169 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien Vorbemerkung Wenn über die Behandlung und Rehabilitation von Menschen mit einer psychotischen Störung geschrieben oder diskutiert wird (wie auch bei der Betrachtung anderer psychischer Störungen), dann geht es in der Regel um die Abwägung der geeigneten Medikation, psychologischer Interventionen oder von Settingvariablen wie des geeigneten Behandlungsortes. In kaum einem Lehrbuch werden darüber hinaus gehende Faktoren erwähnt. Die Bedeutung unterschiedlicher Settings, wie im Rahmen stationärer, teilstationärer und ambulanter Angebote wird zwar zunehmend diskutiert, jedoch überwiegend unter ökonomischen Gesichtspunkten. Dass auch ein Setting in seiner Effektivität von der zugrunde liegenden Behandlungsstrategie und -philosophie sowie der Verfügbarkeit weiterführender Angebote abhängt, wird zu wenig berücksichtigt. Für diese Diskussion soll in diesem Abschnitt aufbauend auf die Darstellung der aktuellen interventionellen Möglichkeiten in anderen Teilen des Buches ein Diskussionsvorschlag unterbreitet werden. 10.1 Die Arbeit der Integration – das Selbstverständliche, das so schwer zu machen ist Entgegen der Erkenntnis, dass Behandlungs- und Beziehungskontinuität für die Therapie psychischer Störungen zentrale Bedeutung haben, insbesondere bei erhöhtem Risiko für einen chronischen Verlauf, müssen sich die Betroffenen in unserem Versorgungssystem ständig mit wechselnden Personen, Konzepten und Institutionen auseinandersetzen. Die Angebote sind nur selten aufeinander abgestimmt, die Kommunikation unterentwickelt, die Konzepte manchmal nicht kompatibel. Dies trifft sogar oft für die Binnenverhältnisse in Klini- ken oder größeren Institutionen zu. Banale, aber bedeutungsvolle Beispiele betreffen das Ausmaß an gewährter Autonomie (Ausgangsregelungen, Zwang), Intimität (Sexualität, Milieu), den Umgang mit den Angehörigen und der Familie (unerwünschte „Störer“, Gäste oder Beteiligte) u.v.a.m. Insbesondere die Patienten, als Betroffene in der schwächsten Ausgangsposition, müssen versuchen, eine individuelle Gesamtlogik des Prozesses für sich zu definieren. Sie müssen sich zu den Angeboten verhalten und widersprüchliche Botschaften zu Fragen des Krankheitskonzeptes, der besten Behandlungsstrategie und den Aussichten im Verlauf für sich bewerten. Dies wird für sie dazu noch in einer Situation notwendig, in der sie eigentlich Orientierungshilfen dringend brauchen, um die Erfahrungen der Krise in ihr Selbstkonzept zu integrieren, insbesondere wenn es eine tiefgreifende, existenzielle Krise ist. Die „Professionellen“ können von der realen therapeutischen Welt besser abstrahieren und sich individuell positionieren, beeinflusst durch ihren beruflichen Hintergrund mit den theoretischen Konzepten, ihre ständischen und ökonomischen Interessen. Dass unter diesen Bedingungen nur z. B. ca. 50% der Ersterkrankten nach dem stationären Krisenmanagement bei einem nachbehandelnden niedergelassenen Psychiater „ankommen“, kann nicht verwundern und hat nur bedingt mit mangelnder Kooperationsbereitschaft der Patienten und ihrer Familien zu tun. Die Regel in der psychosozialen Hilfe ist der Bruch, die Diskontinuität, der institutionell begründete Wechsel, eine Logik des Systems, in welcher der Patient manchmal eher der „Störer“ als der „Bestimmer“ ist. 10.1.1 Ebenen der Integration Die Ansatzpunkte und Interventionsformen in der Therapie Schizophrener sind vielfältig. Die Wirksamkeit von vielen Interventionen konnte für verschiedene Gruppen mittlerweile wissenschaftlich gut belegt werden (Krausz u. Naber 2000). Trotz- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Michael Krausz, Martin Lambert 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien Pharmakotherapie Psychoedukation Psychotherapie" " Familien- und Angehörigenarbeit Behandlungsphilosophie Abb. 10.1 Integrationsrechteck. 10.2 Wirksamkeit der Interventionen Die hier vorgeschlagenen Aspekte erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sind aber nach klinischer Erfahrung die vier Gesichtspunkte, die entscheidend zur Wirksamkeit verschiedener Interventionsstrategien beitragen. Diese sind: U die Beziehungsgestaltung, U das Behandlungssetting, U die vorhandenen oder mobilisierbaren therapeutischen Ressourcen, insbesondere die Qualifikation der Mitarbeiter und Teams, U die tragenden Behandlungsphilosophien. Wichtig ist, wie bei jedem Integrationsprozess, dass entscheidend für die Effektivität das Zusammenwirken ist, und dass es nicht eine Komponente gibt, die alle anderen dominiert. Die Abstimmung der Teilprozesse, das systemische Zusammenwirken bewirkt ein neues Ganzes, das über Einzelaspekte hinauswirkt. 10.2.1 Eckpunkte der Behandlung In den letzten Jahren wurde versucht, wichtige Eckpunkte der Behandlung schizophrener Patienten in sog. „Guidelines“ zusammenzufassen. Dazu zählen die APA-Richtlinien (APA 1997), die Schizophrenie Guidelines des National Institute for Clinical Excellence“ (NICE 2002) sowie die Australian Guidelines for Schizophrenia (McGorry et al. 2003). Folgende Eckpunkte der Behandlung schizophrener Patienten werden dort empfohlen: 1. Optimismus. Die Folgen der schizophrenen Erkrankung auf das Leben eines Individuums kann derart ausgeprägt sein, dass die Behandler dem Patienten eine möglichst große Unterstützung zukommen lassen sollten. Professionelle sollten da- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Dies hat z. B. im Bereich der Klassifikation die Entwicklung von Systemen deskriptiver Psychopathologie in der ICD-10 und dem DSM-IV notwendig gemacht, um überhaupt eine gemeinsame Basis des wissenschaftlichen Diskurses zu erhalten. Es erfordert also besondere Überlegungen, wie das Angebot an Interventionen zu einem wirksamen Therapieangebot für den Einzelnen zusammengefügt werden kann. Welches sind die wichtigsten Dimensionen der Integration verschiedener Ebenen psychiatrischen Handelns? Was beeinflusst die Interventionen in ihrer Wirksamkeit (Abb. 10.1)? Beziehungsgestaltung Qualifikation dem ist und bleibt es relativ zufällig, welcher Patient von welcher Maßnahme und welchem Setting profitiert. Aber gerade die Angemessenheit des individuellen Hilfsangebotes entscheidet darüber, ob eine Intervention zu einer Therapie wird und inwieweit sie zur Stabilisierung und Besserung des Zustandes beiträgt. Im Rahmen des „PersonalTherapy-Projekt“ hat Hogarty mit seinen Kollegen genau dieses intensiv untersucht (s.u.). Er betont z. B. die Bedeutung der individuellen Phase im Verlauf und der vorher gemachten Erfahrungen für das gesamte therapeutische Vorgehen. Warum ist es notwendig, den Punkt der Integration von Behandlungskonzepten separat und exponiert zum Thema zu machen? Integration reflektiert zuallererst die Tatsache der Diskontinuität, des Auseinanderfallens und der Polarisierung unterschiedlicher Aspekte der Therapie sowie des theoretischen Verständnisses, der Behandlungsphilosophie, die dem „therapeutischen Prozess“ zugrunde liegt. Soweit, dass es der Entwicklung abträglich ist und dem Betroffenen wichtige Teile wirksamer therapeutischer Intervention vorenthalten bleiben. Oder, bezogen auf die Theorie, einzelne Erscheinungen und Aspekte des Geschehens in unzutreffender Weise verallgemeinert werden und so ein verzerrtes Bild entsteht. Die Psychiatrie und insbesondere der Umgang mit den psychotischen Patienten ist in den letzten Jahrzehnten gekennzeichnet: U von einer starken Fragmentierung im Sinne einer wissenschaftlichen Lagerbildung, U von vielen Veränderungen und Fortschritten in verschiedenen Bereichen wie Pharmakotherapie, Psychotherapie, Milieu- und anderen Therapieformen und U von fortbestehenden theoretischen Defiziten und divergierenden ätiologischen Modellen. Setting 170 10.2 Wirksamkeit der Interventionen 2. Verbesserung der Früherkennung. Ein Großteil schizophrener Patienten ist für eine lange Dauer der Erkrankung unbehandelt. Angst, psychischer Stress oder Konfusion führen zur Schwierigkeit, sich frühzeitig in eine Behandlung zu begeben. Die Behandlung sollte so früh wie möglich beginnen („early intervention“). Die Therapie sollte leicht zu erreichen sein, und Behandler sollten versuchen, Menschen mit einer Psychose möglichst frühzeitig zu erkennen („early detection“). Patienten mit psychotischen Prodromalsymptomen sollten über mindestens zwei 2 Jahre begleitet und ggf. therapiert werden. Eckpunkte der Früherkennung sind (1) Fortbildung der in der primären Gesundheitsversorgung Tätigen (Hausärzte, Nervenärzte, Klinikärzte, Kinderärzte, Jugendhilfe, Schulen), (2) Aufklärung der Gesellschaft – Reduzierung der gesellschaftlichen Stigmatisierung, (3) Gemeinde-nahes, aktives Zugehen auf Menschen mit erhöhtem Psychoserisiko. 3. Reduzierung der Dauer der unbehandelten Psychose. Die Dauer der unbehandelten Psychose (DUP) sollte reduziert werden, da sie negative Auswirkungen auf eine Reihe von Faktoren hat, die für das Outcome der Schizophrenie mit entscheidend sind, u.a. (1) eine langsamere und möglicherweise nicht komplette Remission, (2) Verlust der Unterstützung durch Familie und Gesellschaft, (3) Unterbrechung der Ausbildung oder Arbeitstätigkeit, Arbeitslosigkeit, (4) erhöhte Gefahr von Zweiterkrankungen, v.a. Sucht und Depression, (5) erhöhte Suizidgefahr und (6) Gewalttätigkeit / Delinquenz. 4. Multifaktorielle Untersuchung. Aufgrund der hohen diagnostischen Instablität von ersterkrankten psychotischen Störungen (40–50% in den ersten 3–12 Monaten), sollte die diagnostische Abklärung anhand moderner operationalisierter Klassifikationen (ICD-10 oder DSM-IV) durchgeführt und wiederholt werden. Hierbei ist die Zusammenarbeit mit Familienmitgliedern und weiteren Bezugspersonen besonders wichtig, da Menschen mit einer Schizophrenie, v.a. zu Beginn, oftmals mangelnden Einblick in die Natur ihrer Erkrankung haben und darum geringfügige Veränderungen der Stimmung, des Verhaltens oder Denkens nicht erkennen. Daneben sollte schon zu Beginn der Behandlung ein besonderes Augenmerk auf individuelle Defizite und Schwierigkeiten des Patienten und dessen Familie gelegt werden. Hierbei sollte v.a. auf kognitive Störungen, die Persönlichkeits- struktur des Patienten, Schwierigkeiten im familiären System, auf soziale Fertigkeiten und die Identifikation von Stressfaktoren geachtet werden. Diese Analyse, v.a. auch psychodynamischer Aspekte, stellt die Grundlage für psychotherapeutische Interventionen im Rahmen des Behandlungsplans dar. 5. Kooperative partnerschaftliche Grundhaltung. Die Entwicklung von Selbstbefähigung und Autonomie unter Wahrung größtmöglicher Selbstbestimmung und Respekt vor der Individualität jedes Patienten sind Ziele für Behandler und Patient. Hierfür bedarf es der Bereitschaft und Ausdauer, einer kooperativen Grundhaltung und flexibler, bedürfnisangemessener, niedrigschwelliger, möglichst frühzeitiger und schnell verfügbarer sowie wenig stigmatisierender Behandlungssysteme. Sie sollten von Anfang an die Menschen des sozialen Kontextes der Betroffenen einbeziehen, Beziehungskontinuität für möglichst lange Zeit sicherstellen und stationäre Versorgung durch intensive ambulante bzw. teilstationäre Behandlung weitgehend ersetzen. 6. Behandlung vor Ort. In Abhängigkeit vom individuellen Risikoprofil sollte die Behandlung möglichst ambulant stattfinden. Hierzu sind mobile Kriseninterventionsteams zu implementieren, die eine Behandlung zu Hause anbieten können. Hilfe sollte so schnell wie möglich angeboten werden. 7. Bereitstellen von Information. Wissensvermittlung über die Erkrankung stellt einen wichtigen Baustein der Behandlung dar. Wissen u.a. über die Art der Erkrankung, Vorgehensweisen im Umgang mit der Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten sowie Arten der außerstationären Hilfe sollten vermittelt werden. Jeder Patient sollte damit auf mögliche Rückfälle vorbereitet und über Frühwarnzeichen und entsprechende Handlungsmöglichkeiten informiert werden. Ziel ist es, die Patienten und Angehörigen über die Krankheit aufzuklären, ihnen Wissen über Behandlungssysteme zu vermitteln und sie umfassend über außerstationäre Behandlungsangebote und Hilfsmöglichkeiten aufzuklären. So wird ein hohes Ausmaß an Selbstbestimmung im therapeutischen Prozess vermittelt. 8. Verständnis für psychosoziale Folgen verbessern. Die psychosozialen Effekte und Folgen der Schizophrenie bewirken bei vielen Patienten emotionale, soziale, familiäre, die Arbeit betreffende Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. hingehend in einer Atmosphäre von Hoffnung und Zuversicht als Partner arbeiten. 171 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien und finanzielle Probleme, die therapeutische Unterstützung notwendig machen. Der Behandler sollte dem Patienten helfen, mit seiner Umgebung unter Einschluss der persönlichen Beziehung, Arbeit und Lebensbedingungen und anderen Erfordernissen adäquat umzugehen. 9. Die Bedeutung des Gesamtbehandlungskontexts. Grundlegend bedeutsam ist der vorhandene Gesamtbehandlungskontext. Neuroleptische und psychosoziale Behandlungsformen stehen dabei nicht nur in einem additiven, sondern teilweise in einem komplementären Verhältnis zueinander. Ein haltendes und reizgeschütztes therapeutisches Milieu ermöglicht für die meisten schizophrenen Patienten eine Niedrigdosierung. Die neuroleptischen Dosierungen sind individuell sehr unterschiedlich, und die niedrigstmögliche Dosierung lässt sich nur dann finden, wenn ein therapeutisches Milieu zur Verfügung steht, in dem diese behutsamen Dosierungsstrategien praktiziert werden können. 10. Verbesserung der Behandlung. Mit folgenden Eckpunkten lässt sich die Behandlung schizophrener Patienten verbessern: U sofortige Hilfe (innerhalb von 24 Stunden) U kontinuierliche, langfristige psychotherapeutische und psychosoziale Behandlung U bedürnis-angepasste Flexibilität nach Ort, Zeit und Angebot U aufsuchende Behandlung (home-based treatment) U Einbeziehung des sozialen Kontextes U Integrationsfunktion für alle Behandlungsangebote U psychotherapeutische Grundhaltung U Akut- und Langzeit-Pharmakotherapie gemäß Effektivität, Verträglichkeit und subjektiver Akzeptanz (Niedrigdosierungsstrategien) U frühzeitige Erkennung und Behandlung von Sekundärerkrankungen bzw. Komplikationen (u.a. Depression, Suchterkrankung, Suizidalität, Therapieresistenz) 10.2.2 Die Beziehungsgestaltung Die Beziehungsgestaltung erfolgt selbstverständlich auf individueller, dyadischer oder Gruppenebene. Sie ist stark von verschiedenen situativen Faktoren beeinflusst. Trotzdem gibt es darüber hinaus meist informelle Regeln, die die Anforderung z. B. im Rahmen eines therapeutischen Teams an den therapeutischen Umgang in den einzelnen Beziehungen ausdrücken. Sie prägen das Stationsmi- lieu und das Geschehen ganz entscheidend mit, ohne dass sie in irgendeiner Weise expliziert oder reflektiert sind. In diesem Umgang mit Beziehungen ähneln therapeutische Teams Familien oder sozialen Netzen der Betroffenen. Auch die individuellen und Teampathologien werden so über Jahre transportiert, gegenseitig verdrängt oder auch toleriert. Sie sind teilweise in der Lage, ganze Teams nahezu handlungsunfähig zu machen oder auf einen Konflikt zu zentrieren, statt Kräfte auf die Unterstützung der Betroffenen zu konzentrieren. Für den behandelnden Psychiater ist es wichtig, eine unterstützende therapeutische Beziehung herzustellen, die die Basis der Behandlung darstellt. Dies ermöglicht dem Psychiater, essenzielle Information über den Patienten zu gewinnen und es erlaubt dem Patienten, Vertrauen in den Psychiater zu entwickeln ebenso wie den Wunsch, im Rahmen der Behandlung zu kooperieren. Soweit wie irgend möglich, sollte Kontinuität in der Behandlung mit demselben Psychiater über die Zeit hergestellt werden, um diesen Prozess zu unterstützen. Eine solche Beziehung erlaubt es dem Psychiater, über den Patienten mehr als einen Menschen in seiner Erfahrung im Rahmen der Erkrankung für diesen Menschen zu erfahren.“ Basismerkmale. Die Anforderungen an eine optimale therapeutische Beziehung differieren wahrscheinlich in Abhängigkeit vom „Bekenntnis“ des Befragten, die folgenden Basismerkmale sind besonders bedeutsam: U Eckpunkte der Behandlung, U die Erreichbarkeit des Therapeuten in mehrfachem Sinne, U Beziehungskontinuität und damit die Möglichkeit einer Entwicklung beider Beteiligter im Prozess, U eine akzeptierende, empathische Grundhaltung des Professionellen, U ein professioneller Rahmen mit der Möglichkeit der Fallbesprechung, Supervision und fachlichen Reflektion im Team. Was tragfähige und korrektive Beziehungen ausmacht, ist an anderer Stelle intensiv diskutiert und beschrieben worden (Yalom 1996; Grawe 1999). Wie kann in einem therapeutischen System Unterstützungsarbeit für eine korrektive Beziehungsarbeit geleistet werden? In welchen Fragen ermittelt sich eine grundlegende Beziehungsbotschaft an die Betroffenen? Therapeutische Beziehungen sind „unfreiwillig“ und aus der Sicht der Patienten erzwungen durch eine existenzielle Bedrohung und Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 172 Notsituation, aus Sicht der Profis aus der Aufgabe, bei der Bewältigung dieser Krise, zentrale Hilfestellung zu leisten. Wie kann der Prozess der Beziehungsgestaltung in therapeutischen Teams sowie in Einzelbeziehungen unterstützt und optimiert werden? 10.2.3 Behandlungssetting Der Rahmen des Behandlungssettings ist oft für die Gestaltung eines langfristigen therapeutischen Prozesses bedeutender als viele Einzelbeziehungen. Oftmals vergessen die Beteiligten, dass gerade Patientinnen und Patienten mit ihren Familien langfristige Hilfe und Unterstützung brauchen, aber ständigen Wechseln, teilweise sehr radikaler Art, ausgesetzt sind. Vergleicht man die vorherrschenden Behandlungssettings im psychosozialen Bereich, so sind für sie insbesondere ganz unterschiedliche Behandlungsphilosophien, Therapiebegriffe, Krankheitsmodelle u.a. typisch. Die Regeln der Beziehungsgestaltung im Rahmen einer geschlossenen Akutstation, einer Tagesklinik, der Einrichtung komplementären Wohnens oder beim niedergelassenen Nervenarzt werden mehr durch die institutionellen Vorgaben und „Sachzwänge“ bestimmt als durch Beziehungsgestaltung entsprechend den Bedürfnissen der Betroffenen. Wie ist es möglich, auf der Grundlage der Notwendigkeit unterschiedlicher Behandlungssettings, patientenorientierte Integration zu betreiben? Maximale Förderung der Behandlungskontinuität sollte jeder der Beteiligten im Sinn haben. Es kann nicht angehen, dass je nach Bettenlage oder Behandlungskapazität, langjährige Beziehungsprozesse unterbrochen werden und in derartig schwierigen Behandlungs- und Beziehungsprozessen die Frage der Belegung das führende Argument für die stationäre Behandlung eines Patienten ist. Dasselbe gilt während solcher Krisensituationen für die Nutzung ambulant entstandener Verbindungen. Professionelle Kommunikation und Dokumentation insbesondere auf der Grundlage der Beschreibung von mit den Patienten vereinbarten Behandlungszielen und deren langfristige Realisierung. Kurze, formalisierte Berichte reichen nur selten aus. In der Regel ist es wichtig, auch im Rahmen von Behandlungsnetzen und einer institutionalisierten Kooperation gemeinsam über Verlauf und Probleme zu sprechen und eine möglichst gemeinsame Sicht aller Beteiligter zu entwickeln. Behandlungsvereinbarungen, Krisenpläne, Präven- 173 tion: Die vorherige Bearbeitung von möglichen Extremsituationen und die Möglichkeit von Rückfällen kann auch durch entsprechende Vereinbarungen helfen, diese so gut wie möglich zu bewältigen. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Gesundheitsplanung und Gesundheitssystemforschung, das entstandene Versorgungsangebot zu optimieren und umzuorganisieren, letztendlich auszurichten an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen. Noch immer spielen die Finanzierungsmodalitäten und die unterschiedlichen Kostenträger für die Art des Angebotes eine größere Rolle als der Stand der Therapieforschung! Jeder Mensch und jedes soziale System verfügt über Mechanismen der Konfliktlösung und Problembewältigung – eigene Bewältigungsressourcen. Diese sind für den Ausgang z. B. psychotischer Krisen ganz essenziell und vielleicht wesentlich relevanter als die vorhandenen Defizite. Diese Ressourcen und Selbsthilfepotenziale zu mobilisieren und zu unterstützen, ist eine der wichtigsten Aufgaben therapeutischen Handelns. Aus der Fähigkeit, das therapeutisches System und das individuelle soziale Netz mit dessen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen, entsteht ganz maßgeblich die Option für ein individuelles Hilfesystem. Dieses individuelle Hilfesystem ist nicht identisch mit dem einen oder anderen System, sondern wird bestimmt durch die Möglichkeiten des Betroffenen, sich Ressourcen nutzbar zu machen und Regeln im individuellen Interesse zu interpretieren (Simon 1999). Wie dieser Prozess gefördert werden könnte: Ressourcenorientierung sollte eine substanzielle Grundlage therapeutischen Handelns sein. Es geht nicht nur um das Feststellen von Defiziten, sondern vielmehr um das Aufspüren von Möglichkeiten zur Bewältigung von Problemen. Dazu gilt es, in Zukunft geeignete Strategien zum Ausbau dieser Ressource zu entwickeln. Es ist notwendig, selbstverständlich nur nach Rücksprache und mit Erlaubnis des Patienten, auf die Bedürfnisse der Familie einzugehen und diese in die Behandlung einzubeziehen, ihre Bedürfnisse nach Unterstützung und Verständnis ebenso ernst zu nehmen wie die des Patienten. Dafür gilt es, ein breiteres Angebot zu entwickeln und in das bestehende therapeutische System zu implementieren. Angesichts der hohen Effektivität von Familienintervention ist ihre Vernachlässigung in allen Bereichen ein strukturelles Versäumnis. Man muss Hilfe zum Thema machen, indem man im Rahmen von individuellen oder Familien- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 10.2 Wirksamkeit der Interventionen 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien angeboten über die Möglichkeiten des individuellen Hilfesystems reflektiert und versucht diese zu definieren. Es ist substanziell, den Betroffenen die Navigation im Hilfesystem zu erleichtern und ihnen auf dieser Grundlage auch eine Entscheidung zu ermöglichen bzw. die Entscheidung offen mit ihnen zu diskutieren. Die mangelnde Strukturierung dieses Prozesses ist häufig der Grund, warum Behandlungen abgebrochen werden oder frühzeitige Kriseninterventionen scheitern. 10.2.4 Ressourcen und Qualifikation des therapeutischen Teams Der Auftrag muss von Seiten des Teams im Rahmen der Hierarchie in einer gemeinsamen Therapieplanung definiert und zusammen mit Patienten und Angehörigen erarbeitet werden. Ohne klare Zielformulierung und deren ständige Präzisierung und Dokumentation im Rahmen des Behandlungsprozesses besteht die Gefahr, dass Belastung und Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu starke vordergründige Bedeutung im Gesamtprozess bekommen. Aufgabe von Therapien ist aber nicht Selbsterfahrung, sondern die Ermöglichung korrektiver Beziehungserfahrungen für die Betroffenen! Qualifikation ist die Grundlage, um verallgemeinerbare Prozesse, Anforderungen und Gesetzmäßigkeiten im therapeutischen Prozess zu erkennen, sich darauf einzustellen und Risiken zu vermeiden. Es gilt, durch klinische Erfahrung zu erlernende und zu vermittelnde wiederkehrende Aspekte, die ohne das notwendige theoretische und klinische Wissen sehr belastend und vollständig blockierend sein können, zu erkennen und zu nutzen. Schließlich sind Beziehungen auch die Grundlage von Botschaften und man muss erwarten können, dass Mitarbeitern im therapeutischen System die Systematik psychischer Prozesse und ihre Gesetzmäßigkeiten vertraut sind. Diese Qualifikation wird nicht nur im Rahmen von Berufsausbildungen vermittelt. Entscheidend ist vielmehr die Vermittlung der Erfahrung in den einzelnen Teams im Rahmen der beruflichen Sozialisation. Trotz allen Wissens und aller klinischer Erfahrung wirken in therapeutischen Beziehungen vielfache gruppendynamische, teamdynamische oder systemische Prozesse, oft vorbewusst bzw. nicht reflektiert, die nur durch eine qualifizierte Leitung und evtl. mit systematischer Hilfe externer Supervisoren erkannt und bearbeitet werden können. Dieses kann sowohl intern im Rahmen von Visiten, Fallbesprechungen oder Therapiekonferenzen, aber auch im Rahmen externer Supervision und Besprechungen erfolgen. Qualitätsstandards können insbesondere jüngeren und unerfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Orientierung erleichtern und die Auseinandersetzung über konkrete Fragen den Umgang versachlichen. Es gibt erstaunlicherweise sehr selten in therapeutischen Teams solche expliziten Qualitätsstandards, was mit der Tatsache zusammenhängt, dass es zwar im psychosozialen Bereich anerkannt ist, dass Beziehungsarbeit einer der wichtigsten Aspekte psychiatrischen Handelns ist, aber kein wirklicher Konsens über eine optimale Beziehungsgestaltung vorhanden ist. Gelingt es in Institutionen, hier einen Konsens zu entwickeln und diesen im Rahmen von therapeutischen Konzepten den Patienten zu vermitteln, womöglich im Rahmen von therapeutischen Dokumenten, Selbstdarstellungen, Arztbriefen, ist dies eine außerordentlich effektive und wichtige Grundlage des Zusammenführens verschiedener Interventionsstrategien zu einem wirkungsvollen integrierten Behandlungskonzept. 10.3 Behandlungsphilosophien – hochwirksam aber unausgesprochen? Die Behandlungsphilosophie spiegelt das Niveau des Angebotes und seine therapeutische Gesamtqualität umfassend wider, darum wird sie als Basis integrativer Konzepte gesehen. Die Behandlungsphilosophie ist nichts Exotisches oder auf die Psychiatrie und Psychotherapie Beschränktes, sondern, ob bewusst implementiert oder unreflektiert entwickelt, Teil jeder Versorgungsinstitution und jedes Behandlungsangebotes. Die damit verbundenen Aspekte charakterisieren die Qualität und Ausrichtung der Angebote (Tab. 10.1). Die Orientierung eines Behandlungsangebotes und seine allgemeinen Grundwerte drücken sich in dem Begriff des „Behandlungsmilieus“ aus. Im Rahmen der Diskussionen der 70er- und 80er-Jahre war dafür auch teilweise das Stichwort der „Milieutherapie“ eingeführt worden, ohne dass die Auswirkung bestimmter Milieufaktoren näher untersucht worden wären. Behandlungsmilieus spiegeln im weitesten Sinne die räumlichen, beziehungsmäßigen und strukturellen Aspekte eines Angebotes wider. Es wurden sogar auf der Grund- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 174 Tabelle 10.1 Aspekte der Behandlungsphilosophie Behandlungsmilieu Pathologisierung versus Normalisierung Beziehungsgestaltung Erreichbarkeit, Kontinuität, Akzeptanz Umfeld und Kontextdefinition Außenorientierung versus Ersatzrealität Umgang mit Krisen notwendige Entwicklungsoptionen Umgang mit Grenzen Grenzen als Lernfeld lage einer sehr hohen Gewichtung des Behandlungsmilieus ganze Therapiekonzepte entworfen und realisiert, allen voran die Soteria-Einrichtungen in den USA und der Schweiz (Mosher u. Burti 1994; Ciompi 1984; Kap. 9.3.2). Aber auch gegenteilige Beispiele sind aus der Geschichte der Psychiatrie bekannt. So sind die Mehrbettenzimmer der kustodialen Psychiatrie und die riesengroßen Krankenhäuser, wie sie noch heute die Psychiatrie vieler Länder kennzeichnen, beredter Ausdruck eines antiquierten Denkens in der Psychiatrie, ohne Intimität, ohne Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten gerade in den Situationen höchster seelischer Not, Angst und Verzweiflung. 10.3.1 Behandlung in einer Ersatzrealität oder im „wirklichen Leben“? Was für die Beziehungsgestaltung (Kap. 10.2.1) gilt, trifft auch für die Behandlungsphilosophie als Ganzes zu: Sie ist in ihre Einbettung in Umfeld und Kontext eingebettet. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Behandlung an dem Prozess der Reintegration und Rehabilitation orientiert ist und auch Phasen der guten Krisenintervention als kurze Episoden in einem langfristigen Gesamtprozess sieht, oder inwieweit sie – wie insbesondere in der früheren Psychiatrie – Ersatzrealitäten außerhalb des „wirklichen Lebens“ schafft. Auch heute noch gibt es eine ganze Reihe von therapeutischen Settings und Konzepten, die darauf aufbauen, die Betroffenen aus ihren Lebenszusammenhängen herauszunehmen und sie über Wochen, Monate und manchmal sogar Jahre in Institutionen fern der eigentlichen Beziehungsrealität der Betroffenen unterzubringen. Psychiatrische Großkrankenhäuser waren früher das Beispiel par excellence. Insbesondere um die Umwelt vor den psychisch Kranken zu schützen, wurden sie teilweise lebenslang in Großkliniken jenseits der Le- 175 bensräume untergebracht, ohne jeden Anspruch auf Reintegration. In der Suchttherapie ist es heute noch so, dass oft langfristige Entwöhnungstherapien jenseits der individuellen Lebensrealität der Abhängigen auf dem Land durchgeführt werden. Die Frage, welche Rolle das Leben davor und danach in der Therapie spielen und im Rahmen der Therapie präsent ist, ist eine ganz entscheidende für die Ausgestaltung einer Behandlungsphilosophie. Das betrifft außer dem allgemeinen Setting auch die Einbeziehung auf Interventionsebene. Wird Arbeit thematisiert, gibt es spezifische Überlegungen zur „konkreten Problemlösung“ im Sinne der Ordnung der Wohnsituation, der finanziellen Situation, eventuell der Schuldenberatung, der Wiedervorbereitung auf ein Leben außerhalb von psychosozialen Institutionen? Die ökonomische Trennung von Krankenversicherung und Rehabilitationssystem, getragen durch die Rentenversicherungsträger, ist in vielerlei Hinsicht ein Stolperstein für die notwendige Verbindung der verschiedenen Prozesse. Der Ansatzpunkt in der Behandlungsphilosophie kann in einer hohen Gewichtung von reintegrierenden Maßnahmen und ihrem Beginn schon in der Akutphase liegen. Gerade chronische Prozesse mit häufigen Rückfällen lassen eine Herauslösung aus dem Lebenskontext als nicht sinnvoll erscheinen. Die Hilfe sollte dort erfolgen, wo die größtmögliche Nähe zum eigenen Lebensbezug und zum konkreten individuellen Lebensfeld gegeben ist. 10.3.2 Umgang mit Krisen Krisen sind das Bindeglied zwischen Biographie und Hilfesystem. Der Umgang mit Krisen entscheidet über das Verhältnis z. B. zur Psychiatrie, die Bereitschaft zur Kooperation und die Fähigkeit, sich der Hilfe zu bedienen, die eigene Autonomie dadurch zu stärken und nicht die Psychiatrie zu fürchten. Sie sind also ein zentrales Element des Prozesses. Das chinesische Schriftzeichen für Krise macht die Zweiseitigkeit etymologisch deutlich, es besteht einerseits aus einem Zeichen für Risiko und andererseits einem Zeichen für Chance. In dem Umgang mit Krisen und Rückfällen dokumentiert sich die Sichtweise von Behandlungsteams. Wird dem Betroffenen und seiner Umgebung die Möglichkeit zur eigenen Erfahrung eingeräumt oder werden Entscheidungen gegen die Empfehlung der therapeutischen Teams sanktioniert? Wird eine Krise zu einer Niederlage oder zu einem Neuanfang? Über diese Fragen entscheidet Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 10.3 Behandlungsphilosophien – hochwirksam aber unausgesprochen? 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien das Verhalten der Teams mit. Es geht dabei nicht um die einzelne Begegnung oder die konkrete Entscheidung in einem Krisenfall, sondern um eine Grundhaltung, die das Lernen fördert und Niederlagen, Rückfälle oder Fehler nicht „bestraft“. Was z. B. in der Suchtbehandlung ein zentraler Aspekt auch der langfristigen Behandlung ist – der Umgang mit Rückfällen und Krisensituationen –, hat auch für andere langfristige und chronische Prozesse Beispielcharakter. Krisen und Rückfälle sind notwendiger Bestandteil jedes langfristigen Heilungsprozesses im Bereich seelischer Erkrankungen: Gelingt es, sie zu integrieren und nutzbar zu machen oder steht man mit Unverständnis davor? Die Medizin und insbesondere die Psychiatrie sind mit Extremen, dem Umgang mit Grenzsituationen, konfrontiert. Für viele der Betroffenen und ihrer Familien geht es um existenzielle Krisen und nicht nur um überschaubare Problembereiche. Diese können zu allen vorstellbaren Verhaltensweisen beitragen oder führen, z. B. im Bereich von Aufnahmestationen oder bei Notfalleinsätzen ambulanter Dienste. Aber auch in der normalen Behandlung tauchen immer wieder Krisensituationen auf, die z. B. mit Gewalt gegen sich oder andere verbunden sind. Ungefähr 2–10% der Patienten werden gegen ihren Willen aufgenommen, eingewiesen oder behandelt. Wird dies thematisiert? Wie ist es möglich, solche alle belastenden Extremsituationen in Behandlungskonzepte zu integrieren und aus den daraus resultierenden Erfahrungen zu lernen? Selbstverständlich ist es notwendig, wenn auch schwierig, in jeder Institution z. B. Grenzen zu definieren, Gewalt zu verhindern und Extremsituationen vorzubeugen. Es sind zur Entschärfung solcher Krisen und Grenzsituationen ausreichend personelle Voraussetzungen, Räume und eine entsprechende Qualifikation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bzw. der Gesamtteams erforderlich. Lernen die Teams genauso wie die Patientinnen und Patienten, die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen oder werden sie ständig überfordert? 10.4 Modelle integrativer Schizophreniebehandlung 10.4.1 Personal Therapy Project Bei der Entwicklung einer individuellen Therapieplanung gehen Hogarty und Kollegen davon aus, dass die Ineffektivität traditioneller Psychotherapien bei schizophrenen Patienten durch zentrale Faktoren mit verursacht wurde, die oft unberücksichtigt bleiben oder unterschätzt werden. Dies sind z. B. das Medikamentenmanagement, die Absicherung der Wohnbedingungen und der sozialen Situation sowie die notwendige Langfristigkeit der Behandlung. Kontinuierliche Medikation Von zentraler Bedeutung ist für diese Arbeitsgruppe die Notwendigkeit einer kontinuierlichen antipsychotischen Medikation. Und es ist von großer Bedeutung, die schizophrenen Patienten darüber aufzuklären bzw. den Bedarf mit ihnen zu diskutieren. Die Betroffenen sollen in die Lage versetzt werden, die Effekte der Neuroleptikatherapie selbst zu erkennen und zu steuern. Ausführlich belegt ist die Pharmakotherapie als Voraussetzung für eine erfolgreiche psychosoziale Therapie (Grinspoon u. Greenblatt 1963; Pearlin u. Schooler 1978; Hogarty et al. 1987), doch werden sich Patienten den interpersonalen Interventionen nur zuwenden, wenn die antipsychotischen Medikation sie affektiv und kognitiv nicht beeinträchtigt. Die Integration von Psychotherapie und Psychopharmakologie erfordert eine hohe Sensitivität für das Potenzial antipsychotischer Medikation bei allen Beteiligten. Dies gilt noch mehr vor dem Hintergrund der neuen Generation von Antipsychotika mit verminderten Nebenwirkungen und deutlich positiven Effekten auf Kognition, Lebensqualität und Antrieb. Der Personal-Therapy-Ansatz (PT) fokussiert vor allem auf 3 Bereiche: U die Verwirklichung krankheitsspezifischer, praktischer Hilfen, U die stufenweise, individuell abgestimmte Gestaltung von Interventionen und U die Berücksichtigung der zentralen Bedeutung der Affektdysregulation. Die Ausgangsannahme ist, dass die Schizophrenie eine Erkrankung basaler und sozialer Kognitionen ist (Nuechterlein u. Dawson 1984; Hogarty u. Flesher 1992), bei der Einschränkungen der Aufmerksamkeit und assoziierte Probleme der Informationsverarbeitung, des Arbeitsgedächtnisses, der Motivation und der sozialen Intelligenz den theoretischen Prämissen der traditionellen introspektiven Psychotherapieverfahren entgegenstehen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 176 Welches Vorgehen induziert Rückfälle? Hogarty geht davon aus, dass PT – wie die früher getestete effektive Familienbehandlung (Hogarty u. Anderson 1986) – stufenweise aufgebaut werden muss; es erfolgt eine schrittweise Einführung spezialisierter Techniken, angepasst an den Stand der Erholung des Patienten. Eine sorgfältige Reevaluation der vorherigen Versuche seiner Arbeitsgruppe und anderer über individuelle psychosoziale Herangehensweisen zur Behandlung Schizophrener führte zur Beobachtung, dass ein undifferenziertes und aggressives Herangehen in den ersten 6 Monaten der Erholung nach einer schizophrenen Episode manchmal Rückfälle provozierte (Hogarty et al. 1973; Hogarty et al. 1974; Goldberg et al. 1977). Diese Resultate waren vergleichbar mit anderen intensiven Versuchen der Rehabilitation, die Rückfällen bei vulnerablen ambulanten Patienten in den ersten 6 Monaten induzierten oder die längerandauernde positive Symptome bei chronisch stationären Patienten miterzeugten (Wing u. Brown 1970). Spätere Studien belegten die Bedeutung schlecht geplanter und terminierter Intervention, sowohl bei entlassenen Patienten, die in anspruchsvolle Nachsorgeeinrichtungen wechselten (Lin u. Kanter 1980), als auch bei schizophrenen Patienten, die früh in der Wiederherstellungsphase in dynamische Tagesklinikprogramme wechselten (Lin et al. 1979). Ebenso wurden Teilnehmer an dem Familienpsychoedukations- und Social-SkillProgramm rückfällig, nachdem sie den Schutz des „therapeutischen Regenschirms“ verlassen hatten (Hogarty et al. 1991). Daraus resultiert die interessante Frage: Welche Kriterien gibt es für geeignete Zeitpunkte therapeutischer Intervention, Entlassungen, Wechsel in andere Behandlungsprogramme, gerade wenn es keine einheitlichen Zielsetzungen gibt? Personal-Therapy-Konzept Die PT ist konzeptualisiert als eine Antwort auf die inneren Ursachen affektiver Dysregulation, definiert als der Verlust der Kontrolle oder Regulation von Emotionen. Die PT war entwickelt worden, um Patienten mit adaptiven Strategien zur Selbstkontrolle ihrer Affekte auszustatten, einer äußerst wichtigen subjektiven Erfahrung, unabhängig von spezifischen Situationen und Ereignissen. In der Entwicklung von PT wird nicht versucht, Affekte zu „behandeln“ oder auszulöschen, vielmehr geht es darum, Kontrolle über einen Prozess zu gewinnen, in dem eskalierende Affekte zu spontanen, dys- 177 funktionalen Verhaltensweisen, inklusive psychotischer Symptome, führen. Die PT versucht, die Sensitivität der Patienten für die Stufen und die Fortschritte der Stabilisierung zu verbessern. Im Verlauf der Behandlung stellt die PT dem aktuellen klinischen Status der Patienten angemessene Coping-Strategien bereit, die die persönliche Vulnerabilität für Stress vermindern sollen. Ein Zugewinn an Klarheit während der PT basiert auch auf traditionellen verhaltenstherapeutischen Techniken, wie Rollenspiel, Feedback, praktischen Übungen und Hausaufgaben. Trotzdem basiert die PT nicht auf deterministischen Annahmen der Ich-Psychologie und Verhaltenspsychologie. So geht z. B. PT im engen Sinne nicht davon aus, dass Erschütterungen des affektiven Status notwendigerweise und vorhersagbar Verhaltensänderungen bedingen oder umgekehrt. Vielmehr werden der subjektive Status und das soziale Verhalten als interaktive und sich gegenseitig verstärkende Prozesse gesehen. Das ist eine Sichtweise ähnlich der aktuellen Theorie der Bidirektionalität, wie sie im Verhältnis von Gehirn und Verhalten diskutiert wird (Sperry 1995). Auch ohne alle Annahmen der Modellbildung und Psychopathologie zu teilen, birgt der Ansatz von Hogarty eine ganze Reihe wertvoller klinischer und wissenschaftlicher Anregungen und öffnet möglicherweise neue Richtungen der Schizophrenieforschung. 10.4.2 Klinik in Turku Im Rahmen des Projektes in Turku (Finnland) unter Leitung von Y. Alanen (1998) gestalteten sich die Stationen in der Klinik als „psychotherapeutische Gemeinschaften“ (positive Änderung des Stationsmilieus) auf der Grundlage einer gemeinsamen psychotherapeutischen Haltung. Eine berufsgruppenübergreifende aktive Teilnahme an der psychotherapeutischen Arbeit wurde möglich durch die hierarchische Unterstützung sowie durch begleitende Supervisionen und Fortbildungen, um eine individuelle „Bezugstherapie“ zu gewährleisten. Der Schwerpunkt der psychotherapeutischen Arbeit liegt dabei in der Einzeltherapie und in familienzentrierten Aktivitäten. Stationsversammlungen lösten die üblichen Visiten ab. Die Pharmakotherapie fokussiert auf die subjektive Verträglichkeit, ein wichtiges Ziel ist eine Behandlungskontinuität auch nach Entlassung aus der Klinik. Um den oftmals traumatisierenden Erstkontakt ersterkrankter psychotischer Menschen mit der Institution Psychiatrie als Klinik zu verhindern, ent- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 10.4 Modelle integrativer Schizophreniebehandlung 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien wickelten sich in Finnland in jedem Versorgungsbezirk „Akute-Psychose-Teams“, die mit den psychiatrischen Kliniken zusammenarbeiten. Sie bestehen aus 3–4 Mitgliedern (Psychiater/Psychologe und Pflegepersonal), wobei mindestens 1 Teammitglied eine familientherapeutische Ausbildung haben sollte. Viele ersterkrankte Psychotiker kontaktieren initial ihren Hausarzt, der im Rahmen eines Aufklärungsprojektes über die Teams informiert ist. Über Hausbesuche findet dann der Erstkontakt als therapeutisches Treffen statt. Wird diese Krisenintervention über die nächsten Tage fortgesetzt, kann oftmals eine stationäre Aufnahme vermieden werden. Ist eine stationäre Therapie nötig, so begleitet mindestens ein Mitglied des Teams den Patienten in die Klinik, nimmt an den ersten therapeutischen Gesprächen teil und setzt so die begonnenen familienzentrierten Aktivitäten fort. Dieses Konzept wird selbstverständlich auch bei Patienten mit bereits mehreren psychotischen Episoden eingesetzt. Anfang der 80er-Jahre wurde immer deutlicher, dass für eine bedürfnisangepasste Behandlung eines psychotisch erkrankten Menschen die Kontaktaufnahme und -haltung zur Familie bzw. zum persönlichen Beziehungssystems des Patienten essenziell ist, insbesondere für den weiteren Verlauf der schizophrenen Störung. Die erste Therapieversammlung sollte in den ersten 5 Tagen der stationären Behandlung stattfinden, wobei sich in vielen Fällen eine Fortführung im Rahmen einer systemisch orientierten Familientherapie anschließt. Dies gilt insbesondere für ersterkrankte Menschen mit schizophrenen Störungen, führt aber auch bei bereits erkrankten Menschen zu eindrücklichen therapeutischen Ergebnissen. Die Regression des Patienten wird durch das Ansprechen der erwachsenen Seite des Patienten in Form der Gleichwertigkeit der Kommunikation zwischen allen Beteiligten dieser Meetings deutlich vermindert. Der Therapeut erhält Informationen über die mit dem Ausbruch der Störung verbundenen Faktoren, über die Familiendynamik und damit auch über weitere therapeutische Erfordernisse. Zudem wird die Hospitalisierungszeit durch die frühe Einbindung der „Peer Group“ erheblich reduziert. 10.4.3 Personenzentrierte settingübergreifende integrative Schizophrenietherapie (PERSIST) Auch im Rahmen eines Behandlungszentrums wie der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg- Eppendorf wurde und wird den differenzierten Bedürfnissen und unterschiedlichen Gruppen von Patientinnen und Patienten im Verlauf zu wenig Rechnung getragen; die Schwerpunkte der klinischen Arbeit sind zu wenig aufeinander abgestimmt. Dabei ist es naheliegend, entsprechend der Fähigkeiten und Bedürfnisse schizophrener Patienten sowie ihrer Angehörigen im Verlauf differenzierter vorzugehen und sowohl ein höheres Maß an Kontinuität in der Beziehung als auch eine bessere Vernetzung der Hilfsangebote anzustreben. Auf dieser Grundlage wurde begonnen, mit einer Vielzahl von Maßnahmen und Ansätzen die Vernetzung des Behandlungsangebotes zu verbessern und dadurch eine größere Differenzierung zu ermöglichen. Das Ziel ist eine größere Integration verschiedener Ansatzpunkte des Hilfesystems mit stationär-klinischem Bereich, dem tagesklinischambulanten Bereich und Kooperation mit komplementären Einrichtungen. Die Patienten orientierte Abstimmung geschieht z. B. im Rahmen von Zukunftswerkstätten für die Psychosetherapie, regelmäßigen Fallkonferenzen und Einzelabsprachen zur Verbesserung von Kommunikationssträngen. Im Rahmen des stationären Behandlungskonzeptes wird versucht, die empirisch wirksamen Hilfen in der Behandlung schizophrener Psychosen integrativ zum Einsatz zu bringen: U Auf der Basis einer Psychopharmakotherapie, die Patientinnen und Patienten schonend und unter Berücksichtigung der eigenen Verantwortung in die Lage versetzt, die Wirkungen und Nebenwirkungen sowie die weiteren Folgen der Behandlung weitest möglich zu überblicken und zu steuern. Verschiedene therapeutische Interventionen, wie Psychoedukation, Medikamentenmanagement und weitgehende Selbstkontrolle der Medikation bereits während der stationären Therapie gehören dazu. U Die zweite Säule ist die Einbeziehung von Familien und Angehörigen, die auch im ambulanten Setting fortgesetzt wird. Bereits während der stationären Behandlung wird z. B. der Besuch von Angehörigengruppen oder das Psychoseseminars empfohlen. Insbesondere Familientherapien mit schizophrenen Patienten werden von der Station aus auch ambulant weitergeführt. U Die dritte Säule ist ein Paket umfangreicher Maßnahmen zur sozialen Integration bzw. zur Bewältigung des Lebens und Berufsalltages nach der stationären Behandlung mit der Weiterleitung z. B. in komplementäre Einrichtungen oder ambulanter Betreuung in der eigenen Wohnung. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 178 10.4 Modelle integrativer Schizophreniebehandlung Beruf _ Wohnung _ Soziales Reintegration Ressourcen mobilisieren ambulant: _ Psychoseseminare niedrigschwellig kooperativ arbeitsteilig personenzentriert 179 Abb. 10.2 Schema zur personenzentrierten settingübergreifenden integrativen Schizophrenie-Therapie (PERSIST). ambulant teilstationär stationär PERSIST: Evaluation Qualitätssicherung Forschung Familientherapien und Angehörigenarbeit Das Besondere ist der Versuch einer Vernetzung der Schritte und die Einbeziehung der jeweils nachfolgenden Stelle des Netzwerkes in der Vorphase (Abb. 10.2). klinisch Kooperation Kommunikation Kontinuität Schwerpunkteinheit und der SPA abgestimmt werden, geht es um die Integration von insbesondere Ersterkrankten, aber auch anderen Schizophrenen in das Versorgungssystem. Die Devise ist dabei „so viel ambulant wie möglich, so viel stationär wie nötig“. Sozialpsychiatrische Ambulanz (SPA) Im Rahmen der Ambulanz wird zum einen versucht – durch niedrigschwellige Hilfen und Begleitung in der Psychose –, Krisen mit der Notwendigkeit einer stationären Aufnahme zu vermeiden, zum anderen speziell Patientinnen und Patienten mit einer sehr kritischen Haltung zur traditionellen psychiatrischen Behandlung, insbesondere zu Psychopharmaka, in das Versorgungssystem zu integrieren. Andere Patientinnen und Patienten werden bereits während des stationären Aufenthaltes in dieses ambulante psychotherapeutische Setting integriert, sodass bei der Entlassung eine möglichst stabile Begleitung gewährleistet ist. Tagesklinik Die Rolle der tagesklinischen Behandlung zielt vor allem auf die systematische arbeitstherapeutische oder rehabilitative Wiedereingliederung psychotischer Patientinnen und Patienten mit einem schrittweisen Übergang ins eigene Wohn- und Arbeitsumfeld ab. Auf der Grundlage von psychoedukativen Maßnahmen, die mit der stationären Psychoseseminare – Psychosegruppen – Familien- und Angehörigenarbeit Besonders wichtig ist die Organisation des gemeinsamen Gesprächs zwischen Familien, Angehörigen und Betroffenen sowie Professionellen. Je nach Möglichkeiten und Bedürfnissen wird versucht, Foren für die Diskussion von Erfahrungen und Hilfemöglichkeiten zu schaffen. Die Psychoseseminare sind z. B. eine gute Möglichkeit, die verschiedenen Interessierten und Beteiligten schon außerhalb des Hilfesystems zusammenzuführen und auch Elemente der Selbsthilfe in die Schizophreniebehandlung zu integrieren. In Psychosegruppen geht es insbesondere unter den Betroffenen darum, mit der Erkrankung sowie ihrer Bewältigung Erfahrungen zu sammeln und Anregungen mit dem Umgang mit der Psychose von anderen Betroffenen zu erhalten. Angehörigengruppen und Familientherapien sollen mit unterschiedlichen Ansatzpunkten dazu dienen, die Familien in der Unterstützung der Betroffenen zu festigen und zu stärken, andererseits über die eigenen Erfahrungen, Bedürfnisse und Probleme in Kontakt zu treten. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Arbeitstherapie PST, GPZE, TPS u.a. 10 Behandlungsphilosophie als Basis integrativer Schizophrenietherapien Was ist das Besondere? Das Besondere ist die Integration nach innen durch die Verbindung unterschiedlicher Behandlungsansätze mit Psychopharmakotherapie, Psychotherapie und Sozialpsychiatrie über verschiedene Sichtweisen hinaus. Was hilfreich ist, wird bereitgestellt, und die Therapie wird mehr an den Bedürfnissen der Patienten im Sinne einer „Nachfrageorientierung“ ausgerichtet. Die Intensivierung und Schaffung von Kommunikationsmechanismen zwischen unterschiedlichen Teilen des Hilfeangebots auch im Rahmen eines medizinischen Zentrums, die Organisation des Diskurses über die Entwicklung von Psychosetherapien und unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen bis hin zu Zukunftswerkstätten sind Elemente dieses Prozesses in Richtung einer settingübergreifenden Integration der Behandlung. Die Integration nach außen bzw. Reintegration in die Gesellschaft bedeutet, immer wieder schrittweise und den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Betroffenen angemessen den Umgang mit Defiziten und Stärken zu organisieren. Weg von der Logik der Krankenhausbetten und hin zu der individuellen Dynamik, der Unterstützung stabiler Anteile im Umfeld und der niedrigschwelligen Erreichbarkeit im Falle von Krisen mit genauso schneller Rückverweisung in das ambulante Hilfesystem. Gerade dies erfordert viel Arbeit, um Beziehungskontinuität und klare Strukturen im Hilfesystem wie im eigenen sozialen Umfeld zu erreichen. 10.5 Konsequenzen für den Alltag Oberflächlich betrachtet könnte man dem Irrtum unterliegen, dass diese hier diskutierten Fragen höchstens allgemeine Relevanz haben. An Beispielen sollen darum unmittelbare Alltagskonsequenzen aufgezeigt werden. Bei der Organisation einer Behandlung stellen sich aus Sicht einer patientenorientierten und auf Integration zielende Konzeption von vornherein bestimmte Fragen, die organisatorisch, strukturell und planerisch berücksichtigt werden müssen. Welche Ziele sollen erreicht werden und wie ist der institutionelle Teil in den Gesamtplan integriert? Wie werden diese Ziele kommuniziert und dokumentiert, auch zwischen den verschiedenen Beteiligten innerhalb und außerhalb des therapeutischen Systems? Viele Behandlungen laufen zumindest ohne dokumentierte oder standardisierte Therapieplanung und machen so viele Ergebnisse noch zufälliger. Wie erfolgt der Zugang, die Aufnahme? Wie ist die Erreichbarkeit der Angebote? Wie sind die Standards dieser zentralen Teile des Prozesses? Die Verbindung zwischen denen, die für den „unerfahrenen“ Menschen in einer psychischen Krise erreichbar sind, und den Mitarbeitern spezialisierter psychiatrischer, psychosozialer Dienste ist kaum entwickelt und eher zufällig. Daraus resultiert die hohe Zahl von Notfällen, die ohne Vorbehandlung und Vorkontakt direkt in die Kliniken kommen. Ebenso stellt sich die Frage, wie ist das Ende, der Trennungs- und Entlassungsprozess? Wie wird er vorbereitet, wie die Weiterbehandlung geplant? Ist die Intervention konzeptioniert als Teil eines langfristigen Prozesses oder als geschlossener Interaktionszirkel ohne wirkliche Einbindung in das Vorher und Nachher? Gibt es Vereinbarungen auch für kommende Krisen und mögliche integrierte Hilfen? 10.5.1 Das Berufsverständnis Das Berufsverständnis bzw. die Grundhaltung in der Ausübung eines bestimmten Berufes in der Psychiatrie sollte der regelmäßigen Reflexion unterzogen werden. Eine patientenorientierte Fragestellung wäre: Wie kann ich meine berufliche Erfahrung, meine Ausbildung, meine Weiterbildung und Qualifikation im Sinne einer Optimierung des Behandlungsprozesses einbringen? Dies ist eine grundsätzlich andere Herangehensweise als die implizite Erwartung an Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige, sich dem institutionellen und beruflichen Geschehen in den Krankenhäusern und anderen Settings zu unterwerfen und die, die es nicht können oder nicht wollen, dann als „nicht kooperativ“ zu bezeichnen. Ein großer Teil der so genannten Non-Compliance ist vielmehr Ausdruck eines ineffizienten und unprofessionellen Angebotes und therapeutischen Geschehens! Leider sind insbesondere in den großen Institutionen die meisten Beteiligten sehr stark damit beschäftigt, ihre Berufsrollenidentifikation gegen andere vorhandene Berufsrollen bzw. Hierarchiestufen durchzusetzen, wobei oft in den Hintergrund gerät, dass dies auf Kosten der Behandlungsqualität und der Effizienz geht. Ein positives Berufsverständnis im Rahmen integrativer Behandlungskonzepte sollte auch ein Lernen am Modell beinhalten. Das Bemühen um Kooperation und gemeinsame Lösungen, aber auch um die Fähigkeit zur konstruktiven Auseinandersetzung könnte gewissermaßen auch ein Vorbild für die Organisation und das Verständnis des individuellen Bewältigungs- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 180 prozesses sein. Was ist nötig, um in diesem Bereich zu positiver Entwicklung im Rahmen von Teams beizutragen? Offene Kommunikation in Teams erleichtert das Austragen von Konflikten. Behandlungsteams stehen vor einer gemeinsamen Aufgabe, die Qualifikationen aber (nicht immer nur berufsbedingt) sind unterschiedlich. Das Ignorieren solcher Grenzen – im Sinne von „alle machen alles“ – kann auch viel Unzufriedenheit und letztendlich Paralyse zur Folge haben. Berufliche Qualifikation ist nur ein Teil der Gesamtqualifikation. Der für den Alltag wesentliche Teil beruflicher Kompetenz und Effizienz entwickelt sich nach der Berufsausbildung. Dieses systematisch zu fördern und auch Möglichkeiten der Übernahme von neuen Aufgabenfeldern und eine entsprechende berufliche Anerkennung zu ermöglichen, ist im Wesentlichen die Aufgabe der entsprechenden Leitung. Die Grundperspektive sollte bei der Beurteilung einzelner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die des Patientenwohls und der Realisierung eines Behandlungskonzeptes sein, standespolitische oder berufliche Überlegungen sollten in den Hintergrund treten. Die Präzisierung von beruflichen Anforderungen im Rahmen von Qualitätsstandards für konkrete Bereiche erleichtert darüber hinaus auch die sachliche und personenunabhängige Beurteilung und Entwicklung. Was sollte die Aufgabe des Pflegepersonals oder der Ärzte sowie anderer Berufsgruppen in einem gegebenen Aufgabenfeld sein, und woran könnte man die Qualität der Aufgabenbewältigung festmachen? Ständige Aus- und Weiterbildung sowie berufsbegleitende Qualifikation als Grundvoraussetzung zur Behauptung in einem oft extrem schwierigen und persönlich belastenden Berufsalltag. Literatur Alanen YO, J Aaltonen, V Räkköläinen (1997) Training programm in psychodynamic individual psychotherapy of schizophrenic disorders within a needadapted treatment culture. Vortrag auf dem XII. Internationalen Symposium über die Psychotherapie der Schizophrenie vom 12. bis 16. 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