Manuskript

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Musikstunde mit Jürgen Liebing
„Das Meer erglänzte weit hinaus“ Von Seefahrern, Stürmen und Sirenen (3)
Sendung: Mittwoch, 22. April 2009, 9.05 – 10.00 Uhr
Redaktion: Martin Roth
Manuskript
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SWR 2, Mittwoch, den 22.04.2009, 9.05 – 10.00 Uhr
Musikstunde mit Jürgen Liebing
„Das Meer erglänzte weit hinaus“ Von Seefahrern, Stürmen und Sirenen
Folge 3
MODERATION
„Das erste Abenteuer, das wir zu bestehen hatten und von welchem uns Kirke
geweissagt, erwartete uns am Eilande der Sirenen. Dieses sind sangreiche
Nymphen, die jedermann bezaubern, der auf ihr Lied horcht. Am grünen
Gestade sitzen sie und singen ihre Zauberlieder dem Vorüberfahrenden zu. Wer
sich zu ihnen hinüberlocken läßt, ist ein Kind des Todes, und man sieht
deswegen an ihrem Ufer moderndes Gebein genug umherliegen. Bei der Insel
dieser verführerischen Nymphen angekommen, hielt unser Schiff stille, denn der
Fahrwind, der uns bisher gelinde vorwärts getrieben, hörte mit einem mal auf zu
wehen, und das Gewässer schimmerte wie ein Spiegel. Meine Begleiter nahmen
die Segel von den Stangen, falteten sie zusammen, legten sie im Schiffe nieder
und setzten sich ans Ruder, um das Schiff so vorwärtszubringen. Ich aber
gedachte an das Wort, das Kirke, die mir dieses alles voraussagte, gesprochen
hatte. ‚Wenn du an die Insel der Sirenen kommst und ihr Gesang euch droht, so
verklebe die Ohren deiner Freunde mit Wachs, daß sie nichts hören; begehrst du
aber selbst ihr Lied zu vernehmen, so befiehl, daß man dich, an Händen und
Füßen gefesselt, an den Mast binde, und je sehnlicher du deine Freunde bittest,
dich loszubinden, desto fester sollen sie die Seile schnüren!‘“
So das Abenteuer des Odysseus in der Version von Gustav Schwab, festgehalten
in seinen „Sagen des Altertums“.
1)
CD Track 1
Josef Strauß
„Die Sirene“, Polka Mazur op.248
Slowakische Staatsphilharmonie
Ltg. Ernst Mäzendorfer
3‘19
3
MARCO POLO 8223619 LC 09158
MODERATION
„Daran dachte ich jetzt, zerschnitt eine große Wachsscheibe und knetete sie mit
meinen nervichten Fingern; das weiche Wachs strich ich sodann meinen
Reisegenossen in die Ohren. Sie aber banden mich auf mein Geheiß aufrecht
unten an den Mast; dann setzten sie sich wieder an die Ruder und trieben das
Fahrzeug getrost vorwärts. Als die Sirenen dieses heranschwimmen sahen,
standen sie in der Gestalt reizender Mägdlein am Ufer und stimmten mit
wundersüßer Kehle ihren hellen Gesang an, der also lautete:
‚Komm, preisvoller Odysseus, erhabener Ruhm der Achajer,
Lenke das Schiff ans Land, um unsere Stimme zu hören.
Denn noch ruderte keiner vorbei im dunkelen Schiffe,
Eh er aus unserem Munde die Honigstimme gehöret:
Jener sodann kehrt fröhlich zurück und mehreres wissend.
Denn wir wissen dir alles, wieviel in den Ebenen Trojas
Argos' Söhne und die Troer vom Rat der Götter geduldet,
Alles, was irgend geschah auf der vielernährenden Erde.‘“
Im Original ist bei Homer nicht die Rede davon, daß die Sirenen schön gewesen
seien. Ihre Verführungskraft lag allein in ihrer Stimme. Die äußerliche
Schönheit wurde ihnen erst später angedichtet. Was Odysseus über die Stimmen
zu sagen weiß, ist allerdings sehr rudimentär. Anmutig seien sie gewesen. Wie
aber auch soll man eine Stimme beschreiben, der niemand zu widerstehen
vermag und die bislang einzig Odysseus vernommen und dennoch überlebt hat.
Natürlich hat es die Komponisten gereizt, trotzdem zu versuchen, diese
Besonderheit Klang werden und das Verführerische Musik werden zu lassen.
Der Pole Karol Szymanowski hat 1915 einen dreiteiligen Klavierzyklus
komponiert, inspiriert durch Homers „Odyssee“. Das erste Stück beschreibt die
„Insel der Sirenen“ – ein orchestrales Stück, bei dem nicht zwei Notensysteme
ausreichen, um die Arpeggien, Triller und Tremoli zu fassen. Die
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kompositorische Freiheit erzeugt einen besonderen Sog. Aus dem Wogen des
Wassers erhebt sich der betörende Gesang der Sirenen.
2)
CD Track 7
Karol Szymanowksi
„L’île des sirènes“
aus: Métopes, op.29
7‘21
Piotr Anderszewski, Klavier
VIRGIN 5457302 LC 07873
MODERATION
In gewisser Weise ist es Blasphemie, den Gesang der Sirenen realisieren zu
wollen, denn gelänge es, dann würden wir ihm vielleicht alle verfallen, würden
Schiffbruch erleiden und zu Opfern der Sirenen werden. Gleichwohl ist es
verständlich, daß Künstler das Ideal anstreben, das nie erreichbare.
Auf den Bildern behelfen sich die Maler nicht selten, indem sie die Sirenen in
schöne, laszive Wesen verwandeln, deren erotische Ausstrahlung verlocken soll.
Der Komponist Claude Debussy übersetzt im letzten Stück seines dreiteiligen
Orchesterzyklus‘ „Nocturnes“ das Flirren der Wellen in mondheller Nacht in
einen flirrenden Gesang, der sich nicht fassen läßt, der immer wieder sich
entzieht, wenn man nach ihm greifen möchte. Der Gesang der Sirenen ist
wortlos, denn nicht das, was sie singen, verführt, sondern wie sie es singen.
3)
CD Track 4
Claude Debussy
„Sirènes“
aus: Nocturnes
Women’s voices of the Cleveland Orchestra Chorus
Cleveland Orchestra
Ltg. Vladimir Ashkenazy
DECCA 4174882 LC 00171
9‘57
5
MODERATION
Die Sirenen sind aber nicht die einzigen mythischen Wesen, denen die Männer
auf dem Meer begegnen und die ihnen gefährlich werden können. Da sind auch
noch Skylla und Charybdis. Auch diesen beiden Meerungeheuern ist Odysseus
begegnet. Die eine frißt alle auf, die ihr zu nahe kommen, die andere erzeugt
einen starken Sog, indem sie das Meer trinkt und so alle Schiffe, die in diese
Strömung geraten, rettungslos verloren sind.
Aber nicht alle trachten den Männern nach dem Leben. Es gibt auch die guten
Meerwesen, die Nymphen und Nereiden. Eine davon ist Amphitrite.
„Ich, die ich die Wogen lenke/ nach Laune und Lust, ich bin die Königin des
Meeres,/ vor der sich jeder Gott verneigt und niederwirft,/ der in der Tiefe des
Meeres wohnt./ Um vor euch mich zu verbeugen, königliches Brautpaar,/ steig‘
ich empor aus meinem tiefen, weiten Reich.“
So singt Amphitrite in einem Intermedium von Cristofano Malvezzi, komponiert
anläßlich der Hochzeit von Ferdinando de’Medici und Christine de Lorraine.
In der Nacht des 19. Oktobers 1587 starben der regierende Großherzog der
Toskana, Francesco de’Medici und seine Gattin Bianca. Sie starben aber keines
natürlichen Todes, sondern wurden vergiftet. Und es ging das Gerücht, das
hinter diesen meuchlerischen Morden niemand anderes als Bruder Ferdinando
steckte, der damals noch Kardinal war.
Zwei Jahre später gab er seinen Kardinalshut zurück und heiratete die
französische Prinzessin Christine von Lothringen, die er niemals zuvor gesehen
hatte. Aber den Medicis ging es beim Heiraten ohnehin nur um den Erhalt der
Macht, beziehungsweise um die Vergrößerung ihres Einflusses. Darin waren sie
wahre Meister.
Und als ob es galt, die schändliche Tat zwei Jahre zuvor mit Pomp und Gloria zu
kaschieren, damit niemand auf die Idee kommen sollte, hier würde etwas
verdeckt, wurde diese Hochzeit mit einem solchen Aufwand gefeiert, wie ihn
selbst das Haus Medici bis dahin nicht gekannt hatte.
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Aus allen Gewerken und allen Künsten wurden die Besten der Besten
angeheuert, nichts war zu viel für dieses besondere Spektakel. Mehr als acht
Monate dauerten die Vorbereitungen. Flugmaschinen, ein Schiff, feuerspeiende
Drachen, ein riesiger dreiköpfiger Luzifer und noch vieles mehr mußte von den
Handwerkern gefertigt werden.
4)
CD 2 Track 5
Cristofano Malvezzi
„Io che l’onde raffreno“
aus: „Le chant d’arion“
3‘03
Marie-Claude Vallin
Huelgas Ensemble
Ltg. Paul van Nevel
SONY 63362 LC 06868
MODERATION
Es ist kein Zufall, daß bei diesem pompösen Fest auch die Meergeister auftreten,
denn obwohl Florenz einige Kilometer landeinwärts liegt, verstand es sich doch
als eine Beherrscherin des Meeres. So verbeugte sich die Königin des Meeres
vor dem königlichen Brautpaar.
Lange Zeit war Venedig die unumstrittene Herrscherin über das Mittelmeer, und
auch dort wollte man sich das Meer gewogen machen, denn man wußte, daß
seine Kraft schrecklich und unberechenbar sein konnte.
Ob es im Jahr 997 oder im Jahr 1000 an Christi Himmelfahrt war, darüber wird
gestritten, aber an einem jener Tage stach der Doge Pietro II. Orseolo mit einer
Galeere in See, um die Städte an der dalmatischen Küste von Piraten zu
befreien. Damit begründete er die lang anhaltende Vorherrschaft Venedigs in
der Adria. Dieses Ereignis liefert den Ursprung für eine Zeremonie, die später
zum festen Bestandteil der venezianischen Feste werden sollte.
So wird am Himmelfahrtstag eine spirituelle Vermählung Venedigs mit dem
Meer gefeiert – die sposalizio del mare.
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Der Doge und viele andere fuhren mit Gondeln auf die Lagune, der Doge warf
bei der Vorbeifahrt am Lido einen gesegneten Ring ins Wasser und sagte die
Worte: „Disponsamus te, Mare, in signum veri perpetuique dominii.“
„Wir heiraten dich, Meer, zum Zeichen unserer wahren und beständigen
Herrschaft.“
5)
CD 1 Track 16
Anonymus
Imperiale prima
2‘23
King’s Consort
Ltg. Robert King
HYPERION 67048 LC 07533
MODERATION
Ein anonymer Beobachter dieser Vermählung im Jahr 1787 stellte fest: „Sie ist
vielleicht die einzige, welche dem Bräutigam keine schlummerlose Nacht
verursacht, und bleibt, ihrer oftmaligen Wiederholung ungeachtet, immer neu.
Wie theuer auch der Ring seyn mag, welchen der Doge seiner wasserblauen
Braut verehrt. So ist es doch immer weniger, als die Ruh, welche er wohl gar
seiner Frau aufopferte, und doch nun ohne ihre Protestation sich als Bräutigam
schmückt, vielleicht den einzigen schönen Tag seiner Ehe sich ins Gedächtniß
zurückzurufen.“
So selten ist die Vermählung zwischen Mensch und Meerwesen allerdings nicht.
Thetis ist eine der Nereiden, Tochter des Meergottes Nereus. Da ihr prophezeit
worden war, daß ihr Sohn stärker werden würde als der Vater, wollte Poseidon,
der Meeresgott, der eigentlich ein Auge auf sie geworfen hatte, sie nicht heiraten
und auch kein anderer Gott. So nahm sie den Menschen Peleus zum Gemahl.
Aber erst einmal wehrte sie sich mit allen Kräften, als sie von Peleus schlafend
in einer Höhle überwältigt wurde. Sie verwandelte sich in Feuer und Wasser, in
einen Löwen und eine Schlange, aber Peleus ließ sie nicht los.
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6)
CD Track 3
Georg Philipp Telemann
Ouvertüre „Wassermusik“
Bourée: die erwachende Thetis
2‘31
New London Consort
Ltg. Philip Pickett
DECCA 455621 LC 00171
MODERATION
Hier hat es Thetis nach Hamburg verschlagen, was kein Zufall ist, denn
Hamburg ist eine Hafenstadt und traditionell stark mit dem Meer verbunden.
Übrigens, der Sohn von Thetis und Peleus war Achill.
Es ist gewiß kein Zufall, daß gerade das Meer von weiblichen Wesen belebt
wird, sind doch diejenigen, die zur See fahren, fast ausschließlich Männer, und
die haben ihre Sehnsüchte und Phantasien.
Hatte Thetis sich anfänglich gegen die Hochzeit mit einem Menschen gewehrt,
so sehnen sich andere Wesen aus den Tiefen des Wassers geradezu danach, denn
wenn sie das Herz eines Menschen gewinnen können, erlangen sie eine Seele.
Dieses Märchen von Friedrich de la Motte-Fouqué hat zahlreiche Komponisten
inspiriert: E.T.A. Hoffmann und Albert Lortzing zu einer Oper und Carl
Reinecke zu einer Sonate für Flöte und Klavier. Im ersten Satz wird eine ruhige
Abendstimmung am Meeresgestade geschildert. Dann beginnt Undine ihre
Klage, und es erhebt sich ein Sturm.
9
7)
CD Track 1
Carl Reinecke
Sonate für Flöte und Klavier, op. 167
„Undine“
1.Satz: Allegro
5‘06
András Adorjan, Flöte
Christian Ivaldi, Klavier
TUDOR 792 LC 02365
MODERATION
Eine Seelenverwandte der Undine ist Melusine, der Felix Mendelssohn
Bartholdy eine Ouvertüre gewidmet hat. Namenlos bleibt das Wesen in Hans
Christian Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau, eines der wohl
traurigsten Märchen. Hans Zemlinsky hat diese Geschichte von der Seejungfrau,
die gern Mensch werden möchte, weil sie dann eine unsterbliche Seele bekäme,
zu einer großen symphonischen Dichtung inspiriert, die allerdings lange
vergessen war, nachdem der Komponist sie nach der Uraufführung
zurückgezogen hatte.
Zwar bekommt sie nicht den Prinzen, der heiratet eine andere. Aber weil sie ihn
nicht tötet, erhält sie doch eine unsterbliche Seele, denn die kann man auch
durch eine gute Tat erlangen.
Im ersten Satz wird beschrieben, wie das Schiff des Prinzen in einem Sturm
zerbirst. Die Seejungfrau rettet den Prinzen und bringt den Ohnmächtigen an
den Strand. Sie flieht, als eine Schar junger Mädchen gelaufen kommt. Vom
Wasser aus sieht sie, wie sich eines der Mädchen über den Prinzen beugt und
dieser ihm dankbar zulächelt. Traurig kehrt die Seejungfrau zum Meeresgrund
zurück.
Bevor wir ihr – zumindest musikalisch – auf den Meeresgrund folgen, hier noch
der Hinweis, daß wir morgen wieder auftauchen und uns dann in der Oper
wiederfinden werden, denn auch dort wogen die Wellen und tosen die Stürme.
10
8)
CD Track 3
Alexander Zemlinsky
„Die Seejungfrau“
3.Satz
Radio-Symphonie-Orchester Berlin
Ötg. Riccardo Chailly
DECCA 4174502 LC 00171
7‘30
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