Oftmals werden Natur und Kultur als unversohnliche Gegensatze aufgefasst. Dem widersprechen die Beitrage dieses Buches. Sie verfolgen das Ziel, Kontinuitaten im Mensch-Natur-Verhdtnis herauszustellen und die humane Kultur als spezifische Seinsweise und Seinsregion innerhalb der Natur auszuweisen. Dabei wird auch die Frage thematisiert, welchen Stellenwert technische Prozesse und mit ihnen assoziierte Denkweisen und Denkmuster in Natur und Kultur einnehmen. Die Herausgeber: Ana Maria Rabe, 2007 in Philosophie an der Hochschule fiir Bildende Kiinste Braunschweig mit einer Arbeit zum Raum in der Kunst, Philosophie und Wissenschaft promoviert, lehrt z.Z. Philosophie und Kunsttheorie an der Universitat der Kiinste Berlin und der KunsthochschuIe HalIe. Von 2008 bis 2011 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am ))Institute de Filosofiacc des Forschungszentrums CSIC in Madrid. ZahIreiche Veroffentlichungen zu lebensphilosophischen, erkenntnisund kunsttheoretischen Fragen. Ihre gegenwartigen Forschungen untersuchen zeitliche und raumliche Grundlagen der Gedenkkultur. Ana Maria Rabe Stascha Rohmer (Hg.) Homo naturalis Zur Stellung des Menschen innerhalb der Natur Stascha Rohmer, geb. 1966, promovierte nach einem Studium der Philosophie und Hispanistik 1999 an der Technischen Universitat Berlin mit einer Arbeit zur Metaphysik Alfred North Whiteheads. Von 1999 bis 2011 war er Research Fellow am ))lnstituto de Filosofiacc des Fors ~ h u n ~ s z e n t r u mCSIC s in Madrid und lehrte ferner Philosophie am Philos~~hischen Seminar der Hurnboldt-Universitat Berlin, wo er sich gegenwartig mit einer Arbeit zu Hegel und Plessner habilitiert. Sein wichtigstes bisheriges Werk ~Liebe- Zukunft einer Emotion(( erschien 2008 im Verlag Karl Alber. Zahlreiche Veroffentlichungen. Verlag Karl Alber Freiburg / Miinchen Gefijhle als Triebfedern der Moral ingrid Vendrell Ferran Gefuhle als Triebfedern der Moral Uber die moralische Funktion der Gefijhle' 1. D e r Ort des Gefiihls in der Moral: Fragesteflung und Perspektiven Die doppelte Bestimmung des Menschen als Natur- und Kultunvesen zugleich tritt wohI bei kaum einem anderen Phanomen so deutlich zutage wie bei den Gefuhlen. Auf den ersten Blick sind die Gefuhle bloiZe Neigungen und leibliche Reaktionen auf Reize der Umwelt, die spontan entstehen und fast instinkthaft verlaufen. Aus dieser Perspektive sind die Gefiihle etwas, das der Mensch rnit dem Tier gemein hat, sie sind triebhafte Reaktionen und als solche Objekt der empirischen Wissenschaften. Diese Auffassung wird aber dem Phanomen der Gefiihle nicht gerecht. Denn die Welt bietet sich Mensch und Tier auf verschiedene Weise dar. Dem Menschen ist nicht nur Reaktion und Anpassung gegeniiber der Umwelt moglich, sondern wir besitzen auch die Moglichkeit, die uns gegebenen Umstande zu transzendieren und eine eigene menschliche Realitat aufzubauen. Die Gefiihle sind zwar Teil des menschlichen biologischen Programms und sie mogen auch biologisch bedingt sein. Sie erhalten aber in dieser menschlichen Welt eine Bedeutung, die ihre biologische Funktion ubersteigt und die unbeachtet bleibt, wenn wir die Gefiihle als bloge animalische Triebe verstehen. Das affektive Programm, rnit welchem die Menschen ausgeriistet sind, bekommt in der menschlichen Welt eine neue Bedeutung. Die Welt bietet sich dem Menschen nicht als ein neutraler Horizont dar, sondern als eine Welt, die rnit bestimmten affektiven Qualitaten gefarbt ist, als eine Welt rnit Wenen. Diese Werte prasentieren sich rnit einer grogen Nuanciertheit und rnit zahlreichen Abschattungen, so dass sie nicht lediglich als Objekte unserer Instinkte verstanden werden konnen. Dariiber hinaus besitzen wir komplexe kognitive Fahigkeiten, die auch unsere emotionalen Erfahrungen mitbedingen: wir haben eine Sprache und wir sind fahig, komplexe kognitive Propositionen zu formulieren, welche die Auffassung von der Welt verandern. Zuletzt leben wir im Unterschied zu Tieren in einer Welt von Normen und Institutionen, die den Rahmen unserer emotionalen Erfahrungen bilden. Die Welt des Menschen ist eine Welt der Werte und Normen. Diese Welt der Werte und Normen, welche dem Menschen eigen ist, ist eine Welt, in der moralisches Verhalten moglich wird. In diesem Kontext entstehen die philosophischen Fragen, die ich in diesem Aufsatz untersuchen mochte: Spielen die Gefiihle, die ja auch Teil unserer biologischen Realitat sind, eine Rolle fiir die Moral? Steht die Moral in einer Linie der Kontinuitat rnit unserer affektiven Natur oder setzt sie eine Trennung voraus? Und im Fall, dass die Gefiihle eine Rolle fur die Moral spielen: Was ist ihre Funktion? Um diese Fragen zu untersuchen und den Stellenwert des Gefiihls fur die Moral zu bestimmen, werde ich zunachst mein Augenmerk auf zwei sehr unterschiedliche Traditionen richten. Zur ersten Traditionslinie gehoren diejenigen Ansichten, fur welche Moral eine Frage der Normensetzung durch den Verstand ist. Die Anhanger dieses Ansatzes pladieren fur eine streng zu ziehende Grenze zwischen unserer affektiven Natur und unserem moralischen Verhalten. Als Paradebeispiel dieser Tradition mag die Ethik Kants genommen werden. In der zweiten Traditionslinie - der ich mich anschlieaen mochte - wird behauptet, dass die Gefiihle auch eine Quelle moralischen Verhaltens sind und dass es zwischen unserer affektiven Natur und der Moral keinen Bruch @bt. In dem Zusammenhang dieser zweiten Traditionslinie werde ich drei Theorien erlautern: Emotivismus, Dispositionalismus und Realismus2 - nsentimentalischecc Positionen, denen zufolge unser moralisches Verhalten in unserer affektiven Natur griindet.Wach der Darstellung der beiden Traditionslinien werde ich meine eigene Position entwickeln und die Relevanz des menschlichen Gefuhlslebens fur die Moral aufweisen, die meines Erachtens Eine umfangreiche Behandl~n~dieser Frage sollte auch andere ethische Ansichten wie die uti]itaristische und die fiktionalistische Ethik einbeziehen. Beide Positionen lasse ich in diesem Aufsatz unbehandelt. Bei der Bezeichnung dieser Tradition als *sentimentalistischa folge ich D'Arms and Jacobson (D'Arms und Jacobson 2006) 2 Fiir hilfreiche Kommentare zu dieser Arbeit mochte ich mich bei Eva-Maria Engelen, Voker Gerhardt, Christoph Johanssen, Ana Milria Rabe, Birgit Recki und Srascha Rohmer bedanken. 122 ALBER PHILOSOPHIE Ana Maria Rabe I Stascha Rohmer (Hg.) Homo naturalis h 123 ingrid Vendrell Ferran Gefuhle als Triebfedern der Moral eine mehrfache ist. Leitfaden dieses Aufsatzes ist die These, dass die Bedeutung des menschlichen Fiihlens sich nicht in der Funktion einer rein biologischen Reaktion auf die Urnwelt erschopft. Vielmehr erhaIt das Fiihlen beim Menschen weitere Funktionen; unter ihnen auch die der Fundierung einer Moral. Dank unserer Affektivitat konnen wir moralische Fahigkeiten entwickeln und besitzen eine Veranlagung zu moralischem Verhalten. Freilich sind die Ausformung dieser Veranlagung und die tatsachliche Entwicklung eines moralischen Verhaltens nicht zwingend, sondern auch abhangig von anderen Faktoren. 2. Die Autoritiit des Verstands in der Kantischen Normenethik Es ist eine vie1 diskutierte Frage, ob und wie die Gefiihle moralisch relevant sind.* Seit langem wird Kant die Ansicht zugeschrieben, dass die Gefiihle keine Funktion fiir die Moral haben und aus dem Reich der . ~ kanonisierte Auffassung Kants sollte Ethik zu verbannen ~ i n d Diese allerdings rediviert ~ e r d e n Kant . ~ selbst war zwischen 1764 und 1766 ein Sensualist in der Linie von Shaftesbury, Hutcheson und Hume. Er kannte daher die Thesen des moralischen Sinns aus erster Hand, obgleich e r diese Ansichten schnell zugunsten einer rationalen Begriindung der Moral aufgab (Recki 2008, 463). Die Wende zum Rationalismus bedeutete aber keineswegs eine Verbannung der Gefiihle aus der Kantischen Ethik. In Kants spateren nrationalistischenc( Werken haben die Achtung und der Bsensus comuniscc einen hohen Stellenwert, ebenso die Sympathie. Gefiihle stehen auch im Fokus der Aufmerksamkeit seiner ethischen Uberlepngen in der Metaphysik der Sirten, wo Kant die konkrete menschliche Situation mit all ihrer Nuanciertheit der GeFur eine deutschsprachige Behandlungen dieser Frage: Vgl. Donng, 5. und Mayer, V. (Hrgs.): Die Moralitiit der Gefiihle, Berlin: Akademie Vedag 2002 und Engelen, E.-M.: Gefiih/e, Reclam 2007. S. 82-104. Vgl. hir diese kanonisierte Auffassung etwa: Oakley, 1.: Morality nnd the Emotions, London: Routledge 1991. Zu der Revision von Kants Auffassung der Gefijhle hat Birgit Recki entscheidend beigetragen. Recki (2006a, 2006b, 20081, daran anschliegend auch Hilge Landweer und Ursula Renz in ihrer Einleitung zum Sammefband Klassisrhe Ernotionstheorien (Landweer und Renz 2008) und Eva-Maria Engelen in einer kiirzlich erschienenen Rezension iiber heurige Theorien der Gefiihle (Engelen 2009). Diese revidierte Auffassung Kants isr auch bei analytischen Philosophen zu finden (etwa Prinz 2009). 124 ALBER PHILOSOPHIE Ana Maria Rabe I Scascha Rohmer (Hg.) fuhle zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung nimmt. Auch in der Anthropologie erhalten die Gefuhle einen Sonderstatus als wichtiger Teil der menschlichen Natur. Denn weit davon entfernt, den Menschen als ein reines Vernunftwesen aufzufassen, ist Kant der Ansicht, dass sowohl die Vernunft als auch das Sinnliche und das Affektive Teil der menschlichen Natur sind. Es ware daher ein Irrtum zu behaupten, dass Kant den Gefiihlen iiberhaupt keine Rolle in seinem moralischen System zuschreibt. Um den genauen Status der Gefiihle fiir die Moral in der Kantischen Ethik zu bestimmen, sollten wir einerseits zwischen Grundlegung und Fundierung unterscheiden. Gefiihle sind laut Kant grundlegend fur die Moral, da er den Menschen in seiner konkreten Situation als ein fiihlendes Wesen versteht, dessen alltagliches Leben, Entscheiden und Handeln von Gefiihlen gepragt ist. Dennoch sind in der Kantischen Ethik die Gefuhle nicht fundierend: Sie bleiben dem Verstand untergeordnet, wenn es darum geht, ein ethisches Normensystem aufzubauen. Gefiihle konnen nicht fundierend sein, weil sie den Verstand verwirren konnten. In zugespitzter Form schreibt der Aufklarer: aAffekten und Leidenschaften untenvorfen zu sein, ist wohl immer Krankheit des Gemiits, weil beides die Herrschaft der Vernunft ausschlief3tcc (Kant 2003: 192). Dariiber hinaus sind die Gefuhle laut Kant zu unterschiedlich, um ein Magstab fur die Moral sein zu konnen (Kant 2008: 83). Kants Ethik ist und bleibt ein Projekt normativer Natur. Die Hauptfrage der Moral: ))Was sollen wir t u n ? <wird demnach vielmehr durch den Verstand beantwortet, indem wir ein moralisches System von Normen und Pflichten rational herstellen und diesem bei jeder Handlung folgen. Eine Handlung ist demnach gut, wenn sie aus einer Norm heraus entstanden ist, welche eine Verallgemeinerung des der Handlung zugrundeliegenden Grundsatzes zulasst - wie es der kategorische Imperativ besagt. Diese Kantische Position bedeutet einen moralischen Rationalismus und postuliert eine ,Autoritat des Verstandscc fur die Moral. Andererseits sollten wir bei Kants ethischem Projekt zwischen Einschrankung und Kultivierung der Gefiihle unterscheiden. Kant pladiert fur eine Erziehung des Menschen zum Guten (Kant 2003: 282) und dies sol1 auch als eine Kultivierung der Gefiihle verstanden werden. In diesem Kontext unterscheidet e r zwischen zwei Gefiihlsarten. Auf der einen Seite gibt es diejenigen Gefiihle, welche dem Verstand zu unterwerfen sind. Hier scheint Kant die Ansicht einer Opposition zwiHomo naturalis h 125 Gefuhle als Triebfedern der Moral ingrid Vendrell Ferran schen Gefiihl und Verstand zu vertreten und fijr eine Einschrankung der Gefuhle zu pladieren. Auf der anderen Seite steht das moralische Gefiihl der Achtung, welches ein ,durch einen Vernunftsbegriff selbstgewirktes Gefiihl und daher von allen Gefiihlen (. ..), die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, spezifisch unterschiedencc ist (Kant 2008: 26). Die Achtung wird als Gefuhl aufgefasst, das der Mensch den rnoralischen Gesetzen gegenuber hat. Das Gesetz wird mit Hilfe des Verstandes formuliert und die Achtung ist dann eine Wirkung des Gesetzes auf das Subjekt und nicht konstitutiver Faktor desselben (Kant 2008: 107). Innerhalb des Reiches der Gefiihle erhalt die Achtung somit einen besonderen Status. Sie ist zwar ein Gefuhl, aber sie ist nicht durch Einfluss der Empfindungen entstanden, sondern durch einen n v e r n ~ n f t s b e ~ r i f fdas r , hei4t durch die Setzung eines Gesetzes durch den Verstand. Die Rolle der Achtung ist somit sekundar irn Vergleich zu der Rolle des Verstandes als Gesetzgeber, denn die Achtung erkennt das rational begrundete Gesetz lediglich an und fungiert als A ~ s h h r u n ~ s k r aund f t Motivation fur den Vollzug der moralischen Handlung. Um diese Idee der Motivation auszudrucken, spricht Kant von der Achtung als moralischer Triebfeder. Damit hebt er die kognitive und praktische Funktion dieses Gefuhl hervor, aber wir diirfen hier nicht vergessen, dass das Gefuhl nur sekundar gegeniiber dem Verstand ist. Der Vorrang des Verstands gegeniiber den Gefuhlen bei der Ethik wird in Kants Werk nicht in Frage gestellt. Die Moral wird in diesem Modell nicht als Entwicklung unserer affektiven Natur betrachtet. Kants Ansicht uber die Gefiihle und ihre Rolle fur die Moral sowie iiber die fundierende Rolle des Verstands fur die Moral scheint mir vom Standpunkt der heutigen Gefuhlsforschung aus problematisch. Zwar versucht Kant an einigen Stellen, die Gefiihle in Verbindung mit dem Verstand zu bringen, doch bilden beide Begriffe oft genug Gegenpole. Kants Vorschlag einer Untenverfung des Gefiihls unter den Verstand kann nicht zuletzt durch die Arbeiten als hinfallig gelten, welche die kognitivistischen Theorien der Emotionen in jiingster Zeit hervorgebracht haben. Denn diesen Theorien zufolge haben die Gefuhle selbst kognitive Elemente als Grundlagen. In der heutigen analytischen Tradition wird insbesondere die Rolle des Urteils als Grundlage der Gefiihle beriicksichtigt. (Kenny 1963, Taylor 1985, Solomon 1993, Nussbaum 2005, Marks 1982, Green 2000). Die heutige analytische Philosophie erkennt als mogliche Basis der Gefiihle auch Phantasien, 126 ALBER PHILOSOPHIE Ana Maria Rabe / Srascha Rohmer (Hg.) ~ a h r n e h m u n g e n ,Erinnerungen und Annahmen an (Stocker 1987, Greenspan 1988, Mulligan 1998, Goldie 2002, Vendrell Ferran 2008). ~ e f i i h l ebasieren auch auf Denkakten, und daher sind kognitive EIemente ein wesentlicher BestandteiI derselben. Die Gefiihle zeigen au4erdem eine Struktur, die einige Autoren als intentional beschrieben haben. Die These der Intentionalitat der Gefuhle wurde schon von Brentano und seinen Schulern der phanomenologischen und der Grazer Schule vertreten (Brentano 192% 1924, 1959; Scheler 1954; Meinong 1968a, 1968b, 1969). Heute ist die These aufgrund der Veroffentlichung von Anthony Kennys Buch Action Emotion and Will ein Topos der analytischen Philosophie (Kenny 1963, de Sousa 1987, Tappolett 2000). Der genannten Auffassung zufolge sind die Gefiihle auf Objekte der Umwelt gerichtet und vermitteln uns Informationen uber dieselben. So konnen etwa die Angst auf eine Gefahr, die Emporung auf eine Ungerechtigkeit und das Mitleid auf die Sorgen eines Anderen hinweisen. Daruber hinaus konnen Gefiihle ihrerseits manchmal auch selbst Denkakte fundieren. Zum Beispiel dann, wenn wir etwas als schlecht beurteilen, weil es in uns ein negatives Gefiihl ausgelost hat. Auch fur das Handeln scheinen die Gefuhle grundlegend zu sein. Wie Damasios Studien gezeigt haben, sind Menschen mit gestorten affektiven Fahigkeiten oft unfahig, richtig zu entscheiden und zu handeln (Damasio 1994). Weit entfernt davon, eine Storung des Handelns darzustellen, sind die Gefuhle Quelle rationalen Handelns. Die Abwesenheit angemessener Gefuhle in einer konkreten Situation und gerade auch bei dem Treffen einer Entscheidung ist ein Zeichen moralischen Mangels. Kant erkennt - auch dies ist zu beriicksichtigen - die Achtung als Triebfeder der Moral nur in dem Sinne an, dass dieses Gefiihl zu Handlungen motivieren kann. Mit dieser Fixierung auf die Relevanz der Handlungen fur die Moral werden weitere mogliche moralische Funktionen der Gefuhle vollkommen ignoriert. So wird etwa auger Acht gelassen, dass wir eben dank unseres Gefuhlslebens die Nuancen einer Situation erfassen, dass Gefuhle uns mit anderen Menschen und Lebewesen verbinden oder dass sie Normensysteme begriinden konnen. Eine weitere Beschrankung von Kants Model1 liegt in der Tatsache, dass Kant nicht allen Gefiihlen eine moralische Bedeutung zuschreibt. Demgegenuber sollten wir uns fragen, ob nicht alle Gefiihle im positiven oder negativen Sinne - moralisch relevant sind. SymHomo naturalis h 127 ingrid Vendrell Ferran Gefijhle als Triebfedern der Moral pathie oder Mitgefiihl (Smith 2006; Scheler 19731, Eke1 (Kolnai 1974), Verachtung (Miller 1997) und Liebe (Scheler 1986, Ortega y Gasset 1957), um hier nur ein paar Beispiele zu nennen, haben bislang Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer moralischen Bedeutung erhalten. Problematisch an Kants Ansicht ist auch, dass er die Ethik allein auf Normen griindet und die Bedeutung der Werte fur die Moral ignoriert (Scheler 1954). Das, was man tun soll, wird durch Pflichten bestimmt, und die menschliche Fahigkeit, das moralisch Wertvolle zu entdecken, wird ignoriert. Es scheint notwendig, auf andere Modelle zu rekurrieren, welche den Gefuhlen eine fundierende Rolle fur die Moral zuschreiben und bei denen die Moral sich aus unserer affektiven Natur heraus entwickelt. In solchen Modellen sind die Gefiihle als Triebfeder der Moral im weitesten Sinne zu verstehen, d.h. dass sie Grundbausteine einer Moral sein konnen. 3.1. Gefiihlsprojektionen i m Emotivismus Den grogten Gegensatz zu Kants Rationalismus bilden diejenigen sentimentalistischen Autoren, welche die Gefuhle als Queile unserer Moral betrachten. Es gibt ein sehr breites Spektrum von sentimentalistischen Positionen, welche sich voneinander aufgrund ihrer Konzeption der Gefuhle, der Moral und der Verbindung zwischen beiden stark unterscheiden. Denn die Metapher der ))Quellecc kann sehr unterschiedlich verstanden werden. Trotz der Vielfalt der verschiedenen Positionen haben diese Ansichten als gemeinsamen Kern die These einer ))Autoritat des Gefuhls~'fur die Moral. Von den Gefuhlen hangt ab, dass die Welt sich uns als ein wertreicher Horizont prasentiert, in dem die Richtungen unserer Praferenzen zu erkennen sind. Auch die ethischen Urteile iiber die Umwelt, die Anderen und uns selbst sind in dieser Auffassung von unserem Gefuhlsleben abhangig Im Unterschied zu der normativen Ethik Kants legen diese Ansichten den Akzent auf die Existenz einer menschlichen Sensibilitat fur die Werte. Der Mensch ist aufgrund seiner Fahigkeit zum Fiihlen und zu Gefiihlen imstande, das, was wertvoll ist, als solches zu erkennen und dementsprechend zu han- Die emotivistischen Thesen finden ihre Inspiration bei Hume. Ihm zufolge sind die ethischen Eigenschaften nicht Eigenschaften der Objekte, an denen sie uns gegeben sind, sondern bloI3e Projektionen unserer Gefiihle auf diese Objekte. In Bezug auf die ethischen Urteile vertritt Hume die These, dass sie auf den Gefiihlen grunden (Hume 1998 und 1999). Eine ahnliche These wurde von Ayer vertreten und findet heute bei Mackie, Gibbard und Blackburn einen gewissen Widerhall (Ayer 1946, Mackie 1977, Gibbard 1990, Blackburn 1993). Der Emotivist postuliert, dass die ethischen Eigenschaften - also die Werte - Projektionen unserer Gefiihle auf die Welt sind. Das bedeutet, dass etwas zum Beispiel deswegen Iustig oder traurig ist, weil wir amiisiert sind oder weil wir Trauer empfinden. Nach dieser Theorie haben die ethischen Eigenschaften ihren Ort nicht in den Gegenstanden, sondern in uns als Subjekten. Diese Auffassung der Werte bedingt auch ein bestimmtes Verstandnis des ethischen Urteils. In einer Version des Emotivismus wird behauptet, dass - da die Werte Projektionen unserer Gefiihle sind - die Urteile, die wir ausgehend von unseren Gefiihlen formulieren, falsch sind (Mackie 1977). In einer anderen Version des Emotivismus werden die ethischen Urteile einfach als expressive Urteile aufgefasst (Blackburn 1993).8 Fiir den Emotivismus spricht die Tatsache, dass es eine grol3e Anzahl fiihlender Wesen gibt und gleichzeitig das, was gefiihlt wird, sehr verschiedenartig sein kann. Allerdings konnen auch andere Positionen fur diese Tatsache aufkommen, denn je nachdem, ob man eine Personlichkeit oder eine andere hat, oder je nachdem, ob man einer bestimmten Kultur oder einem bestimmten Zeitalter angehort, wird man auf bestimmte Eigenschaften achten und andere iibersehen. Die Einwande gegen den Emotivismus sind zahlreich. Ich werde ' Ich iibernehrne diesen Ausdruck von Mark Johnston (Johnston 2001). * ALBER PHILOSOPHIE Homo naturalis 3. 128 deln. Inwiefern aber hangen ethische Eigenschaften und ethische Urteile von den Gefiihlen ab? Ich werde im Folgenden drei verschiedene Antworten auf diese Frage skizzieren, die in jiingster Zeit die meisten Befiirworter gefunden haben: den Emotivismus, den Dispositionalismus und den Realismus. Gefuhle als Quelle der Moral in den sentimentalistischen Ethiken Ana Maria Rabe I Stascha Rohmer (Hg.) Ich folge fur diese Taxonomie D'Arms und Jacobson (2006) Gefiihle als Triebfedern der Moral Ingrid Vendrell Ferran hier nur auf die relevanten Problerne hindeuten. Die emotivistischen Ansichten konnen nicht erklaren, warum wir etwas als lustig oder traurig bezeichnen konnen, ohne dabei amiisiert oder traurig zu sein. In diesen Fallen kann man nicht von einer Projektion sprechen. Es gibt auch ein Zeitlichkeitsargument gegen die emotivistische These. Oft treten die Gefuhle erst nach der Erfassung der Werte auf, so dass es zeitlich unmoglich ist, dass die Werte Projektionen unserer Gefuhle sind. [Garcia Morente 2002, 48). Dariiber hinaus prasentiert sich die Welt manchmal rnit einer bestirnmten Qualitat, uber welche es einen Konsens gibt, so dass wir hier fast von einer obiektiven, von unserer ernotionalen Haltung unabhangigen Eigenschaft sprechen konnen. Diese Einwande gegen den Emotivismus sprechen h r die Suche nach neuen Alternativen fiir die Auffassung der ethischen Eigenschaften und Urteile und ihre Verbindung mit den Gefuhlen. 3.2. Angemessene Dispositionen zurn Fiihlen Angesichts der Problerne des Emotivisrnus bietet sich der Dispositionalisrnus als Alternative an. Dieser Theorie zufolge hat etwas einen bestimmten Wert, wenn es in dem Betrachter unter optimalen Umstanden ein bestirnmtes Gefuhl auszulosen pflegt. Etwas ist dann traurig, weil es unter bestirnrnten, moglichenveise normalen Umstanden Trauer in rnir auslost. Die Werte selbst werden als Dispositionen verstanden, bestirnrnte Gefuhle zu erleben. Ihnen wird irn Dispositionalisrnus eine Zwischenstellung zugewiesen, welche sowohl die rnenschliche Sensibilitat beriicksichtigt als auch den Werten eine gewisse Objektivitat zuschreibt. Dispositionalistische Theorien erlauben es, in Bezug auf die Werte von der Richtigkeit oder Angernessenheit und der Falschheit oder Unangernessenheit einer Emotion zu sprechen. Die Urspriinge dieser These sind bei Brentano zu finden (Brentano 1921). Sie wurde in jungster Zeit von McDowell, Wiggins und Mulligan (McDowell 1998, Wiggins 1987 und Mulligan 1998) vertreten. Abhangig von dieser Auffassung der ethischen Eigenschaften ist eine entsprechende Ansicht uber die ethischen Urteile. Diese sind nur dann angemessen, wenn wir dazu disponiert sind, eine bestimmte Emotion unter bestimrnten Umstanden zu fiihlen. Der Dispositionalismus legt den Akzent auf den Begriff der menschlichen Sensibilitat und betrachtet die Werte gleichzeitig als 130 ALBER PHILOSOPHIE Ana Maria Rabe I Staxha Rohmer (Hg.) ~ i ~ e n s c h a f t mit e n einer gewissen Objektivitat. Das Hauptproblern dieser Theorie liegt darin, dass der genaue Status der Werte und ihre hybride Stellung zwischen Projektion menschlicher Sensibilitat und objektiver Tatsache oft nicht iiberzeqend sind. Entsprechende Thesen erwecken leicht den Eindruck der Zirkularitat: Etwas hat einen Wert, weil es in uns unter bestirnmten Umstanden ein bestimmtes Gefiihl auslost, und etwas lost in uns unter bestimmten Umstanden ein bestimrntes Gefuhl aus, weil es einen Wert hat.9 Dariiber hinaus stellt sich die Frage: Wenn Werte irnmer von unserer Fahigkeit zurn Fiihlen abhangig sind und diese Fahigkeit nicht nur durch die individuellen Tatsachen, sondern auch historisch und kulturell bedingt ist: Wie kann eine Gesellschaft dann einen neuen Wert entdecken oder einem bestehenden Wert eine neue Bedeutung zuschreiben ? Diese Theorien miissen auch eine Erklarung der Wandelbarkeit unserer Art zu fiihlen liefern. AuBerdem sollten dispositionalische Ansichten auch die Bedingungen fiir die Angemessenheit unserer emotionalen Antworten bestimrnen. Zu envahnen ist ferner, dass wir normalerweise rnit einem bestirnmten Gefuhl auf eine Situation reagieren konnen, ohne dass dieses Gefiihl uns tatsachlich garantiert, dass die Situation einen bestimmten Wert hat. 3.3. Souveranitat der Werte im Realismus Die letzte Alternative, die ich in Betracht ziehen mijchte, ist der Realismus. Realistische Positionen behaupten, dass die Werte eine eigene Realitat haben, welche sowohl von den Dingen, an denen sie gegeben sind, als auch von den Subjekten, welche die Werte erfassen, unabhangig ist. Nach dem Realismus werden uns die Werte dank affektiver Phanornene unter optimalen Umstanden zuganglich: Ohne Gefuhle waren wir fur die Werte blind. Diese Auffassung der ethischen Eigenschaften wurde im vergangenen Jahrhundert von Meinong und Scheler vertreten (Meinong 1968a, Scheler 1954). Heute wird er von Christine TapPolet und Mark Johnston vertreten (Tappolet 2000, Johnston 2001). Laut Tappolet sind die Werte unabhangig von jeder subjektiven TapPolet hat allerdings gezeigt, dass der Eindruck eines rirculus vitiosus bei solchen Ansichten unbegriindet ist (Tappolet 2000). Homo naturalis h 131 ingrid Vendrell ferran Gefuhle als Triebfedern der Moral Haltung oder Reaktion der Subjekte. Die Funktion der Gefiihle besteht darin, die Werte zu erfassen. So prasentiert uns die Furcht das Furchterregende, der Eke1 das Ekelhafte und die Freude das Erfreuliche. Um diese These zu vertreten, arbeitet TappoIet mit der Analogie zwischen Gefuhlen und Wahrnehmungen. Gefuhl und W e r t ~ a h r n e h m u nkon~ nen hier in Analogie betrachtet werden. W a h r n e h m u q e n und Gefuhle werden durch Dinge unserer Urnwelt ))verursachtcclo, beide besitzen phanomenale Eigenschaften, beide fiihlen sich leiblich in einer bestimmten Weise an. Und zuletzt haben beide einen Inhalt und konnen in Bezug auf diesen angemessen oder unangemessen sein. Nicht nur wegen der Werterfassung haben die Gefiihle eine moralische Funktion, sondern auch - so Tappolet -, weil sie Werturteile fundieren (TapPolet 2000,9 und 259). Zum Beispiel rechtfertige die Bewunderung, die man beim Anblick einer Person fuhIt, das Urteil, dass diese Person bewund e r ~ n g s w i i r dist. i~ Johnston vertritt eine ahnliche Position und arbeitet auch mit einer Analogie zwischen Affekten und Wahrnehmungen (Johnston 2001, 189). Er behauptet, dass wir ohne Emotionen fur verschiedene Aspekte der Welt blind waren, keine Werturteile formulieren konnten und keine intrinsische Motivation zum Handeln hatten (Johnston 2001, 101). Es gebe ein Primat der Affekte gegenuber Kognition und Motivation. Johnston spricht hier von einer ,)Autoritat des Gefuhlscc (Johnston 2001, 189). Ohne explizit einen Wertrealismus zu vertreten, hat sich auch Oakley fur eine starke Rolle der Gefuhle bei der Wahrnehmung und dem Verstehen von Situationen ausgesprochen (Oakley 1993, 49). Hinsichtlich der Moralphilosophie seien die klare Wahrnehmung und das scharfe Urteilen wichtig, um eine gute Person zu sein. Sie sind laut Oakley nicht nur per se relevant, sondern weil sie unerlasslich sind, um gut zu handeln (Oakley 1993, 50). Ein Mensch ohne Gefiihle wiirde diesem Autoren zufolge an ,)insensitivity, apathy, listlessness, and detachmentcc leiden, er hatte kein Identitatsgefuhl und konnte seinem Leben keinen Sinn geben (Oakley 1993,48). Der Wertrealismus entspricht unserer Erfahrung, dass die Welt sich uns manchmal mit einer bestimmten Werthaltigkeit prasentiert, iiber welche ein Konsens besteht. Allerdings lassen die realistischen ID Wobei diese Kausalitat fiir die Emotionen weniger direkt als fiirdie Wahrnehmungen ist, da die Emotionen einer kognitiven Basis bedurfen. ALBER PHILOSOPHIE Ana Maria Rabe / Stascha Rohrner (Hg.) Positionen ungeklart, warum wir manchmal Werte erfassen, ohne dass wir von einem Gefuhl betroffen sind. Es gibt keine eindeutige Korrelation zwischen Wert und Gefuhl." Dies hat Mulligan zu der alternativen These gefiihrt, wonach die Werte nicht mitteIs der Gefiihle, sondern mittels eines eigenen Aktes des ))Fiihlenscc erfasst werden (Mulligan 2004 und 2005). Die Gefuhle waren dann mogliche Antwortreaktionen auf die gefiihIten Werte. Ferner scheint es kontraintuitiv und sogar widerspriichlich zu sein, die Existenz eines Reiches der Werte zu postulieren, das unabhangig von der menschlichen G e h h l ~ f a h i ~ k eist. it Realistische Ansatze haben auch manchmal ahnliche ProbIeme wie die dispositionalistischen, wie etwa die Schwierigkeit, die Bedingungen f i r eine optimale W e r t ~ a h r n e h m u nzu~ bestimmen. Sie mussen ferner die genauen Berechtigungsbedingungen fur Gefuhle liefern. Wann erfullt ein Gefiihl die Bedingungen fur die Angemessenheit? Ein Gefuhl ist schlieglich nicht deswegen angernessen, weil es sich auf einem bestimmten Wert richtet. Die Furcht richtet sich auf Furchterregendes - aber es kann unangemessen sein, etwas als furchterregend zu bewerten, und damit kann die Furcht selbst unangemessen sein. Jede dieser verschiedenen Positionen des Sentimentalismus, welche ich als Kontrast zu Kants Rationalismus dargestellt habe, pladiert fur eine Fundierung der Moral in den Gefiihlen. Die Basis der MoraIitat ist demnach in unserer Fahigkeit zu fuhlen zu suchen. Die drei skizzierten Ansichten sind m. E. von Bedeutung, weil sie - wenn auch auf unterschiedliche Weise - auf die menschliche Fahigkeit zum Fiihlen hinweisen, ausgehend von welcher die Welt des Menschen zu einer Welt voller Werte wird und irn Zusammenhang mit welcher Werturteile formuliert werden. Es ist diesen Positionen zufolge dem Gefiihlsleben zu verdanken, dass der Mensch ein moralisches Wesen ist. I' Mulligan hat diesen Kritikpunkt in verschiedene Stellen entwickelt (Mulligan 2004 und 2005). Homo naturalis h 133