L I T E R AT U R Ästhetische Erfahrungen von sich eine andere Sorge und Kindern auch ein anderer Appell formu- Knopf überzeugend dar, dass lieren. Szenen, die für Erwachsene Die Idee zu diesem Band, der 95 gen Lena zu einer Szene in Jim überaus harmlos erscheinen, bei 22 Texte aus den Bereichen Basierend auf der Analyse von jungen Zuschauern durchaus Medien, Spiel, Philosophie, Interviews, Gesprächen, Be- starke emotionale Gefühle aus- Literatur, Bildende Kunst, Musik obachtungen, Sammlungen, zulösen vermögen und sowohl und Bewegung unter der Per- Texten, Zeichnungen, Musik- Eltern als auch Pädagogen sen- spektive der ästhetischen Erfah- improvisationen und Bastel- sibler mit den von Kindern an- rung von Kindern versammelt, arbeiten setzen sich die Artikel gewandten symbolischen Verar- entstand, so Herausgeber Nor- in der Folge zum einen mit beitungsmodi wie etwa Zeich- bert Neuß, im Rahmen einer „kindertypischen“ symbolischen nungen umgehen sollten. Jutta Ringvorlesung des Graduierten- Aktivitäten wie das Ersinnen von Ströter Becker präsentiert ba- kollegs „Ästhetische Bildung“ Phantasiegestalten (Norbert sale Informationen zu Inhalt und der Universität Hamburg. Eine Neuß), das Sammeln von Ge- Struktur der Zeichentrickserie gute Idee, denn die zahlreichen genständen, das vom Sticker bis Sailor Moon und nimmt sich Autoren, von denen ein Teil hin zum toten Tier (glücklicher- sehr fundiert des speziellen dem Kolleg angehörte, bieten weise nur Insekten) reicht Appeals an, den die Serie für einen facettenreichen Überblick (Ludwig Duncker/Michaela Mädchen hat. über die unterschiedlichen Frohberg/Maren Zierfuss) oder Interessanterweise stammt das ästhetischen Ausdrucks- und Malen (Axel von Criegern/Anja von diesen Autoren verwandte Aneignungsweisen von Kindern. Mohr) auseinander. Der Großteil Material nicht aus den Kontex- Die drei ersten Beiträge führen der Artikel befasst sich jedoch ten Schule und Kindergarten – hinsichtlich ästhetischer Erfah- zum anderen mit der Aneignung wiederum ein Indiz dafür, dass rung, frühkindlicher Bildung und unterschiedlicher Kunstformen. die elektronischen Medien, de- Aufwachsen in mediatisierten Hier werden vor allem Metho- nen eine so große Bedeutsam- Lebenswelten in das Thema ein. den und Projekte vorgestellt, keit für die Kindheit heute zuge- Wilfried Ferchhoff gelangt nach die Kindern einen ihnen ange- schrieben wird, in diesen Institu- Skizzierung des Wandels des messenen Umgang mit den tionen kein Thema sind. Kinderlebens der letzten Jahr- „klassischen“ Künsten wie Mu- zehnte (Medienkindheit, Werbe- sik, Malerei, bildende Kunst, Li- Obgleich die untersuchten kindheit, verhäuslichte Kindheit, teratur und Theater im Schulun- ästhetischen Erfahrungen, die Konsumkindheit, Versportung terricht ermöglichen sollen. Die theoretischen Fundierungen der Kindheit, Verplante und ge- Ergebnisse hierzu sind teilweise und die Breite des zugrunde ge- hetzte Kindheit, Verinselte Kind- sehr interessant, denn es wird legten empirischen Materials in heit) zu dem recht düsteren Fa- deutlich, dass Kinder mit ge- diesem Band sehr unterschied- zit: „Dennoch: ein merklicher meinhin als „schwer“ geltenden lich sind, lässt sich ein gemein- Verlust an Eigentätigkeit (gleich- Themen wie abstrakte Malerei schaftlicher Nenner insofern sam die Basis der Erkenntnis- (Pierangelo Maset), Bildende ausmachen, als dass alle für tätigkeit) kann beklagt werden.” Kunst der Gegenwart (Constan- mehr Verständnis der spezifi- (S. 43) Diese weit verbreitete ze Kirchner) und Philosophie schen Wahrnehmung von Sorge wird auch von Ludwig (Kristina Calvert und Barbara Kindern in der pädagogischen Duncker in seinem Text zur Brüning) sehr produktiv umge- Praxis eintreten. Ein Verständ- ästhetischen Erfahrung aufge- hen, wenn man ihre Weltoffen- nis, das allerdings aufgrund der griffen, jedoch mit einem Appell heit zum Zuge kommen lässt. verschiedenen Weltsichten von versehen: „Es wird deutlich, Die Rezeption und Integration Erwachsenen und Kindern auch dass die Ausbildung einer kultu- von elektronischen Medien in für den Forscher nicht einfach zu rellen Alphabetisierung zuneh- die eigene Lebenswelt spielt in erlangen ist. Das Problem, kind- mend der besonderen Unter- diesem Sammelband eine un- liches Verhalten adäquat – also stützung und Pflege bedarf – ein tergeordnete Rolle. Hervorzuhe- ohne Überlagerung durch die Feld, das weit in das Gebiet der ben seien an dieser Stelle zwei Sicht des Erwachsenen – wahr- Medienpädagogik hineinführt.” Arbeiten: Norbert Neuß legt an- zunehmen und zu verstehen, (S. 17) Nach Lektüre der sich hand der umfassenden Analyse wird von den meisten Autoren anschließenden Artikel lassen einer Zeichnung der fünfjähri- berücksichtigt. So formulieren Norbert Neuß (Hg.): Ästhetik der Kinder. Interdisziplinäre Beiträge zur ästhetischen Erfahrung von Kindern. (Beiträge zur Medienpädagogik, Bd. 5). Frankfurt am Main: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Abt. Verl., 1999. 49,00 DM, 376 Seiten. tv diskurs 13 L I T E R AT U R 96 beispielsweise Ingrid Paus- Anhand der Vielfalt kindlicher Haase und Susanne Keuneke ästhetischer Aktivitäten, die am Ende ihres Artikels Sym- dieser Band präsentiert, wird bolangebote und kindliche deutlich, dass Mediatisierung Ästhetik dieses Dilemma folgen- zwar die Rahmenbedingungen dermaßen: „Rezipienten, erst von Kindheit heute kennzeich- recht Kinder, die aufgrund ihrer net, Kinder aber nach wie vor Entwicklungsbedingungen noch Kinder sind – Wesen, die sich nicht in der Lage sind, sich adä- aktiv die Welt, in die sie gebo- quat verbal auszudrücken [...], ren sind, aneignen und dabei bleiben bis zu einem bestimm- über eine immense Neugierde ten Grad ‚black boxes‘. Ihre und Kreativität verfügen. Eigen- Wahrnehmungsprozesse kön- schaften und Potentiale, die im nen nicht bis ins Letzte deco- Kindergarten- und Schulalltag diert, sondern nur verstehend nach wie vor zu wenig Berück- nachvollzogen werden.” (S. 249) sichtigung finden, wenn man Allerdings kommt es auch vor, bedenkt, dass die Methoden, dass aufgrund einer in indirekter die die Autoren bei ihrer Arbeit Rede wiedergegebenen mehr- mit Kindern verwenden, ledig- deutigen Einzelaussage eines lich in Pilotprojekten bzw. in Kindes, spekuliert wird, dass Einzelfällen oder im Kontext Kinder Malen mit dem Compu- wissenschaftlicher Studien zur ter, dem Malen mit Farben o. Ä. Anwendung gelangen. Insofern vorziehen. Hier hätte man sich lässt sich eine Sorge angesichts nicht nur den genauen Wortlaut, des Zustands unserer Institutio- sondern auch noch mehr Bei- nen Kindergarten und Schule spiele gewünscht – vor allem, formulieren, verbunden mit dem um die am Schluss genannte Appell, dass zur „Ausbildung These von nicht näher spezifi- einer kulturellen Alphabetisie- zierten Rückwirkungen auf die rung“ Wege zu finden sind, die ohne Computer entstehenden Erkenntnisse der Kindheits- Kinderzeichnungen zu fundieren forschung schneller aufzugreifen (Axel von Criegern /Anja Mohr). und produktiv zu nutzen. Margret Albers tv diskurs 13