Soul Psychologie Geht es meinem Kind gut? Der kleinen Seele früh und gezielt helfen kinder Stark machen Good News: 80 von 100 Kindern entwickeln sich seelisch normal. Und doch fragen sich viele Eltern immer mal, ob beim eigenen Nachwuchs etwas nicht stimmt. Es gibt Warnzeichen. Wer sie kennt, kann rechtzeitig Hilfe suchen Logo! Natürlich liebst du deine Kinder, dein Kind über alles. Doch gerade weil diese Bindung so eng ist, fällt es ja oft so schwer, sich keine Sorgen zu machen. Liegt es am tollen Wetter, dass dein Sohn bei den Hausaufgaben nicht still sitzt – oder ist das ein Anzeichen von AD(H)S? Ist es „normal“, wenn sich deine Tochter in letzter Zeit nicht mehr mit ihren Freundinnen trifft – oder entwickelt sich da vielleicht eine Depression? Was Kinderseelen stark macht feel go d-Experte Dr. Bodo Müller, Ärzt- experte licher Direktor und Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im St. Marien-Hospital in Düren, weiß, wie viele Gedanken sich Eltern machen. „Aber man kann seinem Kind nicht zu viel Liebe geben“, sagt er. „Im Gegenteil – es ist so entscheidend, dass Eltern ihrem Kind von Anfang an zeigen: Wir sind für dich da. Du bist uns wichtig.“ Denn genau das macht die Kinderseele stark. DR. BODO MÜLLER, 50, leitet in Düren die Kinderund Jugendpsychiatrie am St. Marien-Hospital und arbeitet für die Stiftung „Achtung! Kinderseele“ Was noch? „Feste gemeinsame Zeiten, zusammen essen, regelmäßig als Familie etwas unternehmen“, zählt Müller auf. „Wichtig ist außerdem, dass die Eltern sehen, wo ihr Kind Stärken hat. Ist die Mama Musikerin oder der Papa Fußballer, muss es das nicht unbedingt auch können und wollen. Bitte nicht schon in der Kita Leistungsdruck aufbauen.“ Den spüren viele Kinder auch so. Sie müssen ihren Weg in einer Welt finden, die unendlich viel bietet. Sie brauchen eine stabile Homebase. Doch die bröckelt oft, weil sich so viele Eltern trennen. „Umso schöner, dass sich 80 von 100 Kindern normal entwickeln“, findet Müller. „Umso wichtiger müssen uns aber auch die Kinder sein, die psychische Störungen entwickeln. Das ist nichts Schlimmes! Sie sind nicht ‚bekloppt‘ oder ‚verrückt‘. Sie haben umschriebene Probleme, die sie umso besser bewältigen, je eher Eltern, die spüren, dass da etwas nicht Kindermedizin stimmt, Hilfe suchen.“ Einfach heraustrennen Grosse Serie: und sammeln! Soul Ängste Was du erlebst: Jeden Morgen Übelkeit und Tränen vor der Schule. Was dein Kind sagt: „Nein, Mama! Bitte, bitte geh nicht weg!“ sich trennen Ein wichtiger Entwicklungsschritt, den Kinder etwa mit drei schaffen sollten. „Angst ist ein natürliches Gefühl und insofern normal“, erklärt Dr. Bodo Müller. Doch von hundert 7- bis 16-Jährigen entwickeln etwa zehn Angststörungen. „Diese lassen sich aber am besten behandeln“, ermutigt unser Experte. Bleib gelassen: Es ist okay, wenn sich dein Kind fürchtet vor Trennung und Verletzung (1. Lebensjahr), dem Tod und Einbrechern (2. Lebensjahr), Tieren und Alleinsein (3. Lebensjahr), Dunkelheit (mit 4), Schule, Gewitter, Krankheit, sozialen Situationen (6–12), Krankheit, Verletzung, sozialen Situationen, Sexualität (13–18). Lasst euch helfen: „Nehmen wir als Beispiel die Trennungsangst“, sagt Dr. Bodo Müller. „Sie sollte sich verlieren, wenn das Kind in die Kita kommt.“ Eine gute Vorbereitung: Dein Kind schläft nachts im eigenen Zimmer. „Klappt die Trennung trotz Eingewöhnung in der Kita nur unter massiver Anspannung und kommen beim Kind körperliche Beschwerden wie Erbrechen oder Übelkeit hinzu, sollten Eltern Rat und Hilfe suchen.“ Nicht immer sagen Kinder, dass sie Angst haben. „Manche haben z. B. immer sonntagabends Bauchschmerzen – und wissen nicht, wieso“, weiß Müller. „Im Gespräch mit einem Psychiater oder Psychologen stellt sich dann meist schnell raus, dass es an der Schule liegt, die montags losgeht.“ Ist dein Kind acht oder älter, kann seine Angst Panikattacken auslösen. „Auch isolierte Phobien, etwa vor Hunden, gibt es“, so Müller. „Manche Kinder können auch nicht vor anderen Menschen sprechen. Solche sozialen Ängste hängen oft mit anderen Problemen zusammen, z. B. einer Essstörung.“ (S. Seite 44) Ob ihr Hilfe braucht, findest du am besten heraus, indem du dich fragst: Schränkt die Angst deines Kindes euren Alltag so stark ein, dass ihr darunter leidet? So geht’s weiter: In der Verhaltenstherapie spricht dein Kind über seine Angst, sucht Situationen, die sie auslösen, bewusst auf, damit es lernt, sie auszuhalten. „Oft reichen schon vier bis sechs Termine, bis erste Erfolge eintreten“, ermutigt Müller. Medikamente (Antidepressiva) werden nur bei sehr starken Ängsten ergänzend verschrieben. 8 Fragen bringen Klarheit Du machst dir Sorgen um die Seele deines Kindes? Diese Checkliste hilft dir, die Situation richtig einzuordnen 2 3 4 42 Seit wann ist dein Kind verändert? Besteht eine Auffälligkeit über viele Tage oder Wochen fort, kann dahinter eine ernste Störung stecken. Ist dir die Veränderung schon mal aufgefallen? Hast du das Gefühl, dass sie phasenweise auftritt, solltest du mit dem Kinderarzt darüber sprechen. Wie häufig tritt die Veränderung auf? Siehe Frage 2. Führe eine Zeit lang Buch darüber. Das hilft auch dem Kinderarzt. Wie belastend ist das Ganze für dich und dein Kind? Ordne euch beide am besten auf einer Skala von eins (kaum belastend) bis zehn (maximal belastend) ein. feel go d 5 6 8 Ziehen sich andere deswegen von dir und/oder deinem Kind zurück? Das Gefühl, wegen eines „Makels“ ausgegrenzt zu werden, bedrückt zusätzlich. Was hilft deinem Kind? Das weißt du am besten. Greifen diese Maßnahmen noch? Eher nicht? Dann lasst euch beraten. Raten euch Außenstehende, zum Arzt zu gehen? Höre auf diese Menschen. Sie bemerken manchmal Dinge, die du so als Mutter nicht wahrnimmst. Glaubst du selbst, dass ihr Hilfe braucht? Vertrau diesem Bauchgefühl – und bitte z. B. den Kinderarzt um einen Gesprächstermin. vertrauen Eine sichere Bindung schützt die Seele deines Kind am besten. AD(H)S Was du erlebst: Dein Kind sitzt nie still und ist sehr leicht ablenkbar. Was dein Kind sagt: „Mama, in der Schule kann ich gar nichts.“ „Kinder müssen Grenzen und sich selbst austesten, dürfen lebendig sein“, sagt Dr. Bodo Müller. „Aber z. B. in der Kita oder in der Schule müssen sie lernen, sich anzupassen. Fällt das sehr schwer, sollten Eltern genauer hinschauen.“ Bleib gelassen: „Die Häufigkeit von AD(H)S, der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, hat nicht so stark zugenommen, wie einige Eltern das vielleicht vermuten“, beruhigt Müller. „Außerdem sollten sie bedenken, dass Depression Was du erlebst: Dein Kind zieht sich zurück, wirkt mut- und hoffnungslos. Was dein Kind sagt: „Mama, ich hab auf gar nichts mehr Lust.“ Jedes Kind trauert, wenn sich z. B. das Lieblingsspielzeug nicht mehr reparieren lässt. Jeder Teenager hat mal „keinen Bock“. Doch halten Lustlosigkeit und/oder Traurigkeit länger als 14 Tage an, sollten Eltern hellhörig werden. Bleib gelassen: „Wie die Angst ist auch die Traurigkeit ein normales Gefühl“, sagt Dr. Müller. „Aber Kinder und Teenager sind eigentlich sehr gut darin, sich davon ablenken zu lassen.“ Und sich gerade Aufmerksamkeit und Motorik enorm entwickeln. Das verläuft von Kind zu Kind sehr verschieden.“ Zwei Dinge findet Müller aber durchweg wichtig: Beide Elternteile sollten beim Erziehen möglichst an einem Strang ziehen. Und: „Der Medienkonsum muss klar geregelt sein“, rät er. „Für Kinder unter drei Jahren sind Fernseher, Smartphones oder Tablets ungeeignet.“ Lasst euch helfen: Und zwar, wenn dein Kind nicht „nur“ zu Hause, sondern auch woanders, z. B. in der Kita, Schule, im Urlaub oder im Sportverein, leicht ablenkbar ist (Aufmerksamkeit), sich selten an Regeln hält (Impulsivität) und einen starken Bewegungsdrang (Hyperaktivität) zeigt. „Ist das nicht der Fall, darf ADHS nicht diagnostiziert werden“, betont Müller. „Es müssen auch Informationen von Personen außerhalb der Familie eingeholt werden. solange das gelingt, musst du dir keine Gedanken machen. „Auch bei einem Kind, das in der Schule gerade gemobbt wird und deshalb traurig wirkt, dem es aber in den Ferien gut geht, würde ich nicht von einer depressiven Störung sprechen“, erklärt Müller. Lasst euch helfen: Kannst du dein Kind nur sehr schwer oder gar nicht von seiner Traurigkeit ablenken und hält diese schon länger als 14 Tage an, solltest du mit seinem Arzt darüber sprechen. „Verlieren Kinder das Interesse an Dingen, die ihnen vorher Spaß gemacht haben, wirken sie antriebslos, gereizt oder zurückgezogen, spricht das ebenfalls für eine depressive Episode“, zählt der Fachmann auf. „Hinzu kommen häufig ein vermindertes Selbstwertgefühl, Konzentrationsprobleme, pessimistische Zukunftsgedanken, Schuldgefühle, Schlafstörungen sowie ein gesteigerter oder ein verminderter Appetit. Das ist Erzieher und Lehrer beobachten zunehmend genauer. Solche Hinweise sollten Eltern unbedingt ernst nehmen.“ So geht’s weiter: Zuerst werdet ihr – du, dein Partner und dein Kind – genau über AD(H)S informiert. „Wir brauchen die Eltern bei allen seelischen Erkrankungen als CoTherapeuten“, erklärt Müller. Gemeinsam überlegt ihr, wie ihr den Alltag klarer strukturieren könnt. „Die Spielkonsole gibt es z. B. nur noch am Wochenende“, schlägt der Arzt vor. Auch für Schule oder Kita werden Verhaltenspläne erarbeitet. In speziellen Elterntrainings lernt ihr, wie ihr eurem Kind helfen könnt. „Wenn alle diese Maßnahmen nicht greifen und die Belastung weiterhin groß ist, kommen Medikamente wie ,Ritalin‘ zum Einsatz“, sagt Müller. „Spätesten nach einem Jahr sollten Auslassversuche erfolgen.“ nicht ,einfach mal keinen Bock haben‘. Von manchen Betroffenen wird das wie ein massiver Schmerz beschrieben. Deshalb sollten Eltern frühzeitig reagieren.“ So geht’s weiter: Kognitive Umstrukturierung. Klingt kompliziert. „Das bedeutet, dass wir versuchen, die sehr negativen Gedankenschleifen der Kinder wieder in eine positive Richtung zu lenken“, sagt Müller. „Außerdem sollen sie mehr Sport treiben, weil er mit Erfolgserlebnissen verbunden ist und das Selbstvertrauen steigert. Wichtig ist auch, dass die Kinder regelmäßig rausgehen, weil UV-Licht die Stimmung hebt. Und zur Therapie gehört, dass die Kinder wieder soziale Kontakte aufnehmen.“ Medikamente (Antidepressiva) helfen zwar sehr gut. „Aber sie kommen nie allein zum Einsatz“, sagt Müller. „Das wäre nicht im Sinne des Kindes.“ grenzen testen Wie weit kann und darf ich gehen? Das müssen alle Kinder ausloten. feel go d 43 Soul Essstörungen Was du erlebst: Fragst du dein Kind, warum es kaum noch isst, reagiert es extrem gereizt. Was dein Kind sagt: „Mama, ich hab das im Griff.“ ess ich nicht Kinder bevorzugen Lebensmittel, die sie kennen und die schnell satt machen. Die Pubertät ist mit großen körperlichen Veränderungen verbunden. Mädchen werden langsam zu Frauen, Jungen zu Männern. „Diäten wie FdH sollten in dieser Zeit von Eltern nicht vorgelebt werden“, warnt Dr. Müller. Bleib gelassen: In der Pubertät – weißt du noch? – dreht sich alles um die Frage: Wer will ich sein? Wie der eigene Körper aussieht und aussehen sollte, wird super- wichtig. Sich von seinen Eltern abzugrenzen natürlich auch. Schrille Klamotten, Make-up wie Lady Gaga, Dreadlocks? Normal. Dein Kind ist launisch, unberechenbar, unvernünftig? Auch normal. In seinem Gehirn sieht es nämlich gerade aus wie auf einer Großbaustelle. Lasst euch helfen: Von 100 normalgewichtigen 15-jährigen Mädchen finden sich 50 zu dick. „Mitbedingt durch unser Schönheitsideal“, weiß Dr. Müller. „Aber jede Diät birgt in diesem Alter das Risiko, dass sich eine Essstörung entwickelt.“ Hast du den Eindruck, dass dein Kind – zwar trifft es Mädchen öfter, aber auch bei Jungen kommen Essstörungen vor – mit den Veränderungen seines Körpers nicht gut zurechtkommt, beobachte sein Ernährungsverhalten. „Es beginnt meist damit, dass bestimmte Lebensmittel (z. B. Süßes) oder ganze Mahlzeiten weggelassen werden“, sagt Müller. „Die Jugendlichen wollen vermehrt allein oder in ihrem Wer hilft wie? Psychiater, Psychologe, Psychotherapeut – puh, ganz schön verwirrend. Wer wie behandelt: Fotos: istockphoto (5), shutterstock, Fotolia Kinderpsychologen 44 haben Psychologie studiert, sich also intensiv mit dem Verhalten und Erleben von Kindern befasst und kennen sich sehr gut aus mit IQ- und Persönlichkeitstests. Sie führen häufig die Diagnostik durch und bieten auch psychologische Beratung (keine kassenzugelassene Therapie) an. Medikamente dürfen sie nicht verordnen. Kinderpsychiater haben Medizin studiert und danach den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie gemacht. Sie dürfen Medikamente, z. B. Antidepressiva, verschreiben und bieten in ihrer eigenen Praxis oder an Kliniken auch Psychotherapie an. Beides wird von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Mehr Infos online unter bkjpp.de Psychologische Psychotherapeuten haben auch Psychologie studiert, danach eine mehrjährige Therapieausbildung absolviert und wurden anschließend staatlich zugelassen. Sie arbeiten oft eng mit Kinderärzten zusammen und bieten verschiedene psychotherapeutische Verfahren an (z. B. kognitive Verhaltenstherapie), die auch von den Krankenkassen bezahlt werden. Infos unter vpp.org feel go d Zimmer essen. Will die Familie ins Restaurant, gehen sie nicht mit oder essen z. B. nur Nudeln oder Salat.“ Vielleicht treiben sie auch sehr viel Sport und/oder werden in der Schule deutlich besser. Das macht es so schwer, mit ihnen zu reden. „Sie erleben ja Erfolge, können ihr Gewicht steuern. Das wollen sie sich nicht mehr nehmen lassen“, erklärt Müller. Es ist wie eine Sucht. So geht’s weiter: Nutze die Vorsorgeuntersuchungen J1 und J2. Da wird gemessen und gewogen. Bei kritischen Werten hilft eine stationäre Therapie. „An erster Stelle steht die Gewichtsnormalisierung“, erklärt Müller. „Erst wenn die geschafft ist, lernen die Betroffenen in der Psychotherapie, dass sich ein Mensch nicht nur über Äußerlichkeiten definiert. Das dauert oft lange. Daher: Je früher Eltern Hilfe suchen, desto größer die Erfolgsaussichten.“ „Achtung! Kinderseele“ Seelische Auffälligkeiten bei Kindern früher erkennen und besser bewältigen, so lautet das Ziel der Stiftung „Achtung! Kinderseele“, die 2009 von drei ärztlichen Fachgesellschaften gegründet wurde. Auch unser Experte Dr. Bodo Müller arbeitet ehrenamtlich für sie. Infos: achtung-kinderseele.org oder Tel. 040/320 88 30 25, Spendenkonto: HST Hanse StiftungsTreuhand GmbH, IBAN: DE54 2004 0000 0333 9991 00. BUCH-TIPP EINFÜHLSAM schildert Prof. Michael Schulte-Markwort, wie und welche „Kindersorgen“ noch auftreten können (Droemer, 368 Seiten, 19,99 Euro).