Sperare contra Spem

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Bonner
Dogmatische
Studien
Susanne Hegger
sperare contra spem
Die Hölle als
Gnadengeschenk Gottes
bei Hans Urs von Balthasar
echter
Susanne Hegger
sperare contra spem
Herausgegeben von
Karl-Heinz Menke
Julia Knop
Magnus Lerch
Bonner
Dogmatische
Studien
Band 51
Susanne Hegger
Sperare contra spem
Die Hölle als Gnadengeschenk Gottes
bei Hans Urs von Balthasar
echter
Für Jonathan, Theresa und Leonard
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Umschlaggestaltung: Peter Hellmund
Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe
ISBN 978-3-429-03512-9 (Print)
ISBN 978-3-429-04647-7 (PDF)
ISBN 978-3-429-06057-2 (ePub)
5
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 Abschied von der Hölle?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle
bei Hans Urs von Balthasar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Anlage und Anliegen der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss . . . . . . . . .
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Theologisches Apriori natürlicher Erkenntnis . . . . . . . . . . . . .
2.1.2 Unterscheidend christliche Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2.1 Seinsvergessenheit der neuzeitlichen Metaphysik  . . .
2.1.2.2 Das Wunder des Seins aus
meta-anthropologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2.2.1 Formale Struktur des Seins . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2.2.2 Materiale Struktur des Seins . . . . . . . . . . . . . .
2.1.2.2.3 Analogie des Seins  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Theologie als Ausdruck des Eindrucks des göttlichen Wortes  . . . .
2.2.1 Wahrheit als Beziehungsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Theologische Wahrheit als Liebesgeschehen  . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Hans Urs von Balthasar und Adrienne von Speyr . .
2.2.3 Mystik als locus theologicus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Die Gestalt der balthasarschen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Die Trilogie: Theologische Ästhetik – Theodramatik –
Theologik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.2 Theologische Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3 Methode der Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Überlegungen zum Verhältnis von Theologie und Mystik  . .
2.4.2 Absage an die Behauptung der Apriorität
theologischer Aussagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6
Inhalt
3. Die Frage der Hölle im Konnex der theologischen Summe Balthasars . . . .
3.1 Hölle im Spiegel trinitarischer Lebendigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.1 Hermeneutik des Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.2 Das Wesen Gottes als dreieiniges Geschehen der Liebe:
die „Ur-Kenose“ in Gott  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.2.1 Dreiheit der Personen: die trinitarischen
Prozessionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.2.1.1 Die Zeugung des Sohnes . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.2.1.2 Die Hauchung des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.2.2 Einheit des Wesens: circumincessio . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.3 Hölle als unendliche Starre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Hölle aus anthropologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Analogia trinitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1.1 Das Sein des Menschen als imago Dei:
analogia libertatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Zur Denkform Balthasars . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1.1.1 Endliche Freiheit als bipolarer
Spannungsbogen zwischen
Autonomie und Verdanktsein . . . . . . . . . . . . .
3.2.1.1.2 Die Gefahr sündiger Verfehlung
endlicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1.2 Die Bestimmung des Menschen zur similitudo Dei:
analogia personalitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Entdramatisierung der (Heils)Geschichte?  . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.3 Hölle als egozentrische Selbstverschließung  . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Hölle im Fokus christologischer Zentrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Koinzidenz von Person und Sendung Jesu Christi  . . . . . . . . .
3.3.1.1 Jesu Bewusstsein ewiger Sohnschaft . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1.2 Das Sein Jesu Christi als konkrete analogia entis . . . .
3.3.2 Das Kreuz im Zentrum der Sendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.2.1 Das pro nobis als ontisch reale Stellvertretung . . . . . .
3.3.2.2 Jesu Erfahrung der Weltsünde in der Passion  . . . . . . .
3.3.2.3 Der Tod Jesu als Weltgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3 Der descensus Jesu Christi ad inferos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3.1 Descensus als Höllenerfahrung Jesu . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3.2 Die Befreiung endlichen Seins zur analogia Christi . . .
3.3.3.3 Neubesinnung oder Häresie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3.3.1 Wider den Häresieverdacht . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3.3.2 Zur Begründung der Rechtgläubigkeit  . . . . .
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Inhalt
3.4 Hölle im Licht des neuen Äon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1 Der Mensch unter dem Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1.1 Selbstgericht in der personalen Begegnung
mit der göttlichen Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1.2 Die Gerechtigkeit des Richters als Modus
seiner Liebe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2 Hoffnung für alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2.1 Hoffnung als göttliche Tugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2.2 Hoffnung auf allerlösende Macht
der Ohnmachtsgestalt des Retters  . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2.3 Kritische Rückfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2.3.1 Verweltlichung des christlichen
Glaubens durch Heilsgewissheit? . . . . . . . . . .
3.4.2.3.2 Logische Verstrickung in eine Lehre
von der Apokatastasis panton? . . . . . . . . . . . .
3.4.2.3.3 Theologische Abseitigkeit?  . . . . . . . . . . . . . . .
4. Ausblick: Pathologische Angst als Vorschattung von Hölle?  . . . . . . . . . . . .
4.1 Bestandsaufnahme: Beispiele theologischer Annäherungen
an die Angstthematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Rahmenbedingungen eines Dialogs zwischen Balthasar
und der Daseinsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Angst aus daseinsanalytischer Perspektive  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.1 Grundzüge des menschlichen Wesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Pathologische Angst als Privationsphänomen . . . . . . . . . . . . .
4.4 Überlegungen zu Möglichkeiten eines diskursiven Gesprächs
zwischen daseinsanalytischem Angstverständnis
und Balthasars Theologie der Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.5Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
6. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
7. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
8. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
9
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung wurde von der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 2011/12 als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des theologischen Doktorgrades angenommen. Für die Veröffentlichung wurde lediglich ein Personenregister ergänzend hinzugefügt.
Eine Promotionsschrift ist immer Produkt eines jahrelangen Denk- und
Arbeitsprozesses, der nicht im „Alleingang“ zu bewältigen ist, sondern stets
auch durch unterschiedliche Formen der Begleitung und Unterstützung
belebt, in Gang gehalten und schließlich zum Abschluss gebracht wird. Am
Anfang soll darum ein Wort des Dankes an jene stehen, die auf je eigene Weise
einen Beitrag zum Gelingen meines Vorhabens geleistet haben.
Prof. Dr. Markus Knapp hat die Arbeit von der ersten, noch unscharfen Fragestellung bis zur letzten Zeile gleichermaßen konstruktiv wie kritisch begleitet, sowie das Erstgutachten erstellt. Ganz besonders dankbar bin ich ihm für
die Selbstverständlichkeit, mit der er mir dabei ohne jeden Vorbehalt zugetraut hat, familiären Verpflichtungen, dienstlichen Aufgaben und einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt gleichermaßen gerecht werden zu können.
Das war und ist mir eine große Zu-Mut-ung!
Die Mühe des Zweitgutachtens hat Prof. em. Dr. Hermann Josef Pottmeyer
auf sich genommen. Ihm gebührt darum mein Dank ebenso wie Prof. Dr. KarlHeinz Menke für die bereitwillige Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Bonner
Dogmatische Studien“. Dem Bistum Essen sage ich für einen großzügigen
Druckkostenzuschuss Dank.
Nicht minder wichtig als die Unterstützung, die ich von akademischer und
kirchlicher Seite erfahren durfte, waren Beistand und Hilfe von Freunden und
meiner Familie. Frau Jutta Doetsch danke ich für so manchen bereichernden
(theologischen) Gedankenaustausch, besonders wenn er spätabends, an
Wochenenden oder auf Autofahrten stattfand. Um die leidige aber unverzichtbare Aufgabe des Korrekturlesens haben sich Tim Schiller und vor allem Dr.
Bettina Oeste verdient gemacht. Ihr weiß ich mich außerdem für das eine oder
andere Telefonat zu Dank verpflichtet. Mein Mann Andreas Hegger hat mein
Projekt in jeder Phase mit großer Gelassenheit und dankenswerter Geduld
verfolgt und mir so die für jedes wissenschaftliche Forschen unabdingbare
Ruhe gewährt.
Mein ganz besonderer Dank aber gilt meinen Kindern Jonathan, Theresa
und Leonard, denen diese Arbeit darum gewidmet ist. Immer wieder haben
10
Vorwort
sie als Heranwachsende gleichsam ihre Rollen mit mir getauscht und mich
ermuntert, gelobt, getröstet oder aber auch, wann immer es ihnen nötig
erschien, zur Arbeit geradezu angetrieben. Ohne ihr großes Verständnis, ihre
Unterstützung und Nachsicht hätte diese Studie nicht entstehen können.
Voerde, im Februar 2012
Susanne Hegger
11
1. Einleitung
Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Frage der Hölle im 21. Jahrhundert mag auf den ersten Blick nicht nur anachronistisch, sondern geradezu
befremdlich erscheinen. Nachdem die Höllenthematik über Jahrhunderte hinweg nicht zuletzt im Interesse der Sicherung kirchlicher Macht über die Gläubigen eine zentrale Stellung in Theologie und Verkündigung eingenommen
hatte, setzte in der evangelischen Theologie im 19., katholischerseits dann ab
Mitte des 20. Jahrhunderts eine Kehrtwende ein. „Vor dem Denkhorizont des
20. Jahrhunderts erweisen sich die überkommenen Vorstellungen von der
Hölle in zunehmendem Maße als nicht mehr mitvollziehbar“1, und so wächst
die Einsicht in die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Entmythologisierung
der Lehre. „Die naive analogielose Anwendung unseres Zeit- und Raumdenkens, eine rein innerweltl(iche) Beurteilung des Ganzen also, die diesem
Dogma eine oft kaum zu ertragende Gestalt gibt, muß … als eine Verzerrung
seiner eigentl. Bedeutung erkannt werden“2, betont in diesem Sinne schon
1960 Joseph Ratzinger. Vor allem aber wächst mehr und mehr das Bewusstsein
für die im engeren Sinne theo-logische Problematik der Rede von einer ewigen
Bestrafung des unbekehrten Sünders. Immer mehr Gläubigen erscheint sie als
letztlich unvereinbar mit dem christlichen Bild eines dem Menschen in absoluter Liebe zugewandten, zutiefst gütigen und barmherzigen Gottes.
1.1 Abschied von der Hölle?
„Die großen Theologen unseres (= des 20.; S. H.) Jahrhunderts haben versucht,
der Hölle die Flammen zu löschen“3. Mit einer Neubesinnung auf die in Jesus
Christus offenbar gewordene absolute Liebe Gottes und seinen unbedingten
Heilswillen treten sie an, die Pervertierung der christlichen Frohbotschaft zu
einer Drohbotschaft zu überwinden. „So wird heute die Tendenz zu einem
gegenläufigen Pendelschlag verständlich, daß man nämlich statt von Gericht,
Strafe und Hölle zu sprechen, nur noch einlinig Heil, Liebe und ewiges, seli-
1 Satory: In der Hölle brennt kein Feuer, 184.
2 Ratzinger: Hölle. V. Systematik, 448.
3 Bohren: Ungepredigte Hölle, 226.
12
1.1 Abschied von der Hölle?
ges Leben hervorhebt.“4 Dieser Befund gilt sowohl mit Blick auf die wissenschaftliche Theologie, wie auch hinsichtlich der Verkündigungspraxis. Elke
Jüngling kommt in einer breiten Bestandsaufnahme zu dem Ergebnis, dass in
manchen neueren evangelischen aber auch ökumenischen Dogmatiken das
Thema der Hölle schlicht vermieden und ausgespart wird.5 Aber auch dort, wo
Abhandlungen sich der Frage annehmen, „brechen (sie) mit dem traditionellen eschatologischen Diskurs“6, indem sie zu Abschwächungen und Relativierungen der traditionellen Lehre neigen, stellt Michael Ebertz fest.7 Den gleichen
Richtungswechsel kann er in einer historisch-empirischen Untersuchung für
Predigttexte nachweisen. Auch hier ist ‚Hölle‘ „zu einem Tabuthema geworden …, worüber man eigentlich sprechen müßte, aber nicht mehr angemessen
sprechen kann“8.
Diese Entwicklung entpuppt sich nun zunehmend als zweischneidiges
Schwert. Einerseits kann und darf es gar keinen Zweifel daran geben, dass der
vollzogene Umbruch des Denkens nicht nur geistesgeschichtlich unausweichlich, sondern auch theologisch unbedingt geboten war. Im Zentrum der christlichen Botschaft steht die Rettung und Befreiung der Menschheit durch Jesus
Christus. In ihm, in seinem Leben, Wirken und Sterben, zuhöchst aber in seiner Auferweckung ist das Heil Gottes in der Welt angebrochen, der damit
zugleich ihre Vollendung in der Teilhabe an der göttlichen Liebe verheißen ist.
Jede Rede von der Hölle im Sinne der realen Möglichkeit endgültiger Verfehlung dieser letzten Bestimmung von Mensch und Welt ist damit grundsätzlich
4 Greshake: Himmel – Hölle – Fegefeuer, 73.
Zu den Entwicklungsstufen innerhalb dieses Prozesses vgl. Vorgrimler: Geschichte der
Hölle, 307–445.
5 Vgl. dazu Jüngling: Hölle, 226. Die Vf’in verweist dazu auf: Ebeling, Gerhard: Dogmatik
des christlichen Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979; Graß, Hans: Christliche Glaubenslehre, Teil 1 u. 2, Stuttgart 1973/74; Schlink, Edmund: Ökumenische Dogmatik. Grundzüge,
Göttingen 1983.
6 Ebertz: Zivilisierung Gottes, 359 (im Original kursiv).
7 Jürgen Moltmann nimmt sicherlich eine Extremposition ein, indem er versucht, die Unmöglichkeit einer Hölle theologisch zu begründen. Vgl. dazu ders.: Am Ende ist alles
Gottes.
8 Ebertz: Zivilisierung Gottes, 348 f. Diesen Befund findet der Autor bei einem Blick in Katechismen und liturgische Texte bestätigt (vgl. dazu ebd., 356–359). Parallele Entwicklungen sind seiner Beobachtung nach zudem hinsichtlich der Fegefeuerlehre auszumachen (vgl. dazu ebd., 351–353).
Ganz übereinstimmend mit diesen Erkenntnissen konstatiert auch Günter Röhser „den
nahezu vollständigen Verlust einer Sprache für die Zukunft und das Ende der Welt, für
die Zukunft und das Leben des Menschen nach dem Tode in der Theologie ebenso wie
in der kirchlichen und religionsunterrichtlichen Praxis der Gegenwart“ (ders.: Hat Jesus
die Hölle gepredigt?, 26).
1. Einleitung
13
auf eine Hermeneutik der Erlösung verpflichtet. Hinter diese fundamentale Einsicht darf es unter keinen Umständen ein Zurück geben.
Andererseits aber wird man sagen müssen, dass nicht nur eine Reinigung
des Höllentopos von verfehlten und missbräuchlichen Vorstellungen stattgefunden hat, sondern geradezu ein Umschlag in das Gegenteil vollzogen wurde,
indem die Theologie dazu neigt, „sich ausschließlich des ewigen Lebens und
der Liebe Gottes zu versichern.“9 In der Eschatologie hat sich so in Ablösung
der Rede von der Verwerfung der Vielen ein neues Paradigma durchgesetzt,
das „in zugespitzter Kurzform: ‚Wenn Tod, dann Himmel‘“10 lautet. Mit dieser
Beschneidung der Lehre von den letzten Dingen um ehemalige Schlüsselbegriffe und Grundgedanken11, findet aber nicht nur eine Korrektur der kirchlich-theologischen Tradition, sondern auch eine deutliche Veränderung der
christlichen Botschaft statt.
Wenngleich Jesus auch sicherlich kein Höllenprediger war, so spielt die
Warnung vor der Gefahr, das zugesagte Heil endgültig zu verfehlen doch
zweifellos eine unverkennbare Rolle in seiner Verkündigung.12 Wird diese
Dimension in der Gegenwartsdiskussion nun ausgeblendet, so hat dies erhebliche Konsequenzen nicht nur für die Eschatologie, sondern für die Theologie
insgesamt. Indem ein gewisser Heilsoptimismus, wenn nicht gar eine Heilsgewissheit um sich greift, geschieht nämlich eine regelrechte Zivilisierung des
biblischen Gottes13 zu einem partnerschaftlichen Kumpanen.14 „Alles, was den
Gott des Evangeliums unbequem, ja ärgerlich machte, wurde strukturell
eliminiert.“15 Zur neuen Leitformel und Basisorientierung wurde der ‚liebe
Gott‘16, ein Gott mithin, „über dessen Haltung man sich getrost hinwegzuset-
19 Jüngling: Hölle, 435.
10 Ebertz: Zivilisierung Gottes, 345.
11 „Viele Theologen unserer Zeit versuchen Schwierigkeiten, die sich existentiell, anthro-
12
13
14
15
16
pologisch und theologisch aus der Annahme unrettbarer Verlorenheit ergeben, einer
Lösung zuzuführen, indem sie den … Begriff der Hölle – zugegebenermaßen oder
stillschweigend – aufgeben bzw. so minimalisierend auslegen, dass das von der kirchlichen Lehrverkündigung Gemeinte darin nicht mehr wiederzuerkennen ist“ (Schulze:
Ist die Hölle menschenmöglich?, 50). Ebertz geht darum sogar soweit, von einem „Kollaps des traditionellen eschatologischen Codes“ zu sprechen (ders.: Zivilisierung
Gottes, 338).
Vgl. dazu Röhser: Hat Jesus die Hölle gepredigt?, bes. 28–30; vgl. auch unten, 119–121.
Ich schließe mich damit der Diagnose von Michael Ebertz an, die zugleich als Titel seiner
Arbeit firmiert.
Vgl. Jüngling: Hölle, 447.
Fuchs: Gerichtsverlust, 161.
Vgl. Ebertz: Zivilierung Gottes, 343.
14
1.1 Abschied von der Hölle?
zen vermag“17, weil nichts Bedrohliches von ihm ausgeht. „Die inflationäre
Rhetorik vom lieben Gott aber ist nicht nur langweilig und undramatisch, sie
betrügt auch um den Ernst, der die Liebe in einer lieblosen Welt ans Kreuz
gebracht hat.“18 Das biblische Gotteszeugnis wird dergestalt „unter dem Apriori einer ‚Hermeneutik der Harmlosigkeit‘ gedeutet“19. Mit der Reduzierung der
zwischengottmenschlichenen Beziehung auf den Zuspruch göttlicher Liebe,
wird der Anspruchcharakter der christlichen Botschaft eliminiert.20
Aus dieser Eindimensionalität ergibt sich aber nicht nur eine neue, gleichsam gegenläufige Verzerrung des Gottesbildes. Auch das Bild des Menschen
erfährt deutliche Veränderungen in seiner Konturierung, wobei allerdings
logisch zwei unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden können. Entweder dem menschlichen Dasein wird ein letzter Sinn und Ernst abgesprochen, weil und indem ohne letztgültige Ausrichtung und Weisung alles Handeln wie auch jede Entscheidung willkürlich und beliebig erscheinen, oder
aber der Mensch muss antreten, sich und der Welt selber ein Ziel, aber auch
Maß und Norm zu verleihen. Mit dem Verzicht auf den Höllentopos nämlich
geht notwendig der Verlust des Gerichtsgedankens einher. Ist die Erwartung
eines letzten göttlichen Aktes, mit dem jeder Mensch, sei er Opfer oder Täter,
schließlich in sein Recht gesetzt wird, aber erst einmal aufgegeben, so „fällt die
ganze Last der Gerechtigkeitssicherung auf menschliche Instanzen, auf den
Menschen überhaupt zurück.“21 Dieser Aufgabe aber kann er als endliches
Wesen schlechterdings nicht gerecht werden. Scheinbar aus der Fremdbestimmung eines allgegenwärtigen, disziplinierenden Gottes befreit, sieht er sich
vor die Begrenztheit und Unzulänglichkeit seines eigenen Daseins gestellt.
In der Auseinandersetzung nicht zuletzt mit dieser Erfahrung kommt nun
unversehens die Rede von der Hölle in veränderter Gestalt vielfach wieder ins
Spiel. „Seit dem 19. Jahrhundert sind es paradoxerweise … die atheistischen
Dichter und Denker, die sich darum bemühen, die Hölle neu zu definieren.“22
In Literatur, Kunst und Philosophie findet zunehmend „das Bewußtsein von
der Existenz von Höllen im Mikrokoskosmos des menschlichen Ich und im
Makrokosmos der Gesellschaften und Schöpfung im Großen wie der mensch-
17 Jüngling: Hölle, 447.
18 Tück: ‚Glaubhaft ist nur Liebe‘, 147. „Eine Infantilisierung des Glaubens, die bereits Kin19
20
21
22
der als unterkomplex durchschauen, ist nicht selten die Folge“ (ebd).
Miggelbrink: Zorn Gottes, 5 (Kursiven von mir).
Vgl. Jüngling: Hölle, 447.
Fuchs: Gerichtsverlust, 163.
Minois: Hölle, 135.
1. Einleitung
15
lichen Beziehungen im Kleinen“23 seinen Niederschlag.24 „Der makrokosmische Bereich umfasst alles Entsetzliche, das Menschen einander antun
können.“25 Es sind vor allem die Grauen der Weltkriege, aber etwa auch die
systematische Vergewaltigung von Frauen zu kriegerischen Zwecken im ehemaligen Jugoslawien oder die Zustände in Flüchtlingslagern, die immer wieder mit dem Höllentopos in Zusammenhang gebracht wurden und werden.26
Als Höllenerfahrungen auf mikrokosmischer Ebene werden vielfach innerpsychische Deformationen und Zerrissenheiten interpretiert.
Auf die Herausforderung durch diese Entwicklung hat die Theologie ihrerseits durchaus reagiert. In zunehmendem Maße sind in ihrem Raum analoge
Ansätze erkennbar, Erfahrungen von Not und Grauen als Momente des Unheil-Seins auszuweisen und damit in den Horizont der christlichen Heilsfrage
zu rücken. So betrachtet etwa Joachim Gnilka die Hölle durchaus als ein irdisches Phänomen. „Die Hölle ist die Verweigerung und Umkehrung der Botschaft des Heils, der Liebe, des Gnadenangebotes Gottes. Die Realität des
Bösen wirkt um uns und unter uns.“27 Mit diesem Verständnis liegt er ganz auf
einer Linie mit Karl Rahner, dem die biblischen Aussagen über die Hölle ebenfalls als Enthüllung der Situation, in der der Mensch sich jetzt befindet, gelten.28
Wilhelm Maas geht sogar so weit, ‚Hölle‘ als „eine exakte ‚Orts‘-Beschreibung
menschlicher Existenz heute“29 zu bezeichnen. Aus einer kultur- und gesell-
23 Vorgrimler: Geschichte der Hölle, 370.
24 Eingang in die Malerei findet die „Einsicht in die alltägliche Realität der Hölle“ (Vorgri-
25
26
27
28
29
mer: Geschichte der Hölle, 367) bereits zu Beginn der Neuzeit im Werk von Hieronymus
Bosch, der vor allem die psychischen Abgründe des Menschen zur Darstellung bringt.
In seinem Gefolge zu nennen sind insbesondere Pieter Bruegel, Francisco Goya, Edvard
Munch, Alfred Kubin, Wassily Kandinsky und Max Ernst (vgl. dazu ebd., 367 f). Mit den
Schrecken der Kriege des 20. Jahrhunderts wird das Höllenmotiv zunehmend zur
künstlerischen Ausdeutung von Erfahrungen auf makrokosmischer Ebene herangezogen. Exemplarisch sei dazu an die Kriegsbilder von Max Beckmann und Pablo Picasso
erinnert.
Die Liste der Auseinandersetzungen mit dem Gedanken der Hölle in der neueren Literatur ist schier endlos. Sie reicht von Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ über Camus
und Satre, Lewis und Beckett, Thomas Mann und Lasker-Schüler bis zu Dorst und Muschg.
Einen instruktiven ersten Überblick gibt auch dazu Vorgrimler: Geschichte der Hölle,
370–385; vgl. auch Maas: Hölle – Abgrund der Existenz?; ders.: Gott und die Hölle, 288–
312.
Vorgrimler: Wiederkehr der Hölle?, 158.
„Wenn die Literatur von den Höllen von Verdun, Stalingrad, Auschwitz sprach, dann
handelte es sich nicht nur um Metaphern, oder genauer: dann tritt der harte Wahrheitskern jeder Metapher an den Tag“ (Vorgrimler: Wiederkehr der Hölle?, 158).
Gnilka: Biblische Botschaft von Himmel und Hölle, 28.
Vgl. Rahner: Hölle, 736.
Maas: Geheimnis des Karsamstags, 128.
16
1.1 Abschied von der Hölle?
schaftskritischen Perspektive erscheint ihm die Epoche der Moderne insgesamt zutiefst gekennzeichnet durch „höllische (…) Kommunikationslosigkeit
und Ich-Einsamkeit“30. Papst Benedikt XVI. denkt demgegenüber mehr auf
ontischer Ebene, wenn er die Hölle als Abgrund der menschlichen Natur
bezeichnet. „Mehr denn je wissen wir heute, dass eines jeden Existenz diese
Tiefe berührt“31, so auch seine Einschätzung.
Die Vorstellung diesseitiger Höllen fristet nun aber anders als man bis hierher meinen könnte, keineswegs ein „Nischendasein“ in den Köpfen weniger
Intellektueller. Dem Abschied vom traditionellen Bild der Hölle steht im
Gegenteil auch im allgemeinen, öffentlichen Bewusstsein eine große Präsenz
des Topos gegenüber. In einer profunden Untersuchung von Zeitungsschlagzeilen, Fernsehfilmen und Meinungsumfragen zur Höllenthematik gelangt
Elke Jüngling zu der Erkenntnis, dass am Ende des 20. Jahrhunderts der Begriff
‚Hölle‘ wohl breitere Verwendung findet, als jemals zuvor in der Geschichte.32
Auffallend dabei ist allerdings ein tiefgreifender Bedeutungswandel. Indem
der Höllenbegriff gleichsam seiner eschatologischen Dimension entkleidet
wird, geschieht eine entscheidende Verlagerung der Schuldfrage. Hölle ist
nicht mehr Folge von Sünde vor Gott, ja sie liegt gar nicht mehr primär im eigenen Verhalten eines Menschen begründet. Der Begriff wird vielmehr zumeist
„als Synonym für [unschuldiges] Leiden verwendet.“33
Der bisherige Befund zeigt nun, wie ich meine, ein Doppeltes: Zunächst
einmal gibt er allen Anlass zu der Hoffnung, dass das ehemalige Verständnis
der Hölle als jenseitigem Strafort tatsächlich überwunden ist. Der Mensch des
21. Jahrhunderts ist endgültig nicht mehr anfällig für Versuche einer Disziplinierung und Reglementierung seines Lebensvollzugs durch Androhungen
ewiger Verdammnis. Dann aber ist auch deutlich geworden, und dies mag
vielleicht überraschen, dass eine christlich verantwortete Rede von der Hölle
30 Maas: Geheimnis des Karsamstags, 128. Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung gelangt
auch Eugen Biser. Ihm gilt die Neuzeit als „Zeitalter des Perfektionismus. Der perfektionierten Daseinsstruktur entspricht aber innerlich der homo deformis“ (ders.: Abgestiegen zu der Hölle, 286; Kursiven im Original wurden nicht übernommen), so dessen
Befund.
31 Ratzinger: Einführung in das Christentum, 294.
32 Vgl. dazu Jüngling: Hölle, 21–48.
33 Jüngling: Hölle, 439. Damit schließt sich der Kreis. „Die Hölle, das sind die andern“; zu
dieser Einsicht gelangt auch Satre (ders.: Geschlossene Gesellschaft, 59).
Auf das mit diesem Verständnis verbundene Problem eines allgemein zunehmenden
Mangels an Schuldbewusstsein, um nicht zu sagen einer sich ausbreitenden Unschuldsmentalität kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Vgl. dazu: Jüngling:
Hölle, 437; Fuchs: Gerichtsverlust, 162.
1. Einleitung
17
heute vielleicht weniger verzichtbar ist denn je. Der Mensch, jeder Einzelne, in
seinem ganz persönlichen Umfeld, wie auch die Weltbevölkerung insgesamt,
ist in unserem Zeitalter immer rasanterer Entwicklungen auf allen Gebieten
der Politik, Forschung und Lebensführung immer schneller vor immer größere Herausforderungen, Aufgaben und Entscheidungen gestellt, die zu
bewältigen ihn zunehmend überfordert. In einer stetig steigenden Zahl von
Biographien stellen sich darum Erfahrungen tiefen Unheil-Seins ein. Diese
menschliche Not gilt es theologisch unbedingt einzuholen. Wenn nämlich
„diesseitige Erfahrungen von Hölle in Leid und Qual nicht mehr mit Gott in
Verbindung gesetzt werden, kann die christliche Botschaft die Menschen als
Trost und Kraft nicht mehr erreichen“34.
Der zweifellos ganz und gar notwendige Paradigmenwechsel von der Verbreitung einer Drohbotschaft zur Verkündigung der Frohen Botschaft vom
Anbruch des Reiches Gottes in Jesus Christus hat es mit sich gebracht, dass
gemeinhin Erfahrungen gelingenden Menschseins theologisch als Verheißung und Angeld endgültigen Heils interpretiert werden. Was aber, wenn solche Momente des Glücks und Heils einem Menschen, aus welchen Gründen
auch immer, nicht zugänglich sind? Wenn er, sei es zu Recht oder Unrecht, sein
Leben von Unglück beherrscht sieht? Die Botschaft von der göttlichen Heilszusage findet dann keine Anknüpfungsmöglichkeiten und muss ins Leere
laufen; „die Hölle auf Erden bleibt gottlos.“35 Besonders an jene Menschen aber,
die der Heilung bedürfen, richtet sich die Selbstzusage Gottes. Gefragt sind
darum „positive Entwürfe …, die den (Höllen)Topos in eine Gotteslehre
einbringen“36.
Die bereits exemplarisch angeführten theologischen Versuche, Hölle als
diesseitige Unheilserfahrungen in unsere Zeit hinein thematisch werden zu
lassen, leisten dies indes nicht, sondern verbleiben weitestgehend auf der
Ebene reiner Setzung. Der Zusammenhang zwischen dem Theolugomenon
und existentiellen Erfahrungen wird zwar behauptet, nicht aber systematisch
hergeleitet. Geeignete Ansatzpunkte für eine theologische Neuentdeckung
und zeitgemäße Fassung der Höllenthematik bieten sich aber, so die Grundthese dieser Arbeit, im theologischen Werk Hans Urs von Balthasars.
34 Jüngling: Hölle, 449.
35 Jüngling: Hölle, 449.
36 Jüngling: Hölle, 449.
18
1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle bei Hans Urs von Balthasar
1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle
bei Hans Urs von Balthasar
Der schweizer Theologe ist der wohl letzte Denker, der sich in ernst zu nehmender Weise mit der Frage der Hölle befasst hat. Aber nicht nur deshalb bietet es sich an, seine Überlegungen zum Gegenstand der folgenden Untersuchung zu machen. „Balthasar ist vielleicht der gebildetste Mann seiner Zeit.“37
Neben einem schier unerschöpflichen Fundus an Wissen aus nahezu allen
Bereichen der Literatur, Kunst, Musik und Philosophie verfügte der promovierte Germanist vor allem auch über ganz außergewöhnliche Kenntnisse der
Theologiegeschichte, insbesondere aber der Patristik. Seine theologischen
Überlegungen durchmessen daher einen ungewöhnlich weit aufgespannten
geistesgeschichtlichen Horizont. Bei aller Weite seines Denkens weiß Balthasar sich aber immer in unverbrüchlicher Treue auf das Wort der Schrift als
norma normans allen Theologisierens verpflichtet. Von dorther fühlt er sich
nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, dort, wo es ihm nötig
erscheint, Irrtümer und Fehler in der theologischen Tradition als solche aufzudecken und Korrekturen einzufordern. „Entschieden rückte er die Überzeugung von der absoluten Barmherzigkeit Gottes in das Zentrum seiner Theologie und überdachte von hieraus nochmals die überkommenen Traditionen.
Dies gilt insbesondere für die Eschatologie, in der die Linien seiner gesamten
Theologie sich verdichten.“38
Theologie als Reflexion auf die in Jesus Christus ergangene Selbstoffenbarung Gottes muss, so Balthasar, Spiegel ihres Gegenstandes sein. Im Zentrum
der Botschaft Jesu aber steht der unbedingte Heilswille Gottes. Im Christus­
ereignis ist das Reich Gottes bereits in dieser Welt angebrochen und seine endgültige Durchsetzung zum Heil aller Menschen zugleich verheißen. Schlechthinniger Ort der Heilswahrheit ist darum nach balthasarschem Verständnis
die Eschatologie, denn erst eingedenk seiner Verendgültigung ist das in der
Person Jesu Christi ergehende Beziehungsangebot in seiner ganzen Tiefe zu
ermessen. „Gott ist das ‚Letzte Ding‘ des Geschöpfs. Er ist als Gewonnener
Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender
Fegefeuer.“39 Rede von Gott ist demnach nur dann dem christlichen Gottesbild
angemessen, wenn sie zuinnerst eschatologisch dimensioniert ist.
37 Lubac: Zeuge Christi, 392.
38 Striet: Wahrnehmung der Offenbarungsgestalt, 57.
39 VC, 282; vgl. auch Pa, 69; Balthasar: Eschatologie, 133.
1. Einleitung
19
Von dieser Grundüberzeugung her verfolgt Balthasar, darin bewusst den
Spuren Karl Barths40 und anderer protestantischer Theologen seiner Zeit folgend, das Programm einer umfassenden Eschatologisierung der Theologie in
allen ihren Lehrstücken.41 „Es ist jedoch begreiflich, daß dieses Aufpflügen der
Theologie von der Eschatologie her eine beruhigte systematische Darstellung
nicht gefördert hat; sind doch die Letzten Dinge viel eher der Ort, wo – spätestens! – die Aporetik der Theologie sichtbar wird. Es gibt kein ‚System‘ der Letzten Dinge“42. Balthasars Theologie sprengt darum jede klassische Systematik;
vor allem sprengt sie die Grenzen aller Traktate auf. Dies heißt nun aber nicht,
sie verliefe sich gleichsam in einer Aufaddierung von Disparatem. Vielmehr
ist sein Werk in allen seinen Teilen christozentrisch ausgerichtet und strukturiert und hat in diesem Sinne durchaus eine innere Einheit.
Die eigentliche Originalität des balthasarschen Denkens liegt nun aber
darin, dass er den Einheitspunkt der Theologie noch einmal auf eine zentrierende Mitte zugespitzt sieht. Hans Urs von Balthasar zufolge ergeht die Selbst­
offenbarung Gottes zuhöchst im Karsamstagsereignis. Einzig vom Höllenabstieg Jesu Christi her ist darum seiner Überzeugung nach die christliche
Heilsbotschaft angemessen zu erschließen und in ihrer ganzen Tiefe auszuloten. Damit ist klar, dass die balthasarsche Rede von der Hölle jeder Drohgebärde von Grund auf zuwider läuft. Sie ist vielmehr fundamental darauf ausgerichtet, eine universale Hoffnungsperspektive zu eröffnen und als begründet
auszuweisen. Der Grundgedanke dabei ist, dass der Sohn Gottes das göttliche
Heil bis in die tiefsten Abgründe des Menschen und seiner Welt hineinträgt
und dergestalt Hoffnung auch und gerade dort stiftet, wo völlige Hoffnungslosigkeit herrscht. Von diesem Ereignis her entwickelt Balthasar also seine
Theologie insgesamt, was in der Konsequenz zugleich bedeutet, dass alle seine
theologischen Aussagen, sei es explizit oder auch implizit, die Signatur des
Descensus Christi ad inferos tragen.
40 Die für seine Zeit geradezu revolutionäre Position Karl Barths lässt an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig: „Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun“ (ders.: Der Römerbrief. Zweite Fassung, München 1922, 298; zitiert nach: Jüngel: Barth, 258).
41 Vgl. dazu VC, 276–300. Jan-Heiner Tück bezeichnet Balthasars Schrift „Umrisse der Eschatologie“ m. E. völlig zu Recht als „programmatischen Aufsatz“ (Tück: Nachbetrachtung, 120). „Befasst man sich eingehender mit dem Werk Balthasars, dann kann man
leicht feststellen, daß die Theologie Balthasars eschatologisch geprägt ist, denn Balthasar entfaltet seine Theologie im Horizont der Frage nach der Vollendung bzw. der Eschatologie“ (Kim: Christliche Denkform 28).
42 VC, 276. Diese Überlegungen Balthasars beziehen sich auf die Theologie Karl Barths.
Sie haben aber nicht weniger Geltung für sein eigenes Werk.
20
1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle bei Hans Urs von Balthasar
Es kann nicht verwundern, wenn eine solche Grundkonzeption in starkem
Maße polarisierend wirkt. Balthasar hat ebenso glühende Bewunderer,43 wie
auch vehemente Gegner. Gegen seine Verächter ist der Theologe vielfach „in
Schutz zu nehmen – nicht, um eine sachliche Debatte zu blockieren, sondern
um – gelinde gesagt – unterkomplexe Zuschreibungen abzuwehren.“44 Im
Fokus polemischer Kritik stand zunächst einmal, wie nicht anders zu erwarten, die Frage der Hoffnung auf das Heil aller. Ihren Höhepunkt erreichten die
diesbezüglichen Anfeindungen Balthasars durch Vertreter kirchlich rechtskonservativer Kreise in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.45 Nach einer längeren Phase, in der seine Theologie der Hölle eher verhalten diskutiert wurde,
löste im Jahr 2007 dann die amerikanische Theologin Alyssa L. Pittstick mit
ihrer Dissertation,46 in der sie Balthasars Theologie des Karsamstags unter
Häresieverdacht stellt, im englischsprachigen Raum neue und z. T. abermals
heftige Auseinandersetzungen aus.47 Eine eingehende, systematische Darstellung und Untersuchung des balthasarschen Entwurfs zu einer Theologie der
Hölle jedoch bleiben bei allen KritikerInnen gleichermaßen zu vermissen.
Nun sind in jüngerer Zeit bemerkenswerter Weise zwei große Arbeiten zur
Höllenthematik erschienen, aber auch diese handeln beide nicht von Balthasar. In ihrer schon mehrfach zitierten Dissertation zeigt Elke Jüngling u. a. in
einer systematisch-theologischen Bestandsaufnahme,48 dass es sich bei der
Hölle keineswegs um einen veralteten Glaubensartikel handelt. Hans Urs von
Balthasar gehört aber leider nicht zu den 20 von ihr exemplarisch ausge­
wählten und besprochenen Theologen. Eine eher fundamentaltheologische
Perspektive nimmt Markus Schulze ein und fragt: „Ist die Hölle menschen­
möglich?“49 Seine Arbeit dazu will er ausdrücklich verstanden wissen „als
eine historisch-systematische Hinführung zu Balthasar und der Auseinandersetzung um sein Werk“50. Er denkt also „bis an Balthasar heran, nicht wirklich
43 „Balthasar wird stets Bewunderer finden, jedoch schwerlich Schule machen. Sein an-
44
45
46
47
48
49
50
gelegentliches Bemühen um eine einheitliche Gesamtschau eignet sich nicht für Schematisierungen und Unterscheidungen, die in den theologischen Traktaten gang und
gäbe sind“ (Jöhri: Hans Urs von Balthasar, 436).
Tück: Hans Urs von Balthasar, 95.
Vgl. dazu bes. Jg. 15 (1984) der katholischen Monatsschrift „Der Fels“, sowie die Ausgaben Oktober 1986 bis April 1987 der Zeitschrift „Theologisches“. Vgl. auch unten Kapitel 3.4.2.3.1.
Pitstick: Light in Darkness.
Vgl. dazu unten Kapitel 3.3.3.3.
Vgl. dazu Jüngling: Hölle, 59–227.
Zitiert ist damit der Titel der Schrift Markus Schulzes.
Schulze: Ist die Hölle menschenmöglich?, 9.
1. Einleitung
21
in seine Eschatologie hinein.“51 Diese angemessen zur Sprache zu bringen, formuliert er allerdings explizit als dringende Forschungsaufgabe.52
Der Stand innerhalb der Balthasar-Rezeption bleibt also auch durch erste
Ansätze zu einer Wiederentdeckung der Höllenfrage unverändert. Zur Diskussion steht immer wieder das gedankliche Endergebnis der balthasarschen
Theologie der Hölle, ohne dass aber die Wege seiner Herleitung angemessen
erschlossen und erhellt wären. Die Tragfähigkeit jeder Kritik, sei sie nun negativ oder auch positiv53, kann damit nur eine deutlich begrenzte sein. Damit
aber wird letztlich die Chance vergeben, das nicht nur so ganz originäre, sondern zweifellos auch sehr reiche Denken Balthasars auf heutige Frage- und
Problemstellungen hin auszuwerten und fruchtbar zu machen. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Bearbeitung dieses Desiderats.
1.3 Anlage und Anliegen der Untersuchung
Weil die Eschatologie bei Balthasar kein Traktat neben anderen ist und weil vor
allem der Descensus für ihn kein Lehrstück unter vielen anderen darstellt,
sondern vielmehr „zu einem Strukturelement … (seines; S. H.) ganzen
Lehrgebäudes“54 avanciert, besteht die mit dem Vorhaben einer systematischen Erschließung der balthasarschen Rede von der Hölle gegebene Aufgabe
notwendig darin, die Frage nach der Möglichkeit endgültiger Verlorenheit des
Sünders vom Gesamtzusammenhang der theologischen Konzeption her zu
erschließen. Näherhin bedeutet dies, die Höllenthematik unter trinitätstheologischem, anthropologischem, christologisch-soteriologischem und schlussendlich eschatologischem Fokus je neu zu verfolgen, wobei es gleichzeitig
darum gehen muss, den inneren Zusammenhang der unterschiedlichen Perspektiven erkennbar zu machen, um so Balthasars Theologie der Hölle immer
deutlicher in ihrer einheitlich-ganzheitlichen Gestalt zu konturieren.
Angesichts dieses Vorhabens ist nun aber auf die spezifischen Probleme
jeder Balthasar-Rezeption hinzuweisen.55 „Balthasars Theologie weist den, der
51 Schulze: Ist die Hölle menschenmöglich?, 9 (Kursiven im Original wurden nicht über-
nommen).
52 Vgl. Schulze: Ist die Hölle menschenmöglich?, 417 f.
53 Balthasar ist ohne Zweifel auch vor vielen seiner LiebhaberInnen zu verteidigen, „weil
sie nicht selten die Brisanz seiner Theologie unterschätzen“ (Tück: Hans Urs von Balthasar, 95).
54 Lochbrunner: Ineinander von Schau und Theologie, 188.
55 Vgl. dazu Löser: Unangefochtene Kirchlichkeit, 478 f.
22
1.3 Anlage und Anliegen der Untersuchung
sich um sie bemüht, auf einen steilen Weg.“56 Im Speziellen gilt das für seine
Eschatologie. „Diese ist nicht ein Berg, sie ist ein Gebirge.“57 Zunächst einmal
stellt die Mannigfaltigkeit seiner Thematisierungen eine besondere Herausforderung dar. Es wäre wohl nicht nur ein kaum zu erfüllender Anspruch,
wollte man versuchen, alle bei Balthasar selbst explizit oder auch implizit mit
der Höllenthematik verknüpften Aspekte in die Darstellung und Reflexion
einzubeziehen. Es hieße vor allem unweigerlich auch, sich in einem letztlich
nicht mehr durchschaubaren Netzwerk aus Ansätzen und Ideen zu verstricken. Eine Konzentration auf die zentralen Dreh- und Angelpunkte sowie ihre
Gelenk- und Verbindungsachsen ist darum unerlässlich, auch wenn dies in
der Konsequenz bedeutet, Probleme unerkannt und Fragen offen lassen zu
müssen.
Analoges gilt im Hinblick auf die zu berücksichtigende Literatur. Die Fülle
der balthasarschen Schriften ist kaum zu überschauen.58 Neben mehr als 100
Büchern hat der Theologe über 500 Aufsätze verfasst. Hinzu kommt inzwischen eine regelrechte Flut an Sekundärliteratur.59 Die Rezeption der balthasarschen Werke lief zunächst recht schleppend an. Bis zur Mitte der 1970er
Jahre gab es nach eigenen Aussagen Balthasars gerade einmal ca. 20 Dissertationen60, die sich mit seinem Denken befassten. Inzwischen liegen um die 300
Monographien vor.61 Es versteht sich von selbst, dass es unmöglich ist, alle
56 Löser: Sein – ausgelegt als Liebe, 424.
57 Schulze: Ist die Hölle menschenmöglich?, 9; vgl. auch ebd., 417.
58 Vgl. dazu: Balthasar, Hans Urs von: Bibliographie 1925–2005. Darüber hinaus war
Balthasar als Übersetzter klassischer französischer Werke tätig und betreute als Herausgeber und Verleger etliche Schriftreihen. Vgl. dazu auch Lochbrunner: Hans Urs
von Balthasar als Autor, Herausgeber und Verleger.
59 Die Hans Urs von Balthasar-Stiftung stellt unter http://homepage.bluewin.ch/huvbslit.
ein Verzeichnis aller Sekundärschriften zu Balthasar zu Verfügung, das zweimal im
Jahr aktualisiert wird.
60 Vgl. Albus: Geist und Feuer, 73. Seine Bücher seien „keine zünftige Theologie, darum
für Dissertationen auch nicht sonderlich geeignet“ (ebd.), so Balthasars eigene Erklärung dazu.
61 Manfred Lochbrunner zählte im Jahr 2004 bereits 279 Titel (vgl. ders.: Summe der
­Theologie, 355). Zwischenzeitlich ist noch eine Reihe weiterer Veröffentlichungen hinzugekommen (zum vollständigen Nachweis sei noch einmal auf das Verzeichnis der
Balthasar-Stiftung verwiesen; vgl. Anm. 59). Lochbrunner unterscheidet zwei Rezeptionsperioden. Die erste Phase erstreckt sich demnach vom allmählichen Einsetzten
der Rezeption um das Jahr 1970 bis zum Ende der 1980er Jahre. Mit der Vollendung des
15-bändigen Hauptwerkes Balthasars, der sog. Trilogie, und dem plötzlichen Tod des
Theologen wenig später (1988), setzt nach der Beobachtung Lochbrunners eine neue
Periode deutlich vermehrter Auseinandersetzung mit der balthasarschen Theologie
ein. Während er die zwischen 1970 und 1990 entstandenen Schriften zu Balthasar noch
vollständig auflisten kann, ist ihm dies für die folgende Zeit angesichts der großen An-
1. Einleitung
23
Werke auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn zu studieren und
in der Auseinandersetzung zu behandeln. Es wird mit den folgenden Ausführungen also ausdrücklich kein Anspruch auf Vollständigkeit der Sichtung
erhoben. Vielmehr erlaube ich mir, ein ebenso weises wie pragmatisches Prinzip Balthasars zur Anwendung zu bringen: „Nur wer viel übersehen kann, hat
Übersicht.“62
Was die Werke Balthasars anbelangt, so treffe ich meine Auswahl im Wesentlichen aus den nach 1947/48 entstandenen Schriften. In den Jahren zuvor entstanden Werke „mit einer vorwiegend philosophischen Perspektive“63. Ab diesem
Zeitpunkt dann widmet er sich im engeren Sinne theologischen Fragestellungen.
Insgesamt wird man „von einer auffälligen Kontinuität in den eschatologischen
Arbeiten Balthasars sprechen dürfen“64. Dies gilt insbesondere auch „im Blick auf
den christlichen Heilsuniversalismus, der in einer Theologie des Kreuzes und
des Descensus Christi grundgelegt“65 ist. Es wird darum im Verlauf der Untersuchung durchaus möglich sein, die berücksichtigten theologischen Werke Balthasars alle untereinander ins Gespräch zu bringen, ohne seinem Denken damit
Gewalt anzutun. Vor allem aber steht nicht zu befürchten, dass mit einem nicht
einbezogenen Text ein wesentlicher Aspekt verloren geht oder etwa eine fundamentale Neubesinnung übergangen wird.
Deutlich größere Schwierigkeiten bereitet die Auswahl der Sekundärliteratur. Neben deutschsprachigen Schriften konzentriere ich mich besonders
auf Texte aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, weil gerade hier in den
letzten beiden Jahrzehnten ein deutlich wachsendes Interesse an der Theologie Hans Urs von Balthasars festzustellen ist.66 Außerdem ist es mir wichtig,
62
63
64
65
66
zahl nicht mehr möglich. Nach einer Sichtung der deutschsprachigen Sekundärliteratur kommt Lochbrunner zu dem Ergebnis, auf weitere Gesamtdarstellungen des Lebens und Werkes des schweizer Theologen könne zukünftig verzichtet werden. „Es ist
die Zeit gekommen, da die Forschung auf umgrenzenden Feldern und in Detailfragen
vorangetrieben werden muß“ (ebd., 366), lautet sein Befund. Insbesondere der diffizile
Komplex der Karsamstagstheologie fordert seiner Einschätzung nach zu weiteren Anstrengungen in der Soteriologie heraus (vgl. ebd.). Die vorliegende Arbeit versteht sich
als Beitrag zur Bewältigung dieser Aufgabe.
W, 45.
Lochbrunner: Analogia Caritatis, 82.
Tück: Nachbetrachtungen, 130.
Tück: Nachbetrachtungen, 130.
„Hans Urs von Balthasar is a theologian whose time appears to have come. Across a
broad theological spectrum there is a growing interest in his thought, an interest which
crosses older conservative/liberal, ecclesiopolitical boundaries in a surprising manner.
In the English-speaking world this fascination has grown markedly in the past decade“ (Gardner u. a.: Preface, VII).
24
1.3 Anlage und Anliegen der Untersuchung
neben einigen Standardwerken vor allem auch neuere Erscheinungen zu
berücksichtigen, weil ich mir erhoffe – zu Recht, wie sich immer wieder herausstellen wird –, hier Fragen und Antwortperspektiven zu finden, die meinen
verwandt sind.
Leitender Impetus der folgenden Auseinandersetzung mit der Gedankenwelt Hans Urs von Balthasars ist es, darzulegen, dass und in welchem Sinne
die Rede von der Hölle, zu der er ausgehend von der Selbstoffenbarung Gottes
in Jesus Christus findet, keinerlei Spuren einer Drohbotschaft trägt, sondern
im Gegenteil in besonderer Weise geeignet ist, Größe und Wunder des göttlichen Heilsangebots auch und gerade in menschlichen Erfahrungen abgründigen Unheils zur Sprache zu bringen und dergestalt eine Hoffnungsperspektive zu eröffnen.
Eine mögliche Vertiefung und Konkretisierung dieses Gedankens soll am
Ende der Arbeit in einem kurzen Ausblick exemplarisch zumindest angedeutet werden. Es war eingangs bereits davon die Rede, dass im außer- wie auch
im innertheologischen Raum gegenwärtig immer wieder von „individuellen
und kollektiven Höllen des 20. Jahrhunderts“67 gesprochen wird. Eugen Biser
geht sogar so weit, zu sagen, Hölle sei „das Stichwort der herrschenden
Daseinsinterpretation“68. Die Hölle erscheint damit nicht länger als ausstehende, jenseitige Gefahr, sondern wird zu einem gegenwärtigen, ja sogar alltäglichen Phänomen erklärt.69 Sie „existiert schon allerorten; man muss sie
nicht erst theologisch erfinden.“70 Dabei wird der Topos, auch das wurde schon
erwähnt, immer wieder, nicht zuletzt von theologischer Seite, vielfach in
Zusammenhang mit psychischen Leiden gebracht: „die Hölle als Inbegriff seelischer Erkrankungen, von Neurosen und Psychosen“71.
Bisher verbleibt diese Erklärung allerdings weitgehend auf der Ebene der
Behauptung; eine systematisch-theologische Durchdringung des Gedankens
ist noch nicht geleistet. In einem Ausblick am Ende dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, anzudeuten, wie die Verknüpfung des Höllentopos mit Zuständen seelischen Leidens von Balthasar her möglicherweise als
theologisch gerechtfertigt ausgewiesen und dergestalt erhärtet werden kann.
Die These dabei lautet, dass pathologische Formen der Angst als Ursprung und
Grund neurotischer und psychotischer Leiden als Vorschattungen von Hölle
im Sinne Balthasars begriffen werden können.
67
68
69
70
71
Krenski: Spekulativer Karsamstag, 149.
Biser: Abgestiegen zu der Hölle, 289.
Vgl. Miggelbrink: Was kommt danach?, 106.
Röhser: Hat Jesus die Hölle gepredigt?, 32.
Vorgrimler: Wiederkehr der Hölle?, 158 f.
1. Einleitung
25
Nun kann und darf die Theologie sich freilich keinerlei psychologischen
und psychiatrischen Kompetenzen anmaßen. Sie ist darum in der Entwicklung einer Theologie pathologischer Angst notwendig auf das interdisziplinäre Gespräch mit den entsprechenden Wissenschaften anwiesen. Ein solcher
Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften bedarf aber ebenso notwendig der Vermittlung durch eine Philosophie, die gleichsam eine Brücke
zwischen den unterschiedlichen Perspektiven auf die Wirklichkeit schlägt.
Nun gibt es mit der Daseinsanalyse eine psychopathologische und psychotherapeutische Richtung, die sich ausdrücklich ein philosophisches Fundament
gibt. Dies ist umso interessanter, als sie sich auf die Philosophie Martin Heideggers gründet, eine Richtung mithin, die durchaus auch anschlussfähig für
theologische Diskurse ist.
In meinem Ausblick werde ich also zumindest andeuten, wo ich Berührungspunkte zwischen der Theologie Balthasars und der daseinsanalytischen
Sicht des Menschen und seiner Gesundheit bzw. Krankheit erkenne. Damit
soll der Versuch unternommen werden, eine Denkrichtung zu markieren, die
es erstens ermöglichen könnte, pathologische Angstphänomene theologisch
(be)greifbar zu machen, die sich aber darüber hinaus zweitens vor allem als
geeignet erweisen könnte, Hoffnung auf Heilung und Heil zu begründen. Mit
diesem Unterfangen hoffe ich nicht zuletzt auch zeigen zu können, dass „von
Balthasars Position … ein noch intensiveres Gespräch zwischen den verschiedenen Wissenschaften möglich (ist), als er es selbst geführt hat.“72 In einen
­solchen Dialog tatsächlich einzutreten und dergestalt systematisch auf die
Entwicklung einer Theologie pathologischer Angst hinzuarbeiten, muss al­­
lerdings einer weiteren Untersuchung vorbehalten bleiben.
Wenden wir uns nach diesen Vorüberlegungen nun also Hans Urs von Balthasar und seiner Theologie zu. Um seinen Entwurf zur Höllenthematik in gebührender Weise nachvollziehen und erfassen zu können, ist es unabdingbar, um
sein eigentümliches Theologieverständnis zu wissen. In einem ersten Schritt
soll darum nun dargelegt werden, wie und in welchem Sinne der große Denker Theologie betreibt. Dabei wird es allerdings auch bereits ein erstes Mal
vonnöten sein, kritische Einwände geltend zu machen, nicht zuletzt um damit
Ziel und Anspruch dieser Arbeit deutlich zu machen.
72 Bieler: Befreiung zur Freiheit, 38.
26
2. Das Theologieverständnis
Hans Urs von Balthasars im Umriss
Der scheinbar so eindeutige Begriff Theologie im Sinne des Sprechens von Gott
ist nach Hans Urs von Balthasar erst unter Berücksichtigung zweier Bedeutungsdimensionen adäquat erfasst: Gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch
bezeichnet Theologie menschliches Sprechen von und über Gott. Dieses
menschliche Sprechen aber, so Balthasar, ist nur möglich, weil und insofern
ihm ein Wort Gottes ermöglichend vorausgeht. Erst indem Gott den Menschen
an-spricht, sich dem Menschen zu-spricht, wird dieser überhaupt befähigt,
seinerseits von Gott zu sprechen. Sprechen von Gott her ist Bedingung der Möglichkeit jedes Sprechens über Gott. Theologie ist demnach ihrem Wesen nach
„Logos über Gott aus dem Logos des sich selber im … Wort aussprechenden
Gott.“1
In gleichem Maße aber gilt, „daß ‚Verstehen‘ ein Akt des Menschen als solchen ist.“2 Das Wort Gottes überwältigt den Menschen keinesfalls, sondern es
wendet sich an seine natürlichen Erkenntnisfähigkeiten, die es ebenso respektiert wie in den Dienst nimmt. Theologisieren ist im wahrsten Sinne des Wortes menschliche Leistung, „denn keinesfalls kann die Möglichkeit, daß Gottes
Wort vom Menschen verstanden und ausgedrückt werden kann, als ein bloßes
Gnadenwunder von oben verstanden werden.“3
Im Folgenden gilt es nun zunächst, diese fundamentale Einsicht des Ineinanders von göttlicher und kreatürlicher Sphäre in jedem Akt theologischen
Bemühens zu explizieren, um so die Grundstruktur des originär balthasarschen Denkens zu erschließen. Eine solche einleitende, allgemeine Darstellung der theologischen Form, die „in ihrem Formalobjekt von der Gottesherrlichkeit, deren Ausdruck sie wird, beherrscht ist“4, ist notwendig, um die
Denkwege abzustecken, auf denen dann auch der Frage der Hölle nachzugehen sein wird. Die Fruchtbarkeit der balthasarschen Approximationen
erwächst nämlich aus der konsequenten Entwicklung auch dieser, auf den ers-
1 H III/1.1, 285. Zu diesem Gedanken vgl. auch CE, 103 f. Balthasar wendet sich hier vehe-
ment gegen Ansätze, „‚Theologie als Anthropologie‘ zu treiben“, weil sie „stillschweigend die Voraussetzung aller Theologie im Schatten (lassen), daß sie nämlich Logos des
sprechenden Gottes ist“ (ebd.).
2 TL III, 331.
3 Ebd.
4 Scola: Theologischer Stil, 13.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
27
ten Blick eher abseitigen Einzelfrage aus dem Gesamt des theologischen Entwurfes heraus.
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
„Theo-logie – Rede Gottes und in dieser Rede auch Rede des Menschen in Gott
über Gott – kommt immer aus der obersten Höhe“5, so haben wir gesehen. Das
theologische „Formalobjekt würde daher nach B. in jedem Sprechen über Gott
verfehlt, das ‚von unten her‘ von Natur- oder Geisteswissenschaft, von Anthropologie und Philosophie her sich an das Offenbarungsgeschehen anzunähern versuchte“6. Um das von Gott her Zugesagte angemessen zur Sprache zu
bringen7, muss vielmehr immer wieder die Sphäre des Kreatürlichen überstiegen werden. Theologisieren erfordert ein „Umdenken von den Menschengedanken auf Gottes eigene souveräne Gedanken“8. Dies ist aber nach Balthasar
nur dann möglich, wenn der Mensch seinem Wesen nach auf einen solchen
Akt der Selbsttranszendenz hin angelegt ist. Nur wenn der endliche Mensch
als grundsätzlich offen auf das Unendliche hin ausgewiesen werden kann, ist
seine prinzipielle Ansprechbarkeit durch Gott überhaupt zu denken. „Um die
Selbstoffenbarung Gottes hören und verstehen zu können, muß der Mensch
selbst ein Forschen nach Gott, eine ihm gestellte Frage sein. Also gibt es keine
biblische Theologie ohne religiöse Philosophie.“9
An dieser Stelle gilt es, nun tiefer in die Gedankenwelt Balthasars einzudringen, denn „ein entscheidender Schlüssel zum rechten Verständnis des
gesamten Denkens liegt in seiner Sicht und Begründung des Verhältnisses von
Philosophie und Theologie.“10 Wenn er einerseits betont, Philosophie habe von
sich aus keinen Zugang zur Offenbarungswahrheit, andererseits aber Theologie unter Ausschluss philosophischen Denkens für schlechterdings unmög-
15 GF, 259.
16 Heinz: Gott des Je-mehr, 18.
17 „Die Wissenschaftlichkeit einer Wissenschaft bemisst sich danach, ob und wieweit
ihre Methode dem Gegenstand angepaßt ist“ (Balthasar: Von der Theologie Gottes zur
kirchlichen Theologie, 314) Dies gilt auch für die Theologie, ungeachtet der Tatsache,
dass sie „nur in analogem Sinn zu den übrigen menschlichen Wissenschaften eine
Wissenschaft genannt werden kann“ (H I, 578; Vgl. dazu auch ebd. 71–74; Ef, 33 f; vgl.
dazu auch unten Kapitel 2.2).
18 SV, 365. Heinz bescheinigt Balthasar denn auch dementsprechend ein „Theologisieren
‚von oben‘“ (ders.: Gott des Je-mehr, 19).
19 ZsW, 97 (= MW, 92).
10 Bauer: Hans Urs von Balthasar, 288.
28
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
lich erachtet, entsteht zunächst unweigerlich der Anschein eines Circulus vitiosus. Wie also stehen Philosophie und Theologie zueinander? Die Antwort auf
diese Frage kann nur ausgehend von der Tatsache erfolgen, „dass Balthasar
seine Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie am Modell der
Natur-Gnade-Beziehung ausrichtet.“11
2.1.1 Theologisches Apriori natürlicher Erkenntnis
Die noetische Frage der Gotteserkenntnis ist nach Balthasar auf das Engste verbunden mit der ontologischen Frage nach dem kreatürlichen Sein, denn, so
seine Grundeinsicht, der Mensch ist „wesenhaft ein ‚Suchender‘“12: In der Erfahrung der eigenen Endlichkeit stellt sich dem Menschen unweigerlich die Frage
nach dem Grund seines Dasein. Der Begriff ‚Grund‘ ist dabei durchaus in seinem Doppelsinn von Fundament und Sinn zu verstehen. In der Reflexion auf
sein eigenes Dasein erkennt der Mensch: „Ich bin, ich könnte aber auch nicht
sein. Vieles, was existiert, könnte nicht sein.“13 „Es gibt ihn, aber was ist das Es,
das ihn gibt?“14 Indem die Geschöpfe sich als kontingent erfahren, begreifen
sie sich demnach zugleich als „bezogen auf ein sie bedingendes Absolutes
(eben diese Es; S. H.), das als solches analytisch im kreatürlichen Sein mitgesetzt und folglich auch mitgedacht ist.“15 Mit der Einsicht des Menschen in sein
eigenes Wesen geht die Erkenntnis einher, dass es ein sein Dasein als Ursprung
und Ziel begründendes Absolutes geben muss. Der Mensch weiß, dass er
weder über die reine Faktizität seines Daseins noch über Sinn und Ziel selber
verfügt. Die Vernunft muss notwendig einsehen, dass eine letzte Antwort auf
dieses Fraglichsein des Seienden innerhalb der Endlichkeit schlechterdings
unmöglich ist; sie kann nur von Gott her ergehen.
Sich selbst als natürliches Wesen kann der Mensch also nach Balthasar nur
angemessen verstehen, indem er die Existenz eines Gottes denkt, dem er als
Kreatur sich verdankt und der seinem Dasein Sinn und Ziel gibt. Im logischen
Umkehrschluss muss die menschliche Vernunft nun sagen, dass Gott Subjekt
der schöpferischen und sinngebenden Handlungen ist. Damit ist aber noch
nichts über das Wesen dieses Subjekts ausgesagt. Aus dem mitmenschlichen
Bereich wissen wir, dass jedes Subjekt „ein nur ihm gehöriges Innen hat, das
11
12
13
14
15
Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Philosophenfreunde, 207.
Ce, 102 (Kursiven von mir).
ZsW, 96 (= MW, 90).
Ce, 101 f.
Balthasar: Analogie und Natur, 40.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
29
anderen zu offenbaren bei ihm steht.“16 Jedes Subjekt ist frei, anderen Einblick
in sein eigenes Inneres zu gewähren oder aber zu verweigern. Diese Einsicht
ist nach Balthasar nun auf die Frage der Gotteserkenntnis übertragbar. „Aus
der Selbsterfahrung kann der Mensch erkennen, daß wenn er Gott innerlich
erkennen können soll, dieses nur durch eine freie Selbsterschließung Gottes
geschehen kann.“17
Einher mit der natürlichen Selbsterkenntnis des Menschen geht demnach
also ein elementares Wissen um die Existenz Gottes und um die gleichzeitige
Notwendigkeit wie Unverfügbarkeit seiner Selbsterschließung. Dieses Wissen
liegt nun nach Balthasar jeder gnadenhaften göttlichen Selbstaussage notwendig voraus. „Auch der Gott der Bibel … erklärt den Menschen nicht erst, was
‚ein Gott‘ ist, denn das wissen sie von jeher.“18 Wüssten sie es nicht, so wären
sie gar nicht in der Lage, ein von Gott her ergehendes Wort als ein solches zu
erkennen und zu verstehen. Das natürliche Wissen um Gott ist aber geeignet,
einen gedanklichen Rahmen zu bilden, in den hinein die Offenbarung Gottes
erfolgen und durch den sie sich verständlich machen kann.19 „Menschliches
Denken (ist) unausweichlich Voraussetzung für Gottes … Reden und Ver­
standenwerden“20, das dann seinerseits die bereits gewonnenen Sinnfragmente in sich einbirgt und darin zu ihrer Erfüllung bringt.21
Wenn nun Balthasar weiter sagt: „Wissen ist das, wofür der Mensch die Kriterien der Verifizierung bei sich selbst, in seiner Vernunft besitzt. … Das Unternehmen, das den Radius des Ausgriffs dieser Vernunft erforschend absteckt,
hat seit Platon den Namen Philosophie erhalten“22, dann ist in diesem Sinne
Gotteserkenntnis Gegenstand der Philosophie. Ihr kommt insofern inchoativer Charakter zu, womit nun aber keineswegs „die geheime Forderungen enthaltende, drängende platonische Sehnsucht nach der Gnade und der
Gottesschau“23 gemeint ist, sondern vielmehr eine Dienstbarkeit und Verfüg-
16
17
18
19
20
21
22
23
TD III, 129.
TD III, 130.
SV, 365.
Vgl. ebd. 364; VC, 71. Balthasar erkennt eben darin die bleibende Bedeutung natürlicher Welt- und Menschheitsreligionen, dass sie den Boden für die Offenbarung
Gottes bereitet haben und auch heute noch bereiten können. Mit Ahnungen des Göttlichen in Mythen, Philosophien und Dichtungen und ihrer Bedeutung für die christlichen Offenbarung setzt er sich ausgiebig auseinander in den beiden Teilbänden von:
H III/1. Vgl. auch die Zusammenfassung in: H III/2.1, 21–25.
Bauer: Hans Urs von Balthasar, 288.
Vgl. Klaghofer-Treitler: Gotteswort im Menschenwort, 131.
H III/1.1, 143.
VC, 63.
30
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
barkeit für göttliche Offenbarung24 im Sinne des bereits erwähnten leeren Rahmens. Die Überschneidung des jeweiligen Materialobjekts von Theologie und
Philosophie ist damit evident.
Es wäre nun aber ein Kurzschluss, wollte man alle Aussagen über Gott, die
der Mensch qua reiner Vernunft mit Blick auf seine eigene natürliche Verfasstheit erschließen kann, dem Zuständigkeitsbereich der Philosophie, alle darüber hinausgehenden Erkenntnisse, die sich aus der Offenbarung Gottes ergeben, dagegen der Theologie zuordnen. Folgt man Balthasar, so geht die
Verflechtung von Theologie und Philosophie wesentlich tiefer. Er ist der Überzeugung, „daß der Mensch zur ‚Anschauung‘, zum ‚Besitzen‘ Gottes geschaffen ist, daß er somit kein anderes Endziel hat als ein übernatürliches“.25 Das
aber bedeutet, schon vor jeder gnadenhaften Offenbarung ist der konkret existierende Mensch auf eine übernatürliche Bestimmung hin ausgerichtet. „Natur
ist als Ganze innerlich auf Übernatur finalisiert, ob sie will oder nicht, weiß
oder nicht.“26 In der Welt, wie sie konkret existiert, gibt es demnach keine ‚reine
Natur‘. „Gottes tatsächliche Weltordnung ist die faktische Einheit von zwei sachlich unterscheidbaren und auch in ihrer faktischen Einigung unterschiedenen,
aber nicht geschiedenen, nicht trennbaren Ordnungen“,27 einerseits nämlich
der Schöpfungsordnung und anderseits der Gnadenordnung.28 Dabei aber ist
die der Natur gleichsam innewohnende Gnade unbedingt zu unterscheiden
24 Vgl. Balthasar: Von den Aufgaben der Katholischen Philosophie in der Zeit, 4.
25 TD III, 151. In dieser Grundüberzeugung findet der kaum zu überschätzende Einfluss
Henri de Lubacs auf das Denken von Balthasars seinen Niederschlag. „De Lubac wendet sich … gegen alle Bestrebungen, das Übernatürliche zum Gegenstand einer natürlichen Forderung zu machen. (…) Deshalb steht im Mittelpunkt seiner Arbeiten zum
Übernatürlichen die Ausrichtung der Natur des geschaffenen Geistes auf das übernatürliche Endziel“ (Figura: Geheimnis des Übernatürlichen 354). Von Balthasar macht
sich diesen Standpunkt in kritischer Auseinandersetzung zueigen (vgl. dazu Balthasar:
Henri de Lubac, bes. 52–62). Gerade „bei diesen philosophisch-theologischen Grundfragen, wo sich letztlich alles um den Naturbegriff dreht, bezieht (er) sich … immer wieder auf de Lubac“ (Figura: Geheimnis des Übernatürlichen, 356). Lubac war es auch, der
Balthasars Liebe zu den Kirchenvätern weckte. Darauf wird später noch einmal zurückzukommen sein.
Zum besonderen Einfluss Lubacs auf das Denken Balthasar vgl. ferner Krenski: Gottesdrama, 86–122; Löser: Kleine Hinführung, 73–76; Voderholzer: Bedeutung der so genannten ‚Nouvelle Théologie‘, 204–228.
26 ZsW, 45 (= MW, 41 = R, 9).
27 KB, 291.
28 Auch die Natur des ärgsten Sünders ist nach Balthasar nie nur reine Natur. „Negative
Beziehung zum Gott der Gnade ist auch eine, sogar sehr reale Beziehung zu ihm. Gnade ist auch als verweigerte, abgewiesene, Gnade; es verbleibt auch im Stand der Sünde
das Ziel“ (KB, 298). „Der Gnadenverlust Adams bedeutet nicht, daß mit dem ‚Besitz‘ der
Gnade der ‚Stand‘ der Gnade [als übernatürliche Berufung, Ausrichtung und Erhö-
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
31
von der Gnade der freien Selbstoffenbarung Gottes. Balthasar betont ausdrücklich die Notwendigkeit der analytischen Unterscheidung von Natur und
Gnade und damit eines elaborierten theologischen Naturbegriffs, zum einen
„zur Kenntlichmachung des Geschöpfes in seinem von Gott unterschiedenen
Sein, seiner Gott ‚gegenüber‘-stehenden, eigenen Subjekthaftigkeit“,29 und
zum anderen zur Unterscheidung der Ungeschuldetheit der Gnade30 von der
allgemeinen Ungeschuldetheit der Schöpfung. „Vom Standpunkt einer kreatürlichen Theologie [von unten nach oben] bleibt der formale Begriff der natura
pura notwendig, vom Standpunkt Gottes aus [von oben nach unten] gewinnt
er keine Bedeutung mehr. Doch da der Mensch keine rein göttliche Theologie
treiben kann, bleibt für Balthasar … die Hypothese der natura pura … legitim“.31
hung der Natur] verloren … wäre“ (ebd., 299). Dieser Aspekt wird im Zusammenhang
der Höllenthematik noch eingehend zu bedenken sein.
29 Balthasar: Begriff der Natur, 454. Das Gott-gegenüber-Stehen des Menschen, die unüberwindbare Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf bedeutet nach Balthasar nicht
nur Ferne, sondern ist zugleich Bedingung der Möglichkeit von Beziehung. Nur wo es
einen Unterschied zwischen Schenkendem und Beschenktem gibt, kann es überhaupt
ein Geschenk geben (vgl. ders.: Analogie und Natur, 51). Natur als von Gott abständig
ist in diesem Sinne Voraussetzung von Gnade.
30 Zur Diskussion um die Frage, ob die theologische Rede von der Ungeschuldetheit der
Gnade impliziere, dass grundsätzlich auch eine andere Weltordnung denkbar sein
müsse, in der der Mensch auf ein rein natürliches Endziel ausgerichtet wäre, vgl.
Balthasar: Begriff der Natur, 459, wo jedem „Possibiliendenken“ eine deutliche Absage
erteilt wird. In Umkehrung des üblichen Verständnisses, wonach eine Möglichkeit ihrer Verwirklichung notwendig voraus liegt, argumentiert Balthasar, die Möglichkeit
von Welt ließe sich logisch erst aus ihrem Dasein ableiten. Nur von der faktischen Exis­
tenz her seien Rückschlüsse auf die Möglichkeit eben dieser Existenz zu ziehen. Die
konkrete Welt existiere aber nun einmal nur in ihrer Hinordnung auf Gnade. Die Frage
nach anderen möglichen Existenzformen von Welt sei daher müßig, weil sie sich letztlich auf die Möglichkeiten göttlicher Allmacht richte, die vom Menschen her nicht abzusehen seien.
31 Figura: Geheimnis des Übernatürlichen, 358. Figura betont, in seinen späteren Schriften habe Balthasar, Lubac darin folgend, jeder Hypothese der natura pura eine Absage
erteilt (vgl. ebd.) und verweist auf die Ansprache, die Balthasar im März 1971 anlässlich der Verleihung des Romano-Guardini-Preises gehalten hat (aufgenommen in: PI,
13–25). Die Rede ist der Frage „Wer ist der Mensch?“ gewidmet. In diesem Zusammenhang nun fordert Balthasar die „Preisgabe dieser überflüssigen und gefährlichen Hypothese einer natura pura“, weil damit „die Zwangsvorstellung einer innerweltlichen
Vollendbarkeit des Menschen [individuell und sozial] sich einfach erledigt“ (23). Es
geht also in erster Linie um die Abwehr des Missverständnisses der Hypothese als
anth­ropologische Aussage und der daraus sich ergebenden, theologisch nicht haltbaren Lehre, dass „der freie Ruf der Gnade der … gleichsam eine Störung der immanenten Autonomie darstellt, … als Überbau zu einer bereits in sich vollendeten Natur
hinzu(tritt), indem er sie auf ein übergestülptes … Ziel, die Schau Gottes, hinordnet“
(Figura: Geheimnis des Übernatürlichen, 357). Richtig verstanden als reine Denkmöglich-
32
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
Die Herleitung eines Begriffs der reinen Natur obliegt dabei nach Balthasar
ausschließlich der Theologie, insofern er nur durch Abstraktion von der gnadenhaften Ausrichtung der faktischen Natur zu gewinnen ist. ‚Reine Natur‘
ist gleichsam der Rest, der übrig bleibt, wenn von der gnadenhaften Erhöhung
der faktischen Natur abgesehen wird, „das, woran schließlich Gottes Offenbarung ergeht“,32 „das Geschöpf als solches“.33 Die Bestimmung des Naturbegriffs
setzt demnach ein Verständnis von Gnade voraus, zu dem die menschliche
Vernunft aber von sich aus nicht zu gelangen vermag.34 „Die positive Definition der Gnade kann nur durch die Gnade selber gegeben werden: was Gott
innerlich ist, das muß er selbst offenbaren. Die Kreatur kann sich diesem ihr
Unbekannten gegenüber nicht selbst abgrenzen und darum auch nicht wissen, worin sie sich [als theologisch verstandene bloße ‚Natur‘] von ihm
unterscheidet.“35 Der Gnadenbegriff kann also nur aus theologischer Reflexion
auf ergangene Offenbarung erwachsen. Das aber bedeutet, so Balthasars
Schlussfolgerung, dass auch der ‚Rest‘ ausschließlich theologisch in den Blick
kommt. „Indem Offenbarung ergeht, hebt sich Natur von ihr als der Vorraum
ab“36. Damit soll nun nicht gesagt sein, dass der Begriff der Natur aus dem
Begriff der Gnade ableitbar wäre. Vielmehr ist Schöpfung die logische Voraussetzung für das Ergehen von Gnade; Gnade ergeht an Schöpfung. In diesem
Sinne ist „die Priorität der Natur vor der Gnade … die notwendige Bedingung
der Möglichkeit für die Priorität der Gnade vor der Natur.“37
Das Problem ist jedoch, dass nach Balthasar der Raum der der Gnade logisch vorausgesetzten ‚reinen Natur‘ inhaltlich nicht zu füllen ist, eben weil er nur einen Hilfsbegriff zu Bezeichnung eines in der konkreten Welt nicht existierenden Abstraktums
darstellt. Deshalb ist etwa die Frage, inwieweit das Hingeordnetsein des Menschen auf
32
33
34
35
36
37
keit ist die analytische Trennung von Natur und Gnade, wie Balthasar sie in seinen
frühen Schriften durchführt, jedoch auch in seinen späteren Schriften implizite
Grundlage der Begründung der absoluten Ungeschuldetheit göttlicher Offenbarung
und ergo auch der Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie (als Ausdruck natürlicher Gotteserkenntnis) und Theologie (als Wort vom freien, gnadenhaft ergehenden Wort Gottes).
Balthasar: Begriff der Natur, 453.
KB, 301.
„Natur (hat) aus sich selbst keinen Zugang zur Welt der Gnade …, obwohl sie zuletzt
nur von der Gnade her und auf die Gnade hin geschaffen wurde und verständlich ist“
(KB, 313).
KB, 290 (im Original vor dem Doppelpunkt kursiv).
KB, 295.
Balthasar: Analogie und Natur, 52. Balthasar unterscheidet „das relative Prius der
Schöpfungsordnung vor der Gnadenordnung [in ordine executionis]“ vom „absolute(n)
Prius der Gnadenordnung vor der Naturordnung [in ordine intentionis]“ (KB, 313).
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
33
Gott (im augustinisch-thomanischen Sinn des desiderium naturale) zu seiner ‚reinen
Natur‘ oder aber zu seiner je schon gnadenhaft erhöhten faktischen Natur gehört, letztlich nicht zu beantworten. „Wir stehen hier offenbar an einer Grenze menschlichen
Denkens, (…) wo es wirklich zu einer Ermessenfrage wird, wieviel von dem ‚Vermögen zu Gott‘ in der einen konkreten menschlichen Natur man der ‚Natur‘, wieviel der
‚Gnade‘ zuschreiben will.“38 Der Hinweis auf diesen Ermessensspielraum mag auch
ein möglicher Erklärungsansatz (sicherlich nicht der einzige, weil „die Kontroverse
von Motiven unterschiedlicher Natur bestimmt ist“39) für die „Sprunghaftigkeit der
Balthasarschen Beurteilungen“40 der Theologie Karl Rahners, insbesondere seines Konzepts eines ‚übernatürliches Existentials‘ sein. An dieser Stelle kann und soll die Auseinandersetzung zwischen Balthasar und Rahner nicht im Einzelnen nachvollzogen
werden.41 Es sei aber darauf hingewiesen, dass Balthasar den Begriff des ‚übernatürlichen Existentials‘ durchaus positiv aufgreifen kann, solange er im Sinne einer gnadenhaften, über die natürliche Hinordnung des Menschen auf Gott hinausgehenden Einladung verstanden wird.42 Ein solches Angerufensein begreift er mit Rahner als „ein
‚ontologisches Konstitutiv seines (des Menschen; S. H.) konkreten Wesens‘, aber doch
nicht zu seiner Natur gehörig [Rahner].“43 Übernatürliches Existential trifft demnach
die Natur des Menschen zwar in ihrem Innersten, ist aber selbst nicht „naturhaft-konstitutive Bestimmung.“44 Diese Bedeutungszuschreibung sieht Balthasar aber bei Rahner nicht immer eingehalten. Harsche Kritik übt er dann, wenn die Hinordnung auf
Gott als aktive menschliche Potenz erscheint.45 Von der baltharsarschen Logik her
gedacht, erscheint die Uneindeutigkeit des Begriffs jedoch unvermeidlich. Rahner
theologisiert, anders als Balthasar, nicht von oben. Vielmehr „baut er der Theologie
eine ‚theologische‘ Anthropologie als rein philosophische Disziplin vor, die als solche
‚die Bedingung der Möglichkeit von Theologie ist‘“.46 Innerhalb dieser Anthropologie
begreift nun Rahner die Hinordnung des Geschöpfes auf Gott als „Ontologie der
potentia oboedientalis für Offenbarung“47. Um von dort aus nun zu einem theologischen Begriff zu gelangen, so Balthasars Argument weiter, muss die Perspektive
gewechselt werden. Statt von ‚unten‘ i. e. vom Geschöpf her, zum Absoluten aufzubli-
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
KB, 312; ähnlich auch in: TD III,135.
Werner: Fundamentaltheologie bei Karl Rahner, 152.
Raffelt: Balthasar – Rahner, 503.
Zu der Kontroverse vgl. neben Raffelt, Balthasar – Rahner auch Batlogg: Hans Urs von
Balthasar und Karl Rahner, bes. 424–444; Lochbrunner: Analogia Caritatis, 113–132;
Werner: Fundamentaltheologie bei Karl Rahner, 149–152.
Vgl. etwa Balthasar: Begriff der Natur, 455; TD III, 150 f.
Balthasar: Begriff der Natur, 456.
Balthasar: Begriff der Natur, 456; in gleichem Sinn verwendet Balthasar den Begriff
auch in: TD III, 152. 261.
Vgl. KB, 310 f; ihren polemischen Höhepunkt erreicht die Kritik in: CE, bes. 85–97.
Balthasar: Analogie und Natur, 42, Anm. 1. Das enthaltene Zitat stammt aus: Rahner,
Karl: Hörer des Wortes, München 1941, 214.
Rahner: Hörer des Wortes, 9; zitiert nach Balthasar: Analogie und Natur, 42, Anm. 1.
34
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
cken, muss der Blick nun von ‚oben‘, von der Offenbarung her auf das Geschöpf fallen.
„Was wir jetzt als seine ‚Natur‘ entdecken, deckt sich nur analog mit dem, was Philosophie als solche betrachtet.“48 Entsprechend ist auch nur eine analoge Bestimmung dessen, was unter einer natürlichen Hinordnung auf Gott zu verstehen ist, möglich. Der
philosophische Begriff der potentia oboedentialis ist nicht deckungsgleich mit dem
theologischen.49 Das genau scheint mir nun das Problem zu sein: Der Begriff ‚übernatürliches Existential‘ changiert zwischen philosophischer und theologischer Bedeutungsebene. „In der Entwicklung Rahners verschieben sich die Akzente immer wieder, und die bei ihm verwendeten Begriffe machen einen Bedeutungswandel durch.“50
Je nachdem, welche Blickrichtung Rahner in einem Kontext stärker betont, respektive
Balthasar stärker fokussiert, bewegt sich das Konzept noch innerhalb des balthasarschen Ermessensspielraumes, oder aber es sprengt ihn eindeutig.
Indem Balthasar die Einheit und Interdependenz zwischen Natur und Gnade
analytisch löst und eben dadurch erhellt, stellt er zugleich auch die Weichen
für die nähere Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie.
Weil „Übernatur und Gnade die letzte ontologische Form der gesamten Welt
(sind), so ist es notwendig, daß all ihr Tun und Denken, ihr Leben und ihr Philosophieren je schon eingebettet ist in diese höchste Seinsform.“51 Die Natur
als Gegenstand der Philosophie, ist immer schon eine gnadenhaft erhöhte.
„Darum (ist) auch alle Philosophie von einem – bewussten oder unbewussten – theologischen Apriori umgriffen.“52 Zwar haben nach Balthasar Philosophie und Theologie je eigene, gegenläufige Formalobjekte – Philosophie
betrachtet danach primär weltlich Seiendes, um von dort zum absoluten Sein
vorzustoßen53, während Theologie vom Geheimnis Gottes, wie es in der Offenbarung sich zeigt, aus auf die Welt zudenkt54 – aber die Materialobjekte sind
48 Balthasar: Analogie und Natur, 44.
49 Zur Bestimmung der Dimensionen des Analogieverhältnisses vgl. Balthasar: Analogie
und Natur, 38–49.
50 Römelt: Personales Gottesverständnis, 28. Zur Entwicklung speziell des Begriffs ‚über-
natürliches Existential‘ vgl. Verweyen: Wie wird ein Existential übernatürlich?, 116–126.
51 Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele, 57. An dieser schon früh nicht zuletzt unter
Einfluss der sog. ‚nouvelle théologie‘ insbesondere Henri de Lubacs formulierten Überzeugung (vgl. oben, 19, Anm. 25) hielt Balthasar unbeirrt fest (vgl. dazu Löser: Unangefochtene Kirchlichkeit, 475). 1947 verfasste er sein Werk „Wahrheit der Welt“. Dort
heißt es poetischer, aber in gleicher inhaltlicher Intention: „Das Übernatürliche (wurzelt) in die innersten Strukturen des Seins ein, um sie wie ein Sauerteig zu durchsäuern, wie ein Hauch und allgegenwärtiger Duft zu durchwehen“ (zitiert nach: TL I, XI).
1985 wurde das Werk in unveränderter Form als Bd. 1 der Theologik neu aufgelegt.
52 Balthasar: Heidegger Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus, 4.
53 Vgl. Balthasar: Von den Aufgaben der Katholischen Philosophie, 4.
54 Vgl. SV, 380; Heinz: Gott des Je-mehr, 18.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
35
unlösbar verflochten. Die konkrete Welt, wie Philosophie sie vor sich hat, steht
immer schon in (positiver oder negativer) Beziehung zum Gott der Gnade.
‚Reine Natur‘ ist eine in der faktischen Welt nicht existente Abstraktion.
Analoges gilt für die Erkenntnisfähigkeit. Auch hier erweist sich wieder
das Ineinander von ontischer und noetischer Dimension als zwei Aspekte der
einen Wirklichkeit. Nach Balthasar verfügt die Philosophie über kein eigenes
Werkzeug, weil eben „auch das konkrete Auge der Vernunft immer schon entweder ein durch das Licht von Glaube und Liebe gereinigtes und geschärftes,
oder aber ein durch Erbsünde oder persönliche Schuld verdunkeltes“55 ist.
Vor diesem Hintergrund erwartet Balthasar als angemessene Haltung der
Philosophie die Anerkennung ihrer Grenze als weltliche Wissenschaft, die
„auf einen anderen, mehr als nur weltlichen Abschluss angewiesen und auf
diesen hingeordnet“56, d. h. von der Theologie zu vollenden ist. Den Grundfehler aller rein philosophischen Entwürfe erkennt er in dem Versuch, die Antwort auf die Seinsfrage vom Endlichen her zu entwerfen. Damit wird seiner
Überzeugung nach das Verdankt-Sein, dessen Erkenntnis, wie eingangs dargestellt, die philosophische Frage allererst auslöst, systematisch geleugnet.57
Philosophie muss sich so im Sinne Balthasars unweigerlich selbst verfehlen,
indem sie „jeder Transzendenz entratend, in absolutistische Immanentismen
oder logizistische Formalismen“58 verfällt.
Für ebenso gefährlich erachtet er es aber, „wenn man den Menschen an seiner natürlichen Vernunftbewegung vorbei und im Gegensatz zu ihr zu Gott
führen will; denn ein solcher (theologischer; S. H.) Positivismus verdächtigt
und verketzert den der Natur eingezeichneten Weg und zwingt sie, aus Opposition zu einem positivistischen Christentum, in den Atheismus.“59 Das philosophische Formalobjekt ist also keineswegs in die Theologie hinein aufzulösen. „Sofern … der vernunftbegabte Mensch in der Offenbarung nicht
überrannt, sondern geachtet wird, schließt das für eine die Offenbarung ins
Wort bringende Theologie unbedingt ein, daß sie ihre eigene Wahrheit nicht
ohne Philosophie finden kann, Theologie also nirgends ohne Philosophie, rationales Denken auskommt.“60 Daher postuliert Balthasar die Integration von
Theologie und Philosophie zu einer Wissenschaft der „Theosophie“61. Aber, um
55
56
57
58
59
60
61
Balthasar: Von den Aufgaben der Katholischen Philosophie, 5.
Zaborowski: Katholische Integration, 33.
Vgl. Ce, 102. 105.
Bauer: Hans Urs von Balthasar, 289.
SV, 367; vgl. dazu auch H I, 137; TL I XIV f.
Klaghofer-Treitler: Gotteswort im Menschenwort, 132 f.
H II/2, 659.
36
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
es noch einmal pointiert zu sagen, „es geht von Balthasar nicht um eine Synthese, in der Philosophie und Theologie als prinzipiell gleichberechtigte Glieder in einer dialektischen Relation miteinander vermittelt wären.“62 Was er beiden Disziplinen dagegen abverlangt, ist „Eingliederung in eine Einheit, die
vorgegeben ist, um Bewahrung und Hineinordnung in eine gegebene Ordnung
und Struktur“63, wie sie im absoluten Prius der Gnade bei relativem Prius der
Natur gegeben ist, im klaren Bewusstsein des „ständige(n) Gestelltsein(s)
unseres Denkens in eine Entscheidung für das Wort Gottes, nicht bloß inhaltlich, sondern schon formal im Denkakt selber“64. Diese scheinbare Verdemütigung menschlichen Denkens, seine Unterordnung unter das theologische
Apriori, bezeichnet im Sinne Balthasars gerade seine Würde, weil sie Ausdruck gnadenhafter Erhöhung menschlicher Vernunft ist. In diesem Sinne
bedeutet ihm die Unterordnung der Philosophie unter die Theologie keineswegs fremddienliche Versklavung65, sondern vielmehr Erfüllung ihrer wahren Bestimmung. Dennoch aber bleibt für von Balthasar wahr, dass Theologie,
weil durch ihre gnadenhafte Erhöhung der Philosophie immer notwendig
überlegen, „über den Gebrauch des philosophischen Gedankengutes keine
letzte Rechenschaft schuldig“66 ist.
Das balthasarsche Programm der Integration, so ist deutlich geworden, „fordert
eine strenge Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Theologie, welche
Zusammenarbeit aber nur möglich wird, wenn beide Disziplinen innerlich
füreinander offen sind. Das ist nur möglich, wenn die Analogie zwischen göttlichem Urbild und weltlichem Abbild von beiden Seiten wieder zentral zu denken versucht wird.“67 Damit rückt nun Balthasars Philosophieverständnis
vollends in den Blick: Philosophie im wahren Sinne des Wortes ist für ihn
gleichbedeutend mit Metaphysik. Nur wo menschliches Denken sich der ewig
bleibenden Frage nach dem Sein des Seienden stellt und sich von ihr in einer
Bewegung der Selbsttranszendenz vor die Frage des absoluten Seins führen
lässt, so seine unumstößliche Überzeugung, wird es sich selber gerecht. „Der
Weg zum Sein, der der Weg der Vernunft überhaupt ist, ist der Weg zu Gott.“68
Nur seinsmetaphysisches Denken, als demnach einzig wahre Philosophie, ist
62
63
64
65
66
67
68
Zaborowski: Katholische Integration, 31.
Zaborowski: Katholische Integration, 31 (Kursiven von mir).
Vorgrimler: Hans Urs von Balthasar, 136.
Vgl. Balthasar: Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus, 4.
Balthasar: Von den Aufgaben der Katholischen Philosophie, 4.
TL I, XV.
SV, 367.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
37
ob seiner Offenheit auf das Absolute hin anschlussfähig für Theologie. Seine
‚Theosophie‘ kann Balthasar daher auch als unterscheidend christliche Metaphysik69 bezeichnen.
2.1.2 Unterscheidend christliche Metaphysik
Seine originär eigenen Konzeptionen entwickelt von Balthasar in aller Regel
in kritischer Auseinandersetzung mit anderen Denkern und ihren Aussagen.
Dabei dienen ihm sowohl die Theologie- und Philosophiegeschichte, aber
auch Literatur, Musik und bildende Kunst aller Epochen als Hintergrundfolien. Auf dieses ganz eigentümliche methodische Vorgehen wird später noch
ausgiebiger einzugehen sein.70 Es ist an dieser Stelle aber bereits in Rechnung
zu stellen, weil gerade auch Balthasars grundlegende Gedanken zu der Frage,
welcher Gestalt eine moderne, den Herausforderungen unserer Zeit gerecht
werdende Metaphysik sein müsste, aus seiner Kritik an der neuzeitlichen
Metaphysik neuscholastischer Prägung erwachsen. Um seine zentralen Anliegen genau verstehen und richtig einordnen zu können, ist es also unerlässlich,
zunächst einmal seine Kritik zumindest in groben Linien nachzuzeichnen,
um anschließend die Konturen seines eigenen Entwurfs in Abgrenzung von
diesem Umriss hervortreten zu lassen.
2.1.2.1 Seinsvergessenheit der neuzeitlichen Metaphysik
Jedes ernsthafte philosophische Bemühen ist, wie bereits deutlich wurde, nach
Balthasar seinem Wesen nach „auf die authentische metaphysische Frage als
Mitte hin(ge)ordnet: Warum ist überhaupt Etwas und nicht lieber Nichts?“71 In
der Erfahrung der grundsätzlichen Nicht-Notwendigkeit alles weltlich Seienden gerät der Mensch in Staunen über das Wunder des Seins. „Das aber
besagt …, daß es nicht nur verwunderlich ist, daß Seiendes in der Differenz
zum Sein sich über das Sein wundern kann, vielmehr ebenso, daß das Sein als
solches und von sich her bis zum Ende ‚wundert‘, sich als Wunder, wunderlich
und wunderbar benimmt. Dieses Ur-Wunder festhaltend zu bedenken, müsste
das Grundanliegen der Metaphysik sein“.72 Gerade diesem Anspruch wird
nun aber, so sein Befund, neuzeitliche Philosophie nicht gerecht. Vielmehr ist
69
70
71
72
Vgl. H III/1.2, 407 u. ö.
Vgl. dazu unten Kapitel 2.3.3.
H III/1.2, 943.
H III/1.2, 944 (Zeichensetzung entspricht dem Original). Es sei bereits an dieser Stelle
zumindest darauf hingewiesen, dass Balthasar sich mit dieser Bestimmung der metaphysischen Fragestellung explizit von Heidegger absetzt (vgl. ebd.).
38
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
sie seiner Auffassung nach tiefster Seinsvergessenheit verfallen. Er beobachtet
„eine schicksalshafte Erblindung, die ganze Geschlechter befällt: die äußerste
Fragwürdigkeit der seienden Welt verstellt den Ausblick auf das umgreifende
Sein, die metaphysische Urfrage an dieses wird gar nicht mehr gestellt“73.
Mit dieser Diagnose schließt Balthasar sich dem „Siewerthschen Theorem einer
nachthomanischen Seinsvergessenheit der abendländischen Philosophiegeschichte … uneingeschränkt an.“74 Nach Siewerth ist das Seiende „einerseits die höchste und
letzte eingefaltete Einheit, das Einfachste das in der Wirklichkeit der Welt angetroffen
wird, wie es andererseits ein unauflösbar Allgemeines ist, das alle Merkmale und
Bezüge sowohl in ihrer Verschiedenheit wie in ihrem Übereinkommen auf sich hin
[eingefaltet] zusammen- oder inne-hält und seinshaft durchwaltet. Es umgreift daher
mit den versammelnden, einigenden Bezügen auch alle Weisen von Verschiedenheit
und Mannigfaltigkeit, die an einer Sache hervortreten.“75 Diese Komplexität und dieses Mehrschichtigsein des Seienden macht ein Denken erforderlich, das die unterschiedlichen Dimensionen zunächst einmal als solche (an-)erkennt und aufnimmt, das
sie darüber hinaus aber auch auf ihren Konstitutionsgrund, i. e. das Sein, hin ordnend
zueinander in Beziehung setzt und dergestalt zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt. Ein solches Denken bezeichnet Siewerth, dem Wortsinn des griechischen
Verbs avnale,gein folgend, als analoges Denken. Einzig ein solcher Akt der
„durchmessende(n) ‚Über-legung‘“76 wird seiner Ansicht nach dem Sein des Seienden
gerecht. Im modernen Denken dagegen beobachtet er ein Streben nach Einsinnigkeit.
„In diesem Sinne lösen die modernen Wissenschaften die ‚analogen‘, ganzheitlichen
Synthesen der Atome, der Moleküle oder Zellen in die gleichen Zuordnungsfaktoren
und in gleiche Verhältnisse auf und scheiden alles, was sich diesem Ordnungs- und
Maßsystem nicht einordnen läßt, aus der Betrachtung aus.“77 Das Sein als letzter Maßgrund alles Seienden ist dabei obsolet und gerät ergo zunehmend in Vergessenheit.
Dieser Vorwurf richtet sich gegen die beiden von Balthasar ausgemachten
Wege neuzeitlich philosophischen Denkens gleichermaßen. Auf der einen
Seite beobachtet er ein rationalistisches Bestreben, „das Sein zum umfassendsten Vernunftbegriff zu formalisieren … und damit der Vernunft ausdrücklich
oder einschlußweise Übersicht und Verfügung über das Sein einzuräumen.
Das Sein wird damit zur obersten und leersten Kategorie“.78 Diese Ablösung
73
74
75
76
77
78
H III/1.2, 953.
Enders: Die Schönheit der Seinsordnung, 85.
Siewerth: Die Analogie des Seienden, 12 f.
Siewerth: Analogie des Seienden, 10 f.
Siewerth: Analogie des Seienden, 12.
H III/1.2, 374. Vgl. auch H III/1.1, 364. Nach Balthasar hebt eine derartige Entwicklung
bereits mit Duns Scotus an (vgl. H III/1.2, 377–380; vgl. dazu auch Siewerth: Analogie des
Seienden, 85–111) und vertieft sich mit „Kants Bestimmung des Seins als raum-zeit-
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
39
des Seinsbegriffs von der Wirklichkeit des konkreten Seienden muss die Seinsfrage unweigerlich zum Verstummen bringen, weil sich an einem abstrakten
Begriff kein wunderndes und staunendes Fragen entzünden kann. Ohne diesen Brückenschlag auf das Absolute hin bleibt der Mensch dem Endlichen
ohne jede Möglichkeit des Selbstüberstiegs verhaftet. Er ist gleichsam in seinem eigenen Denken gefangen. Folgt man Balthasar, so wird man sagen müssen, dass Selbiges in der Konsequenz auch für das Sprechen von Gott gilt. Weil
der Seinsbegriff als abstrakte Denkkategorie völlig unbestimmt ist, kann er
„einsinnig [univoce] auf unendliches wie endliches Sein, d. h. auf Gott und die
Welt angewendet werden“.79 Das unendliche Sein Gottes wird so zu einer Kategorie menschlichen Denkens verweltlicht, und dadurch dem Menschen
scheinbar verfügbar. Er meint, über Existenz wie Wesen Gottes Bescheid zu
wissen.80
Auf der anderen Seite steht der von Balthasar so genannte „pantheistische
Idealismus“81 hegelscher Ausprägung, der das Sein „so in sich verfestigt, daß
es mit Gott zusammenfällt und nun im göttlichen Weltprozeß seine Wesenheiten aus sich selber erzeugt“.82 Ein Sein aber, das sich notwendig auszeugen
muss, um dergestalt erst zu sich selber zu kommen, ist nicht anders als ein
Endliches (im Sinne des Begrenztseins durch die Notwendigkeit zu werden,
was es noch nicht ist) und deshalb letztlich auch als Figur menschlichen Denkens zu verstehen. In beiden Wegen neuzeitlicher Philosophie erkennt Balthasar daher „Formen der Logisierung und Essentialisierung des Seins“83, durch
79
80
81
82
83
licher Position von sinnlich erscheinenden, also empirisch erfassbaren Dingen bis in
den Idealismus Hegels hinein“ (Enders: Schönheit der Seinsordnung, 85).
H III/1.2, 377.
Den Anfang dieser von ihm sogenannten „modernen Geistphilosophie“ (H III/1.2, 792)
macht Balthasar in Descartes’ „Rückgang (…) aus der Außenwelt auf das reine Ich“ (ebd.,
815) aus. Mit dem Gedanken des ‚cogito sum‘ wird „das Kriterium der Wahrheit gar
nicht mehr ins Sein, sondern nur noch in die ‚Klarheit und Distinktheit‘ der Vorstellung verlegt“ (ebd., 798). Im descartschen Gefolge sieht der Theologe Spinoza (vgl. dazu
ebd., 799–804), aber vor allem auch Leibniz. „Wohl nie ist eine christliche Philosophie
mit einem so triumphalen Totalitätsanspruch aufgetreten wie das alles wissende, alles
bedenkende und versöhnende System des barocken uomo universale Leibniz“ (ebd.,
804). In diesem Versuch einer umfassenden Integration aller Wahrheitsaspekte fallen
weltliche Harmonie und der „Glanz der Liebe des sich offenbarenden Gottes“ (ebd.,
814) letztlich ineinander und werden dem menschlichen Verstand so gleichermaßen
verfügbar gemacht. Balthasar spricht in diesem Sinne von einem philosophisch-theologischen Zuviel-Wissen.
H III/1.1, 364.
H III/1.1, 364.
H III/1.1, 365
40
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
die das Sein zu einem Begriff des menschlichen Intellekts verkehrt und verfälscht wurde und wird.84
An dieser Stelle gilt es nun ganz genau hinzuschauen, um Balthasars Anliegen nicht misszuverstehen. Es geht ihm nicht um eine pauschale, undifferenzierte Ablehnung der sogenannten ‚anthropologischen Wende‘, die neuzeitliche „Umzentrierung des Kosmos auf den Menschen“85, durch die der
„Mikrokosmos Mensch zu Mitte und Maß der Natur aufrückt“.86 Ganz im
Gegenteil: Mit dieser Entwicklung, so seine grundsätzlich positive Wertung,
nimmt der Mensch seine schöpfungsgemäße Bestimmung als Herrscher der
Schöpfung erst wahrhaft an.87 Entsprechend erkennt von Balthasar in den
immer beherrschender gewordenen wissenschaftlichen Strategien der Weltbewältigung, mit deren Einsatz der Mensch „immer weniger Dinge dem bloßen Naturverlauf überläßt, immer mehr Lebensverhältnisse [bis hinein in die
verborgensten und intimsten des Menschen selbst] dem Zugriff der forschenden und damit auch praktisch-planenden Ratio unterwirft“88, zunächst einmal ein dem Wesen des Menschen durchaus entsprechendes Bemühen. „Wissenschaft läßt sich nur vom Menschen her definieren; sie ist das Tun des homo
sapiens, der auf Grund dieses Tuns auch zum homo faber wird, weil er das
Leben und die Dinge so meistert, wie sein verstehender Geist die Welt innerlich theoretisch im voraus gemeistert hat.“89 Das Bestreben, die Welt zu verstehen, um sie gestaltend zu durchwirken, ist demnach so alt wie der Mensch
selbst. Was sich dabei im Laufe der Menschheitsgeschichte allerdings gewandelt hat, ist das Verhältnis des Menschen zur Natur,90 wobei Balthasar davon
ausgeht, dass „das Gesetz des ‚Wandels als Fortschritt‘ die Ausfaltung der Idee
des Menschen in der Welt zum Inhalt hat“.91
Vgl. Enders: Schönheit der Seinsordnung, 85.
Gf, 36.
Gf, 36.
Vgl. Gf 47.
Gf, 9.
Gf, 9.
In Weiterentwicklung des Drei-Stadien-Gesetzes von August Comte geht Balthasar von
drei großen Phasen aus, wobei „jede Phase eine durch die folgende nicht einfach übernommene und absorbierte Gültigkeit besitzt“ (Gf, 26). Auf die erste Phase eines religiös
magischen Naturverhältnisses folgt demnach „mit dem Durchbruch des Selbstbewusstseins des Geistes“ (ebd. 27) die Phase der Hochreligionen und der Geburt der
Philosophie, die ihrerseits wiederum aufgehoben wird in der Phase der Philosophie
und Naturwissenschaft und Naturbeherrschung. Zu den einzelnen Phasen und ihrer
Entwicklung vgl. Gf 26–48.
91 Gf, 27. Balthasar begründet dies vor allem mit der Entwicklung des menschlichen
Selbstbewusstseins. „Sofern dies ein innerweltlich qualitativ nicht überschreitbarer
84
85
86
87
88
89
90
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
41
Wenn nun aber wissenschaftliches Arbeiten dergestalt Maß und Form vom
menschlichen Wesen her erhält, so muss „jedes wissenschaftliche Urteil … um
das Gewicht zu haben, das der Würde wissenschaftlichen Verhaltens überhaupt zukommt, angesichts der Gesamtidee des Menschen gefällt werden“.92
Dieser aber, so haben wir eingangs gesehen, ist nicht nur Welt bewältigender
Geist, sondern gerade darin gleichzeitig immer auch wesentlich eine auf die
ihm unverfügbare Gabe des Seins hin offene Frage und in diesem Sinne immer
schon ein religiöses Wesen. Nur dort also, wo sich der Mensch in der Begegnung und Auseinandersetzung mit weltlich Seiendem zugleich dem Wunder
des Seins öffnet und sich darin auf das absolute Sein hin übersteigt, wird er
den Dingen wie auch seinem eigenen Wesen gerecht.
Diese Perspektive ist in naturwissenschaftlich-technischem Denken nun
aber systematisch ausgeblendet, „denn jede Einzelwissenschaft setzt das Da­­
sein ihres Gegenstandes voraus und muß die Frage, warum überhaupt etwas
ist, ausklammern.“93 Die Logik der sogenannten exakten Wissenschaften verfolgt mit Ausschließlichkeit das Ziel, vorliegende Fakten auf ihre Gesetzmäßigkeiten hin zu befragen, um sich ihrer auf diese Weise zu bemächtigen und
so in immer stärkerem Maße Herrschaft über die Natur zu gewinnen. Ergo
bedarf es immer wieder der Vermittlung dieser wissenschaftlichen, das Seiende bewältigenden, mit der religiösen, sich auf die Gabe des Seins angewiesen sein lassenden94 Dimension menschlichen Seins, damit der Mensch nicht
der Gefahr erliegt, sich selbst zum letzten Bezugspunkt und Maß aller Dinge
zu machen. Nur so ist nach Balthasar den Dingen wie dem Menschen gerecht
werdendes Verstehen überhaupt möglich. „Realität der Welt, welcher Ord-
Höhepunkt ist, läßt sich sagen, daß der Stufenbau der Welt [ontisch oder gleichzeitig
evolutiv betrachtet] sich wesenhaft auf den Menschen zubewegt. Insofern in ihm das
Sein [als Wirklichkeit] im Wesen nicht nur an sich, sondern auch für sich ist, sich reflektiert, kann der Mensch als ‚Bild und Gleichnis Gottes‘ bezeichnet werden“ (E, 39). Von
der Gottesebenbildlichkeit des Menschen wird später ausgiebig zu handeln sein (vgl.
dazu unten Kapitel 3.2.1).
92 Gf, 57 (Kursiven von mir).
93 SC, 83.
94 Der Gedanke der nicht ineinander auflösbaren Polarität von Passivität und Aktivität
innerhalb des kreatürlichen Seins zieht sich immer wieder neu durchbuchstabiert (z. B.
Mystik – Theologie, Objekt – Subjekt, Glaube – Theologie, Gabe – Aufgabe, um nur einige der im Folgenden relevanten Zusammenhänge zu nennen) als eine zentrale Figur
durch das Denken Balthasars. Er wird also auch in dieser Untersuchung noch mehrfach aufzugreifen sein, wobei sich immer wieder zeigen wird, dass ungeachtet der
grundsätzlichen Interdependenz dem passiven Moment im Sinne Balthasar Priorität
einzuräumen ist (vgl. etwa die Ausführungen zu Balthasars Wahrheitsverständnis
[vgl. unten Kapitel 2.2]).
42
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
nung sie auch angehören mag, … kommt nicht anders zur Geltung als innerhalb einer Seins- und damit auch einer S i n n-vorgabe der Vernunft … Deshalb
hat eine eigene Wissenschaft über diese Vorgabe zu wachen, sie zu prüfen und
zu rechtfertigen: die Philosophie.“95 Wenn von Balthasar ‚der Philosophie‘
diese Aufgabe zuspricht, so steht dabei, daran sei noch einmal erinnert, sein
Konzept der Integration von Philosophie und Theologie immer schon im Hintergrund: „Indem Philosophie die Voraussetzungen für die sinnstiftende und
sinnspendende Funktion der Vernunft in deren Offensein für die Allheit des
Sein entdeckt, mit dieser Allheit aber notwendig der Gedanke des absoluten
und göttlichen Seins auftaucht, grenzt Philosophie notwendig an Religion,
wenn sie nicht gar, in ihrer eigenen Tiefe, ineinsgesetzt wird mit der gedanklichen Seite der Religion oder, was dann auf das Gleiche herauskommt, mit der
‚natürlichen Theologie‘.“96
Damit sind wir nun wieder bei der am Ausgangspunkt dieser Überlegungen stehenden Kritik Balthasars angelangt. Diese ihr eigentliches Wesen ausmachende Vermittlungsaufgabe erfüllt die neuzeitliche Philosophie seiner
Überzeugung nach nämlich in keiner Weise. Im Gegenteil: Sie hat die ihr
anvertraute metaphysische Grundfrage vergessen, sodass die „auf sinnliche
Empirie beschränkte Vernunft … von da ab (begann), sich mit Naturwissenschaften die Zeit zu vertreiben, in der sie es weit gebracht hat, so weit, daß sie
heute die fortvegitierende philosophische Frage in sich hinein absorbiert und
zum Schweigen bringt.“97
Noch einmal: Nicht die naturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit
der Welt als solche ist im Sinne Balthasars philosophisch und vor allem theologisch in Frage zu stellen. Wohl aber die weitgehende perspektivische
Beschränkung, in der sie geschieht. „Die Menschheit heute ringt mit dem
95 Gf, 14.
96 Gf, 14. In dieser Schrift aus dem Jahr 1956 geht Balthasar noch sehr optimistisch davon
aus, dass „der moderne Mensch … die wache Forderung spürt, Wissenschaft nicht abzulösen von Weltanschauung und Religion als vom tragenden und rechtfertigenden
Ursprungsgrund menschlichen Handelns und Entscheidens“ (ebd. 22), weshalb „auch
die Entwicklungsphasen der modernen wissenschaftlichen Kosmologie … dauernd
begleitet (sind) von einer auf alle Wandlungen der Weltbildes achtsamen religiösen
Philosophie, die ihr Normierungsamt keinen Augenblick aus der Hand zu geben gewillt ist“ (ebd. 20). Entsprechend großes Zutrauen besteht hier noch im Hinblick auf
die Wächterfunktion der Philosophie. Bereits in seiner „Rechenschaft 1965“ zeigt er
sich diesbezüglich allerdings bereits ernüchtert und enttäuscht (vgl. ebd., 26 f = ZsW,
67 f = MW, 61). In seinen späteren Schriften dann, vor allem in „Cordula oder der Ernstfall“ (1966) aber auch in H III/1.2 (1965) verleiht Balthasar einer scharfen Philosophieund Metaphysikkritik deutlich Ausdruck.
97 SC, 289.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
43
materiellen Kosmos, um ihn zu beherrschen. Das ist ein Teil ihrer Bestimmung,
der durch die Wege der Metaphysik den Schein der Ganzheit erhielt“.98 Die
neuzeitliche Bewegung der sogenannten ‚anthropologischen Wende‘, die
einen gerade auch aus schöpfungstheologischer Sicht berechtigten Sinn als
bewusste Annahme der dem Menschen von Gott zugedachten Stellung innerhalb der Schöpfung hat, wird demnach durch die Verabsolutierung der horizontalen, i. e. weltimmanenten, Dimension zu einer „anthropologischen Reduktion“ 99 pervertiert. Mit dieser Formel ist nach Balthasar die Grundsignatur
unserer Zeit erfasst. „Der Konstruktionspunkt von dem aus die Welt und das
Wissen um die Wirklichkeit entworfen wird, ist die Subjektivität des
Menschen.“100 Der Mensch ist damit letzter Bezugspunkt. „Ihn vom Sein
umgriffen … zu denken ist müßig, es sei denn, man beziehe dieses Sein auf
den schöpferischen und geistigen Gott, der im System ein Fremdkörper
bleibt.“101 Seinsblindheit ist bei Balthasar daher gleichbedeutend mit Gottesblindheit.102
Dem Denken bleiben logisch jetzt nur zwei Wege: Entweder die atheistische Leugnung Gottes, womit das System ‚bereinigt‘ wäre oder aber die systematische ‚Anpassung Gottes‘, indem er dem menschlichen Denken auf einem
der beiden Wege des Rationalismus oder des pantheistischen Idealismus
unterstellt wird. In diesem Sinn wirft Balthasar der neuscholastischen Theologie denn auch vor, in ein „Bewältigungsdenken“103 verfallen zu sein, was seiner Auffassung nach einer Selbstauflösung in eine positivistische Wissenschaft gleichkommt. Gott wird dem menschlichen Denken scheinbar verfügbar,
so wie auch weltliche Dinge ihm verfügbar sind. Dies aber hat fatale Konsequenzen, denn „wo die Frage untergeht, hat die Antwort keine Chance mehr,
aufzutreffen.“104 Wo die Welt nicht mehr nach Gott fragt, da kann Gottes (Ant)
198 H III/1.2, 980 (Kursiven von mir).
199 GL, 19 (Kursiven von mir). Zur Entfaltung des Begriffs vgl. ebd. 19–32.
100
101
102
103
104
Es ist sicherlich nicht zu übersehen, dass der balthasarschen Kritik an der neuzeitlichen Philosophie eine sehr einseitige Wahrnehmung zugrunde liegt. Denkansätze,
die sich kritisch von positivistischen Strömungen absetzen, wie etwa die Lebensphilosophie Diltheys, die Sprachphilosophie Wittgensteins oder auch die philosophische
Hermeneutik Gadamers, um nur einige prominente Beispiele zu nennen, nimmt er
kaum oder gar nicht zur Kenntnis.
Löser: Sein – ausgelegt als Liebe, 413.
CE, 56.
Vgl. R, 31 (= ZsW, 73 = MW, 71).
Vgl. dazu CE, 49–62, bes. 54–57. Dies ist im Kern auch der Vorwurf, den Balthasar gegen die Transzendentaltheologie rahnerschen Zuschnitts erhebt (vgl. dazu Lochbrunner: Analogia Caritatis, 125 f).
SC, 284.
44
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
Wort nicht mehr an sie ergehen. Was dann dennoch über Gott gesagt wird, ist
letztlich nichts anderes als menschliches Wort, das sich in seiner Hybris unweigerlich selbst entlarven muss. „Wenn es schon für den echt bekümmerten und
existentiell fragenden Laien eine solche [oft kaum zumutbare] Belastung ist,
sonntags von einem je-schon-bescheidwissenden Kleriker über Gott aufgeklärt zu werden, so läßt sich verstehen, warum sich die Welt eines Tages als
hinreichend über Gott aufgeklärt gefühlt und deklariert hat und wie es ihr verleidet worden ist, die Frage zu stellen, die, in die stereotypen Katechismusfragen hineinkanalisiert, die ebenso stereotypen Antworten bereitfindet.“105 Balthasar spricht in diesem Zusammenhang von einem neuscholastischen Zirkel
innerhalb dessen modernes Denken zwischen Seins- und Gottvergessenheit
kreist.106 Soll die Frage nach Gott und damit die Ansprechbarkeit des Menschen für Gott in der Welt nicht endgültig verstummen, so gibt es seiner Überzeugung nach nur einen einzigen Ausweg, nämlich den der Neubelebung der
Seinsfrage, weil „das Christliche immer wieder nur als Antwort auf die Seinsfrage im Ganzen … sich den Menschen plausibel machen kann. Wo die Seinsfrage nicht ertönt, wird die Theologie mysterienlos-positivistisch.“107
Damit sind wir nun beim eigentlich Originären des balthasarschen Denkansatzes angelangt. Wenn im Folgenden von seiner Neubelebung der Seinsfrage
die Rede sein wird, so darf darunter keinesfalls eine Renaissance der antiken
Metaphysik, gleichsam ein Schritt zurück hinter neuscholastisches Denken,
hin zu den griechischen Wurzeln gedacht werden.108 Balthasar will nicht etwa
das Rad der Geschichte zurückdrehen; vielmehr verfolgt er ausdrücklich
einen theoretischen Neuansatz. Sein Grundgedanke dabei ist, dass Meta-Physik
für uns heute eben nicht mehr „den Akt des Überstiegs über die Physis besagt,
die für die Griechen den ganzen Kosmos umfaßte, von dem der Mensch ein
Teil war. … Der Kosmos vollendet sich für uns im Menschen, der zugleich
Zusammenfassung der Welt ist und ihr Überstieg.“109 Diese veränderte Weltsicht macht es unabdingbar, die Seinsfrage aus einer entsprechend veränderten Blickrichtung anzugehen. „Unsere Philosophie wird also wesentlich eine
Meta-Anthropologie sein, die nicht nur die kosmologischen, sondern auch die
anthropologischen Wissenschaften zur Vorraussetzung hat und sie auf die
SC, 284.
Vgl. H III/1.2, 386.
SC, 289.
Zur Absage Balthasars an solche Versuche antiker Vermittlung vgl. bes. H III/1.2, 593–
787.
109 ZsW, 98 (= MW, 92).
105
106
107
108
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
45
Seins- und Wesensfrage des Menschen hin übersteigt.“110 Balthasar tritt also
an, die klassische Seinslehre von der existenzialen111 Verfasstheit des Menschen her neu zu durchdringen, „wobei alle früher gestellten Grundfragen der
Philosophie ein neues Gesicht erhalten“112.
An dieser Stelle ist es nun aus einem doppelten Grund unerlässlich, den
Versuch zu unternehmen, die unterschiedlichen, stark miteinander verwobenen Dimensionen der Gedankenführung Balthasars offen zu legen. Zunächst
einmal führen sie natürlich zu seinem Verständnis von Sein, das es hier ja zu
ergründen gilt. Weil aber, wie dargelegt, nach balthasarscher Überzeugung
auch und gerade die Theologie untrennbar an die metaphysische respektive
meta-anthroplogische Urfrage gebunden ist, ergeben sich die wesentlichen
originären inhaltlichen wie methodischen Grundzüge seiner Theologie notwendig aus seinem Umgang mit der Seinsfrage. Mit anderen Worten: Gelingt
es, das Seinsverständnis Balthasars zu erschließen, so ist damit bereits auch
Wesentliches bezüglich seines Theologieverständnisses zumindest markiert.
Nur darum kann und soll es an dieser Stelle gehen. Die einzelnen, sich mit diesem Seinsverständnis eröffnenden theologischen Gehalte, gilt es dann im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung im Hinblick auf die Höllenthematik eingehend zu bedenken.
2.1.2.2 Das Wunder des Seins aus meta-anthropologischer
Perspektive
Balthasars Unterfangen der philosophischen Neubelebung der Seinsfrage
besteht im Wesentlichen darin, „seine eigenen, speziellen Überlegungen in
das ontologische Erbe der klassischen Philosophie einzufügen.“113 Er ist also
keineswegs bestrebt, aus meta-anthropologischer Perspektive gleichsam eine
völlig neue Seinslehre zu konzipieren. Vielmehr werden die zentralen Gehalte
der traditionellen Lehre „in einer umfassenderen Sichtweise wiederaufge-
110 ZsW, 98 (= MW, 92); Kursiven von mir. Mit dem Begriff Meta-Anthropologie greift
Balthasar ein Diktum seines Vetters Peter Henrici auf (vgl. Ce, 107 f).
111 Mit dieser Wortwahl schließe ich mich bewusst der Heideggerschen Terminologie an.
Martin Heidegger verwendet das Kunstwort ‚existenzial‘ zur Bezeichnung der Strukturen, die die Existenz im Sinne der Seinsweise des Daseins konstituieren. Von ‚existentiell‘ spricht er im Unterschied dazu, wenn es ihm um die Existenz selber geht
(vgl. Luckner: Martin Heidegger, 20). Von Balthasar geht es in seinem Ansatz beim
kreatürlichen, endlichen Sein des Menschen wesentlich um die Erhellung der konstitutiven Strukturmerkmale, um von dort aus eine Verhältnisbestimmung von Seiendem, Sein und absolutem Sein annähern zu können.
112 Ce, 107 f .
113 Scola: Theologischer Stil, 27.
46
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
nommen, nämlich in der einer existentiellen Verfasstheit des Menschen“114,
mit dem Ziel, sie dergestalt gleichermaßen zu erhärten wie für heutiges Denken neu fruchtbar zu machen. Der Mensch ist, so Balthasars fundamentale
Überzeugung, das Wesen „das als konkrete Universalität die Idee der Welt ist
und deshalb auch der Ort, wo Sein überhaupt verstanden und erhorcht wird.“115
Eine Annäherung an die Seinsfrage ist demnach nur möglich über eine Reflexion auf das Wesen des Menschen.
In diesem seinem Ansatz vollzieht Balthasar nun allerdings einen entscheidenden Paradigmenwechsel. Jörg Disse verweist dazu in seiner Habilitationsschrift auf eine von ihm entdeckte unveröffentlichte Schrift Hans Urs von Balthasars, die er auf den Zeitraum zwischen 1939 und 1941 datiert.116 Unter dem
Titel „Geeinte Zwienatur. Eine philosophische Besinnung“ bemüht sich Balthasar „im Rückgang bis auf die Anfänge der Metaphysik … noch im Rahmen
der antik-scholastischen Begrifflichkeit die falsche Weichenstellung in Bezug
auf das Verhältnis von Allgemeinem und Individuellem aufzudecken.“117 Sein
Ziel dabei ist es, die mit dem Erbe der griechischen Philosophie und ihres Dualismus von Begriff und Anschauung übernommene Zuordnung eines abstrakten Seins zur Metaphysik, der konkreten seienden Dinge dagegen zu den Einzelwissenschaften zu überwinden und auch das Seiende als Gegenstand der
Metaphysik auszuweisen. Aus diesem Grund destruiert er den nach seinem
Verständnis für griechisches Seinsdenken charakteristischen metaphysischen
Stammbaum des Menschen nach Porphyrius um ihn seinerseits durch ein
gegenläufiges Paradigma zu ersetzen. Der sogenannte ‚Baum des Porphyrius‘
stellt sich folgendermaßen dar:118
114 Scola: Theologischer Stil, 33. „Die Punkte sind überkommen, neu aber sind die Linien,
115
116
117
118
anders die Dimensionen“ (Heinz: Gott des Je-mehr, 10).
Gf, 49.
Vgl. dazu Disse: Metaphysik der Singularität, 56–68.
Disse: Metaphysik der Singularität, 56.
Balthasar, Hans Urs von: Geeinte Zwienatur. Eine philosophische Besinnung Manuskript, Basel, Archiv Hans Urs von Balthasar, 19; hier wiedergegeben nach: Disse: Metaphysik der Singularität, 61.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
47
Sein
Akzidens
Substanz
Einfache Zusammengesetzte
Sein(Geist)
(Leib)
Akzidens
Substanz
Tote
Lebende
Einfache Zusammengesetzte
(reiner
Stoff) (Lebewesen)
(Geist)
(Leib)
Tote
Lebende
sinnlose
(reiner Stoff) (Lebewesen)
sinnhafte
(Pflanze) (Tier)
sinnlose
(Pflanze)
sinnhafte
(Tier)
vernunftlose vernunfthafte
(Mensch)
vernunftlose vernunfthafte
(Tier)
(Tier)
(Mensch)
?
Individuum
?
Individuum
Diesem Schema zufolge ist das abstrakte begriffliche Sein das Eigentliche, dem IndiviDiesem Schema zufolge ist das abstrakte begriffliche Sein das Eigentliche, dem
dualität
lediglich lediglich
noch äußerlich
Metaphysische
demnach
Individualität
nochzukommt.
äußerlich
zukommt. Seinserkenntnis
MetaphysischeistSeinserkenntnis
ist demnach
nur in Ablösung
vom konkreten Seienden möglich.
nur
in Ablösung
vom konkreten
Seienden möglich.
119
119
Diesem
Verständnis
setzt
Balthasar
nun
seineentgegen:
Sicht entgegen:
Diesem Verständnis setzt Balthasar nun seine Sicht
(Sein)
-
(Sein 1) (Substanz)
Sein 2 - Sein 3 Substanz 1 Substanz 2
Körper
Körper 1
Lebewesen
Sein 4 Substanz 3
Körper 2
Lebew. 1
Sinnenwesen
Sein 5 Substanz 4
Körper 3
Lebew. 2
Sinnenw. 1
Vernunftw.
Sein 6
Substanz 5
Körper 4
Lebew. 3
Sinnenw. 2
Vernunftw.1
dieser Mensch
Hier erfolgt Seinserkenntnis gerade nicht unter Absehung vom Einzelnen, Besonderen.
Im Gegenteil, „wir erschließen das Sein eines jeden Dinges, sowie Sein als solches nur,
indem wir die Individualität des jeweiligen Seienden berücksichtigen, d. h. indem wir
119 Balthasar: Geeinte Zwienatur, 20; hier wiedergegeben nach: Disse: Metaphysik der Sinjedes
Einzelwesen in seinem konkreten Gesamtsein sehen lernen bzw. von diesem Ge-
gularität, 62.
samtsein aus zum Gesamtsein des weltlich Seienenden überhaupt aufsteigen.“120
Balthasar weist also seinerseits auch und gerade das Individuelle als Materialobjekt der
Metaphysik aus.
48
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
Hier erfolgt Seinserkenntnis gerade nicht unter Absehung vom Einzelnen,
Besonderen. Im Gegenteil, „wir erschließen das Sein eines jeden Dinges, sowie
Sein als solches nur, indem wir die Individualität des jeweiligen Seienden
berücksichtigen, d. h. indem wir jedes Einzelwesen in seinem konkreten
Gesamtsein sehen lernen bzw. von diesem Gesamtsein aus zum Gesamtsein
des weltlich Seienenden überhaupt aufsteigen.“120 Balthasar weist also seinerseits auch und gerade das Individuelle als Materialobjekt der Metaphysik aus.
Vor diesem Hintergrund also ist die balthasarsche Interpretation der traditionellen Seinslehre zu sehen. Er macht den konkreten Einzelmenschen zum
Ausgangspunkt seiner Neuinterpretation und buchstabiert die wesentlichen
Gehalte von ihm her durch. Leitend dabei ist die moderne Grundeinsicht in
die wesentlich dialogische Verfasstheit des menschlichen Wesens. „Der
Mensch existiert nur im Dialog mit seinem Nächsten.“121 Wenn Balthasar also
vom konkreten Menschen spricht, so meint er damit kein isoliertes Wesen,
sondern immer schon „die je einzelne Person in der Gemeinschaft“.122 Seine
metaphysische Betrachtung des Seins setzt unmittelbar beim je einzelnen
Menschen in seiner Verwiesen- und Bezogenheit auf andere Seiende an und
überschreitet dergestalt „das traditionelle Denken … in einen geschichtlichen
und dialogischen Denkansatz hinein“123. Dadurch aber erfährt der metaphysische Entwurf des Seins sowohl hinsichtlich seiner formalen, wie auch in seiner materialen, inhaltlichen Struktur124 wesentliche Neubestimmungen. „Die
Unterscheidung von material und formal versteht sich hier als Hilfsgröße zur
besseren Erklärung.“125 Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich
in den folgenden Darlegungen nur um eine rein analytische Trennung von
zwei nach balthasarschem Verständnis sich wechselseitig durchdringenden
und bedingenden Dimensionen des Seins handeln kann und soll.
120 Disse: Metaphysik der Singularität, 62.
121 ZsW, 98 (= MW, 92). Diese fundamentale, für sein gesamtes Denken prägende Einsicht
122
123
124
125
verdankt Balthasar nicht zuletzt seiner Freundschaft mit dem Arzt, Psychiater, Philosophen und Theologen Rudolf Allers, der ihm während seiner Wiener Studienjahre
„ein fast unerschöpflicher Quell von Anregung (war). Gegner Freuds, hat er … den
Blick für die mitmenschliche Liebe als das objektive Medium menschlicher Existenz
gehabt und mitgeteilt, in dieser Wende vom Ich weg zur Wirklichkeit voller Du lag für
ihn die philosophische Wahrheit und psychotherapeutische Methode“ (R, 34; = ZsW,
76).
Gf, 60.
Römelt: Personales Gottesverständnis, 73.
Mit dieser Unterscheidung greife ich einen Vorschlag Manfred Lochbrunners auf (vgl.
ders.: Analogia Caritatis, 107).
Lochbrunner: Analogia Caritatis, 107.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
49
2.1.2.2.1Formale Struktur des Seins
Zur Bestimmung der formalen Struktur des Seins greift Balthasar die thomanische Lehre von der Realdistinktion, i. e. von einer alles weltlich Seiende durchwaltenden „reale(n) Differenz zwischen dem Sein als Wirklichkeit und den
einzelnen Wesen“126 auf. Das Sein, so betont Balthasar immer wieder, ist hier
zum letzten Mal Mysterium, bevor es zum eindeutigen Begriff formalisiert
wird.127 Sein Anliegen ist es, diese Geheimnishaftigkeit wieder neu bewusst
zu machen, um dergestalt einen Ansatzpunkt zur Überwindung der Formalisierung des Seinsbegriffs zu einer Kategorie menschlichen Denkens und somit
auch des theologischen Bewältigungsdenkens zu gewinnen. In diesem Sinne
also greift er die Realdistinktionslehre auf, um sie ausgehend vom Einzelmenschen über vier Stufen vertiefend zu entfalten.128 „Dabei sieht Balthasar die
Differenz nicht nur zwischen … Seienden und Sein, Wesenheiten und Sein
sondern zutiefst als die Differenz zwischen allgemeinem Sein und Gott.“129
126 E, 38. Balthasar ist stets an einem phänomenologischen Aufweis der Realität dieser
ontologischen Differenz gelegen. Schon in einem frühen Aufsatz thematisiert er die
Spannung „Verstehen oder gehorchen“ und bemüht sich darin um „eine ‚Verifikation‘
der Realdistiktion“, indem er bei „bei anthropologischen Gegebenheiten an(setzt), die
der Erfahrung zugänglich sind“ (Löser: Im Geiste des Origenes, 20). In derselben Absicht sucht er auch von jeher das Gespräch mit der Lebensphilosophie, von der er
hofft, sie könne „zu einer Neubelebung jener in sich erstarrten und abstrakt gewordenen Lehre von Wesen und Dasein führen. Es würden sich plötzlich, was in der Philosophiegeschichte noch ganz selten der Fall war, phänomenologische Zugänge zur
Lehre von der Realdistinktion finden“ (Balthasar: Von den Aufgaben der katholischen
Philosophie, 33; vgl. auch ders.: Philosophie und Theologie des Lebens, 46–52). Wenn
Jörg Disse den Vorwurf erhebt, Balthasar gehe von dem Paradox zwischen Seinsfülle
und Seienden aus, ohne eine Begründung zu liefern (vgl. ders.: Metaphysik der Singularität, 201) und führe damit eine Unterscheidung ein, für die es nicht einmal „die
Andeutung einer phänomenalen Grundlage gibt“ (ebd., 207), was letztlich bedeute
„an den Kategorien des Weltverständnisses der eigenen Zeit vorbei Metaphysik (zu)
betreiben“ (ebd., 208), so wird diese Kritik m. E. dem Bemühen Balthasars nicht gerecht. Er versucht sehr wohl „über den thomistischen Begriff der ‚distinctio realis‘
hinaus eine phänomenologische Real-Ontologie des Verhältnisses von esse und essentia zu
entfalten“ (Bauer: Hans Urs von Balthasar, 300). Damit ist freilich noch nichts über das
Gelingen eben dieses Versuches ausgesagt; dennoch meine ich, dass er zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen ist.
127 Vgl. SC, 288; E, 36 f.
128 Der Frage, inwieweit die balthasarsche Interpretation in allen ihren Teilaspekten tatsächlich der thomanischen Lehre gerecht wird, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. dazu Enders: Schönheit der Seinsordnung, 80–86.
129 Henrici: Zur Philosophie Hans Urs von Balthasars, 257.
„Metaphysical wonder … is possible only where the horizon of being itself is not closed
but is constituted in such a way as to include a ‚more‘: in other words, to include a difference“ (Schindler: Dramatic Structure of Truth, 32).
50
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
Ansatzpunkt ist die Erfahrung der Kontingenz des eigenen Daseins, der
jeder Mensch in der Begegnung mit anderen Seienden unweigerlich ausgesetzt
ist. „Ich kann mich … nie als ein solches Glied am Organismus des Weltseins
verstehen, daß ohne mein Dasein dieser Organismus nicht bestehen und heil
funktionieren könnte. Ich kann mir nicht die Seinsdignität und den Notwendigkeitsgrad zudenken, die der Welt im ganzen eignen.“130 Es klafft also
zunächst einmal eine Differenz auf zwischen der Zufälligkeit des je einzelnen
Daseins und der Faktizität des Seins der Welt.
Weil der Mensch nun ein soziales Wesen ist, begreift er zugleich darüber
hinaus, „daß alle übrigen Seienden zum Sein im gleichen Verhältnis stehen“131.
Somit vertieft sich die Differenz auf einer zweiten Stufe: Weil alle Seienden in
Ihrem Wirklich-Sein das Sein als Ganzes in sich haben, ist das Sein keinesfalls
mit der Summe der Seienden identisch zu setzen. Vielmehr hat das Sein einerseits eine unerschöpfliche, auch über die Summe aller möglichen Seienden
hinausgehende Fülle, wobei es aber andererseits zu seiner Verwirklichung
gleichzeitig notwendig auf ein konkretes Seiendes angewiesen ist. Beide
Momente, das Da-Sein wie das konkrete So-Sein, sind unlösbar miteinander
verbunden, ohne jedoch jemals zusammenzufallen oder auf einander rückführbar zu sein. „Das Ganze der Wirklichkeit existiert je nur im Fragment
eines endlichen Wesens, aber das Fragment existiert nicht, es sei denn durch
das Ganze des Wirklichseins.“132
An dieser Stelle zeigt sich, dass sich Balthasars „metaphysische Wende
zum Singulären“133 keineswegs auf einen rein gnoseologisch motivierten Perspektivenwechsel beschränkt, sondern auch sein Seinsverständnis zutiefst
durchdringt. Seine Ausführungen zur thomanischen Lehre von der Realdistinktion weichen nämlich deutlich von der traditionellen Interpretation ab, die
ein Gefälle implementierte, indem sie dem Sein die Funktion zusprach, das
Wesen ins Dasein zu rufen. Balthasar betont demgegenüber den wechselseitigen Bedingungszusammenhang zwischen Da-Sein und So-Sein.134 „Das Sein
ist selber auf die Wesenheiten ‚angewiesen‘.“135 Indem Individualität dergestalt
130
131
132
133
134
135
H III/1.2, 947 f.
H III/1.2, 948.
E, 38.
Disse: Metaphysik der Singularität, 66.
Vgl. dazu Krenski: Gottesdrama, 48.
Römelt: Personales Gottesverständnis, 81.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
51
als konstitutives Moment des Seins ausgewiesen wird, wird ihr zugleich eine
ganz neue Dignität zugesprochen.136
Balthasars Sicht auf die ontologische Differenz impliziert aber noch ein
Weiteres. Wenn nämlich jedes Seiende seinem Wesen nach immer in der unauflösbaren Spannung zwischen der Überfülle der Seinsmöglichkeiten und seinem faktischen So-Sein steht, dann ist „das Wesen … also weit davon entfernt,
jeweils verwirklicht zu sein.“137 Vielmehr ist weltliches Sein als eine unaufhaltsame Bewegung, als ein Pendeln zwischen den beiden Polen zu beschreiben.
In diesem Sinne ist „eine mit der Dasein-Sosein Polarität im endlichen Seienden unmittelbar mitgegebene Struktur … dessen Zeithaftigkeit.“138 Zeit wird
zunächst einmal als Gegenwart erfahren; „in ihr meldet sich das Da des
Seins“139. Weil nun aber die Fülle des Seins immer weit über die an ihr teilhabende konkret daseiende Verwirklichung hinausgeht, wohnt jedem Dasein
zugleich die Verheißung zukünftiger Möglichkeiten inne. „Zukunft ist der
Überschuß über die Gegenwart, der aber nicht hinter, sondern gerade in ihr
verborgen liegt“.140 Balthasar geht deshalb so weit zu mutmaßen, Realdistinktion und Zeit seien letztlich nichts anderes, als zwei unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Wirklichkeit.141 Er rückt also deutlich von dem zeitlos-statischen Seinsbegriff der klassischen Metaphysik ab und setzt seinerseits ein
Verständnis dagegen, wonach „das Phänomen der Zeit ins Herz der geschöpflichen Ontologie hinein gehört“142.
In der Erkenntnis der wechselseitigen Bedürftigkeit von Sein und Seiendem wird nun nach Balthasar das menschliche Denken weitergetrieben.
Indem es begreift, dass das Sein keinen Bestand in sich hat, muss es auf einer
dritten Stufe unweigerlich auch einsehen, „daß das Sein im ganzen oder das
Wirklichsein alles Wirklichen die wirklichen Wesenheiten nicht aus sich selber entlässt, weil verantwortendes Auszeugen von Formen selbstbewußten
136 Der Aspekt der Werthaftigkeit des Einzelnen wird im Hinblick auf Fragen der indivi-
137
138
139
140
141
142
duellen Eschatologie eingehend zu erörtern sein und soll daher an dieser Stelle nicht
weiter bedacht werden.
TL I, 218.
Löser: Im Geiste des Origenes, 27 (Kursiven von mir).
Heinz: Gott des Je-mehr, 25.
Heinz: Gott des Je-mehr, 25.
Vgl. Balthasar: Von den Aufgaben der Katholischen Philosophie, 3. In der Theologik
heißt es ganz ähnlich, „daß die geheimnisvolle Nichtidentität zwischen Wesen und
Dasein sich innig berührt mit dem Phänomen der Zeit“ (TL I, 219). An anderer Stelle
findet sich sogar die zugespitzte Formulierung „Realdistinktion sagt: Nichtidentität,
daher Werden, daher Zeit“ (Balthasar: Philosophie und Theologie des Lebens, 50).
TL I, 220.
52
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
freien Geist voraussetzen würde.“143 Hinter dem zu seiner Verwirklichung auf
das Seiende angewiesenen und in diesem Sinne unfreien Sein muss also notwendig ein dieses Sein und damit auch alles weltlich Seiende begründendes,
freies, subsistierendes, absolutes Sein gedacht werden. An der Nichtsubsistenz
des Seins „bricht … die letzte (vierte; S. H.) Tiefe der Differenz, die Gegenüberständigkeit von Gott und Welt auf.“144
Damit nun sieht Balthasar die thomanische Definition des Seins als „die
erste von Gott ausströmende Weltwirklichkeit, woran teilnehmend alle Wesen
wirklich sind“145, eingeholt. Er erkennt gerade darin die „schöpferische
Hauptleistung“146 des Thomas, in aller Deutlichkeit zwischen dem Sein als
Weltwirklichkeit und Gott als Quelle eben dieser Wirklichkeit unterschieden
zu haben. Zum einen wird dadurch natürlich „Gott … über alles Weltsein, alle
Berechenbarkeit und Anzielbarkeit hinaus entrückt, als das ernstlich GanzAndere“147. Indem Balthasar diese Bestimmung seinerseits über einen anthropologischen Zugang zu bestätigen sucht, trägt er also zunächst einmal seinem
Anliegen Rechnung, das absolute Sein Gottes auf auch für heutiges Denken
plausible Weise als jedem Zugriff durch die menschliche Vernunft grundsätzlich entzogen auszuweisen und so jedwedem Bewältigungsdenken den Boden
zu entziehen. „Gott kann von der Welt aus nicht dadurch ‚konstruiert‘ werden,
daß dem ‚einfachen, unteilbaren, aber nicht subsistierenden‘ Wirklichen eine
un-endliche Wesenheit gleichgesetzt wird“148.
Zum anderen aber führt diese aus der Betrachtung der formalen Struktur
erwachsene fundamentale Unterscheidung zwischen Gott und Sein von Balthasar auch zur Bestimmung der inhaltlichen Struktur des Seins.
2.1.2.2.2 Materiale Struktur des Seins
Das Sein, so haben wir gesehen, ist wesentlich Fülle von Möglichkeiten, die
aber in weltlich Seiendem nie zu ihrer vollen Entfaltung kommen kann. „Diese
Fülle kann sich nur einmal absolut ausbreiten: in Gott“149. Gott ist in sich absolut erfüllt und in diesem Sinne des Seins der Welt gänzlich unbedürftig. Die
Existenz der Welt unterliegt daher keiner wie auch immer zu denkenden Notwendigkeit; sie ist völlig ungeschuldete Gabe. Gottes „Fülle (ist) als solche
143
144
145
146
147
148
149
H III/1.2, 954.
Römelt: Personales Gottesverständnis, 84.
H III/1.1, 336.
H III/1.1, 354.
H III/1.1, 354.
E, 40.
H III/1.2, 955.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
53
reine Mächtigkeit … aus deren Mögen alles Mögbare als das Vermögen hervorgeht, deshalb reine Freiheit, und als nicht an sich haltende … Freiheit reine
Schenkung und Liebe.“150 In seiner Unterscheidung von Gott, und nur hier, so
wird man mit Balthasar sagen müssen, ist das Sein nicht anders zu verstehen,
denn als freie Gabe der Liebe. „Eben wenn das Geschöpf sich im Sein von Gott
abgerückt fühlt, weiß es sich aufs unmittelbarste von Gottes Liebe erdacht“151.
„Der metaphysische Ansatz im Denken und Werk Hans Urs von Balthasars
verdichtet sich zur Kurzformel: Sein als LIEBE. Sein und Liebe sind koextensiv.“152
Diese Aussage erwächst einmal mehr aus dem unlösbaren Ineinander von
Philosophie und Theologie im Denken Balthasars. Zu der Einsicht, dass Sein
gleichbedeutend mit Liebe ist, vermag die menschliche Vernunft nämlich keinesfalls von sich aus zu gelangen; sie ist vielmehr nur von der Selbstoffenbarung göttlich-trinitarischer Liebe in Jesus Christus her möglich. Die metaphysische Einsicht in die Gott-Welt-Differenz bildet zwar den notwendigen
Verstehenshorizont, in den hinein Offenbarung allein ergehen kann, ihre Vollendung findet die Metaphysik aber nur in der Reflexion auf das Offenbarungsgeschehen. „Vom theologischen Apriori her, d. h. von der gesamten Heilsgeschichte, die in Jesus Christus ihren Höhepunkt hat, klärt sich der
Seinsbegriff.“153 In diesem Licht erst kann der Mensch begreifen, dass sein
Gott-gegenüber-Stehen Geschenk der Anteilgabe am göttlichen Liebesgeschehen ist. Damit aber erscheint das Sein als personale Beziehung. „Das Seinsverständnis, das in von Balthasars gesamtem Werk waltet, ist ein ‚dialogisches‘.
Nicht das Sein als Bei-sich-Sein, sondern das Sein als Gespräch und Begegnung bestimmt das Denken.“154
Mit diesem Verständnis des Seins rücken nun notwendig auch seine Eigenschaften, in ein neues Licht. Das Sein ist ein sich mitteilendes, an sich teilgebendes; Sein ist Liebe. „Liebe wird in ihrer inneren Wirklichkeit nur von Liebe
150 H III/1.2, 955.
151 H III/1.1, 363.
152 Lochbrunner: Analogia Caritatis, 112. Der zweite Teil der Formel findet sich ursprüng-
lich in: Balthasar: Zugang zur Wirklichkeit Gottes, 17.
Holger Zaborowski spricht, sehr zutreffend, wie ich meine, im Hinblick auf das balthasarsche Denkmuster von einer „Hermeneutik der Liebe“ (ders.: Katholische Integration, 39).
153 Lochbrunner: Analogia Caritatis, 110. Werner Löser spricht in diesem Sinne auch von
einer „theologischen Ontologie“ Balthasars (vgl. ders.: Unangefochtene Kirchlichkeit,
477).
154 Löser: Unangefochtene Kirchlichkeit, 477 (Kursiven von mir). Einmal mehr rückt damit auch die geschichtliche Dimension in den Fokus.
54
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
erkannt.“155 Sein verstanden als Liebe kann daher nur in liebender, i. e. interessenloser Hinwendung zum anderen Seienden erblickt werden. Entsprechend buchstabiert von Balthasar auch die traditionelle Tanszendentalienlehre neu durch. „Die Transzendentalien werden in der Begegnung entdeckt,
denn in Wirklichkeit ist jede Begegnung eine Begegnung mit dem Sein und die
Transzendentalien sind Eigenschaften des Seins als solchem“156. Auch hier
denkt Balthasar also wieder vom konkreten Einzelmenschen in seiner existentiellen Ausrichtung auf ein Gegenüber her. Erkenntnis des Seins und seiner
Eigenschaften kommt ihm nicht etwa in theoretischer Reflexion auf ein abstraktes, allgemeines Sein zu, sondern einzig in der konkreten Begegnungssituation. Balthasar bleibt also auch in seiner Interpretation der klassischen
Lehre von den Transzendentalien seiner meta-anthropologischen Perspektive
treu.
Fundiert und ermöglichend begründet werden in seiner Sichtweise alle
bewussten, differenzierenden Erfahrungen des Seins, die ein Mensch im
Laufe seines Lebens macht, in einer vorreflexiven metaphysischen Urerfahrung, die dem Kind in der liebenden Zuwendung seiner Mutter zuteil wird.
„Sein Ich erwacht an der Erfahrung des Du: am Lächeln der Mutter, durch das
es erfährt, daß es in einem unfaßlich-Umgebenden, Schon-Wirklichen, Bergenden und Nährenden eingelassen, bejaht, geliebt wird.“157 In dieser ganzheitlichen Erfahrung erschließt sich nach Balthasar das Sein als solches in
unüberholbarer Weise. „Alles, restlos alles, was später hinzutreten mag und
unweigerlich dazukommen wird, muß Explikation dieser ersten Erfahrung
bleiben“158, die wesentlich als eine Erfahrung des Verdanktseins, des SichEmpfangens aus der Liebe der Mutter zu beschreiben ist. In diesem einen
Moment erschließt sich das Sein in seiner ganzen Fülle und zeigt dem Kind
gleichzeitig vier Dinge: „1. Daß es ‚eins‘ ist in der Liebe mit der Mutter, obwohl
ihr gegenübergestellt, also daß alles Sein ‚eins‘ ist. 2. Daß diese Liebe ‚gut‘ ist:
155 GL, 49.
156 Scola: Theologischer Stil, 34. Balthasar erliegt also nicht der Gefahr der metaphy-
sischen Verdoppelung von Wirklichkeit. Im Seienden kommt das Sein selbst zur Erscheinung. „Die Erscheinung ist kein zweites selbständiges Sein neben dem Grund,
sie ist der Grund selbst, sofern er erscheint“ (TL I, 246). Dieser Aspekt wird im Zusammenhang mit dem balthasarschen Wahrheitsverständnis noch darzustellen sein und
kann deshalb an dieser Stelle vernachlässigt werden.
157 H III/1.2, 945.
158 H III/1.2, 946.
David Schindler handelt ausgiebig davon, wie auch die formale Struktur des Seins sich
dem Menschen in dieser Urerfahrung als Einheit erschließt; vgl. dazu ders.: Dramatic
Structure of Truth, 50–58.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
55
also alles Sein ‚gut‘ ist. 3. Daß diese Liebe ‚wahr‘ ist, also alles Sein ‚wahr‘ ist.
4. Daß diese Liebe ‚Freude‘ weckt, also alles Sein ‚schön‘ ist.“159
Damit nun sind die transzendentalen Eigenschaften des Seins im Sinne
klassischer Metaphysik eingeholt, erscheinen jedoch in einem entscheidend
anderen Verhältnis zueinander. „Die Transzendentalien sind keine Kategorien, die als endliche Gehalte gegeneinander de-finiert werden können; sie
sind durchgehende Bestimmungen des Seins als solchen und liegen deshalb
ineinander.“160 Damit aber ist zugleich gesagt, dass sie auch nur mit- und
durcheinander zu begreifen sind. „Der Transzendentaliensatz relativiert den
seit Beginn der abendländischen Philosophie sich mehr oder weniger ausdrücklich behauptenden, seit der Neuzeit geradezu verabsolutierten ‚Primatsanspruch‘ der begrifflichen Erkenntnis und gibt ein mehrdimensionales, gleichursprüngliches Gefüge von Grundvollzügen frei.“161 Das Sein ist demnach auch im
Hinblick auf seine materiale Struktur der menschlichen Vernunft nicht verfügbar.
Dieser Befund vertieft sich noch einmal mit Blick auf das bereits über die
formale Struktur Gesagte. Die Einheit des Da-Seins, so wird man von dort her
sagen müssen, steht in unauflösbarer Spannung zur Einheit des je einzelnen
So-Seins. Einheit als transzendentale Eigenschaft des Seins ist also „nicht
platte, univoke Identität, sondern bewegte Einheit des ‚Zwischenraums‘ zwischen Dasein und Sosein“162, und als solche nicht auf einen abstrakten Begriff
rückführbar. Weil nun aber die Transzendentalien einander gegenseitig innerlich sind, ist evident, „daß durch alle drei transzendenten Modi eine grundlegende Polarität hindurchgeht, … (die) sich von der alles durchziehenden Polarität der Einheit herleitet“163.
Hier spätestens zeigt sich die unlösbare Verflechtung von formaler und
materialer Struktur des Seins im Sinne Balthasars. Deshalb sei an dieser Stelle
der Versuch unternommen, die beiden Linien, die mit Blick auf Balthasars
159 ZsW, 98 (= MW, 92).
160 TL I, XV. „Die transzendentalen Eigenschaften des Seins heißen so, weil jede von ih-
nen das Sein im ganzen durchwaltet; sie können deshalb gegeneinander nicht abgegrenzt sein, sondern durchwohnen und durchstimmen einander (H III/1.1, 22). Ihr
Verhältnis ist daher als „circumincessio“ (ebd.) zu bestimmen.
161 Lochbrunner: Analogia Caritatis, 107. Ganz ähnlich wertet auch Angelo Scola die balthasarsche Neuinterpretation: „Dieser Ansatz wird zum sicheren Bollwerk gegen jeden
Rationalismus und jeden Subjektivismus: Was nicht wahr ist, kann auch nicht schön
und gut sein. Die selbe logische Verknüpfung gilt schließlich auch für jedes andere
Transzendale“ (ders.: Theologischer Stil, 38).
162 Heinz: Gott des Je-mehr, 26.
163 E, 65.
56
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
Neuinterpretation der Lehre von der Realdistinktion einerseits und der klassischen Transzendentalienlehre andererseits bis hierher gezogen wurden,
zusammenzuführen und von diesem vorläufigen Befund her einen dritten
wesentlichen Konstruktionspunkt seines Seinsverständnisses in den Blick zu
nehmen:
In der konkreten Begegnung mit anderem Seienden wird dem Menschen
wahrhaftige Erfahrung des Seins zuteil, in der das Sein sich ihm notwendig
als weder in formaler noch in inhaltlicher Hinsicht auf eine in sich geschlossene Einheit rückführbares Mysterium erschließt. „Und nun stellt sich unabweisbar vom Phänomen der nicht-einen Einheit her die Frage nach der einen,
in sich identischen Einheit“164, in der die im Sein notwendig auseinanderfallenden Polaritäten und Dimensionen eingeborgen sind; die Frage also nach
dem absoluten Sein, nach Gott. In diesem Sinne sieht sich der Mensch, wie eingangs gesagt, in der Begegnung mit dem Seienden angesichts der Unbegreiflichkeit des Seins auf Gott verwiesen. Im Sein besteht demnach eine Verbindung zwischen Gott und Mensch; im Sein wird der Mensch für Gott
ansprechbar. „Es ist zwar richtig, daß … das nackte Gottsein und das nackte
Geschöpfsein ohne Ähnlichkeit, vielmehr reine Entgegensetzung sind. (…)
Aber schon in der ersten Entgegensetzung ist notwendig von Gottsein und
Geschöpfsein die Rede, und somit von einer Ähnlichkeit des Geschöpfs mit
dem je unähnlichen Gott“165, die ihm in seiner Natur immer schon gegeben ist.
Balthasar erkennt darin „das Geheimnis der Weltimmanenz des welttranszendenten Gottes, das man mit der Formel der Analogia Entis … anvisieren kann.“166
Wenn eingangs von einem natürlichen Wissen um Gott als minimaler Voraussetzung für das Verstehen-Können der göttlichen Offenbarung die Rede war,
so wird man jetzt also sagen können, „dieses Minimum ist grundgelegt in der
Analogia entis.“167 Im Gedanken der Seinsanalogie liegt also letzten Endes der
Schlüssel zum Verständnis des balthasarschen Konzepts unterscheidend
christlicher Metaphysik.
164
165
166
167
E, 65.
KB, 296 f.
CE, 66 (Kursiven von mir).
Löser: Im Geiste des Origenes, 35. Vgl. auch KB, 295.
„Wort Gottes an uns setzt je schon ein Gotteswort in uns voraus, sofern wir im Wort
geschaffen sind und von diesem Ort nicht losgelöst werden können“ (BG, 21; Kursiven
von mir).
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
57
2.1.2.2.3 Analogie des Seins
„Die Rede von der Analogie als analogia entis ist im deutschen Sprachraum vor allem
mit dem Werk Przywaras und der von ihm eingeführten Verbindung mit der bekannten Aussage des IV. Lateranense verbunden.“168 Die Formel von der ‚Analogia entis‘
umfasst das Zusammenspiel zweier zunächst einmal grundsätzlich zu unterscheidender Relationen, nämlich einer immanenten und einer transzendenten Analogie.
In unverkennbarer Nähe zur thomanischen Lehre von der Realdistinktion nimmt
Przywara seinen Ausgangspunkt in der Kennzeichnung der Grundstruktur des kreatürlichen Seins und aller seiner Vollzüge als immanente Analogie im Sinne einer dynamischen Bewegung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, die über ihre Ausrichtung auf eine angestrebte Mitte hinaus von vorneherein unausweichlich ein ihr
vorgegebenes, übergeordnetes Ziel in sich trägt.169 Eine solche Bewegung sieht er im
Sinn des Wortes ‚Analogie‘ umschrieben170. Das Präfix ‚ana‘ kann mehrere Bedeutungen haben. Zum einen bedeutet es als ‚ana‘ ‚über, nach, gemäß‘. Es changiert aber
immer mit ‚ano‘ im Sinne von ‚oben, hinauf‘ und kann schließlich auch ‚wieder‘ meinen. Die Bedeutung der Vorsilbe umschließt also letztlich ein Koordinatenkreuz aus
einer Waagerechten, mit einer zwischen einander auf einer Ebene gegenüberliegenden
Data hin und her schwingenden Bewegung und einer Senkrechten, die die Ausrichtung der Bewegung vorgibt.
Auch die Bedeutungsdimensionen des zweiten Wortteils bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen. ‚Logos‘ kann sowohl ‚Wort‘ meinen, wobei dasjenige, das mit
diesem Wort bezeichnet wird, in den Hintergrund rückt, als auch ‚Sinn‘, sodass das
Wort nur als Träger in den Blick kommt. „Werden Präfix und Verbum in dem Wort
‚Analogie‘ zusammen betrachtet, so ergibt sich ein äußerst dynamischer Wortsinn, der
in jedem seiner ursprünglichen Teile Ausdruck der kreatürlichen Struktur einer Bewegung zwischen Vor und Zurück bei Einheit und Differenz ist und überdies zentral auf
einen über diesen rhythmischen Prozeß sich bildenden Sinnzusammenhang verweist“171,
der die kreatürliche Bewegung als Ursprung und Ziel begründet.
In ihrer Ausrichtung auf ein ihr transzendentes Ziel verweist nun diese erste Relation über sich hinaus auf eine zweite, die in theologischer Interpretation des Entwurfs
als die Beziehung zwischen dem kontingenten geschöpflichen Sein und dem absoluten Sein Gottes verstanden und näherhin als transzendente Analogie beschrieben wird.
Demnach steht in analogem Bezug zur transzendierenden Bewegung des Kreatürlichen auf Gott hin eine immanierende Bewegung Gottes in die Schöpfung hinein. „Auf
168 Nieborak: ‚Homo analogia‘, 190.
169 Vgl. Nieborak: ‚Homo analogia‘, 169.
170 Zum Folgenden vgl. Nieborak: ‚Homo analogia‘, 120–122; Gertz: Glaubenswelt als Ana-
logie, 209–211.
171 Nieborak: ‚Homo analogia‘, 123.
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