236 9.8 Augensymptome: Doppelbilder Unilateraler Gesichtsfelddefekt Tab. 9.18 • Ursachen unilateraler Gesichtsfelddefekte Verdachtsdiagnose wegweisende Befunde Makulaläsion, Papillenveränderungen, Retrobulbärneuritis Zentralskotom, Fixation mitbetroffen → ophthalmologisches Konsil Kompression des N. opticus, Retinopathie, Simulation isolierter temporaler Halbmond, konzentrische GFEinschränkung → ophthalmologisches Konsil vordere ischämische Optikusneuropathie, hemiretinaler Arterienverschluss, Glaukom altudinale Hemianopsie → ophthalmologisches Konsil Retinitis pigmentosa (s. S. 483), Glaukom, Chloroquintherapie Ringskotom → Anamnese, ophthalmologisches Konsil 9.8 Augensymptome: Doppelbilder Spezielle Diagnostik bei Doppelbildern ▶ Basisdiagnostik s. S. 231. ▶ Klinische Einordnung der Doppelbilder: • Fixation und Folgebewegung in die 9 Kardinalrichtungen → Hinweise auf die Parese/den Ausfall eines bestimmten Augenmuskels: – Die Doppelbilder weichen stärker auseinander, wenn der Blick in die Funktionsrichtung des gelähmten Muskels bewegt wird. Beispiel: Sind die Doppelbilder beim Blick nach links am stärksten ausgeprägt → Parese des linken M. rectus lateralis oder des rechten M. rectus medialis. – Nystagmus in der Hauptaktionsrichtung eines paretischen Muskels → muskelparetischer Nystagmus (kann bei sonst schwer zu beurteilenden Befunden die Diagnose ermöglichen). • Besteht eine bestimmte kompensatorische Kopfhaltung? – Kopf nach rechts oder links gedreht → H.a. Parese M. rectus lateralis (N. abducens, selten N. oculomotorius). – Kopf gehoben oder gesenkt → H.a. Parese M. rectus superior oder M. rectus inferior (N. oculomotorius). – Kopf zur Schulter geneigt, Gesicht zur gleichen Schulter gedreht, Kinn gesenkt (Torticollis ocularis) → H.a. Parese M. obliquus superior (N. trochlearis). • Bielschowsky-Kopfneige-Test: S. 624. • Cover-Test: Beide Augen fixieren ein Objekt, dann ein Auge abdecken und gleichzeitig das andere Auge beobachten. Kommt es zu einer Einstellbewegung, so bestand/besteht eine manifeste Schielabweichung (auch bei konkomitierendem Schielen). ▶ Vorgehen bei Unklarheit, von welchem Auge das Doppelbild generiert wird: • Zur Doppelbild-Analyse soll der Patient in die Richtung mit maximalem Abstand der Doppelbilder blicken. Das Bild des betroffenen Auges („falsches Bild“) ist weiter peripher. Erkennbar, wenn Augen einzeln abgedeckt werden (der Patient muss angeben, ob inneres [„echtes“] oder äußeres [„falsches“] Bild verschwindet). Zur Vereinfachung für den Patienten vor ein Auge farbiges Gläschen halten und stabförmige Lichtquelle (als Fixationspunkt) verwenden. • DD paralytisches/konkomitantes Schielen: Paralytisches Schielen ist bedingt durch Läsion von Augenmuskel(-n), Augenmuskelnerv(-en) oder Läsion im Kerngebiet der Augenmuskelnerven. Beim konkomitanten Schielen tritt Schielen bei gleichzeitiger Blickbewegung beider Augen auf, während die Beweglichkeit jedes ein- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome 9 Doppelbilder konstant in einer Blickrichtung ▶ Einer peripher-nervalen Läsion entsprechende Störung: • Zur möglichen klinischen Zuordnung s. Tab. 9.19. • Zu möglichen Ursachen s. Tab. 9.20. • Befunde bei Paresen der Augenmuskelnerven s. Abb. 9.3. Tab. 9.19 • Augenmuskelnerven, äußere Augenmuskeln und Befunde bei Doppelbildern/ Paresen (nach Mumenthaler) Nerv Muskel Haupt- funktion primäre Abweichung des paretischen Bulbus Maximum der Doppelbilder beim Blick nach Stellung und Art der Doppelbilder N. oculomotorius M. rectus medialis Adduktion temporal nasal nebeneinander, gekreuzt M. rectus superior Elevation (v. a. bei Abduktion) unten + temporal oben + temporal schräg M. rectus inferior Senkung (v. a. bei Abduktion) oben + temporal unten + temporal schräg M. obliquus inferior Elevation (v. a. bei Adduktion) unten + nasal oben + nasal schräg N. trochlearis M. obliquus superior Senkung (v. a. bei Adduktion) oben + nasal unten + nasal schräg N. abducens M. rectus lateralis Abduktion nasal temporal nebeneinander, ungekreuzt Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome zelnen Auges normal ist (bei kongenitaler oder früh erworbener Sehschwäche eines Auges). • Vertikale Doppelbilder? – Maximale Doppelbilder bei Adduktion des befallenen Auges → Parese M. obliquus superior oder inferior. – Maximale Doppelbilder bei Abduktion des befallenen Auges → Parese M. rectus superior oder inferior. ▶ Spezielle Zusatzdiagnostik: • Camsilon-(Tensilon-)Test bei unklaren und untypischen Fällen zum Ausschluss einer okulären Myasthenie (S. 698). • Kranielles MRT mit Darstellung der Orbita mit Fettsättigung vor/nach KM (S. 104): Raumforderung? Pseudotumor orbitae etc.? • Glukosetoleranztest zum Ausschluss einer diabetischen Ursache (S. 51). 9 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 9.8 Augensymptome: Doppelbilder 237 9.8 Augensymptome: Doppelbilder Okulomotoriusparese rechts Trochlearisparese rechts Abduzensparese rechts Blick nach vorn: Blick nach vorn: Blick nach vorn: Blick nach links: Blick nach links: Blick nach links: Blick nach rechts: Blick nach rechts: Blick nach rechts: Blick nach oben: Blick nach oben: Blick nach unten: Ptosis Blick nach vorn, gehaltene Lider: Bulbusstand außen unten, Mydriasis Bulbusstand außen oben, Mydriasis Blick nach unten: Abb. 9.3 • Befunde bei Paresen der Augenmuskelnerven 238 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome 9 Verdachtsdiagnose wegweisende Befunde I. Läsion der Augenmuskelnerven kryptogen, kongenital Ausschlussdiagnose! Trauma Anamnese (oft Trochlearisparese bds.), CCT Aneurysma (S. 352) langsam zunehmend (manchmal auch plötzlich), v. a. N. III, evtl. Schmerzen/Hypästhesie V1 Tumor langsam zunehmend Karotis-Sinus-cavernosusFistel (S. 351) (pulsierender) Exophthalmus, gestaute Konjunktival- und Fundusvenen Hirndruck v. a. N. abducens und N. oculomotorius; s. S. 627 Tolosa-Hunt-Syndrom s. S. 305 Raeder-Syndrom s. S. 300 Infektionen z. B. Botulismus (s. S. ), Diphtherie, Lues (s. S. 431), Sinusitis Pharmaka z. B. INO oder äußere Ophthalmoplegie bei Phenytoinintoxikation basale Meningitis Fieber, Meningismus, andere neurologische Ausfälle, Allgemeinsymptome, Liquor Meningeosis neoplastica (S. 396) Anamnese, Liquorzytologie (Tumorzellen) Sarkoidose (S. 456) v. a. N. facialis, Anamnese Guillain-Barré-Syndrom s. S. 682 Fisher-Syndrom assoziiert mit Ataxie, Areflexie; Liquor! Diabetes mellitus v. a. N. III, N. VI, starke Schmerzen, Pupille frei Migraine ophthalmoplégique (S. 292) Anamnese, Parese meist gegen Ende der Kopfschmerzphase (Latenz bis zu 3 Tagen möglich!); MRT, Angiografie, Liquor II. Läsion der Augenmuskelkerne. Hinweis: Nahezu immer mit anderen zentralnervösen Symptomen vergesellschaftet! Hirnstamminfarkt, Hirnstammblutung plötzlich, immer andere Hirnstammsymptome → s. S. 335 Hirnstammtumoren v. a. Metastasen, Gliome Trauma mit Hirnstammkontusion Anamnese Syringobulbie s. S. 610 Multiple Sklerose s. S. 461 Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome Tab. 9.20 • Mögliche Ursachen für Doppelbilder durch Ausfall bestimmter Augenmuskeln 9 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 9.8 Augensymptome: Doppelbilder ▶ Keiner peripher-nervalen Läsion entsprechende Störung → Ursache an Auge + Orbita: Augenmuskeln, mechanische Prozesse, okuläre Myositis, Orbitatumoren, endokrine Ophthalmopathie (Hyperthyreose mit ggf. unilateralem Exophthalmus, Tachykar239 9.9 Augensymptome: Supranukleäre Blickparesen die, Diarrhö, andere Hyperthyreose-Zeichen), mitochondriale Myopathie, okuläre Muskeldystrophie, Moebius-Syndrom, selten myasthene Syndrome. Inkonstant auftretende Doppelbilder ▶ ▶ ▶ ▶ Myasthene Syndrome: S. 698 ff. Brown-Syndrom: S. 625. Myokymie des M. obliquus superior: S. 625. Internukleäre Ophthalmoplegie = INO (nur sehr kurz bei rascher Blickwendung auftretende Doppelbilder): • Klinik: – Gestörter konjugierter Seitwärtsblick mit Adduktionshemmung des nach nasal bewegten Auges (= Seite der Läsion!) und dissoziiertem Nystagmus des abduzierten Auges. – Die Konvergenz ist meist intakt. • Läsionsort: Fasciculus longitudinalis medialis (MFL) zwischen Abduzens- und Okulomotoriuskern (ipsilateral zur Adduktionshemmung, s. o.). • Ursachen: Multiple Sklerose, Hirnstamminfarkt, Blutung, Tumor, Entzündung, metabolisch, toxisch, Anomalie des kraniozervikalen Übergangs, Syringobulbie. Abb. 9.4 • Internukleäre Ophthalmoplegie ▶ Eineinhalb-Syndrom: • Klinik: INO (s. o.) + horizontale Blickparese zur Seite der Läsion (= zur Seite des Auges mit Adduktionshemmung). • Läsionsort: Ipsilaterales paramedianes pontines Blickzentrum (PPRF) + ipsilateraler Fasciculus longitudinalis medialis (MLF). • Ursachen: Hirnstamminfarkt, Multiple Sklerose, Blutung, Tumor, metabolisch, Anomalie des kraniozervikalen Übergangs, Syringobulbie. 9.9 Augensymptome: Supranukleäre Blickparesen Konjugierte Blickparese (Deviation conjugée) ▶ Hinweis: Zum Nachweis bzw. zur Differenzierung „supranukleär ■ versus periphere Parese“ a) Lid passiv heben und b) Kopf in die Gegenrichtung der Parese bewegen (z. B. senken bei Heberparese), während der Patient einen bestimmten Punkt fixiert → Puppenkopfphänomen bei supranukleärer Störung. ▶ Der Patient blickt zur Seite der Läsion (→ horizontale Blicklähmung zur Gegenseite): • Klinik: Kopf und Blick des Patienten sind in die gleiche Richtung gewendet, meist begleitet von kontralateraler Hemisymptomatik → Patient „blickt seinen Herd an“. Im Verlauf langsame Rückbildung möglich: Zunächst Rückstellung bis Mittellinie, später Nystagmus bei Blickwendung zur Gegenseite. • Ursachen: Hemisphärenläsion; Läsion des präzentralen Blickzentrums in der ipsilateralen Area 6 und 8. • Differenzialdiagnose: Reizung der kontralateralen Seite, z. B. Adversivanfall. 240 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome 9