Diskriminierungskritische Perspektiven auf Kindheit Vortrag zur Eröffnung der Fachstelle „KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen!“ Maureen Maisha Eggers Ich möchte damit beginnen, der Fachstelle Kinderwelten zu der neuen Beratungsund Kampagne-Stelle „KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen!“ zu gratulieren. Aktiver Diskriminierungsschutz ist eine zentrale Aufgabe pluralisierter Gesellschaften. Diskriminierungsrelevante Aspekte von Kindheit bekommen zum Glück – aufgrund einer zunehmenden Gleichstellungsorientierung in der Gesellschaft immer mehr Aufmerksamkeit.1 Das ist ein hoffnungsvoller Ausgangspunkt! Ich folge einem Verständnis von Gleichstellung, nach dem Gleichstellungsbestrebungen sich gleichermaßen auf die Strukturierung von drei Ebenen beziehen müssen. Diese drei Ebenen sind erstens das Recht auf Teilhabe, zweitens die Herstellung von Chancengleichheit – beim Zugang zu Ressourcen und drittens der Schutz vor Diskriminierung.2 Der dritte Bereich ist konzeptionell betrachtet eine höchst spannende Gestaltungsaufgabe. Er stellt sich beim genauerer Betrachtung gleichzeitig als der schwergängigste heraus. Genau hier setzt die Beratungs- und Kampagne-Stelle KiDs an und beabsichtigt einen Beitrag zum aktiven Diskriminierungsschutz Diskriminierungsschutzes sind zu leisten. Kinder. Das Die Zielgruppe wiederrum dieses bringt aktiven spezifische Herausforderungen mit sich. Mein heutiger Vortrag setzt an der zunehmenden Gleichstellungsorientierung an und möchte Folgendes leisten: In der Kindheit folgenreiche Diskriminierungsmuster thematisieren. Diskriminierungsrealitäten von Kindern ins Verhältnis setzen zu einer zunehmenden gesellschaftlichen Pluralisierung und schließlich möchte ich einige 1 Vgl. Eggers, Maureen Maisha (2014): Sexuelle Vielfalt und das Recht auf heterogene Kinderwelten. In: Blog Feministische Studien. Online: http://blog.feministische-studien.de/2014/11/sexuelle-vielfalt-und-das-recht-aufheterogene-kinderwelten/ 2 Vgl. Lepperhoff, Julia; Rüling, Anneli; Scheele, Alexandra (2007): Von Gender zu Diversity Politics? Kategorien feministischer Politikwissenschaft auf dem Prüfstand. Einleitung. In: Femina Politica, Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 01/2007: Von Gender zu Diversity Politics? Politikwissenschaftliche Perspektiven, Leverkusen. S. 9-22. 1 Überlegungen zum aktiven Diskriminierungsschutz als pädagogische Handlungsorientierung formulieren. Diskriminierungsrelevante Aspekte von Kindheit Ich möchte zunächst drei diskriminierungsrelevante Ebenen in den Lebenswelten von Kindern fokussieren. Um in der Kindheit wirksame Diskriminierungsmuster in ihrer Tiefenstruktur zu erfassen, ist es zuallererst wichtig die gesellschaftliche Position von Kindern als soziale Gruppe, als eigenständige Generation mit eigenen spezifischen Lebensthemen herauszuarbeiten.3 Vor dem Hintergrund aktueller kindheitswissenschaftlicher Debatten wird Kindheit als gesellschaftlicher Raum mit spezifischen Arrangements, Logiken und Institutionalisierungen verstanden.4 Kindheit ist also kein Naturphänomen, sondern vielmehr das Ergebnis spezifischer Regelungen. Kindheit ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, zeitgenössischer und kultureller Formungen. Die untergeordnete Position von Angehörigen der sozialen Gruppe Kinder sei demnach auch keine natürliche Ordnung, die sich automatisch aus ihrer “Minderjährigkeit“ ergibt. Es handelt sich vielmehr um ein Ergebnis gesellschaftlicher Wahrnehmungen und Einschätzungen. In der konstruktivistischen Sprache wird Kindheit gemacht bzw. hergestellt. Der gesellschaftliche Status von Kindern ist ein soziales Konstrukt. Das Generationsverhältnis zwischen den sozialen Gruppen Erwachsenen und Kindern wird beständig durch soziale Prozesse (Interaktionen und Aushandlungen) hergestellt.5 „Langfristige Arbeit gegen die Benachteiligung von Kindern muss deshalb damit beginnen, das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern als ein gesellschaftliches Phänomen zu untersuchen und zu verstehen.“6 3 Vgl. Luber, Eva und Hungerland, Beatrice (Hg.) (2008): Angewandte Kindheitswissenschaften – Eine Einführung für Studium und Praxis, Weinheim und München. 4 Vgl. Luber und Hungerland 2008 5 Vgl. Dolderer, Maja (2010): Man wird nicht als Kind geboren, man wird zum Kind gemacht. Adultismus, die pädagogische Matrix und die generationale Ordnung der Gesellschaft. Zeitschrift Unerzogen-2-2010, S. 12 – 14 6 Dolderer, 2010; 12 2 Die gesellschaftliche Alterskategorisierung wirkt sich schließlich als soziale Hierarchie aus. Sie reguliert den Zugang zu Ressourcen wie Anerkennung, Teilhabe und Einflussnahme. Kinder werden in der Regel nicht als eine eigenständige Generation ernstgenommen, die ihre eigenen Lebensthemen erfährt und gestaltet. Ihre Lebens- und Handlungsräume werden durch erwachsene Akteur_innen strukturiert, ohne Beteiligung der Kinder, die es betrifft. Der gegenwärtige Entwurf von Kindheit benachteiligt Kinder also systematisch. Er fixiert Kinder in einen untergeordneten rechtlichen und politischen Status. Diskriminierungsrelevante Beispiele sind Spielverbote, d.h. Anordnungen, die Kindern das Spielen und Herumtoben verbieten (auf Höfen oder an öffentlichen Orten wie Restaurants). Diese Verbote werden damit begründet, dass Kinderlärm erwachsene Angehörige der Gesellschaft stört.7 Die Erwachsenensicht auf diese soziale Situation wird systematisch als die ausschlaggebende eingeschätzt. Die soziale Situation wird nicht als ein Interessensgegensatz behandelt, in dem gleichberechtigte Zugangsrechte miteinander koordiniert werden müssen, damit die unterschiedlichen sozialen Gruppen die Möglichkeit erhalten ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Stattdessen herrscht eine problematische Erwachsenenzentrierung vor.8 Dieser Raumkonflikt spitzt sich in der systematischen Verhinderung von Kindertageseinrichtungen in Wohngebieten zu. Auch hier wird in der Regel nicht nach kreativen Lösungen gesucht, die es beiden sozialen Gruppen ermöglicht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Stattdessen werden hier oftmals auf der Grundlage einer erwachsenenzentrierten Lesart des soziale Konflikts, über die Bedürfnisse von Kindern hinweg, einseitige Lösungen herbeigeführt. Der berechtigte Anspruch auf Nutzung öffentlicher Räume am eigenen Wohnort wird für Kinder nicht hinreichend eingelöst. Kinder werden weder angehört noch beteiligt, wie es sonst üblich wäre bei konkurrierenden Ansprüchen. Sie gelten offenbar nicht als ernstzunehmende Gesprächspartner_innen. „Altersspezifische oder mit dem (geringen) Alter legitimierte Formen von Diskriminierung sind meist Ausdruck eines Kindheitsverständnisses, demzufolge Kinder Erwachsenen gegenüber prinzipiell unterlegen sind und einen geringen 7 Vgl. Manfred (2010): Diskriminiert, weil sie Kinder sind: Ein blinder Fleck im Umgang mit Menschenrechten. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 5 Heft-3-2010, S. 311 8 Vgl. Luber und Hungerland 2008 3 Status oder geringere Kompetenzen haben. Sie ist ein – nicht immer bewusst eingesetztes – Mittel, um den Machtvorsprung der Erwachsenen zu bewahren und die Gleichberechtigung der Kinder zu verhindern. Zum einen muss dabei die besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder herhalten, zum anderen die vermeintliche Notwendigkeit, Kinder mittels Erziehung oder Verhaltensmaßregeln zu ‚zivilisieren’.“9 Kimberlé Crenshaw konzipiert Frauen als eine soziale Klasse, als eine soziale Gruppe, die aufgrund von stereotypen Wahrnehmungen erhebliche Barrieren überwinden muss, um ihren gleichberechtigten Anspruch auf gesellschaftliche Ressourcen einzulösen (Lohngleichheit, Aufstiegschancen, Führungspositionen, Alterssicherung). In ähnlicher Weise erscheint es mir schlüssig, Kinder nicht nur als eine soziale Gruppe, sondern in Anlehnung an Crenshaw, als eine soziale Klasse mit spezifischen gesellschaftlichen Benachteiligungsbedingungen zu erfassen.10 Kinder sind im Generationsverhältnis untergeordnet. Es geht mir hier nicht darum, den relationalen Erfahrungsvorsprung wegzudiskutieren, den erwachsene Akteur_innen, im Vergleich zu Kindern Abhängigkeitsrealitäten, die aufweisen. mit dem Noch geht Umstand der es mir darum, Minderjährigkeit zusammenhängen zu verkennen. Und schließlich liegt mir nichts daran, die Konflikte im Generationsverhältnis – soziale Gruppe Erwachsene und soziale Gruppe Kinder – einseitig, in Richtung Bedürfnisse von Kindern zu lösen. Vielmehr soll hier in diskriminierungskritischer Absicht, auf die Normalität der gesellschaftlichen Erwachsenenzentrierung, samt ihrer vereinseitigenden Effekte hingewiesen werden. Mit dem Analysebegriff Adultismus wird der gesellschaftliche Umgang mit der Machtungleichheit zwischen Erwachsenen und Kindern problematisiert. Das Generationsverhältnis wird hier als ein hierarchisches, ein eingespieltes Dominanzverhältnis verstanden. Kinder werden in der Regel nicht als aktive Beteiligte an ihrer eigenen biographischen Entwicklung konzipiert. Vielmehr positioniert das Ungleichheitsverhältnis, Kinder als passive Empfänger_innen pädagogischer Maßnahmen. Das gesellschaftlich vermittelte Bild des Kindes enthält viele Eigenschaften, von denen sich erwachsene Akteur_innen abgrenzen wollen. Im 9 Liebel, 2010; 311 10 Vgl. Crenshaw, Kimberlé Williams (1991): Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and Violence Against Women of Color. In: Stanford Law Review 43: 6, S. 1241-1299. 4 Sinne von ‚Gemachten Differenzen’, werden Kinder markiert als unvernünftig, unzivilisiert und störend. Diese zugeschriebenen Differenzen werden dramatisiert. Damit wird die Beobachtung, Kontrolle und Disziplinierung von Kindern durch ‚vernünftige, zivilisierte’ Erwachsene gerechtfertigt. Kinder sind also eine soziale Klasse, denen aufgrund der Generationalen Ordnung wenig Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf des eigenen Lebens zugestanden wird. Die adultistische Prägung der Gesellschaft wirkt infolgedessen als ein grundlegendes Macht- und Diskriminierungsmuster. Sie führt zu einer Geringschätzung der gesellschaftlichen Beiträge von Kindern. Ihre Wissens- und Aktionsformen werden in vielen Fällen für (kommerzialisierte) Erwachseneninteressen instrumentalisiert oder aber trivialisiert. Kindheit muss insofern als gesellschaftliches Produkt begriffen werden. Folglich ist Kindheit potentiell auch anders organisierbar. Es sind zu jeder Zeit potentiell andere Entwürfe und Konzeptionen von Kindheit denkbar und möglich. Die zweite Fokussierung: Die zweite Fokussierung, die ich betonen möchte, ergibt sich aus einem intersektionalen Verständnis von Diskriminierungsrealitäten. Kinder als soziale Klasse sind nicht lediglich von einem einzigen Diskriminierungsverhältnis betroffen, welches sie als untergeordnete Gruppe, Erwachsenen gegenüber positioniert. Innerhalb der sozialen Gruppe Kinder sind diejenigen, die zu weiteren unterworfenen sozialen Klassen gehören, nochmal stärker gefährdet diskriminiert zu werden. Es ist daher wichtig, sowohl die Wirkung interkategorialer Diskriminierungserfahrungen, die sich aus der Alterskategorisierung Diskriminierungserfahrungen, die ergeben, sich aus dem als auch interkategorialer Zusammenspiel mehrerer Teilidentitäten ergeben, nachzuvollziehen.11 Kindsein ist also nicht = Kindsein. Die Erfahrung von Diskriminierung in der Kindheit spezifiziert sich ferner über weitere Einschränkungen der eigenen Lebens- und Handlungszusammenhänge, aufgrund der Zugehörigkeit zu rassistisch markierten Gruppen, zu Gruppen deren Sinnesfunktionen als außerhalb der Norm entworfen 11 Vgl. Prengel Annedore und Rendtorff Barbara (Hg.) (2008): Zur Einführung. Kinder und ihr Geschlecht – Vielschichtige Prozesse und punktuelle Erkenntnisse. Opladen, Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft; 4, S. 11-23. 5 werden (Akteur_innen mit Behinderungen) oder zu Gruppen, die gesellschaftlichen Gendernormen nicht entsprechen diskriminierungskritische Arbeit ist (LSBTIQ es wichtig, Akteur_innen). die Für unterschiedliche Verletzungsoffenheit (Vulnerabilität) innerhalb der heterogenen sozialen Klasse Kinder zu berücksichtigen. Schwarze Kinder und Kinder of Color12, Kinder mit Behinderungen13 (weiße und rassistisch markierte Kinder) und Kinder, die nicht den Gendernormen entsprechen14 (rassistisch markierte und weiße Kinder) sind mehrfach betroffen von Diskriminierungsstrukturen. Ein intersektional fundierter Diskriminierungsschutz muss die heterogenen Benachteiligungsbedingungen und den sich daraus ergebenden spezifischen Handlungs- und Erfahrungsräume innerhalb der sozialen Klasse Kinder erfassen. Er muss die Erfahrungsqualitäten besonders belasteter (diskriminierungserfahrener) Kinder erfassen und nicht lediglich derer, die innerhalb der eigenen Gruppe zu den privilegierten gehören, (die aber als Prototyp der Gruppe gesellschaftlich vermittelt werden). Es gilt hier im Sinne Kalpakas eine diskriminierungskritische Professionalität in Verhältnissen von Differenz und Dominanz zu entwickeln.15 Die dritte Fokussierung: Die dritte Fokussierung, die ich betonen möchte ist, dass Kinder selbst aktive Beteiligte sind in der Reproduktion gesellschaftlicher Macht- und Diskriminierungsstrukturen. Kinder sind verstrickt in der Herstellung sozialer Hierarchien. 12 Vgl. Kalpaka Annita (2005): Pädagogische Professionalität in der Kulturalisierungsfalle – Über den Umgang mit „Kultur“ in Verhältnissen von Differenz und Dominanz, in: Rudolf Leiprecht und Anne Kerber (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch, Schwalbach, S. 387 – 403. 13 Vgl. Analysen der Disability Studies In: Bidok: Volltextbibliothek.Behinderung.Inklusion.Dokumentation. Inklusive Pädagogik und Disability Studies. Sowie Waldschmidt Anne und Müller Arne (Hg.) (2012): Diskriminierung von behinderten und chronisch kranken Menschen: Literatur zum Thema Barrierefreie Dienstleistungen – Benachteiligungen von behinderten Menschen beim Zugang zu Dienstleistungen privater Unternehmen, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin. 14 Vgl. Payne, Jake (2014): Gender Independent Kids: A Paradigm Shift in Approaches to Gender NonConforming Children. In: Canadian Journal of Human Sexuality 23 (1), 2014 pp 1-8. 15 Vgl. Kalpaka, 2005 6 „Kinder sind (noch immer) Race- , Gender- und Powerconscious“16 Kinder nehmen bereits sehr früh Statusunterschiede und Machtdifferenzen wahr. Mit dem Lernen der sozialen Welt samt ihrer Teilungsprinzipien, Ungleichheiten und Hierarchien, wird offenbar auch zugleich die Normalität rassistischer Hierarchien vermittelt.17 Mithilfe eines Identifikationsimpulses versucht der Doll Test18, als Methode der rassismuskritischen Kindheitsforschung nachzuvollziehen, wie Kinder Differenzwissen mit Blick auf rassistisch markierte und rassistisch unmarkierte soziale Gruppen herstellen und anwenden. Es geht also um die Kenntnis und darüber hinaus um die Wahrnehmung und Bewertung rassistischer Differenzmarkierungen. Der Doll Test hat eine breite Reproduktion in verschiedenen nationalen Kontexten, seit den 1950er bis in die Gegenwart hinein erfahren.19 Die Aussagen der Kinder bleiben in ihrem sozialen Gehalt relativ konstant, trotz Reproduktion in unterschiedlichen Ländern.20 2010 wurden auf der Grundlage der Doll Studie, im Rahmen einer vierteiligen Serie der Sendung 360° des USamerikanischen Senders CNN erneut Kinder im frühen Kindesalter zur sozialen Bedeutung rassistische Markierung befragt.21 Die Antworten und Reaktionen kindlicher Akteur_innen lassen auf eine sehr frühe Wahrnehmung rassistischer Markierung als gesellschaftliche Hierarchie schließen. Die Kinder schätzen die dominante Kategorie des rassistischen Einteilungssystems, ‚Weißsein’ systematisch besser und höherwertiger ein. Weißsein wird als ästhetische Norm und als wünschenswerter Status eingeschätzt. Weißsein wird offenbar per gesellschaftliches Wissen, schon sehr früh im Leben als ein durchweg positives Selbstbild vermittelt.22 Die automatische positive Wahrnehmung weißer Selbstbilder (gütig, hilfsbereit, 16 Vgl. Eggers Maureen Maisha (2012): Gleichheit und Differenz in der frühkindlichen Bildung - Was kann Diversität leisten? In: Brilling, Julia und Gregull, Elisabeth; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): DOSSIER Diversität und Kindheit - Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion. 17 Vgl. Eggers, 2012 18 Milner, David (1983): Children and Race, Beverly Hills, London, New Delhi, S. 110 19 Milner, 1983; 110 sowie 118ff Zusammenschnitt des Projective Doll Interviews in verschiedenen nationalen Kontexten. Online: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=tkpUyB2xgTM 21 CNN AC360 (2010): CNN Studie in dem viertteiligen Special der Sendung AC360. Online: http://edition.cnn.com/SPECIALS/2010/kids.on.race/ 22 Vgl. Azoff/Upworthy 2014 : http://www.upworthy.com/heres-what-happens-when-you-put-a-few-little-kidsin-a-room-with-2-dolls-in-2-different-colors-aa2-4d 20 7 schön), ist als gesellschaftliches Wissen im Kindesalter offenbar bereits Konsens. In den Testsituationen wählten Kinder systematisch die rassistisch markierten Figuren aus, als das böse (unartige, dumme, hässliche, unbeliebte) Kind. Bereits in der frühen Kindheit verbinden Kinder Schwarzsein – in der Erklärung ihrer Wahl, mit Kriminalität. Die Aufladung rassistischer Markierung mit negativen Eigenschaften scheint in eine systematische Kriminalisierung rassistisch markierter Akteur_innen zu münden. Es sind folgenreiche Bewertungen. Kinder of Color zeigten ein Unbehagen sich mit dem schlechter bewerteten Status, mit der rassistisch markierten Kategorie zu identifizieren. Rassistisch markierte Kinder agieren mit dem “Un“Bewusstsein, dass ihre Handlungen systematisch rassistisch bewertet werden. Ein Zwischenresümee: Was ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit den drei Fokussierungen für ein Verständnis von Diskriminierung? Ich verstehe Diskriminierung als eine systematische Benachteiligung (Schlechterbewertung, Schlechterbehandlung, Herabsetzung) einer sozialen Gruppe. Sie basiert auf der Zuschreibung negativer oder gering geschätzter Eigenschaften. Diese werden zum Wesen der sozialen Gruppe erklärt, als ihren Sozialcharakter verstanden. Diese negative Bewertung wirkt sich auf die Chancenstruktur der Angehörigen der sozialen Gruppe aus. Ihr daraus resultierender Mangel an Einfluss, wird mit den ihnen zugeschriebenen Negativattributen gerechtfertigt. Die soziale Gruppe wird in Abhängigkeit zur dominanten sozialen Gruppe platziert, die nachweislich mehr gesellschaftlichen Einfluss besitzt und ein besseres Selbstbild bei sich und bei anderen Gruppen genießt. Die dominante Gruppe kann aufgrund ihrer fortschrittlichen Stellung einen Leitungsanspruch erheben, weil sie (nunmehr) qualifiziert ist die unterworfene soziale Gruppe (rassistisch markierte Menschen, Menschen mit Behinderung, LGBTQI Menschen, Kinder) zu beobachten, zu disziplinieren und zu zivilisieren. Gegen eine solche Machtinfrastruktur ist ein Diskriminierungsverbot kein besonders wirksames Handlungsmittel. Es gilt daher aktiven Diskriminierungsschutz als Infrastruktur zu konzipieren, als ein Gefüge von Interventionen auf den vielfältigen Ebenen der Verankerung von Diskriminierung. 8 Diskriminierungskritik zu Bedingungen zunehmender gesellschaftlicher Pluralität Eine wichtige Bedingung für die Etablierung einer diskriminierungskritischen Infrastruktur ist die bewusste Herstellung von Heterogenität. Das ist aufgrund von zwei Entwicklungen bedeutsam. Erstens vervielfältigen sich die Einflüsse, die auf unseren Alltag einwirken aufgrund der rasanten Digitalisierung der Gesellschaft (wir befinden uns inzwischen am Übergang der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft zur Digitalen Gesellschaft). Und zweitens findet ein Pluralisierungsprozess unserer Gesellschaften hinsichtlich ihrer Zusammensetzung statt. Eine Projektion für die USA sieht vor, dass im Jahre 2043 Kinder of Color (minorisierte Kinder) die Mehrheit der Bevölkerung zwischen 0-18 Jahre ausmachen werden.23 Die deutschen Metropolen (Berlin, Frankfurt, Hamburg) weisen einen ähnlichen Trend zu Pluralisierung ihrer Bevölkerung v.a. zwischen 0-18 Jahren auf. Gleichzeitig sind aber gesellschaftliche Ressourcen (bspw. Bildungsmaterialien) nach wie vor an eine relativ homogen imaginierte Gemeinschaft orientiert. Mithilfe von Diversity Gap Studies (systematische Erfassungen fehlender Heterogenität) werden Felder der Gesellschaft untersucht, in denen Ressourcen sehr ungleichmäßig auf die in ihr vorhandenen sozialen Gruppen aufgeteilt sind.24 Mit Blick auf die soziale Gruppe Kinder, beziehen sich Diversity Gap Studies, aus der Perspektive von Bibliothekswissenschaften und Kindheitspädagogik generiert, auf die fehlende Heterogenität in sachbezogenen Kinderbüchern und in der Kinderliteratur im Allgemeinen. Das Nicht-Vorkommen in der Literatur (Missing in Literature)25 wird als eine entscheidende, wenn auch unmittelbare Diskriminierungsrealität verstanden. So stellte Rudine Sims Bishop, AfrikanischAmerikanische Erziehungswissenschaftlerin und Kinderbuchautorin fest, „Kinder brauchen Spiegel und Fenster“. 23 Vgl. Low, Jason T. (2013): Why hasn’t the Number of Multicultural Books increased in Eighteen Years? In: Blog Lee and Lows Books. Sowie: Horning, Kathleen T. (2015): Children’s Books by and about People of Color published in the United States. Statistics gathered by the Cooperative Children’s Book Center School of Education, University of Wisconsin-Madison. 24 Vgl. Horning, 2015 und Low, 2013 25 Vgl. Dahlen, Sarah Park (2013): Coverstory: Windows and Mirrors: Reading Diverse Children’s Literature. 9 „Children need Windows and Mirrors. They need Mirrors in which they see themselves and Windows through which they can see the World”.26 Die Spiegelfunktion von Literatur bedeutet, dass Kinder in ihrer interkategorialen Heterogenität, die Chance bekommen sich als Handelnde vorzufinden. Wie kommen Kinder mit Behinderung (rassistisch markierte und weiße Kinder) oder wie kommen Schwarze Kinder und Kinder of Color handelnd in sachbezogenen Kinder- oder in Bilderbüchern vor? Die Fenster Funktion von Erzählungen ermöglicht Kindern die Erfahrung gesellschaftlicher Heterogenität. Auf der Grundlage von empirischen Diversity Gap Studien zu Kinderbüchern ist ein bedeutender Befund, dass Heterogenität offenbar in Tierfiguren als Erzählfiguren unendlich darstellbar ist.27 Es stellt sich also die Frage, warum Kinderfiguren wenig heterogen dargestellt sind, obwohl es sich ohnehin vorwiegend um Imaginationen handelt, in den Erzählkonstruktionen von Kinderliteratur. Ein weiterer diskriminierungsrelevanter Befund war, dass es systematische geringschätzige Repräsentationen von rassistisch markierten Figuren gibt. „When children cannot find themselves reflected in the books they read, or when the images they see are distorted, negative, or laughable, they learn a powerful lesson about how they are devalued in the society of which they are a part.“28 Die Abwesenheit heterogener Handlungsbilder und die Kontinuität diskriminierender Inhalte sind wichtige Ansatzpunkte für diskriminierungskritische Kampagnen. Aktiver Diskriminierungsschutz als Handlungsorientierung in der Arbeit mit Kindern Abschließen möchte ich mit dem Hinweis auf eine konkrete Interventionsstrategie. Die österreichische Bundesregierung strebt – angestoßen durch den Aktionsplan 26 Bishop, Rudine Sims (1990): „Mirrors, Windows and Sliding Glass Doors“. In: Perspectives: Choosing and Using Books for the Classroom. Vol. 6, Nr. 3. 1990. 27 Vgl. Romo, Vanessa (2013): „In Nearly All Children’s Books, It’s a White, White World“ – Although Demographics are Changing, Minority Kids are rarely represented. Sowie: Santora, Linda (Hg.) (2013): Assessing Children’s Book Collections Using an Anti-Bias Lens. In: ADL, Anti-Defamation League. 28 Bishop, 1990 10 2004 – eine stetige Beteiligung von Kindern, bei allen politischen Entscheidungen an, die sie betreffen. In Anlehnung an ‚Gender Mainstreaming’, „bei dem die Geschlechterperspektive in das staatliche Handeln eingezogen wurde, soll auch grundsätzlich die Frage gestellt werden, was eine bestimmte Handlung für Kinder und Jugendliche bedeutet.“29 Parallel zu Gender Mainstreaming brauchen wir also Generation Mainstreaming.30 Generation Mainstreaming ist ein Instrument mittels dessen die Perspektiven von Kindern auf die soziale Wirklichkeit, ganz systematisch als relevante Wissensform in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einfließen. Solche Modelle nehmen Kinder als gesellschaftliche Akteur_innen, als Handlungssubjekte ernst. Sie stärken die Position von allen Kindern im hierarchischen Gefüge der sozialen Welt. Quellen: Bidok (2015): Volltextbibliothek. Behinderung.Inklusion.Dokumentation. Inklusive Pädagogik und Disability Studies. Online: http://bidok.uibk.ac.at/ Bishop, Rudine Sims (1990): „Mirrors, Windows and Sliding Glass Doors“. In: Perspectives: Choosing and Using Books for the Classroom. Vol. 6, no. 3. Summer 1990. Online: http://www.rif.org/us/literacyresources/multicultural/mirrors-windows-and-sliding-glass-doors.htm Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2004): Nationaler Aktionsplan für die Rechte von Kindern und Jugendlichen. Online: http://www.polkm.org/nap_041123_ov.pdf Crenshaw, Kimberlé Williams (1991): Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and Violence Against Women of Color. In: Stanford Law Review 43: 6, S. 1241-1299. Dahlen, Sarah Park (2013): Coverstory: Windows and Mirrors: Reading Diverse Children’s Literature. In Blog Gazillion Voices. Online: http://gazillionvoices.com/cover-story-windows-and-mirrors-readingdiverse-childrens-literature-by-dr-sarah-park-dahlen/#.VgfKAs4zMhW Dolderer, Maja (2010): Man wird nicht als Kind geboren, man wird zum Kind gemacht. Adultismus, die pädagogische Matrix und die generationale Ordnung der Gesellschaft. Zeitschrift Unerzogen-2-2010, S. 12 – 14. Eggers, Maureen Maisha (2014): Sexuelle Vielfalt und das Recht auf heterogene Kindheiten. In: Blog Feministische Studien. Online: http://blog.feministische-studien.de/2014/11/sexuelle-vielfalt-und-dasrecht-auf-heterogene-kinderwelten/ Eggers Maureen Maisha (2012): Gleichheit und Differenz in der frühkindlichen Bildung - Was kann Diversität leisten? In: Brilling, Julia und Gregull, Elisabeth; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): DOSSIER Diversität und Kindheit Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion. Online: 29 Vgl. Liebel, 2010; 316 30 Vgl. Liebel, 2010; 316 11 https://heimatkunde.boell.de/2012/08/01/gleichheit-und-differenz-der-fruehkindlichen-bildung-waskann-diversitaet-leisten Horning, Kathleen T. (2015): Children’s Books by and about People of Color published in the United States. Statistics gathered by the Cooperative Children’s Book Center School of Education, University of Wisconsin-Madison. Online: http://ccbc.education.wisc.edu/books/pcstats.asp Kalpaka, Annita (2005): Pädagogische Professionalität in der Kulturalisierungsfalle – Über den Umgang mit „Kultur“ in Verhältnissen von Differenz und Dominanz, in: Rudolf Leiprecht und Anne Kerber (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch, Schwalbach, S. 387 – 403. Low, Jason T. (2013): Why hasn’t the Number of Multicultural Books increased in Eighteen Years? In: Blog Lee and Lows Books. Online: http://blog.leeandlow.com/2013/06/17/why-hasnt-the-number-ofmulticultural-books-increased-in-eighteen-years/ Lepperhoff, Julia; Rüling, Anneli; Scheele, Alexandra (2007): Von Gender zu Diversity Politics? Kategorien feministischer Politikwissenschaft auf dem Prüfstand. Einleitung. In: Femina Politica, Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 01/2007: Von Gender zu Diversity Politics? Politikwissenschaftliche Perspektiven, Leverkusen. S. 9-22. Liebel, Manfred (2010): Diskriminiert, weil sie Kinder sind: Ein blinder Fleck im Umgang mit Menschenrechten. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 5 Heft-3-2010, S. 307-319. Online: http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/35470/ssoar-disk-2010-3-liebelDiskriminiert_weil_sie_Kinder_sind.pdf?sequence=1 Luber, Eva und Hungerland, Beatrice (Hg.) (2008): Angewandte Kindheitswissenschaften – Eine Einführung für Studium und Praxis, Weinheim und München. Milner, David (1983): Children and Race, Beverly Hills, London, New Delhi. Payne, Jake (2014): Gender Independent Kids: A Paradigm Shift in Approaches to Gender NonConforming Children. In: Canadian Journal of Human Sexuality 23 (1), 2014 pp 1-8. Online: https://www.academia.edu/7251864/Gender_Independent_Kids_A_Paradigm_Shift_in_Approaches_t o_Gender_Non-Conforming_Children Prengel Annedore und Rendtorff Barbara (Hg.) (2008): Zur Einführung. Kinder und ihr Geschlecht – Vielschichtige Prozesse und punktuelle Erkenntnisse. Opladen, Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft; 4, S. 11-23. Online:http://www.pedocs.de/volltexte/2013/8210/pdf/JB_FGE_2008_04_Prengel_Rendtorff_Zur_Einf uehrung.pdf Romo, Vanessa (2013): „In Nearly All Children’s Books, It’s a White, White World“ – Although Demographics are Changing, Minority Kids are rarely represented. Online: http://www.takepart.com/article/2013/06/27/childrens-books-too-white Santora, Linda (Hg.) (2013): Assessing Children’s Book Collections Using an Anti-Bias Lens. In: ADL, Anti-Defamation League. Online: http://www.adl.org/assets/pdf/education-outreach/AssessingChildren-s-Book-Collections.pdf Waldschmidt Anne und Müller Arne (Hg.) (2012): Diskriminierung von behinderten und chronisch kranken Menschen: Literatur zum Thema Barrierefreie Dienstleistungen – Benachteiligungen von behinderten Menschen beim Zugang zu Dienstleistungen privater Unternehmen, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin. Online:http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Literaturliste -ChronKrankheit_Behinderung.pdf?__blob=publicationFile Internetquellen ‚Doll study’: Doll Test Cross Cultural Replication (2012): Zusammenschnitt des Projective Doll Interviews in verschiedenen nationalen Kontexten. 12 Online: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=tkpUyB2xgTM CNN AC360 (2010): CNN Studie in dem viertteiligen Special der Sendung AC360 – Anderson Cooper 360: Black or White: Kids on Race. Online: http://edition.cnn.com/SPECIALS/2010/kids.on.race/ Azoff, Ariel (2014): Here's What Happens When You Put A Few Little Kids In A Room With 2 Dolls In 2 Different Colors, May 08, 2014. Online: http://www.upworthy.com/heres-what-happens-when-you-put-a-few-little-kids-in-a-room-with2-dolls-in-2-different-colors-aa2-4d Maureen Maisha Eggers, Berlin den 28. September 2015 13