Leriche-Syndrom - Thieme Connect

Werbung
L
Leriche-Syndrom
Leriche-Syndrom
Der 59-jährige Herbert Müller hat von seinem Kegelclub eine Auszeichnung erhalten: den goldenen
Aschenbecher. Seit 40 Jahren Raucher. Damit muss
nun Schluss sein, sagt der Arzt. Doch das hat er schon
oft gesagt. Herrn Müllers Beine fühlen sich seit drei
Wochen kalt an und sind sehr blass. Zudem hat er immer wieder starke, krampfartige Bauchschmerzen.
Dazu ständig Schmerzen in den Beinen. „Und mit der
Erotik geht das auch nicht mehr so gut. . .“, bestätigt
er auf Nachfrage des Arztes. Herr Müller kommt ins
Krankenhaus. Nach ausführlicher radiologischer Untersuchung wird das Leriche-Syndrom festgestellt.
Herr Müller wird zur Operation in eine gefäßchirurgische Klinik überwiesen. Dort erhält er einen Bypass.
Nach der Entlassung aus der Klinik sind die Beschwerden verschwunden. Den Aschenbecher versteckt er
und raucht weiter.
Definition
Beim Leriche-Syndrom ist die Endaufgabelung der Aorta
in die beiden Beckenarterien verengt oder verlegt. Benannt ist die Erkrankung nach dem französischen Chirurgen René Leriche (1879 – 1955).
Synonym: Aortenbifurkationssyndrom.
Ursachen
Chronisches Leriche-Syndrom. Meistens entwickelt sich
ein Verschluss der Hauptschlagader langsam und über Jahre hinweg durch → Arteriosklerose – begünstigt oft durch
eine ungesunde Lebensweise und Bewegungsmangel. Als
Folge des behinderten Blutflusses in der Aorta entwickeln
sich Umgehungskreisläufe, sog. Kollateralen. Sie überbrücken die Blutversorgung teilweise und verzögern das Auftreten von Beschwerden. Die Durchblutungsstörung äußert sich in zeitweiligem Hinken des Patienten. Er kann
keine langen Gehstrecken mehr zurücklegen und muss
immer wieder Pausen einlegen („Schaufensterkrankheit“). Am Leriche-Syndrom leiden vorwiegend Männer,
häufig starke Raucher, zwischen 50 und 60 Jahren. Sie sind
etwa viermal häufiger betroffen als Frauen.
Akutes Leriche-Syndrom. Der Verschluss der Bauchaorta
kann auch plötzlich durch eine → Embolie aus dem Herzen
entstehen. Betroffen sind meist herzkranke Menschen.
Besonders hoch ist das Risiko für Patienten mit → Herzrhythmusstörungen oder absoluter Arrhythmie, aber
auch für Patienten mit Herzschrittmacher oder künstlicher Herzklappe. Die Embolie kann tödlich enden, wenn
Thromben einen Gefäßverschluss in der Lunge verursachen und damit eine → Lungenembolie auslösen. In vielen
Fällen kommt es aber zum Verschluss der Beckenarterien
(Abb. L.21). Ein totaler Verschluss kann zum Verlust beider
Beine führen, wenn die Durchblutung nicht operativ wiederhergestellt werden kann.
588
Abb. L.21 Akuter arterieller Verschluss. Kompletter infrarenaler
Verschluss der Aorta abdominalis (Pfeil) in der DAS-Aortografie.
Symptome
Typische Symptome sind schnelles Ermüden und Schmerzen in den Beinen beim Gehen. Die Haut der Beine ist von
einer blassgrauen, teils marmorierten Farbe und fühlt sich
kalt an. In vielen Fällen bilden sich die Muskeln zurück. Wegen der Durchblutungsstörung leiden viele der Patienten
an Impotenz oder erektilen Potenzstörungen.
Schreitet die Krankheit weiter fort, sind auch die Nierenarterien betroffen. Nierenfunktionsstörungen sind die
Folge. Weitere Symptome sind, je nach Ort des Gefäßverschlusses: belastungsabhängige Schmerzen im Gesäßbereich, verminderte Darmdurchblutung oder auch Ruheschmerz in den Beinen.
Diagnose
Zur Diagnose des Leriche-Syndroms wird die Gerätemedizin genutzt.
Doppler-Verschlussdruckmessung. Durch eine DopplerVerschlussdruckmessung der Knöchelarterien lässt sich
der Schweregrad der Durchblutungsstörung beurteilen.
Eine Blutdruckmanschette wird am Unterschenkel oberhalb der Knöchel aufgepumpt, bis am Fuß kein Pulssignal
mehr nachweisbar ist. Der gemessene Blutdruckwert wird
mit dem Blutdruck an den Oberarmen ins Verhältnis gesetzt. Normalerweise ist der Knöchelarterienblutdruck
höher als der der Arme, bei Durchblutungsstörungen in
den Beinen aber niedriger.
Farbcodierte Duplex-Sonografie. Sie zeigt Lage und Ausdehnung der Verschlüsse (Abb. L.22). Sie ermöglicht eine
Darstellung des oberflächlichen und tiefen Venensystems
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
왘
Leriche-Syndrom
L
Therapie
ohne Kontrastmittel und lässt Venenklappenschäden, Gefäßerweiterungen und -verengungen sowie Kalkablagerungen erkennen (S. 1189). Arterien und Venen werden
farbig dargestellt.
Kernspin-Angiografie. Alle Gefäße des Beckens und der
Beine können dargestellt werden. Dieses nichtinvasive
Verfahren liefert Schnittbilder des menschlichen Körpers:
Betroffene Körperstellen werden einem Magnetfeld ausgesetzt. Durch zusätzliche Hochfrequenz-Magnetfelder
werden Teile von Atomen, aus denen das Gewebe besteht,
zu Schwingungen angeregt. Nach Ausschalten des Magnetfeldes senden die zu Schwingungen angeregten Teile
der Atome, die Protonen, ein Signal aus. Dieses wird gemessen und vom Computer in Form von Schnittbildern
des Körpers dargestellt.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Abb. L.22 Leriche-Syndrom. Abbruch des durchströmten Lumens
(rot) unmittelbar vor der Aortenbifurkation.
Die Behandlung von Gefäßerkrankungen ist komplex, daher führt eine einzelne Methode selten zum Erfolg. Alle
therapeutischen Zweige sind zu koordinieren, zwischen
konservativen und chirurgischen Maßnahmen muss abgewogen werden.
Durchblutungsfördernde Medikamente sind bei Aorten- und Beckenarterienverschluss wenig wirksam, daher
wird die Therapie des Leriche-Syndroms operativ durchgeführt. Mögliche Methoden sind:
Herausziehen von thrombotischem Auflagerungsmaterial mit einem speziellen Katheter,
Aufdehnung der Engstelle,
Einsetzen von Gefäßstützen (Stent),
Bypass.
Der Bypass wird bei größeren Verschlüssen im Gabelungsbereich der Aorta gelegt, beim akuten Leriche-Syndrom in
Form einer Y-Prothese (Abb. L.23). Damit wird die Gefäßverbindung zwischen der Aorta und den beiden Beinarterien wiederhergestellt. Ohne diese Operation wäre bei
längerem Verschluss der Arterien eine Amputation beider
Beine wahrscheinlich. Bei fortgeschrittenen Gefäßverengungen sollte daher rechtzeitig eine Angiografie und eine
Bypass-Operation durchgeführt werden.
Postoperativ bekommt der Patient nach einer BypassOperation oder einer Stent-Einlage Medikamente zur
Thromboseprophylaxe. Blutverdünnende Medikamente
sichern langfristig die Durchblutung und beugen der
Thrombenbildung vor. Durch regelmäßige Kontrollen
nach der Operation lässt sich rechtzeitig eine mögliche
Veränderung an den operierten Gefäßen feststellen und
behandeln.
Abb. L.23 Rekonstruktionen bei aortobiiliakalen Verschlüssen. a Aortobifemoraler Bypass bei sog. „hohem“ Verschluss (ab Abgang der Nierenarterien), b extraanatomischer axillobifemoraler Bypass.
589
L
Leriche-Syndrom
Prognose
Komplikationen
Bei schon bestehendem → Aortenaneurysma kann der
plötzliche Gefäßverschluss zum Druckanstieg in der Aorta
und damit zum Reißen der Gefäßaussackung führen.
590
Infobox
ICD-10:
I74.0
Internetadressen:
http://www.katrinheckmann.de/dateien_krank/Arterien.doc
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/rbin2_97/rubin6.htm
http://www.gefaesschirurgie-bremen.de/Therapie/lerichekons.php
http://www2.uni-jena.de/med/ht/Lehre/vorlesungen/
pdf/cohnert-avk.pdf
http://www.kup.at/kup/pdf/3949.pdf
Literatur:
J. Dahmer: Anamnese und Befund. Die ärztliche Untersuchung als Grundlage klinischer Diagnostik. Thieme, Stuttgart 2002
Hirner, A., Weise, K.: Chirurgie. Schnitt für Schnitt.
Thieme, Stuttgart 2004
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Studien besagen, dass die Durchgängigkeit der Prothesen
auch nach fünf Jahren noch bei etwa 98% liegt. Etwa 3%
der Patienten erleiden innerhalb der ersten 30 Tage nach
der Operation einen Prothesenverschluss. Statistisch kann
kein signifikanter Unterschied zwischen verschiedenen
verwendeten Materialien nachgewiesen werden.
Die gute Prognose kann aber nur zutreffen, wenn der
Patient dauerhaft seine Lebensweise und seine Ernährung
verändert. Das Rauchen ist aufzugeben oder zumindest
stark einzuschränken. Regelmäßige Bewegung und leichter Ausdauersport wirken vorbeugend. Das gezielte Training in einer Gefäßsportgruppe ist für Patienten nach Bypass-Operationen sehr empfehlenswert.
Herunterladen