Krisengebiet Soldatenfamilie

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Nummer 44 · 2. November 2014
13
HH 13
Thema: Militärseelsorge
Krisengebiet
Soldatenfamilie
Wandel zur Einsatzarmee birgt private Konflikte für die Bürger in Uniform
Von Marco Heinen
Auslandseinsätze der Bundeswehr stellen für die Frauen und
Männer in Uniform eine hohe
Belastung dar. Erst recht, wenn
sie einen Partner oder eine eigene Familie zurücklassen. Die
Militärseelsorge bietet Hilfe
an, muss sich aber auch neuen
Herausforderungen stellen.
„Einsatz herrscht nicht nur in
Kriegs- und Krisengebieten. Einsatz herrscht auch zu Hause, hinter verschlossenen Türen, und
niemand weiß, wie schlimm es
ist.“ Dieses Zitat ist auf den Internetseiten der Bundeswehr zu
finden. Partnerinnen und Partner
der Einsatzkräfte im Ausland waren aufgerufen, ihre Erfahrungen
zu schildern. Eine Frau beschreibt
folgende Situation: „Wir haben
ferngesehen. Auf einmal waren in
der Nachrichtenvorschau so viele
Männer in Uniform, und da dachte
ich mir schon: Irgendwas ist passiert. Dann sah ich den Beitrag,
und plötzlich war alles anders.
Bisher hatte mir mein Verlobter
immer gesagt, alles sei ok, wie Urlaub. Doch jetzt bekam meine Vorstellung Risse. Ich stand weinend
vorm Fernseher und dachte mir
nur: Bitte mach, dass meiner da
nicht dabei war! Bitte mach, dass
es ihm gut geht!“ Es war jener Karfreitag 2010, als in Afghanistan
drei deutsche Soldaten bei einem
Anschlag ums Leben kamen.
Und vor Ort am Hindukusch?
„Tot. Das Unerwartete ist geschehen, bisher ging doch immer alles
gut. In meinem und sicher nicht
nur in meinem Bauch breitet sich
eine lähmende Leere aus“, schrieb
ein Oberstabsarzt in einem Brief
nach Deutschland, als 2009 der
erste Kamerad fiel.
Dann ist da noch der Alltag
auf dem Stützpunkt: „Die Sterne
glühen prächtig über der Steppe,
und die Milchstraße fließt in die
Unendlichkeit. Die Zikaden zirpen, und an die Skorpione denke
ich gerade mal nicht“, schreibt
ein Soldat. Ein anderer ist weniger begeistert: „Afghanistan, hier
stinkt’s. Überall Sand und Staub,
Trümmer und Wracks…, Afghanistan, hier gibt es schon lange
keinen Gott mehr.“ Diese Zitate
stammen aus dem preisgekrönten
Buch „Feldpost: Briefe deutscher
Soldaten aus Afghanistan.“
Bundeswehr und Familie:
ein Widerspruch in sich?
Es sind nur Schlaglichter, die diese
Aussagen auf das Erleben deutscher Soldaten im Auslandseinsatz und die Situation ihrer Angehörigen daheim werfen. Die Frage
nach dem Sinn von Kampfeinsätzen treibt Soldaten und ihre Angehörigen um. Manche Soldaten,
manche Familien zerbrechen an
den Folgen solcher Einsätze.
Verteidigungsministerin Ursula
von der Leyen weiß, dass der Beruf
des Soldaten nicht eben ideal ist,
wenn man eine Familie gründen
will. Anfang des Jahres kündigte
sie an, die Bundeswehr solle einer der attraktivsten Arbeitgeber
im Land werden. „Das wichtigste
Thema ist dabei die Vereinbarkeit
von Dienst und Familie“, sagte sie
und knüpfte damit an ein Dauerthema ihrer Vorgänger an.
Teilzeit und Elternzeit schrieb
sich die Ministerin ebenso auf die
Fahne wie Lebensarbeitszeitkonten für die Soldaten. Und unter
der Überschrift „Balance Familie
und Dienst“ wirbt die Bundeswehr
im Internet: „Beruf und Familie
schließen sich auch in der Bundeswehr nicht aus. Als familienfreundlicher Arbeitgeber unterstützt die
Bundeswehr bei entsprechendem
Bedarf eine altersgerechte und
flexible Kinderbetreuung, abgestimmt auf die Dienstzeiten der Eltern. Auch wird die Möglichkeit zur
Unterstützung bei der Pflege von
Familienangehörigen angeboten.“
Doch haben Armeeangehörige
die Chance, wie eine ganz normale Familie zu leben? Das kürzlich
erschienene Fachbuch „Soldatenfamilien in Stress – Kriegseinsätze
als Herausforderung für die Militärseelsorge mit den Familien“
des Flensburger Militärdekans
Dr. Dr. Michael Gmelch und
des Pastoraltheologen Prof. Dr.
Richard Hartmann von der Theologischen Fakultät Fulda lässt
daran Zweifel aufkommen.
Denn tatsächlich geht es ja nicht
allein um die drei, sechs oder noch
mehr Monate im Einsatz. Bereits
die Vorbereitung verlangt den
Betroffenen sehr viel ab, weil die
Soldaten an Seminaren und Lehrgängen an anderen Standorten
teilnehmen müssen. Einen anderen Apsekt beschreibt Militärseelsorger Gmelch so: „Die Verflechtung zwischen Privatem und Militärischem bis hinein in die 1980er
Jahre hat sich inzwischen aufgelöst. Die Bereitschaft von Ehepartnern und Kindern, bei jeder Versetzung nachzuziehen, ist massiv
gesunken. Heute pendeln etwa 70
Prozent der Soldaten. Aufgrund
der vielen Versetzungen und der
stärkeren Einbindung der Frauen
in den Arbeitsmarkt, sehr oft auch
durch die Schul- und Ausbildungssituation der Kinder, wohnt die
Ein intaktes Familienleben ist für Soldaten nicht selbstverständlich. Familie nicht mehr kasernennah.“
Kein Wunder also, dass überdurchschnittlich hohe Trennungsund Scheidungsraten längst ein
zusätzliches „Berufsrisiko“ darstellen und kaum ein anderer Beruf so beziehungs- und familienfeindlich ist wie der der Soldaten.
Emotional schlecht auf
den Einsatz vorbereitet
Die ohnehin schwierige Ausgangssituation der Familien verschärft sich enorm, wenn die
Gefahren, Zweifel und Ängste
eines Auslandseinsatzes hinzukommen. Die Auswertung einer
für das Buch vorgenommenen Befragung von rund 200 Soldaten
und noch einmal so vielen Partnern, Angehörigen und Kindern,
beschreibt eindrücklich, vor welchen Sorgen und Problemen diese
Familien stehen. Es wird deutlich,
wie emotional unvorbereitet viele
Soldaten in einen Einsatz gehen.
Die Umfrage belegt aber auch:
„Sehr viele Soldatenfamilien kennen das Angebot der Militärseelsorge für Einsatzfamilien nicht.“
Nicht zuletzt wird deutlich, wo die
Militärseelsorge der großen Kirchen ansetzen muss, wenn sie ihre
Aufgaben der Einsatzbegleitung
und der Familienseelsorge an die
geänderten Einsatzbedingungen
unserer Armee anpassen will. So
gibt es zwar viele Internetforen
zum Thema Auslandseinsatz,
doch eine kirchliche Seelsorge im
Internet gibt es für die Soldaten
laut Gmelch nicht. „Kirchliche
Social-Media-Akteure brauchen
nicht nur pastorales, sondern
auch publizistisches Know-how“,
konstatiert der Autor.
Die Seelsorge sei dabei zu lernen, „das Gesamtpaket ‘Einsatz
und Familie’ im Horizont der Gesellschaft und der Politik aufzuschnüren“, heißt es in einem der
Beiträge. „Seelsorge kann und
muss nicht auf alle Fragen Antworten geben. Sie muss allerdings
den (sich stets verändernden) Fra-
Foto: Bundeswehr/Bienert
gehorizont kennen, in dem sie sich
selbst situiert und in dem sich ihre
Adressaten ja neu befinden“, so
die selbstkritische Analyse. „Nur
so wird sie in Zukunft von ihrer
Zielgruppe angenommen und von
Seiten des Militärs als hilfreicher
Begleiter, kritisch-loyaler Partner
und pastoraler ‘Dienstleister’ weiterhin wertgeschätzt werden.“
Zum Weiterlesen
Michael Gmelch, Richard Hartmann (Hrsg.): Soldatenfamilien
im Stress. Kriegseinsätze als
Herausforderung für die Militärseelsorge mit den Familien.
Fuldaer Hochschulschriften Bd.
56, Echter-Verlag Würzburg, 239
Seiten, 16,80 Euro
Marc Baumann, Mauritius Much,
Bastian Obermayer, Franziska
Storz (Hrsg.) u.a.: Feldpost: Briefe
deutscher Soldaten aus Afghanistan. Rowohlt-Verlag Reinbek,
208 Seiten, 17.95 Euro
„Eine alltagstaugliche Ethik ist gefragt“
Militärdekan Dr. Dr. Michael Gmelch erläutert, warum die Militärseelsorge ihre Angebote für die Soldaten und ihre Familien überdenken sollte
Der Flensburger Militärdekan
Michael Gmelch ist Autor und
Mitherausgeber des Buches
„Soldatenfamilien im Stress“.
Er fordert eine Art „ethischen
Akutservice“, damit Soldaten, Familien und Seelsorger
bei neuen Krisen Argumente
haben, warum ein Einsatz im
Krisengebiet moralisch und
ethisch vertretbar ist.
Dekan Gmelch, rund 200 Soldaten und noch einmal so viele
Familienangehörige haben sich
an Ihrer Umfrage zum Spannungsfeld von Familie und Bundeswehr beteiligt. Ist das nicht
ein Thema, das die Bundeswehr
selbst aufarbeiten sollte?
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der
Bundeswehr (Anmerkung d. Red.:
früher Sozialwissenschaftliches
Institut der Bundeswehr) befragt
Soldaten zu den verschiedensten
Themen. Uns ging es darum,
ein wichtiges Standbein der Militärseelsorge unter die Lupe zu
nehmen. Ansprechpartner der
Familien zu sein, lebenskundliche Unterrichte zu halten und
die Soldaten auf Auslandseinsätzen zu begleiten, diese Aufgaben
begründen die Legitimation der
Militärseelsorge. Mit Blick auf die
Militärdekan Dr. Dr. Michael
Gmelch. Foto: Marco Heinen
Ich denke, dass es an der Zeit ist,
sich von antiquierten Begriffen
und Formen der Betreuung zu
verabschieden. Coaching heißt
für die Militärseelsorge, die tatsächlichen Probleme der Familien
aufzunehmen und professionell
zu lösen. Das können ethische Fragen zum Einsatz sein, aber auch
Tabuthemen wie Sexualität und
Treue, mit denen die durch einen
Auslandseinsatz voneinander getrennten Paare umgehen müssen.
Auch die Frage, wie viel zu Hause
vom tatsächlichen Erleben im Einsatz erzählt wird, gehört dazu.
Familien heißt das: Was brauchen
sie in einer gewandelten Gesellschaft und bei veränderten Einsatzbedingungen?
Bislang kommt die Militärseelsorge zumindest bei den von
Ihnen befragten Soldaten und
Familien nicht gut weg.
Und was sind die Bedürfnisse?
Das stimmt. Im Blick auf die Einsatzvorbereitung kommt die Militärseelsorge tatsächlich schlecht
weg. Entweder wurde dazu am jeweiligen Standort nichts angeboten oder das Angebotene wurde als
nicht hilfreich empfunden. Da gibt
es dringenden Handlungsbedarf.
Es hat sich gezeigt, dass Soldaten
und ihre Familien von der Kirche
etwas annehmen würden, wenn
das Angebot innovativ und hilfreich ist. Und das gilt auch für
diejenigen, die sonst nichts mit
Kirche am Hut haben. Statt Dinge anzubieten, die nicht wahrgenommen werden, sollten wir die
Menschen fragen, was sie denn
brauchen.
Sie sprechen von Familiencoaching.
Woran hakt es?
Bei der Vorbereitung auf Einsätze gibt es ganz starke strukturelle
Hemmnisse. Die Soldaten, die in
einen Einsatz gehen, sind vorher
meist auf vielen Seminaren, die
quer durch die Republik stattfinden. Sie leben in der Regel auch
nicht am Standort, wo die Militärseelsorger sind, sondern sind
am Wochenende bei der Familie,
die viele Kilometer entfernt lebt.
Das ist ein Problem. Wir müssen
überlegen, ob sich etwa durch Koordination der Militärpfarrämter
ein Programm anbieten lässt, das
die Soldaten und ihre Familien an
ihren Wohnorten erreicht.
Das ist eine spannende Frage.
Durch die gesellschaftlichen und
politischen Veränderungen werden Fragen aufgeworfen, zu denen die Antworten nicht in Lehrbüchern stehen. Man kann ethische Fragen nicht ein für alle Mal
beantworten. Ich merke, dass ich
als Theologe, Ethiker und Seelsorger genauso meine Fragen zu den
Einsätzen habe wie die Soldaten.
Ein Beispiel?
Inwieweit werden Auslandseinsätze hinterfragt?
Die Frage nach dem Sinn eines Einsatzes wird oft gestellt. Die Akzeptanz von Auslandseinsätzen sinkt
ja nicht nur in der Bevölkerung
insgesamt. Manchmal herrscht
darüber schon innerhalb einer Familie Uneinigkeit. Der Ehemann
oder die Ehefrau ist nicht für oder
gegen einen Einsatz, bloß weil die
Partner miteinander verheiratet
sind. Kinder wiederum müssen
vor Schulkameraden Stellung
beziehen und sich rechtfertigen:
Dein Papa ist im Krieg. Schießt der
da auch Leute tot? Auf solche und
ähnliche Fragen müssen Kinder
und Partner reagieren können.
Fühlen Sie sich selbst gerüstet
für solche Gespräche? Hält die
Ethik, die Sie vertreten, solchen
Fragen stand?
Ich sage mal so: Auslandseinsätze müssen stets neu begründet
werden. Da sind zur Beurteilung
manchmal Spezialkenntnisse gefordert, über die weder ich verfüge
noch ein Soldat. Hinzu kommt:
Was sagt die Politik, wie stellen
sich die Parteien zu einem Einsatz und warum? Was bedeutet es
für Soldaten, wenn sich nur eine
knappe Mehrheit im Bundestag
für einen Auslandseinsatz entscheidet?
Was wir benötigen, ist so etwas wie einen „ethischen Akutservice“, eine Art Dienstleister, der
aktuelle Problemstellungen sofort
aufarbeitet und Informationen
und Argumente bereitstellt. Ohne abstrakte philosophische Ausführungen, die Monate später als
dickes Buch erscheinen, wenn der
Konflikt längst beendet ist. Eine
alltagstaugliche Ethik ist gefragt.
Wer könnte so etwas leisten?
Ich denke da zum Beispiel an das
„Zentrum für ethische Bildung in
den Streitkräften (Zebis)“ und das
„Institut für Theologie und Frieden“ hier in Hamburg.
Letztlich müssen die Soldaten und ihre Familien mit den
Entscheidungen der Politik
umgehen, aber auch mit ihrer
eigenen Entscheidung, sich in
den Dienst der Bundeswehr zu
stellen. Sind die Soldaten in der
Lage, das abzuschätzen?
Eine wichtige Frage, die sich Soldaten stellen müssen ist: Wenn es
nicht gut geht, wenn Du stirbst
oder einen Arm verlierst, war die
Entscheidung für die Teilnahme
am Auslandseinsatz dann immer
noch richtig? Ist die Partnerin
oder der Partner dann auch im
Nachhinein noch dafür? Sagt der
Soldat, dass es ihm das wert war?
Kaum ein Soldat oder eine Soldatin hat darauf eine ethisch gut
begründete Antwort.
Michael Gmelch (55) ist Dienststellenleiter des kath. Militärpfarramtes in Flensburg. Der
Militärdekan hat in Theologie
und Psychologie promoviert.
Interview: Marco Heinen
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