1 Einleitung

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Einleitung
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Einleitung
AllelebensnotwendigenProzesseeinesjedenLebewesensbasierenaufInteraktionen
vonMakromolekülen,diedurchihrechemischeBeschaffenheitundStrukturdieProͲ
zesse steuern und möglich machen. Nukleinsäuren und Proteine sind zwei der wichͲ
tigstenMakromoleküle, dieeinezentraleRollealsBausteinedesLebensspielen.[1]Die
StrukturaufklärungdieserOligomereindenfrühen50erJahrenführtezuvielenrevoluͲ
tionärenErkenntnissen,diebiszumheutigenTagefürdieForschungundEntwicklung
indenFeldernderPhysik,BiologieundChemiegrundlegendundbestimmendsind.[2–5]
DerengeZusammenhangzwischenFunktion,StrukturundchemischemAufbauermögͲ
lichtdurchModifikationenaufmolekularerEbeneeingezieltesDesignvonfunktionaͲ
len Oligomeren, die nicht nur ein unerschöpfliches Repertoire an Anwendungen bieͲ
ten,sondernauchinterdisziplinäreinsetzbarsind.DiedarausresultierendeunaufhaltͲ
same Entwicklung dringt dabei in Felder vor, die weitab von der natürlichen biologiͲ
schen Bestimmung der Makromoleküle liegen und schafft neue Disziplinen und AnͲ
wendungen.
DieDNA(deoxyribonucleicacid),diealsTrägerundSpeicherderErbinformationenbeͲ
kanntistundderenEigenschaftenfürdieGenexpressionunerlässlichsind,kannabseits
ihrer biologischen Funktion als ein supramolekulares Gerüst in der Nanotechnologie
und den Materialwissenschaften verwendet werden.[6–8] Ihre klar definierte starre
DuplexͲStruktur,mitderFähigkeitdermolekularenErkennungundSelbstaggregation
bietetzudemeingroßesPotenzialfürbottomͲupͲVerfahrenzurGenerierungvonhoch
strukturierte Materialien mit spezifischen Eigenschaften im Nanobereich.[6] Die AnͲ
wendungsbereichederDNAsindjedochnichtnuraufihrenatürlicheDuplexͲStruktur
beschränkt,sondernsinddurchgezielteModifikationderOligonukleotideumeinVielͲ
facheserweiterbar.[9,10]MitderrasantenEntwicklungderOligonukleotidͲSynthesean
fester Phase ist es heutzutage möglich, aufbauend auf modifizierten NukleosidͲ
Bausteinen und artifiziellen Nukleobasen, funktionale Oligonukleotide mit beliebiger
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Sequenz, Funktion und Eigenschaften zu synthetisieren. Auf diese Weise können
Aptamere entwickelt werden, die eine komplexe dreidimensionale Struktur einnehͲ
menundselektivanZielverbindungen binden.DieseEigenschaftensindnichtnurbei
der Entwicklung von neuen Arzneimitteln und Therapeutika von großer Bedeutung,
sondernermöglichenauchdieVerwendungvonAptamerenalsKatalysatorenfüreine
Vielzahl chemischer Reaktionen.[11–13] Unter Erhalt ihrer Integrität wird die DNA aufͲ
grund der wachsenden Vielfalt an Modifikationen und Anwendungen zu einem der
vielseitigstenMakromoleküle,diegezieltmodelliertwerdenkönnen.
JedederbeschriebenenAnwendungenderOligonukleotidebasiertaufderMöglichkeit
mitHilfekleinermodifizierterBausteinekomplexeoligomereStrukturenmiteinerdeͲ
finierten Funktion zu designen. Der Ansatz der hier präsentierten Untersuchungen
baut auf der Synthese eines neuen azyklischen Bausteins auf, der als ThiolͲtragende
Rückgratmodifikation von Oligonukleotiden verwendet werden soll. Mit Hilfe dieser
ModifikationsollunterVerwendungderdynamischenkombinatorischenChemieeine
TemplatͲgesteuertereversibleFunktionalisierungdesOligonukleotidsuntersuchtwerͲ
den. Im Vordergrund der Untersuchungen stehen die Synthese und Anpassung des
BausteinsandieOligonukleotidͲSyntheseanfesterPhasesowiedieEntwicklungeines
aufdemThiolͲThioesterͲAustauschbasierendendynamischenAssays.DiedarausresulͲ
tierenden Erkenntnisse sollen unter anderem zur Generierung neuer funktionaler
selbstorganisierenderOligonukleotidegenutztwerden.
Die Anwendungen und Funktionen der natürlichen DNA sind auf die Variation in der
AbfolgedervierkanonischenNukleobasenlimitiertundsindindergeringenAnzahlan
möglichen Sekundärstrukturen begründet. Proteine dagegen können aufgrund der
zwanzig proteinogenen Aminosäuren eine wesentlich größere Vielfalt an SekundärͲ
strukturelementen ausbilden, die zu komplexen TertiärͲ und Quartärstrukturen fühͲ
ren.[1]DiesichdarausergebendeVariationanStrukturenermöglichtesdenProteinen,
sehr spezielle und vielfältige Funktionen im Organismus auszuführen (Enzyme, AntiͲ
körper, Toxine, Kollagene etc.).[14] Doch nicht nur die Funktion der Proteine ist stark
vonihrerStrukturabhängig,auchvieleErkrankungenwieAlzheimersindauffehlerhaft
gefalteteProteinezurückzuführen.[15]DieVeränderungder dreidimensionalenStrukͲ
tur eines Proteins ist ein essentieller Vorgang, der auch bei der Proteinerkennung
durchkleineMolekülesowiebeiProteinͲProteinͲundProteinͲDNAͲWechselwirkungen
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einewichtigeRollespielt.EinekontrollierbareÄnderungderKonformationwürdeein
wichtigesWerkzeugzurSteuerungderProteinfunktionundderenEigenschaftdarstelͲ
len.EinweiteresZieldieserArbeitistes,modifiziertekleinePeptidͲHexameremitErͲ
kennungseinheitendarzustellen,welchemitkomplementärenMoleküleninWechselͲ
wirkungtretenundsomiteineKonformationsänderunginnerhalbeinesProteinsinduͲ
zieren können. Im gepaarten Zustand liegt das Rückgrat des Hexamers in einer
ɴͲFaltblattͲKonformationvor,währendderEinzelstrangeinezufälligausgebildeteAnͲ
ordnungaufweist.DurchPaarenbzw.EntpaarenkannaufdieseWeiseein„Schalten“
zwischen den Konformationen ermöglicht werden. Als molekulare Schalter für
ɴͲFaltblattͲSekundärstrukturen sollen AlanylͲPeptidnukleinsäuren (AlanylͲPNAs) dieͲ
nen.DazuwerdenaufderAminosäureSerinaufbauendeNͲmethylierteͲBausteinesynͲ
thetisiert,dieNukleobasenalsErkennungseinheitentragenundabwechselndmitnicht
methyliertenBausteinenzumAlanylͲPNAͲHexamerverknüpftwerden.Dabeiliegtder
FokusaufderSynthesevonDipeptiden,welcheüberdieNͲmethylierteAminverknüpft
sind und in der PeptidͲSynthese an feste Phase über das nicht methylierte Amin geͲ
kuppeltwerdenkönnen.DerEinsatzvonNͲmethyliertenBausteinendientderVermeiͲ
dungvoneventuellauftretendenRückgrataggregationen.Desweiterensollenaufdiese
WeiseNMRͲspektroskopischeUntersuchungeneinessolchenAlanylͲPNADoppelstranͲ
gesundseinesPaarungsverhaltensermöglichtwerden.[16]
Die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen sollen deutlich machen, dass
komplexe Makromoleküle wie die Oligonukleotide und Peptide in ihrer Struktur und
FunktiondurchkleinereUntereinheiten(Nukleoside,Aminosäuren)bestimmtwerden.
DurchgezieltessynthetischesDesigndieserBausteinekönnengrößereübergeordnete
Strukturen modifiziert, funktionalisiert und gesteuert werden. Unter Ausnutzung der
Synthese an fester Phase und Anpassung der Synthesebedingungen ist das Potential
kleinerBausteinegrößeralsjezuvor.
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DynamischeModifikationvonOligomeren
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DynamischeModifikationvonOligomeren
AufderSuchenachneuenbioaktivenundfunktionalenMoleküleneröffnetdiedynaͲ
mischekombinatorischeChemienochniedageweseneMöglichkeitenzurGenerierung
vonInhibitorenunddynamischenWerkstoffen.[17,18]DiedynamischeChemienutztdaͲ
beireversibleWechselwirkungen,dieeinenkontinuierlichenAustauschunddiedaraus
resultierendeselektionsgesteuerteReorganisationderKomponentenermöglichen.Die
selektive,reversibleFunktionalisierungvonOligomerenistsomitfundamentalfürein
adaptivesundreaktivesDesignvonMakromolekülenundMaterialienmithohemAnͲ
spruchsverhalten.[19] Auf diese Weise wird eine Änderung der klassischen Ansätze
möglich, die weg von riesigen vorgefertigten Substanzbibliotheken hin zu kleineren
selbstorganisierten dynamischen Bibliotheken führt. Somit wird ein Umschalten von
FabrikationzurSelbstͲFabrikationvollzogen.[20,21]
2.1
KombinatorischeChemie
Der Grundgedanke der kombinatorischen Chemie basiert auf der gleichzeitigen DarͲ
stellungeinerVielzahlvonchemischähnlichenVerbindungen,dieeineSubstanzbiblioͲ
thek bilden.[22] Die Substanzbibliotheken können dabei aus Verbindungsgemischen
oder einer Ansammlung von Einzelverbindungen bestehen. Durch die Fähigkeit der
Generierung einer Vielzahl chemischer Komponenten innerhalb kürzester Zeit beͲ
schreibtdiekombinatorischeChemieeineneueHerangehensweiseandietraditionelle
Chemie,beiderzweiKomponentenAundBzueinemklardefiniertenProduktABreaͲ
gieren(Abb.1).[23]
Abb.1:DarstellungderUnterschiedezwischentraditionellerSynthesechemie(links)undkombiͲ
natorischerChemie(rechts).
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DynamischeModifikationvonOligomeren
ImKontrastdazuistdieKombinatorischeChemiedurchdieReaktionmehrererSyntheͲ
sebausteineA1bisAnmitmehrerenBausteinendesTypsB1bisBn gekennzeichnet und
erfasst alle Produktmöglichkeiten.[24] Die Reichweite an kombinatorischen Techniken
ist sehr divers und die Produkte können parallel in getrennten Gefäßen, simultan in
einerMischunganfesterPhaseoderinLösunghergestelltwerden.DerwichtigsteFakͲ
tor dabei ist die Produktivitätssteigerung, die durch Anwendung kombinatorischer
ChemieerzieltwirdunddiebisherbekanntenRoutinemethodenbeiweitemübertrifft.
SpätestensseitdervonR.B.Merrifield1963vorgestelltenPeptidͲFestphasensynthese
verbreitetensichdiedaraufaufbauendenMethodenrasantinfastjedemFeldderorͲ
ganischen Synthesechemie.[25] Auch wenn die Automatisierung und die Verwendung
von Hochdurchsatzmethoden die Synthese und Charakterisierung großer Mengen an
Komponenten stark beschleunigt haben, stellen die NachweisͲ und Trennmethoden
immernochdenlimitierendenFaktorderkombinatorischenChemiedar.BeiderkomͲ
binatorischenSynthesevonSubstanzbibliothekenistnichtdieüberausgroßeAnzahlan
Verbindungen wichtig, sondern vielmehr die Qualität der Bibliothek. Dabei steht die
Diversität im Vordergrund, die sich in der Heterogenität der Verbindungen niederͲ
schlägtund diedurchdieräumlicheAnordnungderfunktionellenGruppenbestimmt
wird.DieseVoraussetzungenermöglicheneineVielfaltanDesignansätzen,dieriesige
Substanzbibliothekengenerierenkönnen.SomithatsichdiekombinatorischeChemie
inVerbindungmitdemHochdurchsatzͲScreeningalseinunverzichtbaresWerkzeugbei
derWirkstoffentwicklungetabliert.[26]DergrößtelimitierendeFaktorbleibtjedochdie
Tatsache, dass jede Komponente der Bibliothek in jeglicher Diversität synthetisiert
werden muss und eine zielgesteuerte Reorganisation der Bibliothek sehr aufwendig
wird.
2.2
DynamischekombinatorischeChemie(DCC)
Die dynamische kombinatorische Chemie (dynamic combinatorial chemistry, DCC) ist
als kombinatorische Chemie unter thermodynamischer Kontrolle definiert.[27] Sie beͲ
ruht auf der Selektion des thermodynamisch stabilsten Produktes aus einer sich im
Gleichgewicht befindlichen Mischung von potenziellen Produkten. Die Mischung beͲ
schreibt ein dynamisches System mit hoher Diversität und Komplexität, die aus den
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DynamischeModifikationvonOligomeren
einzelnen strategisch designten Reaktanden (Bausteine) besteht. Im Gleichgewicht
bilden diese eine dynamische Bibliothek von reversiblen Verbindungen (dynamic
combinatoriallibrary,DCL).DerGrundsatzderDCCbeschreibteineselektiveAdaption
der DCL, wenn ein Selektionsdruck auf das sich im Gleichgewicht befindliche System
ausgeübtwird.DieswirddurcheineUmwandlungdereinzelnenBibliotheksbestandteiͲ
leineinanderermöglicht.DieUmwandlungwirddurcheinenchemischreversiblenProͲ
zess beschrieben, der auf nichtkovalenten und kovalenten Bindungen sowie auf MeͲ
tallͲLigandͲInteraktionenaufgebautseinkann.
Abb.2:GenerierungeinerdynamischenkombinatorischenBibliothek(DCL).ImGleichgewichtbesteht
die dynamische Bibliothek aus eine bestimmten Anzahl an diversen Molekülen, die sich durch einen
reversiblenReaktionsprozessaneinenSelektionsdruckanpassenkönnen.
Da sich das System unter thermodynamischer Kontrolle befindet, bedeutet jedoch
auch,dassjeglicheVeränderungderReaktionsbedingungen(Temperatur,pH,KonzentͲ
ration)eineVeränderunginnerhalbderBibliothekhervorrufenkann.DiesensibleReͲ
aktionderDCLaufexterneEinflüsseisteinewichtigeBesonderheitderdynamischen
kombinatorischen Chemie, denn die Komposition der Bibliothek wird durch die therͲ
modynamische Stabilität jeder einzelnen Komponente der Bibliothek unter den entͲ
sprechenden Reaktionsbedingungen bestimmt. Diese selbstͲadaptiven Eigenschaften
machendiedynamischekombinatorischeBibliothekzueinemeffektivenWerkzeugzur
BestimmungthermodynamischerMinima.[28,29]
2.2.1 GrundlagenderDCC
DasGrundprinzipderDynamikinderkombinatorischenChemiebasiert,wiezuvorerͲ
wähnt,aufdergeeignetenreversiblenReaktion,diedenAustauschderBausteinezwiͲ
schendeneinzelnenBestandteilenderBibliothekmöglichmachtunddieAdaptionder
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DynamischeModifikationvonOligomeren
BibliothekandenSelektionsdruckermöglicht.[30,31]DabeimüssenfolgendeBedingunͲ
generfülltwerden,umeinegeeigneteReaktionzubestimmen:[32]
1. DasGleichgewichtsolltesichineinerfürdieReaktionsbedingungenannehmbaͲ
renZeiteinstellenundbestmöglichschnellerablaufenalsdieauftretendenNeͲ
benreaktionen,diedieSubstratedemGleichgewichtentziehen.
2. DieReaktionsollteuntermildenReaktionsbedingungenablaufen,umnichtmit
denempfindlichen,nichtkovalentenWechselwirkungenzuinterferieren,diefür
diemolekulareErkennungnotwendigsind.
3. DieReaktionsolltegegenübermöglichstvielenfunktionellenGruppentolerant
sein und chemoselektiv ablaufen. So kann gezielt eine dynamische Bibliothek
designtunddieKomplexitäteingeschränktwerden.
4. DieGleichgewichtsreaktionsolltekontrolliertbeendetwerdenkönnen,umsoͲ
mitdieKinetikeinzufrierenunddieselektiertenBibliotheksbestandteileisolieͲ
renundnachweisenzukönnen.
5. Im Idealfallsollten alleBestandteile der Bibliothek isoenergetisch sein, um eiͲ
nerseits den Energieaufwand für die kontinuierliche Adaption zu minimieren
und um andererseits Einflüsse auf das Gleichgewicht möglichst gering zu halͲ
ten.
BisheutewurdeeineVielzahlvonreversiblenReaktionen,dieeinegroßeBandbreite
anReaktionstypenabdecken,untersuchtundpubliziert(Abb.3).[30,32]DabeiisteswichͲ
tig, dass die zuvor beschriebenen Bedingungen bestmöglich erfüllt werden. Gerade
wennbiologischrelevanteSystemeuntersuchtwerdensollen,mussgewährleistetsein,
dassdieseReaktionenimwässrigenMediumablaufenkönnen.
Abbildung3zeigtdieBandbreitederReaktionen,dievielederAnforderungenerfüllen
und eine Vielfalt an Reaktionstypen abdecken. Die drei häufigsten Bindungsarten
(nichtkovalente, kovalenteundkoordinativeBindungen),diefürreversibleReaktionen
in dynamischer kombinatorischer Chemie verwendet werden, haben ihre VorͲ und
NachteileundmüssenselektivandenAnwendungsbereichangepasstwerden.Beiden
meistschwachenundlabilennichtkovalentenBindungenstelltsichdasGleichgewicht
zwarsehrschnellein,jedochsinddiegebildetenthermodynamischenProduktenicht
sehrstabil.[32]
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Abb.3:Beispielefürreversible,kovalenteundnichtkovalenteReaktionen,diebereitsuntersuchtworͲ
densindundVerwendunginderDCCfinden.AlleaufgeführtenReaktionenlaufenuntermildenBedinͲ
gungenab.(EWG=elektronenziehendeGruppe)
Dadurchwirdessehrschwerdiesezuisolierenundzucharakterisieren.ImGegensatz
dazu sind die Kinetikenfür das Ausbilden undLösen der kovalenten Bindungen langͲ
samundhabenlangeReaktionszeitenzufolge.AndererseitssinddieseBindungensehr
stabilundkönnenohneweiteresisoliert,charakterisiertundfürweitereAnwendungen
verwendet werden. Die resultierenden selbstͲadaptiven Eigenschaften der dynamiͲ
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schenkombinatorischenChemie,dieunteranderemdurchdieVerwendungreversibler
undkovalenterBindungenerzieltwerden,unterstreichendieVorzügedieserMethode
gegenüberderkonventionellenkombinatorischenChemie.MitHilfedergezieltenSeͲ
lektion kann sich somit die Zusammensetzung der gesamten Bibliothek selbstorganiͲ
siertandieerforderlichenGegebenheitenanpassen.
2.2.2 Selektion
Das adaptive Verhalten der dynamischen Bibliotheken ist das Resultat eines SelektiͲ
onsprozesses.DieserwirddurchdiePräsenzeinesartifiziellenodernatürlichenRezepͲ
tors (Templat), der die Selektion steuert, bestimmt. Das sogenannte templating beͲ
schreibt einen weiteren Eckpfeiler der dynamischen kombinatorischen Chemie. Die
ZugabeeinesTemplats(Enzym,RezeptoroderSubstrat),welchesmiteinemBestandͲ
teil der Bibliothek wechselwirkt, verschiebt gemäß dem Prinzip von LeChatelier die
ZusammensetzungderBibliothekimIdealfallzugunstenderVerbindungmitderbesten
Wechselwirkung(Abb.4).
Abb.4:SchematischeDarstellungdesdynamischenkombinatorischenProzesses.DasdynamischeSystem
bildet durch die gewählten Bausteine und die reversible Reaktion eine dynamische Bibliothek, die sich
durchdieVorgabedesTemplatesdemSelektionsdruckanpasstunddurchthermodynamischeSelektion
verstärktdaspräferierteProduktbildet.
DurchdasTemplatwirdalsoeinSelektionsdruckaufdasdynamischeSystemausgeübt,
dersichineinerverstärktenGenerierungdesbevorzugtenProduktesäußert.[24]IndieͲ
sem Fall wird durch thermodynamische Selektion das dynamische System reorganiͲ
siert, um bevorzugt das Substrat mit der stärksten Wechselwirkung zum Templat zu
bilden. Somit wird nicht nur eine molekulare Erkennung des besten Substrates mögͲ
lich,sonderauchdieverstärkteAnreicherungdessen.DieSelektionunddieKoordinaͲ
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tionderdynamischenkombinatorischenChemiekannaberauchdazugenutztwerden,
einTemplatfüreinenRezeptorzugenerieren.NachJ.ͲM.LehnwirddieStrategiezur
Identifizierung eines Substrates mit Hilfe der dynamischen kombinatorischen Chemie
alscasting(Gießen) und die komplementäre Identifizierung eines Rezeptors als
moulding(Formen)bezeichnet.[26,30,33]Auf dieseWeisekanndiedynamischekombinaͲ
torischeChemiedurchTemplatgesteuerteSelektiondirigiertundkontrolliertwerden.
DieseEigenschaftenermöglicheneineVielzahlanbiologischundchemischrelevanten
Anwendungsbereichen, in denen durch ein gezieltes TemplatͲDesign das gewünschte
ProduktdurchSelbstorganisationerhaltenwerdenkann.
2.2.3 AnsätzederdynamischenkombinatorischenChemie
AufbauendaufdenverschiedenenReaktionstypen,dieinderdynamischenkombinatoͲ
rischen Chemie Verwendung finden und den Arten diese selektiv zu kontrollieren,
wurden unterschiedliche Konzepteder DCCentwickelt. Diese beinhalten eine Vielfalt
anAnsätzen,dieeserlauben,andasSystemangepasstvorzugehen.DasVorgehenwird
durchdenadaptivenAnsatz,denAnsatzdesvoreingestellten Gleichgewichts,denwieͲ
derholendenunddenpseudodynamischenAnsatzbestimmt.AlledieseAnsätzehaben
die reversible Generierung der dynamischen Bibliothek gemein, unterscheiden sich
jedochinihremSelektionsschritt.
DeradaptiveAnsatzistderamweitestenverbreiteteAnsatzunterdenzuvorgenannͲ
ten. Die Generierung der Bestandteile der Bibliothek wird in Gegenwart des Target
(Rezeptor)ͲMolekülsdurchgeführt.[34,35]DasführtzueinerverstärktenBildungderam
besten gebundenen Spezies, so dass das Screening im selben Kompartiment stattfinͲ
den kann. Hierbei werden alle Charakteristika der dynamischen adaptiven Bibliothek
genutzt. Durch die dynamische Adaption kommt es zu einer verstärkten gerichteten
SelektiondesbestenBinders.
DerAnsatzdesvoreingestelltenGleichgewichtesbeziehtsichaufReaktionen,dienicht
imwässrigenMediumablaufenkönnen.[36,37]DieGenerierungderdynamischenBiblioͲ
thekfindetunterreversiblenBedingungenanalogzumadaptivenAnsatzimgeeigneten
Lösungsmittel statt und erst wenn sich das Gleichgewicht eingestellt hat, wird das
Screening separat in einem wässrigen Puffersystem durchgeführt. Aufgrund des
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Mediumwechsels kann keine adaptive Reorganisation stattfinden, die eine VerschieͲ
bungdesGleichgewichteszurFolgehätteundsomitistauchkeineverstärkteBildung
desbestenBindersmöglich.DieserAnsatzwirdmeistbeiempfindlichenbiologischen
Proben oder bei nicht kompatiblen Reaktionsbedingungen mit dem TargetͲMolekül
verwendet. Auch wenn das Screening traditionell kombinatorisch verläuft, wird die
BibliothekimmernochnachdemschnellablaufendendynamischenProzessgeneriert.
DerwiederholendeͲAnsatzbasiertaufeinermehrfachenAnwendungdesAnsatzesmit
dem voreingestellten Gleichgewicht.[38] Die Bibliothek wird in einem separaten KomͲ
partimentunterdefiniertenBedingungengeneriertunderstimAnschlusswirddieInͲ
teraktion mit dem TargetͲMolekül im selben oder in einem anderen Kompartiment
herbeigeführt.IndiesemFallwirddieungebundeneSpeziesderKammerentnommen
undreorganisiert.NacheinigenWiederholungenstelltsicheineAkkumulationdesbesͲ
tenBindersein,deranalysiertwerdenkann.
Der pseudo dynamische Ansatz macht Gebrauch von zwei Reaktionskammern, die
durch eine semipermeable Membran getrennt sind.[39] Die eine Kammer enthält das
TargetͲMolekül,dieandereeinEnzym.DieambestenbindendeSpezieszeigteinegeͲ
ringere Hydrolyse und macht den besten Binder zum letzten verbleibenden
Reaktanden innerhalb der Bibliothek, da der Rest der Bibliothek vom Enzym zerstört
wird.
Mit den Erkenntnissen und dem Wissen über die erforderlichen ReaktionsbedingunͲ
gen,diebenötigtereversibleReaktion,dieselektiveSteuerungdurchdasTemplatund
die möglichen Ansätze kann eine Vielzahl an dynamischen Systemen entwickelt und
angepasstwerden.DasgezielteDesigndynamischerSystemeermöglichteineffizientes
selfscreeningvongroßenBibliothekenunddasgezielteSelektierenvonKomponenten
mithohemDurchsatz.
2.2.4 Analysemethoden
DieTrennungundderNachweisvonBibliothekenundderenBestandteilenstellendie
limitierenden Schritte der konventionellen kombinatorischen Chemie dar. Eine effiziͲ
ente Analyse ist aufgrund der schieren Größe der Bibliotheken sehr schwierig. DenͲ
nochsindfürdieAnalyseunddasScreeningvondynamischenBibliothekeneinigeanaͲ
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lytische Methoden denkbar und anwendbar. Für kleine Bibliotheken können MethoͲ
den wie die eindimensionale Kernspinresonanzspektroskopie (NMRͲSpektroskopie,
nuclear magnetic resonance), die Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC,
highͲperformance liquid chromatographie), die Hochleistungskapillarelektrophorese
(HPCE, highͲperformance capillary electrophoresis) und die Gaschromatographie (GC)
zurquantitativenBestimmungderBibliotheksbestandteileherangezogenwerden.Bei
Bestandteilen mit einer konkreten Masse kann zum Screening auch die MassenͲ
spektrometrie(MS)effektivgenutztwerden.BeigroßenBibliothekenistzwardieDifͲ
ferenzierungundIdentifizierungzunehmenderschwert,dieselektiveVerstärkungund
Anreicherung des besten Binders innerhalb der dynamischen Bibliothek führt jedoch
zueinemAnstiegderKonzentrationdessenundhilftsomitdieseSpezieszuidentifizieͲ
ren.UmeineeffizienteAnalysedesdynamischenProzesseszugewährleisten,hatsich
dieKombinationausHPLCundMassenspektrometriebewährt.AufdieseWeiseistes
möglich,durchgezielteProbeentnahmezueinembeliebigenZeitpunktdieZusammenͲ
setzungderdynamischenBibliothekaufzulösenundnachzuweisen.
2.3
DynamischeSchwefelchemie
Nebenden zuvorinKapitel2.2.1(Abb.3)aufgeführtenreversiblenReaktionensindvor
allemSchwefelverbindungenaufgrundihrerReaktivitätundderVielfaltanmöglichen
reversiblenReaktionenvongroßemInteresseundgrundlegendfürdashiervorgestellͲ
te Design eines dynamischen Systems. Die dynamische Schwefelchemie stellt eine
wichtige Unterkategorie der dynamischen kombinatorischen Chemie dar. Der große
Vorteil an Verbindungen, die Schwefelatome beinhalten, ist ihre Kompatibilität und
Stabilität gegenüber anderen funktionellen Gruppen sowie vielen biologischen SysteͲ
men.[40]SeitdenAnfängenderdynamischenkombinatorischenChemieMitteder90er
JahrewurdediedynamischeSchwefelchemieimmerbedeutenderfürdieGenerierung
dynamischerSystemeuntermildenbiologischenBedingungen.[41]DerGrundhierfürist
nebendemVorkommendesSchwefelsinProteinenundderBeteiligunganwichtigen
biochemischenProzessenimMetabolismusdiegroßeBandbreiteanreversiblenReakͲ
tionen, die Schwefel zur Ausbildung von dynamischen Systemen zur Verfügung stellt
(Abb. 5). Die Vielfalt der Reaktionen reicht von dem ThiolͲDisulfidͲAustausch, der
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Disulfidmetathese, dem ThiolͲThioesterͲAustausch, dem ThioacetalͲAustausch bis hin
zu dem HemithioacetalͲAustausch und den konjugierten Additionsreaktionen.[42–44]
DieseReaktionenwurdenbiszumheutigen TageerfolgreichanunterschiedlichenSysͲ
temengetestetunddeckeneinegroßeBandbreiteanAnwendungenab.[45]
Abb. 5: Darstellung der auf Schwefel basierenden, reversiblen Reaktionen, die bis heute untersucht
wordensind.
2.3.1 ThiolͲThioesterͲAustausch
DieAllgegenwärtigkeitdesThiolsinbiologischenSystemenunterstreichtdieWichtigͲ
keitundBedeutungdieserSpeziesfürdenUrsprungallenLebens.EswirddavonausͲ
gegangen, dass diese Verbindungsklasse eine wichtige Rolle im frühen Metabolismus
alschemischesEnergiereservoirgespielthat.[46]EinBeispielfürdensynthetischenNutͲ
zen des ThiolͲThioesterͲAustausches ist ihre Rolle in dem ersten Schritt der Native
ChemicalLigation(NCL).[47]BeiderNCLwirdeinPeptidauseinemkleinerenFragment
mit einem CͲterminalen Thioester und einem weiteren Fragment mit einem NͲ
terminalenCysteinͲRestgeknüpftunddurchdiedarauffolgendeSͲNAcylͲUmLagerung
dasnatürlichePeptidrückgratgeneriert.DankdesThiolͲThioesterͲAustauscheskönnen
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aufdieseWeiseunterschiedlichePeptidfragmenteeffektivligiertwerden.AlseineReͲ
aktion,diereversibelinWasserunterbiologischrelevantenpHͲBedingungenablaufen
kann, hat der ThiolͲThioesterͲAustausch außerdem das große Potenzial unter BeteiliͲ
gungvonBioͲOligomereninselbstorganisierendenProzesseneingesetztzuwerden.[48–
51]
DerThiolͲThioesterͲAustauschbeziehtsichaufdieReaktionderUmesterungundweist
gute reversible Eigenschaften auf, die es zulassen, schnelle und ausreichend stabile
DCLs zu generieren. Im Kontrast zu der StandardͲUmesterung, die meist unter sehr
harschenBedingungenimorganischenMediumabläuft,verlaufendieReaktionendes
SchwefelͲAnalogons unter milden, leicht basischen Bedingungen in wässrigem MediͲ
um. Dieser Reaktionstyp ist auch relativ kompatibel mit vielen üblichen TargetͲ
Proteinen,daauftretendeNebenreaktionenwesentlichlangsamerverlaufenundsomit
dieThioesterDCLsmiteinfachenMittelnrapidezugrößerenBibliothekenausgeweitet
werdenkönnen.[52]SomitistderThiolͲThioesterͲAustauschgeradefürbiologischeSysͲ
temesehrgutgeeignetundwurdebereitseffizientunderfolgreichinvielendynamiͲ
schenSystemenintegriert.[53]DesWeiterenbietetdiesereineguteAlternativezuder
weitverbreiteten
dynamischen
Disulfidchemie,
deren
Umsetzung
für
die
OligonukleotidͲSynthese an fester Phase wesentlich umständlicher ist. Mechanistisch
beschreibtderThiolͲThioesterͲAustauscheinebasenkatalysierteReaktioneinesThiolͲ
NukleophilsmiteinemThioesterͲDerivat.[54]VerläuftderreversibleAustauschimwässͲ
rigenMedium,istdieHydrolysedesThioesterseinestörendeNebenreaktion,dieunͲ
vermeidbar ist und eine Weiterreaktion des Thioesters verhindert (Abb. 6). Dabei ist
das Maß des ThiolͲThioesterͲAustausches undder Hydrolyse von ReaktionsbedingunͲ
genwieTemperatur,pHͲWertunddempKaͲWertdesThiolsabhängig.[49,54]BeiangeͲ
passten und gut gewählten Bedingungen kann die ThiolͲThioesterͲAustauschrate die
der Hydrolyse um mehrere Größenordnungen übertreffen und dadurch kontrolliert
minimiertwerden.
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