Allgemeine Psychologie II Vorlesung 2 Prof. Dr. Björn Rasch, Cognitive Biopsychology and Methods University of Fribourg 1 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Allgemeine Psychologie II Woche Datum Thema 1 1 22.2.16 Langezeitgedächtnis II 2 25.2.15 Denken I 3 3.3.15 Denken II 4 10.3.15 Sprache I 5 17.3.15 Sprache II 6 24.3.15 Emotion I 31.3.15 ---fällt aus –(Osterferien) 7 7.4.15 Emotion II 8 14.4.15 Emotion III 9 21.4.15 Emotion IV 10 28.4.15 Motivation I 5.5.15 ---fällt aus --- (Auffahrt) 11 12.5.15 Motivation II 12 19.5.15 Volition 26.5.15 ---fällt aus --- (Fronleichnam) 2.6.15 Zusammenfassung und Fragen 13 2 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Gedächtnissysteme Hippokampus notwendig für Enkodierung Hippokampus nicht notwendig für Enkodierung Squire & Zola, 1996 3 Björn Rasch 02.03.16 Deklaratives Gedächtnis } Wie kann das deklarative Gedächtnis gleichzeitig schnell lernen und lange speichern? } Das 2-Speicher Modell } Schnell-lernendes Netzwerk } Schnelles Speichern } Schnelles Vergessen ¨ } Häufiges Training erforderlich ¨ } Reaktivierung Integration / Abstraktion Langfristige Speicherung ¨ } Übergangsspeicher Hippokampus Hippokampus Langsam lernendes Netzwerk } Erlebte Erinnerungsepisoden Neokortex Übergang von Übergangsspeicher (Hippokampus) in Langzeitspeicher (Neokortex) durch wiederholte Reaktivierung Langzeitspeicher Neokortex Marr et al., 1971 Rasch & Born, 2008 4 Prof. Dr. Björn Rasch 02.03.16 Deklaratives Gedächtnis Abrufprozesse } } Freie Reproduktion (free recall) } } } } Freies Abrufen der gelernten Information Bsp.: Liste von vorher gesehenen Worten aufschreiben Unterstützte Reproduktion (cued recall) } Präsentation eines Abrufhinweises (retrieval cue) erleichtert Abruf } Bsp.:Anfangsbuchstabe, erstes Wort beim Lernen von Wortpaaren (Vokabeln) Wiedererkennen (Recognition) } Präsentation von alten und neuen Informationen (Old vs. New) ¨ ¨ ¨ } Unterschiede in den Abrufprozessen } Gedächtnisleistung: Free recall < cued recall < recognition } Free / cued recall erfordern „Finden“ der Information im LZG, recognition nicht ¨ ¨ 5 Wiedererkennen basiert auf zwei verschiedenen Prozessen: Recollection: Wirkliches Erinnern der „alten“ Information Familiarity: stärkeres Bekanntheitsgefühl beim Sehen der „alten“ Information“ Häufiges Problem: Information im LZG gespeichert, kann aber nicht abgerufen werden „Blockierung“ der Information, Bsp.: Tip-of-the-Tongue Phänomen Allg. 1 Björn Rasch Unifr 02.03.16 Deklaratives Gedächtnis Kontexteffekte (state-dependent learning) } } Räumlich-zeitlicher Kontext bei Enkodierung mit abgespeichert } } Teil der episodischen Gedächtnisspur Je stärker die Übereinstimmung von Enkodierungs-und Abrufkontext, desto besser der Abruf } Encoding specificity principle (E.Tulving) ¨ } Cues, die während der Enkodierung präsent waren, fördern Abruf aus episodischem Gedächtnis Kontext sehr breit definiert } Räumlich-zeitlicher Kontext ¨ } Physiologischer Kontext ¨ } Entspannt vs. Angestrengt, Betrunken etc. Emotionaler Kontext ¨ } Blauer vs. roter Raum, Wasser vs. Land etc. stimmungsabhängiges Gedächtnis (fröhlich vs. traurig) Kognitiver Kontext ¨ Lernen in zwei Sprachen Godden & Baddeley 1975 6 Allg. 1 Björn Rasch Unifr 02.03.16 Schlaf und Gedächtnis Schlaf fördert die Konsolidierung von Gedächtnis. } } Konsolidierung: Speicherung / Stabilisierung der Gedächtnisspur Lernen 7 Konsolidierung Abfrage Prof. Dr. Björn Rasch 02.03.16 Schlaf Wach REM N1 N2 N3 N1 N2 EOG SWS Slow Wave Spindel REM REM EEG K-Komplex 8 Prof. Dr. Björn Rasch 02.03.16 Schlaf und Gedächtnis Jenkins & Dallenbach 1924, Am. J. Psychol. nach Rasch & Born, Physiol. Rev. 2013 9 Björn Rasch 02.03.16 Fehlleistungen des Gedächtnisses } Die 7 „Sünden“ des deklarativen Gedächtnisses (Schacter 2003) 10 Allg. 1 Björn Rasch Unifr 02.03.16 Take-Home Messages } Gedächtnissysteme } } } Deklaratives Gedächtnis: } Episodisches Gedächtnis vs. Semantisches Gedächtnis } Schnelle Enkodierung und (relativ) langes Erinnern, Enkodierung abhängig vom Hippokampus } 2 Speicher Modell, Übergangsspeicherung (Hippokampus) und langfristiger Speicher (Neokortex) Non-deklaratives Gedächtnis } Motorisch-prozedurales Gedächtnis, Priming, Klassische Konditionierung, Non-assoziatives Lernen } Schwer verbalisierbar, Wissen drückt sich in Verhalten aus } Enkodierung erfordert wiederholtes Üben, nach Wissenserwerb nur geringes Vergessen } Enkodierung nicht vollständig vom Hippokampus abhängig Abrufprozesse im deklarativen Gedächtnis } Free recall, cued recall und recognition } } Bei Wiederholung: Aktives Abrufen aller (!) Items entscheidend für langfristige Speicherung Kontexteffekte (State-dependent learning; Cue-specificity principle) } Schlaf verbessert die Gedächtniskonsolidierung } Fehlleistungen des deklarativen Gedächtnisses } 12 Zerfall, Geistesabwesenheit, Blockierung, Fehlattribution, Beeinflussbarkeit,Verzerrung, Persistenz Allg. 1 Björn Rasch Unifr 02.03.16 Denken 13 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Denken } Denkpsychologie befasst sich mit den inneren (mentalen) Prozessen der Verarbeitung von Informationen. } Denken als höhere kognitive Funktion } } } Umfasst „niedrigere“ kognitive Funktionen (u.a. Aufmerksamkeit, Mustererkennung, bildhafte Vorstellung) Setzt Wissen voraus (z.B. Rechenregeln zum Lösen einer Gleichung) Definitorische Aspekte des Denkens } } } Mental ablaufender Prozess der Verarbeitung von Informationen Inhalt und Ablauf abhängig von der denkenden Person und dem Kontext Denken kann zu einer Handlung führen oder nicht } } Denkprozesse können Gegenstand des Denkens sein } 14 Mentales Durchspielen von Handlungsalternativen Metakognition Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Metakognition } } Reflexion und Kontrolle von Denkprozessen Beispiel: Verhaltenstherapie der Depression (Hautzinger, 2003) } Dysfunktionale Denkmuster als Teil der psychischen Störung } } } } Festgefahrene Denkschemata und automatische Gedanken „Ich bin ein Versager, weil ich nie etwas schaffe“ Selektive Wahrnehmung negativer Ereignisse Therapeutischer Prozess } Unpassende, fehlerhafte oder unlogische Gedanken identifizieren ¨ } Kognitive Umstrukturierung ¨ ¨ } } 15 Tagesprotokolle,Tagebucheinträge Unpassende Gedanken durch funktionale Gedanken ersetzen Z.B. Gegenargumente herausarbeiten, andere Bewertungen von Situationen lernen Nachhaltige Verbesserung der „Lebensphilosophie“ des Patienten Erlernte kognitive Techniken anwenden und üben Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Frühe Ansätze der Denkpsychologie } Behavioristischer Ansatz (1911) } } Reiz-Reaktionskopplung durch Versuch und Irrtum Erfolgreiches / belohntes Verhalten wird verstärkt } Beispiel: Katzen öffnen Käfigverschluss nach mehreren Versuchen ¨ } } Fokus auf Endergebnis des Denk-/ Problemlösevorgangs Gestaltpsychologie (1920) } } Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile Aha-Erlebnis, Einsicht } Beispiele: Knobelrätsel, intelligenter Werkzeugeinsatz bei Affen (Köhler) ¨ } http://www.youtube.com/watch?v=cNwk1wvll1Y http://www.youtube.com/watch?v=9Iza1zUq7VI Informationstheoretischer Ansatz (1950) } } Universelle Problemlösestrategien identifizieren Computer so programmieren, dass er Probleme löst (z.B. Schach) } 16 Nur bei klar definierten Problemen erfolgreich Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Denken } } } Deduktives Schlussfolgern Induktives Schlussfolgern Problemlösen } } } } Einfaches Problemlösen Komplexes Problemlösen Planen Intelligenz und Kreativität 17 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Schlussfolgern } Deduktives Schlussfolgern } Logisches Schlussfolgern auf Basis fest vorgegebener Tatsachen } Logischer Übergang von Aussagen (Prämissen) zu einer neuen Aussage (Konklusion) ¨ } } Logik: Wenn die Prämissen stimmen, ist das Ergebnis immer formal korrekt Wie wenden Menschen die Gesetze der Logik an, welche Fehler treten auf? Induktives Schlussfolgern } } 18 Aus empirischen Informationen wird eine allgemeine Aussage abgeleitet. Wie schlussfolgern und entscheiden Menschen bei Unsicherheit? Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Wissenschaftliches Vorgehen 19 Björn Rasch 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Aussagenlogik } } Logische Verknüpfung von Aussagen Einfache Aussage (Elementaraussage) } Wahrheitswert einer Aussage entweder wahr (W) oder falsch (F) } } Keine anderen Werte möglich Verneinte Aussage (Negation) } Eine Aussage kann nicht gleichzeitig wahr und falsch sein } Wenn eine Aussage wahr ist, ist ihre Verneinung falsch (und umgekehrt). ¨ ¨ ¨ 20 Bsp.: Es trifft zu, dass die Zahl 5 eine ungerade Zahl ist (W). -> Es trifft nicht zu, dass die Zahl 5 eine ungerade Zahl ist (F). Wahrheitstafel: Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Logische Äquivalenz } } Die Aussage A ist äquivalent zu Aussage B Trifft immer dann zu, } } 21 wenn sowohl A als auch B wahr sind. wenn sowohl A als auch B falsch sind. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Und-verknüpfte Aussage (Konjunktion) } Die Aussage „A und B“ ist immer dann (und nur dann) wahr, wenn A und B wahr sind. } 22 Beispiel: Prüfung bestanden, wenn Frage 1 und Frage 2 richtig beantwortet wurden. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Nicht-ausschließendes Oder (Disjunktion) } Die Aussage A oder B ist immer dann wahr, wenn mindestens eine der beiden Teilaussagen A oder B wahr ist } 23 Beispiel: Die Prüfung ist bestanden, wenn Frage 1 oder Frage 2 richtig beantwortet wurde. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Materiale Implikation (Konditional) } Verknüpfung zweier Aussagen zu einer neuen Aussage } } A ist eine hinreichende Bedingung für B Beispiele: ¨ ¨ ¨ } Wenn 5 eine ungerade Zahl ist, dann ist 6 eine gerade Zahl. Wenn 5 eine gerade Zahl ist, dann ist 6 eine gerade Zahl. Wenn 5 eine ungerade Zahl ist, dann ist 6 eine ungerade Zahl. Merksätze: } Aus Falschem folgt Beliebiges / aus etwas Wahrem kann nichts Falsches folgen. } Problem: Logische Gültigkeit vs. Inhaltliche Richtigkeit 24 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Vier Schlussfolgerungen mit Konditionalen } Name Modus Ponens } } } àC Wenn A, dann C; ¬A à¬C Acceptance of Consequent } } A Denial of Antecedent } } Wenn A, dann C; Schlussfigur Wenn A, dann C; C àA ¬C à¬A Modus Tollens } 25 Wenn A, dann C; gültig? Deduktives Schlussfolgern } Formale Aussagenlogik } } } Regelwerk konditionaler Schlüsse (im Alltag sehr häufig) Syllogismen: Aussagen mit 2 Prämissen und einer Konklusion Modus Ponens } Aus zwei Prämissen wird eine positive Konklusion abgeleitet: } Wenn es regnet, ist die Strasse nass (Prämisse 1). Es regnet (Prämisse 2). } Also ist die Strasse nass (positive Konklusion) } ¨ } Formal: Wenn A, dann C. Gegeben A. Dann C. Modus Tollens } Aus zwei Prämissen wird eine negative Konklusion abgeleitet: } Wenn es regnet, ist die Strasse nass (Prämisse 1). } Die Strasse ist nicht nass. (Prämisse 2) Also regnet es nicht (negative Konklusion) } ¨ 27 Formal: Wenn A, dann C, Nicht C. Dann nicht A. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Übung } Ordnen Sie die Aufgaben den Schlussformen zu! } Wenn Zündschlüssel gedreht, dann startet Auto. Auto startet nicht. Also wurde Z. nicht gedreht. Modus Ponens Acceptance of the Consequent } Wenn Z. gedreht, dann startet Auto. Z. wird gedreht. Also startet Auto. } Wenn Z. gedreht, dann startet Auto. Z. wird nicht gedreht. Also startet Auto nicht. Denial of the Antecedent } Wenn Z. gedreht, dann startet Auto. Auto startet. Also wurde Z. gedreht. Modus Tollens 28 Deduktives Schlussfolgern } Auswahlaufgabe nach Wason (1966) } Drehe diejenigen Karten um, die zeigen können, ob die folgende Aussage korrekt ist (sie dürfen nur zwei Karten umdrehen) } 30 Wenn auf der Vorderseite ein Vokal zu sehen ist, dann ist auf ihrer Rückseite eine gerade Zahl. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Auswahlaufgabe von Wason (1966) } } Menschen haben Schwierigkeiten mit formaler Logik (z.B. Modus Tollens) Aufgabe besser gelöst mit alltagsrelevanten Inhalten } } Beispiel: Wenn der Briefumschlag geschlossen ist, dann ist er mit einer 50 Cent Marke frankiert. Aufgabe wird in bestimmten Domänen besser gelöst } Wenn eine Person Alkohol trinkt, muss sie älter als 18 Jahre alt sein. ¨ } } Theorie der sozialen Konstrukte: Identifikation von „Betrügern“ in einigen sozialen Domänen evolutionär wichtig. Heuristiken } Menschen verwenden eher Heuristiken (einfache Faustregeln) anstatt formale Logik ¨ 32 Prüfung vor allem bei Leuten, die jünger als 18 Jahre sind (Modus Tollens) Induktives Schlussfolgern Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Prädikatenlogik } } } Interne Struktur von Aussagen mit Prädikaten (z.B. ...ist grösser als...) Verwendung von Quantoren (z.B. alle, keine, einige) Beispiele } Karl ist grösser als Thomas (Prämisse 1). } } Thomas ist grösser als Miriam (Prämisse 2). Also ist Karl grösser als Miriam (Konklusion). } Alle Menschen sind sterblich (Prämisse 1). } Sokrates ist ein Mensch (Prämisse 2). Also ist Sokrates sterblich (Konklusion). } } Häufige Fehler bei } } 33 Alle A sind B (bedeutet nicht:Alle B sind A) Einige A sind nicht B (bedeutet nicht: Einige B sind nicht A) Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Deduktives Schlussfolgern } Prädikatenlogik } Beispiel } } Alle Zylinder sind rot. Alle roten Objekte sind gross. } } Was folgt daraus für die Grösse der Würfel? Kein kleines Objekt ist ein Kegel. Alle kleinen Objekte sind gelb. } 34 Was folgt daraus für die Farbe der Quader? Kein Würfel ist blau. Alle grossen Objekte sind blau. } } Was folgt daraus für die Grösse der Zylinder? Alle kleinen Objekte sind Quader. Alle kleinen Objekte sind grün. } } Stellen Sie sich vier Baukästen mit Bauklötzen vor. Für jeden Baukasten gelten folgende zwei Aussagen. Ziehen Sie den richtigen Schluss Was folgt daraus für die Farbe der Kegel? Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Menschen treffen oft keine rationalen Entscheidungen. } } Zusätzlich liegen oft nicht genügend Informationen vor. Entscheidungen müssen oft schnell getroffen werden. } } } Bsp: Arzt bei einem medizinischen Notfall Zeitdruck, Unsicherheit, hohes Risiko Heuristiken } Einfache Faustregeln, die ohne logische Schlüsse zur Entscheidung führen } } Tversky & Kahnemann: kognitive Täuschungen } 35 Effiziente Problemlösestrategie, die fehleranfällig ist Kahnemann: 2002 Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Zwei Denksysteme } System 1 } Schnell, automatisch, immer aktiv, emotional, stereotypisierend, unbewusst } } } Kognitive Leichtigkeit fördert bestimmte unrealistische Denkweisen Reagiert auf Reizwörter (Priming) Denkergebnisse aus System 1 erscheinen uns oft sehr logisch ¨ } Wir sind von ihrer Richtigkeit oft überzeugt System 2 } Langsam, anstrengend, selten aktiv, logisch, berechnend, bewusst } } System 2 ist “faul” und “schnell erschöpft” Wird nur selten angewendet ¨ 36 Bewusste Entscheidung des “langsamen Denkens” Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Verfügbarkeitsheuristik } Sterben mehr Menschen durch Flugzeugunfälle oder Autounfälle? } } Auftretenshäufigkeit von schwerwiegenden Ereignissen wird überschätzt Entscheidung basiert auf Information, die einem am leichtesten in den Sinn kommt } Beispiel: Famous-Name Effect (Tversky & Kahnemann) ¨ ¨ } Hausarbeit in WG / Partnerschaft: Überschätzung der eigenen Mitarbeit ¨ 37 Namensliste mit 19 berühmten Männern und 20 weniger berühmten Frauen Frage: Mehr Männernamen oder mehr Frauennamen? Addition der geschätzten Anteile weit über 100% Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Repräsentationsheuristik } } Kauft ein Herr im Anzug und Aktenkoffer eher NZZ oder den Blick? Repräsentativität als Entscheidungskriterium } } } Einfluss von Stereotypen und repräsentativen Attributen Einfach und schnell, aber sehr fehleranfällig Anker und Anpassungsheuristik } } Schätzen Sie das Produkt aus 9*8*7*6*5*4*3*2*1. Anker liefert Ausgangspunkt / Startwert für Urteil } } Wieviel Geld möchten spenden? Wären Sie z.B. bereit, 5 $ zu spenden? Erst letzte 4 Ziffern der Telefonnummer lernen, dann Grösse von Mammutbäumen schätzen ¨ } } 38 Positive Korrelationen Listenpreise bei Immobilienangeboten ... Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Beispiel } } Linda ist 31 Jahre alt, sie lebt allein, redet oft freimütig und ist sehr klug. Sie hat Philosophie studiert und war als Studentin in Fragen der sozialen Benachteiligung ausserordentlich engagiert, ausserdem nahm sie an AntiKernkraft-Demonstrationen teil. Frage: Welche Aussage ist wahrscheinlicher? } } } Linda ist Bankangestellte. Linda ist Bankangestellte und in der Frauenbewegung aktiv. Konjunktionsfehler (conjunction error) 39 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Die Wahrscheinlichkeit einer Virusinfektion ist p = 0.001. Der Test der Firma Rosartis zur Detektion der Virusinfektion hat folgende Wahrscheinlichkeiten: } } } p (false-negative) = 0 (negatives Testergebnis bei Infektion) P(false-positive) = 0.05 (positives Testergebnis ohne Infektion) Petra hat ein positives Ergebnis. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie infiziert ist? 40 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Von 1‘000 Personen ist Eine infiziert. Von 1‘000 NichtInfizierten werden 50 positiv getestet. 100 Personen wurden positiv getestet. Wie viele von ihnen sind vermutlich infiziert? 41 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schlussfolgern } Fehler bei der Verwendung von Heuristiken } Konjunktionsfehler (conjunction error) } } Wahrscheinlichkeit der Konjunktion zweier Ereignisse ist immer kleiner als die Wahrscheinlichkeit eines Einzelereignisses Basisraten Missachtung (base-rate fallacy) } A-priori Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Ereignisses wird missachtet ¨ } Hohe Sicherheit (over-onfidence) } Güte des Wissens wird häufig überschätzt ¨ ¨ 42 Bsp.:Autounfälle viel häufiger als Flugzeugunfälle Welche Stadt ist grösser, Islamabad oder Hyderabad? Obwohl Personen sich 100% sicher sind, ist Entscheidung nicht immer richtig. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Induktives Schliessen } Vorteile von Heuristiken } } Heuristiken als mentale Werkzeugkiste } } Entscheidung über Heuristiken sind schnell, sparsam, und brauchen nur wenige Informationen. Heuristische Prinzipien } } } } Forschungsprogramm: Einfache Heuristiken (Gigerenzer, 1999) Suchregeln: Reihenfolge der Informationssuche (zufällig? Rangfolge?) Abbruchregeln: Kriterium des Abbruchs der Suche Entscheidungsregeln:Wie wird auf Grund der Information entschieden? Rekognitionsheuristik } Entscheidung auf Basis der Bekanntheit der Information ¨ } Take-the-Best(TBT) Heuristik } Entscheidung nach erfolgreicher Suche weniger Prädiktoren ¨ 43 Führt häufig zu korrekten Urteilen (z.B. Bekanntheit / Stadtgrösse,Aktienkauf) Hamburg oder München grösser? Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Problemlösen } Definition: } } Operatoren } } Massnahmen zur Reduktion der Ist-Soll Diskrepanz Einfaches Problemlösen } } } } Reduktion der Diskrepanz zwischen einem Ist-Zustand und einem angestrebten Zielzustand (Soll-Zustand). Ist-Zustand und Soll-Zustand sind klar definiert und bekannt Operatoren sind verfügbar und müssen nur richtig eingesetzt werden Bsp.: Schach Komplexes Problemlösen } } } } Ist-Zustand und /oder Soll-Zustand sind nicht klar definiert / unbekannt Operatoren zur Problemlösen müssen erst gefunden oder generiert werden Mehrstufige Entscheidungen notwendig Einfluss von emotionalen / motivationalen Komponenten } 44 Bsp.: Bürgermeister einer Stadt Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Informationstheoretischer Ansatz } Aufgaben mit sequentiellen Problemstellungen } } } 45 Schrittweise Bearbeitung erforderlich Ständiger Abgleich zwischen Ist-Zustand oder Problemlöseziel (Soll-Zustand) Beispiel:Tower of Hanoi Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Der General Problem Solver (GPS, Newel & Simon, 1972) } } Computerprogramm das einfache Probleme lösen kann Operator wird auf ein bestimmtes Objekt angewendet, um einen neuen Zustand zu erzeugen, der dem Soll-Zustand näher ist. } Definition Hauptziel + Unterziele, ständiger Vergleich neue Situation und Sollzustand Mittel-Ziel Analyse: Passende Operatoren nacheinander auf Unterziele anwenden } Rückwärts-Analyse: Problem wird vom Zielzustand aus analysiert. } } Analogie zum menschlichen Denken } } } } } Kognitive Verarbeitung (Analyse von Ist- und Sollzustand) Ausgabe / Handlung (Anwendung der Operatoren) Probleme } Problemstellung im Alltag zu komplex, Ist-Zustand schwer zu beschreiben Probleme im Alltag dynamisch (Veränderung während der Bearbeitung) } GPS setzt unbegrenzte Speicherkapazität voraus } 46 Informationsaufnahme (Beschreibung des Ist-Zustands) Wissensspeicher (Abruf von Operatoren) Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Einsichtsprobleme (Gestaltpsychologie) } Einsicht durch eine Umstrukturierung des Problems (Aha-Erlebnis) } } Beispiele } 47 Umwandlung von defekter Gestalt in eine gute Gestalt Verbinde die neun Punkte durch vier gerade Linien, ohne den Stift abzusetzen Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Das Kerzenproblem (Duncker (1953)) } } Aufgabe: Bitte befestigen Sie die Kerze an der Wand Hilfsmittel: eine Kerze, eine Schachtel Streichhölzer, eine Schachtel Reissnägel Überwindung von figuralen und / oder funktionaler Gebundenheit von Objekten 48 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Umfüllaufgabe (Luchins & Luchins 1959) } Drei Wasserbehälter A, B und C stehen zur Verfügung } Behälter fassen unterschiedlich Flüssigkeitsmengen, Zielmenge ist angegeben 21 31 49 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Denkprozesse bei Einsichtsprozessen } } } } } } Vorbereitung: Informationen sammeln, erste Lösungsversuche Inkubation: Nach dem Scheitern von mehreren Versuchen Abwendung vom Problem, Beschäftigung mit anderen Dingen Einsicht: Erkennen der Lösung („Aha Erlebnis) Bewertung: Lösung wird auf Brauchbarkeit überprüft Ausarbeitung: Umsetzung des Lösungswegs Bedingungen } } } Überwindung figuraler / funktionaler Gebundenheit Überwindung gelernter / bereits erfolgreicher Lösungsstrategien Aufmerksamkeit auf die „richtigen“ Aspekte der Aufgabe } 50 Messung über Blickbewegung möglich Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Einfaches Problemlösen } Die Rolle des Schlafs für die Einsichtsbildung } Aufgabe: Sequentielles Rechenproblem mit versteckter Abkürzung } } Vor dem Schlaf/Wach Interval 10 Blöcke durchgeführt Nach Schlaf/Wach weitere 10 Blöcke durchgeführt } Schlaf fördert Einsicht in vor dem Schlaf bearbeitete Probleme } Problem liegen lassen und „darüber schlafen“ hilft. Wagner et al., 2004 51 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Komplexes Problemlösen } Merkmale eines komplexen Problems } Komplexität } } } } } Vernetztheit } Veränderung einer Variablen wirkt sich auch auf andere Variablen aus } Abhängigkeiten erkennen, Nebenwirkungen / Wechselwirkungen erkennen Dynamik } Dynamischen System entwickelt sich auch ohne Eingreifen des Betrachters } Zeitdruck,Vorhersagen müssen getroffen werden Intransparenz } } 53 Hohe Anzahl an Einzelvariablen und ihren Verknüpfungen Hohe Anzahl an Eingriffsmöglichkeiten Viele Merkmale der Situation / des Systems sind nicht zugänglich Polytelie } Mehrere Ziele / Interessen müssen gleichzeitg verfolgt und gegeneinander abgewogen werden } Differentielle Zielstruktur Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Komplexes Problemlösen } Vorteile } } Alltagsnähe (Kritik an einfachem Pronlemlösen) Anwendbar zur Diagnose und Training von Problemlösekompetenz } } Computersimulation möglich } } Beispiel: Assesment Center Automatische Datenerhebung, hohe Motivation (Spielfreude), Zeitraffer Nachteile } } } 54 Reabilität schwer messbar, da starke Trainingseffekte Validität eingeschränkt, wenn Problemlöseerfolg nicht klar definiert ist Problemlösefähigkeiten stark situations- und personenabhängig. Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Komplexes Problemlösen } Handlungstendenzen und Fehler } Mangelnde Berücksichtigung zeitlicher Abläufe } } Zeitliche Vorhersage fällt vielen Personen schwer Vereinfachtes Ursache-Wirkung Denken } Neben- und Wechselwirkungen werden nicht berücksichtigt } Komplexe Wirkungen werden auf eine Ursache reduziert ¨ } Ursachen } Begrenztheit von Ressourcen / Vergessen } Überbewertung des momentan verfolgten Einzelziels Vermeidung / Verdrängung von Misserfolg } } Führt zu einer isolierten Betrachtung von auffälligen Problemen, Missachtung von Zusammenhängen / wichtigen Faktoren; Schnelles Wechseln zwischen einzelnen Problemen, obwohl nur halb gelöst Personenmerkmale } Einfluss von IQ, wenig Einfluss von Vorwissen } Einfluss von Emotion: Unterschiedliche Strategien, aber ähnlich erfolgreich 55 } Positive Stimmung: Hohe Motivation, mutig, mehr ausprobieren, „durchwurschteln“ } Negative Stimmung: Stärkeres systematischen Informationensammeln Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Komplexes Problemlösen } Komplexes Problemlösen und Intelligenz } } } Problemlöse-Tests unterscheiden sich von allgemeinen IQ Tests } Intelligenztest misst Geschwindigkeit und Genauigkeit von einzelnen kognitiven Prozessen (konvergentes Denken) } Komplexes Problemlösen erfordert vorausschauendes und vernetztes Denken sowie Verfügbarkeit alternativer Handlungsstrategien („operative Intelligenz“) Entscheidend, welche Aspekte von Intelligenz gemessen werden Komplexes Problemlösen und Kreativität } } Kreativität: Fähigkeit neues / ungewöhnliches / originelles zu entwickeln } Überschneidung mit Problemlösen } Setzt divergenten Denken voraus (Findung neuer Assoziationen) Messung der Kreativität } } Verbindung zwischen Worten suchen (Bsp.: Humor-Pech-Nacht) Geometrische Formen zur bedeutungshaltigen Form zusammenlegen ¨ } Problem: Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten Intelligenz und Kreativität als Voraussetzung für komplexes Problemlösen 56 Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Take-Home Messages } Denkpsychologie befasst sich mit den inneren (mentalen) Prozessen der Verarbeitung von Informationen. } } Denken als höherer kognitiver Prozess, umfasst “niedrigere” kognitive Prozesse. Deduktives Schlussfolgern } Logisches Schlussfolgern auf Basis fest vorgegebener Tatsachen } } Formale Aussagenlogik und Syllogismen } } } Aussagenlogik, Wahrheitswert und Wahrheitstafeln Modus Ponens, Modus Tollens, Acceptance of Consequent, Denial of Antecedent Anwendung der formalen Logik im Alltag (aber auch von Experten) oft schwierig Induktives Schlussfolgern } } Menschen entscheiden oft nicht rational, sondern verwenden Heuristiken } Entscheiden oft mit Unsicherheit, Zeitdruck, hohem Risiko } Entscheidungen mit Heuristiken sind effizient, schnell, benötigen wenige Informationen Verfügbarkeitsheuristik, Repräsentationsheuristik,Ankerheuristik } } 57 Fehler: Conjunction error, base-rate fallacy, overconfidence Rekognitionsheuristik,Take-the-Best (TBT) Heuristik Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Take-Home Messages } Problemlösen: Reduktion der Diskrepanz zwischen einem Ist-Zustand und einem angestrebten Zielzustand (Soll-Zustand). } } Operatoren: Massnahmen zur Reduktion der Ist-Soll Diskrepanz Einfaches Problemlösen } Ist-Zustand und Soll-Zustand sind klar definiert und bekannt } } Sequentielle Probleme vs. Einsichtprobleme } } Operatoren sind verfügbar und müssen nur richtig eingesetzt werden Problem:Wenig relevant für den Alltag Komplexes Problemlösen } } Ist-Zustand und /oder Soll-Zustand sind nicht klar definiert / unbekannt } Operatoren zur Problemlösen müssen erst gefunden oder generiert werden } Alltagsnähe, Einfluss von Komplexität, Zeitdruck, Emotion, Motivation, IQ etc. Simulationen können zur Diagnose / Training genutzt werden } } 58 Probleme: geringe Reliabilität,Validität fraglich Intelligenz und Kreativität als Voraussetzung für komplexes Problemlösen Björn Rasch, Vorlesung Allgemeine Psychologie Uni FR 02.03.16 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 59 Allg. Psychologie Björn Rasch Uni FR 02.03.16