Signale Küppersmühle, Duisburg Innenhafen Ein Denkmal wird Museum und mehr A ls langlebige Industriebauten haben sich in der Vergangenheit solche Gebäude erwiesen, die in ihrer Anlage so konstruiert sind, daß sie den Ansprüchen einer sich wandelnden Technik oder von gänzlich veränderten Zwecksetzungen angepaßt werden können. Ansonsten war es ihr Schicksal, von der Abrißbirne bedroht zu werden. Bei der Umnutzung des Innenhafengeländes in Duisburg ist dieser Gedanke bis in eine wirklich letzte Konsequenz umgesetzt worden. Um als Industriedenkmal überleben zu können, werden die alten Mühlen- und Speichergebäude der postindustriellen Nutzung zugeführt. Bei der Küppersmühle, die den östlichen Schlußstein des Areals setzt, wird der Weg vollends ausgeschritten, indem ihr Hauptteil künftig der Gegenwartskunst als fast tageslichtlose, aber darum nicht wenig prächtige Herberge dienen wird. Nichts im Innern des alten Komplexes erinnert heute noch an industrielle Nutzung, an die Bewegung und Bearbeitung von Tausenden Tonnen von Getreide, an den damit verbundenen Staub oder Lärm; diese Erinnerung pflegt liebevoll das Kulturund Stadthistorische Museum. Alles am Äußeren der Gebäude läßt erkennen, daß es sich hier um einen industriellen Zweckbau handelt, der vom Hafen bestückt wurde und ein Teil des Brotkorbs des Reviers war; angefangen von der stolzen Fassade mit ihren naturgetreu erhaltenen – natürlich neu verzinkten – Fenstern, dem Schornstein des Maschinenhauses, der demnächst einem Kreditinstitut als Wahrzeichen dienen könnte, bis hin zu den Stahlsilos, die das Gebäude architektonisch nicht gerade hinreißend begrenzen, und der Elevatoranlage, mit der das Korn aus den Schiffen gelöscht wurde. Außen spürt man geradezu die Hand des Denkmalpflegers; innen herrscht 22 der Geist einer auf die erwartete Kundschaft zugeschnittenen Dienstleistungsarchitektur. Und die Ansprüche des hier einziehenden Hauptdienstleisters an sein Domizil sind nicht gerade gering. „Küppersmühle Duisburg – Kunstsammlung Grothe. Museum für Gegenwartskunst“ lautet die etwas sperrige Titulatur für das Vorhaben, die deutsche Kunst unserer Tage – soweit sie sich nicht gerade in Skulpturen darstellt, wofür das Lehmbruck-Museum verantwortlich zeichnet – auf rund 5 000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche, genug auch für ein kleines Warenhaus, heimisch zu machen. Da diese Kunst es an sich hat, in großen, teilweise riesengroßen, Formaten daherzukommen, kann diese Fläche nicht in kleine Räume mit normalen Höhen aufgeteilt sein. Sechs Meter Höhe und etwas mehr sollen es schon sein, und Abstand muß der Betrachter auch gewinnen können, da darf es keine Stützen in den Räumen geben. Das Architektenteam Herzog & de Meuron, Basel, hat, um diesen Anforderungen zu genügen, aus sechs Geschossen des achtgeschossigen Hauptgebäudes drei Geschosse gemacht und die notwendige Statik in den Decken und den wenigen verbleibenden Wänden untergebracht. Die Fenster der Südseite wurden zugemauert, da sie für diese neue Nutzung keine Funktion mehr haben. Künstliches Licht, in Bändern unter den hohen Decken angebracht, durchflutet die Räume taghell und schattenfrei. Alle Technik, einschließlich der Sensorik für die Diebstahlsicherung, ist hinter glatten weißen Wänden verschwunden. Nichts ist störend außer einem zierlichen Bewegungsmelder und den unvermeidbaren Fluchtzeichen. Die Wände senken sich quasi schwebend, ohne von Fußleisten gestört zu werden, auf die grau schimmernde beheizte Bodenfläche aus türkischem Basalt. Kulträume für Kostbarkeiten sind hier entstanden, bei denen man sich höchstens noch zu fragen hat, wie es mit der Akustik beschaffen ist, wenn Besucher in ihnen wandeln und sich unterhalten. Zur Nordseite hin kann sich das Auge erholen; die dort erhalten gebliebenen Fensteröffnungen geben den Blick auf den Hafen frei und sorgen für ein mil- Fotos: Ullrich Sorbe des Tageslicht zur Betrachtung der dort ergänzend ausgestellten Skulpturen. Nun ist es ein Unterschied, ob man Korn und Maschinenteile in ein Gebäude hinein- und wieder herauszuschaffen hat, oder ob es sich um Gemälde und Museumsbesucher handelt. Das heißt die Gestaltung des Eingangsbereiches, das Anlegen eines funktionstüchtigen Treppenhauses sowie die Installation einer leistungsfähigen Aufzugsanlage mußten bei diesem Umbau unter Berücksichtigung der Ansprüche der Denkmalspfleger gelöst werden. Bauherr, die GEBAG Duisburg, und Architekten haben den Denkmalschützern, die viel Wert auf Thema Wirtschaft 4/99 Signale eine unveränderte Fassade legten, überzeugende Lösungen abgerungen. Mit dem Hinweis darauf, daß ein Industriebau auch früher in seiner Fassade für Durchbrüche verändert wurde, wenn veränderte Nutzungen anstanden, konnte im Erdgeschoßbereich ein moderner Portalbereich an der Südseite eingerichtet werden, und auf der Nordseite – zum Wasser hin – kann sich der Besucher einer Cafeteria erfreuen, die verglast über die alte Hafenbahn zum Hafenbecken auskragt – im Baustellenjargon das „Aquarium“ genannt. Die Beförderung in der Vertikalen erfolgt über einen angesetzten Treppenhaustrakt, der – weil nicht historisch – in einem massiv eingefärbten Beton ausgeführt ist und das Ziegelrot der Back- die alte Mühle zu groß. Über dem Museumsblock liegt ein herrliches Penthouse, das sich hervorragend für ein Künstleratelier nebst Wohnung eignet. Neben und vor ihm – im alten Silo und Maschinenhaus – warten noch einmal 5 000 Quadratmeter der feinsten Art auf gewerblich Büronutzung oder eine ähnliche Verwendung. Diese sollen einen Beitrag zur Finanzierung des Gesamtobjektes leisten, das die GEBAG mit 33 Millionen Mark abzurechnen hofft. Die alte Liegenschaft wurde von ihr zu einem symbolischen Preis von der Innenhafen Duisburg Entwicklungsgesellschaft mbH erworben mit der Verpflichtung, sie im Sinne der Stadtentwicklung zu verwerten. Damit ergab sich die Möglich- Eine von ihm ins Leben gerufene GmbH in Stiftungsform trägt die Kosten des Museumsbetriebs. Die GEBAG sieht in den rund zehn Millionen Mark Eigenengagement eine ihrer üblichen Investitionen im Rahmen der Stadtentwicklung, wie sie sie auch im Falle des Ruhrorter Tausendfensterhauses getätigt hat, von dem sie überzeugt ist, daß es heute voll kostendeckend veräußert werden könnte. Stolz und Begeisterung kennzeichnen die Stimmung bei allen, die an dem Bauwerk und dem Ausstellungsprojekt beteiligt sind. Verflogen sind die Zweifel, ob der ehrgeizige – durch den Endpunkt der IBA bestimmte – Zeitplan der Architekten eingehalten werden kann. Allen ist zwar be- steinfassade aufnimmt. Wer sich die Mühe macht, in diesem monolithisch wirkenden Treppenhaus von einer Etage zur anderen zu gehen, wird unter anderem erkennen, wie mit dem fugenlos eingebrachten Terrazzoboden ein Element der alten Industriebauweise eingebracht ist. Wenn sie dann ab dem 17. April zu betrachten sein werden, die Werke von Beuys, Lüpertz, Baselitz, Rückriem, Penck, Polke, Ruthenbeck, Kiefer, Immendorff, Richter und andere, dann werden sie bald nicht mehr alleine sein. Leben um sie herum soll es geben; denn für ein Museum allein – sei es auch so groß wie ein Warenhaus – ist keit, das lang ventilierte Vorhaben, etwa ein Drittel der rund 600 Werke, welche die Sammlung des Immobilienkaufmanns Hans Grothe umfaßt, in seiner Heimatstadt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Landesmittel in Form verbilligter Darlehen und Zuschüsse in Höhe von 22,5 Millionen Mark finanzieren den Museumszweck und die denkmalpflegerischen Aufwendungen. Ein Vertrag auf 30 Jahre mit einer beiderseitigen Kündigungsmöglichkeit nach sieben und 17 Jahren zum 10. beziehungsweise zum 20. Jahr bindet Hans Grothe an das Objekt. Dabei ist ihm Miet- und Betriebskostenfreiheit für das Gebäude zugesichert. wußt, daß es zweierlei ist, ein Haus zu bauen und es zu betreiben; aber alle scheinen sich auch auf den Sprung ins kalte Wasser zu freuen, von dem sie wissen, daß er ihnen bevorsteht. Von keinem Zweifel angekränkelt zeigt sich insbesondere der Sammler Hans Grothe, wenn man ihn auf die Strategie der Präsentation seiner Sammlung anspricht. „Die künstlerische Führung des Gebäudes wird sich genauso abspielen wie der Aufbau der Sammlung: aus meinem Qualitätsgefühl heraus, aus meiner Freundschaft zu den Künstlern und aus meiner Liebe zur Kunst. Ich habe kein Kunststudium absolviert, aber Thema Wirtschaft 4/99 23 Signale ich hatte den richtigen Blick vor 30 Jahren für die Bilder, die heute internationale Kunst sind. Ich glaube, daß das eine ausreichende Qualifikation ist“ – so lautet seine Antwort. Im Lehmbruck-Museum freut man sich auf die schöne Schwester. Dr. Christoph Brockhaus, der selbst über rund 5 000 Quadratmeter Nettoausstellungsfläche verfügt, sieht in der Präsentation der jungen deutschen Kunst ab 1960 auf den 3 500 Qua- 24 dratmetern, die in der Küppersmühle für den Besucher zur Verfügung stehen, eine geradezu ideale Ergänzung zu den Beständen des eigenen Hauses und für die 80 Objekte, die er für die Duisburger Kulturmeile zusammengestellt hat. „Wer sich mit Richter befassen will“, sagt er, „kann sich jetzt erst den von ihm gestalteten U-Bahnhof ansehen und dann in die Küppersmühle gehen.“ Ein Defizit sieht Brockhaus noch im Duisburger Angebot der modernen Kunst: die Deutsche Malerei von 1945 bis 1970; und diese Lücke, ist er glücklich, wird anläßlich der Duisburger Akzente mit einer großen Ausstellungen in der Stadtsparkasse vom 3. bis zum 5. Mai geschlossen. Mit der von den Architekten faszinierend umgestalteten Küppersmühle als östlichem Ankerpunkt des Innenhafenensembles und der Anbindung des Sammlers Grothe an die Stadt hat Duisburg jetzt ein Pfund, mit dem es wuchern kann. Die Speicherlandschaft – von Lehnkering am Schwanentor über Karavans Garten der Erinnerung bis zu den Stahlsilos an der Küppersmühle – müßte wirklich reizen, sich ein Stück Ge- schichte zu ergehen. Die gefundenen Nutzungen von der Konzernzentrale über die Synagoge, die Wohnbebauung, das Seniorenheim, bis zu der Freizeitnutzung am neugestalteten Wasser und den Museumszwecken bieten die Voraussetzung, daß nicht nur an alten Mauern vorbeigegangen wird. Ein lebendiges Hinein und Heraus zu fast allen Tageszeiten müßte eigentlich das Bild prägen. Die Einbindung des Starts in die Schlußpräsentation der IBA garantiert auch fast einen Auftakt, der Aufmerksamkeit über Duisburg hinaus erregen wird. Die Gretchenfrage wird sein, ob hier ein Feuer für einen Sommer abgebrannt wird oder ob es gelingt, ein Marketing zu entwickeln, das die Stadt dauerhaft befruchtet. Die Route der Industriekultur für das Ruhrgebiet wäre dazu ein Ansatzpunkt unter anderen Möglichkeiten. Entscheidend wird es aber wohl sein, ob es der Stadt selbst gelingt, sich mit ihrer Kulturmeile zwischen Bahnhof und Innenhafen zu identifizieren und dafür eine überzeugendes, wettbewerbsfähiges Kulturmarketing zu entwickeln. Max Pannenbecker Thema Wirtschaft 4/99