Alte Tabakscheune, frisch aufgemöbelt

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hausBesuch
hier hingen mal tabakblätter
zum trocknen, das alles war
mal eine scheune. heute: ein
faszinierendes Wohnhaus.
Die holzbalken von früher,
eisenträger, weite Blicke,
weißes sofaeck, heitere
atmosphäre.
Alte Tabakscheune,
frisch aufgemöbelt
Sie sollte abgerissen werden, die alte Tabakscheune. Heute
leben hier, in Neibsheim bei Karlsruhe, Carola und Florian
Blümig. Rundgang durch einen kühnen Traum.
TexT: Kathrin thoma-Bregar FoTos: josefine unterhauser
E
s ist nicht genug zu wissen, man muss
es auch wollen. Es ist nicht genug zu wollen,
man muss es auch tun“. Was Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
sagte, könnte das Lebensmotto von Carola
und Florian Blümig sein.
Sie, gelernte Dekorateurin, hat es demonstrativ auf eine Fensterscheibe geschrieben. Von hier begrüßt das Zitat jeden
Gast und stellt gleich klar, wer hier wohnt:
Menschen mit Träumen, mit Visionen – und
mit Tatkraft.
Dass sich Florian Blümig mit Häusern
auskennt, ist klar, schließlich sind Häuser
sein Beruf, er ist Architekt. Er weiß, wie
man neue Häuser baut und alte saniert. In
seinem eigenen Heim hat er beides verwirklicht, er hat eine 70 Jahre alte Tabakscheune einfach mit modernen Wohneinheiten
versehen.
Anfangs war nicht jeder von seinem Bauvorhaben überzeugt. Wie oft er bei Behörden vorstellig war, kann er gar nicht mehr
zählen. „Es waren verflixt viele Behördengänge“, sagt er. Aber so ist es eben. Wenn er
sich mal was in den Kopf gesetzt hat, zieht
er es auch durch, womit wir wieder bei Goethe sind: Es ist eben nicht genug zu wissen.
Man muss es auch wollen und tun.
ZigarrenDuft, hÖhenLuft
Es ist ein kühler Wintertag, als uns der Architekt und seine Frau vor der Tabakscheune begrüßen. Schon von außen macht das
Gebäude ordentlich was her: Es thront auf
einer kleinen Anhöhe und ist mit Ausmaßen
von 40 m Länge, 8 m Breite und vier Stockwerken samt lang gezogener Dachreiter nur
schwer zu übersehen. Allein steht das große
Holzgebäude zwischen Maifeldern und
Streuobstwiesen und schaut hinunter aufs
2000-Seelen-Dorf Neibsheim, unweit von
Karlsruhe.
Durchs große, orangerote Schiebetor
gehts ins Innenleben des Gebäudes. Augenblicklich steht man in der Remise. Einer Remise quasi unterm Haus, mit einer gepflasterten Durchfahrt, durch die einst
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Buche prasselt, flammen lodern,
draußen stürmt der Winter heran,
hier ist es behaglich. glas stoppt
den funkenflug, das erhöht die sicherheit, auch für die Dekoration.
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Hier kam nicHT die
abrissbirne. Hier
kamen menscHen
miT einem Traum.
Wie scHön, dass es
soWas gibT.
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Erntewagen fuhren. Der Wind streicht
durch die rundherum offene Lamellenfassade und durchs offene Gebälk. Hier wurde
früher der Tabak getrocknet. Nicht ohne
Grund wird der Kraichgau in der Nähe allgemein „Badische Toskana“ genannt. Das
Klima ist mild, die Böden sind satt, ideal für
den Anbau von Tabak. Der Handel florierte
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Damals muss es in der Scheune geduftet
haben wie in einer überdimensionierten Zigarrenkiste. Auf Schnüren und über alle
Stockwerke hinweg hingen die begehrten
Blätter. Trennwände oder Decken wären
nur hinderlich gewesen, so mussten die Tabakpflanzer hier auf schmalen Laufbohlen
balancieren.
Was man auf Dem fahrraD entDecKt
Mitte der 1960er Jahre war‘s mit dem Tabakanbau in Neibsheim vorbei. Globaler Handel verdrängte das heimische Produkt. Zeitweise gab es hier wohl eine Hühnerzucht,
berichtet Carola Blümig, aber alles in allem
wurde die Scheune sich selbst überlassen.
So nagte die Zeit an dem Anwesen, ließ
die Holzlamellen verwittern, die Deckenschalung morsch und die Ziegeldeckung
marode werden. Einzig die Dorfjugend traf
sich regelmäßig auf dem gefährlichen Abenteuerspielplatz. Der Gemeinde war der alte
Schuppen wohl lästig, sie musste für den
Absperrzaun aufkommen und nach dem
Rechten sehen. Deshalb sollte er abgerissen
werden, trotz Denkmalschutz.
Dass Architekt Florian Blümig der Tabakscheune dieses Schicksal ersparte, das
war purer Zufall – oder mehr? Er war mit
seinem Fahrrad unterwegs, da entdeckte er
das halb verfallene Gebäude. Er bremste,
schwang sich vom Sattel, betrachtete die
Scheune und war ihr „augenblicklich verfallen“. Das Gebäude hatte seinen eigenen
Charme, es erzählte vom Auf und Ab der
versunkenen Ära.
Dieses Kulturdenkmal einfach platt machen? Niemals, schwor sich Florian Blümig.
Aber eigentlich gab es keine Chance
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„Wo gibt es das sonst, dass man
zuhause bis zu 40 meter weit
sehen kann“, sagt hausherr
florian Blümig, 43, rechts mit
seiner frau carola, 48. Zu ihren
füßen gildo, Deutscher Kurzhaar-rüde. Der Blick geht durch
flur, Küche,
essbereich bis hinüber ins
Wohnzimmer, alles ohne
trennwände.
„Weiß“, sagt carola Blümig, gibt einen „schönen
Kontrast zu den holzpfeilern“. rosa geweihe, eine
bemalte truhe, alles sehr
dekorativ. sie mag es
„schlicht“, aber zugleich
auch „verspielt“.
Links: hier ist die alte
Konstruktion mit
stufen und stützen
besonders deutlich zu
sehen. Darunter:
großzügig und doch
ganz nah, vom schlafraum sieht man nach
links ins Bad. mitte:
eine neue feuertreppe.
gleich daneben die
Durchfahrt durchs
haus. rechts: abenddämmerung, auch
durch die Lamellen flutet Licht, das wirkt
geheimnisvoll.
sammlerstücke in der ehemaligen scheune.
Bilder, spiegel, truhen, die optisch nichts Bulliges,
schweres an sich haben. Das Kinderbett (o.) ist
vom flohmarkt. ausrangiertes hat hier ein zweites Leben.
mehr. Längst waren die Abrissarbeiten ausgeschrieben. Das Ende war besiegelt, fast.
Der Architekt wusste, was zu tun war. Er
musste Behörden und Politiker mit seinen
Plänen für die alte Scheune überzeugen,
denn „die Entscheidungen einer Verwaltung
lassen sich nur schwer rückgängig machen“,
fürchtete er.
So reichte der Architekt Antrag um Antrag und Gutachten um Gutachten ein. Da
sich niemand eine Wohnnutzung des
Zweckbaus von 1939 so recht vorstellen
konnte, baute er sogar von seinem Traumhaus ein Miniaturmodell. Schließlich fand
Florian Blümig, 43, doch noch einen Fürsprecher, der ganz begeistert war - und das
war immerhin der Bürgermeister.
Nach einem Jahr konnten Florian und
Carola Blümig endlich loslegen. Theoretisch
war in dem 3.700 Kubikmeter dicken Bauch
der Tabakscheune genug Platz für acht Reihenhäuser. Damit wäre der offene und weitläufige Charakter des Hauses allerdings
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advent. teelichter flackern, matt-silberne und
matt-rote Kugeln schimmern, kunstvolles federvieh belebt die szene. carola Blümig ist
Dekorateurin.
futsch gewesen. Genau das wollte Architekt
Florian Blümig verhindern.
So behielt er das luftige Prinzip des Speichers auch für den Wohnbereich bei und
hängte zwei doppelgeschossige Penthäuser
wie Wespennester rechts und links unterm
Dach ein. Sie sind mit orangefarbenem Heraklith (Faserplatten) verkleidet und halten
einen Meter Abstand zu den Außenwänden.
So kann die Luft weiterhin zirkulieren.
Eines der beiden Lofts nutzen die Hausherren privat, das gegenüberliegende als
Büro- und Ferienapartment. Von unten
führt eine Holztreppe – das Original von
früher – hinauf. Wer sie erklimmt, sollte keine Höhenangst haben. Carola und Florian
Blümig steigen voran, wir hinterher.
DenKe gross, Wage gross
Oben weisen die ????? den Weg: durch eine
Glastür hinein in ihre Wohnhälfte. „Die Leute, die draußen vorübergehen, meinen, hier
drinnen müsste es dunkel sein. Dabei
kommt durch die Lamellen überall das Licht
herein“, sagt Carola Blümig. Die Holzlamellen, die mit schädlichem Teeröl bearbeitet
waren, hat das Ehepaar selbst ausgebaut
und durch neue, unbedenkliche, ersetzt.
„3660 waren es insgesamt“, sagt Carola Blümig. Übrigens kommt noch mehr Licht
durch zwei Oberlichter.
Die Hausherrin geht vier Schritte vor
und steht gleichzeitig: im Flur, in der Küche, im Esszimmer, im Wohnzimmer.
Bei Familie Blümig gibt es nämlich keine
einzelnen Zimmer. Alles ist ein großer
Raum. Lediglich die zahlreichen Holzbalken verleihen Struktur. Über eine freischwebende Treppe gelangt man ins Schlaf-, Fernseh- und Bade-Zimmer. Auch hier ist alles
offen. Selbst die verglaste Dusche scheint
mittendrin zu stehen.
Carola Blümig gibt zu, dass es Momente
gibt, da hätte sie „gerne Türen“ oder ein
„abgeschlossenes Zimmer“, in das man sich
„zurückziehen“ kann.
Das ist ja die ewige Frage der Architektur. Wie weit muss sich der Einzelne in einer
Familie zurückziehen können, in „sein
Reich“? Oder ist es besser, wenn man sich
nicht abkapseln kann, gar in einem anderen
Stockwerk? Mutter in der Küche, Papa im
Lesesessel, die Kinder vorm Rechner unterm Dach, jeder für sich, wie gut tut das?
Architekt Florian Blümig jedenfalls liebt
das unbegrenzte Wohnkonzept, und seine
Frau Carola prinzipiell auch. Er: „Wo kann
man schon 40 Meter weit von einem Ende
des Hauses bis zum anderen Ende sehen?“
Heisst es nicht: In großen Räumen wachsen
große Gedanken, große Ideen?
Die Inneneinrichtung der alten Tabakscheune mit ihren Penthäusern ist das Metier der Hausherrin, Carola Blümig, 48, ist
gelernte Dekorateurin. Sie spielt mit Farben, arrangiert Vasen, mischt alte mit neuen Möbeln. „Wir haben alles ganz bewusst
in Weiß gehalten, das gibt einen schönen
Kontrast zu den Holzpfeilern.“
Selbst den antiken Schrank hat sie mit
weißer Lasur versehen. Rosa gestrichene
Geweihe, himmelblaue Kissenbezüge und
rotkarierte Decken setzen heitere Akzente.
„Schlicht, gleichzeitig verspielt, mit einem
Hauch Romantik“, so beschreibt sie den Stil,
mit dem die das Haus eingerichtet hat.
es KnarZt, ÄchZt, LeBt
Wer in einer ehemaligen Scheune aus Holz
wohnt, hört es irgendwann nicht mehr, das
Knarzen, Ächzen, Raunen. „So ein Haus ist
ständig in Bewegung“, sagt Florian Blümig,
„es lebt halt.“
Rund 420 Quadratmeter Angriffsfläche
bietet das Haus bei Sturm. Alle Lamellen
sind gesichert, auf der Wetterseite bietet
Plexiglas zusätzlichen Schutz, dennoch
kann ein Orkan furchterregend an der Fassade rütteln. Einmal war es so schlimm, da
hat Carola Blümig „vorsichtshalber den Koffer gepackt“. Aber dann zog der Orkan weiter. Mittlerweile hat sich das Ehepaar daran
gewöhnt, mitten in der Natur zu leben. Vorher wohnten sie in einer schicken Stadtwohnung, jetzt grasen Rehe unter ihrem Balkon,
Hasen hoppeln über die Wiesen. Im Sommer genießt Familie Blümig den Garten
rund ums Haus. „Ein perfekter Ort, um runterzukommen“, sagt er.
Lieblingsplatz ist der Freisitz zwischen
den beiden Lofts. Die ehemalige Arbeitsbühne nutzen sie wie eine Loggia, hier sind
sie gern zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit. Am liebsten mit ganz vielen Freunden.
Jetzt im Winter sitzen Carola und Florian Blümig hier in dicke Decken gehüllt, oft
spinnen sie neue Ideen für ihr Haus. Vielleicht einen kleinen Einrichtungsladen?
Oder doch lieber ein hübsches Café?
Am Firmament geht goldgelb der Mond
auf, frech spitzt er durch die Holzlamellen,
über Florian Blümig und seine Frau kommt
wohlige Ruhe. Schließlich machen auch
Macher manchmal nichts, ein kleiner köstlicher Luxus. 3
servus 81
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