Simulationsstudie zur Ausbreitung und

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Züchtungskunde, 77, (2-3) S. 271 – 280, 2005, ISSN 0044-5401
© Eugen Ulmer Verlag GmbH & Co., Stuttgart
Simulationsstudie zur Ausbreitung und Bekämpfung der
Klassischen Schweinepest
Susanne Karsten*, J. Krieter*
1 Einleitung
In der Europäischen Union sind in den vergangenen Jahren verschiedene TierseuchenEpidemien aufgetreten (z. B. Maul- und Klauenseuche, Klassische Schweinepest, Geflügelpest). Im Zuge der Bekämpfungsmaßnahmen mussten viele Tiere gekeult werden;
Sperrmaßnahmen führten zu überfüllten Ställen und daraus resultierend zur Keulung
gesunder Tiere. Die wirtschaftlichen Schäden können durch die Handelsrestriktionen
beträchtlich sein. Für die Schweineproduktion ist die Schweinepest die bedeutendste
Krankheit. Deutschland ist aufgrund seiner zentralen Lage und des intensiven Handels
einem großen Risiko einer Krankheitserregereinschleppung ausgesetzt (Fritzemeier et
al., 2000). Das in einigen Regionen endemische Vorkommen der Klassischen Schweinepest beim Schwarzwild gilt als weiterer Risikofaktor (Nissen und Krieter, 2003). In
den Jahren 1990 bis 1998 traten über 400 Ausbrüche auf, die zu Schäden von etwa einer Milliarde Euro führten. Mehr als zwei Millionen Schweine wurden gekeult.
Feldversuche sind zu gefährlich, um die Erregerausbreitung und mögliche Bekämpfungsstrategien untersuchen zu können. Aufgrund der Komplexität der Krankheit sind
die Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Risikofaktoren und die Wirksamkeit
verschiedener Bekämpfungsmaßnahmen unter veränderten Bedingungen (z. B. Regionseinflüsse) nicht bekannt. Durch die Anwendung von Simulationen können das System
und die Inputfaktoren durch den Benutzer verändert und somit deren Effekte untersucht werden. Durch das Prüfen verschiedener Bekämpfungsstrategien können den Entscheidungsträgern zudem wertvolle Hilfen gegeben werden.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung bestand darin, die Ausbreitung eines Tierseuchenerregers am Beispiel der Klassischen Schweinepest in einer Region Deutschlands zu untersuchen und verschiedene Bekämpfungsstrategien zu vergleichen. Hierfür
wurde ein Simulationsmodell entwickelt, das die Berücksichtigung verschiedener Risikofaktoren und Bekämpfungsmaßnahmen ermöglicht. Dieses Simulationsmodell und
die Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt.
2 Material und Methoden
2.1 Modell
Eine Epidemie ist ein Prozess, der von vielen Einflussfaktoren bestimmt wird. Die Erregerausbreitung erfolgt in der Regel durch den Verkauf infizierter Tiere oder durch Personen- und Fahrzeugkontakte. In betriebs- und tierdichten Gebieten sind Infektionen in
der näheren Umgebung eines Infektionsherdes möglich. Die Infektiosität eines Betriebes
beginnt in der Regel einige Tage nach der Erregereinschleppung, wenn sich der Erreger
innerhalb des Bestandes ausgebreitet hat. Die Infektiosität gilt als beendet, wenn sich
nach „Keulung“ keine infektiösen Tiere mehr auf dem Betrieb befinden. Durch Maßnah-
* Institut für Tierzucht und Tierhaltung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Olshausenstr. 40, 24098 Kiel, e-mail: [email protected]
272
Susanne Karsten und J. Krieter
men wie eine verbesserte Hygiene oder eine Verringerung der Betriebskontakte lässt
sich die Erregerausbreitung reduzieren. In den vergangenen Schweinepest-Epidemien
wurden die meisten Fälle durch den Landwirt oder Tierarzt aufgedeckt, die verdächtige Symptome bei den Tieren bemerkten. Da die Symptome jedoch gerade bei der
Schweinepest unspezifisch sein können wie z. B. Appetitlosigkeit, Fieber und Durchfall,
kann die Zeit zwischen Viruseinschleppung und Diagnose einige Tage oder gar Wochen
dauern.
Die im Falle eines Ausbruchs einzusetzenden Bekämpfungsmaßnahmen sind in der
EU-Richtlinie 2001/89/EG festgeschrieben (Anonymus, 2001). Der Seuchenbetrieb ist
so schnell wie möglich zu keulen, und im Umkreis von mindestens 3 bzw. 10 km sind
ein Sperr- und ein Beobachtungsgebiet mit eingeschränktem Verkehr einzurichten. Zusätzlich werden die Betriebskontakte eines Seuchenbetriebes für die Zeit seit der Infektion rückverfolgt und die gefundenen Verdachtsbetriebe unter Beobachtung gestellt. Je
nach Seuchenlage können diese Maßnahmen verschärft werden, indem die schweinehaltenden Betriebe im direkten Umkreis um einen Seuchenherd und die Kontaktbetriebe gekeult werden.
Um die Epidemie zu beschreiben, wurde die Monte Carlo-Methode angewandt, d.h.
das Eintreten verschiedener Ereignisse wird durch das Ziehen von Zufallszahlen bestimmt, die spezifischen Wahrscheinlichkeitsverteilungen folgen. Die Epidemie-Entwicklung wird in Zeitschritten von einem Tag dargestellt. Die Betriebe der untersuchten Region werden individuell mit ihrer geografischen Lage und den Bestandszahlen berücksichtigt. Je nach Einstufung eines Betriebes in die Zustände „empfänglich“, „infiziert“, „diagnostiziert“ oder „gekeult“ erfolgen verschiedene Aktionen wie Betriebskontakte oder Einsatz von Bekämpfungsmaßnahmen. Der Programmablauf ist in Abbildung 1 schematisch
dargestellt. Eine genauere Beschreibung des Modells findet sich bei Karsten et al. (2005a).
Als Ergebnis wird von dem Programm die Anzahl der infizierten, gekeulten und gesperrten Betriebe ausgegeben. Diese Angaben beziehen sich zum einen auf einen Tag innerhalb der Epidemie wie auch auf die gesamte Epidemie. Als weiteres wichtiges Merkmal wird die Epidemiedauer ausgerechnet. Zusätzlich wird für jeden infizierten Betrieb
der Zeitraum zwischen Infektion und Diagnose sowie der Infektionsweg angegeben. Dadurch ist es möglich, die Wirkung der verschiedenen Risikofaktoren und Bekämpfungsmaßnahmen auf diese Zielvariablen zu bestimmen. Bei Simulationen sind mehrere Wiederholungen für einen Parametersatz notwendig, die einen Überblick über mögliche
Epidemieverläufe geben. In dieser Auswertung wurden 100 Wiederholungen je Variante durchgeführt. Für diese Wiederholungen wurden Mittelwerte und 95 %-Konfidenzintervalle der Zielvariablen Epidemieumfang und -dauer bestimmt.
Das Modell wurde in C++ programmiert. Die Betriebsdaten stehen in einer Datenbank, mit der während der Programmausführung eine Verbindung besteht. Die Simulationsergebnisse werden ebenfalls in eine Datenbank geschrieben und stehen damit für
weitere Auswertungen zur Verfügung.
2.2 Datengrundlage
In dem entwickelten Modell werden die Betriebe einer Region individuell behandelt.
Durch die Angabe von (xy)-Koordinaten ist der genaue Standort eines Betriebes bekannt, und die Erregerausbreitung kann räumlich abgebildet werden. Wenn georeferenzierte Daten einer Region vorliegen, können diese eingelesen und somit regionale
Strukturen berücksichtigt werden. Ferner können die Bestandszahlen und der Betriebstyp einbezogen werden.
Für diese Untersuchung standen keine realen Betriebsdaten zur Verfügung. Basierend
auf den Ergebnissen der Viehzählung (Niedersächsisches Landesamt für Statistik, 1999)
wurde eine Beispielregion mit 2986 Betrieben und einer Dichte von 1,3 Betrieben je km2
Simulationsstudie zur Ausbreitung und Bekämpfung der Klassischen Schweinepest
273
Abb. 1. Schematische Darstellung des Programmablaufs
Exemplary process flow
erzeugt. Diese Betriebe wurden in Ferkelerzeugungsbetriebe, Kombibetriebe und Mastbetriebe aufgeteilt.
Zu Beginn einer Wiederholung befinden sich alle Betriebe in dem Zustand ‚empfänglich‘. Der Benutzer bestimmt mindestens einen Primärausbruch. Der Zustand des ausgewählten Betriebs wechselt zu ‚infiziert‘. Das Virus breitet sich von diesem Primärausbruch ausgehend über Betriebskontakte und lokale Ausbreitungsmechanismen aus. Die
betroffenen Betriebe wechseln ebenfalls in den Zustand ‚infiziert‘. Die mittlere Anzahl
an Betriebskontakten kann individuell für drei verschiedene Kontaktarten angegeben
werden. In Anlehnung an Nielen et al. (1996), Stärk (1998) und Karsten (2002, unveröffentlichte Ergebnisse) wurden Kontakte als Tierverkäufe, Fahrzeug- und Personenkontakte definiert. Die Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt basiert auf den Angaben
von Stegeman et al. (2002). Die Aufdeckung eines infizierten Betriebes (Zustand ‚diagnostiziert‘) erfolgt meistens aufgrund von klinischen Symptomen (Fritzemeier et al.,
2000). Durch die Unspezifität der Symptome der Schweinepest (z. B. Trägheit, Fressunlust, Fieber) müssen mehrere Tiere klinische Symptome zeigen, bevor der Landwirt
oder Tierarzt Verdacht schöpft. Aus diesem Grund wurde eine Herdeninkubationsperiode in dem Modell angenommen, die als die Zeit zwischen der Infektion eines Betriebs
274
Susanne Karsten und J. Krieter
Tab. 1. Annahmen für die epidemiologischen Parameter.
Assumed epidemiological parameters
Risikofaktor
Mittelwert
Anzahl Tierkontakte je Tag
Anzahl Fahrzeugkontakte je Tag
Anzahl Personenkontakte je Tag
Verteilung
0,21
(0,00)*
Poisson
0,30
(0,06)*
Poisson
0,40
(0,24)*
Poisson
Infektionswahrscheinlichkeit je Tierkontakt
0,753
Binomial
Infektionswahrscheinlichkeit je Fahrzeugkontakt
0,021
Binomial
Infektionswahrscheinlichkeit je Personenkontakt
0,017
Binomial
Zeit zwischen Infektion und Infektiosität eines Betriebs (Tage)
7
Normal
Inkubationszeit (Tage)
28
Lognormal
Diagnosewahrscheinlichkeit je Tag
Lokale Ausbreitungswahrscheinlichkeit je Tag in
Abhängigkeit von der Entfernung zum Seuchenherd
*
0,06
Binomial
0,0019 bis 0,014
Binomial
Die Angaben in Klammern beziehen sich auf gesperrte Betriebe
und dem Auftreten von Symptomen bei einer ausreichenden Anzahl von Tieren definiert wird. Am Tag nach der Diagnose erfolgt die Keulung des Betriebs. Um die Simulationen an deutsche Gegebenheiten anzupassen, wurden die Anteile der Infektionswege
an allen Infektionen an die Angaben von Fritzemeier et al. (2000) angeglichen. Eine
Auswahl der Inputdaten findet sich in Tabelle 1.
2.3 Statistische Auswertung
Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Programmpaket SAS (2003). Die Zielvariablen Epidemieumfang und –dauer waren nicht normalverteilt. Dies ist beispielhaft
für den Epidemieumfang in Abbildung 2 dargestellt. Mit Hilfe der Prozedur GENMOD
wurden eine Wahrscheinlichkeitsverteilung an die abhängigen Variablen angepasst und
die Mittelwerte und Konfidenzintervalle geschätzt.
2.4 Validierung
Die Gültigkeit der Ergebnisse eines Simulationsmodells hängt von der Korrektheit des
Modells und von den angenommenen Parametern ab. Mit der Validierung wird bestimmt, ob das Simulationsmodell das System annehmbar abbildet. Wenn weder Inputnoch Outputdaten für die Validierung zur Verfügung stehen, wie es bei Tierseuchen der
Fall ist, empfiehlt Kleijnen (1999) die Sensitivitätsanalyse. Hierbei wird die Reaktion
des Modells auf Parameteränderungen mit Expertenwissen verglichen. Wenn die Wirkung einer Faktoränderung mit der erwarteten Wirkung übereinstimmt, ist dies ein Indiz für die Gültigkeit des Modells. Für die sieben Risikofaktoren Anzahl Betriebskontakte, Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt, Zeit zwischen Auftreten von Symptomen bis
zur Aufdeckung, Betriebsdichte, Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Nachbarschaft, Zeit bis zur Infektiosität und Inkubationszeit wurde die Signifikanz für die Zielvariablen Epidemieumfang und Epidemiedauer anhand der Likelihood-Ratio-Statistik
Typ III bestimmt. Für jeden Risikofaktor wurden zwei Faktorstufen angenommen und
Simulationsstudie zur Ausbreitung und Bekämpfung der Klassischen Schweinepest
275
Abb. 2. Verteilung der Anzahl an Ausbrüchen je Epidemie unter der Annahme der Bekämpfungsmaßnahmen Keulung der Seuchen-, Kontakt- und Nachbarbetriebe und Sperre in
einem Radius von 10 km um einen Ausbruch
Distribution of the number of outbreaks during an epidemic under the assumption of culling of infected, neighbourhood and contact herds and movement control within a radius
of 10 km
diese nach einem speziell entwickelten Verfahren (fraktioniert faktorielles Design) kombiniert. Dieses Verfahren wird bei Karsten et al. (2005b) beschrieben. Die geschätzten
Kontraste zeigen die Wirkungsrichtung der einzelnen Faktoren.
3 Ergebnisse
3.1 Validierung
Bis auf die Zeit zwischen Infektion und Infektiosität eines Betriebes zeigten sich alle
Faktoren als signifikant (Tabelle 2). Die Effekte der Hauptfaktoren, die anhand der geschätzten Kontraste beschrieben wurden, stimmten mit den Erwartungen überein. Lediglich bei der Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Nachbarschaft eines Seuchenherdes wurden Unstimmigkeiten beobachtet, die mit dem zugrunde liegenden simulierten Datensatz oder einer Interaktion zwischen dem Risikofaktor und den angenommenen Bekämpfungsmaßnahmen erklärt werden können. Von den untersuchten Zwei-Faktor-Interaktionen erwiesen sich vor allem die Interaktionen der Diagnosewahrscheinlichkeit mit der Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt, der Inkubationsperiode und
der Anzahl an täglichen Kontakten als signifikant. Dies verdeutlicht die Bedeutung einer hohen Wachsamkeit und einer schnellen Reaktion der Landwirte und Tierärzte insbesondere bei einer langen Inkubationsperiode, vielen täglichen Betriebskontakten und
einer hohen Infektiosität der Kontakte.
3.2 Wirkung der Bekämpfungsmaßnahmen
Für die Analyse der Wirkung verschiedener Bekämpfungsstrategien wurden die Bekämpfungsmaßnahmen Keulung der infizierten Betriebe am Tag nach der Aufdeckung,
276
Susanne Karsten und J. Krieter
Tab. 2. Signifikanzen der Risikofaktoren für die mittlere Anzahl an Ausbrüchen und die mittlere
Epidemiedauer und geschätzte Kontraste
Significance of risk factors on epidemic size and epidemic duration and estimated contrast
co-efficients
Risikofaktor
Epidemieumfang
Signifikanz Kontrast
Tage von Infektion bis Infektiosität
0,211
– 0,06
Anzahl Betriebskontakte/ Tag
<0,001
Infektionswahrscheinlichkeit/ Kontakt
<0,001
Lokale Ausbreitungswahrscheinlichkeit
Epidemiedauer
Signifikanz Kontrast
0,07
– 0,05
1,35
<0,01
– 0,09
4,53
<0,001
1,31
<0,001
– 0,31
<0,001
– 0,18
Inkubationszeit (Tage)
<0,001
0,56
<0,001
0,11
Diagnosewahrscheinlichkeit/ Tag
<0,001
– 0,34
<0,001
– 0,08
Betriebsdichte
<0,001
0,30
<0,001
0,08
Tab. 3. Einfluss verschiedener Bekämpfungsstrategien auf den mittleren Epidemieumfang, das
95 %-Konfidenzintervall und die mittlere Anzahl an gesperrten und gekeulten Betrieben
Mean number of outbreaks (x–), culled and restricted farms during one epidemic depending
on the applied control strategy and on farm type infected first
Bekämpfungsstrategie
x–
Anzahl an Ausbrüchen
95%-KI
Min
Max
Betriebe
gekeult gesperrt
Dauer
(Tage)
Primärausbruch auf Kombibetrieb
SO
SO+PK
SO+TR
SO+Sp
SO+Sp+PK
SO+Sp+TR
SO+Sp+PK+TR
531,6
81,1
153,0
7,6
5,9
5,8
5,0
337,4 – 837,4
54,3 – 121,2
103,1 – 227,1
6,0 – 9,7
4,7 – 7,3
4,7 – 7,3
4,1 – 6,1
1
1
1
1
1
1
1
2726
1039
1716
58
43
53
35
506,5
237,7
157,7
7,6
25,0
6,2
21,1
0
0
0
930,6
862,4
863,7
802,5
239,9
154,1
81,6
90,7
80,9
81,6
69,7
2
2
2
1
2
2
1
2764
1095
1592
100
77
58
35
1295,3
722,4
163,8
16,5
60,5
9,6
35,1
0
0
0
1668,1
1628,4
1414,4
1328,0
441,0
332,4
246,4
130,3
107,7
86,7
70,5
Primärausbruch auf Ferkelerzeugungsbetrieb
SO
SO+PK
SO+TR
SO+Sp
SO+Sp+PK
SO+Sp+TR
SO+Sp+PK+TR
1328,2
245,3
159,4
16,5
15,4
9,3
8,3
933,9 – 1888,8
178,2 – 337,5
113,0 – 224,9
13,8 – 19,6
13,0 – 18,2
8,0 – 10,9
7,2 – 9,6
KI = Konfidenzintervall, SO = Stamping-out der infizierten Betriebe, PK = Präventivkeulung innerhalb der 1000 m-Zone, Sp = Sperrmaßnahmen innerhalb der 10 km-Zone, TR = Tierkontaktrückverfolgung mit nachfolgender Keulung
Sperrmaßnahmen im Gesamtradius von 10 km, Rückverfolgung der Tierkontakte mit
nachfolgender Keulung der Tiere in den Verdachtsbetrieben und in allen schweinehaltenden Betrieben im Umkreis von einem km. Der mittlere Epidemieumfang in Abhängigkeit von der Bekämpfung lässt sich aus Tabelle 3 ablesen. Die Einrichtung eines
Sperrbezirks und Beobachtungsgebiets (Maßnahme ‚Sp‘) hatte die größte Wirkung auf
den mittleren Epidemieumfang. Die zusätzliche Keulung im direkten Umkreis (‚PK‘) re-
Simulationsstudie zur Ausbreitung und Bekämpfung der Klassischen Schweinepest
277
duzierte geringfügig die Anzahl an infizierten Betrieben, führte jedoch zu einer starken
Erhöhung der Gesamtzahl an gekeulten Betrieben. Den größten Effekt auf die Epidemiedauer hatte ebenfalls die Einrichtung eines Sperrbezirks und Beobachtungsgebiets.
Durch die zusätzliche Keulung von Nachbarbetrieben wurde die mittlere Epidemiedauer weiter verkürzt.
Der Effekt der Tierkontaktrückverfolgung wurde von dem Betriebstyp des Primärausbruchs beeinflusst. Wenn die Erregereinschleppung in einen Ferkelerzeugerbetrieb erfolgte, führte die Tierkontaktrückverfolgung mit nachfolgender Keulung der Kontaktbetriebe zu einer erheblichen Abnahme des mittleren Epidemieumfangs und der Epidemiedauer. Bei einem Primärausbruch auf einem Kombibetrieb war die Präventivkeulung
im Umkreis um einen Seuchenherd die bessere Ergänzung zu den Sperrmaßnahmen.
Dies lässt sich durch das große Risiko der Erregerausbreitung durch Ferkelerzeuger infolge des Verkaufs infizierter Ferkel erklären.
Als weitere Fragestellung wurde untersucht, welche Auswirkungen einer zügigen
oder verzögerten Rückverfolgung von Tierkontakten zu erwarten sind. Hierfür wurden
die Parameter so variiert, dass alle Tierkontakte eines Ferkelerzeugers mit infiziertem
Bestand innerhalb von einem, drei oder fünf Tagen nach der Aufdeckung des Betriebs
rückverfolgt und ausfindig gemacht wurden. Wie in Abbildung 3 erkennbar, führte eine
schnellere Rückverfolgung zu einer Abnahme der mittleren Anzahl an Ausbrüchen. Dieser positive Effekt einer beschleunigten Rückverfolgung war reduziert, wenn mit dem
Einsatz von Sperrmaßnahmen und Präventivkeulung bereits sehr effiziente Bekämpfungsmaßnahmen zum Einsatz kamen.
Abb. 3. Einfluss einer schnellen Rückverfolgung von Tierkontakten auf den mittleren Epidemieumfang in Abhängigkeit vom Betriebstyp des Primärausbruchs und unter Annahme von
Stamping-out, Sperre, Präventivkeulung und Rückverfolgung der Tierkontakte
Influence of different contact tracing efficiencies on the mean number of outbreaks assuming stamping-out infected, traced and neighbourhood farms and movement control and
depending on farm type infected first
4 Diskussion
Das entwickelte Simulationsprogramm dient der Abbildung von Tierseuchen. Mit Hilfe
von Simulationsmodellen lässt sich die Wirkung von Parameteränderungen (z. B. Dauer
zwischen Auftreten von Symptomen und Diagnose, Infektiosität des Virus) und ver-
278
Susanne Karsten und J. Krieter
schiedener Bekämpfungsstrategien auf den Epidemieverlauf untersuchen. Das Abbilden
oder Vorhersagen einer realen Epidemie ist nicht möglich, jedoch lassen sich Bekämpfungsmaßnahmen im Vorfeld von Epidemien evaluieren und Entscheidungen während
eines Seuchenzuges unterstützen. Jalvingh et al. (1999) bildeten näherungsweise den
Seuchenzug 1997/98 in den Niederlanden ab, indem sie den Median ihrer Simulationsergebnisse an den damaligen Epidemieumfang anpassten. Allerdings konnten sie nicht
die Anzahlen an gekeulten und gesperrten Betrieben und die Anteile der Infektionswege mit den erfassten Daten in Übereinstimmung bringen. Dennoch lassen sich aus den
Ergebnissen allgemeine Schlussfolgerungen ziehen, die beispielsweise in der zukünftigen Seuchenbekämpfung oder in der Risikoabschätzung genutzt werden können. In der
vorliegenden Untersuchung wurde die Bedeutung der Infektionswege an die in epidemiologischen Studien erfassten Anteile angepasst und somit eine Verknüpfung zu Epidemien in Deutschland hergestellt.
Die Reaktion des Modells auf Parameteränderungen stimmte mit den Erwartungen
überein. Dies ist ein Zeichen für die Gültigkeit des Modells und zeigt, dass das entwickelte Modell zur Evaluierung von Risikofaktoren und Bekämpfungsmaßnahmen angewendet werden kann. Die Validierung erfolgte jedoch unter Annahme einer gleichen Bekämpfungsstrategie, so dass eine mögliche Interaktion zwischen Risikofaktor und Bekämpfungsmaßnahme nicht berücksichtigt werden konnte.
In der Beurteilung verschiedener Bekämpfungsstrategien sollte nicht nur die Anzahl
infizierter Betriebe berücksichtigt werden, sondern auch die der gekeulten und von
Sperrmaßnahmen betroffenen Betriebe und Tiere. Die Ergebnisse lassen erkennen, dass
die Präventivkeulung zur Tötung vieler gesunder Tiere führt, der zusätzliche Nutzen jedoch nur gering ist. In dieser Untersuchung wurde das Modell für eine Region eingesetzt, deren Betriebe zufällig in einer Region verteilt waren. In einer Region mit einer
geclusterten Betriebsverteilung könnte der Effekt der Präventivkeulung größer sein.
Nach de Klerk (2002) können Sperrmaßnahmen ebenfalls zur Tötung gesunder Tiere
führen, wenn die Ställe in Restriktionsgebieten überfüllt sind. Als Alternative zur Präventivkeulung wird die Impfung diskutiert. In der EU ist die Impfung gegen die Klassische Schweinepest und gegen die Maul- und Klauenseuche nur nach Zustimmung durch
die Europäische Kommission erlaubt. Da das Fleisch geimpfter Tiere vom Handel ausgeschlossen ist und die Unterscheidung zwischen geimpften und vom Feldvirus infizierten
Tieren derzeit noch nicht möglich ist, würden die geimpften Tiere nach Abschluss der
Epidemie ebenfalls gekeult werden. Der Einsatz von Markerimpfstoffen soll zukünftig
dieses Problem lösen. Mangen et al. (2001) verglichen in einer Simulationsstudie den
Einsatz der Impfung mit der Präventivkeulung und leiteten aus ihren Ergebnissen ab,
dass die Impfung nur dann empfohlen werden kann, wenn das Fleisch der geimpften
Tiere zumindest innerhalb der EU gehandelt werden darf. Für die in der vorliegenden
Untersuchung angenommenen Bedingungen reichten in den meisten Fällen die derzeit
in der EU-Richtlinie 89/2001/EG (Anonymus, 2001) vorgeschriebenen Maßnahmen
aus, um eine Schweinepest-Epidemie zu tilgen.
Saatkamp et al. (1996) untersuchten die Wirkungen verschiedener Tierkontaktrückverfolgungssysteme mit Hilfe eines Simulationsmodells und berichteten von einem Einfluss der Bekämpfungsstrategie auf den zu erwartenden Erfolg einer verbesserten Tierkontaktrückverfolgung. Dies bestätigt das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung,
dass bei einer effizienten Bekämpfungsstrategie eine weitere Verbesserung der Kontaktrückverfolgung nur noch einen geringen Effekt hat.
5 Schlussfolgerungen für die Praxis
In Simulationsprogrammen können die angenommenen Risikofaktoren variiert und
auch nicht zugelassene Bekämpfungsmaßnahmen eingesetzt und evaluiert werden.
Deshalb ist das Simulationsprogramm für Schulungszwecke und Demonstrationen gut
Simulationsstudie zur Ausbreitung und Bekämpfung der Klassischen Schweinepest
279
geeignet. Es wird beispielsweise sehr deutlich, welche Auswirkungen Verzögerungen in
der Rückverfolgung von Kontakten haben können. Durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Gegebenheiten und regionaler Strukturen lassen sich Schlussfolgerungen
für einzelne Regionen ziehen. Hierdurch lassen sich schon vor dem Ausbruch einer
neuen Schweinepest-Epidemie Vorkehrungen treffen. Daneben können ‚worst-case‘Szenarien betrachtet werden. Durch den Einsatz von Simulationsmodellen ist es möglich, auch Alternativen wie die Impfung zu testen, die in Feldversuchen nicht möglich
wären.
Zusammenfassung
In der vorliegenden Untersuchung wurde mit Hilfe eines Simulationsprogramms der
Einfluss verschiedener Risikofaktoren auf den mittleren Umfang einer SchweinepestEpidemie analysiert. Die untersuchten Faktoren Anzahl täglicher Betriebskontakte, Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt, Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der nahen
Umgebung eines Seuchenherdes, tägliche Wahrscheinlichkeit der Diagnose eines Ausbruchs, Inkubationszeit sowie Betriebsdichte hatten einen signifikanten Einfluss auf den
Epidemieverlauf. Es wurden verschiedene Bekämpfungsmaßnahmen (Keulung der infizierten Betriebe, Sperrmaßnahmen, Tierkontaktrückverfolgung mit nachfolgender Keulung der Verdachtsbetriebe, Präventivkeulung) hinsichtlich ihres Effektes auf die Anzahl
der infizierten, gekeulten und gesperrten Betriebe während einer Schweinepest-Epidemie verglichen. Für die zugrunde gelegte Region waren die Keulung der infizierten
Betriebe, Sperrmaßnahmen im 10 km-Radius sowie die Rückverfolgung von Tierkontakten in den meisten Fällen ausreichend, um die Epidemie unter Kontrolle zu bekommen.
Die Effizienz in der Kontaktrückverfolgung hatte einen Einfluss auf die Anzahl der infizierten Betriebe. Dabei war der Effekt einer schnelleren Rückverfolgung deutlicher,
wenn der Primärausbruch auf einem Ferkelerzeugerbetrieb auftrat und wenn keine
Präventivkeulung in der Umgebung eines Seuchenherdes eingesetzt wurde. Das Simulationsprogramm lässt sich für Schulungszwecke in der Tierseuchenbekämpfung sowie
zur Risikoabschätzung für verschiedene Regionen und Gegebenheiten einsetzen.
Schlüsselwörter: Klassische Schweinepest, Epidemie, Simulation, Modell, Bekämpfungsmaßnahmen, Kontaktrückverfolgung
Literatur
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Danksagung
Wir danken Dr. J. Teuffert und Dr. Matthias Kramer für die hilfreichen Diskussionen.
Simulation study on the spread and control of classical swine fever
by Susanne Karsten und J. Krieter
The impact of different risk factos on the size of classical swine fever epidemic was
analysed. The number of daily farm contacts, the probability of infection after contact,
the probability of local spread, the daily probability of detection of an outbreak, the
incubation period as well as the farm density had a significant influence on disease
development. The control measures stamping-out infected farms, movement restriction, contact tracing with pre-emptive slaughter of the contact farms and pre-emptive
slaughter within 1 km of the outbreak were compared with regard on their effect on
the number of infected, restricted and culled farms. For the region under observation
stamping-out infected farms, movement restrictions and contact tracing were sufficient to keep the epidemic under control. The efficiency in contact tracing had an
impact on the number of infected farms. The effect of a more rapid contact tracing
was larger when the primary outbreak had occurred on a farrowing farm or when just
stamping-out was implemented but no movement restrictions and pre-emptive
slaughter. The simulation program may be used as a teaching tool in disease control
and for risk analysis considering different regions or situations.
Keywords: classical swine fever, epidemie, disease control, simulation, contact tracing
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