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Villgrater Kulturwiese:
Protokoll einer Provokation im Dorf
„Den einen mag die ‚Kultur‘ einschläfern, dem anderen auf den Wecker gehen.
Wenn man Brennesseln fest anfaßt, dann brennen sie nicht.“
Johannes E. Trojer
„Wo man lebt, kommt man der jeweiligen Bodenbeschaffenheit sowieso nicht aus.“
Mit Sätzen wie diesen erkundete die „Villgrater Kulturwiese“ zwischen 1992 und
1996 das dörfliche Leben am Beispiel der beiden Osttiroler Gemeinden Inner- und
Außervillgraten: Sommer für Sommer lockte ein rund 40 Veranstaltungen umfassendes Programm mit Musik, Literatur, Theater, Film, Bildender Kunst und ungewöhnlichen Aktionen mehrere tausend Besucher in das abgelegene Osttiroler Hochgebirgstal. International bekannte Künstler wurden mit lokalen Befunden konfrontiert, exemplarische Ausprägungen des Dorflebens mit überregionalen Kunstströmungen in
Verbindung gebracht: Idylle und Krawalle, Selbstgezogenes und Aufgesetztes, fremde
und heimische Kost. Kultur? „Das Avantgarde-Festival am Ende von Nirgendwo“,
schrieb die Hamburger „Zeit“.
Im April 1996 legten die Veranstalter ihre Arbeit über Nacht nieder. Der Bürgermeister und der Obmann des Tourismusverbandes traten zurück. Aus Protest gegen die
kulturelle Arbeit war ein altes Holzhaus von Unbekannt rechtsfrei abgefackelt worden. Andreas Schett, künstlerischer Leiter und Hauptorganisator des Festivals, hat die
Ereignisse protokolliert.
Teil 1: Sommer 1994
Der Bauer ist schon völlig aufgebracht, bevor er die Kunstwerke überhaupt sieht:
„Wir führen den Sperrmüll beim Tal hinaus, und die bringen ihn wieder her!“ Eine
Woche vor der Eröffnung der Villgrater Kulturwiese bauen wir Skulpturen des in
Kärnten lebenden Künstlers Fritz Russ an verschiedenen Plätzen in beiden Dörfern
auf. Fritz Russ fügt rostige Eisenteile, ausgediente bäuerliche Werkzeuge – zum Teil
entnommen aus „echtem Villgrater Sperrmüll“ – zu hintergründigen Botschaften
zusammen: Aus alten Pflugscharen wird ein „Ochse“, aus Grablaternen ein „Bischof“,
aus Milchkannen und Zentrifugenversatzteilen entstehen „Kuh und Kalb“. Alle
Skulpturen werden im Dorf so aufgestellt, daß sie mit ihrer Umgebung korrespondieren. Vor der heimischen Schneiderei steht die „Schneiderpuppe“, – der Unterteil
einer Schaufensterpuppe, auf deren Hüftgelenken eine alte Nähmaschine und ein
Bügeleisen befestigt sind. Auf dem Kirchplatz, in direkter Nachbarschaft zum
Kriegerdenkmal, salutieren Sensen in Reih und Glied. Das Kunstwerk trägt den
Titel „Soldaten“. Vor dem Gemeindeamt, der Raiffeisenkasse und der Volksschule –
also dem Zentrum – stehen 16 Bauern auf einem Schachbrett. „König und Königin“
sind nicht zu sichten. Sie thronen im Innervillgrater Gemeindehaus, direkt vor dem
Bürgermeisterzimmer.
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Verhinderter Kirchgänger
Noch in derselben Nacht werden Kuh und Kalb demoliert, ein Kultwagen kommt
einige Höhenmeter tiefer zu liegen, die Soldaten werden in alle Himmelsrichtungen
verbogen. Zwei weitere Objekte sind in Mitleidenschaft gezogen. Der Schaden beträgt 300.000 Schilling. In böser Vorahnung hat sich keine Versicherungsanstalt dazu
bewegen lassen, mit uns einen Vertrag abzuschließen.
Ein langgedienter Gemeindeoberer läßt verlauten: „Solange diese Sensen vor der
Kirche stehen, gehe ich nicht mehr hinein!“ In der Auslegung einiger Dorfbewohner
heißt es dann sprachgeregelt: Er konnte nicht mehr in die Kirche gehen!
Sechs Tage später liegen die Schachfiguren flach darnieder, auch die Schneiderpuppe
mußte ihr Leben lassen. In der Nacht darauf wird das riesige Pflugobjekt an die
Anhängerkupplung eines Autos mit Heckantrieb gespannt, einige Kilometer hinauf
in ein Almtal gebracht und dort in den Bach befördert. In derselben Nacht landet der
kleine Kultwagen, in der Nacht darauf der Ochse im Bach.
Die Gendarmen vom Posten Sillian fahren brav von Delikt zu Delikt, fotografieren,
spielen Betroffenheit und machen keine Witze. „Sie sind der Gescheitere von uns
zweien!“, so der Gendarmerieinspektor bei meiner Einvernehmung, „also, der künstlerische Wert beträgt 300.000 Schilling. Aber, wie hoch ist der Materialwert? Praktisch nichts, nicht? Das ist ja Sperrmüll …“
Ich gebe zu bedenken: „Wenn ein Bild von Egger-Lienz gestohlen wird und das ist
fünf Millionen Schilling wert, kann man auch nicht behaupten, daß der Materialwert
neunundzwanzig Schilling neunzig ausmacht.“
Die Behörde ist gewonnen.
Die Ermittlungen verlaufen im Sand.
Albin Egger-Lienz sorgte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts mit seiner Darstellung eines leichtbeschürzten Christus für den ersten handfesten Kunstskandal Osttirols. Der Klerus kämpfte vehement „wider den Auferstanden in Badehose“.
Einige Jahrzehnte danach haben drei junge Villgrater die Idee, den nunmehrigen
„großen Sohn“ des Bezirks aus den städtischen Galerien in ein entlegenes Seitental
zu entführen. Sie formen einen sensenmähenden Bauern – ein Motiv aus dem Bild
„Die Bergmäher“ – als monumentale Heuschnittfigur aus der Landschaft und geben
ihr den Titel: „Albin Egger-Lienz, Landschaftsgärtner.“
Mittels Videokamera, Funk und mehreren hundert Holzpflöcken werden die Konturen der 100 Meter hohen und 70 Meter breiten Figur auf einem Steilhang über dem
Tal in mehreren Arbeitsschichten abgesteckt. Wie die Mäher ans Werk gehen wollen,
sind alle Markierungen ausgelöscht.
Noch einmal von vorne angefangen, Beginn der künstlerischen Mahd am 26. Juni,
die allerdings an einem Tag nicht zu vollbringen ist. Es wird eine Nachtwache eingerichtet, die bis in die frühen Morgenstunden ausharrt, sodann aber das Werk in
Sicherheit wähnt und abzieht. In diesen frühen Morgenstunden gehen anonyme
Mäher ans Werk, ohne sich an die Absteckungen zu halten. Auch wenn die Methode
sozusagen in der Kunstfamilie bleibt, – der Landschaftsgärtner wird schwer lädiert:
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Tiefe Schnittwunden am linken Fuß, am Bauch und am Hirn zeichnen seinen Leib.
Die Ausforschung der Täter ist zum Scheitern verurteilt: Fast jeder im Dorf kann
mähen. Die alte Frau in dem etwa einen Kilometer entfernten Haus, die ihr Badezimmer für die technischen Arbeiten zur Verfügung gestellt hat, leidet mit. In der
Nacht schlafe sie nicht mehr vor lauter Zorn, sagt sie.
Was man tun könne? Nichts könne man tun, sagt die Frau. Aber die Täter sollten,
damit man sie erwische, „die ewige Scheiße bekommen!“
Es waren die Sensen
Mir gefallen sie nicht, diese Eisengestelle, sagen viele, die passen nicht hierher, aber
hinmachen müßte man sie auch nicht. Ein Tischler und ein Schmied schweißen
aus den Innereien eines Autos ein Männchen zusammen, nennen es „Künstler des
20. Jahrhunderts“ und stellen es zwischen die anderen Skulpturen. Im Gasthaus
schreit einer, er zahle demjenigen eine Kiste Bier, der das Glump in den Bach befördere. Ein anderer fällt den Sinnspruch: „Entweder gehört das Zeug unter die Erde,
oder die Leute, die das aufstellen, gehören unter die Erde!“
Ein noch nicht zwei Jahre altes Kind fällt in den Bach und ist tot. Wenig später
verunglückt ein Fünfzehnjähriger beim Bergsteigen tödlich. Der dörfliche Kommentar: „Das hat so kommen müssen. Solange die Sensen vor der Kirche stehen, wird
der Sensenmann zuschlagen.“
Als ein Mitarbeiter der Kulturwiese in der Zeitung zitiert wird („Im Dorf existieren
der neueste BMW, die Sat-Schüssel und mittelalterliche Denkweisen nebeneinander“), sind ein paar junge BMW-Fahrer verärgert: „Was, der tadelt unsere Autos?
Das werden wir ihm abstellen!“
Dann fällt das Stammtischgespräch zurück auf Übliches: Diese oder jene Kurve
im Tal liege einem halt besonders. „Die Kurve beim Elektrischen liegt mir extra,
120 kaemha hebe ich da locker …“
Heile Bergwelt
„Außervillgraten wurde für seine vorbildliche Ortsbildpflege geehrt“, steht am 28.
Juli groß in der Zeitung.
Aus einem Leserbrief (Titel: „Verunstaltung der Gegend“) im Osttiroler Boten vom
30. Juni: „Wir sind nur zwei einfache Hausfrauen. Es ist uns aber – wie auch vielen
Mitbürgern – ein echtes Anliegen, was in unserem Dorf geschieht. (…) Wo diese
Studierten überall den Sondermüll verteilt haben, das schreit zum Himmel. (…) Wir
möchten nicht wissen, welchen Schock unsere Stammgäste bekommen, die das
schöne Dorfbild von früher in Erinnerung haben. Auch recht, was sich Fritz Russ mit
dem Sondermüll gedacht haben mag, aber bitte nicht in unserer Berggemeinde.“
Auch ein Gast aus Frankfurt meldet sich auf der Leserbriefseite der Lokalzeitung zu
Wort: „Als langjähriger Urlaubsgast von Innervillgraten und Abonnent des Osttiroler
Boten war ich entsetzt, als ich die Bilder im Boten gesehen habe. (…) Dieses Gerümpel gehört nicht auf die Berge. Dieser Schrott gehört in den Müllcontainer. (…) In
einer Großstadt so etwas aufgebaut, hat eher Sinn, in einer noch heilen Bergwelt
kann man darüber nur den Kopf schütteln und sich entsetzt abwenden.
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Trotzdem: Das Villgratental ist eine der schönsten Landschaften, die ich kenne –
hoffentlich bleibt dies so.“
Herr Beresheim wurde diesen Sommer von niemandem im Ort gesichtet.
Halb- und Ganznackte
Der Weg über die Schmiedhofer Zäune in Innervillgraten und der Weibersteig in
Außervillgraten werden zum „Zettelsteig“: Am Wegrand finden sich auf Holztafeln
historische Dokumente, Orts- und Polizeiberichte, Gemeinde- und Vereinsprotokolle, Sagen, eine Litanei ortsüblicher Flüche und frühe Tourismusslogans. Durch
die Montage von Texten verschiedenster Prägung entstehen bruchstückhafte Selbstporträts zweier Dörfer, die keinen Kommentar notwendig haben. Eine Kundmachung sämtlicher Osttiroler Bürgermeister aus dem Jahre 1929 wendet sich entschieden gegen das liederliche Leben der Sommerfrischler: „Touristen! Die P.T. Touristen
werden ersucht, anständig bekleidet durch das Gemeindegebiet zu wandern.
Unser an Sitte und Anstand gewohntes Volk ist über das Halb- und Ganznacktgehen
gewisser Ausflügler empört u. entschlossen, diesen Unfug in seinem Gemeindegebiet
energisch abzustellen.“
Der Ortschronist faßt das Anliegen im Tiroler Volksboten vom 25.7.1929 noch
plastischer: „Wenn die Sonne zu wenig wirkt, muß ein bißchen nachgeholfen werden
mit Brennesseln und Disteln und diese wachsen auch zur Genüge bei uns und sind
darum leicht zu haben. Volk von Tirol, benütze dieses einfache Mittel gegen die
Halb- und Ganznacktgeher! Schweine treibt man auch mit Ruten und Gerten. Ruten
und Gerten haben wir auch genug! Wenn sonst nichts hilft, nur her mit dem unfehlbaren Mittel! Hirten haben Peitschen. Halb- und Ganznackten gehört die Peitsche!
Hirten, gebraucht sie nur auf unseren schönen Bergen und in den herrlichen Tälern
gegen die Schweinlein von Halb- und Ganznacktgehern!“
Andernorts wird berichtet, daß der Innervillgrater Bauernbund noch im Jahr 1981
zur „Mütterehrung“ eingeladen hat; daß die Musikkapelle 1899 für den Kaiser, 1933
für Dollfuß, 1938 für Hitler gespielt hat und nach 1945 zu Werbefahrten im Dienste
des Fremdenverkehrs nach Deutschland aufgebrochen ist. In einem sogenannten, fast
70 Jahre alten „Buschgabill“ wird eine junge Frau unter der Gürtellinie angegriffen.
Diese Form, seinen Aggressionen in einer anonymen, schriftlich verbreiteten Beleidigung Luft zu machen, ist bis heute im Dorf gebräuchlich.
Die ganze Geschichte des Tales liegt im Nachlaß des 1991 am Krebs gestorbenen
Johannes E. Trojer, – Volksschuldirektor, Schriftsteller und Herausgeber der Kulturzeitschrift „Thurntaler“.1
Die Kundmachung der Osttiroler Bürgermeister von anno Schnee wird in der Nacht
zum 20. Juli 1994 (!) mit einem überdimensionalen Hakenkreuz übersprüht. Vier
weitere Texte werden vier Nächte später mit schwarzem Lack unleserlich gemacht.
Die Volksschullehrerin und der Feuerwehrhauptmann regen sich auf, daß niemand
von der Villgrater Kulturwiese das Hakenkreuz wegputzt. Niemand beschwert sich
darüber, daß es da ist. Rechtzeitig zur Prozession am 15. August, die an den Texten
vorbeiführen muß, räumt Anonym die ungewünschte Tafel und acht weitere in den
Bach.
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Schuld und Sühne
„Ich verstehe nicht, daß ein paar alte Zeitungsartikel, die in jeder alten Zeitung nachzulesen sind, dermaßen provozieren“, meint ein Auswärtiger. „Seien Sie froh“, sagt
eine ungarische Sopranistin, „daß Kunst die Leute hier überhaupt noch erregen
kann.“
Was zuerst als Lausbubenstück abgetan wird, bekommt System.
Telefon.
„Grüßgott. Folgendes: Bei uns ist eine Anzeige eingegangen. Ich habe überprüft,
es stimmt. Ihr braucht für das Transparent der Villgrater Kulturwiese, das über der
Straße hängt, eine naturschutzrechtliche Genehmigung!“
„Bitte, wer spricht überhaupt?“
„Der Ortsstellenleiter.“
„Der wie?“
Der Ortsstellenleiter der Bergwacht, mitte zwanzig, sagt, er meine es gut, wir sollten
das in Ordnung bringen, ansonsten müsse er das Verfahren weiterleiten.
Nach der ersten Zerstörungswelle setzen sich viele Persönlichkeiten des Dorfes dafür
ein, daß die Skulpturen stehen bleiben. Der Schmied sagt, das sei kein Problem,
die Schachfiguren hänge er so fest an, „daß man sie nicht mehr umbringe.“ Zwei
Gemeinderäte, die sich ebenfalls engagiert haben, werden mit einem „Buschgabill“
zurechtgewiesen. Die Bevölkerung wird aufgerufen, bei der nächsten Wahl die Rechnung zu präsentieren: „Des Volkes Wunsch ist nur gefragt,/ solang es ja und Amen
sagt,/ (…) Beim Urnengang in ein paar Jahren/ wird sicher wieder so verfahren,/ und
da, ihr Leute, seid nicht dumm,/ haut die Gemeinderäte um (…)“
Es folgen drei weitere anonyme Briefe, die im Dorf lebende und schon verstorbene
Personen schwerstens diffamieren. Die Kulturwiese ist das Ventil für viele ältere,
unausgetragene Konflikte, die beim erstbesten Anlaß ans Tageslicht kommen. Wie
1929 wehren sich die anonymen Schreiber gegen die Fremden: „Alles nur Schorrer
und Schmarotzer.“ An einer anderen Stelle heißt es: „Unter Kultur verstehen wir
etwas anderes.“
„Ihr müßt mähen! Mähen ist unsere Kultur!“, schreit bei einer öffentlich angekündigten Diskussion am Sonntag nach der Messe im Gasthaus ein Fabriksarbeiter. „Mähen
wird nicht Kultur sein“, sagt ein Jungbauer. „Mähen ist eine Schindarbeit!“
40 Gäste verfassen gemeinsam einen Brief an die Organisatoren der Kulturwiese und
wünschen, daß „auch gelegentliche Unwetter und Hagelschläge“ überstanden werden. Die allergrößte Provokation ist, wenn Altvertrautes in einem ungewohnten
Zusammenhang neu montiert wird. Bei der Uraufführung der „Waldmusik für ein
venezianisches Sägewerk“ des Osttiroler Komponisten Wolfgang Mitterer mit einer
alten Brettersäge als Hauptinstrument bleiben 250 Zuhörer bis zum letzten Ton im
strömenden Regen stehen.
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Teil 2: Sommer 1995
Mit dem Echtzeitfilm „AlpenRosenAsphalt“ startet das Programm. Rund 70 Dorfbewohner (inkl. Parkordner und Zeichengeber) spielen das dörfliche Leben in seinen
ganz alltäglichen Abläufen. Dank ORF, Landesstudio Tirol, ist das Spektakel mit den
unspektakulären Bildern zum selben Zeitpunkt auf jedem Fernsehbildschirm, allerdings nur in Inner- und Außervillgraten, zu sehen. Mancher Fernsehkonsument gerät
in eine paradoxe Situation: Der Blick durch das Fenster zeigt dieselben Ereignisse wie
der Bildschirm. Er könnte ab- oder umschalten, aber er kann nicht. Schließlich kennt
er alle Darsteller, er kann sämtliche Bilder dem dazugehörigen Platz in der Landschaft zuordnen.
Kamera 3 zeigt die Straße vor dem Postamt und der Raiffeisenkasse. Ein älterer
Mann zieht Milchkannen auf einem Handwagen hinter sich her. Auf seinen Hosenträgern steht „BOY“. Genau im richtigen Moment gehen vier Jäger aus dem Haus,
fährt der Milchwagen der Molkerei Lienz ins Bild. Eine Frau schiebt einen Kinderwagen, ihr Weg wird in gegenläufiger Bewegung von einem rasenmähenden Mann
gekreuzt.
Vor dem Lebensmittelgeschäft stehen Frauen und reden. Der Chor singt: Was gibt
es sonst noch im Villgratental? Ein Kettenbagger kreuzt die Asphaltstraße. Zwei
Bauern legen Bretter über den Straßenbelag, um ihn zu schonen. Ein „echter“
Gendarm vom Posten Sillian zetert mit dem GTI-Fahrer, der erstens auf der Heckscheibe seines Wagens den zweckdienlichen Hinweis „Kein Kampftrinker“ führt,
zweitens gerade ein Reh zu Schanden gefahren hat. Geredet wird kaum, nur am
Schluß steht ein Mann vor einer überdimensionalen Satellitenschüssel auf freiem
Feld und erklärt anschaulich die Funktionsweise derselben („Vom Satelliten Astra
werden die Strahlen 30.000 Kilometer hinter auf die Welt geworfen“).
Die einzelnen Rollen zu besetzen ist kein leichtes Unterfangen. Der Hirte, der am
Ende „Maulflöte“ (Mundharmonika) spielen soll, hat auf einer entlegenen Alm
100 Stück Vieh zu betreuen. Er akzeptiert nur einen gewissen Stellvertreter. Es stellt
sich heraus, daß der Stellvertreter nur dann für den Hirten einspringen kann, wenn
er selbst einen Ersatzmann für die Heuarbeit findet. Zwei Tage vor der Premiere ist
die Besetzungsliste komplett. Da meldet sich der Portier des Bezirkskrankenhauses:
Der Hirte lasse ausrichten, er könne nicht spielen. Er sei an der Unterlippe operiert
worden. Nach längerem Verhandeln springt sein Bruder ein, von dem vorher niemand gewußt hat, daß er ebenfalls Mundharmonika spielt.
Orgelmißbrauch
Beim „Casting“ tauchen auch andere, schier unüberwindliche Fragen auf: Darf ein
Gendarm sich selbst in einem Film spielen? („Was muß er machen, der Gendarm?“,
fragt der Presseoffizier in der Landespolizeidirektion.) Wie erklärt man der Molkereigenossenschaft, daß sie einen Wagen extra nach Innervillgraten schicken soll, um ihn
dort eine Minute lang in einem Film herzuzeigen? Noch schwieriger ist es, die Requisiten zu organisieren: Die Frage, ob die Kirchenorgel im Film gespielt werden darf,
führt vom Pfarrer über das bischöfliche Ordinariat wieder zurück zum Pfarrer. Dieser
läßt uns eine „Erklärung“ mit folgendem Wortlaut unterschreiben: „Die Orgel der
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Pfarrkirche Innervillgraten dient nicht profanen Zwecken, sondern dem religiösen
Leben. Aus diesem Grund kann die Orgel nur für jene Zwecke verwendet werden,
die mit dem religiösen Leben direkt in Verbindung gebracht werden können.
Alles andere bedeutet Mißbrauch. Ich erkläre mich bereit, mich an diese Richtlinien
zu halten.“
Das Experiment gelingt. Der Villgrater Viergesang und die Geschwister Senfter
singen den „Saundträck“ zum Film, den der Komponist Haimo Wisser geschrieben
hat. Innerhalb von wenigen Tagen studieren die traditionellen Sängerinnen und
Sänger die zeitgenössische Vertonung eines Fremdenverkehrswerbetextes aus dem
Jahr 1979 ein. Um 16 Uhr sind alle auf ihren Plätzen für einen Probedurchlauf.
Jeder weiß, was er zu tun hat. Vereinzelt werden die Darsteller von Vorbeikommenden angepöbelt. Er habe auch „für jede Trottelei derweil“, wird dem Motocrossfahrer
gesagt. Um 18 Uhr wird der Film live im „lokalen Lokal-Fernsehen“ ausgestrahlt.
Im Dorfgasthaus ist eine Kamera versteckt und zielt auf die dort sitzenden Zuschauer. Immer wieder sehen diese sich selbst im Fernseh-Spiegel.
Hinterher schauen sich alle Mitwirkenden gemeinsam ihren Film an und sind begeistert. Die drei an einem Steilhang über dem Tal mähenden Bauern, die haargenau
um 18.17 Uhr im Bild waren, erzählen: Das Tal sei während der Übertragung wie
ausgestorben gewesen. Kein Mensch auf den Feldern (obwohl prächtiges Heuwetter
war und ein abendliches Gewitter vorherzusehen), kein Auto auf der Straße.
Erster Befund: Das Fernsehen besitzt große disziplinierende Kräfte.
Sonstige Reaktionen sind noch nicht meßbar.
Reh im Dorfzentrum
Am nächstfolgenden Werktag bricht im ADEG-Geschäft der Sturm los. Jeder hat
seine eigenen Bilder vom Dorfleben im Kopf, – meistens solche, in denen er selbst
vorkommt. Warum man nicht eine Prozession gefilmt habe, warum nicht eine volle
Kirche, warum nicht die Musikkapelle? Warum man nicht beim Tal hineingefahren
sei und die harte Heuarbeit gezeigt habe? Das sei Dorfleben!
Schließlich wird auch über Praktisches debattiert: Ein Reh sei noch nie, seit Menschengedenken sei noch nie ein Reh mitten im Dorfzentrum zusammengefahren
worden! Oha, sagt ein Jäger, das stimme nicht. Er habe schon einmal vor dem Gasthaus wegen eines vorbeihuschenden Rehes bremsen müssen. Tatsache ist, daß aufgrund der begrenzten Zahl der Kameras diese Szene nur im Dorfzentrum eingefangen werden konnte. Am 11. Juli strahlen die ORF-Sendereihe Kunststücke „AlpenRosenAsphalt“ aus, die Diskussionen dauern an.
Schreiben statt erschlagen
In einem anonymen Brief, der über Nacht in großer Auflage an Brückenköpfen und
Hinweisschildern aufgehängt wird, werden in Mundart-Tanten-Deutsch sämtliche
Filmdarsteller schwer diffamiert. Diese und jene sei eine „Kuhmutter“, dieser und
jener solle „verrecken“! Schlußfolgerung, immerhin: „Vom Film selba hom wir nia
viel dawortet, doch Werbung wor des koane fürs Oschttirolalond.“ Unterzeichnet
von „einigen Jugendlichen aus dem Villgratental. Fortsetzung folgt!“
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Die Fortsetzung hat es auf die Organisatoren der Villgrater Kulturwiese abgesehen:
Einer ist ein „Hitler-G´sell“, ein anderer ein „Mussulini“. Gegen die „Kulturwiesler“
müsse man „lei schreib´n, bevor ma se daschlog´n!“
Der Vizebürgermeister stellt sich mittels Brief an einen Haushalt vehement dagegen:
„Es ist gut und richtig, im Leben eigene Meinungen und Standpunkte zu haben. (…)
Aber man kann und darf nicht Leute, die nicht dieselbe Meinung haben, auf diese
anonyme Art aufs gröbste und hinterhältigste beleidigen. (…) Es ist das nicht die Art
des Innervillgraters, Leute auf diese Weise zu beschimpfen, und sie war es auch nie!“
Zum Film selbst meint der Vizebürgermeister: „Ich schau mir auch keine Serien
wie ‚Dallas‘ an, ich kann aber auf X andere Programme umschalten oder den TV
überhaupt abschalten. Und genau diese Möglichkeit hätten wir bei diesem Film
auch gehabt.“
Buntes Bachbett
Eine Woche lang arbeiten Kinder aus dem Tal und den umliegenden Orten in
verschiedenen Werkstätten im und mit dem Dorf. Eine Werkstatt produziert „Radio
Alpenfest“ und sendet jeden Tag auf 100 Megaherz in Inner- und Außervillgraten.
Ein „Krachorchester“ spielt mit Kochtopfdeckeln, Besteck und altem Hausrat eine
selbstverfaßte Klangpartitur. Einheimische bauen mit Kindern gemeinsam einen
Aufzug mit Wasserantrieb. Kinder gehen von Haus zu Haus und fragen nach alten
Fahrrädern und anderen Verschleißteilen. Daraus entsteht unter der Anleitung von
Alois Schild eine phantastische „Höllenmaschine“. Die „Dorfstreicher“ wiederum
malen alles, was Farbe verträgt, an. Auch Steine der massiven Villgrater-Bach-Verbauung werden bunt eingefärbt.
Vielen Kinder wird die Teilnahme an den Kinderwerkstätten verboten. Die Kinder
vom Haus neben der Werkstatt „Höllenmaschine“ stehen einige Stunden lang am
Zaun und schauen zu. Dann halten sie es nicht länger aus. Sie suchen alles im Keller
Verfügbare zusammen, steigen über den Zaun und bauen mit. Beim Kinderfest am
Ende der Woche zeigen sich alle Werkstätten. Die Woche „Kinder(t)räume“ entsteht
in Zusammenarbeit mit den Katholischen Familienverbänden beider Gemeinden.
Erdbewegung
Wenige Tage nach dem Kinderfest beschweren sich einige Dorfoberen über die bunten Steine am Bachufer: „Die-Gegend-ist-verschandelt, das-ist-zu-weit-gegangen!“
Man dürfe die Kinder nicht alles tun lassen, man müsse ihnen zeigen, wo die Grenzen liegen!” Anfang August zieht die örtliche Kindergärtnerin ihre Konsequenzen, –
und tritt aus dem Katholischen Familienverband aus. Grund: „Als Erzieher ist man
bemüht, die Kinder zur Folgsamkeit bzw. zur Achtsamkeit auf fremdes Eigentum
hinzuweisen! Wenn nun ein Verein es zum Gegenteil anlegt und der Familienverband
macht gemeinsame Sache mit diesem Verein, bin ich nicht mehr gewillt, Mitglied des
Familienverbandes zu sein!“ Das Rücktrittsgesuch war vorsichtshalber gleich an den
„Familienverband Österreichs“ adressiert. Drei Wochen später schüttet ein Bagger
haufenweise Schotter über die Farben am Bachufer.
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Wer der Sache nicht wohlgesonnen und kraft seiner Funktion in der Lage ist, mit
bürokratischen Mitteln etwas zu verhindern, tut es: Die Volksschuldirektorin stellt
in einem seitenlangen Antrag an die Gemeinde dar, daß das Büro der Villgrater
Kulturwiese im Schulhaus dringend der Einrichtung eines Medienraumes zu weichen
habe. Für die Uraufführung der Marsch-Revue „Ohne Schritt. Marsch!“ wird ein
Zelt gebraucht, das für gewöhnlich auf einem der wenigen ebenen Flecken im Tal
aufgestellt wird. Die Genehmigung dafür brauche aber einen Beschluß der Generalversammlung, teilt uns der Obmann der zuständigen Agrargemeinschaft mit, für
heuer sei das aber zu spät. Schließlich tritt ein fünfköpfiger Ausschuß zusammen
und untersagt das Aufstellen des Zeltes, weil kein schriftlicher Antrag vorgelegen
sei. Mit der Hilfe angrenzender Bauern wird ein anderer ebener Grund ausgekundschaftet. Dort kann die Uraufführung stattfinden: Die professionellen Blechbläser
des Ensembles Pro Brass arbeiten drei Tage lang mit rund 50 Blasmusikanten aus
der Region. Am Ende sitzen sie auf zwei gegenüberliegenden Bühnen und spielen
sich durch die Geschichte der Marschmusik:
Neben Kennmelodien aus der K.u.K.-Zeit, aus der Zeit des Austrofaschismus
und des Nationalsozialismus erklingen auch die größten Marschschlager für
Touristen und neu komponierte Märsche (etwa ein „Verhinderter Marsch“ von
Peter Androsch).
Dazwischen werden Texte in Szene gesetzt, die die dazugehörige lokale Geschichte
rekonstruieren. Fazit: Traditioneller Brauch und ideologischer Mißbrauch liegen in
der Geschichte der Marschmusik in nächster Nachbarschaft. Die Marschmusik kennt
keine Generalpausen. Sie war der große Bindebogen zwischen politischen Systemen
und deren Anführern.
Sturm im Kirchenschiff
Die sich nicht zur Wehr setzen können, gehen unter. Schon Monate vor Beginn
des Programms kommt ein Mann zu mir und fragt: Ob das auch Kultur sei? Ob
man einmal sagen könne, wie es einem gehe, wie ihm fünf, sechs Leute „das Leben
zur Hölle“ machten? Ob das auch Dorfleben sei? Er wolle „das Leben heraussagen,
wie es ist.“
Nach vielen Gesprächen vereinbaren wir, daß er das, was er zu sagen hat, auf ein
Tonband spricht. Der daraus entstehende Text soll in der Kirche beim Orgelkonzert
seines Freundes Ludwig Lusser – einem einheimischen Musiker, der an der Musikhochschule soeben sein Studium beendet hat – vorgelesen werden. Ludwig Lusser
will über den Text improvisieren. Der Mann will anonym bleiben.
In Bernhardschen Wiederholungen erzählt er, wie er bei der Arbeit in der naheliegenden Fabrik gehetzt, wie er in allen Gasthäusern seckiert, wie er immer und immer
wieder aufgefordert werde, sich doch besser umzubringen. „Denk’ ich mir oft, was
ich mir alles gefallen lassen muß, als normaler Mensch, denke ich mir oft, oben gibt
es wirklich keinen, weil sonst wär’ das nie möglich. Ich denke mir, – wie geht das?
Mensch denkt, Gott lenkt! Dann wär’ es nie so. Ich denke mir auch oft so. Dann
glaube ich nicht mehr recht. Wenn es oft ganz schief geht, denke ich mir: Oben gibt
es wirklich keinen. Ich denke mir, wenn du oft da hinein in die Kirche gehst: Wird
wohl einmal anders werden.“
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Die Spannung in der Kirche ist körperlich spürbar. Schon nach wenigen Zeilen
verlassen einige wenige das Kirchenschiff, einer mit lautstarkem Gepolter. Vergleichbare Reaktionen waren bei der sonntäglichen Predigt noch nie zu beobachten.
Tags darauf ist nur die Rede von denen, die hinausgegangen sind. Und derjenige,
der das alles von sich erzählt habe, sei „ohne Verstand“.
Weltberühmte Ensembles treten im Villgratental auf: das Pariser Vokalensemble A Sei
Voci etwa, Il Giardino Armonico aus Mailand oder das russische Terem Quartet. Lesungen
ziehen bis zu 200 Besucher aus der gesamten Region an, Konzerte bis zu 500.
Das Programm spricht im Tal und in der Gegend eher die Unscheinbaren an, die im
offiziellen Leben keine Funktionen belegen, daher auch gemeindepolitisch nicht ins
Gewicht fallen.
Trotzdem werden
Mehrheiten verlangt.
Von Interesse ist nur, was der „Großteil der Bevölkerung“ denkt. In Diskussionen
hat immer einer Ergebnisse von nie stattgefundenen Befragungen parat. „Wenn
heute, sagen wir, 90 Prozent dagegen sind, – dann wird schon etwas sein, nichts
wird nicht sein“, heißt es. Das eigene soziale Netz wird dabei oft genug überschätzt:
Auch in einem kleinen Dorf ist jeder einzelne Bewohner nur mit einem relativ
kleinen Personenkreis ständig in Verbindung. Ist dieser Personenkreis geschlossen
gegen eine Sache, neigt er dazu, die eigene Meinung hochzurechnen und davon
auszugehen, daß alle dagegen sein müssen. Die einzige Untersuchung, die tatsächlich
stattgefunden hat, war Teil einer Diplomarbeit an der Universität Innsbruck:
Wolfgang Ainetter hat dabei herausgefunden, daß die Zahl der strikten Befürworter
der Villgrater Kulturwiese (30 % der Befragten) mehr als doppelt so hoch ist wie die
Zahl der strikten Gegner (14%). Die übrigen Dorfbewohner (56% der Befragten)
sind prinzipiell für die Initiative, „aber in veränderter Form.“
Antrag betreffend die Frage
Gegen Ende des Sommers fällt der Artikel „Es ist, wie es ist, wird es bleiben“2 einigen
Funktionären in die Hände und ist Auslöser für eine mittleres Erdbeben.
Der Pfarrer und der Vorsitzende des Pfarrgemeinderates, der Bauernbundobmann
und der Jungbauernobmann, der Schützenobmann, der Obmann der Musikkapelle
und der Kapellmeister, der Obmann der Volkstanz- und Plattlergruppe und weitere,
insgesamt 16 Funktionäre gründen selbstredend ein „Komitee für das Weiterbestehen
der Villgrater Kulturträger“. Das Komitee stellt am 15. August an den Gemeinderat
einen „Antrag betreffend die Frage, welche Form von Kultur in unserer Gemeinde
generell gewünscht wird?“
Auszüge:
„Wir glauben, daß eine Gruppe von Menschen (wenn auch junge Menschen) nicht
das Recht haben, sich zu solch entscheidenden Dingen wie Tradition, Vereinsleben
und Lebensweise unserer Bürger so abfällig und unqualifiziert zu äußern. Wir mei-
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nen, daß die Vereine und die Menschen in unserer Gemeinde stolz sein dürfen auf
ihr Können, ihre Herkunft, Tradition und Lebensweise. Die Dorfgemeinschaft hat
unserer Meinung nach alljährlich mehr unter den Aktivitäten und Äußerungen der
Kulturwiese zu leiden.“
Die Leiden werden nicht näher bestimmt, doch „ist unbedingt ein Wort zur Kirche
zu sagen. Die Kirche ist für die Bewohner unserer Gemeinde immer noch ein Ort
der Besinnung und nicht ein Ort, wo Texte und Tonbandaufnahmen von Gasthausgesprächen Platz finden, welche mit Glauben und Religion nichts zu tun haben.“
Außerdem würden in der Zeitschrift Feldforschung „Vereine, die über Jahre und
Jahrzehnte unsere Kultur aufrecht erhalten haben (…) auf unverständliche Weise
angegriffen und lächerlich gemacht.“ Durch diesen Artikel sei das Interesse der einzelnen Vereinsvorsteher an ihrer Funktion „soweit gesunken, daß sie in Zukunft
nicht mehr gewillt sind, ihre Funktion (größtenteils freiwillig) auszuüben.“
Dahinter steht eine unausgesprochene Drohung (die ein Gemeinderat später auch
ausspricht): Entweder die Kulturwiese wird gestoppt, oder sämtliche Vereine stellen
ihren Betrieb ein. „Eine Kulturwiese in der Form, wie sie derzeit besteht, wird von
uns und einem Großteil (!) der Bevölkerung abgelehnt“, schreibt das Komitee. „Wir
fordern daher den Gemeinderat auf, sich für ein Weiterbestehen des Kulturwiese in
dieser Form klar mit Ja oder Nein zu entscheiden.“ Nachsatz: „Weitere demokratische Schritte unsererseits hängen von der Entscheidung des Gemeinderates ab.“
„Das Provokante weglassen“
Knapp 14 Tage später tagt der Gemeinderat und erkennt nach gut eineinhalbstündiger, emotional verlaufener Diskussion, daß es nicht in seiner Macht liegt,
über das „Weiterbestehen“ eines privaten Vereins zu befinden. Daher wird mit
großer Mehrheit beschlossen, die Kulturwiese „in dieser Form“ nicht mehr zu
unterstützen. Prinzipiell sei das Programm schon recht, lautet der allgemeine Tenor,
aber „das Provokante“ müsse man künftig weglassen.
Mehr als die Hälfte der Gemeinderäte war bei keiner einzigen Veranstaltung zu
sehen.
Teil 3 (und Schluß): April 1996
Die Arbeit der Villgrater Kulturwiese wurde im April 1996 jäh beendet, als ein
370 Jahre altes Holzhaus, das der Trägerverein als „Herzstück“ eines auf 10 Jahre
angelegten Entwicklungskonzeptes für die Talschaft und die Region erworben hatte,
in Brand gesteckt wurde. Das „Kulturgelände Villgraten“ als die konsequente Fortführung aller bisherigen Tätigkeiten wurde am Mittwoch, den 3. April 1996, in
einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Am Karfreitag, 5. April, war
das erwähnte Bauernhaus als Illustration in allen Lokalzeitungen zu bewundern.
Es gingen nur die Osterfeiertage vorüber.
Dann rückte die Feuerwehr aus.
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Inzwischen ist der literarische Nachlaß Johannes E. Trojers in Buchform erschienen:
Trojer. Texte aus dem Nachlaß. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen
von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Haymon, Innsbruck 1998.
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Andreas Schett in: Feldforschung. Die erste, Mai 1995 (Tiroler Kulturinitiative)
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