Die 3 zentralen Positionen/Ansichten zur „Geschichte der Kindheit“ a) Philippe Ariès b) Lloyd de Mause c) Neil Postman a) Philippe Ariès (1914) - Geschichte der Kindheit als Verfallsgeschichte – Früher (POSITIV): - Kinder leben mit den Erwachsenen zusammen/ keine Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen große, intensive Gemeinschaft der Menschen ( Soziität) > gemeinsames Arbeiten, Feiern, Leben nach Entwöhnung im Erwachsenenleben integriert Kind war früher „frei“ persönliche Entwicklung Erwachsenenrechte im Sinne von Freiheit der Erwachsenen nahm am Erwachsenenleben teil (nicht selbstbestimmt) gleichberechtigt keine Einsamkeit/Isolierung keine Intimität (> Abgrenzungsraum) sorgte für Fortbestand des Lebens, Besitztümer, Normen, keine Rolle für Gefühlsleben Versorgungsgemeinschaft Heute (NEGATIV): - die aktuelle Kindheit wird durch viele „künstliche“ Problematisierungen erschwert, belastet ( moralische, physische, sexuelle, pädagogische, psychologische Ansichten) - - Haus ist kein öffentlicher Versammlungsraum mehr << das ganze Haus >> Pflege gesellschaftlicher Beziehungen wird vernachlässigt heute wird das Leben wesentlich durch Forderungen nach Privatsphäre, Intimität bestimmt Intimität heute: hohe Bedeutung (früher: kein Bedürfnis > keine Privatsphäre) Moralisten haben Freiheit genommen (Gefängnis) extreme Absonderung, Isolierung von der Gesellschaft (Arbeitswelt, Qualifikationssysteme (Schule), Kommunikationsformen) besitzergreifende Liebe Familie als Kleingruppe (Intimgruppe) isoliert sich & ihre Mitglieder aus dem gesellschaftlichen Leben - - - Aufgabe nachbarschaftlicher/freundschaftlicher Beziehungen Privatsphäre Familie und Schulen haben das Kind aus der Erwachsenenwelt herausgerissen/entfremdet/entfernt Kinder leiden „heute“ unter der strengen Disziplin von Schule und Erziehern (2008 = heute? leiden sie HEUTE wirklich darunter?) Leistungsdruck gesellschaftlicher Anpassungsdruck Individualisierungsdruck (> Identitätsbildung) Einordnung Sinn für Familie und Sozialität (Gemeinschaft) nicht mehr zu vereinbaren (entwickelt sich jeweils nur auf Kosten des Anderen) totale Abhängigkeit (von Eltern und Schule) b) Lloyd de Mause - Geschichte der Kindheit als psychogenetische Fortschrittsgeschichte I (Z.1-38) Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum - je weiter man in der Geschichte der Kindheit zurückgeht, desto unzureichender, vernachlässigender wird die Pflege der Kindheit L.d.Mause entwirft eine Theorie der psychogenetischen Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung im Verlauf der Jahrhunderte, die sich auf mehrere Hypothesen stützt (begründete Vermutungen) der psychoanalytische Wandel hängt nicht vom technischen/ökonomischen Fortschritt ab die immer engeren Beziehungen zwischen Eltern und Kind haben auf der Seite der Eltern neue Ängste hervorgerufen > erzieherische Versagungsängste > Erfahrung/Wahrnehmung mit/von Konfrontationsproblemen der Eltern-Kind-Beziehung, die vorher nicht wahrgenommen worden sind 3 typische, psychologische Verhaltens-/Reaktionsweisen projektive Reaktion Umkehr-Reaktion empathische Reaktion II Psychogenese (Genese = Entwicklung) III Historische Phasen Die Psychogenese der Eltern-Kind-Beziehung lässt sich in 6 periodisch (nicht wiederkehrend/ein Zeitraum) auftretende Formen beschreiben, die durch eine zunehmend enger werdende Beziehung zwischen Eltern und Kind gekennzeichnet ist. 1.Form: Antike bis 4.Jahrhundert „Kindesmord“ vorherrschende Beziehungsform: Projektion und Umkehr-Reaktion (Angstbefreiung „von einem selbst das Negative töten“) (>Geburt Christi: Kindstötung) 2.Form: 4.-13. Jahrhundert „Weggeben“ vorherrschende Beziehungsform: Projektion, Umkehr-Reaktion lässt nach 3.Form: 14.-17. Jahrhundert „Ambivalenz“ vorherrschende Beziehungsform: Projektion (J.Locke: Kind muss durch Erziehung in eine Form gebracht werden ( Bildhauer <> Gärtner) 4.Form: 18. Jahrhundert „Intrustion“ (Eindringen, Hineinversetzen, Einfühlen, emphatisch) Projektion, Umkehr-Reaktion treten zurück/lassen nach emphatisches Verhalten nimmt langsam zu 5.Form: 19. Jahrhundert-Mitte 20. Jahrhundert „Sozialisation“ Projektion nimmt weiter ab, Fürsorge nimmt zu Sozialisation (Eingewöhnung in Kultur) entwickelt sich weiter Eltern passen Kind an die Gesellschaft an Vater beginnt Interesse am Kind/an der Erziehung zu zeigen 6.Form: ab Mitte 20. Jahrhundert „Unterstützung“ - beide Elternteile gehen auf die Bedürfnisse des Kindes ein ( unterstützen) Eltern wenden viel Zeit, Energie, Einsatz für das Wohlergehen ihrer Kinder auf Unterstützen einer starten, kindlichen Willensbildung „Entstehung“ von Freundlichkeit, Aufgeschlossenheit (nicht depressiv/unterdrückt) [68er: Antiautoritäre Erziehung (psychoanalytische Grundlage)] c) Neil Postman Kindheit entsteht durch die gesellschaftlich/kulturelle Notwendigkeit des Erlernens individueller, spzialisierte/spezifischer, nicht natürlicher Fertigkeiten (lesen, schreiben, …); sie verschwindet, wenn spezifische Fertigkeiten für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht mehr relevant sind (Medien) Ursachen der „Entstehung“ von Kindheit: - der Buchdruck machte die Alphabetisierung des Menschen notwendig > Teilhabe am gesellschaftlichen Leben/Überleben > Individualismus, Wissensaneignung > kognitive Struktur - Entstehung von Schule, Kinderkultur - Trennung von „Leser“ und „Analphabeten“ - die Lesefähigkeit führte zu einem Wissensmonopol der Erwachsenen Kindheit entsteht als Lebensphase, in der diese Kulturtechniken angeeignet werden mussten - Funktion der Schule o Vermittlung der Kulturtechniken o Vermittlung von Tugenden Selbstkontrolle Disziplin Unterdrückung körperlicher Bedürfnisse - durch Distanz zwischen Erwachsenen und Kindern wurden die Kinder immer weiter von der Erwachsenenwelt entfernt - die Zahl der elterlichen Geheimnisse wuchs: o Tabus, Sexualität, Gewalt, Krankheit, Tod Ursachen des „Verschwindens“ von Kindheit - Elternhaus und Schule sind nicht mehr die Quellen von Informationsund Wissenserwerb Medien, vor allem Fernsehen durch die permanente Bildüberflutung tritt eine schleichende kognitive Rückentwicklung ein intellektuelle konsumierende (aufnehmen, aber nicht verarbeiten) Haltung - „Geist einschläfern“ - Fernsehen ist kein exklusives Medium (für alle zugänglich), es schließt niemanden aus, die bisherige „Trennung“ von Kindern und Erwachsenen wird damit zunehmend aufgelöst/aufgehoben - Fernsehen transportiert die Info, die Aufgabe der Sammlung, Ordnung, Verarbeitung liegt beim Betrachter für Kinder bedeutet dies ein Infochaos, eine kognitive Überforderung - den medialen Bildern wird von Kindern oft eine stärkere Aussagekraft/Bedeutung zugesprochen als den Erfahrungen von Erwachsenen/Eltern Fernsehen verändert die Qualität zwischen menschlichen Beziehungen/ der Kommunikation - Fernsehen o macht alle Lebensthemen öffentlich (Auflösung der Tabus) o ist der Untergang o zerstört das Schamgefühl o macht die Kontrolle/den Aufschub von Bedürfnissen überflüssig o bewirkt psychische Störungen/Folgen/Fehlentwicklungen durch die Demonstration/das Zeigen ständiger Aggressionen, Egoismus, Promiskuität, Sexualität o zerstört „Geheimnisse“ o zerstört den kindlichen „Schonraum“ o bewirkt, das Neugier durch Zynismus + Arroganz ersetzt wird