Diskriminierungskritische Perspektiven auf Kindheit

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Diskriminierungskritische Perspektiven auf Kindheit
Vortrag zur Eröffnung der Fachstelle „KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen!“
Maureen Maisha Eggers
Ich möchte damit beginnen, der Fachstelle Kinderwelten zu der neuen Beratungsund Kampagne-Stelle „KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen!“ zu gratulieren.
Aktiver
Diskriminierungsschutz
ist
eine
zentrale
Aufgabe
pluralisierter
Gesellschaften. Diskriminierungsrelevante Aspekte von Kindheit bekommen zum
Glück – aufgrund einer zunehmenden Gleichstellungsorientierung in der Gesellschaft
immer mehr Aufmerksamkeit.1 Das ist ein hoffnungsvoller Ausgangspunkt!
Ich
folge
einem
Verständnis
von
Gleichstellung,
nach
dem
Gleichstellungsbestrebungen sich gleichermaßen auf die Strukturierung von drei
Ebenen beziehen müssen. Diese drei Ebenen sind erstens das Recht auf Teilhabe,
zweitens die Herstellung von Chancengleichheit – beim Zugang zu Ressourcen und
drittens der Schutz vor Diskriminierung.2 Der dritte Bereich ist konzeptionell
betrachtet eine höchst spannende Gestaltungsaufgabe. Er stellt sich beim genauerer
Betrachtung gleichzeitig als der schwergängigste heraus. Genau hier setzt die
Beratungs- und Kampagne-Stelle KiDs an und beabsichtigt einen Beitrag zum
aktiven
Diskriminierungsschutz
Diskriminierungsschutzes
sind
zu
leisten.
Kinder.
Das
Die
Zielgruppe
wiederrum
dieses
bringt
aktiven
spezifische
Herausforderungen mit sich.
Mein heutiger Vortrag setzt an der zunehmenden Gleichstellungsorientierung an und
möchte Folgendes leisten: In der Kindheit folgenreiche Diskriminierungsmuster
thematisieren. Diskriminierungsrealitäten von Kindern ins Verhältnis setzen zu einer
zunehmenden gesellschaftlichen Pluralisierung und schließlich möchte ich einige
1
Vgl. Eggers, Maureen Maisha (2014): Sexuelle Vielfalt und das Recht auf heterogene Kinderwelten. In: Blog
Feministische Studien. Online: http://blog.feministische-studien.de/2014/11/sexuelle-vielfalt-und-das-recht-aufheterogene-kinderwelten/
2
Vgl. Lepperhoff, Julia; Rüling, Anneli; Scheele, Alexandra (2007): Von Gender zu Diversity Politics?
Kategorien feministischer Politikwissenschaft auf dem Prüfstand. Einleitung. In: Femina Politica, Zeitschrift für
feministische Politikwissenschaft, 01/2007: Von Gender zu Diversity Politics? Politikwissenschaftliche
Perspektiven, Leverkusen. S. 9-22. 1 Überlegungen
zum
aktiven
Diskriminierungsschutz
als
pädagogische
Handlungsorientierung formulieren.
Diskriminierungsrelevante Aspekte von Kindheit
Ich möchte zunächst drei diskriminierungsrelevante Ebenen in den Lebenswelten
von Kindern fokussieren. Um in der Kindheit wirksame Diskriminierungsmuster in
ihrer Tiefenstruktur zu erfassen, ist es zuallererst wichtig die gesellschaftliche
Position von Kindern als soziale Gruppe, als eigenständige Generation mit eigenen
spezifischen Lebensthemen herauszuarbeiten.3
Vor dem Hintergrund aktueller kindheitswissenschaftlicher Debatten wird Kindheit als
gesellschaftlicher
Raum
mit
spezifischen
Arrangements,
Logiken
und
Institutionalisierungen verstanden.4 Kindheit ist also kein Naturphänomen, sondern
vielmehr das Ergebnis spezifischer Regelungen. Kindheit ist das Ergebnis politischer
Entscheidungen, zeitgenössischer und kultureller Formungen. Die untergeordnete
Position von Angehörigen der sozialen Gruppe Kinder sei demnach auch keine
natürliche Ordnung, die sich automatisch aus ihrer “Minderjährigkeit“ ergibt. Es
handelt sich vielmehr um ein Ergebnis gesellschaftlicher Wahrnehmungen und
Einschätzungen. In der konstruktivistischen Sprache wird Kindheit gemacht bzw.
hergestellt. Der gesellschaftliche Status von Kindern ist ein soziales Konstrukt. Das
Generationsverhältnis zwischen den sozialen Gruppen Erwachsenen und Kindern
wird beständig durch soziale Prozesse (Interaktionen und Aushandlungen)
hergestellt.5
„Langfristige Arbeit gegen die Benachteiligung von Kindern muss deshalb damit
beginnen, das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern als ein gesellschaftliches
Phänomen zu untersuchen und zu verstehen.“6
3
Vgl. Luber, Eva und Hungerland, Beatrice (Hg.) (2008): Angewandte Kindheitswissenschaften – Eine
Einführung für Studium und Praxis, Weinheim und München.
4
Vgl. Luber und Hungerland 2008
5
Vgl. Dolderer, Maja (2010): Man wird nicht als Kind geboren, man wird zum Kind gemacht. Adultismus, die
pädagogische Matrix und die generationale Ordnung der Gesellschaft. Zeitschrift Unerzogen-2-2010, S. 12 – 14
6
Dolderer, 2010; 12 2 Die gesellschaftliche Alterskategorisierung wirkt sich schließlich als soziale
Hierarchie aus. Sie reguliert den Zugang zu Ressourcen wie Anerkennung, Teilhabe
und Einflussnahme. Kinder werden in der Regel nicht als eine eigenständige
Generation ernstgenommen, die ihre eigenen Lebensthemen erfährt und gestaltet.
Ihre Lebens- und Handlungsräume werden durch erwachsene Akteur_innen
strukturiert, ohne Beteiligung der Kinder, die es betrifft.
Der gegenwärtige Entwurf von Kindheit benachteiligt Kinder also systematisch. Er
fixiert Kinder in einen untergeordneten rechtlichen und politischen Status.
Diskriminierungsrelevante Beispiele sind Spielverbote, d.h. Anordnungen, die
Kindern das Spielen und Herumtoben verbieten (auf Höfen oder an öffentlichen
Orten wie Restaurants). Diese Verbote werden damit begründet, dass Kinderlärm
erwachsene Angehörige der Gesellschaft stört.7 Die Erwachsenensicht auf diese
soziale Situation wird systematisch als die ausschlaggebende eingeschätzt. Die
soziale Situation wird nicht als ein Interessensgegensatz behandelt, in dem
gleichberechtigte Zugangsrechte miteinander koordiniert werden müssen, damit die
unterschiedlichen sozialen Gruppen die Möglichkeit erhalten ihre Bedürfnisse zu
befriedigen. Stattdessen herrscht eine problematische Erwachsenenzentrierung vor.8
Dieser
Raumkonflikt
spitzt
sich
in
der
systematischen
Verhinderung
von
Kindertageseinrichtungen in Wohngebieten zu. Auch hier wird in der Regel nicht
nach kreativen Lösungen gesucht, die es beiden sozialen Gruppen ermöglicht, ihre
Bedürfnisse zu befriedigen. Stattdessen werden hier oftmals auf der Grundlage einer
erwachsenenzentrierten Lesart des soziale Konflikts, über die Bedürfnisse von
Kindern hinweg, einseitige Lösungen herbeigeführt. Der berechtigte Anspruch auf
Nutzung öffentlicher Räume am eigenen Wohnort wird für Kinder nicht hinreichend
eingelöst. Kinder werden weder angehört noch beteiligt, wie es sonst üblich wäre bei
konkurrierenden Ansprüchen. Sie gelten offenbar nicht als ernstzunehmende
Gesprächspartner_innen.
„Altersspezifische oder mit dem (geringen) Alter legitimierte Formen von
Diskriminierung sind meist Ausdruck eines Kindheitsverständnisses, demzufolge
Kinder Erwachsenen gegenüber prinzipiell unterlegen sind und einen geringen
7
Vgl. Manfred (2010): Diskriminiert, weil sie Kinder sind: Ein blinder Fleck im Umgang mit Menschenrechten.
In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 5 Heft-3-2010, S. 311
8
Vgl. Luber und Hungerland 2008 3 Status oder geringere Kompetenzen haben. Sie ist ein – nicht immer bewusst
eingesetztes – Mittel, um den Machtvorsprung der Erwachsenen zu bewahren und
die Gleichberechtigung der Kinder zu verhindern. Zum einen muss dabei die
besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder herhalten, zum anderen die vermeintliche
Notwendigkeit, Kinder mittels Erziehung oder Verhaltensmaßregeln zu ‚zivilisieren’.“9
Kimberlé Crenshaw konzipiert Frauen als eine soziale Klasse, als eine soziale
Gruppe, die aufgrund von stereotypen Wahrnehmungen erhebliche Barrieren
überwinden muss, um ihren gleichberechtigten Anspruch auf gesellschaftliche
Ressourcen einzulösen (Lohngleichheit, Aufstiegschancen, Führungspositionen,
Alterssicherung). In ähnlicher Weise erscheint es mir schlüssig, Kinder nicht nur als
eine soziale Gruppe, sondern in Anlehnung an Crenshaw, als eine soziale Klasse mit
spezifischen gesellschaftlichen Benachteiligungsbedingungen zu erfassen.10 Kinder
sind im Generationsverhältnis untergeordnet. Es geht mir hier nicht darum, den
relationalen Erfahrungsvorsprung wegzudiskutieren, den erwachsene Akteur_innen,
im
Vergleich
zu
Kindern
Abhängigkeitsrealitäten,
die
aufweisen.
mit
dem
Noch
geht
Umstand
der
es
mir
darum,
Minderjährigkeit
zusammenhängen zu verkennen. Und schließlich liegt mir nichts daran, die Konflikte
im Generationsverhältnis – soziale Gruppe Erwachsene und soziale Gruppe Kinder –
einseitig, in Richtung Bedürfnisse von Kindern zu lösen. Vielmehr soll hier in
diskriminierungskritischer
Absicht,
auf
die
Normalität
der
gesellschaftlichen
Erwachsenenzentrierung, samt ihrer vereinseitigenden Effekte hingewiesen werden.
Mit dem Analysebegriff Adultismus wird der gesellschaftliche Umgang mit der
Machtungleichheit zwischen Erwachsenen und Kindern problematisiert. Das
Generationsverhältnis
wird
hier
als
ein
hierarchisches,
ein
eingespieltes
Dominanzverhältnis verstanden. Kinder werden in der Regel nicht als aktive
Beteiligte an ihrer eigenen biographischen Entwicklung konzipiert. Vielmehr
positioniert das Ungleichheitsverhältnis, Kinder als passive Empfänger_innen
pädagogischer Maßnahmen. Das gesellschaftlich vermittelte Bild des Kindes enthält
viele Eigenschaften, von denen sich erwachsene Akteur_innen abgrenzen wollen. Im
9
Liebel, 2010; 311
10
Vgl. Crenshaw, Kimberlé Williams (1991): Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and
Violence Against Women of Color. In: Stanford Law Review 43: 6, S. 1241-1299.
4 Sinne von ‚Gemachten Differenzen’, werden Kinder markiert als unvernünftig,
unzivilisiert und störend. Diese zugeschriebenen Differenzen werden dramatisiert.
Damit wird die Beobachtung, Kontrolle und Disziplinierung von Kindern durch
‚vernünftige, zivilisierte’ Erwachsene gerechtfertigt. Kinder sind also eine soziale
Klasse, denen aufgrund der Generationalen Ordnung wenig Einflussmöglichkeiten
auf den Verlauf des eigenen Lebens zugestanden wird.
Die adultistische Prägung der Gesellschaft wirkt infolgedessen als ein grundlegendes
Macht- und Diskriminierungsmuster. Sie führt zu einer Geringschätzung der
gesellschaftlichen Beiträge von Kindern. Ihre Wissens- und Aktionsformen werden in
vielen Fällen für (kommerzialisierte) Erwachseneninteressen instrumentalisiert oder
aber trivialisiert. Kindheit muss insofern als gesellschaftliches Produkt begriffen
werden. Folglich ist Kindheit potentiell auch anders organisierbar. Es sind zu jeder
Zeit potentiell andere Entwürfe und Konzeptionen von Kindheit denkbar und möglich.
Die zweite Fokussierung:
Die zweite Fokussierung, die ich betonen möchte, ergibt sich aus einem
intersektionalen Verständnis von Diskriminierungsrealitäten. Kinder als soziale
Klasse sind nicht lediglich von einem einzigen Diskriminierungsverhältnis betroffen,
welches sie als untergeordnete Gruppe, Erwachsenen gegenüber positioniert.
Innerhalb der sozialen Gruppe Kinder sind diejenigen, die zu weiteren unterworfenen
sozialen Klassen gehören, nochmal stärker gefährdet diskriminiert zu werden. Es ist
daher wichtig, sowohl die Wirkung interkategorialer Diskriminierungserfahrungen, die
sich
aus
der
Alterskategorisierung
Diskriminierungserfahrungen,
die
ergeben,
sich
aus
dem
als
auch
interkategorialer
Zusammenspiel
mehrerer
Teilidentitäten ergeben, nachzuvollziehen.11
Kindsein ist also nicht = Kindsein. Die Erfahrung von Diskriminierung in der Kindheit
spezifiziert sich ferner über weitere Einschränkungen der eigenen Lebens- und
Handlungszusammenhänge, aufgrund der Zugehörigkeit zu rassistisch markierten
Gruppen, zu Gruppen deren Sinnesfunktionen als außerhalb der Norm entworfen
11
Vgl. Prengel Annedore und Rendtorff Barbara (Hg.) (2008): Zur Einführung. Kinder und ihr Geschlecht –
Vielschichtige Prozesse und punktuelle Erkenntnisse. Opladen, Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in
der Erziehungswissenschaft; 4, S. 11-23.
5 werden (Akteur_innen mit Behinderungen) oder zu Gruppen, die gesellschaftlichen
Gendernormen
nicht
entsprechen
diskriminierungskritische
Arbeit
ist
(LSBTIQ
es
wichtig,
Akteur_innen).
die
Für
unterschiedliche
Verletzungsoffenheit (Vulnerabilität) innerhalb der heterogenen sozialen Klasse
Kinder zu berücksichtigen. Schwarze Kinder und Kinder of Color12, Kinder mit
Behinderungen13 (weiße und rassistisch markierte Kinder) und Kinder, die nicht den
Gendernormen entsprechen14 (rassistisch markierte und weiße Kinder) sind
mehrfach betroffen von Diskriminierungsstrukturen.
Ein
intersektional
fundierter
Diskriminierungsschutz
muss
die
heterogenen
Benachteiligungsbedingungen und den sich daraus ergebenden spezifischen
Handlungs- und Erfahrungsräume innerhalb der sozialen Klasse Kinder erfassen. Er
muss die Erfahrungsqualitäten besonders belasteter (diskriminierungserfahrener)
Kinder erfassen und nicht lediglich derer, die innerhalb der eigenen Gruppe zu den
privilegierten gehören, (die aber als Prototyp der Gruppe gesellschaftlich vermittelt
werden).
Es
gilt
hier
im
Sinne
Kalpakas
eine
diskriminierungskritische
Professionalität in Verhältnissen von Differenz und Dominanz zu entwickeln.15
Die dritte Fokussierung:
Die dritte Fokussierung, die ich betonen möchte ist, dass Kinder selbst aktive
Beteiligte
sind
in
der
Reproduktion
gesellschaftlicher
Macht-
und
Diskriminierungsstrukturen. Kinder sind verstrickt in der Herstellung sozialer
Hierarchien.
12
Vgl. Kalpaka Annita (2005): Pädagogische Professionalität in der Kulturalisierungsfalle – Über den Umgang
mit „Kultur“ in Verhältnissen von Differenz und Dominanz, in: Rudolf Leiprecht und Anne Kerber (Hrsg.):
Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch, Schwalbach, S. 387 – 403.
13
Vgl. Analysen der Disability Studies In: Bidok: Volltextbibliothek.Behinderung.Inklusion.Dokumentation.
Inklusive Pädagogik und Disability Studies. Sowie Waldschmidt Anne und Müller Arne (Hg.) (2012):
Diskriminierung von behinderten und chronisch kranken Menschen: Literatur zum Thema Barrierefreie
Dienstleistungen – Benachteiligungen von behinderten Menschen beim Zugang zu Dienstleistungen privater
Unternehmen, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin.
14
Vgl. Payne, Jake (2014): Gender Independent Kids: A Paradigm Shift in Approaches to Gender NonConforming Children. In: Canadian Journal of Human Sexuality 23 (1), 2014 pp 1-8.
15
Vgl. Kalpaka, 2005
6 „Kinder sind (noch immer) Race- , Gender- und Powerconscious“16
Kinder nehmen bereits sehr früh Statusunterschiede und Machtdifferenzen wahr. Mit
dem Lernen der sozialen Welt samt ihrer Teilungsprinzipien, Ungleichheiten und
Hierarchien, wird offenbar auch zugleich die Normalität rassistischer Hierarchien
vermittelt.17
Mithilfe eines Identifikationsimpulses versucht der Doll Test18, als Methode der
rassismuskritischen
Kindheitsforschung
nachzuvollziehen,
wie
Kinder
Differenzwissen mit Blick auf rassistisch markierte und rassistisch unmarkierte
soziale Gruppen herstellen und anwenden. Es geht also um die Kenntnis und
darüber
hinaus
um
die
Wahrnehmung
und
Bewertung
rassistischer
Differenzmarkierungen. Der Doll Test hat eine breite Reproduktion in verschiedenen
nationalen Kontexten, seit den 1950er bis in die Gegenwart hinein erfahren.19 Die
Aussagen der Kinder bleiben in ihrem sozialen Gehalt relativ konstant, trotz
Reproduktion in unterschiedlichen Ländern.20 2010 wurden auf der Grundlage der
Doll Studie, im Rahmen einer vierteiligen Serie der Sendung 360° des USamerikanischen Senders CNN erneut Kinder im frühen Kindesalter zur sozialen
Bedeutung rassistische Markierung befragt.21 Die Antworten und Reaktionen
kindlicher Akteur_innen lassen auf eine sehr frühe Wahrnehmung rassistischer
Markierung als gesellschaftliche Hierarchie schließen. Die Kinder schätzen die
dominante Kategorie des rassistischen Einteilungssystems, ‚Weißsein’ systematisch
besser und höherwertiger ein. Weißsein wird als ästhetische Norm und als
wünschenswerter Status eingeschätzt. Weißsein wird offenbar per gesellschaftliches
Wissen, schon sehr früh im Leben als ein durchweg positives Selbstbild vermittelt.22
Die automatische positive Wahrnehmung weißer Selbstbilder (gütig, hilfsbereit,
16
Vgl. Eggers Maureen Maisha (2012): Gleichheit und Differenz in der frühkindlichen Bildung - Was kann
Diversität leisten? In: Brilling, Julia und Gregull, Elisabeth; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): DOSSIER Diversität
und Kindheit - Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion.
17
Vgl. Eggers, 2012
18
Milner, David (1983): Children and Race, Beverly Hills, London, New Delhi, S. 110
19
Milner, 1983; 110 sowie 118ff
Zusammenschnitt des Projective Doll Interviews in verschiedenen nationalen Kontexten. Online:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=tkpUyB2xgTM
21
CNN AC360 (2010): CNN Studie in dem viertteiligen Special der Sendung AC360. Online:
http://edition.cnn.com/SPECIALS/2010/kids.on.race/
22
Vgl. Azoff/Upworthy 2014 : http://www.upworthy.com/heres-what-happens-when-you-put-a-few-little-kidsin-a-room-with-2-dolls-in-2-different-colors-aa2-4d 20
7 schön), ist als gesellschaftliches Wissen im Kindesalter offenbar bereits Konsens. In
den Testsituationen wählten Kinder systematisch die rassistisch markierten Figuren
aus, als das böse (unartige, dumme, hässliche, unbeliebte) Kind. Bereits in der
frühen Kindheit verbinden Kinder Schwarzsein – in der Erklärung ihrer Wahl, mit
Kriminalität. Die Aufladung rassistischer Markierung mit negativen Eigenschaften
scheint in eine systematische Kriminalisierung rassistisch markierter Akteur_innen zu
münden. Es sind folgenreiche Bewertungen. Kinder of Color zeigten ein Unbehagen
sich mit dem schlechter bewerteten Status, mit der rassistisch markierten Kategorie
zu identifizieren. Rassistisch markierte Kinder agieren mit dem “Un“Bewusstsein,
dass ihre Handlungen systematisch rassistisch bewertet werden.
Ein Zwischenresümee:
Was ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit den drei Fokussierungen
für ein Verständnis von Diskriminierung?
Ich
verstehe
Diskriminierung
als
eine
systematische
Benachteiligung
(Schlechterbewertung, Schlechterbehandlung, Herabsetzung) einer sozialen Gruppe.
Sie basiert auf der Zuschreibung negativer oder gering geschätzter Eigenschaften.
Diese werden zum Wesen der sozialen Gruppe erklärt, als ihren Sozialcharakter
verstanden. Diese negative Bewertung wirkt sich auf die Chancenstruktur der
Angehörigen der sozialen Gruppe aus. Ihr daraus resultierender Mangel an Einfluss,
wird mit den ihnen zugeschriebenen Negativattributen gerechtfertigt. Die soziale
Gruppe wird in Abhängigkeit zur dominanten sozialen Gruppe platziert, die
nachweislich mehr gesellschaftlichen Einfluss besitzt und ein besseres Selbstbild bei
sich und bei anderen Gruppen genießt. Die dominante Gruppe kann aufgrund ihrer
fortschrittlichen Stellung einen Leitungsanspruch erheben,
weil sie (nunmehr)
qualifiziert ist die unterworfene soziale Gruppe (rassistisch markierte Menschen,
Menschen mit Behinderung, LGBTQI Menschen, Kinder) zu beobachten, zu
disziplinieren und zu zivilisieren. Gegen eine solche Machtinfrastruktur ist ein
Diskriminierungsverbot kein besonders wirksames Handlungsmittel. Es gilt daher
aktiven Diskriminierungsschutz als Infrastruktur zu konzipieren, als ein Gefüge von
Interventionen auf den vielfältigen Ebenen der Verankerung von Diskriminierung.
8 Diskriminierungskritik zu Bedingungen
zunehmender gesellschaftlicher Pluralität
Eine wichtige Bedingung für die Etablierung einer diskriminierungskritischen
Infrastruktur ist die bewusste Herstellung von Heterogenität. Das ist aufgrund von
zwei Entwicklungen bedeutsam. Erstens vervielfältigen sich die Einflüsse, die auf
unseren Alltag einwirken aufgrund der rasanten Digitalisierung der Gesellschaft (wir
befinden uns inzwischen am Übergang der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft
zur Digitalen Gesellschaft). Und zweitens findet ein Pluralisierungsprozess unserer
Gesellschaften hinsichtlich ihrer Zusammensetzung statt. Eine Projektion für die USA
sieht vor, dass im Jahre 2043 Kinder of Color (minorisierte Kinder) die Mehrheit der
Bevölkerung zwischen 0-18 Jahre ausmachen werden.23 Die deutschen Metropolen
(Berlin, Frankfurt, Hamburg) weisen einen ähnlichen Trend zu Pluralisierung ihrer
Bevölkerung v.a. zwischen 0-18 Jahren auf. Gleichzeitig sind aber gesellschaftliche
Ressourcen (bspw. Bildungsmaterialien) nach wie vor an eine relativ homogen
imaginierte Gemeinschaft orientiert.
Mithilfe
von
Diversity
Gap
Studies
(systematische
Erfassungen
fehlender
Heterogenität) werden Felder der Gesellschaft untersucht, in denen Ressourcen sehr
ungleichmäßig auf die in ihr vorhandenen sozialen Gruppen aufgeteilt sind.24 Mit
Blick auf die soziale Gruppe Kinder, beziehen sich Diversity Gap Studies, aus der
Perspektive von Bibliothekswissenschaften und Kindheitspädagogik generiert, auf
die
fehlende
Heterogenität
in
sachbezogenen
Kinderbüchern
und
in
der
Kinderliteratur im Allgemeinen. Das Nicht-Vorkommen in der Literatur (Missing in
Literature)25
wird
als
eine
entscheidende,
wenn
auch
unmittelbare
Diskriminierungsrealität verstanden. So stellte Rudine Sims Bishop, AfrikanischAmerikanische Erziehungswissenschaftlerin und Kinderbuchautorin fest, „Kinder
brauchen Spiegel und Fenster“.
23
Vgl. Low, Jason T. (2013): Why hasn’t the Number of Multicultural Books increased in Eighteen Years? In:
Blog Lee and Lows Books. Sowie: Horning, Kathleen T. (2015): Children’s Books by and about People of Color
published in the United States. Statistics gathered by the Cooperative Children’s Book Center School of
Education, University of Wisconsin-Madison.
24
Vgl. Horning, 2015 und Low, 2013
25
Vgl. Dahlen, Sarah Park (2013): Coverstory: Windows and Mirrors: Reading Diverse Children’s Literature.
9 „Children need Windows and Mirrors. They need Mirrors in which they see
themselves and Windows through which they can see the World”.26
Die Spiegelfunktion von Literatur bedeutet, dass Kinder in ihrer interkategorialen
Heterogenität, die Chance bekommen sich als Handelnde vorzufinden. Wie kommen
Kinder mit Behinderung (rassistisch markierte und weiße Kinder) oder wie kommen
Schwarze Kinder und Kinder of Color handelnd in sachbezogenen Kinder- oder in
Bilderbüchern vor? Die Fenster Funktion von Erzählungen ermöglicht Kindern die
Erfahrung gesellschaftlicher Heterogenität. Auf der Grundlage von empirischen
Diversity Gap Studien zu Kinderbüchern ist ein bedeutender Befund, dass
Heterogenität offenbar in Tierfiguren als Erzählfiguren unendlich darstellbar ist.27 Es
stellt sich also die Frage, warum Kinderfiguren wenig heterogen dargestellt sind,
obwohl
es
sich
ohnehin
vorwiegend
um
Imaginationen
handelt,
in
den
Erzählkonstruktionen von Kinderliteratur.
Ein weiterer diskriminierungsrelevanter Befund war, dass es systematische
geringschätzige Repräsentationen von rassistisch markierten Figuren gibt.
„When children cannot find themselves reflected in the books they read, or when the
images they see are distorted, negative, or laughable, they learn a powerful lesson
about how they are devalued in the society of which they are a part.“28
Die Abwesenheit heterogener Handlungsbilder und die Kontinuität diskriminierender
Inhalte sind wichtige Ansatzpunkte für diskriminierungskritische Kampagnen.
Aktiver Diskriminierungsschutz als
Handlungsorientierung in der Arbeit mit Kindern
Abschließen möchte ich mit dem Hinweis auf eine konkrete Interventionsstrategie.
Die österreichische Bundesregierung strebt – angestoßen durch den Aktionsplan
26
Bishop, Rudine Sims (1990): „Mirrors, Windows and Sliding Glass Doors“. In: Perspectives: Choosing and
Using Books for the Classroom. Vol. 6, Nr. 3. 1990.
27
Vgl. Romo, Vanessa (2013): „In Nearly All Children’s Books, It’s a White, White World“ – Although
Demographics are Changing, Minority Kids are rarely represented. Sowie: Santora, Linda (Hg.) (2013):
Assessing Children’s Book Collections Using an Anti-Bias Lens. In: ADL, Anti-Defamation League.
28
Bishop, 1990
10 2004 – eine stetige Beteiligung von Kindern, bei allen politischen Entscheidungen an,
die sie betreffen. In Anlehnung an ‚Gender Mainstreaming’, „bei dem die
Geschlechterperspektive in das staatliche Handeln eingezogen wurde, soll auch
grundsätzlich die Frage gestellt werden, was eine bestimmte Handlung für Kinder
und Jugendliche bedeutet.“29
Parallel zu Gender Mainstreaming brauchen wir also Generation Mainstreaming.30
Generation Mainstreaming ist ein Instrument mittels dessen die Perspektiven von
Kindern auf die soziale Wirklichkeit, ganz systematisch als relevante Wissensform in
gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einfließen. Solche Modelle nehmen Kinder
als gesellschaftliche Akteur_innen, als Handlungssubjekte ernst. Sie stärken die
Position von allen Kindern im hierarchischen Gefüge der sozialen Welt.
Quellen:
Bidok (2015): Volltextbibliothek. Behinderung.Inklusion.Dokumentation. Inklusive Pädagogik und
Disability Studies. Online: http://bidok.uibk.ac.at/
Bishop, Rudine Sims (1990): „Mirrors, Windows and Sliding Glass Doors“. In: Perspectives: Choosing
and Using Books for the Classroom. Vol. 6, no. 3. Summer 1990. Online: http://www.rif.org/us/literacyresources/multicultural/mirrors-windows-and-sliding-glass-doors.htm
Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (2004): Nationaler
Aktionsplan
für
die
Rechte
von
Kindern
und
Jugendlichen.
Online:
http://www.polkm.org/nap_041123_ov.pdf
Crenshaw, Kimberlé Williams (1991): Mapping the Margins. Intersectionality, Identity Politics, and
Violence Against Women of Color. In: Stanford Law Review 43: 6, S. 1241-1299.
Dahlen, Sarah Park (2013): Coverstory: Windows and Mirrors: Reading Diverse Children’s Literature.
In Blog Gazillion Voices. Online: http://gazillionvoices.com/cover-story-windows-and-mirrors-readingdiverse-childrens-literature-by-dr-sarah-park-dahlen/#.VgfKAs4zMhW
Dolderer, Maja (2010): Man wird nicht als Kind geboren, man wird zum Kind gemacht. Adultismus, die
pädagogische Matrix und die generationale Ordnung der Gesellschaft. Zeitschrift Unerzogen-2-2010,
S. 12 – 14.
Eggers, Maureen Maisha (2014): Sexuelle Vielfalt und das Recht auf heterogene Kindheiten. In: Blog
Feministische Studien. Online: http://blog.feministische-studien.de/2014/11/sexuelle-vielfalt-und-dasrecht-auf-heterogene-kinderwelten/
Eggers Maureen Maisha (2012): Gleichheit und Differenz in der frühkindlichen Bildung - Was kann
Diversität leisten? In: Brilling, Julia und Gregull, Elisabeth; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): DOSSIER
Diversität
und
Kindheit
Frühkindliche
Bildung,
Vielfalt
und
Inklusion.
Online:
29
Vgl. Liebel, 2010; 316 30
Vgl. Liebel, 2010; 316
11 https://heimatkunde.boell.de/2012/08/01/gleichheit-und-differenz-der-fruehkindlichen-bildung-waskann-diversitaet-leisten
Horning, Kathleen T. (2015): Children’s Books by and about People of Color published in the United
States. Statistics gathered by the Cooperative Children’s Book Center School of Education, University
of Wisconsin-Madison. Online: http://ccbc.education.wisc.edu/books/pcstats.asp
Kalpaka, Annita (2005): Pädagogische Professionalität in der Kulturalisierungsfalle – Über den
Umgang mit „Kultur“ in Verhältnissen von Differenz und Dominanz, in: Rudolf Leiprecht und Anne
Kerber (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch, Schwalbach, S. 387 – 403.
Low, Jason T. (2013): Why hasn’t the Number of Multicultural Books increased in Eighteen Years? In:
Blog Lee and Lows Books. Online: http://blog.leeandlow.com/2013/06/17/why-hasnt-the-number-ofmulticultural-books-increased-in-eighteen-years/
Lepperhoff, Julia; Rüling, Anneli; Scheele, Alexandra (2007): Von Gender zu Diversity Politics?
Kategorien feministischer Politikwissenschaft auf dem Prüfstand. Einleitung. In: Femina Politica,
Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 01/2007: Von Gender zu Diversity Politics?
Politikwissenschaftliche Perspektiven, Leverkusen. S. 9-22.
Liebel, Manfred (2010): Diskriminiert, weil sie Kinder sind: Ein blinder Fleck im Umgang mit
Menschenrechten. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 5 Heft-3-2010, S. 307-319. Online:
http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/35470/ssoar-disk-2010-3-liebelDiskriminiert_weil_sie_Kinder_sind.pdf?sequence=1
Luber, Eva und Hungerland, Beatrice (Hg.) (2008): Angewandte Kindheitswissenschaften – Eine
Einführung für Studium und Praxis, Weinheim und München.
Milner, David (1983): Children and Race, Beverly Hills, London, New Delhi.
Payne, Jake (2014): Gender Independent Kids: A Paradigm Shift in Approaches to Gender NonConforming Children. In: Canadian Journal of Human Sexuality 23 (1), 2014 pp 1-8. Online:
https://www.academia.edu/7251864/Gender_Independent_Kids_A_Paradigm_Shift_in_Approaches_t
o_Gender_Non-Conforming_Children
Prengel Annedore und Rendtorff Barbara (Hg.) (2008): Zur Einführung. Kinder und ihr Geschlecht –
Vielschichtige Prozesse und punktuelle Erkenntnisse. Opladen, Jahrbuch Frauen- und
Geschlechterforschung
in
der
Erziehungswissenschaft;
4,
S.
11-23.
Online:http://www.pedocs.de/volltexte/2013/8210/pdf/JB_FGE_2008_04_Prengel_Rendtorff_Zur_Einf
uehrung.pdf
Romo, Vanessa (2013): „In Nearly All Children’s Books, It’s a White, White World“ – Although
Demographics
are
Changing,
Minority
Kids
are
rarely
represented.
Online:
http://www.takepart.com/article/2013/06/27/childrens-books-too-white
Santora, Linda (Hg.) (2013): Assessing Children’s Book Collections Using an Anti-Bias Lens. In: ADL,
Anti-Defamation
League.
Online:
http://www.adl.org/assets/pdf/education-outreach/AssessingChildren-s-Book-Collections.pdf
Waldschmidt Anne und Müller Arne (Hg.) (2012): Diskriminierung von behinderten und chronisch
kranken Menschen: Literatur zum Thema Barrierefreie Dienstleistungen – Benachteiligungen von
behinderten
Menschen
beim
Zugang
zu
Dienstleistungen
privater
Unternehmen,
Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin.
Online:http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Literaturliste
-ChronKrankheit_Behinderung.pdf?__blob=publicationFile
Internetquellen ‚Doll study’:
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verschiedenen nationalen Kontexten.
12 Online: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=tkpUyB2xgTM
CNN AC360 (2010): CNN Studie in dem viertteiligen Special der Sendung AC360 – Anderson Cooper
360: Black or White: Kids on Race. Online: http://edition.cnn.com/SPECIALS/2010/kids.on.race/
Azoff, Ariel (2014): Here's What Happens When You Put A Few Little Kids In A Room With 2 Dolls In 2
Different Colors, May 08, 2014.
Online: http://www.upworthy.com/heres-what-happens-when-you-put-a-few-little-kids-in-a-room-with2-dolls-in-2-different-colors-aa2-4d
Maureen Maisha Eggers, Berlin den 28. September 2015
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