Im Zeichen der Mobilität

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BAUEN
Bauzustand | 22. April 2016
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Planung und Entwicklung der Tragsysteme
Lageplan, © DnD ZT KG
BIM-Modell Trägerrost
Neubau ÖAMTC Headquarters, Wien 3
BAUZUSTAND
30 Meter über null markiert eine tellerförmige Auskragung den zukünftigen Heliport für Christophorus 9.
50 Zentimeter über seiner Landefläche wird der Helikopter zum Hangar schweben und schließlich von Hand auf
einem Wagen in diesen hinein- und wieder herausgeschoben werden. Drei Helikopter können sich am neuen
Stützpunkt gleichzeitig aufhalten. Für das Christophorus-Team ist eine kleine Wohneinheit im Hangar untergebracht. James Bond. Der Blick über die Landezone geht hinüber zum T-Center. Man spürt: Das hier ist auf Augenhöhe. Über die Schulter geschaut, sieht man die Kuppen der Gasometer. Wir sind im dritten Bezirk an der Tangente,
auf dem Dach der neu entstehenden ÖAMTC-Zentrale von Pichler & Traupmann Architekten.
von Christine Bärnthaler
D
er Baustellenbesuch ist, kurz gesagt, spektakulär. Wie
Zahnstocher tragen schräg gerichtete, zehn bis 18 Meter
hohe Stützenbündel die Masse der weitauskragenden
Bürofinger. Vorgehängt umarmt eine Stahlkonstruktion, die
später die Glasfassade tragen wird, die fünf Finger als Ringfassade. Den Kern bildet ein großzügiges Atrium, offen zu allen Geschoßen. Die Bewegungszonen fließen durch das Gebäude und
über den Freiraum bis hinüber zum benachbarten Kundenzentrum der Wiener Linien und über dieses in die U3. Hier wächst
ein Raumgefüge entlang den feinsten Zügen städtebaulicher,
architektonischer und konstruktiver Konzeption. Die Jury notierte im Wettbewerbsprotokoll (2013) dazu: Den Architekten
gelingt es, das komplexe Raumprogramm und die anspruchsvolle städtebauliche Situation scheinbar mühelos und souverän
zu bewältigen.
Schlüsselelemente des Entwurfs sind die städtebauliche Positionierung, eine klare Ordnung und räumliche Interpretation
der sehr unterschiedlichen Nutzungen, prägnante Architektur
mit Signalkraft, fließende Wegführungen und höchste konstruktive Ansprüche.
GEBÜNDELTE NUTZUNGSVIELFALT
Das heterogene Raumprogramm wurde von Pichler & Traupmann Architekten in einer vertikalen Abfolge gestapelt und
als Figur einer Radfelge gleichend kompakt am Grundstück
platziert. Die umrahmenden Grünflächen sind weder gestaltete Restfläche noch Schaugarten, sondern elementarer Bestandteil des Erschließungskonzepts. An der südöstlichen Seite wird
die Vorgabe zur Durchwegung des Grundstücks derart beantwortet, dass eine neue Brücke zur Hochebene der benachbarFotos: Toni Reppersberger, Pichler & Traupmann | Pläne und Renderings: Pichler & Traupmann
ten Wiener Linien spannt und zukünftig an die 800 Personen
täglich direkt von der U3-Station Erdberg abholt, über einen
großzügig gestalteten Platz führt und an der Baumgasse auf
Straßenniveau wieder entlässt. Nordwestlich übernimmt eine
terrassierte Grünanlage die aus der Ringfassade kommenden
Fluchtwege. Alle Fluchtwege im Gebäude führen in diese umlaufende, vorgehängte Stahl-Glas-Fassade. Im Zusammenspiel
mit der Terrassenanlage befreit sie den Innenraum von dieser
Aufgabe.
Es fällt auf, dass insbesondere an der Baumgasse mit sehr
sparsamem Flächenverbrauch geplant wurde, einen repräsentativen Vorplatz findet man nicht. Dies zugunsten einer baulichen Reservefläche, die zwei Drittel der Straßenfront für sich
beanspruchen darf und dem ÖAMTC zur Erweiterung oder
zum Verkauf dienen kann. Im Verzicht auf diese Fläche, die den
Sichtbezug zur Baumgasse möglicherweise irgendwann baulich verstellt, wird deutlich, wie konsequent Funktion und Interesse des Bauherrn architektonisch übersetzt wurden, denn
der ­ÖAMTC ist mit rund 1,9 Millionen Mitgliedern Österreichs größter Verein und die Tangente mit täglich an die 170.000
Fahrzeugen die meistbefahrene Straße Österreichs. Dorthin
orientiert sich das symbolhafte Gebäude mit der ringförmigen
Glasfassade und dem Landeplatz des Christophorus. Mit ein
Grund, weshalb die höchste Kote des Gebäudes bei exakt 35
Meter – an der Hochhausgrenze – liegt. Von diesem Punkt aus
wurde das Gebäude nach unten entwickelt.
Das Raumprogramm – beginnend mit Werkstatt, Schalterhalle, Empfang, Callcenter, Büros, und zuletzt dem Heliport –
sind um einen zentralen Luftraum angeordnet, der vom Erdgeschoß und bis hinauf zum höchsten Punkt des Gebäudes offen
Explosionsgrafik
und hell alle Etagen miteinander verbindet. Auch zu den Büroflächen hin gibt es keine Wände. Man kann ahnen, wie der
lichtdurchflutete Rohbau dann in der Fertigstellung mit weißen
Flächen noch heller und freundlicher strahlen wird. Einzig vom
Atrium ausgeschlossen ist der Servicebereich im Untergeschoß.
Dieser erfährt eine besondere Inszenierung. Pichler & Traupmann übernehmen das bewährte System des Kreisverkehrs für
die logistische Abwicklung von Servicearbeiten an den Kundenfahrzeugen. Sie führen die Autos entlang einer ringförmig
angelegten Einbahn durch das Untergeschoß und fädeln die
Serviceplätze mit ihren Montagegruben und Hebebühnen direkt entlang dieser Fahrbahn auf. Ein Stockwerk darüber, in der
Schalterhalle, begleitet ein raumhohes Panoramafensterband
die Anlage. So können die Kunden dem Werken an ihren Autos
zusehen. Für so manchen – Groß und Klein – wird das sein wie
ein Kinoerlebnis.
STATISCHER HÖHENFLUG
Abseits der beeindruckenden Architektur spielen bei dieser
Baustelle die konstruktiven Lösungen das große Kino. Bei FCP,
Fritsch, Chiari & Parnter heißt es, man wäre dem Entwurf mit
seinem schwebenden Körper anfangs eher skeptisch gegenüber­
gestanden. Schließlich werden die drei- bis viergeschoßigen
Bürofinger jeweils nur von sechs schräggestellten Stützen getragen, und auch die Ringfassade, als Fluchtweg berechnet mit
einer Maximalbelastung von 800 Personen, ist über jeweils zirka 30 Meter von Bürofinger zu Bürofinger über eine Gesamtlänge von 250 Metern gespannt. Allein die Fassade, sie lagert auf
vier einbetonierten Stahlträgern pro Bürotrakt, konnte rechnerisch erst im vierten Anlauf als durchgehende Fachwerks-
Projektdaten
PERFORMANCE IN HÖCHSTFORM
Pichler & Traupmann
Bauphysikalisch ist zu erwähnen, dass der ausdrückliche Bauherrenwunsch um eine Bauteilaktivierung in das Bauwerk eingeflossen ist. Mittels Energiepfählen und Tiefensonden wird
Erdwärme zum Heizen und Kühlen des Gebäudes über die Betondecken gewonnen.
Fertiggestellt soll das Mobilitätszentrum noch heuer werden, zum 120-Jahr-Jubiläum des ÖAMTC. Dabei wurde der
Grundstein erst im Mai 2015 gelegt, die Gleichenfeier wurde im
Dezember begangen. Bei Pichler & Traupmann Architekten arbeiten acht Leute daran. Auch im Büro des Statikers, bei FCP,
heißt es, man wäre für das Projekt an die Grenzen gegangen.
Dabei wird hervorgehoben, dass die Planung vom Vorentwurf
bis zur Ausführungsplanung durchgängig mittels BIM erfolgte.
Architekturbüro und Ingenieurbüro füttern gleichzeitig eine
gemeinsame Datenbank mit Informationen, die dann im 3-DModell visualisiert werden und aus dem die Plandateien extrahiert werden. So in etwa.
Ohne diesen integrativen Planungsablauf und die daraus
resultierende Zeitersparnis wäre das Einhalten des engen Zeitkorsetts laut FCP nicht möglich gewesen. Die Ausführung liegt
bei dem Grazer Bauunternehmen Granit. Über den Totalunternehmer sagen Christoph Pichler und Hannes Traupmann,
es sei natürlich nicht ganz einfach, wenn das Bauunternehmen gleichzeitig des Architekten Auftraggeber sei, aber man
wolle sich nicht beklagen, auch Granit sei hier sehr um eine
entwurfsgetreue Realisierung bemüht. So gebe es im Wesentlichen auch keine Änderungen gegenüber dem ursprünglichen
Wettbewerbsbeitrag. Lediglich eine erste Erweiterung, ein zusätzlicher Bürofinger, sei in der Ausführung bereits vorgezogen
worden. Zwei weitere Bürofinger sind statisch vorbereitet. Sie
können den Bau jederzeit ergänzen und dann schließlich auch
die Ringfassade tatsächlich zum Ring schließen.
ÖAMTC Headquarters, Wien
Bauherr:
ÖAMTC-Zentrale, Wien 1
Architekt, Generalplaner:
Pichler & Traupmann Architekten ZT GmbH
Planungsbeginn:2013
Baubeginn:2015
Fertigstellung:2016
Grundstücksfläche:
Nutzfläche:
Bebaute Fläche:
BGF:
Umbauter Raum:
14.913 m²
20.126,48 m²
9.277,65 m²
27.000 m²
160.630 m³
GP-Koordination:
FCP – Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH,
Wien
Tragwerksplanung:
FCP – Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH,
Wien
Bauphysik, Fassadenplanung:
Dr. Pfeiler GmbH, Graz
Brandschutz:
Norbert Rabl ZT GmbH, Graz
Haustechnik/Elektrotechnik:
Die Haustechniker Technisches Büro GmbH,
Jennersdorf
Planung Heliport:
Ing. Günther Jakubec GmbH, Wien
Vermessung:Dipl.-Ing. Johanna Fuchs-Stolitzka Ingenieurkonsule, Wien
Landschaftsplanung:DnD Landschaftsplanung ZT KG, Wien
Windkomfort:
Weatherpark GmbH, Wien
Geothermie:
Dipl.-Ing. Michael Gollob ZT GmbH, Wien
Totalunternehmer:Bauunternehmung Granit GmbH, Feldkirchen bei Graz
Foto: Oskar Schmidt
Im Zeichen der Mobilität
konstruktion gelöst werden. Für die schwebenden Bürofinger
fand man die Antwort in einer Hängekonstruktion. Die höchstbewehrten Betonstützen tragen einen Auswechslungsrost von
160 Zentimeter Höhe in der obersten Decke über dem sechsten
Obergeschoß. Von diesem werden die darunterliegenden Geschoße mittels Hängestützen entlang der Fassade abgehängt.
Nun lässt sich allerdings so ein Gebäude nicht von oben nach
unten bauen, weshalb die Bürofinger vollflächig bis zum Zeitpunkt der vollständigen Tragfähigkeit des Brückentragwerks
mit Rüsttürmen unterstellt werden mussten. „Würde man die
Rüsttürme (je 2 x 2 Meter) aneinanderreihen, würden sie sich
über eine Strecke von zehn Kilometer ausdehnen“, erklärt WolfDieter Denk von FCP. Gebaut wurde mit Druckbelastung, dann
im Ausrüsten wurden Zugbelastung und Vorspannung in fünf
der Säulen aktiviert. Essenziell für die Realisierbarkeit war
auch der Einsatz von Cobiax-Verdrängungskugeln. Auch wenn
der ökologische Aspekt der Luftkugeln wichtig ist und heute
immer mehr in den Vordergrund gerückt wird, so zielte die Erfindung ursprünglich doch auf das Ingenieurwesen, denn über
die Reduktion der Last sind weitere Spannweiten, schlankere
Tragsysteme und letztlich auch kleinere Fundamente möglich.
Im Falle der ÖAMTC-Zentrale wurden zirka 7.500 Quadratmeter
Deckenfläche mit Cobiax belegt, zirka 1.000 Kubikmeter Beton
eingespart, das entspricht in etwa 2.400 Tonnen Beton und 150
Tonnen CO2 (Angaben von C. Ramel, Cobiax). Bei FCP ist man
überzeugt, dass über die Einsparungen der Betonmassen nicht
nur die vorliegende statische Lösung erst möglich wurde, sondern auch die Kosten des Gebäudes gesenkt werden konnten.
Christoph Pichler, geb. 1964, Architekturstudium an der Hochschule für angewandte Kunst Wien und an der Harvard University, USA.
Seit 1992 zunächst Universitätsassistent, ab 1996 (mit Unterbrechungen) Lehrbeauftragter an der TU Wien und TU Graz.
Johann Traupmann, geb. 1958, Studium der Theologie in Wien sowie
der Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst Wien. Seit
1992 zunächst Lehrbeauftragter, seit 2002 Assistenzprofessor an der
Universität für angewandte Kunst Wien (Studio Zaha Hadid 2000
bis 2015, Studio Kazuyo Sejima seit 2015)
Das Wiener Architekturbüro Pichler & Traupmann wurde 1992 von
Christoph Pichler und Johann Traupmann gegründet, Realisierung
vielfältiger Bauten in den Bereichen Büro- und Industriebau, Bildungsbereich und Wohnbau.
Projekte (Auswahl): Das soeben gewonnene Projekt Future Art Lab
Wien 3. In Bau: Betriebsrestaurant u. Kommunikationszentrum der
Wiener Netze, Wien 11; ÖAMTC Headquarters in Wien 3; Landwirtschaftliche Fachschule Güssing; Überbauung Pfauengarten in Graz.
Fertiggestellt: Kultur-Kongress-Zentrum in Eisenstadt (AluminiumArchitektur-Preis 2014); Raiffeisen Finanz-Center in Eisenstadt
(2010); Wohnsiedlung Heustadelgasse in Wien (2009, Best Architects
10 Award 2010); Freischwimmbad Eybesfeld (2009, Shortlist Contract
World Award 2010).
www.pxt.at
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