DAS SPIEGELBILD SEINER SELBST Baut der Sohn für seine Mutter ein eigenes Haus, setzt er auf Erfahrung oder wie in diesem Fall auf Einfühlungsvermögen und Vertrauen. TEXT SILVANA MEISEL FOTOS MERLIN PHOTOGRAPHY E s war sein erstes Bauprojekt nach Abschluss des Studiums. Der Architekt Maurice Hédiguer wagte sich gleich zu Beginn seines Berufslebens an eine Herzensangelegenheit: ein Haus für seine Mutter. «Als meine Mutter begann, als Steinbildhauerin zu arbeiten, aber in ihrem Zuhause kein Atelier hatte, sagte ich zu ihr: Sobald ich fertig studiert habe, suche ich dir ein Stück Land und baue dir ein Haus.» So die Vorgeschichte. Weil sie sich punkto gestalterischer und architektonischer Vorlieben 34 auf gleicher Linie befinden, sah der JungArchitekt die Zusammenarbeit mit Annelis Steffen als persönliche Chance. An schönster Lage, auf einem Hügel oberhalb des Dorfes Domdidier fand der Freiburger die passende Parzelle. «Die atemberaubende Weitsicht über das Broyetal und die unangetastete Natur haben die perfekten Voraussetzungen geboten für das, was meine Mutter sich vorstellte.» Von Schlichtheit und Einfachheit sollte ihr Haus geprägt sein. Weil die Künstlerin gerne in Stille und Zurückgezogenheit wirkt und lebt, wünsch­ traumhaus te sie sich ein klosterähnliches Gebäude mit Mauern und Nischen, aber auch offenen Bereichen. Maurice Hédiguer entwarf einen Betonkubus mit präzise gesetzten Ausschnitten und orientierte sich dabei an den Grundsätzen von Annelis Steffen. So wie die Bauherrin bei der Bearbeitung ihrer Steinskulpturen vorgeht, nahm der Architekt dort Baustoff heraus, wo zu viel war und wo die Umgebung es erlaubte. Eine hochge­ wachsene Hecke mit diagonalem Durchblick führte zum Ausschnitt übers Eck. Die Öffnung gegen Norden ermöglicht die 35 INSPIRATION BAUEN HEUTE Die mit Bienenwachs behandelten Wände sind wasserfest und glänzen seidig. Die schlichte Badezimmerausstattung stammt von Keramikland. Sicht auf den Murtensee, im Westen erstreckt sich der scheinbar endlose JuraHügelzug. Hangaufwärts gegen die Quar­ tier­strasse ist man vor Nachbarblicken geschützt. Der Eingangsbereich ist jedoch nicht komplett geschlossen, sondern öffnet sich zum Himmel. Dies ist des Architekten Lieblingsplatz: «Der Patio bildet eine Art Übergangsraum, bevor man das Haus betritt. Dazu steht das Eichenholz in einem schönen Kontrast zum hellen Beton.» NATURELEMENTE FEUER, WASSER UND ERDE Dasselbe Holz wurde auch im Innenausbau grosszügig eingesetzt: Sämtliche Türen, Fensterrahmen, Küchenfronten und ausge- wählte Möbelstücke haben die Eiche als Gemeinsamkeit. «Alles aus mineralischem Baustoff wäre zu kalt gewesen. Durch die Kombination der Materialien ist diese ausgeglichene Stimmung entstanden», erklärt Maurice Hédiguer. Spürt man den Rohzustand der Aussenhaut durch die SichtbetonDecke auch drinnen, bringen Wände aus naturgebranntem Sumpfkalkputz und holzige Elemente Wärme zurück. Auch der dunkel eingefärbte Unterlagsboden zieht sich durch alle Räume und unterstützt die fliessenden Raumabfolgen. Dazu reiht sich nur noch Glas in die Liste der Werkstoffe in Form von ausgedehnten Fensterfronten. Das Atelier von Annelis Steffen befindet sich im oberen Geschoss, zusammen mit einem grosszügigen Wohnbereich, inklusive Feu- erstelle, Gäste-Bad und Küche. Massgenau wurde die Kochlandschaft von der regionalen Schreinerei Peter Schmutz AG in den Raum eingepasst. Ergänzend zum geölten Eichenholz wählte die Bauherrin eine Abdeckung aus Beton von Creabeton und eine Chromstahl-Dunstabzugshaube von Gaggenau. Als Verlängerung der Küche wirkt der kleine, intime Aussenraum, der im Sommer ein lauschiges Plätzchen zum Essen bietet. «Auf einen Garten hat meine Mutter bewusst verzichtet, damit sie sich um dessen aufwendigen Unterhalt nicht mehr kümmern muss. Auch wollten wir nicht zu stark in die Umgebung eingreifen», erzählt Maurice Hédiguer. Viel lieber geniesst die Steinbildhauerin die Naturverbundenheit, wenn die Wildblumenwiese im Sommer bei- Die Küchenabdeckung von Creabeton und die Dampfabzugshaube von Gaggenau ergänzen die Materialgebung optimal. «Durch die Kombination der Materialien ist diese ausgeglichene Stimmung entstanden.» Maurice Hédiguer, Architekt Geölte Unterlagsböden in Anthrazit, hell lasierte Sichtbeton-Decken, edles Eichenholz und Glas bilden ein ausgewogenes Ganzes. 36 traumhaus traumhaus 37 INSPIRATION BAUEN HEUTE Ein klosterähnliches Gebäude mit Mauern und Nischen, aber gleichzeitig auch vielen Öffnungen wünschte sich die Bauherrin. Als wäre er schon immer da gewesen, fügt sich der Betonkubus in das Hügelgelände, ohne dieses zu stören. TECHNISCHE ANGABEN nahe auf Bodenhöhe der unteren Räume wächst. Da wo Schlaf- und Badezimmer einen Zugang nach draussen haben, integrierte der Architekt einen Brunnen ins Bauvolumen. Bademöglichkeiten für drinnen sind mit der frei stehenden Wanne geschaffen worden. Die Bad-Ausstattung von Keramikland steht reduziert und farblich zurückhaltend für das Einrichtungskonzept. Eine Behandlung mit Bienenwachs verleiht den Wänden den seidigen Glanz und macht sie wasserabweisend. Angrenzend befindet sich im Untergeschoss das Schlafzimmer mit Ankleideraum und ein Büro, das auch für Gäste einen Übernachtungsplatz bietet. Aus dem Raum mit der Treppe, die vom oberen Stock nach unten führt, könnte mit wenig baulichem Aufwand ein weiteres Zimmer gemacht werden. 38 «Es ist ein Vier-Zimmer-Haus mit Erweiterungsmöglichkeit eines ­f ünften Zimmers», so Maurice Hédiguer. UNBEKÜMMERT EINFÜHLSAM Den Wunsch von einem bescheidenen Zuhause konnte der Sohn seiner Mutter erfüllen. Überflüssige Details wie Fussleisten, Schubladengriffe oder Vorhänge liess er absichtlich weg. Klare, geometrische Formen dominieren innen wie aussen und prägen das Erscheinungsbild des Objekts. Maurice Hédiguer schob den Betonkubus wie selbstverständlich in den Hang, als hätte er schon immer da hingehört. Sein Verständnis für die natürlichen Gegebenheiten, für Ästhetik wie auch für die Bedürfnisse der Bauherrschaft ist betraumhaus eindruckend, handelte es sich doch um sein erstes Bauprojekt nach Studienabschluss. Der Freiburger konnte zwar auf die Unterstützung und Erfahrung des Architekturbüros Dominique Rosset SA aus der Region zurückgreifen, er plante jedoch sämtliche baulichen Schritte selbst. Unter kundiger Anleitung verschiedener Handwerker erledigte Maurice Hédiguer sogar einzelne Bauarbeiten von Hand. [ ARCHITEKTUR ] [ KONSTRUKTION ] [ RAUMANGEBOT ] Maurice Hédiguer mit Dominique Rosset SA, Fribourg Betonbau | Fassade: Sichtbeton und Eichenholz geölt | Dach: Flachdach Nettowohnfläche: 165 m² | Anzahl Zimmer: 4 [ AUSBAU ] OBERGESCHOSS ERDGESCHOSS Faszinierend, dass das Haus nicht nur ein Spiegel von Wesen und Eigenart der Bauherrin und des Architekten ist. Durch die grosszügige Verglasung, die hellen ­B etonwände, den immer wechselnden Lichteinfall und das dadurch entstehende Schattenspiel gehören wiederholte Spiegelungen zur Kunst des Hauses. Boden: Unterlagsboden geschliffen, anthrazit | Wände: Sumpfkalk-Glattputz, Nassräume mit Bienenwachs behandelt | Decke: hell lasierter Sichtbeton | Fensterrahmen und Türen: Eichenholz [ TECHNIK ] Wärmepumpe mit Erdsonde | Montage von Sonnenkollektoren möglich traumhaus 39