Vorlesung zur November Reihe vom 25. November 2009 in Stuttgart Referentin: Tatiana Bilbao Architektur als teamwork Eine kreative Kommunikation und Teamwork sind Tatiana Bilbaos Werkzeuge der Architektur und zugleich Anliegen für ihren Vortrag. So beginnt sie auch gleich, die Zuhörer mit einem Trick in ihre Heimat zu entführen: mit Humor. Sehr sympathisch und mit einigen Lachern am späten Abend führt Bilbao durch einen fotografischen Vergleich Mexiko-Citys mit der Stadt Stuttgart. Sie zeigt Gemeinsamkeiten, wie den Talkessel, Smogprobleme oder die besseren Wohngebiete in Hanglage, aber auch die großen Unterschiede. Das Büro von Tatiana Bilbao hat seinen Sitz oberhalb des bekannten „Paseo de la Reforma“ in Mexiko-City, der wichtigen Lebensader und Prachtstraße, auf der politische Demonstrationen stattfinden und Fußballsiege gefeiert werden. „Nah dran“ ist das Büro, sowohl räumlich wie geistig: ohne Hierarchien, aber mit dem klaren Wunsch, Architektur zu schaffen, Kultur voranzubringen und Inspiration im Team zu entwickeln. So stellt sich Tatiana Bilbao auch mehr als Sprecherin und Abgesandte des Büros, denn als Inhaberin und Chefin dar. Bekanntestes Projekt außerhalb Mexikos ist ein Pavillon in Südchina. Der chinesische Künstler Ai Weiwei hatte 17 Architekten eingeladen, mit ihm einen großen Landschaftspark zu gestalten. Das mexikanische Büro entwarf das kleine Ausstellungsgebäude gleich einem chinesischen Garten. Ein verschlungener Weg führt durch die Ausstellung, um und auf das Gebäude und schafft damit Ausblicke und neue Blickbeziehungen. Erste Versuche, in Englisch mit den ansässigen Firmen zu kommunizieren, erwiesen sich für beide Seiten als schwierig, also beschlossen die mexikanischen Architekten eine eigene Sprache aus Zeichnungen und Modellen zu entwickeln. Die Mehrarbeit hat sich offensichtlich gelohnt, Tatiana Bilbao ist von der Ausführung begeistert – was in China nicht selbstverständlich ist. Ein beeindruckendes Gebäude in Mexiko-City ist das Projekt für eine Künstlerin, die sich vor allem Raum und Licht wünschte und sonst eher unklare Angaben zum Raumprogramm machte. Die Architekten entwickelten ein „Space-OfficeApartement“, vollständig aus weißem Beton, was sie aufgrund einer, so Bilbao, glücklichen Zusammenarbeit mit einem 82jährigen Betonexperten in außergewöhnlicher Qualität realisieren konnten. Dann spricht Tatiana Bilbao über ein Ferienapartment für den mexikanischen Künstler Gabriel Orozco: die Arbeit daran habe ihre eigene Sicht auf Architektur verändert. Da sie den Künstler schon lange bewundert, hatte sie nach dem Studium ein fiktives Haus für ihn entworfen und ihm die Pläne geschickt. Orozco war beigeistert, ein Diskurs entspann sich und eine Freundschaft entstand. So war es einige Jahre später Orozco, der auf Bilbao zukam, mit der Bitte, ihm eine Sternwarte nach indischem Vorbild auf einen Felsenvorsprung an der Pazifikküste zu bauen. In dieser Gegend hatte die Familie des Künstlers schon lange Jahre ihre Ferien im Zelt verbracht. Orozco wünschte sich, das ungewöhnliche Haus in enger Zusammenarbeit mit den Dorfbewohnern zu bauen, statt mit Spezialisten aus der Hauptstadt. Wieder galt es, Kommunikationswege und eine verständliche Übersetzung zwischen Künstler, Architekten und lokaler Bevölkerung zu finden. Besonders erfreulich ist für Tatiana Bilbao, dass die Architektur gewohnte Rituale und Tagesabläufe unterstützt. Wie in früheren Zelturlauben haben die einzelnen Familienmitglieder ihren Einraum und Rückzugsort, gemeinsame Aktivitäten finden aber draußen und in direktem Kontakt mit der Landschaft statt. Auch der Komfort hat sich nicht wesentlich verbessert: ohne Glasfenster und Strom ist der Aufenthalt nach wie vor archaischer Natur. Einzig der Pool, die klare Wasseroberfläche und Beobachtungsebene setzt die Schönheit des Ortes in Szene. Die aktuellen Projekte des Büros befinden sich in Culiacán, eine Stadt im Nordwesten Mexikos, die für ihre Kriminalität und Drogengeschäfte berüchtigt ist. Mit der Umgestaltung des botanischen Gartens hatte es begonnen, mittlerweile arbeitet das Team an fünf Projekten in der Zweimillionenstadt. Ein wohlhabender Geschäftsmann hatte die Erweiterung des botanischen Gartens um einen Skulpturenpark angeregt und 35 internationale Künstler - darunter so bekannte Namen wie Olafur Eliasson, James Turrell, Dan Graham oder eben Gabriel Orozco - eingeladen. Wichtig ist dem Büro, den bestehenden Park so umzugestalten, dass die Zugänglichkeit für die Bewohner erhalten bleibt. Das architektonische Konzept sieht eine neue Wegestruktur und mehrere Pavillons für Ausstellungen, Cafeteria, Vorträge sowie eine Bibliothek vor. Bei diesem Projekt hat Tatiana Bilbao die enge Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteuren erneut schätzen gelernt, wenn sie auch zugibt, dass anstrengende Diskussionen und langwierigere Prozesse vorprogrammiert sind. Beim Jardin botanico sind Biologen und Landschaftsplaner, der Geldgeber, Politiker und die Künstler beteiligt. Zum Ende erfolgt dann auch ihr erwartetes Statement: gute Architektur bedarf mehr Wissen und Know-how als es Architekten alleine mitbringen können. Bilbao ermutigt daher, diese oftmals ungeliebte Auseinandersetzung bewusst zu suchen. Beispiel gibt der Jardin botanico: Während der Anfang zäh und mühsam war, wollen die Architekten das Projekt inzwsischen gar nicht mehr beenden, um den Austausch mit den Beteiligten nicht zu missen. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt Tatiana Bilbao mit ihrer großer Bescheidenheit: lebhaftes Interesse an Neuem und Ungewohntem gepaart mit Wissensdurst, sowie die Bereitschaft, Entscheidungen nicht alleine zu treffen, scheint aus all ihren Projekten zu sprechen. Weitere Informationen: http://tatianabilbao.com/