Alexander von Pechmann Rezension Lothar Schäfer

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In: Widerspruch Nr. 25 Philosophie des Mülls (1994), S. 88-92
Autor: Alexander von Pechmann
Rezension
Besprechungen
Bücher zum Thema
Lothar Schäfer
Das Bacon-Projekt. Von der Erkenntnis, Nutzung und Schonung
der Natur
Frankfurt/ Main 1993 (Suhrkamp),
276 S., 48.- DM.
Der englische Lordkanzler ist in den
beiden letzten Jahrzehnten zu einem
der meistgescholtenen Männern avanciert. Ihm bzw. dem Erfolg seines
Projekts einer „neuen Wissenschaft“
sei es zu verdanken, daß heute unsere
Flüsse stinken und unsere Städte ersticken, die Böden vergiften und das
Ozonloch stetig wächst. Die Baconsche Utopie technischer Naturbeherrschung sei, so Hans Jonas, zur „Unheilsdrohung“ geworden. Angesichts
solch massiver Schuldzuweisungen
nimmt Lothar Schäfer die Bürde auf
sich, seine Lordschaft zu verteidigen.
Das „Bacon-Projekt“ will im Rückgriff auf den Ethikbestand der Moderne eine Gegenposition zu Jonas'
„Prinzip Verantwortung“ aufbauen.
Für Schäfer bedeutet das Festhalten
an dieser Option insbesondere, daß
wir unser Handeln weiterhin auf moralische Grundsätze stützen müssen,
die der Mensch sich selbst gibt, und
daß die Forderung, menschliches
Handeln dem Diktat einer „Natur an
sich“ unterzuordnen, „unzumutbar
und unmoralisch“ (136) sei. Schäfer
geht es dabei freilich nicht um die
Verteidigung des konkreten Programms von Bacon, dem er einen tatsächlich einseitig-aggressiven und naiven Optimismus der Naturbeherrschung zuschreibt, sondern um die
Rettung des Baconschen Ideals. Diese
Option, durch den Gebrauch technischen Wissens die Lage der Menschheit zu verbessern, sollten wir nicht
preisgeben, meint Schäfer, wenn uns
an der Idee der Aufklärung, am Projekt der Moderne noch etwas liege.
Schäfer nennt es zurecht ein Mißverständnis, Bacons Utopie aufs bloße „Machen“, auf den wertneutralen
Einsatz einer rein technischinstrumentellen Vernunft zu reduzieren. Bacon habe das technisch Machbare durchaus unter die Kautel des
moralisch Guten gestellt. Zwar be-
gründe Können Macht; aber das Dürfen bedürfe für Bacon der Rechtfertigung im Rahmen einer Ethik. Auch
wenn Schäfer einräumt, daß diese
„general admonition“ Bacons, unter
der allein technisches Wissen anwendbar sei, unausgeführt geblieben
sei, so bilden doch die technische und
die moralisch-praktische Vernunft zusammen das Baconsche Ideal, das
Wissenschaft, Technologie und Allgemeinwohl verklammert. Für Schäfer folgt daraus, unter Berufung auf
Bacon eine Änderung der Ökonomiepräferenz vom „profit“ zum „benefit“ einzuklagen. „Das Wachstum
der Wirtschaft darf kein Selbstzweck
sein. Denn wir sind nur dann berechtigt, die Güter der Natur auf die Befriedigung unserer Zwekke zu beziehen, wenn wir Zwecke verfolgen, die
'über alle Natur hinausweisen': sie
müssen auf die Versittlichung und die
Moralität des Menschen bezogen
sein.“ (151).
Diese Verpflichtung des technischindustriellen Handelns auf die Moralität macht jedoch nur Sinn, wenn man
die These vertritt, die Ursache der
ökologischen Krise der Gegenwart
bestünde in einer Verselbständigung
der technisch-instrumentellen Vernunft. Dann macht es Sinn, diese wieder auf ihre anfänglichen ethischmoralischen Grundlagen zu verpflichten. Was aber ist, wenn gerade die
Verbindung von Wissenschaft und
Technik mit Moral das Problem ist?
Wenn der Bau der Atombombe seine
Energien gerade nicht aus der Aussicht auf Macht oder Profit, sondern
aus der moralischen Legitimation des
antifaschistischen Kampfes gezogen
hat; oder wenn der weltweite Ausbau
der Atomindustrie seine Dynamik
nicht aus der Gewinnerwartung der
Energiekonzerne, sondern aus der ethischen Legitimation der Verbesserung der Energieversorgung der
Menschheit erhalten hat? Und warum
soll den Gen-Techniker über die gute
Bezahlung und die hohe Reputation
hinaus nicht auch - und vielleicht vor
allem - das moralische Motiv treiben,
durch die Entwicklung neuer Verfahren der Menschheit zu dienen? Ist
dem so, dann ist die Baconsche Verklammerung von Technik und Moral
nicht die Lösung, sondern die Ursache des Problems.
Nun leugnet Schäfer nicht, daß dieser
naive Optimismus der Menschheitsbeglückung heute seine Grenzen zeitigt, und es daher der Erweiterung
resp. der Begrenzung des Baconschen
Ideals bedarf: neben das traditionelle
Prinzip des Fortschritts müsse das
neue ethische Prinzip der Erhaltung
treten. Gerade weil die Menschheit
durch die Technik die Macht der
Selbstzerstörung erhalten hat, so interpretiere ich Schäfer, bedarf es einer
allgemeingültigen Norm, die das technisch-industrielle Handeln auf die
Erhaltung der Menschheit verpflichtet. In dem Versuch, diese Norm
nicht durch den Rekurs auf vormoderne Naturmodelle, sondern mit den
Mitteln der Moderne zu sichern, sehe
ich das Besondere von Schäfers Verhaben. Es bedürfe keiner „neuen Ethik“ der Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur, sondern
die Beschränkung geschehe kraft au-
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tonomer Selbstbeschränkung. Nicht
die Furcht vor der Katastrophe, der
Schrecken vor dem Abgründigen
menschlichen Tuns oder das „Erzittern“ vor dem Frevel, sondern die
Vernunft sei es, die menschliches
Handeln mäßige.
Es liegt nahe, sich bei diesem Begründungsversuch auf Kant zu beziehen. Läßt sich also, so die Frage, mit
Kant über das traditionelle Gebot der
Versittlichung hinaus der Grundsatz
der Erhaltung der Menschengattung
als Gebot der Vernunft, ohne Rekurs
auf metaphysische Aussagen, einsehen und begründen? Schäfer bezieht
sich dazu auf Kants Pflichtenlehre: so
wie die reine Vernunft dem Menschen gebiete, die Würde des anderen
anzuerkennen, so gebiete sie auch,
uns selbst anzuerkennen. Die erste
Pflicht des Menschen gegen sich
selbst sei „die Selbsterhaltung seiner
animalischen Natur“. Für Kant erstreckt sich diese Pflicht auf das Verbot der Selbstentleibung, Selbstschändung und Selbstbetäubung. Mir
erscheint es als legitim, wenn Schäfer
diese Pflicht heute zur Sorge um die
Erhaltung der Gesundheit und damit
einer lebenswerten Umwelt erweitert.
Im Rahmen von Kants Ethikkonzept
geht jedoch die Pflicht des Menschen
gegen sich selbst darüber hinaus: es
sei die Pflicht des Menschen zur
„Vervollkommnung seiner selbst“,
um sich dadurch seiner als sittliches
Vernunftwesen würdig zu erweisen.
Für Kant ist die Erhaltung der animalischen Natur des Menschen kein
Zweck, sondern nur die Bedingung
für die „höhere Aufgabe“ der Versitt-
lichung. Der, wie er schreibt, „Anbau
seiner Naturkräfte als Mittel (H.v.m.)
zu allerlei möglichen Zwecken“ sei
die Pflicht des Menschen gegen sich
selbst.
Schäfer stimmt mit dieser Lesart offenbar überein. Er ergänzt daher
Kants Pflichtenlehre: neben die autonome gesetzgebende Vernunft stellt
er als „Ausgangsdatum unsere eigene
leibliche Bedürftigkeit, die uns als
endliche und sinnliche Wesen charakterisiert“ (199). Von diesem Datum
scheint Schäfer nun abzuleiten, es gebe eine Pflicht des Menschen, „auch
für unser leibliches Wohl Sorge zu
tragen.“ Diese erstrecke sich nicht nur
auf das Individuum, sondern auf die
Gattung. „D.h. wir müssen bei all unseren Handlungen gegenüber der Natur reflektieren, was die Auswirkungen unseres Handelns mit Bezug auf
unser kurz- und langfristiges Wohlergehen sein werden.“ (199f) Dieses
Gebot, unser Wohlergehen nicht nur
als Mittel für „höhere Zwecke“, sondern selbst als den letzten Zweck zu
verfolgen, an dem wir all unsere
Handlungen gegenüber der Natur orientieren, sei ein Gebot, dessen Ursache allein die gesetzgebende Vernunft sei.
Schäfer räumt selbst Zweifel an der
Haltbarkeit dieser Konstruktion ein,
die nicht nur attraktiv ist, sondern
m.E. auch das zentrale Argument seiner Verteidigung des Bacon-Projekts.
Denn wäre es die Vernunft, die dieses
„Erhaltungsgebot“ vorschriebe, so
wäre in der Tat die Bezugnahme auf
eine „Natur an sich“, wie Jonas sie
vornimmt, überflüssig und ein unmo-
ralischer Eingriff in die Autonomie
des Menschen. Ja, es wäre dann ein
Gebot der Vernunft, sowohl die außermenschliche Natur als auch das
menschliche Handeln in ihr nach
Maßgabe des „Zuträglichen“ und
„Unzuträglichen“ fürs menschliche
Wohl zu beurteilen. Die interessanten
Ausführungen Schäfers zu einem
„physiologischen Naturbegriff“, der
eine anthropozentrische Bewertung
der Umwelt vornimmt und den natürlichen Stoffwechsel in Hinblick auf
das Wohlergehen des Menschen als
Sinnenwesens qualifiziert, wären nicht
nur interessant, sondern vor allem ein
Gebot der Vernunft.
Aber ist dieses Handlungsgebot als
ein Gesetz beschreibbar, das die Vernunft gibt; oder erfordert es nicht
doch ein Wissen von Naturgesetzen,
die aus reiner Vernunft gar nicht einsehbar sind? Im Kontext der Kantischen Philosophie jedenfalls ist das
Gesetz, das dem Menschen die Sorge
ums Wohlergehen vorschreibt, ein
Naturgesetz, das deshalb keine moralische Pflicht begründet. Es sei ein
Bedürfnis, das der Mensch als zu einer der Tierarten gehörig besitzt. Und
Schäfer schließt sich dieser Auffassung offenbar an (197f). Wenn nun
aber dieses Gesetz nicht als Vernunft, sondern als Naturgesetz gilt, wie
kann dieses dann eingesehen werden
ohne Bezugnahme auf eine Natur an
sich? Man muß dann doch erklären,
wie es möglich ist, daß es in der Natur
solche Wesen gibt, die das Wohlergehen ihrer selbst und ihrer Gattung als
Gesetz haben. Schäfers Aussage zum
physiologischen Naturbegriff: „das
Lebendige zentriert die Welt“ formuliert kein Gesetz der reinen Vernunft,
sondern ein Naturgesetz, und ist zudem m.E. nicht weit entfernt von
dem, was Jonas über die Natur sagt,
wovon sich Schäfer gleichwohl absetzen will. Die Vernunft schreibt hier
nicht vor, sondern sie beschreibt nur
ein Gesetz, dessen Ursprung nicht sie
selbst ist. Damit aber scheitert, so
scheint mir, der Versuch, das „Erhaltungsgebot“ ohne Rückgriff auf Aussagen über „die Natur“ durch reine
Vernunft zu begründen.
Schäfers Insistieren auf Handlungszielen, die der Mensch sich selbst gibt,
verleitet ihn dazu, den Ausdruck „Autonomie“ zweimal in ganz verschiedener Weise zu gebrauchen. Einmal
beschreibt er die Selbstgesetzgebung
der reinen Vernunft, nach der der
Mensch als Vernunftwesen zur Förderung der Sittlichkeit verpflichtet ist
und dazu die Natur, sowohl seinen
Leib als auch die außerleibliche Natur,
als Mittel gebrauchen darf. Das andere Mal bezeichnet „Autonomie“ das
Gesetz, nach dem der Mensch als natürliches Gattungswesen sein Wohlergehen als Zweck verfolgt und dazu
seiner Vernunft als Mittel bedarf. Beide Ziele, das moralische Gutsein und
das leibliche Wohlsein, aus ein und
demselben Prinzip der Selbstgesetzgebung der Vernunft abzuleiten, ist,
kantisch gesagt, ein Paralogismus.
Schäfers „Bacon-Projekt“ formuliert
eine naheliegende Gegenposition zu
Jonas. Es warnt davor, die Vernunft
als Legitimationsinstanz von Werten
und Normen des Handelns außer
Kraft zu setzen, um sie den Forde-
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rungen einer „Natur an sich“ unterzuordnen. Es will das „Projekt Moderne“ modernisieren und das ökonomische Handeln auf das Ziel der
Erhaltung der Gattung Mensch verpflichten, das die Vernunft als das ihre erkennen kann. Dieser Wunsch ist
zweifellos sympathisch. Seine Durchführung offenbart jedoch seine Begründungsschwächen.
Alexander von Pechmann
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