sinne - cipmm

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SINNE
Im Praktikumsteil „SINNE“ lernen Sie die Sinnesorgane AUGE, OHR, VESTIBULARORGAN kennen. Bitte lesen sie noch vor dem Praktikum die entsprechenden Teile der
Praktikumsanleitung und machen sie die unten stehenden Hausaufgaben. Wiederholen Sie
bitte vor dem Praktikum auch die Kapitel „Wellenlehre“, „Akustik“ und „Optik“ aus der
Physikvorlesung sowie die morphologisch-histologischen Kapitel „Auge“, „Ohr“ und
„Vestibularorgan“ aus den Anatomie- und Physiologievorlesungen. Zusätzliche vertiefende
Informationen finden sie in den Physiologielehrbüchern. Alle dort behandelten Themen sind
klausur- und testatrelevant.
Zum besseren Verständnis gibt es in den Praktikumsräumen Informationstafeln und Modelle
von Auge, Ohr und Vestibularorgan. In der Praktikumsanleitung befinden sich Informationen
zur Ophthalmologie und Audiologie, die auf den Praktikumsversuchen basieren und in der
klinischen Ausbildung vorausgesetzt werden. Darüber hinaus werden im KlinischPhysiologischen Seminar ausgewählte pathophysiologische Aspekte und Krankheitsbildern
behandelt.
Die fünf nachstehenden Hausaufgaben sind obligatorisch und werden von den
Versuchsleitern vor Praktikumsbeginn kontrolliert Alle zur Lösung der Aufgaben
notwendigen Informationen sind in der Praktikumsanleitung enthalten.
Hausaufgabe 1: Bitte beschriften Sie diese Zeichnung.
Hausaufgabe2: Klassifizieren Sie diese Augen und benennen sie die notwendigen
Korrekturlinsen.
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Hausaufgabe 3: Beschriften Sie die rot markierten Strukturen des Ohrs- und des
Vestibularorgans.
Hausaufgabe 4: Beschriften Sie das Hörfeld ( Größenordungen der X + Y Achse,
Hauptsprachbereich). Zeichnen Sie zwei Punkte mit gleicher Lautstärke (Kreise) und zwei
Punkte mit gleichem Schalldruck (Dreiecke) ein.
Hausaufgabe 5: Beschriften Sie die Strukturen des linken Bogengangs und zeichnen Sie
den rechten Bogengang daneben. Tragen sie temporal und nasal ein.
2
SINNE
3
SEHEN
Autoren: Janine Mohrbach, Prof. Dr. H.-Peter Richter, Dr. Helmut Machulla, Dr. Bernd Bufe
 Das Auge ist unser wichtigstes Sinnesorgan! Pro Sekunde sendet das
Auge etwa 40 Millionen optische Details an das Gehirn. 80 % unseres
Wissens haben wir mit den Augen erworben; die restlichen 20 % teilen
sich Gehör, Gleichgewichtssinn, Tastsinn, Geruch- u. Geschmacksinn.
 Unser Sehvermögen wird erst im Laufe von etwa 10 Jahren optimal
ausgebildet und ist abhängig von allen strukturellen, opto-physikalischen, sensor-physiologischen, psycho-physikalischen, neuro-anatomischen Parametern der paarigen Sinneskanäle.
Inhalts-Übersicht
Seite
A. Physikalische Grundlagen
4
B. Anatomische Grundlagen
6
1. Aufbau des Bulbus
2. Sehbahn
C. Physiologische Grundlagen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
7
Brechkraft
Transduktion
Adaptation
Akkommodation
OKN, EOG, VEP
Primär-Rezeptives Feld
Gesichtsfeld
Augen-Innendruck
Sehschärfe
Farbensehen
Tiefen-Wahrnehmung
D. Anleitungen zu den Aufgaben
-- Hausaufgaben A) - D)
-- Durchführung der Versuche 1 - 5
-- Klinische Bezüge
17
SINNE
4
A. Physikalische Grundlagen
Sichtbares Licht wird als elektromagnetische Strahlung eines Wellenlängenbereiches von
400 nm (Violett-Blau) über Grün bis 750 nm (Rot) wahrgenommen. Ultraviolettes Licht hat
Wellenlängen von kleiner als 400 nm; Infrarotlicht größer als 750 nm. Also je kurzwelliger
Licht ist, desto energiereicher ist es. Errechnet aus Frequenz f mal Wellenlänge λ beträgt die
Lichtgeschwindigkeit c0 im Vakuum 2,99108 [m/s]:
c = f  λ_
Da die Geschwindigkeit für alle Farben gleich ist, bedeutet das: je größer λ, desto niedriger f,
und umgekehrt. Beim Durchtritt durch den optisch dichteren dioptrischen Apparat des Auges
wird fokussierend zum Lot hin gebrochen.
Refraktion: Je optisch dichter das Material ist, desto größer ist n, desto langsamer breitet sich
das Licht in diesem Medium aus, desto stärker wird es abgelenkt = gebrochen. Der
Brechungsindex (Brechzahl) n des Mediums ist das Verhältnis der AusbreitungsGeschwindigkeit c im Vakuum zur Geschwindigkeit v im Medium. Sie ist eine Materialkonstante; die von Wellenlänge und Frequenz des einfallenden Lichtes abhängt.
n = c/v >1
[ohne Dimension]
Es gilt der Satz nach Snellius: „Trifft Licht schräg auf eine Grenzfläche aus einem optisch
dünneren Medium mit niedrigerer Brechzahl auf ein optisch dichteres Medium mit höherer
Brechzahl, so wird es zum Lot hin gebrochen; tritt es von einem optisch dichteren in ein
dünneres Medium, so wird es vom Lot weg gebrochen“.
sinα1  n1 = sinα2  n2
(α = Winkel zwischen Strahl u. Lot)
Reflexion: An Grenzflächen werden einfallende Strahlen immer nur zum Teil gebrochen, der
Rest wird ohne in das Medium einzudringen reflektiert. [Einfallswinkel = Reflexionswinkel ].
Streuung: Ein Teil der eingetretenen Strahlung ändert beim Durchtritt durch Materie
aufgrund von Wechselwirkungen seine Richtung (= Tyndall-Effekt). Weichen Wellen von
ihrer geradlinigen Ausbreitungsrichtung ab (Fermat-Prinzip), wenn sie auf spaltförmige
Öffnungen treffen und sich überlagern (Interferenz), entsteht Beugung (z.B. am Rand der
Iris).
Abbildungsfehler: Optische Linsen brechen an ihrer Oberfläche mehrfarbiges Licht
ungleichmäßig.
Diese chromatische Aberration beruht darauf, dass Licht verschiedener Wellenlänge
unterschiedlich stark gebrochen wird (Blau wird stärker gebrochen als Rot).
Zusätzlich wird Licht am Rand der Linse stärker gebrochen, da sich hier der
Krümmungsradius stark ändert sphärische Aberration. Korrigiert wird dieser Augenfehler
durch die Blendenwirkung der Iris, die den peripheren Lichteinfall minimiert.
Merke: Jedes Auge hat einen durch den Druck der Augenlider bedingten physiologischen
Astigmatismus, weil durch diesen die Corneakrümmung in vertikaler Ebene unterschiedlich
von der horizontalen Ebene wird. Beim Astigmatismus ist die Abbildung auf der Retina nicht
mehr punktförmig, sondern oval (Stabsichtigkeit).
SINNE
Vereinfacht lässt sich der Strahlengang durch das Auge mit einer Sammellinse darstellen.
5
aus: ÄP Physiologie
Der Zentralstrahl einer Linse wird nicht gebrochen. Alle Parallelstrahlen verlaufen zunächst
parallel zur optischen Achse und werden nach Auftreffen auf der Linse so gebrochen, dass sie
durch den hinteren Brennpunkt (Fokus) verlaufen. Bei den Brennpunktstrahlen verhält es sich
genau umgekehrt.
Zur Konstruktion eines solchen Strahlenganges reichen in der Regel zwei Strahlen aus, zum
Beispiel ein Parallelstrahl und Zentralstrahl. Das entstandene Bild auf der Retina ist
verkleinert, umgekehrt, reell. Der Kehrwert der Brennweite f wird als Brechkraft
(Brechwert) D einer Linse bezeichnet:
D=1/f
[1/Entferunng in Meter] in Dioptrie [dpt]
Die Gegenstandsweite g (Entfernung des Gegenstandes zur Hauptebene), die Bildweite b
(Entfernung b des Bildes von der Hauptebene) und Brennweite f stehen in folgender
Beziehung:
1/f = 1/g + 1/b (= Abbildungsgleichung)
Grundlegende Beispielrechnungen:
1) Wie stark muss die Linse für ein Objekt in 2 m bzw. 0,2 m Abstand akkomodieren?
Es gilt: D=1/f.
Für 2 m folgt daraus D=1 / 2 = 0,5 dpt,
für 0,2 m folgt daraus 1 / 0,2 = 5 dpt
2) Die Brechkraft der Cornea beträgt 43 dpt.
Wo liegt ihr Brennpunkt f?
Nach Umformung der Gleichung aus (1) gilt:
f = 1/D.
Bei 43 dpt folgt daraus 1 / 43 = 0,023 m.
3) Bei einem kurzsichtigen Auge beträgt der Abstand des Fernpunkts zum Auge 2 m.
Welchen Brechwert muss eine vorgesetzte Linse haben, um den Fernpunkt auf 20
cm zu verlagern?
Sehfehler des myopen Auges:
f = 1/D = 1/ 2 m = + 0,5 dpt
Erforderliche Brechkraft für 0,2 m:
f = 1/D = 1/ 0,2 m = + 5 dpt
Differenz:
4,5 dpt (= 5 dpt – 0,5 dpt)
SINNE 6
4) Mit einer Linse mit einer Brennweite f von 0,3 m soll ein 2 m entfernter
Gegenstand (g = 2 m) scharf abgebildet werden.
In welchem Abstand b hinter der Linse muss der Schirm aufgestellt werden?
Es gilt: 1/f = 1 / g + 1 /b.
Da f und g gegeben sind, wird die Linsengleichung nach b umgestellt
(Zwischenschritte: 1/b = 1/f - 1/g,
f·1/b= 1-f /g,
f·g · 1/b = g-f,
1/b = (g-f / f·g)
daraus folgt b = f·g / (g-f).
b = 0,3 m · 2 m / (2 m - 0,3m) = 0,35 m.
Der Schirm muss also 35 cm hinter der Linse aufgestellt werden.
B. Anatomische Grundlagen
1.
Aufbau des Augapfels (Bulbus)
Der annähernd kugelförmige in der
Orbita liegende Augapfel (Ø 24
mm) wird durch die 6 äußeren
Augenmuskeln bewegt. Er hat
einen dreischichtigen Aufbau: Die
äußere Schicht (Tunica fibrosa
bulbi) gliedert sich in Lederhaut
(14 sklera) als hinteren Teil und in
die Hornhaut (2 cornea) als vorderen stärker gekrümmten, lichtdurchlässigen Teil. Bei der Cornea
wird die Vorderfläche (5) durch
ein mehrschichtiges unverhorntes Nach: R. F.Schmidt, G. Thews, F. Lang Physiologie des Menschen (2000)
Plat-tenepithel gebildet, während
die Rückfläche (4) durch einschichtiges Plattenepithel gebildet wird. Zwischen den beiden
Basallaminae und der Bowman- u. Descemet-Lamina liegen 45-70 Lamellen aus dicht
gepackten Kollagen-Fibrillen und vereinzelten Fibrozyten. Die mittlere Schicht des Bulbus
ist die Aderhaut (11 chorioidea) als hinterer Teil der aus drei Abschnitten bestehenden
Gefäßhaut Uvea Tunica vasculosa bulbi. Die Iris dient der Adaptation: ihre Blendenöffnung
(Pupille) wird durch die beiden intraokularen glatten Augenmuskeln verengt. Miosis, durch
den ringförmigen, parasympathisch innervierten musculi sphincter pupillae (3) oder erweitert
Mydriasis, durch den speichenförmigen, sympathisch innervierten musculus dilatator
pupillae (7). Der Ziliarkörper enthält den ringförmigen, parasympathisch innervierten
musculus ciliaris (8). Die zugfesten Zonulafasern (9) dienen der Befestigung der Linse (10)
am Ziliarkörper. Dessen Epithel filtriert und sezerniert das Kammerwasser als Ultrafiltrat bei
einem peripherem Blutdruck von ca. 45 mmHg, wovon 85 % aus der hinteren Augenkammer
durch die Pupille in die vordere Augenkammer (6) und über das Trabekelwerk (hier
Resorption) in den venösen Schlemmkanal (1) abfließen, der einen Druck von nur ca. 9
mmHg aufweist. Der Rest an Kammerwasser (15 %) wird uveo-skleral resorbiert. Die tunica
interna bulbi besteht aus dem Pigmentepithel (13) mit dicker Bruch´scher Lamina und der
Retina (12). Hier liegen die Papille (18) als Austrittsort des nervus opticus (19) aus dem
Bulbus sowie der gelbe Fleck (16 macula lutea) mit der fovea centralis (17) - seiner
zentralen Vertiefung. Diese enthält nur Zapfenzellen, der para-foveale Ring hingegen fast nur
Stäbchenzellen. Der gelartige Glaskörper (15) ist im Zentralbulbus.
SINNE
7
Die lichtempfindliche Retina besteht
aus etwa 9 Struktur-Schichten und ist
im Mittel ca. 200 µm dick. Das
einschichtige Pigmentepithel versorgt
die Photosensorzellen mit Metaboliten und phagozytiert die verbrauchten
Segmente der Außenglieder. Zwischen
Pigmentepithel
und
Sensorzellen
existieren keinerlei Haftstrukturen!
Der
Augeninnendruck
(OID)
verhindert über den Glaskörper die
Ablösung der Netzhaut vom Pigmentepithel (Retinitis pigmentosa). Die
Sensorzellen stellen anatomisch das 1.
aus: U. Schuhmacher e. a. Prometheus Lernatlas der Anatomie (2007)
Neuron der Sehbahn dar und sind
daher primäre Sinneszellen. Da sie jedoch selbst kein Aktionspotenzial ausbilden, sind sie
funktionell sekundäre Sinneszellen. Man unterscheidet zwei Typen: Stäbchen (100-125
Millionen / Auge), für skotopisches = Dämmerungs- u. Nachtsehen und Zapfen (6-7 Mio) für
photopisches = Farbensehen. Die Sensoren liegen auf der licht-abgewandten Seite der Retina
(inverser Aufbau; Schutz vor zu starker Lichtintensität und für optimale Versorgung mit
Nährstoffen).
2.
Die Sehbahn
Nach der Aufnahme des Lichts durch die Photosensorzellen (1. Neuron) wird die
Lichtenergie durch diese in elektrisch-chemische Aktivität transformiert und als via Synapse
an die nachgeschalteten Bipolarzellen (2. Neuron) weitergegeben, die wiederum über die
nächste Synapse die Ganglienzellen als drittes Neuron (etwa 1,2 Mio) aktiviert. In der
Fovea gibt es eine 1:1:1 -Verschaltung für die Zapfen-Photosensorzellen. D.h., dass die
Transduktion von nur einer Zapfenzelle via nachgeschalteter Bipolarzelle auf nur eine
Ganglienzelle stattfindet. Dies erlaubt eine hohe Auflösung. In der Peripherie werden viele
Photosensorzellen über wenige Bipolarzellen verschaltet auf noch weniger Ganglienzellen
„gebündelt“ (Prinzip der Konvergenz, geringe Auflösung bei höherer Lichtsensitivität).
Ganglienzellen sind die ersten Zellen der Netzhaut, in denen Aktionspotenziale gebildet
werden. Die anderen Neuronen der Retina haben hingegen ein graduiertes Rezeptorpotential
(elektrotonische Erregungsleitung). Die Axone aller Ganglienzellen verlassen am blinden
Fleck den Bulbus und bilden - zum Teil myelinisiert (Oligodendrozyten) - den nervus
opticus.
Entsprechend ihrer Zielregion, Aufbau und Informationsverarbeitung unterscheidet man drei
Haupttypen retinaler Ganglienzellen:
Ca. 10% sind achromatische, schnell leitende magnozelluläre Zellen (M-Zellen = α-(Y)Zellen = parasol-Ganglienzellen) “ der Schichten 1 und 2 im corpus geniculatum
laterale=CGL) zum Bewegungssehen.
Ca. 80% sind kleine parvozelluläre Zellen (P-Zellen = β-(x)- oder midget-Ganglienzellen) der
Schichten 3-6 im CGL zur Analyse von Mustern und Farben.
Weitere ca. 10% sind koniozellulär Ganglienzellen = K-Zellen (γ-W-Zellen) bistratified
(=‚zweifach geschichtet‘).-zur Steuerung der Pupillenweite (Erdinger-Westphal-Kern), der
reflektorischen Sakkaden (colliculi superiores) sowie zur Synchronisierung der zirkadianen
Tag-Nacht-Rhythmik (nucleus suprachiasmaticus) der Melatoninausschüttung aus der
Zirbeldrüse. Sie enthalten Melanopsin, mit einem Absorptionsmaximum im blauen Bereich
bei 480 nm.
Horizontalzellen und Amakrinzellen bilden zwei lateral wirkende Interneuronsysteme, die
hemmende Einflüsse auf die Signalverarbeitung ausüben können. Die Horizontalzellen sind
SINNE 8
besonders wichtig für die Adaptation der Lichtintensität. Die Amakrinzellen bewirken u.a.
die Umschaltung vom photopischem zum skotopischem Sehen.
Die Müllerzellen wirken als Gliazellen der Retina – sie durchziehen alle retinalen Schichten,
regulieren den Metabolismus der anderen Retinazellen, sind gleichzeitig deren Stützzellen mit
geschmeidiger Stoßdämpferwirkung und transretinale Lichtleiter zu den Außengliedern der
Sensorzellen. Dabei wirken sie ähnlich einem Glasfaserkabel, indem sie das Licht von der
vorderen Netzhautoberfläche zu den Außengliedern der Sensorzellen lenken. Das ist
besonders bei geringer Lichtintensität (Nachtsehen) von Bedeutung.
Die Neurone des n. opticus ziehen zum chiasma opticum, wo nur die nasalen Fasern
kontralateral kreuzen. Im tractus opticus projizieren ipsi- u. kontra-laterale Fasern zum
corpus geniculatum laterale (CGL). Zuvor ziehen einige koniozelluläre Fasern zur
reflektorischen Steuerung der Pupillo-Motorik zu den colliculi superiores und der BlickMotorik zur area praetectalis. Im CGL findet die Umschaltung auf das 4. Neuron statt.
Dessen Fasern ziehen in der radiatio optica weiter zum primären visuellen Cortex (V1 =
Brodman-Areal 17).
C. Physiologische Grundlagen
1.
Gesamtbrechkraft, Achsenametropie, Refraktionsanomalie
Als dioptrischer Apparat ist das Auge ein zusammengesetztes optisches System.
Entsprechend ihrer Dichte brechen Cornea, Kammerwasser, Linse, Glaskörper das durch sie
durchtretende Licht. Dabei hat das Auge im fern-akkommodierten Zustand eine
Gesamtbrechkraft von etwa 59 dpt. Nicht variabel ist die Brechkraft der Cornea von ca. 43
dpt. Die Brechkraft der Corneavorderfläche von Luft auf Stroma beträgt D = +48 dpt sie
wrid aber durch die Brechkraft der Corneahinterfläche zum Kammerwasser um –5 dpt
reduziert. An der Linse hingegen kann sich die Brechkraft ändern: bei Fern-Akkommodation
ist die Brechkraft D = 19 dpt; bei Nah-Akkommodation je nach Linsenkrümmung bis D = 33
dpt). Hinweis: durch diverse Abbildungsfehler reduziert sich die Gesamtbrechung von
Coneal+ Linse um -3dpt.
Bei Normalsichtigkeit (Emmetropie) liegt der Brennpunkt exakt auf der Retina. Dadurch
entsteht in der Fovea centralis ein scharfes Bild. Der Fernpunkt liegt im Unendlichen (  ).
Achsenametropie: (= Missverhältnis zwischen Bulbuslänge und Gesamtbrechkraft)
1) Bei Kurzsichtigkeit (Myopie) ist der Bulbus im Verhältnis zur Gesamtbrechkraft zu lang.
Bei der Fernakkommodation liegt das scharfe Bild vor der Retina und wird daher unscharf auf
der Retina abgebildet. Die Nahakkommodation funktioniert normal. Der Myope muss im
Gegensatz zum Emmetropen die Brechkraft seiner Linse nicht so stark erhöhen, um einen
gleichnahen Gegenstand scharf zu fokussieren. Der Fernpunkt liegt jedoch nicht im
Unendlichen, sondern nimmt einen reellen endlichen Wert an (bei einer Myopie von +2 dpt
sind das 0,5 m), wobei der Nahpunkt etwas näher an das Auge heranrückt. Zur Korrektur der
für den längeren Bulbus relativ zu hohen Brechkraft werden konkave Zerstreuungslinsen
(- dpt) verwendet, welche die Lichtstrahlen entsprechend spreizen und so Nah- u. Fernpunkt
an die Norm (Emmetropie) angleichen, indem der Fokus auf die Retina fokussiert wird.
2) Bei Weitsichtigkeit (Hyperopie) ist der Bulbus zu kurz, bei gleicher Gesamtbrechkraft
entsteht das scharfe Bild nicht auf, sondern hinter der Retina, d.h., der Fernpunkt ist virtuell.
Beim Blick in die Ferne kann durch Nahakkommodation die Bildebene so weit nach vorn
verlagert werden, dass sie auf der Retina liegt. Im Nahbereich reicht jedoch die Akkommodationsfähigkeit der Linse nicht mehr aus, um die Gegenstände scharf abzubilden. Hyperope
Kinder fallen meist durch Einwärtsschielen auf, was durch Konvergenzbewegung beider
Bulbi bei der Nahakkommodation verursacht wird. Der Nahpunkt liegt weiter entfernt vom
SINNE 9
Auge als bei Emmetropie mit gleicher Akkommodationsbreite. Zur Korrektur werden
konvexe Sammellinsen (+ dpt) eingesetzt, die den Brennpunkt der Lichtstrahlen durch deren
„Stauchung“ auf die Retina zurückfokussieren: der Fernpunkt liegt nun wieder im
Unendlichen und der Nahpunkt rückt näher ans Auge heran. Die Akkommodationsbreite in
Dioptrien ist in beiden Fällen unverändert, nur der Akkommodationsbereich in Metern
verschiebt sich in Relation zum Bulbus (siehe Abbildung unten).
Die Alters(weit)sichtigkeit (Presbyopie) hingegen ist keine Achsen-Ametropie, sondern
beruht auf einem Verlust der Elastizität der Linse, der durch Größenzunahme der Linse
infolge von vermehrter Einlagerung proteinärer Kristalline sowie von Wasserverlust
verursacht wird. Ist die Akkommodationsbreite von ursprünglich 14 auf 3 - 0 dpt
abgesunken, spricht man von Presbyopie.
aus: P. Deetjen, E.-J. Speckmann, J. Hescheler Physiologie (2005)
Beim Astigmatismus weisen zwei Ebenen der Cornea oder der Linse unterschiedliche
Krümmungsradien und damit unterschiedliche Brechkräfte auf (Refraktionsanomalie). Die
Abbildung eines Punktes ist auf der Retina dann nicht mehr punkt- sondern strichförmig
(Stabsichtigkeit). Stehen die Ebenen senkrecht zueinander, spricht man von regulärem
Astigmatismus, Abweichungen zwischen horizontaler und vertikaler Ebene von bis zu 0,5
dpt sind noch physiologisch und werden durch den mechanischen Druck des Lides auf die
Cornea verursacht. Dem irregulären Astigmatismus liegen komplexere Abweichungen
zugrunde, wie z.B. Verletzungen oder angeborene Asymmetrien der Cornea. Astigmatische
Augen werden mit zylindrisch eingeschliffenen Plus- oder Minus-Brillengläsern oder
Kontaktlinsen korrigiert.
Beim Katarakt (= Grauer Star = Linsentrübung) kann das Licht aufgrund von Ausfällungen
im kristallinen Gefüge der Linse nicht mehr ordnungsgemäß gebrochen werden. Objekte
werden dadurch zunehmend grau und verschwommen wahrgenommen, Farben wirken blass
bis anders-farbig, oft sind die Patienten geblendet. Auch scheinen Enzymdefekte und UVStrahlung bei der Entstehung des Altersstars Cataracta senilis eine Rolle zu spielen.
Angeborene Formen (Cataracta totalis u.a. nach intra-uteriner Rötel-Infektion) führen
unbehandelt zur Erblindung. Therapeutisch wird die trübe Linse entfernt (= aphages Auge)
und durch eine Kunststofflinse ersetzt oder durch eine „Star“-Brille nah-korrigiert.
2.
Die Akkommodation
(= Anpassung an die veränderte Entfernung eines
Gegenstandes)
Abhängig vom Krümmungsradius der Linse können nahe oder ferne Objekte in der Fovea
scharf abgebildet werden: beim Blick in die Ferne (= Desakkommodation) ist der zirkuläre
m. ciliaris entspannt und die Sklera zieht ihn nach außen. Die Zonulafasern sind gespannt.
SINNE 10
Der Zug an der passiven Linse bewirkt deren Abflachung; wodurch sich ihre
Krümmungsradien vergrößern und ihre Brechkraft abnimmt (33 dpt  19 dpt). Bei
Kontraktion der m. recti laterales bewegen sich beide Augen auseinander (Divergenz).
Die Nah-Akkommodation dagegen ist ein aktiver Vorgang: durch Kontraktion des parasympathisch innervierten m. ciliaris werden die Zonula-Fasern entspannt und die Linse kann
sich aufgrund ihrer Eigenelastizität „abkugeln“, wodurch sich ihre Krümmungsradien
verkleinern und die Brechkraft ansteigt (19 dpt  33 dpt) und der Brechungsindex sich von
von 1,414 auf 1,424 (also um 0,01) erhöht. Zusätzlich wird die Pupille zu Erhöhung der
Tiefenschärfe reflektorisch verengt und beide Augen führen Konvergenz-Bewegungen
(Kontraktion der Mm. recti mediales) aus, um in der fovea centralis die gleichen Bilder zu
fixieren. Der Nahpunkt ist die kürzeste Entfernung (individuell zwischen 0,07-0,3 m), bei der
ein Gegenstand gerade noch scharf abgebildet werden kann. Er entfernt sich mit
zunehmendem Alter vom Auge in Richtung Fernpunkt (Presbyopie). Der Fernpunkt ist die
Entfernung, bei der bei Fern-Akkommodation gerade noch scharf gesehen wird. Beim
emmetropen Normalsichtigen liegt dieser Punkt im Unendlichen. Nah- u. Fernpunkt stellen
die Grenzen des Akkommodationsbereichs in Metern dar.
Die Akkommodations-Breite (AB) ist die Differenz der Brechkraft bei Einstellung von Nahu. Fernpunkt (AB = 1/NP-1/FP) und wird in Dioptrie angegeben. Sie beträgt im Kindesalter
etwa 14 dpt und kann im Alter auf Null abnehmen (Presbyopie = durch Verlust der Elastizität
der Linse). Siehe Praktikum-Versuch Nr. 1
Als Pseudo-Akkommodation wird die Fähigkeit bezeichnet, sowohl Gegenstände in der
Ferne als auch in der Nähe ohne aktive Brechkraftänderung des Auges hinreichend scharf
erkennen zu können.
3.
Der Transduktionsprozess (chemische und elektrische Veränderungen in
den Photosensoren bei Belichtungsänderung)
Die Photosensoren haben ein Außen- und ein Innensegment. Im Außensegment befinden sich
bei Stäbchen etwa 1.000 Membran-Scheibchen (Disks) und bei Zapfen MembranEinfaltungen, die die photonen-perzipierende Membranoberfläche vergrößern. In beiden sind
die Sehfarbstoffe enthalten: in den Stäbchen das Rhodopsin - bestehend aus dem
transmembranären Glycoprotein Opsin und dem lichtempfindlichen Chromophor 11-cisRetinal. Die drei verschiedenen Zapfentypen enthalten das „Zapf- oder Iod-Opsin“, die sich
in der Aminosäuresequenz ihres Opsins unterscheiden und dadurch verschiedene spezifische
Absorptionsmaxima haben: 420 nm für Blau, 535 nm für Grün und 565 nm für Rot. Alle
Zapfopsine enthalten das gleiche 11-cis-Retinal wie Stäbchenrodopsin. Pigment-Epithelzellen
regenerieren das anfallende all-trans-Retinal über Retinol zur aktiven isomeren 11-cis-Form.
Bei
Dunkelheit
(siehe
Abbildung)
liegt
das
Ruhemembranpotenzial
der
Photosensoren bei ca. –30 mV.
Im Wesentlichen wird diese
Dauerdepolarisation
durch
erhöhte Na+-Leitfähigkeit von
cGMP-abhängigen
Na+Kanälen verursacht. Dabei
wirkt das durch konstitutiv
aktiv wirkende Guanylyl(at)zyklase produzierte cGMP
als second messenger, wodurch
sich in der Zellmembran
unspezifische, cGMP-abhängige Kationenkanäle öffnen,
aus: R. Klinke, H.-C. Pape, S. Silbernagl Physiologie (2005)
also viel Na+ und etwas Ca2+
SINNE 11
einströmen = Dunkelstrom. Das in die Zelle eindringende Ca unterbricht über ein
Modulatorprotein die Arbeit der Guanylatzyklase, hemmt somit die Bildung von cGMP.
„Überschüssiges“ Ca2+ wird dann wieder über 1Na+/3Ca2+-Antiporter nach extra-zellulär
transportiert. Durch den Einstrom von Kationen (= Anstieg positiver Ladungen) wird in der
negativ geladenen Zelle eine Membrandepolarisation erzeugt, die sich als graduiertes
Rezeptorpotential vom Außen- zum Innenglied der Photosensorzelle fortpflanzt. In der Nähe
der Präsynapse werden dadurch mehr spannungsgesteuerte Calciumkanäle aktiviert, was
einen Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration auslöst. Infolgedessen erhöht sich die
Transmitterfreisetzung von Glutamat.
2+
Bei Belichtung kommt es zur Stereo-Isomerisierung des 11-cis-Retinals in die all-trans-Form.
Das Rhodopsin ändert dabei seine Konformation über mehrere Zwischenstufen in das
aktivierte Metarhodopsin II. Dieses setzt eine Signalkaskade in Gang, die zu einer SignalVerstärkung um den Faktor 106 führt. Zusammen mit GTP aktiviert es das heterotrimere GProtein Transducin. Dessen α-Untereinheit aktiviert Phosphodiesterase-5, die cGMP zu
5´GMP hydrolysiert. Die cGMP-abhängigen Kationenkanäle schließen sich infolgedessen
vermehrt und weniger Natriumionen (weniger positive Ladungen) können einströmen.
Dadurch kommt es zur Hyperpolarisation bis auf etwa –70 mV (bei max. Lichteinfall); wobei
die Ca2+ -Konzentration in der Zelle infolge der Arbeit der Na+-Ca2+-Antiporter absinkt und
die Transmitterfreisetzung (Exozytose von Glutamat) abnimmt.
Der Effekt des von der Photorezeptorzelle abgegebenen Transmitters Glutamat auf die
nachgeschalteten Bipolarzellen hängt von deren Typ ab. Es gibt ON- und OFF-Bipolarzellen:
OFF-Bipolarzellen haben ionotrope Glutamatrezeptoren (= Kanäle) und werden daher
durch viel Glutamat aktiviert. Bei Belichtung scheidet die Photorezeptorzellen aber nur wenig
Glutamat aus und es folgt eine Hyperpolarisation der nachgeschalteten OFF-Bipolarzelle. An
den Ganglienzellen bilden sich ein geringes EPSP, wodurch sich die AP-Frequenz verringert.
ON–Bipolarzellen werden dagegen bei Dunkelheit durch viel Glutamat von der
Photorezeptorzelle gehemmt und durch wenig Glutamat aktiviert. Unter dem Einfluss von viel
Glutamat wird über ihre Gi-gekoppelten metabotropen Glutamat-Rezeptoren eine
Phosphodiesterase aktiviert. Diese hydrolysiert das von einer konstitutiv aktiven Guanylatzyklase produzierte zyklische Nukleotid cGMP, wodurch sich infolge dieses weniger zur
Verfügung stehenden cGMPs mehr cGMP-abhängige Na+-Kanäle der ON-Bipolarzelle
verschließen, d. h. weniger Kationen (Na+) in ihr Zellinneres gelangen. Die Bipolarzelle
ändert deshalb ihr Membranpotenzial - sie hyperpolarisert auf etwa –70 mV. Dies bewirkt
eine geringere Freisetzung von Glutamat an der Präsynapse zu der ihrer Nachgeschalteten
Ganglienzelle. Die Frequenz der APs wird geringer.
Bei Belichtung der Photorezeptorzelle wird weniger Glutamat freigesetzt. Daher entfällt der
hemmende Effekt der Gi-gekoppelten metabotropen Rezeptoren. Der cGMP-Spiegel steigt
und mehr cGMP-abhängigen Na+-Kanäle öffnen sich. Sukzessive wird die Bipolarzelle
depolarisiert, mehr spannungsabhängige Calciumkanäle öffnen und lassen Ca2+ in die
Präsynapse einströmen, was zur vermehrten Glutamat-Freisetzung in den synaptischen Spalt
zur ON-Ganglienzelle führt. In den Nachgeschalteten Ganglienzellen entstehen mehr EPSPs
und schließlich am Axonhügel eine erhöhte AP-Frequenz.
4.
Die Adaptation (= Anpassung an veränderte Licht-Reiz-Amplituden)
Die Hell-Adaptation dauert nur wenige Sekunden; wobei über den musculus sphincter
pupillae die Pupille reflektorisch verengt wird (Miosis). Bei > 107 Lux ist der Unterschied in
der Leuchtdichte zu groß – Folge ist eine vorübergehende Blendung (evt. Schmerz).
SINNE 12
Zur Dunkel-Adaptation werden hingegen
längere Zeiträume benötigt. Dabei zunächst
die Pupille vom musculus dilatator pupillae
erweitert (Mydriasis). Nach 8-10 min. wird
im Kohlrausch-Knick retinal vom
photopischen auf das skotopische Sehen
umgeschaltet. Die wesentlich lichtempfindlicheren Stäbchen erreichen ihre maximale
Lichtem-pfindlichkeit erst nach 180 min.
Bei unveränderter Gesamtgröße der primärphotopisch---- ------------------------------------- skotopisch
rezeptiven Felder vergrößern sich dabei
aus: R. Klinke, H.-C. Pape, S. Silbernagl Physiologie (2005
deren Zentren, wodurch sich die räumliche
Summation erhöht, während sich Auflösungsvermögen und Kontrast-Wahrnehmung
verschlechtern. Gemeinsam haben alle drei Zapfentypen ein mittleres Absorptionsmaximum
bei 555 nm, die Stäbchen jedoch bei 500 nm (Purkinje-Verschiebung: Blaues Licht
reflektierende Flächen werden dadurch als heller und Rot reflektierende Flächen
wahrgenommen). Bei Dunkeladaptation, d. h. nach Umschaltung auf Stäbchensehen, wird die
nur Zapfen besitzende Foveola zum blinden Fleck (Skotom). Die Sehschärfe ist dann im parafovealen Bereich mit der höchsten Stäbchendichte am größten. Während der Dunkelphase
werden die Photosensorzellen über verschiedene biochemische Regenerationsprozesse auf die
erneute Verarbeitung von Photonen vorbereitet. Zudem hyperpolarisieren Stäbchen langsamer
als Zapfen. Siehe auch „primär-Rezeptives Feld“. Folge: unvollständige, unscharfe,
langsamere Wahrnehmung („Nachts sind alle Katzen grau!“)
Nachtblinden Menschen (Nyktalopie = Nachtsichtigkeit; med. Hemeralopie =
Tagessichtigkeit) steht für die Dunkeladaptation nur ihr Zapfensystem zur Verfügung. Die
ersten 8-10 Min unterscheiden sich nicht von normaler Adaptation. Eine weitere Adaptation
ist dann aber aufgrund der insuffizienten Stäbchen nicht mehr möglich, z.B. durch Gendefekte
oder Vitamin A-Mangel. Messung mittels Adaptometer.
Stäbchen-monochromate Menschen besitzen keine funktionstüchtigen Zapfen. Bei Tageslicht werden sie geblendet. Die Dunkeladaptation läuft aber schneller ab, da der hemmende
Einfluss des Zapfensystems auf das ausschließlich verwendete Stäbchensystem fehlt.
5.
Nystagmus, Okulogramm, Evoziertes Potenzial
Der optokinetische Nystagmus (OKN) ist eine reflektorische Augenbewegung und wird z.B.
durch Blickfixierung aus einem fahrenden Zug oder auf eine sich drehende Streifentrommel
ausgelöst. Die großflächige Bewegung des Bildes auf der Retina heißt optischer Fluss. Dieser
löst entgegen der eigenen Bewegungsrichtung langsam folgende Kompensationsbewegungen
(Deviation) der Bulbi aus. Schnelle Rückstellbewegungen (Sakkaden) in Bewegungsrichtung
unterbrechen diese Deviation. Die Sakkade gibt die Richtung des Nystagmus an und wird
durch eine erhöhte AP-Frequenz bestimmt.
Augenbewegungen sind mittels Elektro-Okulo-Gramm (EOG) objektiv darstellbar.
Zwischen Pigmentepithel (positiv geladen) und Photosensoren (negativ) besteht bei
Belichtung eine Potenzialdifferenz = belichtungs-abhängiges corneo-retinales Bestandspotenzial. Elektroden an Schläfe und Nase registrieren Bewegungen dieses okularen Dipols.
Visuell Evozierte Potenziale (VEP) helfen bei Beurteilung der Sehbahnfunktion: dazu wird
über den visuellen Kortex okzipital ein spezielles EEG abgeleitet und gemittelt, währenddessen dem Patienten intermittierende Lichtreize präsentiert werden. Der typische Verlauf
zeigt ein mehrgipfliges Potenzial mit einer ausgeprägten positiven P100-Welle (Latenz 90-120
ms). Pathologisch sind erhöhte Latenzzeiten, erniedrigte Amplituden oder signifikante
Latenzdifferenzen zwischen beiden Augen. Eine Latenzverlängerung der P100-Welle auf >120
SINNE 13
ms bei gleichzeitiger Abnahme der Amplitude ist beispielsweise bei Entzündungen des
nervus opticus oder Multipler Sklerose zu verzeichnen.
6.
Das primär-Rezeptive Feld (pRF)
Durch Verschaltung von retinalen Zellen entsteht ein primäres Rezeptives Feld: dieses wird
von Gruppen solcher Sensorzellen gebildet, die die Aktivität eines gemeinsamen afferenten
Neurons beeinflussen. Die pRFs sind in der Fovea centralis sehr klein und werden zur
Peripherie (= Ora serrata) hin zunehmend größer. Sie sind rund, überlagern sich nicht und
untergliedern sich in ein dominantes Zentrum und eine antagonistische Peripherie.
Bei ON-Zentrum-Bipolaren wirkt eine Belichtung des Zentrums erregend, die Belichtung der
Peripherie hingegen hemmend. Umgekehrt hemmt Licht das Zentrum von OFF-ZentrumBipolaren und erregt die Peripherie. Beachte Bei Adaptationsvorgängen ändert sich
lediglich die Größe des Zentrums, nicht aber die Größe des gesamten Feldes! Bei maximaler
Dunkeladaptation können die Zentren die Größe eines gesamten Feldes erreichen; während
sie sich bei Helladaptation verkleinern. Horizontalzellen vermitteln eine Rückkopplung
zwischen Photorezeptorzellen. Sie dienen der Einstellung des Helligkeitsbereichs. Amakrine
Zellen sind sehr funktionsvariabel. Sie haben verschiedene Transmitter und wirken auf
verschiedene post-synaptische Rezeptoren der Ganglienzellen. Sie sind wichtig für
Bewegungssehen, für intermittierende Reize, für Verschaltung der pRFs mit den ON/OFFGanglienzellen.
Funktion: Die primäres Rezeptives Feld
bewirken mittels lateraler Hemmung
der
Interneurone
eine
Kontrastverstärkung zwischen den
hellen und dunklen Strukturen, so z. B.
der Schwarz-Weiß-Übergang eines
Buchstaben oder am Rand einer
Struktur) sowie zwischen verschiedenfarbigen Strukturen (= ZweipunktDiskriminierung). Im Dunkeln ist der
Antagonismus aufgehoben  folglich
sinkt der Visus (Unschärfe durch räumaus: R. F. Schmidt , G. Thews, F. Lang Physiologie d. Menschen (2000)
liche Summation). Und durch verlängerte zeitliche Summation der Photonen
und der Aktivierung des rezeptiven Feldes nehmen wir Objekte um bis zu 30 % langsamer
bzw. verzögert wahr. Hinzu kommt, dass Stäbchen langsamer hyperpolarisieren als Zapfen.
Simultankontrast oder Sukzessivkontrast (letzterer auch als Nachbilder bekannt) beruhen auf
einer komplexen lokalen (in der Fovea), sensorisch-photochemischen (Isomerisierung des
Retinals = zeitliche Sättigung der Empfindlichkeit der Zelle) sowie neuronalen (Singleopponent Cells = Gegenfarben-Neurone) Adaptation.
SINNE 14
7. Das Gesichtsfeld
Das Gesichtsfeld ist der Bereich der Umwelt, der mit dem unbewegten Auge wahrgenommen
wird. Mit einem Perimeter kann es für beide
Augen getrennt bestimmt werden. Bei der Untersuchung wird das nicht untersuchte Auge abgedeckt
und mit dem zu untersuchenden Auge ein Punkt in
der Mitte des Perimeters fixiert = Mittelpunkt des
Gesichtsfeldes (0°). Zur Bestimmung der Gesichtsfeldgrenzen werden von der Peripherie her Lichtpunkte ins Gesichtsfeld hineinbewegt (kinetische
Prüfung). Sobald der Lichtreiz wahrgenommen wird,
ist die Grenze erreicht. Bei einer statischen Perimetrie leuchten Lichtpunkte an verschiedenen Stellen
nacheinander auf. Die Ausdehnung des Gesichtsfeldes reicht ca. 90° nach temporal, 60° nach nasal,
60° nach oben und 70° nach unten. Für weißes Licht
ist es am größten und entsprechend der Verteilung
der für die 3 Grundfarbenkodierenden Zapfentypen
für Blau größer als fürRot sowie am kleinsten für
aus: R. Klinke, H.-C. Pape, S. Silbernagl Physiologie
(2005)
Grün.Auch innerhalb des Gesichtsfeldes können
Bereiche auftreten, in denen Lichtreize nicht wahrgenommen werden. Einen solchen
Gesichtsfeldausfall bezeichnet man als Skotom. Ein physiologisches Skotom ist z.B. der
blinde Fleck (Papilla nervi optici) ca. 15° temporal des Fixationspunktes. Er repräsentiert den
sensorfreien Bereich über dem Abgang des n. opticus Bei Dunkelheit wird die fovea centralis
zum physiologischen Skotom. Durch Kenntnis des. Sehbahnverlaufs kann bei auftretenden
Skotomen auf die Lokalisation der Schädigung geschlossen werden. Besteht ein monokularer
Gesichtsfeldausfall, so liegt dieser vor der Sehnervenkreuzung und betrifft die Retina oder
den Sehnerven selbst (z.B. vollständige Erblindung eines Auges = Amaurose = Schwarzer
Star = Pupillenstarre nach einseitigem Ausfall des n. opticus). Werden die nasalen Fasern im
Bereich des Chiasmas geschädigt, tritt eine bitemporale Hemianopsie (ScheuklappenBlindheit) auf, da die Fasern nur die temporalen Gesichtsfeldhälften repräsentieren (z.B. bei
Hypophysen-Tumoren). Seltener werden die temporalen Fasern geschädigt, was zur binasalen
Hemianopsie führt. Bei Schädigungen hinter dem Chiasma opticum treten homonyme
Gesichtsfeldausfälle auf. Diese betreffen dann jeweils nur die rechten oder linken Teile der
Gesichtsfelder. Bei Schädigung in der linken Hemisphäre ist die rechte Gesichtsfeldhälfte
betroffen. Skotome, die im Rahmen einer Schädigung der Sehnerven durch erhöhten
Augeninnendruck (Glaukom) entstehen, liegen anfänglich in der mittleren Peripherie und
werden deshalb oft nicht wahrgenommen.
8.
Der Augeninnendruck (Intra-Okular-Druck)
Der normale Augeninnendruck beträgt ungefähr 10-20 mmHg. Abhängig von der Tageszeit
schwankt dieser Wert um etwa 5 mmHg, wobei er morgens niedriger als abends ist. Die
Produktion und der Abfluss des Kammerwassers gleichen sich unter normalen Umständen aus
(2 mm3/min). Das Kammerwasser wird aus dem uveal-versorgten (peripherer Blutdruck ca.
40 mmHg) Epithel des Ziliarkörpers gebildet und stellt ein Ultrafiltrat und Sekretionsprodukt
dar (getrieben durch die Carboanhydrase). Von der hinteren Augenkammer fließt es durch die
Pupille in die vordere Kammer, um im Kammerwinkel über das Trabekelwerk in den
Schlemm-Kanal resorbiert zu werden und schließlich in den venösen Abfluss (8-9 mmHg) zu
gelangen. Durch den intraokularen Druck -- der sich durch den gelartigen Glaskörper
homogen verteilt - - wird die Form des Bulbus konstant gehalten.
Zur Messung des Drucks stehen verschiedene Tonometrie-Verfahren zur Verfügung, die alle
die Verformbarkeit der Cornea in Abhängigkeit vom herrschenden Augeninnendruck und der
SINNE 15
Dicke der Cornea nutzen. Bei der Applanations-Tonometrie wird die Kraft gemessen, die
zum Abflachen einer definierten Corneafläche benötigt wird, während bei der ImpressionsTonometrie deren Eindellung infolge der Einwirkung eines definierten Druckes gemessen
wird. Für beide Verfahren ist Anästhesie und direkter Kontakt zur Cornea erforderlich.
Umgangen wird dieses Problem durch die Non-contact = Pneumo-Tonometrie, wozu ein
Luftstoß verwendet wird. Zum Erhalt verlässlicher Ergebnisse (Lidschlussreflex, Schreckreaktionen) sollte diese Messung des Drucks jedoch mehrmals wiederholt werden.
Bei pathologisch erhöhtem Augeninnendruck liegt ein Glaukom (Grüner Star) vor. Ursache
ist entweder eine Behinderung der Resorption des Kammerwassers oder dessen gesteigerte
Produktion. Der erhöhte Druck bewirkt eine Schädigung von Sehnervenfasern und Ischämie,
was zu Gesichtsfeldausfällen und unbehandelt später zur Erblindung führt. Wenn der
Kammerwinkel durch die Iris verlegt wird (akutes Winkelblock-Glaukom), ist der
Kammerwasserabfluss behindert und es kommt zum plötzlichen Druckanstieg mit
schmerzhafter Asthenopie. Zur Therapie werden Miotika getropft, um den Abfluss zu
verbessern, sowie Medikamente, die die Produktion des Kammerwassers hemmen (β-Blocker,
Carboanhydratase-Blocker wie Acetazolamid). Zusätzlich kommt eine operative Entlastung in
Betracht. Das chronische Offenwinkelglaukom (Glaucoma simplex) verläuft oft schmerzlos
und schleichend. Trotz offenem Kammerwinkel ist der Abfluss stetig behindert und erzeugt so
einen chronisch erhöhten Augeninnendruck. Therapiert wird mit drucksenkenden
Medikamenten und gegebenenfalls wird der Abfluss des Kammerwassers operativ verbessert.
9.
Die Sehschärfe (Visus)
Der Visus V ist als der Kehrwert des in Winkelminuten gemessenen räumlichen
Auflösungsvermögens α (Visus = 1/α [1/Winkelminute]) definiert, also die Fähigkeit, noch
zwei Punkte als getrennt erkennen zu.können. Ein Auflösungsvermögen von 1 Winkelminute
bedeutet, dass eine Lücke mit einer Größe von 1 Winkelminute (Sehwinkel) in einer Optotype
(Landoldt-Ring, Buchstabe) noch erkannt wird. In diesem Fall beträgt der Visus 1 (= 100 %).
Werden auch Abstände unter einer Winkelminute erkannt, ist V >1 (= Übervisus). Sind die
Abstände größer als eine Winkelminute, ist V <1. Anstelle des Sehwinkels kann auch die
Entfernung bestimmt werden, in der eine Lücke bestimmter Größe noch erkannt wird (V =
Messentfernung/ Sollentfernung bei V = 1 oder 100 %). Der Visus von Jugendlichen beträgt
0,8-1,5. Beim photopischen Sehen ist die Sehschärfe in der Fovea centralis am größten und
nimmt mit der Zapfendichte zur Peripherie hin ab. Mit abnehmender Helligkeit verschlechtert
sich der Visus. Bei skotopischen Bedingungen erreicht er para-foveal die höchsten Werte. Da
sich in der Fovea centralis keine Stäbchensensorzellen befinden; ist dort der Visus Null. Zur
Bestimmung werden bei standardisierter Beleuchtungs-Intensität sogenannte Sehprobentafeln
für die Nähe mit Optotypen (Buchstaben, Landoldtringe, Bilder bekannter Gegenstände)
verschiedener Größen in z.B. 5 m Entfernung projiziert.
Unser Sehvermögen ist von allen strukturellen, opto-physikalischen, sensor-physiologischen,
psycho-physikalischen, neuro-anatomischen Parametern der beiden Sinnesorgane und der
Sehbahn abhängig! Siehe Praktikum-Versuche Nr. 2 + 5. Weitere klinische Aspekte
werden im Klinisch-Physiologischen Seminar behandelt.
10.
Das Farbensehen
Für die Farbwahrnehmung spielen Farbton u.-Sättigung (= Farbart) und Helligkeit eine Rolle.
Durch Kombination dieser Komponenten sind wir in der Lage, über 2 Millionen
Farbvariationen wahrzunehmen. Die 3 Zapfentypen unterscheiden sich im Absorptionsmaximum ihrer Sehfarbstoffe in Zapfen für Blau (420 nm), Grün (535 nm) und Rot (565 nm).
Nach der trichromatischen Farbtheorie kann durch additive Farbmischung dreier monochromatischer Farben jede beliebige Farbe erzeugt oder die Farbe aufgehoben werden (Weiß).
Diese Mischung entsteht durch neuronale Verarbeitung der Antworten der drei Zapfentypen
SINNE 16
auf einen Lichtreiz. Entlang der Sehbahn werden die Zapfensignale so verschaltet, dass
Gegenfarben-Neurone (Ganglienzellen  Neurone im CGL) entstehen. Komplementärpaare
sind Rot + Grün, Blau + Gelb (Gelb wird aus Grün und Rot gemischt). Solche Neurone
werden im Zentrum des pRFs durch einen Zapfentyp angeregt und aus der Peripherie durch
Zapfen der Gegenfarbe antagonistisch gehemmt (ON-Zentrum für Rot, Grün oder Blau). Bei
OFF-Zentrum-Ganglienzellen ist die Farbe im Zentrum hemmend, die Gegenfarbe in der
Peripherie hingegen erregend. Diese Neurone sind farbempfindlich, aber noch nicht
farbspezifisch, denn sie reagieren auf Farb- und Helligkeitsunterschiede ähnlich. DoppelGegenfarben-Neurone befinden sich im visuellen Kortex und sind farbspezifisch. Hier sind
nicht nur die Gegenfarben, sondern auch Zentrum und Peripherie antagonistisch verschaltet.
Sie entstehen durch Zusammenschalten von ON- und OFF-Gegenfarbenneuronen eines
Gegenfarbenpaares. Dadurch wirkt eine Farbe im Zentrum erregend und die zugehörige
Gegenfarbe hemmend. In der Peripherie ist es umgekehrt: die Komplementärfarbe wirkt
erregend und die andere Farbe hemmend. So werden Farbkontraste zwischen den
betreffenden Farben registriert. Farbsinnesstörungen beeinträchtigen die Farbwahrnehmung.
Sie werden durch meist X-chromosomal vererbbare Mutationen im Sehpigment verursacht.
Wenn ein einzelner Zapfentyp in seiner Funktion reduziert ist, dann liegt eine Farbanomalie
(= Farbschwäche) vor. So kann der rot-schwache Mensch (mit Protanomalie) nicht so viele
Rottöne wie ein Gesunder unterscheiden und benötigt zum Mischen eines Gelbtons aus Grün
und Rot im Anomaloskop einen höheren Rotanteil. Weiterhin existieren Grünschwäche
(Deuteranomalie) und Blau-Gelb-Schwäche (Tritanomalie). Fehlt ein Pigment völlig, kann
eine Farbe gar nicht erkannt werden (= Farbblindheit). Protanope sind rot-blind, Deuteranope grün-blind und Tritanope blauviolett-blind. Beim Fehlen aller Zapfenpigmente liegt
eine totale Farbenblindheit (Achromatopsie) vor. Nur noch anhand der Helligkeit können
etwa 500 Graustufen unterschieden werden. Zur Testung auf Farbsinnesstörungen werden
neben dem Anomaloskop auch pseudo-isochromatische Tafeln eingesetzt. Sie bestehen aus
Punkten unterschiedlicher Farbart, aber gleicher Helligkeit. Dabei sind versteckte Zahlen oder
Muster nur für Menschen ohne Farbsinnesstörungen vollständig erkennbar.
11.
Die Tiefen-Wahrnehmung (= mono- und bin-okulares räumliches Sehen)
1) Die monokulare Tiefenwahrnehmung
erfolgt bei Objekten, die weit entfernt
sind, oder wenn nur ein Auge zur
Verfügung steht. Bei Verdeckung eines
Objekts durch ein anderes befindet sich
logischerweise das verdeckte hinter dem
anderen. Bewegt man sich, so scheinen
sich nahe Gegenstände schneller als
weiter entfernt liegende zu bewegen
(Bewegungs-Parallaxe).
Durch Vergleich von Objekten bekannter
Größe kann die Entfernung abgeschätzt
werden. Parallele Linien scheinen sich in
der Ferne zu schneiden. Gleichgroße
Objekte erscheinen je nach Entfernung
verschieden groß (Größen-perspektive).
Verteilung von Licht und Schatten sowie
Farbsättigung sind auch hilfreich. Nahe
binokulare Tiefenwahrnehmung
Objekte haben gesättigte Farben, ferne
aus: R. Klinke, H.-C. Pape, S. Silbernagl Physiologie 2004
erscheinen bläulich.
2) Die binokulare Tiefenwahrnehmung funktioniert bis zu einer Entfernung von 100 m
(optimal jedoch zwischen Greifraum und dem 6 m Panum-Raum). Im Nahbereich stimmen
SINNE 17
die Abbildungen in beiden Augen nicht völlig überein. Wird ein Punkt F (siehe obige
Abbildung) fixiert, wird er in jedem Auge in der Fovea abgebildet. Netzhaut-Areale, auf
denen jeweils gleiche Bildpunkte abgebildet werden, heißen korrespondierende Netzhautareale. Außer dem Fixationspunkt F werden also noch andere Punkte auf korrespondierenden
Stellen abgebildet. Sie liegen alle auf einer geometrischen Figur, dem Horopter. Liegt ein
Punkt nicht auf dem Horopter, verschiebt sich die Abbildung auf der Retina in der
Horizontalen (Querdisparation). Liegt ein Gegenstand weiter entfernt als F, so weicht seine
Abbildung nach nasal ab. Weicht die Abbildung nach temporal ab, dann liegt das
entsprechende Objekt näher als der Fixationspunkt. Weichen die fovealen Abbildungen beider
Augen zu stark voneinander ab (Querdisparation mehr als 16 Winkelminuten), können die
beiden Bilder nicht mehr zu einem Bild verschmolzen werden (Fusion): man sieht folglich
Doppelbilder. Beim Schielen (Strabismus) wird der Gegenstand nur von einem Auge fixiert,
während das andere abweicht. Wenn dies bei Kindern nicht rechtzeitig durch Behebung der
Ursache (Hyperopie, Fehlstellung) und Fixierungsübungen mit dem abweichenden Auge
korrigiert wird, kann es zur Ausbildung eines dominanten Auges kommen. Die
Sinneseindrücke des anderen Auges werden unterdrückt und es entwickelt sich eine
irreversible Sehschwäche (Amblyopie).
PRAKTIKUMVersuche
AUG
Versuch
1
E + SEHEN
Bestimmung von NAH- u. FERN-PUNKT
Mit dem Optometer nach DONDERS werden Nahpunkt (NP) und Fernpunkt (FP) des Auges
subjektiv ermittelt. Auf einem 0,5-1 m langen Messlineal befindet sich eine verschiebbare,
von seitlich oder oben beleuchtete Nadel, welche mit dem Auge der Versuchperson durch die
zwei kleinen Löchern der Lochblende zu fixieren ist.
Messung des Nahpunktes NP: Die Nadel wird durch Verschieben dem Auge genau so weit
angenähert, bis sie nicht mehr einfach, sondern doppelt und unscharf erscheint. Die kürzeste
Entfernung für noch einfaches Sehen der Nadel ergibt den Nahpunkt, der am Lineal direkt
abzulesen ist.
Berechnung des Fernpunktes FP:
Der Fernpunkt liegt beim normalsichtigen (=
emmetropen) Auge in unendlicher Entfernung, beim kurzsichtigen (= myopen) Auge in
endlicher Entfernung vor dem Auge, beim weitsichtigen (= hyperopen ) Auge ist er virtuell
(F liegt hinter dem Auge). Der Fernpunkt ist demnach mit obiger Apparatur allein, nicht zu
messen. Den Fernpunkt FP ermittelt man, indem hinter die Blende zusätzlich eine
Sammellinse z.B. einer Brechkraft D = +3 dpt gesteckt wird. Dadurch wird das Auge
künstlich myop gemacht und der Fernpunkt in endliche Entfernung gerückt. Nun wird die
größte Entfernung bestimmt,, in der die Nadel noch einfach und scharf erscheint, indem man
die Nadel vom Auge weg bewegt. Dies müsste beim emmetropen Auge der Fall sein, wenn
sich die Nadel im Abstand der Brennweite der Zusatzlinse befindet, also in 20 cm Abstand.
Dann sind die Strahlen nach der Brechung durch die Zusatzlinse parallel, als ob sie aus
unendlicher Entfernung kämen. Ein hyperopes Auge wird die Nadel erst in mehr als 20 cm
Entfernung einfach sehen. Aus diesen abgelesenen Werten wird schließlich die Lage des
tatsächlichen Fernpunktes mittels folgender Formel errechnet:
1
1
---- = ---- + D
FP` FP
oder für den Nahpunkt
1
1
---- = ---NP`
NP
+ D
wobei FP`= der mit der vorgesetzten Linse gemessene Fernpunkt, FP = der gesuchte
Fernpunkt Ihres Auges, D = die Brechkraft der vorgesetzten Linse ist. Aus den gemessenen
SINNE 18
Entfernungen ergibt sich die Änderung der Brechkraft, welche die Akkommodation
herbeiführen kann (= die Akkommodationsbreite in Dioptrien). Tragen Sie die VersuchsErgebnisse des getesteten Auges in die Tabelle ein:
NP = Lage des Nahpunktes; Fp' = Lage des Fernpunktes nach Vorschalten von +3 dpt. Fp =
Lage des Fernpunktes ( nach Abzug der +3 dpt).
*NP’
NP
1/NP
FP’
1/FP'
1/FP
Akkommodations-
(m)
(m)
(dpt)
(m)
(dpt)
(dpt)
Breite (dpt)
rechts
links
* bei tragen von Kontaktlinsen. Beim nicht korrigierten Auge ist Np’ = Np
Berechnen Sie die Akkommodationsfähigkeit Ihres getesteten Auges mittels der Formel:
Akkommodationsbereich (in m) (oder –breite in dpt)
Versuch
2
AB
=
1
1
---- – ---NP
FP
Bestimmung der SEHSCHÄRFE
a) Der Patient wird der genormt gut beleuchteten Tafel in genau 5 m Entfernung gegenüber
gestellt. Ein Auge wird durch eine undurchsichtige Scheibe im Testbrillengestell verdeckt
(wenn das Auge mit der Hand verdeckt wird, darf kein Druck auf den Bulbus ausgeübt
werden, warum?). Der Patient liest nun die Optotypenreihe, die er noch gut erkennen kann.
Das Ergebnis wird in Form eines Bruches protokolliert: Entfernung, in der die Prüfung
vorgenommen wird im Zähler = IST, die auf der Tafel rechts angegebene Zahl der noch
korrekt gelesenen Reihe im Nenner = SOLL.
Also: wenn aus 5 m Entfernung die Reihe gut scharf gesehen wird, die der Normalsehende noch aus 8 m Entfernung lesen kann, beträgt die Sehschärfe = 5/8.
Der Normalsehende hat meist die Sehschärfe > 5/5 oder > 100 % , wobei maximale Werte bis
zu 200 % erreicht werden können. Der Wert 5/8 würde eine unternormale, der Wert 5/4 eine
übernormale Sehschärfe bedeuten. Der Bruch wird nicht gekürzt, um aus ihm stets die
Untersuchungsentfernung entnehmen zu können. Fehlsichtige Studierende überprüfen mit
dieser Methode ihre vom Augenarzt verordnete korrigierende Brillenglasstärke (bitte
Brillenpass mitbringen) durch ausprobierendes Vorsetzen von:
sphärischer Linsen (minus = konkav = weiß) oder (plus = konvex = schwarz)
b) Wiederholung der Prüfung bei einem Weit- oder Normalsichtigen nach Vorsetzen einer
schwarz-gefassten Linse von +4 dpt: das Auge ist dadurch künstlich extrem „kurzsichtig“.
Nun korrigiert man durch Addition von Zerstreuungslinsen solange, bis der Proband eine
Zeile scharf sieht. Eine Differenz in Dioptrien zeigt den Grad der Weitsichtigkeit an.
c) Betrachten Sie die Sehprobentafel nun auch durch die mittels eines Striches orientierte
zylindrische konkave (bei Myopie) oder konvexe (bei Hyperopie) Linsen und versuchen Sie,
die Sehschärfe durch Kompensation eines möglichen Astigmatismus durch langsames Drehen
dieser Linse zu optimieren.
Tragen Sie die Versuchsergebnisse Ihres getesteten Auges in die Tabelle ein (Grad° =
Winkel der Orientierung = Strich auf der Linse des Zylinders im Auge, % = Sehschärfe in
Prozent).
Bei normalen Augen ist häufig, bedingt durch den Liddruck, der senkrechte Meridian der
Cornea etwas stärker gekrümmt als der waagerechte (physiologischer Astigmatismus: bis
0,5 dpt).
sphärisch zylindr.
SINNE 19
%
sphärisch zylindr.
%
rechts
links
Grad°
Grad°
Das Sehen ohne Linsenkorrektur (Visus sine correctione) bezeichnet man als "Sehleistung"
oder “Rohvisus“; die Gesamtleistung des optischen, neuronalen und kortikalen Sinnessystems
bezeichnet man als “Sehvermögen“.
Die Sehschärfe ist abhängig von vielen Faktoren !!
Dioptrischer Apparat
- Transparenz der brechenden Medien (Xerophthalmien, Cataracta)
- Abbildungsfehler (Refraktions-Anomalien)
- Lage des Fernpunktes (Achsen-Ametropien)
- Pupillen-Durchmesser (Schärfentiefe)
Netzhaut
- Orte wie Foveola, Fovea, para-, perifoveal
- Status der Retina, Sensoren-Dichte u. -Verteilung, Größe primär-rezeptiver Felder
- Gesichtsfeld und Sehbahn
Messmethode
- Untersuchungs-/ Untersucherstrategie, Patientenalter u. -ansprechbarkeit
- Optotypen (Art, Ausrichtung, Abstand, Größen, Kontrast, Leuchtdichte)
- Raumbeleuchtung, Prüfentfernung, Darbietungszeit
Parameter wie:
- Binokulares Sehen (Schielen)
- Augeninnendruck (Glaukom)
- Augendurchblutung, Pigmentierung (Retinopathien)
- Metabolische Störungen (Diabetes mellitus)
Versuch
3
Messung des GESICHTSFELDES
Das Gesichtsfeld ist der Bereich der Umwelt, der mit dem unbewegten Auge wahrgenommen
wird. Mit dem Perimeter kann es für beide Augen getrennt bestimmt werden. Zur
Untersuchung wird der Kopf an Kinn und Stirn abgestützt, das nicht untersuchte Auge wird
abgedeckt und mit dem zu untersuchenden Auge der Punkt in der Mitte des Perimeters fixiert.
Dieser stellt den Mittelpunkt des Gesichtsfeldes dar (0°). Zur Bestimmung der Gesichtsfeldgrenzen werden von der Peripherie her kommend Lichtpunkte ins Gesichtsfeld hineinbewegt (= kinetische Prüfung). Dies geschieht unter verschiedenen Winkeln. Mit
Wahrnehmung des Lichtreizes ist die Grenze erreicht.
Sie werden von der Assistenz in den Gebrauch des Gerätes eingewiesen. Bestimmen Sie die
Grenzen des Gesichtsfeldes des rechten Auges Ihres Praktikumpartners für einen permanenten
weißen Lichtpunkt (kinetische Perimetrie). Verbinden Sie die 8 Stichmarken und kleben Sie
das Diagramm in Ihre Praktikumanleitung ein.
Wie ist ein Perimeter aufgebaut?
Warum ist das Gesichtsfeld nicht kreisrund?
Ändert sich das Gesichtsfeld nach Vorschalten von Farbfiltern für Blau, Rot, Grün?
Was versteht man unter „Skotom“; welche verschiedenen Formen von Skotomen gibt es?
Versuch
4
Prüfung des FARBEN-SEHENS
SINNE 20
Überprüfen Sie zusätzlich Ihre Farbsehtüchtigkeit mit den iso-chromatischen Farbtafeln
nach Ishihara (Führerschein-Test) zur Aufdeckung von extremen Farbseh-Störungen.
Farben-Fehlsichtigkeiten:
Trichromasie: = ein Zapfentyp ist partiell defekt
Protanomalie
(rot-schwach)
Deuteranomalie
(grün-schwach)
Tritanopie
(blau-gelb-schwach)
Dichromasie: = es fehlt ein Zapfentyp total
Protanopie
(rot-blind)
Deuteranopie
(grün-blind)
Tritanopie
(blau-gelb-blind)
Wie häufig sind Farben-Fehlsichtigkeiten bei Frauen und Männern?
Versuch
5
Prüfung des SEHVERMÖGENS
a) Das Gerät „Rodatest“ wird u.a. generell in der betriebsärztlichen Diagnostik eingesetzt
und ermöglicht die subjektive Messung: 1.) des Visus bei Hyperopie mit Landoldt-Ringen
(im Vergleich zur Visus-Bestimmung mittels Sehprobentafel), 2.) des Gesichtsfeldes (im
Vergleich zur kinetischen Perimetrie), 3.) des stereo-skopischen Sehvermögens, 4.) der
Farbsehtüchtigkeit und 5.) des Kontrast-Sehens mit und ohne Blendung eines Probanden.
SINNE 21
HÖREN
Autoren: Zsoka Schwab, Prof. Dr. Hans-Peter Richter
Dr. Helmut Machulla, Dr. Bernd Bufe
 das Ohr ist unser zweit-wichtigstes Fern-Sinnesorgan!! Das Hören ist
bereits im Kleinkind optimal funktionsfähig. Es dient u.a. zur frühen
Sprachbildung, zum Orientieren im Raum, zum Schutz vor Gefahren
Wichtig -- zum besseren Verständnis siehe Vorlesung im C.I.P.-Pool !!
 unser Hörvermögen ist abhängig von allen strukturellen, akusto-physikalischen, sensor-physiologischen, psycho-physikalischen, neuro-anatomischen Parametern der beiden Sinneskanäle !!
Inhalts-Übersicht
A. Physikalische Grundlagen
Seite
24
1. Schall
2. Werte, Definitionen, Begriffe
B. Psychophysik des Hörens
21
1. Hörfeld / Hörfläche
C. Funktionen des Hörorgans
23
1. Anatomischer Überblick
2. Schall-Weg über Außen-, Mittel-, Innen-Ohr
Reiz-Leitung u. -Verstärkung, Cochlea,
Corti-Organ, Frequenz-Dispersion
3. Signaltransduktion
4. Erregungs-Weiterleitung über die Hörbahn
D. Pathophysiologie des Hörens
28
1. Hörschäden
2. Subjektive Hörtests
3. Objektive Hörtests
E. Anleitungen zu den Aufgaben
-- Hausaufgaben A) - F)
-- Durchführung der Versuche 1. - 5.
-- Klinische Bezüge
31
SINNE 22
A. Physikalische Grundlagen
1.) Was ist Schall?
Als Schall bezeichnet man Druckwellen, die sich in einem elastischen Medium ausbreiten.
Die Moleküle schwingen dabei hin und her und stoßen sich gegenseitig an; so dass es zu einer
abwechselnden Komprimierung und Verdünnung des Mediums in Ausbreitungsrichtung (=
Longitudinalwelle) kommt. Die zwei Variablen einer Schallwelle sind die Frequenz (Tonhöhe
in Hz) und die Amplitude (Schalldruck in Pa, mit dem subjektiven Korrelat Lautstärke in
Phon). Die Leistung des Ohrs besteht darin, mechanische Energie der Druckwellen
aufzunehmen, weiterzuleiten, in elektrische Impulse (Änderung vom Membranpotenzial =
Sensorpotenzial) umzuwandeln, Transmitter auszuschütten und schließlich in Form
neuronaler Aktionspotenziale als Erregung zum auditorischen Kortex des ZNSs zu leiten.
Dabei kann es komplexe Klänge und Geräusche in ihre Tonbestandteile auftrennen (=
Dispersion) und so einer weiteren Analyse entlang der Hörbahn zugänglich machen. Töne und
Klänge haben eine regelmäßige Periode, Geräusche nicht.
2.) Werte, Definitionen, Begriffe des Schalls
Schall g e sch w i n d i g k e i t e n: in Luft 333; in Wasser 1.428; in Knochen 5.000 m/s.
Schall d r u c k:
wird durch die Amplitude der Schallwelle bestimmt [Pa]
Schall d r u ck p e g e l:
logarithmisches Maß für den Schalldruck in Dezibel [dB]
SPL (Sound Pressure Level) = 20  log Schalldruck/Referenzschalldruck (mit Filter A)
Referenzschalldruck = 1,5  10-5 Pa (= Hörschwellendruck des Ohres bei 1.000 Hz)
Verzehnfacht sich der Schalldruck, nimmt der SPL um 20 dB zu
Schall i n t e n s i t ä t: Schalldruck (P)  Schallgeschwindigkeit (V) = N/m2  m/s = W/m2 =
Schallleistung, die bei senkrechtem Einfall der Welle durch eine Fläche von 1 m2 dringt
Charakteristika des hörbaren Schalls:
Frequenzen: 16 – 20.000 [Hz] (S/s) (unterhalb = Infraschall, oberhalb = Ultraschall)
Wellenlängen: 21 – 0,17 [m]
Amplituden:
1,5  10-5 Pa (= absolute Hörschwelle) bis ca. 28 Pa (= Schmerzschwelle)
Energie:
10-19 [J] (an der absoluten < Hörschwelle)
Formen von Schall-Ereignissen:
Ton:
einfache, reine Sinusschwingung,
erzeugbar nur mit Tongenerator,
(Stimmgabel ist
idealisiert,
normalerweise geringe Obertöne)
hat
Klang:
ein Grundton plus Obertöne,
deren Frequenzen ein ganzzahlig
Vielfaches vom Grundton sind.
Grundton = Klanghöhe
Obertöne = Klangfarbe
Geräusch: wenn verschiedene hörbaren FreR. Schmidt, G. Thews, F. Lang
quenzen gleichzeitig schwingen.
Weißes Rauschen = alle hörbaren
Frequenzen schwingen gleichzeitig. .
„Physiologie d. Menschen“ 2000
Interferenz:
Interferenz ist die Überlagerung von Wellen durch Superposition, d.h. durch die Addition
ihrer Amplituden. Bei einem geringen Frequenzunterschied zweier Schwingungen kommt es
zur Schwebung: zu hören ist dabei ein Ton mit einer Frequenz, die dem arithmetischen Mittel
der beiden überlagernden Schwingungen entspricht. Die Lautstärke schwankt periodisch mit
der Schwebungsfrequenz (Differenz der Frequenzen der beiden Schwingungen). Das nutzt
SINNE 23
man beim Stimmen von mehreren Musikinstrumenten (die Lautstärkeempfindung
schwankt nicht mehr, wenn alle Instrumente identisch gestimmt sind und klingen).
Reflexion:
Treffen Schallwellen auf ein Hindernis, so werden sie teilweise reflektiert. Je „schallhärter“
das Medium, desto größer wird der reflektierte Anteil (= hohe Impedanz /Wellenwiderstand/;
z.B. in leeren Räumen „hallt“ es). „Schallweich“ wird es dann, wenn der absorbierte
Schallanteil dementsprechend größer ist und die dämpfende Eigenschaft überwiegt (=
niedrige Impedanz; z.B. Teppichboden).
Resonanz:
Ein schwingungsfähiges System kann durch einen Erreger zum Schwingen angeregt werden.
Die Schwingungsfrequenz des Erregers zwingt dem Resonator ihre Frequenz auf. Wenn die
Erregerfrequenz mit der Eigenfrequenz des Resonators übereinstimmt, kommt es zur
Resonanz. Letztere dient der Verstärkung beim Schalltransport über Außen- u. Mittelohr.
Schallausbreitung:
Je größer die Dichte des Mediums ist, umso höher ist sein Schallwellenwiderstand, d.h. desto
mehr Schallenergie ist zum Durchdringen des Mediums nötig (= Impedanzanpassung). Der
Schall wird an der Oberfläche reflektiert, wenn die Schallenergie nicht zum Durchdringen des
Mediums ausreicht. Andererseits erfolgt die Schallleitung umso schneller, je höher die Dichte
des Mediums ist, da die gegeneinander schwingenden Teilchen näher beieinander liegen.
B. Psychophysik des Hörens
1.) unser Hörfeld / Hörfläche
aus: R. Klinke, H.-C. Pape, S. Silbernagl Physiologie (2005)
Die Empfindung, wie laut wir einen Ton hören, hängt nicht nur vom objektiven messbaren
Schalldruckpegel ab, sondern auch von der Frequenz des Tons. Es gibt Frequenzbereiche, in
denen das Ohr empfindlicher auf leise Geräusche reagiert als bei anderen. Um dieser
subjektiven Komponente gerecht zu werden, führte man die nicht messbaren subjektiven
physiologischen Größen Lautstärke (Einheit: Phon) und Lautheit (Einheit: Sone) ein.
Der Lautstärkepegel entspricht definitionsgemäß bei einer Frequenz von 1.000 Hz dem
Schalldruckpegel. Isophone (siehe Abbildung Hörfeld) sind Kurven jeweils gleicher Lautstärkepegel, also gleicher Lautstärkeempfindungen. Die subjektive Hörschwelle liegt bei ca. 4
Phon. Zum Überschreiten dieser Hörschwelle sind für jede Tonfrequenz verschieden starke
Schalldruckpegel nötig: Ganz tiefe Töne benötigen vergleichsweise starke Schalldruckpegel
im Vergleich zu mittleren oder höheren Tönen, um noch gehört zu werden. Da die Null-Linie
SINNE 24
des Schalldruckes willkürlich auf 2x10-5 Pa festgelegt ist, wird der Schalldruckpegel von 0
dB bei etwa 4.000 zum Erzeugen einer gleichen Lautstärke sogar unterschritten ( in diesem
Frequenzbereich rufen hungrige Babys!). Maskierung: Durch gleichzeitig auftretende andere
Töne steigt die Hörschwelle eines bestimmten Tons.
Die Schmerzschwelle liegt bei ca. 130 Phon (abhängig vom Grad der Adaptation - Disco !).
Die Lautheit ist eine noch subjektivere Größe als die Lautstärke. Sie beruht auf der Definition des Lautstärkepegels: 1 Sone = 40 Phon bedeutet, dass ein doppelt so laut empfundener
Klang eine Lautheit von 2 Sone (4-mal lauter = 4 Sone; halb-mal so laut = 0,5 Sone) hat.
Bei Lärm handelt es sich um Schallereignisse, die subjektiv von Menschen als individuell
belästigend empfunden werden oder gesundheitsschädlich sind. Dabei spielt nicht nur die
Lautstärke, sondern auch die Art der Geräusche eine Rolle (z. B. Kratzen über die Tafel.).
Es gibt Unterschiedsschwellen für
1.) die Intensität (Amplitude): an der Hörschwelle bei 0 dB können 3-5 dB; oberhalb 40 dB
sogar nur 1 dB voneinander unterschieden werden und für
2.) die Tonhöhe (Frequenz) a) simultan = zwei Töne gleichzeitig dargeboten: 18 Hz (=
Schwebung); b) sukzessiv = 3 Hz bei zwei aufeinander folgend bei 1.000 Hz-Tönen; im
generellen Frequenzbereich etwa 0,2-0,3 %.
Weber-Fechner-Beziehung: Da sich in der Sinnesphysiologie die meisten Reizintensitäten
über mehrere Zehnerpotenzen erstrecken und sich die resultierenden individuellen
Empfindungen nicht objektiv messen lassen, sind von Rushton (1969) das Weber- und das
Fechner-Gesetz kombiniert worden.
Empfindung E als Beziehung wirkender Reizstärke I zur Reizstärke an der Absolutschwelle Io
I
= Weber-Fechner - Beziehung
E = K  log 
Io
Die Stevens´sche Potenzfunktion beschreibt dazu noch eine lineare Beziehung von
applizierter Reizintensität zur Empfindungs-Intensität für Sinnes-Modalitäten (intermodaler
Intensitätsvergleich) wie Druck, Geruchs- u. Geschmacks-Qualitäten, Helligkeit, Lautstärke,
Temperatur, Schmerzen.
C. Funktionen des Hörorgans
1. Anatomischer Überblick
aus: R. F. Schmidt, K..Unsicker www..lehrbuchvorklinik.de. Die Bild-CD-ROM .(2003)
SINNE 25
2. Der Weg des Schalls
Station: Außenohr (Reiz-Leitung)
Die trichterförmige Ohrmuschel (Auricula) bündelt die Schalldruckwelle und leitet sie in den
äußeren Gehörgang bis zum Trommelfell; außerdem ist sie wichtig für das Richtungshören.
Das Trommelfell wird durch die periodischen Luftdruckschwankungen zum Schwingen
gebracht. Im äußeren Gehörgang (Meatus acusticus externus) wird das Cerumen
(volkstümlich: Ohrenschmalz) als notwendiger physiologischer Bestandteil der Selbstreinigung sezerniert, der aus dem Sekret von Talgdrüsen vermischt mit abgestoßenen
Epithelzellen, Staub, Härchen und Pigmenten besteht, bitter schmeckt und ranzig riecht
(vertreibt Insekten), aber auch bakterizid und fungizid ist.
Station: Mittelohr (Reizleitung u. -verstärkung)
Direkt am Trommelfell befestigt ist der Hammer (malleus). Er überträgt die Schwingungen
des Trommelfells auf den Amboss (incus) und dieser auf den Steigbügel (stapes), der über das
ovale Fenster mit dem Perilymphraum des Innenohres kommuniziert. Der Schall im Mittelohr
wird nicht nur weitergeleitet, sondern auch noch um etwa den Faktor 30 verstärkt. Dies ist
deshalb nötig, weil das Innenohr im Gegensatz zum Mittelohr mit Flüssigkeit gefüllt ist, die
eine viel niedrigere Kompressibilität und einen viel höheren Schallwellenwiderstand als Luft
hat. Folglich würde nur relativ wenig Schallenergie in das Innenohr gelangen können, der
größte Teil würde aufgrund der erhöhten Impedanz an der Membran des ovalen Fensters
reflektiert (s. Vorlesung).
Der Schalldruck wird durch folgende Mechanismen verstärkt (= Impedanz-Anpassung)
1)
Die Gehörknöchelchen-Kette hat eine Hebelwirkung einer Verstärkung von 1,3-fach.
2)
Der Druck wird von einer relativ großen Fläche (Trommelfell ca. 55 mm2) auf eine
relativ kleine Fläche (Membran des ovalen Fensters 3.2 mm2) übertragen
(Flächendifferenz), was eine 17-fache Verstärkung bewirkt.
3)
Die Resonanzeigenschaft des mit Luft gefüllten Außen- u. Mittelohrs trägt ebenfalls
zur Schallverstärkung bei.
4)
Das Mittelohr kann Schallintensitäten aktiv durch unsere zwei kleinsten Skelettmuskeln musculus tensor tympani und musculus. stapedius modulieren
(abschwächen): a) bei zu hohem Schalldruckpegel kontrahieren sie reflektorisch und
„versteifen“ dadurch Trommelfell und Fußplatte des Stapes, so dass diese nicht mehr
so stark schwingen können. b) bei sehr niedrigem Schalldruckpegel dilatieren sie, um
die Schallübertragung zu verbessern. Die beiden Reflexbögen laufen über die colliculi
inferiores der Hörbahn).
Klinik: überlaute Hörempfindungen (Hyperakusis) tritt bei Läsion des n. facialis auf,
wenn die Läsion oberhalb der Abzweigung des n. stapedius liegt.
Station: Innenohr (Reizleitung, Reizverstärkung, Signaltransduktion)
Die Schwingungen der Fußplatte des Stapes werden über die Membran des ovalen Fensters
auf die flüssigkeitsgefüllten Räume des Innenohres übertragen. In der Cochlea wird das
Schallereignis auf Frequenzen und Intensitäten analysiert.
a.) Die Cochlea = Schnecke
Die Cochlea ist schneckenförmig mit 2,5 Windungen
aufgebaut. Über einen knöchernen Kanal in ihrer Windungsachse (modiolus) wird sie mit Nerven und Blutgefäßen
versorgt. Sie enthält drei flüssigkeitsgefüllte, etwa 3,5 cm
lange, parallel laufende Schläuche, die sich einer
Wendeltreppe (Treppe vom lat. scala) gleich winden und
voneinander durch eine „Membran“ getrennt sind.
E.P. van het Schip Bildatlas Das Innenohr (1983)
SINNE 26
Auf histologischen Querschnitten sind oben ab dem ovalen Fenster die scala vestibuli und
unten zum runden Fenster die scala tympani dargestellt, dazwischen liegt keilförmig der
Querschnitt der scala media. Die „Reissner-Membran“, eine doppelte Epithelschicht, trennt
Scala vestibuli und Scala media voneinander. Eine weitere doppelte Epithelschicht mit der
eingelagerten „Basilarmembran“ (Basallamina mit verschieden langen Kollagenfibrillen)
trennt die scala media von der scala tympani. Sie entspringt einem knöchernen Vorsprung des
Modiolus und verbreitert sich zur Schneckenspitze hin, was sie immer schwingungsfähiger
werden lässt. Auf der Basilarmembran sitzt das Sensorepithel des Corti-Organs. Scala
vestibuli und scala tympani gehen am Apex der Cochlea ineinander über (diese lochförmige
Verbindung heißt Helicotrema); während die scala media blind endet.
In den scalae vestibuli und tympani befindet sich Perilymphe, die in ihrer Ionenzusammensetzung etwa dem Ultrafiltrat des Blutplasmas gleicht (ca. 145 mmol/l Na+Cl-). Die in der
scala media befindliche Endolymphe hat dagegen etwa die ionale Zusammensetzung einer
intrazellulären Flüssigkeit (ca. 145 mmol/l K+, wenig Cl- und Na+), was für die Funktion der
Haarzellen von großer Bedeutung ist. Die Endolymphe wird von der stria vascularis, einem
zweischichtigen, durchbluteten Epithel an der äußeren Wand der scala media produziert.
Durch Na+/K+-ATPasen, Kanäle für K+ (KCNQ4 u. Kir4.1) und für Cl- (ClC-K) sowie den
1Na+/2Cl-/1K+-Kotransporter wird die hohe K+-Konzentration aufrechterhalten.
b.) Das Corti-Organ
Das Corti-Organ sitzt auf der Basilarmembran. Es besteht aus zwei Typen Scala
von sekundären Sinneszellen - den ±vestibuli
0 mV
Haarzellen: Die inneren Haarzellen
(iHz) sind in einer Reihe auf dem
Corti-Organ angeordnet, die äußeren
(äHz) in drei Reihen weiter außen.
Die Haarzellen besitzen etwa 80  40 mV
apikale Stereozilien = besser
Stereovilli (mit Aktinfilamenten
versteift), die orgel-pfeifenartig von
lang nach kurz angeordnet sind. Nur
die längsten Stereovilli der äHz (!)
Abb. kombiniert nach: F. Lang, P.Lang
kontaktieren die „Tektorial-Membran“
+ 80 mV
 60 mV
± 0 mV
Basiswissen Physiologie, 2007
(eine gelartige Matrix!), die vom Modiolus ausgehend das Corti-Organ überdacht. Ihr Rand
berührt lymphdicht das Corti-Organ (Achtung: in Abbildungen oft unkorrekt dargestellt; =
Fixierungsartefakt). Schwingt nun die Basilarmembran aufgrund des Amplitudenmaximums
an der charakteristischen Stelle auf und ab, so verschieben sich dort die auf der
Basilarmembran sitzenden äHz und die Tektorial-Gallerte relativ zueinander. Dies führt zu
einer Ablenkung (Deflektion) der Stereovilli an ihrem Ursprung. Jeder Stereovillus ist mit
dem daneben liegenden kürzeren durch einen nicht dehnbaren Proteinfaden (tip link) so
verbunden, dass bei Ablenkung der längsten Stereovilli die kürzeren auch mitbewegt werden.
c.) Die Frequenzdispersion
Wird durch den Stapes eine Schwingung auf das ovale Fenster übertragen, trifft sie als erstes
auf die Perilymphe der scala vestibuli. Dort entsteht durch „Eindellung“ des ovalen Fensters
nach innen eine Druckänderung, die die Reissner- und dann die Basilar-Membran frequenzabhängig nach unten bzw. oben schwingen lässt. Die Membran des runden Fensters wölbt
sich zum Druckausgleich in Richtung Paukenhöhle aus. Schwingt der Stapes mit gegebener
Frequenz zurück, entsteht ein Unterdruck in der scala vestibuli, der die Basilarmembran
wieder nach oben zieht, so dass sich runde Fenster in Richtung Innenohr wölbt. Der so
ausgelöste frequente Wechseldruck bringt auch die Basilarmembran zum Schwingen.
SINNE 27
Da sie von der Cochleabasis zu Cochleaspitze hin immer breiter, dünner und elastischer
wird, schwingt sie nicht symmetrisch auf und ab, sondern es bildet sich eine sogenannte
Wanderwelle, die sich von der Basis zur Spitze über die Basilarmembran ausbreitet. Dabei
erreicht jede Welle zwischen 16 Hz und 20.000 Hz an einer ganz bestimmten,
frequenzabhängigen Stelle ihr Amplitudenmaximum und flacht danach sofort wieder ab (rote
und grüne Flächen der nachstehenden Abbildung).
nach M. Euler Biol. Unsere Zeit 4 (2004)
Die Amplitudenmaxima der höheren, energiereicheren Frequenzen sind in Nähe der
Cochleabasis, wo die Basilarmembran noch relativ steif ist; die Maxima der niedrigen,
energieärmeren Frequenzen treten dagegen näher zur Cochleaspitze auf, wo die
Basilarmembran immer elastischer wird (siehe Vorlesung).
Nur durch dieses Amplitudenmaximum kann einzig und allein eine optimale Erregung der
Haarzellen hervorgerufen werden. Man könnte quasi das gesamte Corti-Organ mit er Harfe
vergleichen: die Wanderwellen-Maxima wären die Anschläge, die Saiten wären die
unterschiedlich langen Kollagenfibrillen der Basilarmembran.
3. Die Signaltransduktion
(elektrische Veränderungen in den Haarzellen bei Änderung der Deflektion)
Bei gegebener Schalladaptation, führt eine Deflektion in Richtung der größten Stereovilli
durch Anspannen der tip links zu einer erhöhten mechanischen Öffnung von K+-Kanälen in
der Membran des Stereovillus (= Transduktionskanäle), durch die Kalium-Ionen aus der
Endolymphe in die Zelle einströmen und eine Depolarisation der Haarzellmembran bewirken.
Deflektion in Gegenrichtung bewirkt eine Erschlaffung der tip links und führt zu vermehrtem
Schließen von K+-Kanälen und dadurch zu einer Hyperpolarisation. Die treibende Kraft für
den K+-Einstrom ist hier lediglich die Potenzialdifferenz zwischen den äußere Haarzellen (–
70 mV) bzw. der inneren Haarzellen (– 40 mV) und der etwa +80 mV geladenen Endolymphe
(= endo-cochleäres Potenzial). Das Membranpotenzial und das endo-cochleäre Potenzial
ergeben eine Potenzialdifferenz von etwa 150 bzw. 120 mV, die die K+ aus der Endolymphe
in die Haarzelle treibt (siehe auch Abbildung unter Abschnitt 2b und Vorlesung).
Die Änderung des Membranpotenzials führt bei den äußeren Haarzellen in erster Linie zu
schwingungsverstärkenden Bewegungen (cochleärer Verstärker u. Modulator), vermittelt
durch das spannungs-aktivierbare membranständige Motorprotein Prestin, das hochkonzentriert und massenhaft in der lateralen Zellmembran vorkommt und sich bei Depolarisation kontrahiert bzw. bei Hyperpolarisation entspannt. Bei Depolarisierung strömen
Chlorionen aus einer Tasche in den Prestinmolekülen aus, wodurch diese kleiner werden und
sich somit die ganze Zelle verkürzt. Bei anschließender Hyperpolarisierung ist es dann
umgekehrt. Infolge dieses Prozesses werden auch die Stereovilli der eigentlich „hörenden“
inneren Haarzellen abgelenkt, was auch hier zu einer Depolarisation oder Hyperpolarisation
(= Sensor-Potenzial) führt. Auf der basolateralen Seite der Zellen befinden sich K+-Kanäle,
durch die das Kalium wieder extrazellulär gelangt und über die Stützzellen und deren Gap
junctions in die Marginalzellen der Stria vascularis recycelt werden kann. Nach erhöhter
SINNE 28
Beschallung bewirkt die Depolarisation nachfolgend eine Öffnung von
spannungsgesteuerten Ca2+-Kanälen, woraufhin es durch die erhöhte Ca2+-Konzentration
intrazellulär zur Exozytose Glutamat-haltiger Vesikel mit der basolateralen Membran kommt.
Glutamat löst an den Postsynapsen der afferenten Neurone (deren Zellkörper sitzen als
Ganglionspirale im Modiolus) ein exzitatorisch-postsynaptisches Potential aus. Ein EPSP
reicht aus, um am Axonhügel der Zelle ein Aktionspotenzial (AP) zu generieren. Diese APFrequenzen werden über die Axone des n. cochlearis (n. vestibulo-cochlearis) zu den Ncll.
cochleares im Hirnstamm geleitet (siehe Vorlesung).
Die verschiedenen Frequenzkomponenten von Klängen haben ihre Amplitudenmaxima an
verschiedenen spezifischen Stellen auf der Basilarmembran, so dass sie nur durch verschiedene spezifische Haarzellen registriert werden. Dadurch kommt es zu einer Auftrennung
(Dispersion) des Klanges/Geräusches in seine einzelnen Frequenzen (= Fourier-Analyse).
Die Amplitude hingegen wird über die AP-Frequenz kodiert. Bei einer gegebenen Adaptation
besteht eine Grundentladungsfrequenz von etwa 20-40 AP/s im Neuron, obgleich die
Haarzelle nicht direkt gereizt wird: 1) da die tip links immer ein wenig vorgespannt sind, so
dass einige K+-Kanäle immer offen sind, 2) da bereits das Rauschen des Blutes der carotis
interna stets Schall auf die Lymphräume appliziert (Wir haben noch nie nichts gehört !!).
Je größer die Schallintensität, desto mehr Deflektion entsteht. Bei erhöhter Reizung der Zelle
öffnen, sich mit dem Schalldruckpegel korrelierend, weitere K+-Kanäle. Entsprechend stärker
sind die Depolarisation und die Ausschüttung des Transmitters sowie die damit im Neuron
generierte AP-Frequenz. Bei einer Ablenkung in Gegenrichtung erschlaffen mehr tip links,
d.h. die meisten K+-Kanäle schließen, und es kommt zur Abnahme der AP-Frequenz. Ist die
Frequenz der Deflektion so hoch, dass die Entladungsrate eines einzelnen Neurons gesättigt
ist, werden immer mehr benachbarte Neurone rekrutiert. Dies ermöglicht eine Erweiterung
des Dynamikbereichs.
Worin unterscheiden sich innere und äußere Haarzellen?
In der Cochlea gibt es viel weniger innere (iHz) als äußere (äHz) Haarzellen; das Verhältnis
beträgt etwa 3.500 : 12.500. Die iHz werden von fast 90 % der Afferenzen des Nervs innerviert (die äHz nur zu wenigen %) und sind so fast allein für die Vermittlung der Erregung zum
auditorischen Kortex zuständig. Im Gegensatz zu den Stereovilli der äHz haben die Stereovilli
der iHz keinen Kontakt zur Tektorial-Gallerte und sind somit auf die Verstärkung der Bewegung der Endolymphe durch die äHz (durch das membranassoziierte Motorprotein Prestin)
angewiesen. Diese Verstärkung geschieht beim Schwingen der Basilarmembran periodisch:
Die äHz führen Längenänderungen durch, die die Endolymphbewegung soweit verstärken,
dass auch die Stereovilli der iHz deflektiert werden. Dieser cochleäre Verstärker zeigt sich
umso stärker, je niedriger der Schalldruckpegel ist. Er ermöglicht eine noch feinere Frequenzanalyse. Die äHz werden hauptsächlich von cholinergen efferenten Neuronen innerviert, die
in Richtung colliculi inferiores ziehen und Teil der Reflexbahnen zu den zwei quergestreiften
Mittelohrmuskeln sind.
4. Die Hörbahn
(Erregungsfortleitung und Kodierung)
Die Hörbahn ist mit ihren vielen verschiedenen Faserverläufe extrem komplex (siehe
Anatomie). In Kürze: eine gereizte Haarzelle erregt synaptisch etwa 10-20 nachgeschaltete,
afferente Neurone; jedes dieser Neurone innerviert also nur diese eine Haarzelle! Jedes
Neuron kodiert für ein Frequenzoptimum, bei welchem es schon auf sehr niedrige Schallintensitäten reagiert. Dieses Phänomen lässt sich durch Tuning-Kurven (Empfindlichkeitskurven) verdeutlichen. Ab dem ganglion spirale gelangt über myelinisierte Axone die APFrequenz zum ncl. cochlearis im Hirnstamm. Hier wird auf das zweite Neuron verschaltet.
Vom ncl. cochlearis laufen Fasern zum ncl. olivaris superior der ipsi- u. kontralateralen Seite
(corpus trapezoideum), die für das Richtungshören von entscheidender Bedeutung sind
SINNE 29
(Verschaltung auf das 3. Neuron). Auf dieser Ebene wird auch der Stapedius-Reflex verschaltet. Von hier laufen Fasern zum colliculus inferior der Vierhügelplatte (lemniscus
lateralis), wo auf das 4. Neuron verschaltet wird. Vom colliculus inferior weiter zum corpus
geniculatum mediale des Thalamus (5. Verschaltung). Hier entspringt die radiatio auditiva,
die die Erregung bis zur primären Hörrinde, den Heschl-Querwindungen im dorsalen Teil des
Temporallappens leitet. Im Verlauf der Hörbahn bleibt die Abbildung von Teilfrequenzen
eines Schallereignisses an bestimmten Stellen des auditorischen Kortex (cochleäre Tonotopie)
erhalten. Wichtig ist auch, dass von den ncll. cochleares sowohl kontralateral als auch
ipsilateral Fasern aufsteigend laufen. Jede Hemisphäre erhält also Fasern von beiden Nuclei,
was sich bei einseitigem Hörschaden positiv auswirkt (s. akustisch-evoziertes Potenzial AEP).
D. Pathophysiologie des Hörens
1. Hörschäden
Hörschäden induzieren Hörverlust. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Schallleitungs- und Schallempfindungsstörungen. Schallleitungsstörungen betreffen das Außenoder Mittelohr. Sie können z.B. durch einen Cerumenpropfen im Außenohr, eine starke
Mittelohrentzündung oder eine otosklerotische Versteifung der Gehörknöchelchenkette verursacht werden. Schallempfindungsstörungen hingegen betreffen das Innenohr (cochleär) oder
die nachgeschalteten neuronalen Strukturen (retro-cochleär). Ursache für letztere kann z.B.
ein sog. Akustikusneurinom (Tumor) sein. Bei Verlust der Haarzellen oder Läsion der
Hörnervenfaser sind die Schäden irreversibel. Diese Schäden können durch langzeitige Lärmexposition oder mechanisch durch kurzzeitige sehr hohe Schalldruckpegel (Knalltrauma) oder
durch oto-toxische Substanzen (wie Schleifendiuretika, Aspirin, Streptomycinsulfat)
entstehen. Besonders alte Menschen sind von Hörschäden betroffen (Presbyakusis). Durch
Sinnesüberflutung, z.B. durch Discos (über 130 dB), Handys, portable music player gibt es
bereits unter Jugendlichen bis zu 30 % Hörgeschädigte. Daher sollen hier die wichtigsten
Formen der Hörschäden sowie die entsprechenden Testverfahren erklärt werden. Bei den
Hörtests unterscheidet man zwischen objektiv / subjektiv, hörschwellig / über-hörschwellig
sowie cochleär / retro-cochleär. Die subjektiven Tests haben den Vorteil, dass sie einfach
durchzuführen und preiswert sind. Sie setzen jedoch immer die Kooperation des Probanden
voraus. Diese ist z.B. bei Säuglingen, Kleinkindern, Debilen und Bewusstseinsgestörten nicht
gewährleistet. Hier helfen objektive Tests weiter.
2. Subjektive Hörtests
a.) RINNE- Test siehe Praktikumsversuch Nr. 2.
Er dient der Diagnose einer möglichen Schallleitungsstörung. Durchführung: eine
Stimmgabel wird angeschlagen und auf den processus mastoideus der Versuchperson
gepresst. Dadurch werden die Schallwellen direkt vom Knochen auf die Cochlea übertragen
(Knochenleitung). Sobald der Proband nichts mehr hört, wird die Stimmgabel vor sein Ohr
gehalten (Luftleitung). Bei intakter Schallleitung kann er jetzt dank der Schallverstärkung
durch das Mittelohr den Klang wieder hören. Ist dies der Fall, so ist er Rinne-positiv. Er hat
also ein normales Gehör. Hört er die Stimmgabel über die Luftleitung gar nicht, ist die
Schallleitung gestört. Er ist Rinne-negativ.
b.) WEBER-Test siehe Praktikumsversuch 3.
Er dient der Differenzierung zwischen einer möglicher Schallempfindungsstörung und Schallleitungsstörung des jeweiligen Rinne-getesteten Ohres durch Prüfung auf eine Lateralisierung
der Hörempfindung.
SINNE 30
Durchführung:
eine schwingende Stimmgabel wird dem Probanden auf die
Schädelsagittale gepresst, wobei der Schall über Knochenleitung in beide Innenohren gelangt.
Hörgesunde hören den Klang in der Kopfmitte. Empfindet ein Patient den Klang auf der einen
Seite lauter (er lateralisiert), hat er eine einseitige Hörstörung. Bei einer
Schallempfindungsstörung wird der Klang logischerweise im gesunderen Ohr lauter
wahrgenommen. Bei einer Schallleitungsstörung wird der Ton im kranken Ohr lauter
empfunden. Dafür gibt es zwei mögliche Ursachen:
1) Bei einer Schalleitungsstörung wird weniger Schall auf die Cochlea des kranken Ohrs
übertragen. Die äußeren Haarzellen der Cochlea im kranken Ohr sind daher an niedrige
Amplituden adaptiert. Da die Schallleitung beim Weber-Test über den Knochen erfolgt, wird
er gleichgut auf beide Ohren übertragen. Da die Cochlea des geschädigten Ohrs aber efferent
mehr sensitiviert wird, werden die Schwingungen dort lauter wahrgenommen.
2) Der Schallabfluss kann gestört sein. So führt z.B. ein Cerumenpfropfen oder eine durch
Entzündungsherde beschwerte Gehörknöchelchen-Kette zu einer erhöhten Reflektion des aus
dem Ohr austretenden Schalls.
c.) Hörschwellen-Audiometrie (dritter hörschwelliger Test) Praktikumsversuch
Es wird ein Tonaudiogramm erstellt, bei dem die Hörschwellen-Isophone (siehe Hörfeld
oben) linearisiert ist, und eine Hörstörung als Hörverlust ermittelt wird.
Durchführung: dem einzelnen Ohr werden über einen Kopfhörer acht reine Sinustöne
zwischen 60 Hz und 12 kHz sukzessive angeboten. Der Schalldruckpegel wird von unter Null
langsam erhöht. Der Proband signalisiert dann, sobald er den Ton hört (was seiner
individuellen Hörschwelle für diesen Ton entspricht). Abweichungen von der Normkurve
werden nach unten abgetragen (Hörverlust). Das Schwellenaudiogramm liegt beim
Hörgesunden bei ± 0 dB Hörverlust über den gesamten getesteten Frequenzbereich.
d.) Short Increment Sensitivity Index (standardisierter, über-hörschwelliger S.I.S.I.-Test)
Untersucht wird, ob der Proband kleine Lautstärkeänderungen erkennt. Bei Vorliegen einer
cochleären Schallempfindungsschwerhörigkeit erkennt der Proband solche Änderungen
besser, weil die äußeren Haarzellen (die beim Hörgesunden leisen Schall verstärken und
lauten dämpfen) bei ihm insuffizient sind.
Durchführung: dem Probanden wird für jedes Ohr separat in 20 kurzen 1-s-Intervallen ein
1.000 Hz-Ton angeboten, der sukzessive um 1-5 dB lauter wird. Er signalisiert, wenn er eine
Lautstärkenänderung erkannt hat. Bei 60 % erkannter Intervalle ist er „S.I.S.I.-positiv“. Ein
Hörgesunder benötigt einen Unterschied von bis zu 5 dB, um überhaupt eine Veränderung zu
registrieren; einem Innenohrgeschädigten reicht 1 dB (dieser klinisch wichtige Test kann im
Praktikum leider nicht durchgeführt werden).
e.) Recruitment-Test (über-hörschwelliger Test nach J. FOWLER)
Eine Methode zum Vergleich der Lautstärke-Empfindlichkeit beider Ohren bei einer einseitigen oder erheblich seiten-unterschiedlichen Schwerhörigkeit (nach dem S.I.S.I-Test
durchzuführen).
Durchführung: beiden Ohren wird simultan ein Ton angeboten. Die Schalldruckpegel werden
auf jeder Seite so eingestellt, dass der Proband den Ton auf beiden Ohren als gleich laut
empfindet (real ist der Pegel am kranken Ohr höher). Dies wiederholt man mehrfach mit
immer höheren Schalldruckpegeln. Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit bleibt das
Verhältnis zwischen den beiden eingestellten Schalldruckpegeln immer gleich -- das Mittelohr leitet dann einfach auf jedem Schalldruckniveau gleich „schlecht“. Bei einer Schallempfindungsstörung mit sog. „Positivem Recruitment“ hingegen, gleicht sich der Hörverlust
mit zunehmender Lautstärke aus. Im gesunden Ohr beginnen die äußeren Haarzellen mit der
Dämpfung bzw. Verstärkung der angebotenen Intensität. Benachbarte innere Haarzellen
SINNE 31
werden dann in den Transduktionsprozess einbezogen (die Assistenz skizziert eine TuningKurve). Bei einem bestimmten Pegel empfindet der Proband auf beiden Ohren den Ton als
gleich laut = Lautheits-Ausgleich (dieser klinisch wichtige Test wird im Praktikum erklärt).
3. Objektive Hörtests
a.) Oto-Akustische Emissionen (OAE)
Oto-akustische Emissionen sind Schallereignisse, die durch die oszillatorischen
Bewegungen der äußeren Haarzellen entstehen und retrograd (also über ovales
Fenster, Gehörknöchelchen und Trommelfell) aus dem Ohr hinausgeleitet (emittiert)
werden. Sie können spontan entstehen oder
durch Beschallung mit „Klick“-Geräuschen
provoziert werden. Sie werden über Mikrophone registriert und lassen Rückschlüsse
speziell auf die Funktion des Corti-Organs
[ aus: schwerhoerigenforum.de ]
zu (= wichtigster Hörtest beim postnatalen Hör-Screening. Dieser Test ist klinischer Standard
beim Hörscreening bereits von Säuglingen, um frühzeitig Hörstörungen zu diagnostizieren
und therapeutisch gezielt die Sprachentwicklung zu fördern.
b.) Tympanometrie
Dieser Test misst die Compliance (Schwingungsfähigkeit) des gesamten Mittelohrapparates
mit einem in den Gehörgang eingeführten Lautsprecher und Mikrophon (= Tympanometer).
Durchführung: ein Testton wird auf das Trommelfell gerichtet und dort reflektiert. Diese
Reflexion ist abhängig vom akustischen Schallwellen-Widerstand (Impedanz) des Systems
Trommelfell-musculus tensor tympani bzw. von der Flexibilität des Trommelfell-Gehörknöchelchen-Apparates.Der reflektierte Anteil der Schallwellen wird umso größer, je höher
die Impedanz (Schallwellenwiderstend) des Trommelfells ist.
c.) Stapedius-Reflex-Prüfung
Beim Stapedius-Reflex handelt es sich einen Schutzmechanismus zur Schalldämpfung gegen
kurze dem Innenohr gefährlich werdende Töne. Bei zu hohen Schalldruckpegeln wird über
den Stapediusreflexbogen (N. cochlearis – Colliculi inferiores – N. facialis) der musculus
stapedius kontrahiert und die Membran der Stapesplatte aus dem ovalen Fenster gezogen und
damit versteift. Dadurch wird die Impedanz der Trommelfell-Gehörknöchelchen-Kette erhöht.
Bei der Messung kommt das Tympanometer zum Einsatz. Beim normalen Stapediusreflex
eines Gesunden wird der reflektierte Anteil des Schalls bei kontinuierlicher Erhöhung des
Schalldrucks immer größer. Im Falle einer Erkrankung bleibt der Reflex aus.
d.) Akustisch Evoziertes Potenzial (AEP)
Dieser vierte, für das postnatale Hörscreening wichtige objektive Test basiert auf der Messung
eines speziellen Elektro-Enzephalogramms (EEG). Durch ca. 2.000 „Klicks“ hervorgerufene
Veränderungen im EEG-Muster werden von einem Mittelwertrechner herausgehoben. Die
zufällig entstandenen Potenzialschwankungen der Ruheaktivität gleichen sich dadurch
gegenseitig zur Nulllinie aus und die wesentlich geringeren, durch den Schallreiz
hervorgerufenen Hörnerven- u. Hirnstammpotenziale (Feldpotenzialschwankungen) werden
nach Fourier-Transformation als 5-7 charakteristische positive und negative Wellen mit
Latenz u. Amplitude sichtbar. Auf diese Weise kann man neben Erkrankungen wie Multiple
Sklerose auch Reifegrad und Läsionen der Hörbahn untersuchen.
SINNE 32
PRAKTIKUM
Ohr + Hören
Versuche
Versuch 1 einfache physikalische und physiologische Tests
1.) Stellen Sie mit Hilfe von Mikrophon u. Oszilloskop den Zeitverlauf von Schallwellen dar:
Durch welche Schwingungsmuster werden Töne, Klänge, Geräusche charakterisiert?
Wie haben Sie im Physikpraktikum die Frequenz eines Stimmgabelklangs bestimmt?
2.) Demonstrieren Sie mit zwei Stimmgabeln auf Klangkörpern das Phänomen der Resonanz.
3.) Erzeugen Sie mit den Stimmgabeln f1 (440 Hz) und f2 (430 Hz) eine Schwebung. Welche
Frequenzen sind nach den Formeln: FS = f1+f2 / 2 und FS = f2–f1 / 2 beteiligt?
Versuch
2 RINNE-Versuch
Durchführung: eine a1-Stimmgabel (440 Hz) wird mit einem Klöppel angeschlagen und mit
ihrem Fuß auf den processus mastoideus des Probanden gepresst (Knochenleitung!, d. h. die
Schallwellen werden vom Knochen direkt auf die Cochlea übertragen). Sobald der Proband
nichts mehr hört, wird die Stimmgabel vor sein Ohr gehalten (Luftleitung).
 Bei intakter Schallleitung hört er jetzt dank der Schallverstärkung durch das
Mittelohr den Klang. Er ist „Rinne-positiv“.
 Wenn er die Stimmgabel über die Luftleitung gar nicht hört, ist die Schallleitung
stark gestört (>20dB). Er ist „Rinne-negativ“.
Anmerkungen:
1) Bei einer völlig intakten Schallleitung sollte der Testton noch 30 Sekunden zu hören
sein. Ist dies nicht der Fall, so kann man von „Rinne-eingeschränkt“ sprechen.
2) Der Rinne-Test ist ein subjektiver Test der Schalleitung. Fällt der Rinne-Test positiv
aus, liegt keine Schallleitungsstörung vor, eine Schallempfindungsstörung ist damit
jedoch nicht ausgeschlossen. Probanden mit einem mäßigen Mittelohrschaden sind
normalerweise in diesem Test unauffällig und werden als Rinne positiv diagnostiziert.
aus H.-G. Boenninghaus, T. Lenarz: H-N-O-Heilkunde (2001)
SINNE 33
Versuch
3 WEBER-Versuch
Er dient der Differenzierung zwischen einer möglicher Schallempfindungsstörung und
Schallleitungsstörung des jeweiligen Rinne-getesteten Ohres durch Prüfung auf eine
Lateralisierung der Hörempfindung.
Durchführung: eine schwingende Stimmgabel wird dem Probanden auf die Schädelsagittale
gepresst, wobei der Schall über Knochenleitung in beide Innenohren gelangt. Hörgesunde
hören den Klang in der Kopfmitte. Empfindet ein Patient den Klang auf der einen Seite lauter
(er lateralisiert), hat er eine einseitige Hörstörung.
Bei einer Schallempfindungsstörung wird der Klang im gesundem Ohr lauter wahrgenommen.
Bei einer Schallleitungsstörung wird der Klang jedoch im kranken Ohr lauter wahrgenommen
 dafür gibt es zwei Gründe: 1) gestörter Schallabfluss: der Schall wird infolge der durch
Entzündungsherde beschwerten Gehörknöchelchenkette vermindert nach außen abtransportiert, 2) efferent gesteuerte Adaptation: die Haarzellen sind an niedrige Amplituden
adaptiert, so dass die Schwingungen über die Knochenleitung lauter wahrgenommen werden.
Dieses Phänomen können Sie an sich selbst durch Hören der eigenen Sprache simulieren: laut
zählen „ein-zwei-drei“ und dabei ein Außenohr verschließen.
Führen Sie gegenseitig in Ihrer Praktikumszweiergruppe den RINNE-Weber-Versuch durch:
-- Simulieren sie beim Weber-Test eine Schalleitungsstörung, indem sie mit dem
Finger ein Ohr verschließen
-- Sie werden von der Assistenz detailliert eingewiesen.
-- Sorgen Sie für optimale Ruhe im Test-Studio !!
aus
H.-G. Boenninghaus, T. Lenarz:
H-N-O-Heilkunde (2001)
Aufgabe, ohne die obigen Erklärungen noch einmal zu lesen:
Rinne-Test links positiv = normal und rechts negativ. Der Patient lateralisiert nach rechts.
Welcher Hörschaden liegt in welchem Ohr vor ?
SINNE 34
Versuch
4
Tonschwellen-AUDIOMETRIE:
Die Hör- bzw. Tonschwellen-Audiometrie:
- ist ein subjektiver Test der frequenzabhängigen Hörempfindlichkeit.
- beschreibt das subjektive Hörvermögen für Töne, also die individuelle
frequenzabhängige Hörempfindlichkeit eines Menschen unter Verwendung
mehrerer definierter Tonfrequenzen bei unterschiedlichen Lautstärken
(Schalldruckpegeln).
- wird als Hörverlust einer jeweiligen Person dargestellt.
- erlaubt die Unterscheidung zwischen Funktionsverlusten in der SchallÜbertragung über Luftleitung (den verstärkenden Mittelohrapparat) und in der
Schallempfindung
über Knochenleitung (die direkte Schallleitung via
Knochen unter Umgehung des Mittelohrapparates).
- identifiziert nicht nur den Gesamtzustand des Innenohrs, sondern auch
vorhandene partielle Schäden an der Gehörschnecke (Frequenzdispersion), da
die Frequenzskala des Tonschwellen-Audiogrammes (x-Achse) die Anordnung
der Frequenzempfindlichkeit auf der Cochlea widerspiegelt.
- Gleichzeitig zeigt sich anhand der benötigten Tonstärke der Grad der
Zerstörung der Hörzellen innerhalb einer definierten Tonfrequenz.
Zur Vereinfachung werden die Schalldruckpegel der Isophone des Hörfeldes im
Tonschwellen-Audiogramm linearisiert, d. h. die Hörschwelle des Hörfeldes wird auf eine
gerade Grundlinie gebracht (- quasi entzerrt).
Durchführung:
Die für die Tonschwellen-Audiometrie benutzten Testtöne sind genau definierbar und haben
- 12 festgelegte Frequenzen (= Tonhöhen), für die je ein Hebel am Gerät
vorhanden ist
- Lautstärken von leise (-20 bis 0 dB) bis laut (130 dB), die durch Verschieben
des Hebel kontinuierlich ineinander übergehen.
Die Untersuchung erfolgt sowohl über Prüfung der Luftleitung als auch der Knochenleitung
bei definierten Tonfrequenzen. Die Luftleitung prüft die Schallleitungsverstärkung durch die
Gehörknöchelchen-Trommelfell-Kette im Mittelohr. Die Knochenleitung prüft die
Schallempfindlichkeit des Innenohrapparates. Für die Tonschwellen-Audiometrie muss ein
möglichst schalldichter Raum vorhanden sein. Für den Test selbst sollte eine entspannte
Atmosphäre vorherrschen. Zur Erstellung eines Tonschwellen-Audiogrammes spielt ein
Proband die Testperson und einer den Arzt, danach werden die Rollen gewechselt.
Zu testende Gehörseite einstellen (rechts, links) und den bereit liegenden Audiogrammbogen
eingelegt. Dann wird jede Person praktisch zweimal getestet: zuerst wird bei allen Frequenzen
die Luftleitung (LL) und dann erst die Knochenleitung (KL) gemessen. Für die LL muss die
Testperson einen über Kopfhörer eingespielten Ton hören. Der Untersucher spielt zuerst jedes
Mal, nachdem er der Testperson der Messbeginn mitteilt, der Reihe nach bestimmte Töne in
steigender Frequenz über den LL-Kopfhörer ab, indem er kontinuierlich und sehr langsam die
Lautstärke des jeweiligen Tones gleicher Frequenz durch Bewegen des entsprechenden
Hebels am Gerät solange erhöht, bis der Ton von der Testperson gehört wird. Die Testperson
zeigt durch Drücken eines Signalknopfes sofort an, dass sie den Ton zum ersten Mal hört,
während der Untersucher dies auf dem Audiogrammbogen durch Markierung der
Hebelstellung ( = Lautstärke) vermerkt. Da der Test die Mitarbeit der Testperson benötigt,
also subjektiv ist, sollten zur Kontrolle alle oder bestimmte Töne ein weiteres Mal überprüft
SINNE 35
werden bis die Hörschwelle genau festgestellt ist. Zur Untersuchung des Innenohrs
(Knochenleitung KL) wird der Ton dann über einen Spezialkopfhörer abgegeben, der auf den
Processus masteideus (Mastoid) hinter der Ohrmuschel des geprüften Ohrs aufgesetzt wird.
Dieser Spezial-Kopfhörer besteht aus einem Metallvibrator, von welchem ein definierter Ton
an die Schädelknochen zur Weiterleitung an die Hörzellen abgegeben wird.
Der festgestellte Dezibel-Wert ist bei Gesunden für die LL und KL bei jeder Frequenz immer
äquivalent zur normalen Hörschwelle. Er liegt also bei ca. 0-10 dB (siehe Abb. A).
Bei verschlossenem Gehörgang ist die Schallleitungsverstärkung im Mittelohr verringert, was
sich im Absinken der LL-Hörschwelle zeigt (Abb. B).
Das komplette Fehlen von Trommelfell-Gehörknöchelchen wäre der Maximalfall, da damit
die Schallleitungsverstärkung im Mittelohr nicht nur geschwächt ist, sondern entfällt, d.h. ca.
30-40 dB Hörverlust (Abb. C).
In beiden Fällen bleibt die Schallempfindlichkeit als Innenohrfunktion unverändert, weshalb
die Knochenleitungshörschwelle an der Nulllinie verbleibt.
Im Falle eines Innenohrschadens (Hörzellenverlust) senkt sich die KL-Hörschwelle (Abb. D).
Da die LL-Hörschwelle nicht über der KL-Schwelle befinden kann, wandert sie dabei mit.
Hinweis: Im Falle einer hier nicht gezeigten zusätzlich gestörten Schallleitung würde die LLHörschwelle sich aufsummieren und entsprechend tiefer unter der KL-Hörschwelle liegen
(ähnlich Abb. B).
Die geprüfte Frequenz als Hörschwelle ist in ein genormtes Formular des TonschwellenAudiogramms einzutragen. Auf der horizontalen (x-) Achse des Audiogramms ist die
Tonhöhe (Frequenz in Hertz) angegeben, während die senkrechte Achse die Lautstärke in
Dezibel angibt, bei der die Hörschwelle liegt.
Auf den Formularen wird eingetragen, welches Ohr gemessen wurde (rechts bzw. links) und
die durch Verbindung der Messpunkte erhaltenen Kurven mit LL (Luftleitung) und KL
(Knochenleitung) beschriftet.
Ein Tonschwellen-Audiogramm besteht somit aus Luftleitungshörschwelle (Leitung der
Schallsignale über das Außenohr) und Knochenleitungshörschwelle (Leitung der
Schallsignale über die Schädelknochen).
Merke: Da die LL von der Schallempfindlichkeit des Innenohres abhängt, muss der
Hörverlust bei LL immer unterhalb der KL liegen. Ist dies nicht so, dann liegen technische
Fehler vor. Ein Ton kann selbst bei intakter Schallleitung nicht wahrgenommen werden, wenn
die Schallempfindung defekt ist. Die LL-Hörschwellenkurve liegt also in keinem Fall über der
KL-Hörschwellenkurve, sie wandert bei Erkrankung entweder mit dieser mit
(Schallempfindungsstörung) oder sie trennt sich von ihr (Schallleitungsstörung). Achtung –
beides kann auch kombiniert auftreten.
nach: R. Schmidt, F. Lang Physiologie des Menschen (2007)
SINNE 36
Ermitteln Sie Ihre Hörschwelle:
-- Testen Sie sowohl die Luftleitung als auch die Knochenleitung eines Ohres.
-- Welche diagnostischen Parameter liefert ein Hörschwellen-Audiogramm ?
-- Warum liegen beim Gesunden Knochen- und Luftleitung auf der
gleichen Grundlinie im Audiogramm?
Versuch
5
Impedanz-Audiometrie:
Tympanometrie und Stapedius-Reflex-Prüfung dienen:
- der objektiven Untersuchung der Funktion des Mittelohrs:
- dem indirekter Nachweis pathologischer Flüssigkeiten,
- der Beurteilung der Druckverhältnisse und der Gehörknöchelchenkette.
Zur Durchführung des Versuches dient das Tympanometer,
Dessen Messsonde (siehe Abbildung) besteht aus:
einem Tongenerator gibt Sondentöne mit definierter Frequenz und Schalldruckpegel in
Richtung Trommelfell ab,
einem Mikrofon,
das an ein Messinstrument angeschlossen ist, zur Messung des vom
Trommelfell reflektierten Schalls.
einer Druckpumpe baut im Gehörgang definierte Drücke auf, über einen Schlauch werden
Drücke aufgenommen bzw. abgeführt.
aus: Welleschik: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tympanometrie_Schema1.svg?uselang=de
5a Tympanometrie (= Trommelfellbeweglichkeitsmessung):
Unter normalen Verhältnissen entsprechen sich die Druckverhältnisse zwischen Gehörgang
und Mittelohr, wodurch sich am Trommelfell ein normaler akustischen Widerstand
(akustische Impedanz) ergibt (Nullpunkt), d. h. in dieser Konstellation ist die Schallreflektion
am Trommelfell am geringsten, die Schallweiterleitung also optimal.
Mittels Druckpumpe kann der Druck im Gehörgang geändert werden (Über- oder
Unterdruck), wodurch sich das Trommelfell mehr spannt und sich demzufolge auch dessen
akustische Widerstand ändert. Infolgedessen erhöht sich auch die Schallreflexion am
Trommelfell, die mittels Messmikrofon ähnlich einem Echo aufgenommen wird, da sich der
Schalldruckpegel des reflektierten Tons im Gehörgang erhöht.
Durchführung:
Die Verarbeitung der Messwerte zum Tympanogramm erfolgt im Gerät automatisch und
kann über den Interndrucker ausgedruckt werden. Der Test funktioniert nur, wenn ein auf die
Messsonde aufzusetzende Stöpsel den Gehörgang dicht abschließt, da Undichtigkeiten
keinen Druckauf- oder -abbau zulassen. Dafür kann entsprechend der Größe und Form des
Gehörgangs der Untersuchungsperson zwischen 3 Stöpselgrößen gewählt werden. Wenn man
nach Begutachtung des Gehörgangs die Sonde leicht an den Gehörgang andrückt, zeigt eine
grüne Signalleuchte die Dichtigkeit an. Bei schlechtem Sitz und Undichtigkeit verändert sich
die Farbe der Sonde in gelb. Undichtigkeiten werden auch am Gerätemonitor auch angezeigt.
SINNE 37
Die am Trommelfell durch kontinuierlich erzeugte Änderungen des Gehörgangdruckes
induzierten Schallreflexionen definierter Töne werden als Compliance in einem für Gesunde
typischen Kurvenverlauf (Tympanogramm) dargestellt. Das Tympanogramm beschreibt also
die Beziehung zwischen dem Gehörgangsdruck und der Compliance (= Elastizität, Kehrwert
des akustischen Widerstandes [Volumendehnbarkeit in ml]) des Trommelfells.
Veränderungen des Tympanogramms (Verschiebung oder Abflachung der Normalkurve)
werden zur Erkennung von Krankheitsbildern benutzt:
Tympanogramm eines Gesunden (Abb. a)
Tubenkatarrh (Abb. b): infektbedingter Verschluss der, der Eustachischen Röhre durch
dünnflüssiges Sekret verhindert Druckausgleich. Resorption des Sekrets im Mittelohr bewirkt
Unterdruck, Trommelfell wird nach innen gezogen.
Mittelohrvereiterung (Abb. c) führt zu Paukenhöhlenerguss. Da die Flüssigkeit die
Schwingfähigkeit des Trommelfells stark dämpft, kann sich die Kurve im y-Achsenbereich
nicht aufbauen, flacht also ab.
fehlende(s) Gehörknöchelchen (Abb. d) = Trommelfell nicht gespannt. Compliance größer
als der Messbereich.
Trommelfell perforiert (keine Abb.) = Methode nicht anwendbar, da kein Druckaufbau
möglich.
5b Stapediusreflex:
Diese Messung erfolgt unmittelbar nach der Tympanometrie automatisch, weshalb man die
Sonde weiterhin am Gehörgang angedrückt lassen muss. Bei normalem Druck im Gehörgang
wird zuerst der normale und relativ leise Ton zur Impedanzmessung zugeführt. Daraufhin
wird für einen kurzen Augenblick ein lauterer Ton bei einer Frequenz von 500 Hz relativ
nahe unterhalb der Unbehaglichkeitsgrenze (95 Phon, siehe Hörfeld) zugeschaltet, was die
Versuchsperson auch wahrnimmt, also Versuchsperson nicht erschrecken), woraufhin der
Stapes und damit das Trommelfell kurz angespannt werden, das Mikrofon in der Sonde misst
die sich daraus ergebende kurze Impedanzänderung (= Schallwellenwiderstandsänderung,
Compliance nimmt ab). Dieser Versuch wird automatisch bei einer zweiten höheren Frequenz
(4000 Hz) wiederholt. Die Versuche 5a und 5b sind an beiden Ohren der Versuchperson zu
messen. Für die Messungen am linken bzw. rechten Ohr leuchtet zur besseren Erinnerung an
SINNE 38
der Messsonde eine entsprechende LED in blau bzw. rot, wobei man die eingestellte Seite
auch auf dem Gerätedisplay ablesen kann.
Die Verschaltung des Stapediusreflexes ist nachfolgend dargestellt:
Das für 5a und 5b erstellte Protokoll ist auszudrucken und auf Abweichung zu
beurteilen. Letztere kann auf Fehler in der Versuchdurchführung fußen oder auf eine
Erkrankung hinweisen. Ein ausbleibender Stapediusreflex deutet auf Erkrankungen hin, wie
behinderte bzw. unbewegliche Gehörknöchelchen (z. B. Otosklerose), Erguss in Paukenhöhle
(Eiter), Tumorbildung der Hörnerven (Akustikusneurinom) oder im Stammhirn.
Der Reflex ist nicht nur in dem Ohr messbar, in dem er ausgelöst wurde (ipsilateral), sondern
ebenfalls im nicht stimulierten Ohr (kontralateral).
Ergebnisse hier einkleben
SINNE 39
Versuch
5 Otoskopie (Ohrenspiegelung)
Untersuchung des äußeren Gehörgangs und des Trommelfells
Das Video-Otoskop (hier: MS101 von APPLE Bio Medical Inc.) ist eine Weiterentwicklung
des veralterten Ohrtrichter-Stirnreflektor/-spiegel-Systems (arbeitet noch immer nach dem ab
1860 eingeführten Anton von Tröltsch-Prinzip). Das Otoskop setzt sich aus einem Korpus
(bestehend aus Gerätedisplay, Ohrtrichter, integriertem Kamerateil sowie Kaltlichtquelle) und
einem Griff mit Trockenzellbatterie (reicht für 4 Stunden Betrieb) zusammen. Es verfügt
außerdem über einen Videoanschluss und zeigt den Batterieverbrauch an (grünes Licht = 0
geladen, rot = verbraucht). Es dient Ohrenärzten und Hörgeräteakustikern, da es relativ
unkompliziert eine gute Einsicht in den äußeren Gehörgang bis direkt auf das Trommelfell
gewährt, wobei das Bild direkt auf dem Display wiedergegeben wird. Das Bild könnte im
Bedarfsfall auch auf einen größeren Bildschirm übertragen werden. Da das Trommelfell
durchscheinend ist, lassen sich zu einem gewissen Grad Aussagen zur Paukenhöhle machen.
von: D. Descouens http://commons.wikipedia.org/wiki/File:Conduit-auditif-externe.jpg?uselang=de 2007
Durchführung: Zu Beginn eines jeden Einsatzes des Otoskops wird über den Ohrentrichter
eine Einweghülle aufgezogen bis diese mit einem Klick einrastet.
Hinweis: Ist die Einweghülle nicht richtig eingerastet, bekommt man auf dem Gerätedisplay
unscharfe Bilder.
Dann schaltet man das Otoskop nur durch ca. 2 sec Drücken der AN-AUS-Taste ein. Wenn
das Display aufleuchtet, ist das Gerät einsatzbereit. Dazu führt man den Ohrtrichter mit aller
gebotenen Vorsicht ins Ohr der sitzenden Untersuchungsperson ein bis man auf dem Display
das Trommelfell scharf erkennen kann.
Diese Einsicht ins Außenohr dient einer ersten Begutachtung bei der Untersuchung des Ohres.
Bei einem gesunden Probanden sind Gehörgang und Trommelfell weder gerötet, noch
geschwollen und, abgesehen vom Cerumen (Ohrenschmalz), sind keine flüssigen oder
eitrigen Ansammlungen vorhanden – das Trommelfell zeigt sich glatt, glänzend und weiß.
Außer Paukenhöhlenerguss, Trommelfellschädigungen (Perforation, Ruptur), Wucherungen
oder Entzündungen, lassen sich so auch ein Ohrschmalzpfopf, Fremdkörper oder Parasiten
feststellen. Nicht nur ein Loch im Trommelfell, sondern auch ein eingezogenes oder
vorgewölbtes Trommelfell kann ein Hinweis auf krankhafte Vorgänge sein.
Hinweis: Da das Gerät batteriebetrieben läuft, ist es durch Druck der AN-AUS-Taste
unbedingt abzuschalten, wenn es nicht in Benutzung ist.
ACHTEN SIE AUF SICHERHEIT IM UMGANG MIT DEM INSTRUMENT!!
An diesem vom übrigen Praktikumsraum abgetrennten Teil dürfen sich nur die beiden
am Versuch beteiligten Personen aufhalten, um Verletzungen durch Stoßen oder
Schubsen zu vermeiden.
SINNE 40
GLEICHGEWICHT
Autoren: Zsoka Schwab, Prof. Dr. H.-Peter Richter
Dr. Bernd Bufe
Inhalts-Übersicht
Seite
A. Allgemeines
38
B. Anatomische Grundlagen
39
C. Physiologie der Macula-Organe
40
D. Physiologie der Bogengang-Organe
41
E. Regulation des Gleichgewichts
42
1. Vestibularis-Neurone
2. Vestibularis-Bahnen
3. Vestibularis-Reflexe
F. weitere Anleitungen zu den Aufgaben
46
-- Hausaufgaben A) –F)
-- Durchführung der Versuche 1 - 4
-- Klinische Bezüge
A. Allgemeines
Unser Gleichgewichtssinn ist ein im Alltag oft vergessener Sinn, dessen Wichtigkeit uns aber
spätestens dann extrem bewusst wird, wenn er plötzlich nicht mehr richtig funktioniert.
Solange er es jedoch tut, gewährleistet er uns einen sicheren Gang und Stand. Darüber hinaus
versorgt er uns mit wichtigen Informationen über Bewegungen, denen wir ausgesetzt sind
oder die wir selbst verursachen, sowie über die Stellung unseres Körpers im Raum. Um all
dies einwandfrei bewerkstelligen zu können, ist die fein abgestimmte Zusammenarbeit von
Gleichgewichtsorganen, Kleinhirn, visuellen und senso-motorischen Systemen erforderlich.
SINNE 41
B. Anatomische Grundlagen
Das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan, Vestibularapparat, Labyrinth) gehört anatomisch
zum Innenohr, hat jedoch völlig andere Funktionen. Es besitzt einen mit Endolymphe
gefüllten Bereich, das häutige Labyrinth. Dieses Labyrinth wiederum sitzt im knöchernen
Labyrinth, einer gleichgeformten Aushöhlung im Felsenbein pars petrosa (es ist der
härtester Knochen im Organismus: warum und wozu ?).
Zwischen dem häutigem und dem knöchernem Labyrinth befindet sich die Perilymphe,
getrennt durch ein Doppelepithel. Der Endolymphraum des Gleichgewichtsorgans ist über den
ductus reuniens mit der scala media der Cochlea verbunden. Die Endolymphe wird in der
Stria vascularis gebildet und fließt über den ductus endolymphaticus in den sog. saccus
endolymphaticus ab, wo sie resorbiert wird. Die Endolymphe hat auf jeder Seite ein relativ
konstantes Volumen von ca. 0,07 ml.
Der Vestibularapparat besteht auf jeder Seite aus je fünf zusammenhängenden EndolymphRäumen mit kleinen Sinnesorganen:
1) die Statolithenorgane im Utriculus horizontal zur Körperachse mit der macula utriculi und
im Sacculus vertikal mit der macula sacculi sowie
2) die drei Bogengangsorgane mit jeweils einer Ampulle, die das Sensorepithel enthält. Die
Sensorzellen sind ebenfalls Haarzellen, besitzen jedoch im Unterschied zu denen der Cochlea
außer den 60-80 Stereovilli noch jeweils ein großes Kinozilium.
Jedes Macula-Organ besteht aus einem flächigen Sinnesepithel mit Haarzellen, deren
Stereovilli und das Kinozilium vollständig von einer endolymph-mucopolysaccharid-haltigen
und dadurch gelartigen Masse (entsprechend der Tektorial-Gallerte des Corti-Organs)
umgeben sind. Auf dieser Gallerte eingebettet liegen kleine Calcit-Kristalle (Otolithen oder
Statokonien), denen die gesamte Masse den Namen „Otolithen-Membran“ gibt, und damit
eine höhere Dichte als die Endolymphe besitzt.
(Klinik: sie können sich lösen und einen benignen paroxysmalen Lage-Nystagmus-Schwindel
hervorrufen !!).
Jedes Bogengangsorgan besteht aus drei
Bogengängen (ducti semicircularis) = dünne
Röhrchen eines Durchmessers von 0,8 mm:
der Canalis ist knöchern, der Ductus häutig.
Je ein horizontaler (lateralis), vorderer
vertikaler (anterior), hinterer vertikaler
(posterior) Bogengang steht mit dem großen
Volumen des Utriculus in Verbindung. Der
Endolymphschlauch ist jedoch in der Ampulle
funktionell durch die Cupula getrennt. Die
Cupula ist (wie Tektorial- u. Otholithen„Membran“) eine gallertige Masse (jedoch
ohne Kristalleinlagerungen), die am Epithel
der Ampullenwand endolymph-dicht veranskert ist und vollständig dem Sinnesepithel,
der sogenannten crista ampullaris aufliegt.
SINNE 42
C. Physiologie der Macula-Organe
Für die Reizweiterleitung in den Maculae sowie den Bogengangsorganen sind auch hier die
Stereovilli zuständig. Die Signaltransduktion erfolgt entsprechend der der inneren
Haarzellen der Cochlea: aus einer adaptiven Ruhephase heraus kommt es zu einer relativen
Verschiebung der gallertigen „Membranen“ und Deflektion der längsten Stereovilli zum
Kinozilium hin / vom weg  mit vermehrtem / verringertem Kalium-Einstrom aus der
endolymphhaltigen Gallerte und somit zur Depolarisation / Hyperpolarisation  sowie
vermehrtem / verringertem Calcium-Einstrom  vermehrter / verringerter Ausschüttung von
Transmitter  erhöhter / erniedrigter AP-Frequenz im ersten n. vestibularis-Neuron.
Die beiden Maculae stehen im Raum senkrecht aufeinander und reagieren auf Translations= Linear-Beschleunigungen (= linear gerichtete Beschleunigung: = Änderung der
Geschwindigkeit pro Zeit). Durch die Perzeption der permanent wirkenden Erd- =
Gravitations-Beschleunigung (1 g = 9,18 m/s2) geben uns die Macula-Organe Aufschluss
darüber, wo „unten u. oben“ ist (statische Komponente). Die Erdbeschleunigung wird
unbewusst im Stehen über die macula sacculi, im Liegen über die macula utriculi registriert.
Wird das Sinnesepithel der macula utriculi aus der Waagerechten durch Neigen des Kopfes
etwas gekippt, dann folgt die darüber befindliche dichte Otolithen-Gallerte der Schwerkraft,
so dass die in sie hineinragenden Stereozilien des apikal befindlichen Sensorepithels etwas
nach schräg unten abgeschert (Deflektion) werden. Deflektion ist der adäquate Reiz auch für
diese Haarzellen mit folgender Transduktion:
a) wenn die Deflektion in Richtung zum Kinozilium hin erfolgt, dann werden die tip links
gespannt und öffnen so vermehrt mechanisch-gesteuerten K+-Kanäle; wodurch ein K+Einstrom aus der Endolymphe erfolgt, die hier nur ein positives Bestandspotenzial von ca. 510 mV hat; die Membran der Haarzelle wird aus dem adaptiven Ruhepotenzial depolarisiert
und die Glutamat-Ausschüttung wird erhöht.
b) erfolgt umgekehrt die Deflektion vom Kinozilium weg, werden die Haarzellen
hyperpolarisiert und somit die Erregungsweiterleitung gehemmt. Zu beachten ist, dass im
Gegensatz zu den cochleären Haarzellen die vestibulären Haarzellen sogenannte
„Ruhesensoren“ sind, d.h., dass sie durch die permanente Eigenbewegung des Kinozilium
stets Änderungen der Ausschüttung von Transmitter bewirken und damit die hohe Ruhe-APFrequenz der Neurone auf ca. 50-90 AP/s induzieren.
Auch Änderung der Linear-Beschleunigungen anderer Ursache werden hier registriert
(dynamische Komponente), sowohl in der Senkrechten (z.B. Aufzug-Fahren) als auch in der
Horizontalen (z.B. Bahn-Fahren). Die Otolithen auf der Gallerte haben aufgrund ihrer
Trägheit das Bestreben, bei jedem Anfahren (positive Beschleunigung) etwas zurück
zubleiben bzw. sich bei jedem Anhalten (negative Beschleunigung) geradlinig weiter zu
bewegen. Dabei werden die verschiedenen Haarzellpopulationen erregt oder gehemmt. In den
Maculae sind die Haarzellen entsprechend der Position ihres Kinoziliums nicht alle gleich,
sondern in verschiedenen Richtungen ausgerichtet -- hierdurch und durch das Vorhandensein
zweier senkrecht zueinander stehenden Macula-Organe, werden alle Ebenen des Raumes
erfasst. Aus dem Muster, das die Erregungszustände der verschiedenen Gruppen je gleich
ausgerichteter Haarzellen bilden und die daraus resultierenden AP-Frequenzen, kann das
Gehirn genau errechnen, in welche Richtung der Kopf (Körper) gerade beschleunigt wird und
wie stark diese Beschleunigung ist.
SINNE 43
D. Physiologie der Bogengang-Organe
Die drei Bogengänge pro Kopfseite sind so ausgerichtet, dass sie etwa senkrecht aufeinander
stehen. In jeweils einer geometrischen Ebene liegen 1.) die beiden horizontalen Bogengänge,
2.) der rechte vordere und linke hintere vertikale Bogengang und 3.) der linke vordere und
rechte hintere vertikale Bogengang.
Die Kinozilien der Haarzellen sind hier im Gegensatz zu den Macula-Organen alle
gleichförmig ausgerichtet: entweder alle zum Utriculus hin im horizontalen Bogengang oder
alle vom Utriculus weg in den beiden vertikalen Bogengängen. Da die Cupula genau so dicht
ist wie die Endolymphe, können lineare Beschleunigungen hier nicht wirken. Die Funktion
wird dagegen durch Eindellen oder Ausbeulen der Cupula-Gallerte innerhalb der Ampulle
ermöglicht. Da die endolymph-haltigen Röhren kreisförmig gebogen sind, kann die
Endolymphe nur durch Rotations- = Winkelbeschleunigungen ( α = rad / s2 ) bewegt
werden. Durch ihre Trägheit neigt Endolymphe bei Beschleunigungen dazu, ihren
momentanen stationären Zustand beizubehalten - d.h., zu Beginn einer Bewegung zurück
zubleiben und sich beim Anhalten weiter zu bewegen. Die Cupula würde das auch tun, doch
sie ist mit der Bogengangswand verbunden und muss sich zusammen mit ihr bewegen.
Dadurch stößt bei einer Rotationsbeschleunigung die Endolymphe auf der einen Seite gegen
die Cupula, während sie sich auf der anderen Seite zurückzieht: die Cupula wird dabei wie ein
elastisches Segel entgegen die Rotationsrichtung gedrückt, wobei auch die in sie
hineinragenden Stereovilli und Kinozilien der Haarzellen abgelenkt werden.
Für die horizontalen Bogengängen gilt: die Haarzellen sind auf jeder Seite so ausgerichtet,
dass das Kinozilium zum Utriculus weist. Eine Ablenkung der Cupula in Richtung Utriculus
(= utriculo-petal, Abb. links) führt demnach zu einer Deflektion der Stereovilli in Richtung
Kinozilium und somit zur erregenden Depolarisation der Haarzelle; wohingegen eine
utriculo-fugale Ablenkung (Abb. rechts) eine hemmende Hyperpolarisation hervorruft. In
den vertikalen Bogengängen sind die Kinozilien der Haarzellen genau umgekehrt angeordnet:
eine utrikulo-fugale Deflektion der Cupula führt hier zur Erregung der Haarzellen; eine
utriculo-petale Deflektion zur Hemmung. Zu
Nase
beachten ist, dass die den Reiz perzipierenden
Haarzellen stets ein adaptives depolarisiertes
Ruhepotenzial von ca. –50 bis -60 mV haben
(siehe die nur ca. –40 mV Ruhepotenzial der
cochleären Haarzellen) und ebenfalls de- oder
hyperpolarisiert werden können !! Erfolgt keine
Beschleunigung mehr, wird durch Reibung der
Endolymphe am Bogengangsepithel und durch
die elastische Rückstellkraft der Cupula die
Endolymphe wieder in ihre ursprüngliche
Ruhelage zurück bewegt.
Aus diesen zunächst etwas verwirrend anmutenden Konstellationen ergibt sich folgendes: bei
einer Rotationsbeschleunigung in Richtung A werden die Haarzellen des entsprechenden
Bogenganges auf der Seite A erregt, die seines Gegenspielers auf der anderen Seite, welcher
in der selben Ebene liegt, hingegen gehemmt. Was am Ende zählt, ist die Differenz der APFrequenzen beider Seiten ! Wird die eine Seite erregt, während die andere auf denselben Reiz
hin gleichzeitig gehemmt wird, verdoppelt das die Differenz, wodurch die Empfindlichkeit
des ganzen Apparates enorm gesteigert wird (dabei sind auch Kommissurenfasern beteiligt ).
Hinweis: die Bogengangsorgane verstoßen etwas in der Form gegen die Regel, dass die
Vestibularorgane nur auf Beschleunigungen reagieren können: sie können auch auf
Drehgeschwindigkeiten reagieren - allerdings nur bei sehr kurzzeitigen Drehbewegungen. Bei
länger andauernder Rotation reagieren auch sie nur auf Beschleunigung.
SINNE 44
E. Regulation des Gleichgewichts
1.) Vestibularis-Neurone
Ausgeschüttetes Glutamat öffnet in den Postsynapsen der nachgeschalteten Neurone des n.
vestibulare liganden-gesteuerte Ionenkanäle (Na+-Kanäle), und es entsteht ein EPSP. Dieses
wird elektrotonisch zum Soma im ganglion vestibulare weitergeleitet und generiert am
Axonhügel ein Aktionspotenzial. Wie die Neurone des Ganglion spirale zeigen auch die des
Ganglion vestibulare eine Ruheaktivität (50-90 AP/s). Wird die Haarzelle depolarisiert, steigt
die AP-Frequenz über diese Ruhefrequenz an, wird sie hyperpolarisiert, sinkt sie dementsprechend darunter. Die Stärke der Beschleunigung wird (wie bei der Cochlea der Schalldruckpegel) über die AP-Frequenz codiert. Die AP werden über den vestibulären Teil des n.
vestibulo-cochlearis zu den Vestibularis-Kernen in der Medulla oblongata geleitet. Wie oben
bereits angedeutet, ist die Differenz zwischen den AP-Frequenzen beider Seiten entscheidend.
2.) Vestibularis-Bahnen
Auf jeder Seite befinden sich vier verschiedene
Vestibulariskerne (nucleus superior, medialis, lateralis,
inferior), die jeweils Eingänge für Informationen aus
vielen verschiedenen Systemen sind wie z.B. Vestibularorgane, somatosensorische Systeme, visuelles System,
Kleinhirn. Darüber hinaus gibt es auch Ausgänge zu
Kleinhirn, Augenmuskelkernen, Thalamus, Hypothalamus, Rückenmark. Die Vestibulariskerne beider Seiten
stehen über Kommissuren-Fasern miteinander in Verbindung, um Kompensation bei einseitigem Labyrinthausfall zu ermöglichen.
Im Folgenden sind die wichtigsten Verschaltungen
aufgeführt:
1) zum Somatosensorischen System
Unser Gleichgewichtssinn soll sicheren Gang und Stand
gewährleisten. Dazu müssen wir ständig ermitteln, wo
gerade unten ist, damit wir unsere Gliedmaßen dementsprechend neu positionieren können, da wir ansonsten
umfallen würden. Zwischen unserem Kopf und der
Fläche, auf der wir gerade stehen oder liegen, befinden
sich Gelenke, die über Propriozeptoren die Winkelverhältnisse zwischen Kopf, Hals und Rumpf messen und
diese Informationen an die Vestibulariskerne (m.
oblongata) weitergeben. Die Vestibulariskerne senden
entweder direkt oder über die formatio reticularis Fasern
zum Rückenmark. Die so gebildeten Bahnen des tractus
vestibulospinalis medialis u. lateralis sowie des tractus
reticulospinalis medialis u. lateralis gehören zum
efferenten Schenkel der für das Gleichgewicht wichtigen
Halte- u. Stellreflexe für die Stützmotorik (Abbildung).
aus :J. Sobotta, H. Becher
Atlas d. Anatomie d. Menschen III (1973)]
SINNE 45
2) zum Visuellen System
Eingang: Unsere aktiven und passiven Lageverhältnisse im Raum spüren wir nicht nur, wir
sehen sie natürlich auch. Visuelle Informationen sind extrem dominant gegenüber allen
anderen Sinnen, werden vom Gleichgewichtssinn genutzt und wirken bei Labyrinthausfällen
primär kompensatorisch. Ausgang: Über den fasciculus longitudinalis medialis erreichen
Fasern der Vestibulariskerne die Motoneurone des Nucleus abducens und des nuc.
oculomotorius und nehmen so Einfluss auf die Okulomotorik. Dies ist nötig, um aus dem
visuellen System überhaupt nutzbare Informationen gewinnen zu können. Da wir unseren
Kopf stets bewegen, und wenn unsere Augen immer folgen würden, wären verwackelte Bilder
das Ergebnis. Um das Problem zu minimieren, sind einige Reflexe etabliert. Unter 3.) sind die
wichtigsten Reflex-Aktivitäten aufgeführt:
3) zum Kleinhirn etc.
Das Kleinhirn erhält aus allen Vestibulariskernen Eingänge über Moosfasern, die in die Rinde
des Vestibulo-Cerebellums (Flocculus, Nodulus, Uvula) ziehen. Die dortigen Purkinjefasern
projizieren über die ncll. fastigii wieder zurück auf die Vestibulariskerne sowie auf die
formatio reticularis. Das Kleinhirn beeinflusst die Reflexe von sowohl der Blickmotorik als
auch der Halte- u. Stellmotorik wie bei der Willkürmotorik als Feinregulator. Natürlich
können wir auch bewusst Beschleunigungen wahrnehmen: dazu ist eine Projektion der
Vestibulariskerne auf die Großhirnrinde nötig (genauer: auf den parieto-insulären Kortex,
Brodman-Area 2 und 7). Wie bei fast allen Sinneseindrücken geht das auch hier nur über das
„Tor des Bewusstseins“, den Thalamus. Auch zum Hypothalamus führen Fasern aus den
Vestibulariskernen, was den Einfluss des Gleichgewichtssinns auf unsere vegetativen
Funktionen erklärt. (siehe unten: Kinetosen !)
Die AP-Frequenzen der Vestibularis-Neurone beider Seiten werden vom ZNS ständig miteinander verglichen. In Ruhe sind diese Frequenzen auf beiden Seiten identisch und
entsprechen der Ruheaktivität. Verändert sich die AP-Frequenz einseitig, wird dies als Drehschwindel oder Fallneigung empfunden: es erfolgen ein reflektorischer Nystagmus sowie
Tonusänderung der Extensoren. Fällt das Labyrinth einer Seite aus, erniedrigt sich auf der
kranken Seite die AP-Frequenz der Neurone gegenüber der gesunden Gegenseite (wo relativ
hohe AP-Ruhefrequenz vorliegt: es kommt zu Drehschwindel zur gesunden Seite, TonusErniedrigung und damit Fallneigung zur kranken Seite, sowie Nystagmus zur gesunden Seite.
3.) Vestibularis-Reflexe
Vestibulo-okulärer Reflex (VOR)
Dieser Reflex wird durch die Bogengangsorgane vermittelt: wenn wir unseren Kopf in eine
Richtung drehen, bewirken AP-Frequenzen der Vestibulariskerne an die entsprechenden
Augen-Muskelkerne, dass sich beide Bulbi automatisch in die entgegengesetzte Richtung
drehen. Dadurch wird das ursprüngliche Blickfeld beibehalten und das fixierte Objekt
weiterhin auf der Fovea abgebildet:
a) bei horizontaler Kopfdrehung werden die
kompensatorischen Augenbewegungen vom horizontalen Bogengang gesteuert, b) bei
vertikaler Kopfdrehung vom vorderen vertikalen Bogengang gesteuert und c) bei TorsionsBewegungen der Augen vom hinteren vertikalen Bogengang gesteuert.
Klinik: dieser prägnante Reflex ist auch bei Komapatienten auslösbar -- ansonsten Zeichen
für den Hirntod.
SINNE 46
Nystagmus
Als Nystagmus bezeichnet man rhythmische Augenbewegungen (Augenzittern), die im Prinzip dazu dienen, das
Blickfeld zu stabilisieren (Verschaltung siehe Abbildung),
wenn sich das Umfeld relativ zu uns bewegt, wie z. B.: a)
im fahrenden Zug sitzend die Landschaft betrachten, b)
einen direkt vor uns vorbeifahrenden Zug beobachten (a+b
= optisch ausgelöst), c) beim Blicken, wenn man sich um
die eigene Körperachse dreht wie beim Tanzen oder d) beim
Verfolgen einer sich um uns drehenden Umgebung (c+d =
optisch und vestibulär ausgelöst).
Das Auge sucht sich dabei immer einen Fixpunkt, den es
solang wie möglich verfolgt (langsame kompensatorische
Bewegung = Deviation). Noch vor dem Anschlag der Bulbi
innerhalb der Orbitae schnellt der Blick dann auf einen
neuen Fixpunkt zurück (schnelle Rückstellbewegung =
Sakkade), dem er dann wieder folgt usw. Die Richtung des
Nystagmus entspricht definitionsgemäß der Richtung der
schnellen Sakkade. [siehe Augenbewegungen mit Nystagmogramm in: www.nidcd.nih.gov]
aus :J. Sobotta, H. Becher Atlas d. Anatomie d.
Menschen III (1973)
Physiologische Nystagmen: mit offenen Augen =
optokinetisch (wenn sich die Umwelt dreht), und mit geschlossenen Augen = perrotatorisch (wenn wir nur kurz den Kopf drehen), post-rotatorisch (nach Stoppen aus einer
längeren Drehung, klinisch), kalorisch (durch Temperatur-Änderung im äußeren Gehörgang,
kann bei Tauchern natürliche Desorientierung hervorrufen, wird klinisch eingesetzt).
Pathologisch ist der durch Labyrinthitis oder im Kleinhirn neuronal ausgelöste SpontanNystagmus. Spontan-Nystagmen sind oft nicht lange zu beobachten, da sich das ZNS des
Patienten kompensatorisch an die Seitendifferenz habituiert und verstärkt das visuelle System
zum Einstellen des Gleichgewichts nutzt, was bedeutet, dass betroffene Patienten im Dunkeln
größere Gleichgewichtsstörungen haben als im Hellen.
Hier ein vereinfachtes Beispiel: zu Beginn einer Drehung nach rechts registrieren die horizontalen
Bogengänge eine Beschleunigung nach rechts (AP-Frequenz rechts relativ hoch, links relativ niedrig),
die Information „Drehung nach rechts“ wird von den Vestibulariskernen an die Augenmuskelkerne
weitergegeben, das Ergebnis ist ein Nystagmus nach rechts.
Merke: der per-rotatorische Nystagmus schlägt immer in Drehrichtung.
Dreht man sich weiter, jedoch ohne zu beschleunigen, bewegen sich Endolymphe und Cupula bald
mit gleicher Geschwindigkeit. Dadurch stellt sich auf beiden Seiten die Ruheaktivität wieder ein, die
Augenmuskelkerne erhalten die Information „Keine Drehung“ und der Nystagmus verschwindet.
Stoppt man nun die Drehung, dann entspricht das einer negativen Beschleunigung. Die träge
Endolymphe, die sich eigentlich weiterbewegen würde, verschiebt jetzt von der anderen Seite die
Cupula. Dadurch kommt es auf der linken Seite zu einer utriculo-petalen und auf der rechten Seite zu
einer utriculo-fugalen Auslenkung, was der Information „Drehung nach links“ entspricht. Das wird auch
so den Augenmuskelkernen signalisiert - die Folge ist ein Nystagmus nach links.
Merke: der post-rotatorische Nystagmus schlägt immer entgegen der vorherigen Drehrichtung.
SINNE 47
Drehschwindel
Im Zusammenhang mit dem Gleichgewichtssinn entsteht Schwindel (Vertigo) immer dann,
wenn die Informationen, die aus den verschiedenen Sinneskanälen auf die Vestibulariskerne
konvergieren, nicht in Einklang zu bringen sind. Wenn wir uns z.B. mit konstanter Geschwindigkeit um die eigene Achse drehen, melden die Gleichgewichtsorgane: „Körper in Ruhe“;
während aber das visuelle System mitteilt: „Körper in Bewegung“, was ebenso von den
Propriozeptoren registriert wird, zumindest in dem Fall, dass sich der Körper aktiv dreht.
Wenn die Drehung gestoppt wird, registrieren die Gleichgewichtsorgane wieder Bewegung
(negative Winkelbeschleunigung), während nunmehr die Propriozeptoren Ruhe signalisieren.
Dies bewirkt im ZNS diverse Fehlinformationen, was sich als subjektives Gefühl eines
Drehschwindels äußert, der zumeist in Richtung des Nystagmus geht.
Kinetosen
Bewegungskrankheiten (Kinetosen) = Übelkeit mit Erbrechen auf der Achterbahn, auf See
oder beim Rückwärtsfahren im Zug werden unter Umständen bei einer starken Inkongruenz
der Informationen erzeugt, die aus den verschiedenen Sinnessystemen oder auch den verschiedenen Vestibular-Organen in den Vestibulariskernen eintreffen. Das Erbrechen bewirkt,
dass ein leerer Magen weniger Blutzufuhr benötigt, um im Rahmen einer Stressreaktion mehr
Blut für Gehirn und Muskulatur zur Verfügung zu stellen.
Morbus Menière
1) Meist durch gestörten Abfluss der Endolymphe bedingte Erkrankung mit spontan
auftretenden, starken Schwindelattacken, Übelkeit, Gehörverlust (Tieftonbereich), Tinnitus.
Theorie: Resorptionsstörung von Kalium im saccus endolyphaticus 
Kaliumüberschuss in Endolymphe  Wasserzustrom  Überdruck 
Endolymphatischer Hydrops (Leitsyndrom: Tieffrequenzhörsturz)
2) Die epithelialen Membranen zwischen Endolymphraum und Perilymphraum können
aufgrund eines Überdrucks (Endolymphatischer Hydrops) reißen, so dass sich die
kaliumreiche Endolymphe mit der Perilymphe vermischt. Folge dieser „Kaliumvergiftung“
der Perilymphe ist eine Dauerdepolarisation der Haarzellen und Drehschwindel. Die
Membran verschließt sich dann wieder.
Wichtig sind folgende Aspekte
Charakteristik der adäquaten Reize (Deflektion wird durch welche physikalische Größe
erzeugt ??); mögliche Wege der „Reiz“leitung über die einzelnen Strukturen des Ohres,
Funktionsprinzip der verschiedenen Sensorflächen (Maculae staticae, Cristae ampullares), die
Signaltransduktion in den Haarzellen, Erregungsleitung von den Sensoren zum propriozeptiven Kortex, neuronale Verbindungen zu Augen; Ohren und der Haltemuskulatur,
physiologische Testung vom Gleichgewicht.
SINNE 48
Übersicht: Auswirkung verschiedener Erregungsformen der Gleichgewichtsorgane (GGO)
Durchführen
von
Rechtsdrehung
Durchführen
von
Linksdrehung
Abstoppen
einer
Rechtsdrehung
Abstoppen
einer
Linksdrehung
GGO-Ausfall
rechts
GGO-Ausfall
links
Warmspülung*:
rechter äußerer
Gehörgang
Warmspülung*:
linker äußerer
Gehörgang
Kaltspülung*:
rechter
Äußerer
Gehörgang
Kaltspülung* :
linker
Äußerer
Gehörgang
Bogengang APDrehschwindel, Fallneigung
Frequenz Nystagmus,
Muskeltonus
erregt
steigend nach
nach
Rechts
Rechts
Rechts
Links
Links
Links
Links
Rechts
Links
Links
Links
Rechts
Rechts
Rechts
Rechts
Links
Links
Links
Links
Rechts
Rechts
Rechts
Rechts
Links
Rechts
(Rechts)
Rechts
Links
Links
(Links)
Links
Rechts
Links
(Links)
Links
Rechts
Rechts
(Rechts)
Rechts
Links
* Bitte beachten: Eine einseitige Stimulation/ Inhibition durch thermische Spühlung bewirkt einen umgekehrten
Effekt auf der anderen Seite (wegen kontralateraler Interneurone).
SINNE 49
PRAKTIKUM
Versuch
GLEICHGEWICHT
1 Untersuchung der vestibulo-spinalen Reflexe
Vorgehensweise bei der Prüfung der Funktion der Vestibularorgane
a) Anamnese
b) Welche Symptome treten bei pathologischen Veränderungen der Labyrinthe auf?
c) Diagnostik
Folgende einfache Untersuchungen, die den Patienten wenig belasten und keinen apparativen
Aufwand erfordern, sollten zuerst durchgeführt werden!
Um folgende Versuche (siehe nächste Seite) effizient durchzuführen, müssen die Augen des
Patienten geschlossen sein. Warum ?
a)
b)
c)
d)
Fallversuch nach Romberg
Blindgang
Tretversuch nach Unterberger (das Knie deutlich anheben ! Warum ?)
Zeigeversuch nach Bárány
Vorsicht: Welche Hilfestellung muss unbedingt erfolgen?
aus H.-G. Boenninghaus, T. Lenarz: H-N-O-Heilkunde (2001)
Welche Abweichungen sind bei einem akuten einseitigen Labyrinth-Ausfall zu erwarten ?
Welche Vestibularis-Bahnen sind beteiligt ?
Wie lassen sich diese 4 Abweich-Reaktionen (= Ausgleichsbewegungen) erklären ?
Versuch 2
Einführung in das Labyrinth
1.) Modell eines Bogengang-Organs
a) Besprechung des Modells eines horizontalen Bogengangs
b) Modellversuch über die Bewegung der Endolymphe bei Drehbewegungen
SINNE 50
c) physikalische Vorgänge zu Beginn, während, beim Abstoppen aus der Drehung
d) Unterschiede zwischen kurzen und lang-anhaltenden Drehbeschleunigungen
3.) Abbildung
linker horizontaler Bogengang von oben gesehen, mit Utriculus, Ampulle, Cupula, 1
Haarzelle, 1 Afferenz
Skizzieren Sie Aktivierung oder Inhibierung der Haarzellen beidseits bei Kopfdrehung
nach rechts !! Zeichnen Sie die jeweiligen Änderungen farbig ein.
Versuch
3 Untersuchung von vestibulo-okularen Reflexen
1.) Okulomotorik: definieren Sie „Nystagmus“
a) Zeichnen Sie hier ein Nystagmogramm (3 Schläge eines horizontalen
Rechts-Nystagmus):
(rechts) 
(links) 

(ms)
Nach welcher Komponente wird der Nystagmus benannt ?
Wodurch wird die Richtung der Sakkade bestimmt ?
Welche Ursachen kann ein Ausfall der vestibulären Systeme haben ?
2.) Simulieren Sie den akuten Ausfall eines horizontalen Bogengangs nach Drehung:
a) Induktion des Provokationsnystagmus nach Bárány nach dem Drehstuhlversuch
b) Prüfung der Reaktionen eines Probanden nach Drehung (Art, Richtung, Dauer,
Palpation)
SINNE 51
Vorgehen:
Hilfsmittel (beleuchtete Frenzel-Brille mit +16 dpt; warum ?) Hilfsperson !!
Ausführung: Wie wird gedreht und warum ? In welcher Kopflage wird der horizontale
Bogengang optimal gereizt ?
3) Folgen der Reizung beider Bogengangapparate sind:
a) Augen-Bewegungen (= Nystagmus als vestibulo-okularer Reflex)
b) Subjektive Empfindungen:
Teilen Sie Ihre individuellen Empfindungen nach einem Drehstuhl-Experiment mit.
In welche Richtung empfinden Sie ? Wie erklären Sie sich diese Empfindungen ?
c) Abweich-Reaktionen (Stellreflexe bzw. vestibulo-spinale Reflexe)
Nach Anhalten aus der Drehung erheben Sie die gestreckten Arme (Bárány):
Nach welcher Seite erfolgt die Abweichreaktion der Arme und warum ?
Zeichnen Sie zum besseren Verständnis die Schemata der beiden horizontalen Bogengänge (siehe Schema oben: Stellung des Kinoziliums ?; erklären Sie "utriculo-fugal"
und "utriculo-petal"). Überlegen Sie sich die Knochen-, Endolymph- und CupulaBewegungen, die beim Andrehen (per-rotatorisch), während (nach mindestens 30 sec),
und nach Stoppen (post-rotatorisch) eines Drehstuhlexperiments zu beobachten sind.
Markieren Sie eine Erhöhung bzw. Verringerung der Entladungsfrequenz der
Afferenzen mit den Vorzeichen ‚+’ und ‚–‚.
In welcher Richtung erfolgt jeweils der Nystagmus ?
Welche neuronalen Verschaltungen spielen bei diesen Abweichreaktionen eine Rolle?
Versuch 4
Besprechung der kalorischen Prüfung
Durchführung: Proband liegt auf dem Rücken, den Kopf um etwa 30° angehoben, so
dass die horizontalen Bogengänge senkrecht stehen. Man spült den äußeren Gehörgang
der zu prüfenden Seite für ca. 20 Minuten abwechselnd mit 41°C warmem und 31°C
kaltem Wasser. Durch das warme Wasser wird die Endolymphe im Bogengang. erwärmt
und steigt nach oben, wodurch sie auf die Cupula in Richtung Utriculus drückt (utriculopetal). Dadurch (und wahrscheinlich auch direkt durch die Wärmewirkung) werden die
Haarzellen des betroffenen Bogengangs utriculo-petal deflektiert und es kommt zu einem
Nystagmus in Richtung geprüfter Seite. Bei Kaltspülung erfolgt das Gegenteil: die
Endolymphe sinkt ab, und die Cupula wird durch den Unterdruck utriculo-fugal
wegbewegt ( wodurch quasi ein Ausfall des Bogengangs simuliert wird ); der Nystagmus
zeigt von der geprüften Seite weg zur Gegenseite.
Worauf muss man achten, bevor der Test durchgeführt werden kann ? (Kunstfehler !)
Welches Hilfsmittel wird benötigt ?
Warum funktioniert diese Prüfung (anatomische Verhältnisse, physikalisches Prinzip) ?
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