3.5 Die Jordansche Normalform

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Lineare Algebra II – Sommersemester 2017
3.5
c Rudolf Scharlau
Die Jordansche Normalform
Wir geben in diesem Abschnitt eine vollständige Beschreibung aller Endomorphismen eines endlich-dimensionalen Vektorraumes über einem
beliebigen Körper, deren charakteristisches Polynom in Linearfaktoren
zerfällt. Über dem Körper der komplexen Zahlen ist das bekanntlich
keine zusätzliche Voraussetzung, so dass das Ergebnis uneingeschränkt
angewendet werden kann. Die Beschreibung wird durch Matrizen in der
sogenannten Jordanschen Normalform erreicht; diese Matrizen, bzw. das
zugehörige Theorem 3.5.12 geben eine vollständige und präzise Lösung
des Normalformenproblems, so wie es im vorigen Abschnitt unter Punkt
3.4.9 gestellt wurde. Zwar wissen wir aus dem vorigen Abschnitt bereits,
dass ein Endomorphismus F unter den genannten Voraussetzungen trigonalisierbar ist, aber die oberen Dreiecksmatrizen erfüllen noch nicht die
Anforderungen an eine Normalform; insbesondere fehlt noch völlig eine
Zerlegung als direkte Summe F -invarianter Unterräume. Für die Jordansche Normalform sind weiterhin das charakteristische Polynom und die
Eigenwerte die Grundlage und der Startpunkt aller Berechnungen. Nach
einigen einfachen Resultaten über nilpotente Endomorphismen bzw. Matrizen (das sind diejenigen, die Null als einzigen Eigenwert haben) werden in Satz 3.5.5 als Verallgemeinerung der Eigenräume die Haupträume
definiert und einfache Eigenschaften festgestellt. Das erste Hauptergebnis ist dann der Satz 3.5.8, der (unter der Generalvoraussetzung an das
charakteristische Polynom PF ) besagt, dass V die direkte Summe der
Haupträume von F ist. Diese invariante Zerlegung reduziert das Klassifikationsproblem vollständig auf den Fall, dass F nur einen Eigenwert λ
besitzt, nach Substraktion von λ IdV also auf den Fall, dass F nilpotent
ist. Für die verbleibende Klassifikation bzw. Normalform muss man dann
im wesentlichen eine Zerlegung in (weitere) möglichst kleine F -invariante
Unterräume konstruieren. Dieses ist das zweite Hauptergebnis des Abschnittes, das allerdings nicht mehr separat formuliert, sondern in das
abschließende Theorem 3.5.12 integriert wird, in dem die vollständige
Beschreibung der Jordanschen Normalform zusammengefasst wird.
Definition 3.5.1 Ein Endomorphismus eines Vektorraumes V bzw. eine Matrix N heißt nilpotent, falls ein m ∈ N existiert mit N m = 0.
In dieser Definition wird über die Größe des Exponenten m nichts gesagt. Aus den Ergebnissen dieses Abschnittes wird leicht folgen: Wenn
es überhaupt ein solches m gibt, dann kann man auch m = n = dim V ,
bzw. die Zeilenzahl der Matrix nehmen. Den genauen Beweis überlassen
wir als Übungsaufgabe.
Bis auf den Namen kennen wir nilpotente Matrizen bereits aus dem
vorigen Abschnitt, denn es gilt:
Bemerkung 3.5.2 Jede obere Dreiecksmatrix A ∈ K n×n , deren sämtliche Diagonalelemente gleich Null sind, ist nilpotent. Genauer ist An = 0.
Beweis: Wir schließen an den Beweis von Satz 3.4.6 an: Für die Unterräume Vk := Lin{e1 , . . . , ek } ⊆ K n gilt in unserer jetzigen Situation nicht
nur die FA -Invarianz, sondern es gilt wegen akk = 0 sogar FA (Vk ) ⊆ Vk−1
für alle k, dabei ist V0 = {0}. Beginnend mit k = n liefert mehrfache
Anwendung hiervon, dass für alle i = 1, 2, . . . , n gilt FA i (V ) ⊆ Vn−i .
Für i = n heißt das FA n (V ) = {0}, also FAn (V ) = {0}, also ist An die
Nullmatrix.
Wir werden gleich in Satz 3.5.4 sehen, dass (im Wesentlichen) auch die
Umkehrung der Bemerkung 3.5.2 gilt. Zunächst überlegen wir uns:
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Lemma 3.5.3 Der einzige Eigenwert eines nilpotenten Endomorphismus ist 0. Dieser Eigenwert tritt tatsächlich auf, sobald V 6= {0} ist.
Beweis: Es sei k ≥ 0 so, dass N k 6= 0, aber N k+1 = 0; wähle v1 ∈ V so,
dass v := N k (v1 ) 6= 0 ist. Dann ist N (v) = 0, mit anderen Worten, v ist
ein Eigenvektor zum Eigenwert 0.
Wir können auch wie folgt argumentieren: wenn 0 kein Eigenwert
wäre, dann wäre N injektiv, also nach Korollar 2.9.4 sogar invertierbar
(Folgerung der Dimensionsformel für Lineare Abbildungen). Das gleiche
gilt dann auch für N m für alle m ∈ N. Da andererseits N m = 0 für
passendes m, wäre die Nullabbildung bijektiv, was nur für den (ausgeschlossenen) trivialen Vektorraum V = {0} möglich wäre. Wir haben
einen Widerspruch.
Wir müssen noch ausschließen, dass es einen weiteren Eigenwert λ 6=
0 gibt. Dann wäre aber, wenn w einen zugehörigen Eigenvektor bezeichnet, N m (w) = λm w 6= 0 für alle m ∈ N, im Widerspruch dazu, dass N
nilpotent ist.
Satz 3.5.4 Sei V 6= {0}. Jeder nilpotente Endomorphismus von V ist
trigonalisierbar, wobei alle Diagonalelemente der Darstellungsmatrix 0
sind. Jede nilpotente Matrix ist ähnlich zu einer oberen Dreiecksmatrix,
deren Diagonalelemente alle 0 sind.
Beweis: Wir konstruieren eine Fahne invarianter Unterräume und gleichzeitig eine Basis B so, dass MBB (N ) eine obere Dreiecksmatrix ist. Dazu
setzen wir V1 = Kv1 , wobei v1 ein Eigenvektor zum Eigenwert Null ist
(siehe 3.5.3). Seien N -invariante Unterräume V1 ⊂ V2 ⊂ · · · ⊂ Vk mit
k < n und dim Vi = i für i = 1, . . . , k bereits konstruiert. Wähle zunächst
irgendein v ∈ V rVk . Sei dann r ∈ N0 so, dass N r (v) ∈
/ Vk , N r+1 (v) ∈ Vk ,
setze vk+1 := N r (v) und Vk+1 = Vk + Kvk+1 . Dann ist Vk+1 wieder N invariant (sogar N (Vk+1 ) ⊆ Vk ). Das Vektorsystem B = (v1 , v2 , . . . , vn )
ist eine Basis mit der oben angegebenen Eigenschaft. Wegen der Eigenschaft N (Vk+1 ) ⊆ Vk für alle k hat die so konstruierte Darstellungsmatrix
die Diagonalelemente Null. Das gilt sogar für jede Darstellungsmatrix in
oberer Dreiecksgestalt, denn auf der Diagonale stehen die Eigenwerte
und diese sind alle Null nach Lemma 3.5.3.
Bemerkung: Den Satz 3.5.4 können wir als eine Verschärfung und
Präzisierung von Lemma 3.5.3 ansehen: Der Eigenwert 0 eines nilpotenten Endomorphismus hat die größtmögliche algebraische Vielfachheit
n = dim V , anders ausgedrückt, das charakteristische Polynom ist das
Polynom (−X)n .
Wir wenden uns nun der angekündigten Reduktion des Normalformenproblems auf den Fall eines einzigen Eigenwertes zu.
Satz und Definition 3.5.5 (Haupträume)
a) Es sei F ∈ End V und λ ein Eigenwert von F . Dann gibt es ein
k ≤ n mit
Kern(F − λ IdV )k = Kern(F − λ IdV )k+1 .
Für dieses k =: kλ gilt sogar
Kern(F − λ IdV )k = Kern(F − λ IdV )l für alle l ≥ k .
Der Raum
Hr(F, λ) := Kern(F − λ Id)k
ist F -invariant und heißt Hauptraum von F zum Eigenwert λ.
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b) Die Einschränkung Fλ von F auf Hr(F, λ) ist von der Form Fλ =
λ Id +Nλ , wobei Nλ nilpotent ist. Fλ ist trigonalisierbar mit einzigem Eigenwert λ und charakteristischem Polynom (λ − X)nλ ,
wobei nλ = dim Hr(F, λ).
Beweis: zu a): Setze kurz G := F − λ IdV . Für jeden Endomorphismus
G gilt offenbar
Kern G ⊆ Kern G2 ⊆ . . . ⊆ Kern Gk ⊆ Kern Gk+1 ⊆ . . . ,
die Kerne bilden also eine aufsteigende Kette von Unterräumen. Solange Kern Gk 6= Kern Gk+1 ist, steigt die Dimension um mindestens
eins. Da die Dimensionen nicht größer als n := dim V werden können,
gibt es ein k ≤ n so, dass Kern Gk = Kern Gk+1 , das war die erste
Behauptung. Wir zeigen, dass auch Kern Gk = Kern Gk+2 ist, durch
mehrfache Anwendung ergibt sich dann die zweite Behauptung. Sei also
v ∈ Kern Gk+2 . Dann ist Gk+1 (G(v)) = 0, also G(v) ∈ Kern Gk+1 . Nun
ist aber Kern Gk+1 = Kern Gk , also G(v) ∈ Kern Gk , also Gk+1 (v) =
Gk (G(v)) = 0, also v ∈ Kern Gk+1 . Somit haben wir Kern Gk+2 ⊆
Kern Gk+1 = Kern Gk gezeigt, und es gilt die gewünschte Gleichheit.
Es bleibt noch einzusehen, dass der Hauptraum F -invariant ist. Jeder
Unterraum ist invariant unter λ Id, wegen der Beziehungen G = F − λ Id
und F = G + λ Id ergibt sich sofort, dass die F -invarianten Unterräume die gleichen wie die G-invarianten Unterräume sind. Sofort aus der
Definition ergibt sich, dass jeder Kern Gi , insbesondere der Hauptraum
G-invariant ist, es gilt sogar G(Kern Gi ) ⊆ Kern Gi−1 ⊆ Kern Gi .
zu b): Nach a) ist nicht mehr viel zu zeigen: Weil Hr(F, λ) invariant
unter F ist, kann die Einschränkung Fλ := F| Hr(F,λ) als Abbildung Fλ :
Hr(F, λ) → Hr(F, λ), also als Endomorphismus von Hr(F, λ) aufgefasst
werden. Nach Definition ist (Fλ − λ Id)kλ = 0, wobei k = kλ wie in der
Definition des Hauptraumes ist. Also ist Nλ := Fλ − λ Id nilpotent. Nach
Satz 3.5.4 und der darauf folgenden Bemerkung ist Nλ trigonalisierbar
mit einzigem Eigenwert Null und charakteristischen Polynom (−X)nλ .
Hieraus folgt unmittelbar die entsprechende Behauptung des Satzes für
Fλ = λ Id +Nλ .
Folgerung 3.5.6 Für jeden Eigenwert λ eines Endomorphismus F ist
die Dimension des Hauptraumes höchstens so groß wie die algebraische
Vielfachheit:
dim Hr(F, λ) ≤ m(PF , λ).
Das folgt sofort aus Lemma 3.5.2.b) und Satz 3.6.5.b). Tatsächlich gilt
hier sogar Gleichheit, das ist aber etwas schwieriger zu zeigen. Siehe
unten Satz 3.5.8.
Der Hauptraum zu einem Eigenwert ist als Obermenge des entsprechenden Eigenraumes definiert. Wir wissen aus Satz 3.3.10, dass die Eigenräume unabhängig sind, also eine direkte Summe bilden. Es ist auf den
ersten Blick überraschend, aber in Wirklichkeit nicht viel schwieriger zu
beweisen, dass dieses Resultat erhalten bleibt, wenn man die Eigenräume
durch die größeren Haupträume ersetzt.
Satz 3.5.7 Es seien λ1 , . . . , λs verschiedene Eigenwerte von F ∈ End V .
Dann sind die Haupträume Hr(F, λi ), i = 1, . . . , s, unabhängig im Sinne
der Definition 3.3.6.
Beweis: Wir zeigen die Gültigkeit der Bedingung (ii) aus dem Satz 3.3.7
über unabhängige Unterräume. Dabei könnten wir genauso vorgehen wie
bei den Eigenräumen (Beweis des Satzes 3.3.10). Wir wählen jedoch eine
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Variante des Beweises, nämlich einen Beweis durch Widerspruch. Hierzu
betrachten wir Gegenbeispiele zur Behauptung, also
v1 + v2 + · · · + vt = 0, wobei vi ∈ Hr(F, λi ), vi 6= 0
(*)
(nach eventueller Umnummerierung der λi und vi ). Unter allen solchen Situationen betrachten wir eine mit kleinster Anzahl t von Summanden. Offenbar muss t ≥ 2 sein. Nun wenden wir auf alle Terme
der Gleichung (*) die lineare Abbildung G := (F − λt Id)nt an, wobei nt := dim Hr(F, λt ). Nach Definition des Hauptraumes Hr(F, λt ) ist
G(vt ) = 0 (hierfür hätten wir statt nt auch den im allgemeineren kleineren Exponenten k = kt aus Satz 3.5.5.a) nehmen können). Für die
anderen Summanden, also i < t gilt G(vi ) = (λi − λt )nt vi . Dieser Vektor liegt wieder in Hr(F, λi ), ferner ist er ungleich 0, weil der Vorfaktor
ungleich 0 ist. Wir haben also eine Situation wie in (*), jedoch mit t − 1
statt t Summanden. Das ist ein Widerspruch zur kleinsmögtlichen Wahl
von t.
Genau wie bei den Eigenräumen benutzt dieser Satz nicht, dass das charakteristische Polynom PF in Linearfaktoren zerfällt. Tatsächlich handelt
der Satz von einer gewissen Menge von Eigenwerten, im Prinzip müssen
das nicht alle sein, und es ist völlig irrelevant, was das charakteristische
Polynom sonst noch an Faktoren besitzt. Wenn man jedoch die Voraussetzung, das PF vollständig in Linearfaktoren zerfällt, hinzunimmt, dann
hat man „genügend viele und genügend große” Haupträume, was präzise
gesprochen durch den folgenden Satz ausgedrückt wird.
Satz 3.5.8 Es sei F ein Endomorphismus von V , dessen charakteristisches Polynom in Linearfaktoren zerfällt:
PF = (−1)n
r
Y
(X − λi )mi ,
i=1
r
X
mi = n = dim V ,
i=1
wobei λ1 , . . . , λr alle verschieden sind. Dann ist V die direkte Summe
der Haupträume:
V = Hr(F, λ1 ) ⊕ Hr(F, λ2 ) ⊕ · · · ⊕ Hr(F, λr ),
wobei dim Hr(F, λi ) = mi für i = 1, . . . , r .
Beweis: Das Vorgehen ist wie bei Satz 3.3.14.b) über Diagonalisierbarkeit. Wir wollen zeigen, dass in Folgerung 3.5.6 Gleichheit gilt, dass also
für jedes i gilt
dim Hr(F, λi ) = mi .
Dann ergibt sich wegen Satz 3.5.7, dass der Summenraum aller Haupträume die Dimension n = dim V hat, womit die Behauptung gezeigt ist. Von
der behaupteten Gleichheit ist noch die Relation ≥ zu zeigen. Nach Bemerkung 3.4.3 gibt es eine Basis B = (v1 , . . . , vm , . . . , vn ), dabei m = mi ,
von V derart, dass M = MBB (F ) eine obere Dreiecksmatrix ist und ihre
ersten m Diagonalelemente alle gleich λi . Es sei A der linke obere m×mBlock von M . Dann ist A − λi Em eine obere Dreiecksmatrix mit Nullen
auf der Diagonale, nach Bemerkung 3.5.2 also (A − λi Em )m = 0. Somit
ist (F − λi Id)m (vi ) = 0 für i = 1, . . . , m, das heißt, diese vi liegen in
Hr(F, λi ). Somit gilt dim Hr(F, λi ) ≥ mi , wie behauptet.
Die vorangegangenen Sätze 3.5.8 und 3.5.5.b) reduzieren das oben formulierte Normalformenproblem auf den Fall, dass der Endomorphimus
nur einen Eigenwert hat.
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Definition 3.5.9 Eine Jordankästchen ist eine quadratische Matrix der
folgenden Gestalt:


λ 1


λ 1




..
 ∈ K s×s .
Js (λ) = 
.





λ 1
λ
Der Index s gibt also die Größe (Zeilen- und Spaltenzahl) der Matrix an. Die folgenden Eigenschaften sind offensichtlich: Js (λ) hat den
einzigen Eigenwert λ mit algebraischer Vielfachheit s; der Kern von
Js (λ)−λEs = Js (0) wird vom ersten Einheitsvektor e1 erzeugt. Die Wirkung von Js (0) auf die anderen Einheitsvektoren ist klar: Js (0)ei = ei−1
für alle i = 2, . . . , s. Wenn also Js (0) die Darstellungsmatrix eines Endomorphismus F bezüglich einer Basis v1 , . . . , vs ist, dann ist F (vi ) = vi−1
für i = 2, . . . , s und F (v1 ) = 0, d.h. die Basisvektoren werden wieder auf
Basisvektoren (oder Null) abgebildet und der Index um eins verschoben. Wir werden jetzt sehen, dass man bei gegebenem F und Eigenwert
λ solche Basen für Teilräume direkt aus F und einem einzigen Vektor
erzeugen kann; das ist die Grundidee der Jordanschen Normalform.
Definition 3.5.10 Es sei F ∈ End V , und λ ein Eigenwert von F .
a) Eine Jordan-Kette für F (zum Eigenwert λ) ist eine Folge von
Vektoren
v, (F − λ Id)(v), (F − λ Id)2 (v), . . . , (F − λ Id)s−1 (v),
wobei v ∈ Hr(F, λ) und 6= 0 ist, und der Exponent s = s(v) so
gewählt ist, dass (F − λ Id)s−1 (v) 6= 0, aber (F − λ Id)s (v) = 0.
Der Vektor v heißt auch Erzeuger der Kette.
b) Ein Unterraum U ⊆ Hr(F, λ) heißt F -zyklisch, falls er von den
Vektoren einer Jordan-Kette erzeugt wird.
Lemma 3.5.11
a) Die Vektoren einer Jordan-Kette sind immer linear unabhängig.
b) Allgemeiner gilt:5 Gegeben seien r Jordan-Ketten der Längen s1 , . . . , sr
mit erzeugenden Vektoren v1 , . . . , vr (zum gleichen Eigenwert).
Wenn die Enden der Ketten, also die Vektoren
(F − λ Id)s1 −1 (v1 ), (F − λ Id)s2 −1 (v2 ), . . . , (F − λ Id)sr −1 (vr )
linear unabhängig sind, dann ist auch die Vereinigung aller Ketten
linear unabhängig.
c) Jeder F -zyklische Unterraum ist F -invariant.
Ergänzend zu a) und c) bemerken wir noch: Wenn U F -zyklisch mit
Erzeuger v ist, dann ist die Darstellungsmatrix von F|U bezüglich der
Basis
(F − λ Id)s−1 (v), . . . , (F − λ Id)(v), v
(in dieser Reihenfolge) gleich Js (λ); siehe hierzu die Bemerkungen nach
Definition 3.5.9.
Nun haben wir alle Vorbereitungen und Hilfsmittel beieinander, um die
Existenz und Eindeutigkeit der Jordanschen Normalform zu beweisen.
5 Für den Beweis, siehe P. Knabner, W. Barth: Lineare Algebra - Grundlagen und
Anwendungen, Springer-Spektrum 2013, Satz 4.104.
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Theorem 3.5.12 (Jordansche Normalform)
a) Es sei F ein Endomorphismus von V , dessen charakteristisches
Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Dann gibt es eine Basis B
von V derart, dass die Darstellungsmatrix von F bezüglich B eine
Blockmatrix aus Jordankästchen ist:


Js1 (λ1 )


Js2 (λ2 )


B
.

MB (F ) = 
..

.


Jst (λt )
Dabei sind die Paare (s1 , λ1 ), (s2 , λ2 ), . . . , (st , λt ), si ∈ N, λi ∈ K
bis auf ihre Reihenfolge durch F eindeutig bestimmt.
b) Zu jeder quadratischen Matrix A, deren charakteristisches Polynom
in Linearfaktoren zerfällt, gibt es eindeutig (bis auf die Reihenfolge) bestimmte Paare (s1 , λ1 ), (s2 , λ2 ), . . . , (st , λt ) derart, dass A
ähnlich zu der unter a) beschriebenen Matrix aus Jordankästchen
ist.
Struktur des Beweises: Nach dem Vorbereitungen (insbesondere
Lemma 3.5.11) müssen wir zeigen: V kann als direkte Summe von F zyklischen Unterräumen dargestellt werden. Sowohl für die Existenz als
auch die Eindeutigkeit einer solchen Zerlegung kann man sich nach Satz
3.5.8 auf den Fall zurückziehen, dass F nur einen Eigenwert besitzt (und
weiter auf den Fall, dass F nilpotent ist; das ist aber eine eher schreibtechnische Vereinfachung und macht keinen wirklichen Unterschied). Die
Existenz wird in dem folgenden Verfahren präzisiert. Die Eindeutigkeit
kann man durch „nachträgliche” Analyse einer Matrix in Normalform
leicht relativ leicht feststellen; hierzu gibt es unten den separaten Satz
3.5.14.
3.5.13 Rechenverfahren: Aufstellen einer Jordanbasis
Gegeben F ∈ End(V ) derart, dass PF in Linearfaktoren zerfällt (immer
erfüllt für K = C).
Gesucht: Basis B von V derart, dass MBB (F ) eine Matrix in Jordanscher
Normalform ist.
Schritt 0 Bestimme Darstellungsmatrix A von F bezüglich einer im
Prinzip beliebigen, fest gewählten Basis A . Falls V = K n und F = FA ,
nimm diese Matrix A (benutze also die Standardbasis). Im Allgemeinen
Fall müssen die Ergebnisse der folgenden Schritte (ab 2) mittels des
Basisisomorphismus ΦA von K n nach V abgebildet werden.
Schritt 1 Zerlege PA explizit in Linearfaktoren, d.h. bestimme die Eigenwerte λ1 , . . . , λr und ihre algebraischen Vielfachheiten m1 , . . . , mr .
Die folgenden Schritte müssen für jeden Eigenwert λ = λi einzeln und
unabhängig durchgeführt werden.
Schritt 2 Berechne für jedes j = 1, 2, . . . eine Basis von Kern(A−λEn )j
oder zumindest
aj := dim Kern(A − λEn )j
(vergleiche den folgenden Satz 3.5.14). Diese Rechnung ist beendet, wenn
ak = m = mi , denn dann ist Kern(A − λEn )k = Hr(A, λ). Bemerkung:
falls sich einmal aj = m − 1 ergibt, kann man die Rechnung bereits an
der Stelle beenden, denn dann wird der Hauptraum sicher im nächsten
Schritt erreicht: k = kλ = j + 1.
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Schritt 3 Bestimme Jordanketten mit Erzeugervektoren vj ∈ Hr(F, λ),
j = 1, 2, . . . wie folgt:
• v1 ist einer der vorher bestimmten Basisvektoren in Hr(F, λ) r
Kern(A − λEn )k−1 (d.h. v1 hat maximales s(v1 ) = k).
• Wenn v1 , . . . , vj−1 schon gewählt sind, wähle vj aus der nach Schritt
2 vorliegenden Basis so, dass vj nicht in der linearen Hülle der schon
konstruierten Ketten (also der Ketten zu v1 , . . . , vj−1 ) liegt, und
dass s(vj ) größtmöglich unter dieser Bedingung ist (also vj eine
möglichst lange Kette liefert).
Das Verfahren ist beendet, wenn die lineare Hülle der Ketten der ganze
Hauptraum ist. (Die Anzahl der gefundenen Ketten ist dann gleich der
Dimension a1 .)
Schritt 4 Füge die in Schritt 3 bestimmten Basen der Haupträume zu
einer Basis von V zusammen.
Wir verzichten auf den vollständigen Beweis der Tatsache, dass sich in
Schritt 3 tatsächlich eine Basis des Hauptraums ergibt. Die lineare Unabhängigkeit folgt wie in Lemma 3.5.11.b); für die Erzeugenden-Eigenschaft
kann man die aus der Literatur (G. Fischer, Knabner-Barth) bekannten
Induktionsbeweise (Induktionsannahme auf den Unterraum Bild(F ) anwenden) modifizieren.
Wenn man nur die Jordanform, aber nicht die Basis bzw. Transformationsmatrix benötigt, kann man mit deutlich weniger Aufwand den folgenden Satz anwenden (es werden für jeden Eigenwert nur die Dimensionen
aj benötigt):
Satz 3.5.14 (Anzahl der Jordankästchen gegebener Größe)
Es sei F wie in Theorem 3.5.12, fixiere einen Eigenwert λ von F , für
j ≥ 0 sei aj = dim Kern(F −λ IdV )j (also aj = ak für j ≥ k = kλ ). Setze
weiter bj = aj −aj−1 für j ≥ 1. Dann besitzt die Jordansche Normalform
von F genau bs − bs+1 Jordankästchen der Größe s zum Eigenwert λ.
Die beiden folgenden, besonders griffigen Regeln kann aus dem vorigen
Satz schließen, aber auch leicht direkt einsehen.
Korollar 3.5.15 Es sei F wie in Theorem 3.5.12, fixiere einen Eigenwert
λ von F .
a) Die Anzahl der Jordankästchen zum Eigenwert λ ist gleich der
Dimension des Eigenraumes Eig(F, λ).
b) Die Größe des größten Jordankästchens zu λ ist gleich kλ (siehe
Satz 3.5.5.a).
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