Der genetischen Vielfalt der Nase auf der Spur

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54 FORSCHUNG UND TECHNIK
Neuö Zürcör Zäitung
Mittwoch, 20. Februar 2013 ^ Nr. 42
HÄUFIGE KRANKHEITEN – MODERN BEHANDELT
Bauchspeicheldrüsenkrebs
Bruno Kesseli ^ Unter den «bösartigen»
Tumoren gilt er als einer der «heimtückischsten»: der Bauchspeicheldrüsenkrebs, in der Fachsprache Pankreaskarzinom genannt. Nicht zuletzt solche
Attribute dürften es sein, die diese
Krebsart vergleichsweise häufig in die
Schlagzeilen der Regenbogenpresse
bringen. So haben wir in der jüngeren
Vergangenheit erfahren, dass der
Opernsänger Luciano Pavarotti, der
Schauspieler Patrick Swayze und der
Apple-Gründer Steve Jobs an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben sind.
Vielfältige Aufgaben
Die Nase erhielt ihren Namen aufgrund ihrer eindrücklichen Kopfform.
A. HARTL / BLICKWINKEL
Der genetischen Vielfalt der Nase
auf der Spur
Aussergewöhnliche Fischpopulation im Zürcher Schanzengraben entdeckt
Einst in Schweizer Gewässern
weit verbreitet, ist die Nase
heute eine seltene Fischart geworden. Die genetischen Unterschiede zwischen den Populationen sind beträchtlich, wie eine
neue Studie zeigt.
Lukas Denzler
Die Nase war früher eine der häufigsten
Fischarten in den Schweizer Flüssen. In
den letzten Jahrzehnten sind ihre Bestände jedoch massiv eingebrochen.
Der Fisch ist heute europaweit vom
Aussterben bedroht und durch die Berner Konvention geschützt. Die Tiere
leben normalerweise in den grossen
Flüssen des Mittellandes, suchen aber
während der Laichzeit flache, rasch
strömende Gewässerabschnitte auf. Die
unterschiedlichen Ansprüche an den
Lebensraum sowie die Verbauung und
Fragmentierung der Gewässer, die eine
freie Fischwanderung behindern, sind
vermutlich die wichtigsten Gründe für
ihren starken Rückgang.
Die Nase als Leitart
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) führte zwischen 1995 und 2004 ein Monitoring der Laichplätze der Nase durch. Die
knapp über hundert Laichplätze in 31
Laichgebieten befinden sich an der Saane, der Aare, der Reuss, dem Rhein sowie ihren Zuflüssen. Sie sind ziemlich
weit voneinander entfernt und isoliert.
Auch die Umweltorganisation WWF
führte vor fünf Jahren Erhebungen zum
Vorkommen der Nasen durch. Wegen
der vielfältigen ökologischen Ansprüche
an seinen Lebensraum betrachtet der
WWF den Fisch als Leitart. Damals
konnten an einigen Orten wie der kleinen Saane oder der Sense bereits keine
Nasen mehr nachgewiesen werden. Hingegen entdeckte man sie, wo niemand sie
erwartet hätte: etwa im Schanzengraben
mitten in der Zürcher Innenstadt.
Wie Flussrevitalisierungen an der
Birs und der Ergolz bei Basel zeigen,
besteht die Chance, dass ökologisch aufgewertete Abschnitte von der Nase wieder zum Laichen benutzt werden. Damit stellt sich die Frage, ob sie in revitalisierten Gewässern aktiv angesiedelt
werden soll oder kleine Populationen
durch das Aussetzen von Jungfischen
gestützt werden sollen. In einigen Fällen
ist das bereits geschehen, obwohl man
bisher nicht wusste, wie stark sich die
Bestände genetisch unterscheiden und
ob sie sich im Laufe der Zeit an ihre
jeweilige Umwelt angepasst haben.
Dies zu klären, war das Ziel einer
vom Bafu finanzierten Studie des eidgenössischen Wasserforschungsinstituts
Eawag. Für sie wurden an zwölf Orten
in der Schweiz Nasen genetisch analysiert und morphologisch untersucht.
Dabei stellten die Forscher fest, dass
sich die Körperform der Nasen im Zürcher Schanzengraben von derjenigen
aller anderen Populationen deutlich unterscheidet. In Relation zu ihrer Körperlänge besitzen sie einen kleineren
Kopf und einen höheren Körper. Die
anderen Populationen unterschieden
sich zwar auch voneinander, aber weniger deutlich als die Population im
Schanzengraben, sagt Pascal Vonlanthen von der Eawag.
Gene von den Donau-Nasen
Die genetische Analyse zeigte ebenfalls
deutliche Unterschiede. So liessen sich
die Populationen aus dem Bodenseegebiet sowie dem Alpenrhein gut von
denjenigen unterhalb des Rheinfalls abgrenzen. Erstere stünden den Populationen aus der Donau genetisch näher,
hätten sich aber als eine spezielle Variante herausgestellt, sagt Ole Seehausen,
der Leiter der Abteilung Fischökologie
und Evolution an der Eawag. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Wiederbesiedlung des Bodenseegebietes
nach der letzten Eiszeit nicht nur aus
dem Einzugsgebiet des Rheins, sondern
auch aus demjenigen der Donau erfolgt
ist. Um die Eigenheit der Vorkommen
im Bodenseegebiet zu erhalten, muss
ein Austausch von Nasen aus dem
Bodenseegebiet mit solchen aus dem
Rheineinzugsgebiet laut den Wissenschaftern unbedingt vermieden werden.
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EINE MARKANTE NASE
lde. ^ Ihren Namen trägt die Nase
wegen ihres markanten Kopfes, dessen
«Schnauze» eben einer grossen Nase
gleicht. Die Tiere benötigen verschiedene Lebensräume: Normalerweise leben sie in den grösseren Fliessgewässern des Mittellandes. Während der
Laichzeit im April und Mai schwimmen
sie in Schwärmen flussaufwärts und
legen dabei jedes Jahr Distanzen von bis
zu hundert Kilometern zurück. Für die
Eiablage suchen die Weibchen dann
stark strömende, flache Gewässerabschnitte mit kiesigem Grund auf. Die
Larven und Jungfische bevorzugen flache und strömungsarme Bereiche.
Im Rheineinzugsgebiet unterhalb des
Rheinfalls hingegen waren die Bestände
genetisch relativ einheitlich. Offenbar
war der genetische Austausch innerhalb
des Rheinsystems ursprünglich gross
und die Zeitspanne seit der Fragmentierung dieser Flüsse nicht gross genug, um
zu einer Differenzierung zu führen. Eine
Ausnahme stellen wiederum die Nasen
im Schanzengraben dar, die sich auch
genetisch deutlich von anderen Beständen unterscheiden. Die Forscher vermuten als Ursache hierfür einen «genetischen Flaschenhals», bei dem eine Population mindestens einmal aus nur
wenigen Tieren bestand. Die heutigen
Fische wären demnach Nachkommen
eines in der Vergangenheit sehr kleinen
und isolierten Bestands. Weil sich unter
Umständen aber lokale Anpassungen
herausgebildet haben, die vielleicht sogar das Überleben der SchanzengrabenNasen in ihrem ungewöhnlichen Lebensraum sichern, sollten laut den Forschern auch dort keine Individuen von
ausserhalb eingesetzt werden.
Aufwertung der Lebensräume
Für Andreas Hertig von der Fischereiund Jagdverwaltung des Kantons Zürich
ist die Unterstützung bestehender
Nasenpopulationen durch Aussetzen
von Jungfischen zurzeit ohnehin kein
Thema. Es gebe bis jetzt keine Anzeichen, dass die Nase demnächst völlig aus
dem Kanton Zürich verschwinden werde. Ob sich die Nasen, die während der
Laichzeit im unteren Teil des Schanzengrabens lebten, dort auch fortpflanzten,
sei nicht klar, sagt Hertig. Man wolle die
Population aber vor Störungen möglichst schützen. So habe man etwa bei
den Bauarbeiten für die Durchmesserlinie beim Hauptbahnhof Zürich, bei
denen das Sihlbett stark beansprucht
worden sei, darauf geachtet, dass die
Sihl für Fische jederzeit passierbar gewesen sei und diese auch in den Schanzengraben hätten gelangen können.
Beim Schutz der Nasen setze man
primär auf die Verbesserung der Lebensräume, erklärt er. Beispiele dafür
seien das Auenprojekt an der Thur
oberhalb ihrer Einmündung in den
Rhein sowie der Auenpark Werdhölzli
an der Limmat. Wünschenswert wäre
laut dem Experten aber auch, die fünf
Meter hohe Schwelle im Sihlhölzli auf
Zürcher Stadtgebiet fischgängig zu gestalten. Dann könnten nämlich Fische
aus dem Schanzengraben und der Limmat die Sihl hochschwimmen, was den
potenziellen Lebensraum der Nasen
enorm vergrössern würde.
Die Bauchspeicheldrüse ist ein Organ
mit vielfältigen Funktionen, die von
unterschiedlichen, auf die jeweilige
Aufgabe spezialisierten Zellverbänden
gewährleistet werden. Sie produziert sowohl Verdauungssekrete, die in den
Zwölffingerdarm abgegeben werden,
als auch Hormone wie Insulin und Glucagon, die unter anderem den Blutzuckerspiegel regulieren und ihre Wirkungsorte via Blutkreislauf erreichen.
Die verschiedenen Zelltypen können
«entarten», das heisst Tumoren mit sehr
unterschiedlichen Eigenschaften bilden. Wenn von Bauchspeicheldrüsenkrebs gesprochen wird, ist meist das
duktale Adenokarzinom gemeint. Dieser Tumor geht von den Zellen aus, die
die Ausführgänge für das Verdauungssekret auskleiden, und macht mit rund
95 Prozent den Grossteil der Pankreaskrebsfälle aus.
Mit 850 Neuerkrankungen pro Jahr
steht der Bauchspeicheldrüsenkrebs in
der Schweiz bei den bösartigen Tumoren des Verdauungstraktes an zweiter
Stelle. Frauen und Männer sind gleich
häufig betroffen. Das Erkrankungsrisiko ist vor dem 50. Lebensjahr gering,
steigt dann stark an und erreicht seinen
Höhepunkt im achten Lebensjahrzehnt.
Die sogenannte Mortalität ist beim Pankreaskarzinom ausserordentlich hoch,
was bedeutet, dass nahezu alle Betroffenen an der Erkrankung sterben.
Unspezifische Symptome
Bei einer derart schlechten Prognose
wären Erkenntnisse über Ursachen und
Risikofaktoren des Bauchspeicheldrüsenkrebses besonders wertvoll, da sie
dazu beitragen könnten, der Erkrankung vorzubeugen. Leider ist die Lage
auch in diesem Bereich unerfreulich.
Einzig für das Rauchen und die chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse gibt es deutliche Hinweise auf
einen ursächlichen Zusammenhang mit
dem Pankreaskarzinom. Kontrovers diskutiert wird die Erhöhung des Risikos
durch übermässigen Alkoholkonsum
und Übergewicht, während starker Kaffeekonsum und fettreiche Ernährung
nicht mehr als Risikofaktoren gelten.
Wenn Vorbeugen kaum möglich ist,
wäre die Früherkennung umso wichtiger, da sie die Chancen auf Heilung wie
bei allen Krebsarten erhöht. Doch wird
die Diagnose selten in einem frühen Stadium gestellt, da der Bauchspeicheldrüsenkrebs sich lange Zeit nicht bemerkbar macht oder zunächst Symptome erzeugt, die «unspezifisch» sind, also bei
einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten können. Dazu gehören Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und eine schleichende Verschlechterung des Allgemeinzustands. Auch Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen kommen vor, allerdings kaum zu Beginn der Erkrankung.
Nicht selten weist eine Gelbsucht auf
ein Pankreaskarzinom hin. Sie kommt
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ZU DIESER MEDIZIN-SERIE
ni. ^ Die Beiträge dieser unregelmässig
erscheinenden Serie sollen jeweils einen
Überblick über die wichtigsten Aspekte
einer Krankheit geben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Behandlungsmöglichkeiten, wie sie die wissenschaftliche Medizin empfiehlt. Da bei jeder
Beurteilung auch patientenspezifische
Faktoren eine Rolle spielen, sollen diese
Beiträge das Gespräch mit dem eigenen
Arzt nicht ersetzen. Bereits erschienene
Artikel finden sich unter www.nzz.ch.
dadurch zustande, dass der Tumor
durch Kompression des Gallengangs
den Fluss der Galle behindert, die sich
daraufhin ins Blut zurückstaut und die
charakteristische Gelbfärbung der Haut
und der weissen Anteile des äusseren
Auges, der Skleren, erzeugt. Eine Gelbsucht weist darauf hin, dass der Tumor
im vorderen Teil der Bauchspeicheldrüse, dem Pankreaskopf, lokalisiert ist,
wo sich der Pankreas- und der Gallengang zu einem gemeinsamen Ausführgang vereinen. 80 Prozent der Pankreaskarzinome entstehen in diesem Bereich,
während die übrigen vom Pankreasschwanz ausgehen. Letztere erzeugen
gelegentlich diffuse Schmerzen im
Oberbauch, die in den Rücken ausstrahlen können. Mitunter manifestiert sich
die Erkrankung aber erst durch Symptome, die durch «Ableger» des Tumors
in anderen Organen verursacht werden.
Besteht Verdacht auf ein Pankreaskarzinom, bietet die moderne Medizin
eine Reihe von Verfahren zur Sicherung
oder zum Ausschluss der Diagnose.
Zeitlich an erster Stelle steht dabei häufig eine Ultraschalluntersuchung. Geht
es darum, die genaue Ausdehnung des
Tumors und eine allfällige Metastasenbildung in Leber, Lunge und Knochen,
zu beurteilen, ist die Computertomografie (CT) die Methode der Wahl. Verfahren wie die Endosonografie, die sogenannte ERCP oder die diagnostische
Laparoskopie liefern Bilder von innerhalb des Körpers und können die Planung einer Operation erleichtern. Ausserdem bieten sie teilweise die Möglichkeit, Gewebsproben zu entnehmen, deren Analyse relevante Informationen
im Hinblick auf therapeutische Entscheidungen liefern kann.
Operation und Chemotherapie
Aussicht auf Heilung besteht beim
Bauchspeicheldrüsenkrebs nur dann,
wenn der Tumor in einem frühen Stadium entdeckt wird, also weder in die
umliegenden Gefässe eingewachsen ist
noch Metastasen in anderen Organen
wie Leber oder Lunge gebildet hat. Ist
diese Voraussetzung gegeben, kann
eine Operation in kurativer Absicht erfolgen, also mit dem Ziel einer vollständigen Tumorentfernung. Liegt der Tumor im Pankreaskopf, wird eine sogenannte Whipple-Operation (oder davon abgewandelte Verfahren) vorgenommen. Es handelt sich um einen
komplexen Eingriff, bei dem neben
dem tumorbefallenen Teil der Bauchspeicheldrüse auch der Zwölffingerdarm, der Gallengang, die Gallenblase
und regionale Lymphknoten sowie in
manchen Fällen auch Teile des Magens
entfernt werden.
Nach der Operation wird in der
Regel eine Chemotherapie empfohlen,
da laut neuen Studien die Überlebenszeit dadurch verbessert wird. Bestrahlungen werden in Europa im Gegensatz
zu den USA nicht als Standardbehandlung vorgenommen, weil die Datenlage
dazu uneinheitlich ist und europäische
Studien keinen Überlebensvorteil gezeigt haben. Ob eine Chemotherapie
vor der Operation den Patienten einen
Nutzen bringt, ist noch ungewiss.
Meist ist aber bereits bei der Diagnosestellung klar, dass eine Heilung
nicht mehr möglich ist. Ziel ist in diesem
Fall, die Lebensqualität der Patienten in
der ihnen verbleibenden Zeit auf einem
möglichst hohen Niveau zu halten, was
auch als Palliation bezeichnet wird. Die
Chemotherapie steht dabei im Vordergrund, aber auch chirurgische Eingriffe
oder endoskopische Interventionen
sind häufig sinnvoll, beispielsweise,
wenn es darum geht, den verschlossenen Gallengang durch Einlage eines
röhrenartigen Drahtgeflechts («Stent»)
wieder durchgängig zu machen. Weitere
Fortschritte erhofft man sich vom Einsatz neuer Substanzen aus der Klasse
der Immunsuppressiva (mTOR-Inhibitoren) oder der monoklonalen Antikörper – ein therapeutischer Durchbruch,
den man Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs besonders wünschen würde, ist aber nicht in Sicht.
Bruno Kesseli ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und
Chefredaktor der «Schweizerischen Ärztezeitung».
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