15 Papille und Sehnerv

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15
Papille und Sehnerv
Die in diesem Kapitel abgehandelte Problematik ist im Wesentlichen Bestandteil
der Neuroophthalmologie.
15.1
Grundlagen
Anatomie: Der Sehnerv (Nervus opticus,
Fasciculus opticus) ist eine extrakraniell
verlaufende Hirnbahn. Er enthält etwa
1 Million Nervenfasern (die Axone der retinalen Ganglienzellen) sowie bindegewebige Septen.
Der Sehnerv hat mehrere Abschnitte (Abb.
15.1): Nach dem Austritt aus der Retina an
der Papille und dem Durchtritt durch die
Lamina cribrosa (Pars intraocularis) verlaufen die Sehnervenfasern S-förmig in der
Orbita (Pars orbitalis). Sie treten durch
den Canalis opticus (Pars intracanalis), wo
sie besonders gefährdet sind, in die Schädelhöhle ein (Pars intracranialis) und verlaufen zum Chiasma opticum.
15.1
15 Papille und Sehnerv
15 Papille und Sehnerv
Die in diesem Kapitel abgehandelte Problematik ist im Wesentlichen Bestandteil der Neuroophthalmologie, eines interdisziplinären Komplexes aus Neurologie, Ophthalmologie und Neurochirurgie.
15.1 Grundlagen
Anatomie: Der Sehnerv (Nervus opticus, Fasciculus opticus) ist eine extrakraniell verlaufende Hirnbahn, die morphologisch und funktionell der weißen
Hirnsubstanz entspricht. (Da es sich nicht um einen peripheren Nerv handelt,
ist die Bezeichnung N. opticus eigentlich nicht korrekt.) Er enthält etwa 1 Million Nervenfasern, nämlich die Axone der Ganglienzellen der Netzhaut (3. Neuron, s. S. 323), sowie bindegewebige Septen. Die Sehnervenfasern stellen damit
ca. 40 % aller Nervenfasern, die Informationen zum Gehirn übermitteln; dies
zeigt, wie bedeutend die visuellen Sinneseindrücke für den Menschen sind.
Der Sehnerv hat mehrere Abschnitte (Abb. 15.1): Als Pars intraocularis bezeichnet man den Abschnitt von der Papille (s. u.), an der die Sehnervenfasern die
Retina verlassen, bis zum Durchtritt des Sehnervs durch die Lamina cribrosa
der Sklera. Außerhalb des Augapfels verlaufen die Sehnervenfasern 25–40
mm lang S-förmig in der Orbita (Pars orbitalis). Der S-förmige Verlauf ermöglicht extreme Augenbewegungen. Anschließend treten sie in den Canalis opticus ein (Pars intracanalis), der eine Lumenweite von 4–5 mm besitzt. Hier
befindet sich der Sehnerv in unmittelbarer Nachbarschaft zur Keilbeinhöhle
und zu den Siebbeinzellen und ist daher bei Knochenfrakturen oder Blutungen,
oft aber auch durch Kallusbildung besonders gefährdet. Die Pars intracranialis
vom Austrittspunkt aus dem Canalis opticus bis zum Chiasma opticum ist
kurz. Pars intracanalis und Pars intracranialis zusammen haben eine Länge
von etwa 18 mm. Der hintere Abschnitt des N. opticus wird von der A. carotis
interna und der A. cerebri anterior gabelförmig umfasst (Abb. 15.1).
15.1
Verlauf des Sehnervs
Pars intraocularis
Orbitarand
Pars orbitalis
Sehnerv
A. cerebri anterior
Pars intracanalis
A. ophthalmica
Pars intracranialis
A. carotis interna
Chiasma opticum
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302
303
15.1 Grundlagen
15.2
Schematisierter Längsschnitt durch den Sehnerv
15.2
Retina
Aderhaut
Sklera
Aa.ciliares posteriores breves
Dura mater
subduraler Spalt
Arachnoidea
Subarachnoidalraum
Pia mater
Nervus opticus
V. centralis retinae
A. centralis retinae
Circulus arteriosus Zinnii
(Zinn-Haller-Gefäßkranz)
Als Teil des Gehirns wird der Sehnerv von Dura und Pia mater sowie von der
Arachnoidea umhüllt (Abb. 15.2), die am Augapfel fest mit der Sklera verwoben
sind. Der Subarachnoidalraum enthält allerdings keinen Liquor. Markscheiden
(Gliascheiden) um die Sehnervenfasern finden sich erst nach dem Durchtritt
durch die Lamina cribrosa, also außerhalb des Augapfels. Die Nervenfasern
der Makula liegen im Zentrum des Nervenstranges.
n Merke: Aufgrund der Verbindung mit dem Subarachnoidalraum des
Gehirns wird ein erhöhter Liquordruck auf Sehnerv und Papille übertragen
und ruft eine Papillenschwellung in Form einer Stauungspapille hervor.
Die Blutversorgung des Sehnervs erfolgt im Papillenbereich durch den ZinnHaller-Gefäßkranz (s. u.), außerdem durch Gefäße aus der Pia mater und die
A. centralis retinae. Diese stammt aus der A. ophthalmica (Ast der A. carotis
interna bzw., in 2 % der Fälle, der A. meningea media), die durch das Foramen
opticum in die Orbita gelangt und dort in der Durascheide des Sehnervs verläuft. Die A. centralis retinae tritt etwa 10 mm hinter dem Bulbus in den Sehnerv ein (Abb. 15.2) und versorgt ihn z. T. mit. Sie besitzt keine Anastomosen
und ist mit einem Durchmesser von 0,1 mm eine Arteriole.
Die Papille (Papilla n. optici) ist längsoval, scharf begrenzt und blassrosa. Temporal ist sie oft etwas heller als nasal, weil in den hier austretenden Makulafasern (papillomakuläres Bündel) weniger Gefäße verlaufen (Abb. 15.3). Da die
nasalen Axone der Ganglienzellen zahlreicher als die temporalen sind, bilden
sie am nasalen Papillenrand oft einen kleinen Wulst; aus diesem Grunde ist
die Papille nasal oft nicht so scharf begrenzt wie temporal. Die Bezeichnung
Papille (lat. = warzenähnliche Erhebung) ist irreführend, da sie normalerweise
keine Prominenz aufweist.
Ist das Pigmentepithel der Netzhaut stark pigmentiert (z. B. bei dunkelhäutigen
Menschen) oder sind die brechenden Medien getrübt (insbesondere bei einer
bruneszierenden Katarakt), ist die Farbe der Papille schwerer zu beurteilen.
Die Papille ist 3,5–4 mm (12h–17h) von der Fovea centralis entfernt und bildet
im Gesichtsfeld wegen des Fehlens von Photorezeptoren den sog. blinden Fleck
(s. S. 367). Der Durchmesser der Papille beträgt etwa 1,7 mm. Es gibt allerdings
eine erstaunliche interindividuelle Größenvariabilität.
Der Sehnerv wird umgeben von Dura und
Pia mater sowie Arachnoidea (Abb. 15.2).
Außerhalb des Augapfels sind die Sehnervenfasern von Markscheiden (Gliascheiden) umhüllt.
m Merke
Die Blutversorgung des Sehnervs erfolgt
im Papillenbereich durch den Zinn-HallerGefäßkranz (s. u.), außerdem durch Gefäße
der Pia mater und die A. centralis retinae.
Diese stammt aus der A. ophthalmica, tritt
hinter dem Bulbus in den Sehnerv ein (Abb.
15.2) und versorgt ihn mit.
Die Papille (Papilla n. optici) ist längsoval,
scharf begrenzt und blassrosa, temporal
etwas heller als nasal (Abb. 15.3). Nasal
kann die Papille weniger scharf begrenzt
sein als temporal. Normalerweise ist sie
nicht prominent.
Bei stark pigmentiertem Pigmentepithel
oder Trübung der optischen Medien ist die
Farbe schwerer zu beurteilen.
Die Papille ist 3,5–4 mm (12h–17h) von der
Fovea entfernt und bildet im Gesichtsfeld
den blinden Fleck. Ihr Durchmesser
beträgt ca.1,7 mm.
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Papilla
optici
15.3
15.4
n Praktischer Tipp
Evtl. ist um die Papille herum Pigment
sichtbar (Abb. 15.4).
An der Austrittsstelle der Netzhautgefäße
aus der Papille befindet sich eine Vertiefung, die physiologische Papillenexkavation. Sie liegt etwa in der Papillenmitte und
ist heller als die übrige Papille. Ihre Größe
wird als cup-disc-ratio angegeben, diese
beträgt ca. 0,3 (bei größeren Werten Verdacht auf Glaukom!). Bei großer Exkavation
ist der neuroretinale Randsaum klein. Im
Alter vergrößert sich die Exkavation
(Flüssigkeitsverlust der Papille, senile
Exkavation).
Ein spontaner Venenpuls hat keine Bedeutung, eine arterielle Pulsation dagegen ist
immer pathologisch.
Eine zilioretinale Arterie (Abb. 15.5, bei
10 % der Menschen) stammt aus dem
ziliaren Blutkreislauf.
n Merke
15 Papille und Sehnerv
15.3
Normale Papille (linkes Auge).
Temporal ist ihre Farbe heller
als nasal.
15.4
Physiologische Pigmentsichel
am Papillenrand
n Praktischer Tipp: Da die exakte Beschreibung der Größe und Lokalisation von
pathologischen Veränderungen am Augenhintergrund wegen der problematischen Ausmessung nicht einfach ist, wird häufig auf das Maß des Papillendurchmessers (PD) zurückgegriffen. Beispiel: Ein Aderhautnävus befindet sich 3 PD
temporal oberhalb der Papille und hat eine Größe von 2 q 3 PD.
Um die Papille herum kann – sichel- oder ringförmig – Pigment sichtbar sein
(meist bei dunkelhäutigen Menschen) (Abb. 15.4).
Die Netzhautgefäße treten mit großer Variabilität aus der Papille hervor. An
ihrer Austrittsstelle befindet sich eine Vertiefung in der Papille, die sog. physiologische Papillenexkavation. Sie liegt etwa in der Papillenmitte. Die Farbe der
Exkavation ist heller als die der übrigen Papille, da die Exkavation keine Nervenfasern enthält und die Lamina cribrosa daher durchscheint. Ihre Größe ist
der der Papille proportional, sie wird daher als cup-disc-ratio angegeben (Verhältnis Exkavation zu Papillendurchmesser). Die cup-disc-ratio beträgt bis ca.
0,3, bei größeren Werten besteht der Verdacht auf ein Glaukom (s. S. 221). Je
größer die Exkavation, desto kleiner ist der neuroretinale Randsaum, der die
retinalen Nervenfasern enthält. Im Alter wird die physiologische Exkavation
durch Flüssigkeitsverlust des Papillengewebes größer (senile Exkavation).
Ist die Exkavation sehr klein, bezeichnet man sie als Gefäßtrichter. In ihm ist oft
bereits die Aufzweigung in vier Äste (Gefäßbaum) erkennbar, Ein spontaner
Venenpuls kommt etwa bei 70 % aller Papillen vor und hat keine Bedeutung.
Eine arterielle Pulsation dagegen ist immer pathologisch (hoher Augeninnendruck, Aorteninsuffizienz).
Bei etwa 10 % aller Menschen findet sich eine zilioretinale Arterie (Abb. 15.5).
Sie stammt nicht aus dem retinalen, sondern aus dem ziliaren Blutkreislauf
(Aa. ciliares posteriores breves).
n Merke: Falls eine zilioretinale Arterie existiert, bleibt bei einer Embolie der
A. centralis retinae das zentrale Sehen erhalten (s. S. 264 und Abb. 14.23).
Für die Blutversorgung der Papille ist der
Zinn-Haller-Gefäßkranz (Circulus ateriosus Zinnii, Abb. 15.2) zuständig.
Für die Blutversorgung der Papille ist der Zinn-Haller-Gefäßkranz (Circulus arteriosus Zinnii, Abb. 15.2) zuständig. Er wird von Aderhautgefäßen gebildet, die
aus den kurzen hinteren Ziliararterien stammen, und spielt eine Rolle in der
Genese von Glaukomschäden (s. S. 212).
Embryologie: Die Zellen des Augenbecherstiels differenzieren sich zur Glia,
die Axone der Ganglienzellschicht wachsen
erst später ein. Schließt sich die Augen-
Embryologie: Der epitheliale Augenbecherstiel entwickelt sich analog zum
Augenbecher (s. S. 5). Seine Zellen differenzieren sich zu Glia, die Axone der
Ganglienzellschicht wachsen erst später in ihn ein. Optikusscheiden und Septengewebe im Sehnerv sind mesenchymalen Ursprungs. Schließt sich die
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305
15.2 Untersuchungsmethoden
Zilioretinale Arterie (p)
15.5
Augenbecherspalte in der 6. Embryonalwoche nicht oder nur unvollständig,
entstehen Sehnervenkolobome.
becherspalte nicht, entstehen Sehnervenkolobome.
15.2 Untersuchungsmethoden
15.2
Untersuchungsmethoden
Zur neuroophthalmologischen Untersuchung gehören die Prüfung von:
– Sehschärfe (s. S. 357)
– Gesichtsfeld (s. S. 358)
– Augenmotilität (s. S. 382)
– Pupillenreaktion (s. S. 201)
– Akkommodationsbreite (s. S. 334)
– Hornhautsensibilität (s. S. 105)
– Ophthalmoskopie (s. S. 251).
Darüber hinaus können eine Fluoreszenzangiographie (s. S. 254), Nystagmographie, Röntgenaufnahmen des Schädels und der Orbita einschließlich des Canalis
opticus, die Messung eines Exophthalmus (s. S. 54), die Prüfung des Farbensinns
(s. S. 364) und die Ableitung visuell evozierter Potenziale (s. S. 325) notwendig
sein. Die Papillenexkavation kann stereoskopisch vermessen werden.
Zur neuroophthalmologischen Untersuchung gehören die Prüfung von:
– Sehschärfe
– Gesichtsfeld
– Augenmotilität
– Pupillenreaktion
– Akkommodationsbreite
– Hornhautsensibilität
– Ophthalmoskopie.
Weitere Untersuchungen wie Fluoreszenzangiographie, Nystagmographie, Röntgenaufnahmen des Schädels, die Prüfung des
Farbsinns und die Ableitung visuell evozierter Potenziale können notwendig sein.
n Praktischer Tipp: Die Prominenz einer Papille wird geschätzt, indem bei der
direkten Ophthalmoskopie der Punkt der Papille mit der stärksten Prominenz
scharf eingestellt wird. Nachdem die Dioptrien abgelesen sind, wird der gleiche
Vorgang bei einem Punkt neben der Papille wiederholt, der sich im Netzhautniveau befindet (Abb. 15.6). Die Dioptriendifferenz ergibt den Grad der Papillenprominenz. 1 Dioptrie entspricht etwa 0,3 mm.
m Praktischer Tipp
15.6
Messung der Papillenprominenz mit dem Augenspiegel
Einstellung des
Augenspiegels
auf die parapapilläre Netzhaut
Einstellung des
Augenspiegels
auf die Stelle der
stärksten Papillenprominenz
Die Differenz der beiden im Augenspiegel eingestellten
Dioptrienwerte ergibt die Papillenprominenz
(3 dpt ≈ 1 mm Prominenz)
15.6
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