Ein Turm für die Kunst Mit dem Wohngebäude und dem im Jahr 1995 errichteten Atelieranbau der Bauherrschaft bildet der neu errichtete dreigeschossige Atelierturm ein Ensemble in einer weiträumigen Gartenanlage in Darmstadt. Das Gebäude öffnet sich mit dem Eingang im Norden zum Wohnhaus hin und mit den beiden Obergeschossen nach Westen. Die Drehung der Ausrichtung bestimmt die Grundrisse und die Gebäudestruktur. Im Erdgeschoss ist die verglaste Nordfassade eingerückt, an der Westseite kragt das 2. Obergeschoss wie eine gläserne Kanzel aus. Rücksprung und Auskragung, Subtraktion und Addition entsprechen sich und geben dem Gebäude eine strukturelle Dynamik von unten nach oben. Die im Viertelkreis gewendelte Treppe leitet die Hauptbewegungsrichtung um, die ihr folgende gebogene Außenwand fügt den Turm in den Baumbestand ein. Das von Nordwesten aus schlanke Bauwerk erreicht erst auf der Westseite das durch den Bambusbestand schwer einsehbare volle Volumen. Die drei Gebäudeebenen sind entsprechend der Arbeitsschritte im Schaffen des Künstlers gestaltet und von unterschiedlichen Atmosphären geprägt. Die Raumgröße nimmt entsprechend den funktionalen Anforderungen von unten nach oben kontinuierlich zu. Im 2.Obergeschoss befindet sich der eigentliche Arbeitsraum mit seiner raumhoch verglasten Fassade – dem Ausguck nach Westen. In diesem durchaus „abgehobenen“, wie ein Baumhaus zurückgezogenen Raum entstehen die Zeichnungen und Bilder des Künstlers in einem von Sonnenlicht durchfluteten Raum. Im Sommer kann 5/2003 15 der auskragende Raumbereich mit über Eck laufenden raumhohen Schiebetüren geöffnet und als Terrasse genutzt werden. Die extrem schlanken Profile geben der gläsernen Kanzel eine minimierte vertikale Zeichnung. In der mittleren Ebene – dem Werkgeschoss – werden die kleinen Bildformate in mannsgroßen Rahmen zusammengefügt. Die Raumatmosphäre im 1. Obergeschoss ist vom hochgewachsenen Bambus vor dem Turm bestimmt, der als natürlicher Vorhang das Licht filtert. Im Erdgeschoss werden die Bilderrahmen gelagert. Auch dieser kleinste Raum ist aufgrund seiner raumhohen Verglasung vom fließenden Übergang zwischen Garten und Gebäude geprägt. Materialien Angesichts eines knappen Zeitrahmens und nicht zuletzt aus bauökologischen Gründen hat man sich für eine elementierte Bauweise – vornehmlich in Massivholz – entschieden. Der Bau fügt sich so nicht nur hinsichtlich seiner Gestaltung, sondern auch mit seiner Materialität in die Umgebung ein. Die Feinputzfassade unterstreicht den massiven und plastischen Charakter des Gebäudes. In den mehrlagig aufgetragenen Putz sind kalottenförmige Vertiefungen in regelmäßigen Abständen eingefräst. Mit ihrer minimalen aber seriell vervielfältigten Profilierung erhält die Gebäudehülle Tiefe und Plastizität. Die Textur ändert sich je nach Sonnenstand. Das hellgrüne Gebäude korrespondiert mit dem Licht- und Schattenspiel des umgebenden Blattwerks. Tragwerk Aus der Geometrie des Bauwerks ergibt sich die Notwendigkeit für leistungsfähige Wand- und Decken16 5/2003 Architektur elemente. Die Lastableitung der Konstruktion selbst, aber auch der Wind-, Schneeund für ein Atelier verhältnismäßig hohen Nutzlasten führt zu Beanspruchungen der Wände als Träger und der Decken als Scheiben. Da der Innenraum einschließlich der Treppenöffnungen völlig stützenfrei bleiben sollte, wurde für die wesentlichen Elemente Brettsperrholz gewählt. Die gebogene Wand wurde in einer leicht abgewandelten Holzrahmenbauweise konstruiert. Zur Abfangung der Wandlasten wurde in jedem Geschoss ein quer gebogener Brettschichtholzträger in die runde Wand integriert. Brettschichtholzträger wurden auch für die auskragende Brüstung im 1. Obergeschoss und den Überzug der Dachscheibe verwendet. Die Decken mit den großen Treppenlöchern und die Dachscheibe konnten nicht in einem Stück transportiert und montiert werden, so dass zur Herstellung der relativ großen Spannweiten eine Teilung mit Stoßkonstruktion notwendig wurde. Das ursprüngliche Konzept, diese Stöße auf der Baustelle zu verleimen, musste aufgrund der Witterung zum Montagezeitpunkt (November 2002) einer teilweise vorgeleimten und vor Ort dann geschraubten Lösung weichen. Grundriss EG 18 5/2003 Grundriss 1. OG Grundriss 2. OG minutiöse Vorbereitung der Montage. Stahlprofile wurden nur für die Leibungen der Treppenöffnungen, die Stützen im Fensterbereich des 1. Obergeschosses und die hochbeanspruchten Wandenden im Erdgeschoss eingesetzt. Die Fundamentierung erfolgte konventionell, allerdings unter der Maß- gabe, nur minimal in den wertvollen Grundstückscharakter einzugreifen. Der Atelierturm ist das Ergebnis einer ungewöhnlich engen und damit erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen einer aufgeschlossenen Bauherrschaft, den Architekten sowie den Tragwerksplanern und dem Zimmereibetrieb. ■ Projektdaten: Durch diese Konstruktion war es möglich, ohne Einschränkungen den Entwurf und insbesondere die völlig frei über Eck zu öffnende Kanzel zu realisieren. Die Randbedingungen aus dem parkähnlichen Grundstückscharakter in Verbindung mit der möglichst kurzen Bauzeit prägten die Architekten: Florian Krieger mit liquid planungsgemeinschaft dung radmacher schultz schulz Projektteam: Florian Krieger, Kerstin Schultz, Werner Schulz Florian Krieger Pankratiusstr. 71, 64289 Darmstadt, Tel: 0 61 51/ 98 11 74 e-mail: [email protected] liquid architekten Platz der Deutschen Einheit 21 64293 Darmstadt, Tel: 0 61 51 / 80 94-50, Fax: -56 e-mail: liquid_architekten@ t-online.de www.clickliquid.de Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Wagner Zeitter, Adolfsallee 57, 65185 Wiesbaden, Tel: 06 11 / 9 01 06-12, Fax: -13 www.wagner-zeitter.de Prüfstatik: Prof. Steinmetz, Ettlingen Zimmererarbeiten: Zimmerei Markus Knauer, Pfungstadt Brettsperrholz: Fa. Merk Holzbau, Aichach Glasbau: Fa. vitrocsa, Onnens (CH) Putzfassade: Fa. Plösser, Modautal Fotos: Thomas Ott, Darmstadt 5/2003 19