616 Sichtbarkeitsbewertung von Planungsentwürfen mit 3D-Stadtmodellen Julia MOSER und Florian ALBRECHT IFFB Geoinformatik – Z_GIS, Universität Salzburg · [email protected] Zusammenfassung Bei sensiblen Bauvorhaben wie Bauprojekten in historischen Stadtteilen ist der Einsatz von Sichtbarkeitsanalysen für Städte sehr wertvoll, um Planungsszenarien und Sichtbarkeitsbeeinträchtigungen realistisch abschätzen und präsentieren zu können. Im Beitrag wird eine Lückenanalyse für Sichtbarkeitsanalysen durchgeführt, die vorhandene Methoden mit den Anforderungen aus der Stadtplanung vergleicht. Anhand des Anwendungsfalls „Sichtbarkeit von Landmarken“ im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen werden die Anforderungen an Sichtbarkeitsanalysen definiert. Die Beurteilung der untersuchten Sichtbarkeitsmethoden hat die Breite der möglichen Herangehensweisen aufgezeigt, aber auch Grenzen erkannt, wie etwa die Beschränkung der Sichtbarkeitsberechnung auf 2.5D. 1 Einleitung Die Nutzung von 3D-Stadtmodellen hat sich in vielen Bereichen der Privatwirtschaft und der öffentlichen Verwaltung etabliert. Ein ausgereiftes 3D-Stadtmodell gilt mittlerweile als wichtiges Arbeits- und Kommunikationsinstrument der Stadtplanung. Der Einsatz reicht in diesem Anwendungsfeld von der Visualisierung einer groben Projektidee bis hin zur Präsentation der Detailplanung eines Gebäudes. Es wird damit eine visuelle Kommunikationsform für alle Projektbeteiligten geschaffen, die für die effiziente Abwicklung von städtischen Bauvorhaben häufig als gemeinsame Planungs- und Entscheidungsgrundlage dient. Darüber hinaus bieten 3D-Stadtmodelle optimale Voraussetzungen, um durch Analysen und Bewertungen zu einem besseren Verständnis räumlicher Situationen und Prozesse zu gelangen (vgl. STEPPER & WIETZEL 2012). Dreidimensionale Daten können als Grundlage für Sichtbarkeits- und Lärmausbreitungsanalysen, Solarpotenzialanalysen oder Schattenberechnungen planerische Maßnahmen unterstützen. Mit den Analysen können mögliche Varianten einer Planungsausschreibung gegeneinander abgewogen werden. In dieser Arbeit richtet sich das Hauptaugenmerk auf Sichtbarkeitsanalysen. Im Beitrag werden die Eigenschaften der Sichtbarkeit von Objekten eines Stadtmodells, die sich mit bestehenden Methoden erfassen lassen, den Anforderungen aus der Stadtplanung in Form einer Lückenanalyse gegenübergestellt. Die diskutierten bestehenden Methoden zur Sichtbarkeitsbewertung stammen aus dem Hintergrund der Architektur, der Geoinformatik und der Computergrafik. Die Anforderungen aus der Stadtplanung werden anhand eines konkreten Anwendungsfalls herausgearbeitet. Realistische Anwendungsszenarien aus dem Bereich der „Sichtbarkeit von Landmarken“ bilden dafür die Grundlage. An diesen Anforderungen werden die vorgestellten Sichtbarkeitsmethoden gemessen. Als Ergebnis Strobl, J., Blaschke, T., Griesebner, G. & Zagel, B. (Hrsg.) (2013): Angewandte Geoinformatik 2013. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-533-1. Dieser Beitrag ist ein Open-Access-Beitrag, der unter den Bedingungen und unter den Auflagen der Creative Commons Attribution Lizenz verteilt wird (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/). Sichtbarkeitsbewertung von Planungsentwürfen mit 3D-Stadtmodellen 617 aus dieser Lückenanalyse zeigt sich, wie gut jede Methode den Anforderungen aus dem Anwendungsfall gerecht wird, wo ihre Grenzen liegen und wo Weiterentwicklungen erforderlich und möglich sind. 2 Methoden der Sichtbarkeitsbewertung Mit Sichtbarkeitsanalysen kann man bewerten, welche Bereiche für einen Beobachter in seiner Umgebung sichtbar sind und welche nicht. BENEDIKT (1979) bezeichnet im Kontext von Architektur den sichtbaren Raum als Isovist, der alle Punkte umfasst die von einer Beobachterposition aus sichtbar sind. Landmarken in städtischen Umgebungen können also danach bewertet werden, ob sie in diesem sichtbaren Raum enthalten sind oder nicht. Methoden zur Beurteilung von Sichtbarkeit wurden in der Architektur, der Geoinformatik und der Computergrafik entwickelt. Die hier verwendete Auswahl beschränkt sich auf die Methoden, die sich zur Bewertung von Landmarken eignen. Sie vereinen verschiedene konzeptionelle Ansätze aus den genannten Fachrichtungen und bauen alle auf der ViewshedAnalyse auf. Die Viewshed-Analyse berechnet Sichtbarkeit auf Geländeoberflächen und ist die klassische Methode zur Sichtbarkeitsbewertung aus der Geoinformatik. Implementierungen der Viewshed-Berechnung stehen bereits seit Beginn der Entwicklung von kommerzieller GISSoftware zur Verfügung (TRAVIS et al. 1975, YOELI 1985). Die Methoden fanden Interesse sowohl aus wissenschaftlicher Sicht für die Beurteilung von Unsicherheiten im Ergebnis (FISHER 1996), wie auch für Anwendungen, zum Beispiel für die archäologische Bewertung der Standortwahl historischer Siedlungen (WHEATLEY 1995). Mittlerweile macht die Verfügbarkeit hochauflösender Geländemodelle, in denen städtische Objekte repräsentiert sind, die Viewshed-Berechnung auch für die Stadtplanung interessant. Viewsheds werden auf Raster-Geländemodellen berechnet. Das Gelände wird als digitales Höhenmodell in 2.5D mit einer z-Koordinate für jede x-y-Position beschrieben. Durch Feststellung, ob eine Position des Terrains von einer bestimmten Position des Betrachters sichtbar ist oder nicht, wird die Oberfläche binär in sichtbare und nicht sichtbare Bereiche unterteilt. Zur Berechnung eines Viewsheds dient eine Sichtlinienanalyse (Line-of-SightAnalyse, LOS) als Grundlage, die entlang eines Profilschnittes durchs Gelände sichtbare und verdeckte Bereiche identifiziert. Mit der Sichtlinienanalyse wird das Gelände in allen Richtungen einmal rund um den Beobachterpunkt gescannt mit dem Ergebnis einer Sichtbarkeitskarte für das gesamte Gelände (DE SMITH et al. 2009). Basierend auf der Viewshed-Methode und Berechnungen des Isovist in 2D (TURNER et al. 2001) entwickelte YANG et al. (2007) eine Analyse für Stadtplanung und Architektur, die sogenannte Viewsphere-Analyse. Die Viewsphere-Analyse berechnet das sichtbare Raumvolumen, also die Größe des Isovists in 3D, auf Grundlage eines 2.5D-Geländemodells, in dem die Gebäude bereits integriert sind. Das sichtbare Raumvolumen wird anhand des Sichtwinkels und der Sichtweite in allen Richtungen um die Beobachterposition abgeschätzt. Rund um die Beobachterposition wird für alle Richtungen in regelmäßigen Winkelabständen das Geländeprofil untersucht. Es wird eine Schnittfläche durch das sichtbare Volumen gebildet. Aus allen Profilen errechnet die Viewsphere-Methode das sichtbare Volumen der Umgebung. 618 J. Moser und F. Albrecht MORELLO & RATTI (2009) schlagen die 3D-Isovist-Methode vor, bei der das errechnete sichtbare Volumen mit Voxeln repräsentiert wird. Alle Voxelpositionen oberhalb eines 2.5D-Höhenmodells werden in sichtbar und nicht sichtbar eingeteilt. Diese Berechnung kann für jedes Voxel, also für jede potenzielle Beobachterposition, wiederholt werden. Als Ausgabewerte dienen zum Beispiel die Anzahl der sichtbaren Voxel, die Anzahl an verborgenen Voxeln oder die Anzahl sichtbarer Voxel an der Oberfläche. BARTIE et al. (2010) entwickelten aus der Viewshed-Analyse eine Methode zur Messung der visuellen Exposition von Gebäudefassaden (Visual exposure of FOI façade) in hochauflösenden 2.5D Geländemodellen. In einem hochauflösenden, digitalen Geländemodell einer städtischen Umgebung wird die Hülle von Gebäuden, den spezifischen Features of Interest (FOI), in der Regel in einer detaillierten Form als Oberfläche aus vielen Rasterzellen dargestellt. Einzelne Rasterzellen werden als extrudierte quadratische Flächen modelliert. Die offenen Seitenflächen jeder Zelle stehen im Fokus dieser Methode, die die seitliche Ansicht der Gebäude auswertet. Dadurch lässt sich die Größe des sichtbaren Teils einer einzelnen Fassadenfläche des FOI berechnen. Auf dieser Methode bauen BARTIE et al. (2010) die Berechnung von weiteren visuellen Eigenschaften zur Beurteilung der Prominenz von Landmarken auf. Zum Beispiel stellt die FOI-Skyline-Methode durch die Identifikation von Skyline-Zellen fest, ob ein Gebäude Teil der Skyline ist, also vom Betrachter aus gesehen den Himmel hinter sich hat. Zusammengefasst ergeben sich damit die Methoden Viewsphere, 3D-Isovist, die Messung der visuellen Exposition von Gebäudefassaden sowie die FOI-Skyline-Methode. Jede dieser Methoden ist in der Lage, unterschiedliche Aspekte von Sichtbarkeit in städtischen Umgebungen zu bewerten. Im Folgenden wird deren Nutzen für den Anwendungsfall der Sichtbarkeit von Landmarken bewertet. 3 Anwendungsfall „Sichtbarkeit von Landmarken“ Der Anwendungsfall „Sichtbarkeit von Landmarken“ untersucht Sichtachsen und Blickbeziehungen auf Landmarken, die für die Wahrnehmung der Stadt von Bedeutung sind, etwa den Blick auf eine bekannte Sehenswürdigkeit. Das Stadtplanungskonzept von Städten sieht häufig vor, dass schützenswerte Ansichten von Landmarken aus verschiedenen Blickrichtungen gewährleistet bleiben müssen. Bei der Planung von baulichen Maßnahmen sind daher „Blickstörungen“ zu vermieden, die durch Neubauten, Renovierungen mit Aufstockung des Gebäudes aber auch durch neue Vegetation entstehen können. Die Ergebnisse von Sichtbarkeitsanalysen dienen dabei zur Festlegung von Richtlinien und Parametern für zu planende Bauprojekte. Es werden Grenzen für einen Planungsbereich definiert, außerhalb derer keine baulichen Veränderungen stattfinden dürfen. Zudem können die auf diese Ausschreibung hin eingereichten Planungsentwürfe mit Sichtbarkeitsanalysen gegenübergestellt werden. Für die Bewertung von Landmarken können Objekte im Vordergrund und Objekte im Hintergrund die Ansicht beeinträchtigen. Ein neues Objekt im Vordergrund darf die Sichtbarkeit der Landmarke nicht behindern. Die Sichtlinien zu einer Landmarke müssen also frei bleiben. Ein neues Objekt im Hintergrund verändert den Anblick einer Landmarke, die mit seiner Umgebung möglicherweise ein schützenswertes Ensemble bildet. Folglich soll dieses Panorama unverändert erhalten bleiben. Sichtbarkeitsbewertung von Planungsentwürfen mit 3D-Stadtmodellen 619 Der UNIPARK Nonntal, ein Universitätsgebäude der Universität Salzburg mit rund 17.000 Quadratmetern Nutzfläche, ist ein adäquates Beispiel, um den Anwendungsfall „Sichtbarkeit von Landmarken“ zu illustrieren (vgl. BIG 2013). Der hell und transparent wirkende Glasbau mit der Festung Hohensalzburg im Hintergrund gehört mittlerweile zum Erscheinungsbild der Stadt Salzburg. Für dieses Beispiel soll die Ansicht dieses Ensembles sowohl von großen Bauprojekten im Vordergrund als auch von neuen Objekten im Hintergrund nicht gestört werden. Zu große Bauprojekte im Vordergrund würden die Sicht auf das markante Gebäude vom Erholungsgebiet Freisaal aus einschränken. Das Ambiente mit dem Blick auf den UNIPARK Nonntal und der dahinterliegenden Festung Hohensalzburg wäre entsprechend durch Objekte im Hintergrund gefährdet. Die benötigten Sichtbarkeitsinformationen müssen in der Lage sein, diejenigen Bereiche im Raum zu beschreiben, in denen neue Objekte zu einer veränderten Ansicht führen würden. Das entspricht dem von einem Beobachterstandort aus sichtbaren Raumvolumen. Gleichzeitig wird das komplementäre, nicht sichtbare Raumvolumen bestimmt, in dem neue Objekte ohne eine Veränderung der Ansicht gebaut werden können. Die Grenzfläche zwischen diesen beiden Volumen kann als verdeckende Fläche bezeichnet werden. Ein neues Objekt darf nicht durch diese Fläche in den einsehbaren Raum eindringen (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Skizze des verdeckten Volumens als transparentes Flächenmodell Die Veränderung der Ansicht durch neue Objekte kann auch über die Sichtbarkeit der Fassaden einer Landmarke beurteilt werden. Wenn ein Objekt im Vordergrund einen Teil der Fassade verdeckt, dann verringert sich deren sichtbare Fläche. Gleichzeitig verändert sich dabei auch die Form der Landmarke in der perspektivischen Ansicht. Wenn die Obergrenze des neuen Objekts, bzw. dessen Skyline, Teil der Objektabgrenzung der Landmarke wird, dann ist die Sichtbarkeit der Landmarke beeinträchtigt. Ein Objekt im Hintergrund kann die Landmarke überragen und führt dazu, dass die Skyline der Landmarke dort nicht mehr an den Himmel grenzt. 620 J. Moser und F. Albrecht Die Anforderungen an Sichtbarkeitsinformationen für den dargestellten Anwendungsfall setzen sich also aus verschiedenen messbaren Sichtbarkeitseigenschaften für einen Beobachterstandort zusammen. Die Messwerte werden nicht nur für einen Standort bestimmt, sondern aus allen Beobachterpositionen im Erholungsgebiet Freisaal integriert. 4 Ergebnisse und Diskussion Für die im Anwendungsfall „Sichtbarkeit von Landmarken“ definierten Anforderungen werden nun die Methoden Viewsphere, 3D Isovist, visuelle Exposition von Gebäudefassaden und FOI Skyline gegenübergestellt. Die zu erwartenden Ergebnisse jeder einzelnen Methode werden an den Anforderungen gemessen (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Bewertung der Sichtbarkeitsmethoden Anforderungen Sichtbares Volumen Verdeckende Grenzfläche Sichtbare Fassadenfläche Skyline Methode Viewsphere o* o Grenzfläche mit Profillinien indiziert; Fläche nicht direkt modelliert – – 3D Isovist + + Alle Randvoxel des sichtbaren Volumens + Anzahl der sichtbaren Voxel auf Fassadenfläche O Visuelle Exposition von Gebäudefassaden FOI Skyline – – + Spezifisch dafür entwickelt – – – – Volumen direkt gemessen, 2.5DOberfläche nicht ableitbar Direkt mit Voxel gemessen, 2.5DOberfläche ableitbar + Potenziell ermittelbar mit 3DNachbarschaftsbeziehungen Spezifisch dafür entwickelt *Anforderungen erfüllt (+), bedingt erfüllt (o) bzw. nicht erfüllt (–). Mit den diskutierten Methoden lassen sich alle herausgearbeiteten Sichtbarkeitskriterien beurteilen. Um Sichtbarkeitsveränderungen in der Ansicht eines Betrachters zu messen, müssen nicht alle Methoden eingesetzt werden. Die erfolgreiche Beurteilung mit einer einzelnen Methode impliziert häufig die Informationen der anderen Methoden. Wenn zum Beispiel die Fassade eines Gebäudes verdeckt wird, ist automatisch auch das einsehbare Volumen betroffen. Die 3D-Isovist-Methode deckt dabei das breiteste Spektrum der Anforderungen ab. Sichtbarkeitsbewertung von Planungsentwürfen mit 3D-Stadtmodellen 621 Für die Verwendung der Methoden mit 3D-Stadtmodellen muss zuerst eine Konversion in ein 2.5D Geländemodell erfolgen. Alle verglichenen Methoden beruhen auf der ViewshedAnalyse, die den Einsatz von Geländemodellen verlangt. Dadurch können im Stadtmodell vorhandene Details für die Sichtbarkeitsanalyse verloren gehen. Diese Anforderungen an den Detaillierungsgrad bei der Modellierung von Landmarken bietet Potenzial für weiterführende Studien. Literatur BARTIE, P., REITSMA, F., KINGHAM, S. & MILLS, S. (2010), Advancing visibility modelling algorithms for urban environments. 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(2012), Durchmischung verstehen – neue Einsatzfelder von 3DStadtmodellen zur Visualisierung und Simulation urbaner Prozesse. In: Proceedings REAL CORP 2012, Schwechat. TRAVIS, M. R., ELSNER, G. H., IVERSON, W. D. & JOHNSON, C. G. (1975), VIEWIT: Computation of seen areas, slope, and aspect for land-use planning. General Technical Report PSW-11/1975 Forest Service, U.S. Department of Agriculture, Berkeley, California, USA, 70 p. TURNER, A, DOXA, M., O'SULLIVAN, D. & PENN, A. (2001), From isovists to visibility graphs: a methodology for the analysis of architectural space. Environment and Planning B: Planning and Design, 28, 103-121. WHEATLEY, D. (1995), Cumulative viewshed analysis: A GIS-based method for investigating intervisibility, and its archaeological application London, Taylor & Francis Ltd. YANG, P. P. J., PUTRA, S. Y. & LI, W. J. (2007), Viewsphere: a GIS-based 3D visibility analysis for urban design evaluation. Environment and Planning B-Planning & Design, 34, 971-992. 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