STADTFELDES lagen gelegenen Grundstücke sehr stark einschränkten. Das Gebiet vor der Stadtmauer war seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in drei Zonen, sogenannte Rayons, unterteilt, die sich von der vordersten Verteidigungslinie aus ringförmig um die Stadt legten. Im 1. Rayon durften überhaupt keine Wohnhäuser gebaut werden. Im 2. Rayon war die Bauweise auf das Fachwerk beschränkt. So kam es, daß die frühesten massiven, zu Wohnzwecken genutzten Baulichkeiten erst im 3. Rayon entstanden. Die eigentlich wichtige Phase für die Entstehung eines neuen Stadtteiles begann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Abb. 4 Der Weg ins Stadtfeld im Jahr 1904, Blick von der Innenstadt in und nahm nach Abschaffung der Richtung Ulrichstor; im Hintergrund ist das Gebäude der Wilhelma-Versicherungs Rayongesetzte 1891 einen rasanten anstatt zu sehen Aufschwung. Während sich für das Das Gebiet des im Westen der Stadt Magdeburg gele- Jahr 1871 erst 114 Wohngrundstücke nachweisen lasgenen Stadtteiles Stadtfeld, welches seit der Errichtung sen, wohnten 1886 bereits fast 6.000 Menschen im der Festungsanlagen auch als Feld vor dem Ulrichs- Stadtfeld. Bis 1890 waren es 10.792, im Jahr 1894 tore benannt war, erstreckt sich über die Feldmarken dreier schon im Frühmittelalter bezeugter Siedlungen: Harsdorf, Schrottorf und Rottersdorf. Diese drei Dörfer verschwanden jedoch nach mehrfacher Zerstörung. Eine erneute, noch spärliche Besiedlung der Ländereien fand nach dem Westfälischen Frieden statt. Bis zum 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Nutzung der außerhalb des Ulrichstores gelegenen Flächen auf die Landund Viehwirtschaft. Daneben siedelten sich an der Schrote Wassermühlen und über das ganze Stadtfeld verteilt Windmühlen an. Ab dem Anfang des 19. Jahrhunderts kamen Gewerbebetriebe hinzu. Es lassen sich zum Beispiel Zichorienfabriken und Holzstrecken nachweisen. Eine umfangreiche Erweiterung des Stadtgebietes konnte trotz zunehmenden Platzmangels in der Altstadt nicht erfolgen, da bestehende Reichs-Rayon-Bestimmungen eine Bebauung der vor den Festungsan- Abb. 5 Die Karte zeigt einen Ausschnitt des Großen Diesdorfer Weges (Große Diesdorfer Straße) aus dem Jahr 1873; der Weg in Nord-Süd-Richtung ist die heutige Liebermannstraße 12 Abb. 6 STADTFELD SÜD Das neue Straßensystem für das Stadtfeld, Plan von 1890, rote Einzeichnungen eventuell erst 1893 13 die Anzahl der massiven Häuser und ihrer Bewohner im Jahr 1875 auf dem im 3. Festungsrayon gelegenen Teil der Straße hervor. Zusätzlich enthält diese Quelle allgemeine Angaben über die Entwicklung der Straße. 1858 wurde die Große Diesdorfer Straße als Chausseezug mit einem 16 Fuß breiten Steinpflaster versehen. Sie hatte ein Materialienbankett, einen Sommerweg und seitliche Gräben. 1868 erfolgte die Aufstellung von 36 Öllampen. An der Nordseite ließ die Stadt 1874 einen gepflasterten Fußweg von 1,25 m Breite anlegen. Zu dieser Zeit lagen zwischen der Grenze zum 1. Rayon, in der Nähe des Militärbegräbnisplatzes, und dem EnAbb. 7 Der Hofjäger am Adelheidring, Karte 1905 gestempelt ckeschen Grundstück etwa 40 be15.783,1900 21.913 und 1910 32.898 Einwohner. 1892 baute Grundstücke. Im 3. Festungsrayon standen dawurde das Stadtfeld zu Ehren des deutschen Kaisers von folgende in massiver Bauweise ausgeführte Gein Wilhelmstadt umbenannt. bäude. 1) Die ältesten Wege durch das Stadtfeld sind auch heute noch die wichtigsten und die den Stadtteil am meisten prägenden Straßen. Vom Ulrichstor aus führte im 19. Jahrhundert eine Straße nach Olvenstedt, ein Weg nach Diesdorf und ein zweiter nach Hohendodeleben. Eine Nord-Süd-Verbindung bestand unmittelbar im Anschluß an die Festungsanlagen, entlang des Glacis (Ringstraße, heute Adelheidring und Sachsenring). Von den drei Straßen in Ost-West-Richtung, heute Olvenstedter Straße, Große Diesdorfer Straße und Liebknechtstraße, bestimmen in unserer Zeit in Bezug auf Verkehr und Belebung durch Geschäfte vornehmlich die beiden nördlichen das Wohngebiet. Die in Nord-Süd-Richtung angelegten Straßen und die Plätze, Olvenstedter Platz und Schellheimerplatz, treten gegenüber den genannten Hauptachsen in den Hintergrund. Für die frühen baulichen Unternehmungen waren die Verbindungswege das wichtigste Kriterium. Aus einem 1898 geführten Streit um die Bezeichnung der Großen Diesdorfer Straße als „historische" Straße, woran die Festlegung von Bauvorschriften gebunden war, gehen Besitzer Bewohnerzahl Grünwald i. Wernigerode (an der Querstraße) 6 Schneider, Akkordeonfabrik 4 Encke, Parkettfabrik 0 Wilhelm, Restaurateur 1 Hoffmann, Zimmermeister 15 Heyer, Steinsetzer 2 Heyer, Arbeiter 0 Krampe, Viehhändler und Müller & Weichsel Nachf. 1 Pohlmann, Fleischermeister, Annacker, Privatmann, und Klipp, Zimmermann 3 Schulz, Nähmaschinenfabrik 1 Graban, Bäckermeister im Bau Ergang, Fabrikant 14 Schwarz, Lackfabrik 2 Laue, Lackfabrik 3 Lorenz geb. Stärke 3 Abb. 8 Werbeanzeige aus dem Magdeburger Adreßbuch von 1914 14 STADTFELD SÜD schoben worden war. Der Abriß erfolgte erst 1930. An der südlichen Seite schloß sich unmittelbar der sog. Hofjäger an, ein großes Garten- und Saaletablissement mit Cafe, Restaurant und Kegelbahnen. Eine alte Postkarte zeigt die Anlage um die Jahrhundertwende (Abb. 7). Ebenfalls am Adelheidring gelegen, am Anfang der Großen Diesdorfer Straße, steht das Gebäude der Freddrichs Gaststätten. Die ehemals um den Eingang verteilten Tische waren ursprünglich durch eine dichte Bepflanzung von der Straße abgeschirmt (Abb. 9). An der Stelle, wo die GerhartHauptmann-Straße auf den AdelAbb. 9 Ansicht der Freddrichs Gaststätten Ecke Große Diesdorfer Straße und heidring trifft, lag ein weiteres LoAdelheidring, 1945 (?) kal, das den Krieg nicht überlebte. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erfolgte eine Eine alte Aufnahme zeigt das Gebäude des Herrn Carl gezielte Straßenplanung für den neu entstandenen Plagens mit dem Glacis-Restaurant, früher GerhartHauptmann-Straße 66 (Abb. 10). Stadtteil (Abb.6). Im Jahr 1900 bestanden neben den genannten alten Verbindungswegen erst wenige neu befestigte Straßen, so die Kleine Diesdorfer Straße (Vorgängerin der Wilhelm-Külz-Straße) und die Kleine Straße am Toepfferschen Park. Die jüngeren Straßen waren der Sedanring (heute Westring) zwischen der Großen Diesdorfer Straße und der Spielhagenstraße (damals noch die nicht ausgebaute Kleine Diesdorfer Straße), die Annastraße bis zum Schellheimerplatz und in ostwestlicher Richtung die Hans-Löscher-Straße zwischen Westring und Annastraße (damals Belfortstraße). Das Stadtfeld scheint schon sehr früh bei Magdeburger Bürgern als Naherholungs- und Ausflugsziel beliebt gewesen zu sein, wofür zahlreiche Tabagien und Kegelbahnen sprechen. Hierfür war die Gegend um die Schrote und nach Entstehen des neuen Stadtteiles auch die Nähe des Glacis prädestiniert. Einige Überbleibsel der vielen Restaurants und Etablissements am Adelheidring sind noch heute zu sehen. Direkt in Nähe des Damaschkeplatzes, auf dem Grundstück des jetzigen Gebrauchtwagenhändlers, befand sich das Etablissement Stadt Köln, das anläßlich der Erweiterung der Festungsanlagen 1868 - 1872 hierher ver- Abb. 10 Das Glacis-Restaurant Gerhart-Hauptmann-Straße 66, Aufnahme vom 27.7.1943 15 RAYONHÄUSER Aus der Zeit der Rayongesetze, die für den zweiten Rayongürtel nur Häuser in Fachwerkbauweise vorsahen, sind ein paar Zeitzeugen in der Wilhelm-Külz-Straße, in der Kleinen Straße und an der Liebknechtstraße erhalten geblieben. LIEBKNECHTSTRASSE 26 Zu den frühesten Vergnügungsstätten im Stadtfeld gehörte zweifelsohne die seit 1846 in den Bauakten nachweisbare Tabagie mit Kegelbahn der Müllerwitwe Ahrendt auf dem späteren Grundstück Liebknechtstraße 26, damals im Stadtfelde 1. Das noch vorhandene, direkt an der Straße stehende Fachwerkhaus wurde 1864 vom zweiten Ehemann der Witwe, von Müllermeister Heinrich Schönfuß, erbaut. Es erhielt die Maße von 40 Fuß Länge und 35 Fuß Breite, außerdem zwei Etagen mit einer lichten Höhe von 9 Fuß. Der Balkenkeller bekam eine Tiefe von 7 Fuß. Unter dem mit Ziegeln gedeckten Dach wurden zwei Giebelstuben eingerichtet. Ausführende waren der Maurermeister Strube und der Zimmermeister A. Dietel aus Sudenburg. Zusätzlich ließ der Müller einen Stall und eine separate Abb. 11 Liebknechtstraße 26, Querschnitt und Grundrisse des 1864 gebauten Wohnhauses Waschküche errichten. Die Windmühle des Bauherrn und ein dazugehöriges Göpelwerk lagen im Osten des langgestreckten Grundstückes, noch im 1. Festungsrayon. Abb. 12 Liebknechtstraße 26, Situationszeichnung der Kegelbahn und eines älteren Wohnhauses 1846 Abb. 13 Liebknechtstraße 26, Ansicht von der Straße 16 STADTFELD SÜD Die am bestehenden Bau festzustellenden Veränderungen wurden 1898 durchgeführt. In diesem Jahr entstanden der Vorbau an der rechten Seite des Wohnhauses, welcher im Erdgeschoß als Windfang und in der 1. Etage als offener Balkon ausgeführt ist, und die überhängende, hölzerne Giebelkonstruktion an der Straßenseite. Die Veranda hinter dem Haus wurde erst 1912 angefügt. Abb. 14 Liebknechtstraße 26, Abbildung der Ostfassade aus dem Jahr 1912 Abb. 15 Liebknechtstraße 26, Blick von Osten 17 LIEBKNECHTSTRASSE 14 Das prächtigste Beispiel des noch vorhandenen Fachwerkbestandes im südlichen Stadtfeld stellt das Gebäude in der Liebknechtstraße 14 dar. An den ursprünglichen Besitzer Richard Toepffer, Ingenieur und Vertreiber von Dampfpflügen, erinnert noch der heutige Straßenname Toepfferspark. Er erklärt sich aus der ursprünglich ca. 13 Morgen großen Anlage, deren Gestaltung 1884 der städtische Gartenbaudirektor Niemeyer übernahm. „Das Toepffersche Grundstück ist begrenzt: im Osten von der Ringstraße im Magdeburger Stadtfelde, im Norden von der Kleinen Straße, im Westen von dem Kloseschen Grundstücke und im Süden von dem Mühlensteige. Es wird beabsichtigt auf dem Toepfferschen Grundstück eine Anpflanzung von Abb. 16 Liebknechtstraße 14, Lageplan des Grundstückes aus dem Jahr 1910 Büschen und Bäumen zu Promenadenzwecken anzulegen und den Platz in der Mitte desselben zu einem Versuchsfelde te die Ausführung des erst 1890 begonnenen Gebäudes bis 1891. Das zweigeschossige, 13 m hohe und für Dampfpflüge einzurichten." 18,48 x 26,58 m große Fachwerkhaus mit ZiegelausDer größte Teil des Grundstückes lag noch im 1. Ray- mauerung erhielt eine Schiefer- und Pappeindeckung. on. Die Villa errichtete Toepffer nach Plänen des Bau- Die Fundamente wurden in Ziegelsteinen gelegt. meisters H. Cornelius im unmittelbaren Anschluß an den Grenzverlauf zwischen 1. und 2. Rayon. Zwar wur- Nach Einstellung des Toepfferschen Betriebes änderte de der Bauantrag schon 1885 eingereicht, doch dauer- sich mit den unterschiedlichen Besitzern - zuerst Druidenheim Baugenossenschaft, später schweizerische Unfallversicherungsgesellschaft in Winterthur, dann Stadtgemeinde Magdeburg auch die Nutzung des Gebäudes. Nach dem Krieg war es vorübergehend ein Säuglingsheim, danach Kindergarten und später Gästehaus der SED. Die Parzellierung und Bebauung der Parkanlage mit überwiegend Ein- und Zweifamilienhäusern erfolgte spätestens in den 30er Jahren. 2) Abb. 17 Liebknechtstraße 14, Fassadenentwurf, Gartenansicht 18 STADTFELD SÜD Abb. 18 Liebknechtstraße 14, Grundriß der Villa, Obergeschoß Abb. 19 Liebknechtstraße 14, Querschnitt Abb. 20 Liebknechtstraße 14, Konstruktion des nicht erhaltenen Turmes Abb. 21 Liebknechtstraße 14, Blick von der Straße 19 MASSENWOHNUNGSBAU BIS ZUM 1. WELTKRIEG ZUR GESCHICHTE DES MIETSHAUSES Obwohl bereits im Mittelalter und bis in das 18. Jahrhundert hinein ein bestimmter Teil der Stadtbevölkerung in gemieteten Wohnungen wohnte, war dennoch der Typ des Wohnhauses überwiegend von der Nutzung durch den Hauseigentümer bestimmt. Die mittlere Belegungsdichte eines mittelalterlichen Hausgrundstückes betrug etwa sieben bjs acht Personen und stieg im 18. Jahrhundert in den großen deutschen Städten wie Berlin auf etwa drei bis vier Familien mit zusammen 15 - 17 Personen. Eine Steigerung der Belegungsdichte ließ sich durch zunehmende Errichtung von Hintergebäuden auf den Hof- und Gartenteilen der Grundstücke ermöglichen, so daß hier auch die ersten ausschließlich für Vermietungen gedachten Haustypen entstanden. Überwiegend handelte es sich dabei um zweiund dreigeschossige, einhüftige Seitengebäude, die auf jeder Etage rechts und links am Treppenhaus zwei Wohnungen mit Küche und Stube enthielten. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts setzte eine große Bevölkerungszuwanderung in die Städte ein, die eine Überbelegung des Wohnraums verursachte und die Errichtung von Mietshäusern begünstigte. Zwar war schon im 18. Jahrhundert der Bau von zwei- und dreigeschossigen Wohnhäusern aus repräsentativen Gründen vom preußischen König Friedrich II. begünstigt worden, doch trat das eigentliche Mietshausproblem erst mit der Bevölkerungsexplosion in den Städten hervor. Von nun an ging es nicht mehr um die Vermietung überschüssiger Räume, sondern um die Schaffung von Wohnraum für viele Familien. In Magdeburg war der Bau von Mietshäusern wegen des bestehenden Festungsgürtels und der somit begrenzten Grundfläche nicht ohne weiteres möglich. Noch 1905, als seit der Aufhebung der Rayonvorschriften schon ein paar Jahre vergangen waren und ein Großteil der Wilhelmstädter Baugrundstücke erschlossen und bebaut war, be- Abb. 22 Wasserpumpe am Schellheimerplatz Abb. 23 Gaslaterne am Schellheimerplatz 20 STADTFELD SÜD vom Treppenhaus her üblich, der als Zwischenglied die einzelnen Räume der Wohnung miteinander verband und gleichzeitig als Eingangsraum zur Wohnung vom Treppenhausflur aus diente. Diese dunklen Flure erhielten entweder durch Glas in den Türen oder in den Feldern oberhalb der Türen spärliches Licht und konnten nicht direkt belüftet werden. Das Ende der bis zur Brandmauer durchgezogenen Flure beherbergte nach Einführung von Wassertoiletten im Gebäude nicht selten in einem Verschlag die ebenfalls unbelichteten Aborte, bis man diese später neben die Küchen verlegte und mit Hilfe von Rohglasscheiben über die Speisekammer hinweg mit Licht versorgte. Abb. 24 Detail der Gaslateme am Schellheimerplatz mit dem Magdeburger Stadtwappen und der Jahreszahl 1882 trug die Wohndichte in Magdeburg im Durchschnitt 35,23 Menschen pro Wohngebäude und nahm somit hinter Berlin in Deutschland den zweiten Platz ein. 3) Die Frage nach der Unterbringung der höchstmöglichen Zahl von Wohnungen als Grundlage für die Bebauung trat dominierend in den Vordergrund. Hier konnten nur technische Grenzen, bau- und feuerpolizeiliche Bestimmungen und die Notwendigkeit des Zuganges zu Luft und Licht einer völligen Überbauung der Grundstücke Einhalt gebieten. Bei den frühen Mietshäusern hatten die Wohnungen oftmals nur einen beheizbaren Raum, manchmal auch zwei, in der Regel war jedoch nur die Küche mit einem Ofen ausgerüstet. Die Toiletten lagen im Hof über den Sickergruben. Nicht jeder Wohnung stand ein eigener Wasserhahn zur Verfügung, Doppelfenster gehörten nicht zum Standard, ebensowenig eine ausreichende Beleuchtung. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Zwischenflur als Stichflur Während im Erdgeschoß zur Verbesserung der Mieteinnahmen häufig Läden und Werkstätten eingerichtet waren, wurden die Wohnräume des 1. Obergeschosses zumindest im Vorderhaus manchmal bevorzugt ausgestattet und hatten dementsprechend auch die größte Raumhöhe vorzuweisen. Diese nahm mit zunehmender Geschoßzahl ab. Die kleineren Wohnungen für die einfacheren Wohnbedürfnisse lagen in den oberen Etagen und den Hinter- und Seitenhäusern. Sie waren häufig mit Etagentoilette ausgestattet, während in den Vorderhäusern jeder besseren und größeren Wohnung eine eigene Toilette zugeordnet war. Erstreckte sich eine Wohnung über Teile des Vorderhauses bis in den Seitenflügel, so lagen die repräsentativen Zimmer zur Straße hin ausgerichtet und die Nebenräume im Seitenflügel. Zum verbindenden Glied wurde das Berliner Zimmer, das in der dunklen Ecke im Übergangsbereich von Vorder- und Seitenhaus lag und nur durch den Winkelpunkt her belichtet werden konnte. Dieses Durchgangszimmer diente meistens als Speisezimmer odpr als eigentliches Wohnzimmer. Lag die Küche im Seitenflügel, war sie häufig durch eine zusätzliche hintere Treppe erreichbar. Ging es Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts bei der Diskussion um die Wohnungsnot in erster Linie um den Mangel an kleineren Wohnungen, so stand zu Beginn der 90er Jahre die Qualität der Wohnungen und ihre Nutzung im Mittelpunkt der Gespräche um das Wohnungselend. Man beklagte zunehmend die schlechten hygienischen Verhältnisse, gesundheitliche Auswirkungen von Keller- und Dachwohnungen und die Überbelegung von Wohnraum mit einer hohen Gefahr für Cholera und Tuberkulose. Aus der Zeit kurz nach 1900 bis zum 1. Weltkrieg hat man es deshalb meistens mit anspruchsvolleren Wohnanlagen zu tun. Die Ausstattungsunterschiede zwischen Vorder- und Hinterhauswohnungen verwischten sich, Bäder gehörten zur Standardeinrichtung, ebenso Mädchenzimmer. In zunehmendem Maße traten Architek- 21 ten in Erscheinung, während die früheren Bauten überwiegend in der Hand kommerzieller Bauunternehmer lagen. Für die Wilhelmstadt gilt, daß bis zum Jahr 1900 weniger als 10 % aller Mietshäuser Architekten zuzuordnen sind, während in der Zeit nach 1900 bis zum 1. Weltkrieg um die 50 % von namentlich genannten Architekten erbaut wurden. Einige wenige aus der Zeit vor 1900 sind Otto Genze, Cornelius und Jaehn, Paul Schrader, P. Geimer und Otto Eilenstein. Daneben traten als Bauausführende die Baufirmen Sack und Co. und Brandt und Brunkow auf. Für das Stadtfeld wichtige oder häufig anzutreffende Namen aus späterer Zeit sind G. Blume, Walther Förster, Heinrich Geiling, G. Grote, Bartel Hanftmann, Ferdinand Heres, Fritz Reichel, Robert Rogge, Otto Schlieder, Alfred Schmelzer, Max Suppeina und Maximilian Worm. Hierdurch wird ersichtlich, daß wir es insbesondere bei den Mietshäusern des Historismus mit einer Masse von Häusern zu tun haben, die bis hin zur Fassade keinen künstlerischen Anspruch erhoben und daher auch nicht in den Veröffentlichungen wie Bauzeichnungen und Fotomappen erschienen sind. Dafür spricht auch die nicht selten veränderte oder kleinteiligere Ausführung des ursprünglich eingereichten Fassadenentwurfes. Abb. 25 Pfändungsprotokoll aus der Bauakte Lessingstraße 23 22 STADTFELD SÜD FORTGANG DER BEBAUUNG IM SÜDLICHEN STADTFELD wie aus Mietpfändungen und Zwangsversteigerungen der halb fertiggestellten Wohnhäuser herauszulesen ist. Erste große Mietshäuser im südlichen Stadtfeld entstanden ein paar Jahre später als im nördlichen Teil, dennoch ebenfalls schon kurz vor Aufhebung der Rayongesetze 1891. Zeugen einer älteren, massiven Bebauung vor Beginn der großen Mietshauswelle, wie sie in der Liebermannstraße noch stehen, sind im südlichen Stadtfeld nicht zu finden. Ab 1889 sind Bauanträge für mehrstöckige Wohnhäuser im 3. FeAbb. 26 Arndtstraße, Beispiel für die lokomotivmäßige Bebauung stungsrayon zu verzeichnen, die jedoch vorerst noch vereinzelt und für „Im Westen der Stadt, jenseits des Glacis, entstand um zum Teil verstreute Bauplätze eingereicht wurden. Das 1900 ein neuer Stadtteil, der wie in vielen anderen Groß- Entstehen des neuen Stadtteiles war auf die vorhanstädten das sogenannte „vornehme" Viertel bildete. denen Straßen beschränkt. Zu den bereits 1889 beanLeider wurde in dieser Zeit auch das Stadtbild im wil- tragten Bauten gehören die Wohnhäuser Hans-Löscherhelminischen Prunkstil verschandelt. Das reichgewor- Straße 20 und 22, Schenkendorfstraße 9, die vier Häudene Großbürgertum wollte durch Repräsentationsbau- ser Annastraße 23, 26, 31 und 32 und das Haus am ten, wie sie uns heute noch im Hauptpostgebäude, Ju- Schellheimerplatz 1. Der Bauherr des Letzteren erhielt stizpalast und Denkmalen z. T. erhalten sind, seine jedoch erst Mitte 1890 eine Bauerlaubnis. An der Großen Diesdorfer Straße 203 entstand 1889 das FabrikMacht demonstrieren." 4) Die Vorstellung von der Verschandelung durch den historistischen Stil, wie er in diesem Zitat aus einem Katalog des Kulturhistorischen Museums aus dem Jahr 1960 zum Ausdruck kommt, entwickelte sich bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und hielt sich erstaunlich lange. Auch muß die Zuschreibung der in der Gründerzeit entstandenen Wohnbauten an das reichgewordene Großbürgertum nach Untersuchung des vorhandenen Gebäudebestandes revidiert werden, handelt es sich doch bei den Bauherren zum überwiegenden Teil um mittelständische Kleinunternehmer und Handwerksmeister aus dem Baugewerbe, die sich von der vorherrschenden Wohnungsnot Profit erhofften. Nicht selten war ihre eigene Existenz dabei gefährdet, Abb. 27 Matthissonstraße; einheitlich erstreckt sich das Relief der Fassaden mit ihren gleichartigen Erkern über die ganze Straßenlänge; Beispiel für die lokomotivmäßige Bauweise 23 und Wohnhaus des Kaufmanns B. Trenckman. Eine größere Zahl an Gebäuden wurde ab 1890/91 am Westring, damals große Ringstraße, und entlang dem südlichen Teil der Annastraße vor dem Schellheimerplatz errichtet. Anfangs durfte bei Wohnhäusern fünfstöckig gebaut werden. Mit der 1893 erschienenen Bauverordnung änderten sich die Vorschriften dahingehend, daß jetzt nur noch vier zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmte Geschosse, nebst einem bewohnbaren Zimmer im Dachgeschoß, zugelassen waren. Als maximale Gebäudehöhe waren 20 m erlaubt. An Straßen bis zu 9 m Breite durfte sogar nur dreigeschossig gebaut werden. 1896 kamen mit Einführung einzelner Bauzonen - man unterschied zwischen altstädtischer Bebauung (violette bzw. graue Zone), äußerer Bebauung mit altstädtischen Hofgrößen (gelbe Zone), äußere Bebauung mit erweiterten Hofgrößen (weiße Zone), Bebauung mit Bauwich (grüne Zone) und Fabrikbebauung - weitere Änderungen hinzu, welche die bauliche Gestalt der neuen Wohnquartiere entscheidend veränderten und neben Angaben für Hofgrößen und Abstände zwischen den Gebäuden die später vielgeschmähte, sogenannte lokomotivähnliche Bebauung ermöglichten. Hiermit ist eine teils dreistöckige, teils vierstöckige Bauweise innerhalb eines Gebäudes gemeint, die durch einen auf 70 m beschränkten Ausbau des Dachgeschosses zurückzuführen ist. Im Stadtfeld sind ganze Straßen einheitlich in dieser Art bebaut worden. ring, begrenzt im Norden durch die Hans-Löscher-Straße und im Süden von der Liebknechtstraße. Hier dauerte es bis ins vierte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, bis die noch freien Bauplätze geschlossen wurden. Dabei sind zwei Phasen festzustellen, zum einen die bis zum 1. Weltkrieg entstandenen Wohnhäuser, zum anderen große, in den 30er Jahren für Baugenossenschaften errichtete Wohnblöcke. Nachkriegsbauten aus den 50er Jahren, System Calbe, sind in der Großen Diesdorfer Straße, der Gerhart-Hauptmann-Straße und der Bakestraße zu finden. 2 Bis in die ersten Jahre nach der Jahrhundertwende wurden flächendeckend Wohnhäuser an neu angelegten Straßen errichtet. Beispiele für eine zügige und einheitlich geschlossene Bebauung dieser Zeit sind insbesondere die Arndt- und Matthissonstraße. Für die Matthissonstraße wurden sämtliche Bauanträge in nur zwei Jahren, 1901 und 1902, eingereicht. Eine Ausnahme bildet das Stück westlich der Achse Winckelmannund Annastraße und dem West- Abb. 28 Situation im Stadtfeld Ende der 20er Jahre (Ausschnitt) 24 STADTFELD SÜD Abb. 30 Lindenbäume in der Schenkendorfstraße, Aufnahme vom 19.7.1940 Das Areal des ehemaligen Toepfferspark mit angrenzenden Grundstücken im Norden, westlich derTangente und nördlich der Liebknechtstraße, ist ebenfalls erst in den 30er Jahren bebaut worden. Hier stehen fast ausschließlich Ein- und Zweifamilienhäuser. Abb. 29 Blick vom Schellheimerplatz in die Annastraße, Aufnahme vom 19.7.1940 Abb. 31 Bunkerbau am Schellheimerplatz 25 BAUKONSTRUKTION Der Rohbau Zu den Rohbauarbeiten sind die Ausschachtung der Fundamente, das Auf mauern der Wände, die Herstellung der Decken, Treppen und des Daches in den Rohmaterialien Ziegel, Holz, Kalk und Sand zu zählen. Arbeitskräfte gab es reichlich, zumal für viele Handlangerarbeiten keine spezielleAusbildung notwendig war. Nach Beendigung der Rohbauarbeiten mußte eine erste Abnahme beantragt werden. Die Wände Die Magdeburger Bauordnung bestimmte, daß Wände, auf denen Balken ruhen sollen, massiv auszuführen seien, womit man eine Fachwerkbauweise ausschloß. Die tragenden Wände der großen Mietshäuser sind ausschließlich aus Backsteinen gemauert und meistens verputzt, manchmal auch verklinkert. Die Stärke der Mauern nimmt nach oben hin ab. Die Gesamthöhe der Gebäude wurde durch die Bauordnung in Abhängigkeit von der Straßenbreite geregelt, während für die einzelnen Geschosse Mindesthöhen galten, die jedoch in der Regel weit überschritten wurden. Die leichten, später auf die Decken aufgesetzten Trennwände wurden einen Stein stark gemauert und kamen anfangs auch als Fachwerkwände vor, die man dann durch Abb. 32 Dokument über die Rohbauabnahme des Mietshauses Annastraße 37 Rabitzwände ersetzte. Rabitzwän- aus dem Jahr 1893 de bestehen aus einem angespannten Drahtgewebe als Putzträger und einem Putzüberzug aus Gips, gemischt mit Kalkmörtel und Kälberhaaren. Massivdecken Übliche Maße bei vier- oder fünfstöckigen Bauten am Beispiel Annastraße 30: Die Umfassungswände sind in massivem Mauerwerk aus Ziegelsteinen aufgeführt. Im Keller und im Erdgeschoß beträgt ihre Stärke 65 cm, im 1. und 2. Obergeschoß 52 cm, im 3. und 4. Obergeschoß 39 cm und im Dachgeschoß 26 cm. 5) Vor der Entwicklung der Kleineschen Decke 1892 und auch noch einige Zeit danach wurden Massivdecken im Wohnungsbau vor allem als flache Tonnengewölbe, sogenannte preußische Kappen, aus Vollsteinen oder Stampfbeton hergestellt. Da Massivdecken nicht vom Hausschwamm befallen werden können und außerdem einen höheren Feuerwiderstand als Holzbalkendecken aufweisen, wurden sie vorwiegend über Kellern, in 26 Abb. 33 STADTFELD SÜD Preußische Kappen Treppenhäusern, aber auch unter Bädern und Küchen angebracht. Für den Wohnungsbau boten sich gegenüber halbkreisförmigen oder gedrückten Tonnengewölben die preußischen Kappen wegen ihrer geringen Pfeilhöhe von einem Achtel bis einem Zwölftel der Spannweite an. Die Bauhöhe der Decken sollte möglichst niedrig gehalten werden. Abb. 35 Kräfte am Widerlager einer preußischen Kappe Fh Horizontal kraft Gewölbeschub; Fv Vertikalkraft Gewölbe werden auf Druck beansprucht und leiten senkrechte Lasten etwa in Richtung der Wölbung zu den Widerlagern. Auf die Widerlager wirken horizontale und vertikale Kräfte ein. Aufgrund der geringen Pfeilhöhe bei den preußischen Kappen ist der Gewölbeschub (die horizontal wirkende Kraft) immer größer als die senkrecht wirkende Kraft. Wenn zwei Kappen aufeinanderstoßen, welche die gleiche Spannwei- Abb. 34 Querschnitt des Wohnhauses Annastraße 34, 1894, preußische Kappen im Keller und im Treppenhaus te und Belastung aufweisen, hebt sich der Gewölbeschub beider Kappen auf. Nur an den Seiten der überwölbten Fläche muß der Gewölbeschub durch besondere bauliche Maßnahmen abgefangen werden. Für die maximale Spannweite der Kappen ist die Festigkeit der Ziegel und Steine maßgeblich. Sie hängen entweder auf I-Trägern, Gurtbögen oder Wandmauerwerk. Auf der Oberseite wurden die Kappen meistens mit Beton und Aufschüttungen aus Sand oder Schlacke abgeglichen, die Unterseiten dagegen so verputzt, daß die Kappen sichtbar blieben. Sollte ein Treppenhaus mit Stuck verziert werden oder die Untersicht einfach flach sein, konnten Holzleisten auf die Flanschen der I-Profile aufgelegt werden. An den Holzleisten konnte man wiederum eine Unterdecke befestigen. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts nahmen zusehends neue Deckenkonstruktionen überhand. Hier ist vor allem die Förstersche Decke zu nennen (möglicherweise nach einem Patent der Magdeburger Baufirma und Ziegelei Förster). Die Ziegel der FörsterDecke verzahnen sich ineinander, weshalb sie auch 27 Abb. 36 Förster-Decke für unbewehrte Steindecken eingesetzt werden konnten. Andere häufig anzutreffende Systeme sind u. a. das System Richter und das System Westphal. Holzbalkendecken Der konstruktive Aufbau eines Gebäudes mit tragenden Außenwänden und Mittelwand und dem massiv ummauerten, ausgesteiften Treppenhaus bildete das Grundgerüst. Auf diesen Wänden lagen die Holzbalken der Dekken auf, deren Traglänge von ca. 6 m die Gebäudetiefe einerseits, die Tiefe der Zimmer andererseits vorgab. Die Raumbreite blieb dabei variabel und wurde nur durch den Balkenabstand und den Abstand der Fenster bestimmt. Entfielen im Keller- oder Erdgeschoß Trenn- bzw. Mittelwände, mußten gußeiserne Säulen die Stützfunktion der Balkendecken übernehmen (Abb. 40 u. 41). Abgesehen von den massiven Decken sind bis zum 2. Weltkrieg noch alle Geschoß- und Dachgeschoßdecken als Holzbalkendecken mit Zwischendecken aus Lehm-, Sand- und Schlackenauffüllung konstruiert worden. Ihre Unterseiten wurden anschließend geschalt, gerohrt und geputzt. Gegenüber den Massivdecken waren die Holzbalkendecken billiger, leichter, wohnlicher und erforderten eine geringere Konstruktionshöhe. Außerdem boten sie einen guten Schallund Wärmeschutz. Als Nachteile mußten der große Holzbedarf, die Feuergefahr und ein möglicher Befall durch tierische und pflanzliche Holzschädlinge in Kauf genommen werden. Gewöhnlich legte man die Balken im rechten Winkel zur Außenwand, nach der Tiefe des Gebäudes, um Abb. 37 Deckenhohlstein Förster so eine Unterstützung durch die Mittelwand zu erhalten und die Aussteifung des Gebäudes zu fördern. Manchmal bedingten Grundriß, Gestaltung und Raumabmessung Balkenlagen parallel zur Außenwand. Hierdurch konnte gleichzeitig bei wechselseitiger Anordnung der Balken, entweder parallel oder im rechten Winkel zu den Umfassungswänden, in mehrstöckigen Gebäuden die Außenwand entlastet werden. Die Verankerung der Balkenlagen erfolgte durch schmiedeeiserne Balken- oder Kopfanker sowohl mit den Frontmauern als auch mit den Giebelmauern. Kopfanker können im Mauerwerk liegen, aber auch davor, an der Außenseite der Fassade, und als Zieranker ausgebildet sein. Erhaltene Beispiele dieser Zieranker sind an der Fassade GerhartHauptmann-Straße 64 zu sehen (Abb. 42). 28 STADTFELD SÜD ten oder eine dem Verbrennen Widerstand leistende Abdeckung gegen schnelles Erglühen geschützt ist. Treppen aus Kunststein, Zementbeton oder Zementstufen sind überall da ausgeschlossen, wo erhöhte Anforderungen an die Sicherheit der Treppen zu stellen sind, insbesondere in allen Fabrikgebäuden und in solchen Wohngebäuden, welche bei mehr als zwei Stockwerken über dem Erdgeschoß für jede Wohnung nur direkten Zugang zu einer unverbrennlichen Treppe erhalten sollen. Auf Verlangen der Polizeiverwaltung muß die Tragfähigkeit usw. nachgewiesen werden. Als feuersicher ist eine Treppe anzusehen, wenn sie, auch ohne daß dieselbe nach Vorstehendem aus unverbrennlichen Stoff hergestellt ist, von unten auf von massiven Wänden, welche bis zur Decke über dem Austritt hochgeführt sind, eingeschlossen ist und wenn ihre Läufe, Podeste und Decken unterhalb geschalt und mit Mörtelputz bekleidet sind. Die Länge des feuersicheren Zugangs von jedem Raume der oberen Geschosse darf zu den Treppen 25 m nicht übersteigen. Abb. 39 Holzbalkendecke: Bohlenbalkendecke mit Kreuzhölzern um 1900 Treppenanlagen - Auszug aus der Magdeburger Bauordnung von 1893 § 41. Jedes mehrgeschossige Gebäude muß zwischen den einzelnen Geschossen eine ausreichende Verbindung durch Treppen haben (...). In der Regel müssen die zur Verbindung der Geschosse dienenden Treppen bis zum Dachboden durchgeführt werden. Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, wenn nach dem Ermessen der Baupolizei die Zugänglichkeit des Dachraums anderweit ausreichend gesichert ist. § 42. Treppen gelten als unverbrennlich, wenn deren tragende Teile in Läufen und Podesten von unten auf bezw. von der Kellersohle an in unverbrennlichem Material ausgeführt sind und wenn sie zwischen massiven bis zur Dachfläche emporgeführten Wänden und unter unverbrennlicher Decke liegen. Treppen aus Eisen gelten als unverbrennlich, wenn die Oberfläche der eisernen Stufen in geeigneter Weise durch Steinplat- Abb. 40 Konstruktionszeichnung einer in Pfeilermauerwerk eingebetteten, gußeisernen Säule, Liebknechtstraße 30 29 Abb. 41 Große Diesdorfer Straße 210, Querschnitt durch das Niederlagegebäude, in Keller und Erdgeschoß sind gußeiserne Säulen als Stützen der Balkendecken eingetragen. 30 STADTFELD SÜD Zugänge zu den Treppen gelten als feuersicher, wenn dieselben gleichfalls mindestens 1 m breit sind und die diese Zugänge begrenzenden Wände massiv oder mit Rohrputz verkleidet sind. Die über den feuersicheren Zugängen liegenden Balkendecken müssen zum Wenigsten verschalt und mit Rohrputz verkleidet sein. § 43. Jedes Geschoß mit zum Aufenthalte von Menschen bestimmten Räumen, deren Fußboden 2 bis 7 m über dem Erdboden liegt, muß mindestens zu einer feuersicheren Treppe einen direkten feuersicheren Zugang erhalten; liegt der Fußboden solcher Räume mehr als 7 m über dem Erdboden, so muß eine unverbrennlichen Treppe mit einem feuersicheren Zugang angelegt werden. An Stelle einer unverbrennlichen Treppe können zwei feuersichere Treppen mit feuersicheren Zugängen gestattet werden. (...) Abb. 42 Schmiedeeiserner Zieranker an der Fassade Gerhart-Hauptmann-Straße 64 Alle Treppenläufe, welche als unverbrennliche oder als feuersichere gelten sollen, müssen außerdem mindestens 1 m nutzbare Breite haben. Bretterwände, Verschläge und ähnliche Unterbauten, mit Ausnahme der Verschläge von Kellereingängen, sind unter solchen Treppen nicht zulässig. Dacheindeckung Für die Eindeckung der Dächer gab es unterschiedliche Möglichkeiten. Bei den Wohnhäusern mit leicht nach hinten abfallendem Pultdach kam durchweg einfache Dachpappe zur Anwendung. Die Bauherren der Mietshäuser mit den vorgetäuschten Mansardendächern bevorzugten für die an der Straße sichtbaren Dachflächen und für Erker und Gauben Dachpfannen oder Biberschwänze, während bei den zum Hof gelegenen, nicht sichtbaren Dachflächen die Abdeckung mit Teerpappe beibehalten wurde. „Die gewöhnlichen Dachsteine, die sog. Biberschwänze haben die Form Fig. 571 (Abb. 44) und hat das in Deutschland neu eingeführte Format derselben 40 Centim. Länge, 15 Centim. Breite und 12 Millim. Stärke: sie werden auf Latten als Spliess-, Doppel- und Kronendach eingedeckt; beim Spliess- und Doppeldach verwendet man 6 : 4, beim Kronendach 7 : 5 Centim. starke Latten. In Fig. 572 ist A die Eindeckung eines Spliess-, B die eines Doppel- und C die eines Kronendaches. Abb. 43 Konstruktionszeichnung für ein feuerfestes Treppenhaus, Wilhelm-Kobelt-Straße 16 Das Spliessdach wird ca. 20 Centim. weit gelattet, und es sind pro • Meter Dachfläche ca. 35 Biberschwänze erforderlich. Die Stossfugen werden durch 4 Millim. dicke, 5 Centim. breite Holzbrettchen, sog. Splisse, geschlossen, die man aus 31 Beim Kronendach liegen auf jeder Latte doppelte Dachsteinreihen, wodurch die Steine theilweise 4fach übereinander zu liegen kommen (...). Dieses Dach wird ca. 26 Centim. weit gelattet und erfordert pro • Meter Dachfläche ca. 55 Stück Steine, wozu für alle drei Dächer noch für Bruch ca. 5 % mehr erforderlich werden. Abb. 44 Biberschwanzeindeckungen astfreien Blöcken von der Dachsteinlänge spaltet; diese Brettchen halten in ihrer Dicke zugleich die Lagerfugen offen, welche von unten mit Mörtel verstrichen werden. An der unteren Kante sind die Dachsteine aus dem Grunde abgerundet, damit das Wasser von den Stossfugen abgehalten wird. Sowohl am First wie an der Traufe werden bei diesem wie auch beim Doppeldache doppelte Reihen Dachsteine eingedeckt, weil an diesen Stellen etwaige Reparaturen beschwerlich sind. Das Doppeldach erhält ca. 14 Centim. weite Lattung und erfordert pro • Meter Dachfläche ca. 50 Dachsteine; hierbei überdeckt jeder Stein noch den 3. unter ihm liegenden und da die Steine im Verband eingedeckt werden, so sind hierbei keine Splisse erforderlich. Das Spliessdach ist von diesen drei Eindeckungen das leichteste und billigste, aber auch das am wenigsten dichte und am meisten reparaturbedürftige. In Bezug auf Schwere und Dichtigkeit ist das Doppel- und Kronendach ziemlich gleich; das erstere erfordert mehr Latten, das letztere dagegen mehr Steine." (Handbuch der Hochbau-Construktion in Eisen und anderen Metallen, 1876) 6) Putz und Fassaden Den Beginn der Putzarbeiten setzte die Baupolizei durch die Rohbauabnahme fest. Ihre Ausführung geschah in Kalkmörtel, bei besserer Qualität auch mal in verlängertem Zementmörtel oder hydraulischem Kalk. Beim Putzen der in Backstein gemauerten Gesimse, Pilaster und anderen Gliederungen wurde dem Gips Kalkmörtel zugesetzt, um die einzelnen Teile schärfer ausarbeiten zu können. Bei größeren Ausladungen und an Abb. 45 Konstruktionszeichnung für die Befestigung von Erkerkonsolen, Arndtstraße 4 32 STADTFELD SÜD Verkröpfungen benötigten einzelne Fassadengliederungselemente leichte Eisenkonstruktionen zur Unterstützung. Eiserne Nägel und Bankeisen hielten kleine Konsolen des Hauptgesimses und Schlußsteine, Strebeeisen die größeren Konsolen und Kragsteine von Baikonen und Erkern. Die ornamentierten Fassadenteile wurden als Gipsstuck nachträglich angesetzt. Diese konnten auch aus Zementguß oder gebranntem Ton hergestellt werden. Die weit ausladenden Teile der Hauptgesimse sind fast durchweg aus Holz gefertigt und an den Zangen der Drempelwand verankert worden. Sämtliche hervortretende und dem Regen ausge- Abb. 46 Zeichnung für die Tragkonstruktion des Erkers, Westring 6 setzte Gesimsteile deckte man mit Zinkblech ab. Daneben gab es die Möglichkeit, besonders von der Witterung bedrohte Einzelteile wie Figuren, Vasen, Attiken etc. ganz aus Zink zu gießen oder aus Zinkblech auszustanzen. Der Fassadenentwurf wurde teils mit Hilfe von Vorlagebüchern erstellt oder nur ungefähr vom Bauherrn und Baumeister vorgegeben und dann per Katalog ausgewählt. Die geputzten Fassaden erhielten nach dem Austrocknen einen haltbaren Ölfarbenanstrich. 33 Abb. 47 Gebräuchliche Konstruktionen von Gesimsschalungen um 1890 Ein Rezept für die Herstellung von Stuck „Masse für Stuckornamente Die Masse besteht aus: WO Teilen Gips 50Teilen Schlämmkreide 7,5 Teilen Caput mortuum 0,5 Teilen Karbolsäure 5,5 Teilen Dertrin Änderungen in der quantitativen Zusammensetzung sind immer zulässig, so daß in weiter Fassung die Masse zu bezeichnen wäre als enthaltend auf WO Teile Gips: 40 - 60 Teile Schlämmkreide 5 - 15 Teile Dertrin 7,5 Teile Caput mortuum 0,5 Teile Karbolsäure den danach auch die Formen entsprechend länger. Auf die erste dünne Lage werden alsdann Hanffasern aufgelegt, mit einem straffen Pinsel eingedrückt und wieder mit der Masse bestrichen. Bei einfachen schmalen Leisten wird dann eine, bei breiten Stücken werden zwei bis drei oder noch mehr Holzleisten hinten aufgelegt und sorgfältig mit der Masse bestrichen. Diese Holzleisten, etwa 4 bis 6 cm breit und 1 bis 2 cm stark, sind aus astfreiem Kiefernholz gefertigt und werden einige Tage vor Verwendung in Dertrinlösung gelegt. Sie verbinden sich dadurch leicht mit der Masse und trocknen gleichmäßig mit dieser zusammen. Endlich wird hinten in ganzer Breite ein Streifen grober Leinwand aufgelegt und wieder mit der Masse verstrichen. Die Befestigung an Ort und Stelle geschieht durch Holzschrauben, welche durch die eingelegten Holzleisten gezogen werden." 7) Die Bestandteile werden innig gemischt und die Masse ebenso wie feiner Gips und Wasser angerührt und dann in möglichst dünner Lage in die geölte Leim- oder Gipsform, ganz wie man sie bei der Herstellung von Gipsabgüssen verwendet, gestrichen. Man kann den Formstücken bedeutend größere Längen geben und wer- 34 STADTFELD SÜD TYPISCHE GRUNDRISSBEISPIELE MAGDEBURGER MIETSHÄUSER VOM HISTORISMUS BIS ZUM 1. WELTKRIEG Der sehr komplexe Bereich städtischen Wohnbaus zur Zeit des Historismus und auch in der nachfolgenden Periode bis zum 1. Weltkrieg entstand in geschlossenen, oft einheitlich konzipierten Reihen und über gleichartig geschnittenen Grundstücken. Aufgrund dieser Tatsache bietet sich vor allem für die mit beiden Giebeln aneinanderliegenden Mietshäuser und deren Grundrißformen eine Typisierung an. Typ A besteht aus einem Verbund aus Vorderhaus, Seitenflügel und Hintergebäude, wobei sich zwei Varianten unterscheiden lassen: Variante 1 aus Vorderhaus, rechtem Seitengebäude und Hinterhaus und Variante 2 aus Vorderhaus, linkem Seitenbau und Hintergebäude. Beide Varianten schließen sich in der Regel über zwei Grundstücke hinweg zu einem kastenförmigen Baugefüge zusammen, das in der Mitte einen längsrechteckigen Hof umgrenzt. Um zu den Hintergebäuden zu gelangen, muß eine Durchfahrt im Erdgeschoß vorhanden sein. Schließt sich an das Hinterhaus ein zweiter Hof oder Garten an, so enthält auch dieses eine Durchfahrt. Üblich sind außerdem insgesamt zwei bis drei Treppenhäuser, entweder in jedem Bauteil eines oder eins vorne und ein zweites für Hinterhaus und Seitenhaus zusammen (Abb. 53, linke Hälfte). Typ B umfaßt zwei rechteckige, voneinander unabhängige Baublöcke, die sich als Vorder- und Hinterhaus hintereinander staffeln. Dabei war es wegen der Tiefe der Grundstücke manchmal möglich, als dritten Baukörper noch ein niedrigeres Werkstatt- oder Stallgebäude, auch mit Gesellenwohnungen im Obergeschoß, anzuschließen. Dieses letzte Gebäude ist wiederum durch zwei Durchfahrten und über die beiden Innenhöfe hinweg erreichbar. In einem Fall ist im Stadtfeld ein dreifach gestaffeltes Wohnhaus entstanden, in dem auch im zweiten Hintergebäude Wohnungen eingerichtet worden sind. Bei der Wohnhausanlage Liebknechtstraße 48 reihen sich auf einem 56 m tiefen Grundstück ein 12 m tiefes Vorderhaus, ein 10,95 m tiefes Mittelgebäude und ein nur 5 m tiefes Hintergebäude hintereinander (Abb. 48). Die dazwischenliegenden Höfe weisen eine Tiefe von 12 m (1. Hof) und 16,05 m (2. Hof) auf. Als Drittes hat sich Typ C, bestehend aus Vorderhaus und einem unterschiedlich langen, seitlichen Flügel herausgebildet, der jedoch immerhin so lang ist, daß hier meistens ein zweites Treppenhaus und eigenständige Wohnungen untergebracht werden können. Typisch für diese Bauform wie für alle Mietshäuser mit Abb. 48 Grundrißtyp B, Liebknechtstraße 48, Erdgeschoß 35 Abb. 49 Grundrißtyp C, Winckelmannstraße 7, Erdgeschoß direkt anschließendem Seitenflügel ist das sogenannte Berliner Zimmer, ein dunkler Eckraum an der Grenze von Vorder- und Seitengebäude. Er dient bei Wohnungen, die teils im Vorderhaus, teils im Seitenhaus liegen, als Durchgangszimmer zu den hinteren Räumlichkeiten (Abb. 49). Typ D umfaßt ein Hauptgebäude mit seitlichem, kurzem Anbau, in dem sich zu den Wohnungen im Vorderhaus gehörige Nebenzimmer befinden. Von Vorder- und Seitengebäude im eigentlichen Sinne kann deshalb keine Rede sein. Eine Durchfahrt ist nicht unbedingt erforderlich. Typ E umschreibt einen U-förmigen Grundriß mit zentrierter Durchfahrt im Erdgeschoß (Abb. 50). Am vorgestellten Beispiel ordnen sich alle Räume symmetrisch zur Durchfahrt an. Jeweils rechts und links des Treppenhauses befindet sich eine Wohnung, die bis in die hintere Ecke des Seitenflügels reicht. Abb. 50 Grundrißtyp E, Annastraße 34, 1. Obergeschoß