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Renata Salecl
Das Schweigen des weiblichen Genießens
(aus: Der andere Schauplatz. Psychoanalyse – Kultur – Medien. Marie-Luise Angerer,
Henry R. Krips (Hsg.). Turia & Kant. Wien. 1994.)
Abstrakt
Die Sirenen, deren kodifiziertes Signal für die Menschen ein Zeichen für etwas ist, was sie
warnen, freuen oder erinnern soll, sind in der klassischen Mythologie ‚Lockvögel’ die
Seefahrer sterben lassen. An Odysseus lässt sich der Zusammenhang zwischen Realität die
sich nicht symbolisieren lässt, Begehren, Trieb und Genuss zeigen.
In diesem Zusammenhang lässt sich der Mensch und sein Sein in seinen verschiedenen
Rollen (als Subjekt, als Objekt, als Hysteriker, als Obsessioneller), sowie in seiner (in
gewisser Art und Weise ungewollten) Abhängigkeit von und in der Gesellschaft, von
Personen wie Freud, Lacan oder Kafka (re)interpretieren.
Schlagwörter
(Internet: www.google.at)
odysseus (--> www.mythologica.de)
trieb + begehren (--> www.antjeschrupp.de)
sigmund freud + libido (--> wwwm-ww.de)
lacan (--> www.skeptischeecke.de)
sirenen + schweigen
(--> http://gutenberg.spiegel.de/kafka/erzaehl/sirenen.htm)
Andreea Toma, 0303757
696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur
Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und
Kommunikationswissenschaften, Universität Wien, WS 2004/2005
Rezension
„Wenn wir den Ton einer Sirene hören, denken wir automatisch >Gefahr< ...“1 Dass
Sirenen uns Menschen auf etwas aufmerksam machen wollen, was auch immer das auch
sei, war von ihrer Erfindung an schon der Fall. Doch in der griechischen Mythologie
spielen sie eine ganz ‚besondere’ Rolle, die sich auf viele Umwege mit unserem Alltag
verbinden lassen. So wie viele Theoretiker der griechischen Mythologie Sirenen als eine
Herausforderung für die gesellschaftliche Struktur (vornehmlich für die Familienstruktur)
sahen, so haben später auch viele andere Personen (wie z.B.: Freud oder Kafka) einen
Bezug zur realen Wirklichkeit d.h.: einen Bezug zwischen unserem Sein und dieser
Mythologie, durch verschiedenste Interpretationen und Behauptungen geschaffen. Man
meint, dass diese Gefährdung der gesellschaftlichen Ordnung (allgemein gesagt),
vermutlich durch die Nähe der Sirenen an der Natur – und nicht der Kultur, sei. Die
Pädagogik könnte hier fragen: Ist etwas wirklich gefährlich ‚nur’ wenn es nicht kultiviert
ist? Ist es so gefährlich, dass es die gesellschaftliche Ordnung zerstören kann? Wo fängt
Kultur an? Wer bestimmt, wo sie anfängt?
Hierzu muss erwähnt werden, dass das Symbol eine wichtige Rolle spielt. Denn im Gesang
der Sirenen ist die Vergangenheit nicht symbolisiert und somit keine Erinnerung sondern
etwas zwischen Natur und Kultur. „Ein Zeichen ist eine materielle Erscheinung, der eine
Bedeutung zugeordnet worden ist“ 2 Somit kann also der Gesang der Sirenen mit keiner
Bedeutung verbunden werden – ist also für den Menschen traumatisch und gefährlich. Vor
allem aber ist etwas, was nicht symbolisierbar ist – auch nicht kultivierbar. Sobald der
Mensch jedoch dieses ‚etwas’ symbolisiert, stellt es keine Gefahr mehr für ihn dar.
In der Odyssee stellt sich also die große Frage, warum man nicht erfährt, was die Sirenen
eigentlich singen. Vielleicht, weil es um den Tod geht, und dieser unausgesprochen bleiben
muss? Oder „ ...weil die Odyssee selbst den Gesang der Sirenen verkörpert oder darstellt.“
1
Renata Salecl: Das Schweigen des weiblichen Genusses. In: Angerer, Marie-Luise / Krips, Henry P. (Hg).
Der andere Schauplatz. Psychoanalyse – Kultur – Medien. Wien. Turia & Kant 1994. S 51.
2
Burkart, Roland. Kommunikationswissenschaft. Wien–Köln–Weimar. Böhlau Verlag. 4. Auflage. 2002. S.
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3
? Die Erzählung erhält dadurch Konsistenz, dass genau der (entscheidende) Gesang
unausgesprochen bleiben muss. „Aus Lancanscher Perspektive ist dieser leere Punkt ein
anderer Name für das Reale, jener unsymbolisierbare Kern, um das herum das
Symbolische sich formiert.... er ist das Scheitern der Symbolisierung. ... jenes Reale, das
ausgelassen werden muss, damit die Geschichte der Odyssee Gestalt annehmen kann.“ 4
Doch warum soll man genau das Entscheidende auslassen? Hat diese Erzählung etwa nur
dadurch ihre erhabene Qualität bekommen? Aus der Sicht der Medien könnte man fragen:
Wollen die Menschen absichtlich einige Dinge (die sie sich vermutlich denken können,
oder sogar aber nur erraten können/wollen) nicht wissen? Wollen Menschen, absichtlich
im Ungewissen gelassen werden, weil sie nur so ein Gefühl der Befriedigung oder
Spannung erreichen?
Wenn man zurückkehrt zu dem ‚etwas’ was der Symbolisierung widersteht, so wird man
von Lancan und Freud zum Trieb und Begehren geführt (psychoanalytische Theorie).
Während das eine etwas nichtsdestotrotz tut was es genießt und eigentlich nicht möchte,
spürt das andere immer etwas verbotenes oder unerreichbares auf. Als Weiterführung
dieser Ideen, gelangt man durch das Begehren zum Subjekt der Identifizierung (der Suche
nach Ichidealen mit denen man sich identifizieren und zu einer Identität gelangen kann).
Aus der Sicht der Medien, wäre hier die Suche nach bestimmten Rollen, Mustern und
Verhaltensweisen z.B. im TV von Relevanz. Andererseits verbindet den Trieb auch immer
gleichzeitig ein Druck sowie ein Genuss. Hier lässt sich ein medienökonomischer
Zusammenhang verdeutlichen: Man ist z.B. dem Trieb des Mediengebrauchs einerseits
ausgesetzt und genießt es in vollen Zügen, andererseits weiß man auch, dass man es nicht
übertreiben sollte, weil unerwünschte Nebeneffekte auftreten können (z.B. Abhängigkeit).
Im Zusammenhang mit Begehren und Trieb steht auch die Rolle des Menschen als Subjekt
und Objekt. Es ist uns wichtig zu wissen wie und wo wir in der Gesellschaft stehen. Hierzu
benötigen wir heutzutage die Medien. Sie helfen uns herauszufinden wie wir sein können,
und wie wir nicht sein sollten. Der Trieb und das Begehren ist für die Medienpädagogik
genauso von Bedeutung, da es sehr eng im Zusammenhang mit der Wirkung der Medien
auf die Rezipienten steht. Genauso spielen die Menschen in der Rolle des Hysterikers
3
4
Salecl. 1994. S. 53.
Salecl. 1994. S 42.
sowie des Obesessionellen eine Rolle, da hier Medieninhalte zu höchst unterschiedlichsten
Zielen (Wirkungen) führen können.
Kafka interpretierte die Erzählung folgendermaßen: „Tatsächlich sangen, als Odysseus
kam, die gewaltigen Sängerinnen nicht,...“ 5 Haben sie nun gesungen, oder nicht? Wenn
nicht, warum nicht? Waren sie wirklich so fasziniert von Odysseus? Angenommen sie
haben geschwiegen: Schweigen ist eine uns alltäglich begegnende Realität. Doch ist
Schweigen nicht auch eine Art von Kommunikation und somit eine Kultur? Für Kulturen
gibt es doch bekanntlich keine Regelen – sie arbeiten mit den Momenten der Überraschung
und nicht der Wiederholung. Kann es nicht sein, dass das Schweigen eine ‚Überraschung’
sein sollte?
Weiters wird behauptet, dass die Sirenen sich in Odysseus wegen seiner Ahnungslosigkeit
verliebten. Doch war es wirklich die Ahnungslosigkeit, oder doch viel mehr seine Stärke?
Aus der Sozialisationsperspektive betrachtet: Odysseus wusste über die tödlichen Sirenen
und den Erfahrungen der anderen bescheid. Dadurch verlieh er sich selbst die Kraft und
die Kompetenz (auch wenn vielleicht nur unbewusst) gegen die Gefahr anzukämpfen,
wobei ein ‚Kampf’ nicht nötig war, weil seine (in den Augen der Sirenen) Selbstsicherheit
diese verstummen ließ.
Es könnte aber auch sehr leicht die kritische Beobachtung Odysseus gewesen sein, die den
Spieß plötzlich umdrehte: Was machen die Sirenen da eigentlich mit den Seefahrern? -->
Medienpädagogik: Was machen die Medien mit den Rezipienten? oder/und : Warum
sterben alle? Medienpädagogik: Warum beeinflussen Medien Rezipienten? Und: Was
singen die Sirenen da eigentlich? Dadurch, dass das niemand zuvor gemacht hatte,
wussten die Sirenen plötzlich nicht mehr, was sie singen sollten, oder ob sie überhaupt
singen sollten. Niemand beschäftigte sich weiter mit der Frage ‚Wie und warum wirkt ihr
Gesang?’ – es wurde als Tatsache hingenommen – die Ergebnisse (Tod) wurde so
stehengelassen. In der Wissenschaft/Forschung muss genau das vermieden werden:
Dadurch, dass Ergebnisse lange nicht in Frage gestellt wird, nicht erneuert werden, nicht
reflektiert werden, können sie von einem Augenblick auf den anderen ungültig (und/oder
altmodisch) sein – weil plötzlich eine überraschende Wende eingetroffen ist, mit der
niemand gerechnet hatte. Das kann auch peinliche werden oder schlimme Folgen haben.
5
Salecl. 1994. S 71.
Bei den Sirenen wurde der mechanisch-plausible Vorgang (auf Aktion folgt Reaktion)
unterbrochen (sozusagen zerstört). Es soll alles hinterfragt werden – nichts einfach so
stehen gelassen werden!
Zurück zu Odysseus, der (nach Kafka) nur glaubte, dass die Sirenen singen würden, sie es
aber eigentlich gar nicht taten. Odysseus war so sehr davon überzeugt dass sie singen
würden, dass er ihr Schweigen überhörte. Ist es nicht menschlich, dass wir von etwas ganz
selbstverständlich ausgehen, wenn wir es immer und immer wieder gehört haben, dass es
so ist? (Dazu ist ‚Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn – Täuschung - Verstehen’ von
Paul Watzlawick zu empfehlen). Es war sehr leicht für Odysseus sich den Gesang
einzubilden – denn er hatte ja nie was von einem Gegenteil gehört. Er hatte von
Erzählungen gehört, was vor sich geht – aber selbst, hatte er es noch nicht erlebt. Saint
Exupèry sagte einst: Wahrheit wird nicht von uns entdeckt, sondern erschaffen. Kann es
denn nicht sein, dass es gar nicht der Wahrheit entsprach, dass alle sterben würden, und
dass die Sirenen immerzu singen?
Klar ist, dass Odysseus sich mit einer kritischen Distanz auf dem Wege machte, die Macht
der Sirenen zu ergründen. Er war mit der Fähigkeit ausgestattet selbstkritisch mit dem
umzugehen, was passiert – was er sieht – was er hört – was er erlebt. Er entscheidet, ob er
sich diesem ‚Spiel’ aussetzt – und wie lange. Somit erlebt er die ‚andere Seite’ – die noch
unbekannt war, die er von anderen noch nie gehört hatte. Dieses medienpädagogisches
Programm, besonders heranwachsende Menschen als Autoritäten ihres Lebens kritisch mit
Medieninhalten umgehen zu lernen, ist und wird immer mehr von großer Bedeutung, da
die große Kluft zwischen medialer Wirklichkeit und realer Wirklichkeit einerseits wächst,
andererseits immer mehr (von Seiten der Medien) versucht sich so zu gestalten, dass der
Unterschied der zwei Welten kaum (oder absichtlich) übersehen wird. Somit kann es sein,
dass Odysseus seinen Weltblick erweitern konnte. Durch diese Erfahrung hat er gelernt, ab
jetzt mehr Dinge in seinem Leben in Frage zu stellen – nicht alles so hinzunehmen wie es
ihm geboten wird/erzählt wird.
Bibliographie
Burkart, Roland. Kommunikationswissenschaft. Wien–Köln–Weimar. Böhlau Verlag. 4.
Auflage. 2002.
Angerer, Marie-Luise / Krips, Henry P. (Hg). Das Schweigen des weiblichen Genießens.
Der andere Schauplatz. Psychoanalyse – Kultur – Medien. Wien. Turia & Kant 1994. S 5178
empfehlenswert:
Paul, Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen.
Piper Verlag. München. 2003.
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