BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/ alpha/forum/vor0412/20041203.shtml Sendung vom 03.12.2004, 20.15 Uhr Prof. Peter Sadlo Percussionist im Gespräch mit Jürgen Jung Jung: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich bei Alpha-Forum. Ich habe das große Vergnügen, Ihnen heute einen Musiker vorstellen zu dürfen, der seit etwa zwei Jahrzehnten sozusagen den Rhythmus im klassischen Orchesterbetrieb angibt. Die Musikkritik feiert ihn als "Schlagzeuger der Superlative", als "Hexenmeister seiner Zunft", gar als "Jahrhundertbegabung". Meine Damen und Herren, freuen Sie sich mit mir auf den Percussionisten Peter Sadlo. (Professor Peter Sadlo spielt auf der kleinen Trommel) Jung: Herr Sadlo, ich freue mich, dass Sie die Zeit gefunden haben, dieses Gespräch mit mir zu führen. Sadlo: Ich mich auch. Jung: Was haben Sie da gerade gespielt? Können Sie ein bisschen was über dieses Stück erzählen? Wer war der Komponist? Sadlo: Es stammt von Wolfgang Reifeneder, einem Komponistenfreund von mir, der in Oberösterreich lebt. Ursprünglich ist dieses Stück eigentlich für den semiprofessionellen Bereich gedacht gewesen. Jung: Was heißt das? Sadlo: Für Schulmusik und für Jugendliche. Ich habe mir dieses Stück mal angesehen und dann hinterher den Komponisten angerufen und zu ihm gesagt: "Darf ich an diesem Stück ein bisschen basteln, was die Klänge betrifft?" Manche Komponisten sehen das ja nicht so gerne, er aber hat zu mir gesagt, dass ich das gerne ausprobieren dürfe. Ich bin dann auf die Suche gegangen und habe eben - wie es seit 20 Jahren meine Philosophie ist, nicht nur technische und virtuose Werke zu spielen, sondern eben den Klang in den Vordergrund zu stellen, weil das Schlagzeug ja herkömmlich als eher geräuschhaftes Instrument bekannt ist - ich habe also über 50 verschiedene Klänge dieser einzigen kleinen Trommel zu entlocken versucht. Mittlerweile ist das eines der führenden Werke für kleine Trommel im klassischen Sinne geworden. Jung: Aha. Zunächst einmal hätte ich gerne gewusst, wie dieses Stück heißt. Sadlo: Es heißt "Crossover" und hat vier Sätze. Der erste und der zweite Satz war soeben von mir zu hören. Der erste Satz ist "militärisch-traditionell" überschrieben. Jung: Das war zu hören. Sadlo: Ja, das war sozusagen noch diese typische kleine Trommel, die man aus der Marschmusik kennt. Der zweite Satz ist dann schon etwas experimentierfreudiger mit vier Schlägeln und verschiedenen Klangzonen. Jung: Das klang so ein bisschen nach Walzer. Sadlo: Ja, das ist auch mit "hochgradig wienerisch" überschrieben. Jung: Es gibt da ja noch zwei weitere Sätze, die wir uns zum Schluss unseres Gesprächs anhören wollen. Zunächst aber, es handelt sich hier ja "nur" um die kleine Trommel, um einen winzigen Ausschnitt aus dem großen Instrumentarium, über das Sie als Schlagwerker im klassischen Orchester verfügen müssen. Können Sie uns ein bisschen erzählen, was Sie da alles an Instrumenten haben, was Sie alles sozusagen beherrschen müssen? Es gibt da nämlich phantastische Zahlen: Ich habe mal gelesen, es gibt 2000 Schlagwerkzeuge, Schlaggeräte. Stimmt das? Sadlo: So ist es. James Blades, einer der bedeutenden Musikwissenschaftler, hat sich intensiv mit dem Schlaginstrumentarium beschäftigt: Er hat über 2000 Instrumente in den verschiedenen Kulturbereichen gefunden. Die Situation ist aber so, dass der normale Orchesterschlagzeuger zwischen 50 und 100 Instrumente beherrschen muss. Davon kennt der Konzertbesucher u. a.: die Triangel, das Xylophon, die kleine Trommel meinetwegen aus dem berühmten "Bolero", die verschiedenen Becken und Tschinellen, die Pauke als eines der traditionellsten Schlaginstrumente. Das sind so die herkömmlichen Instrumente, die man beherrschen muss. Aber dann kommen schon auch noch außergewöhnliche Instrumente hinzu wie z. B. das Marimbaphon mit Vierschlägeltechnik, bei man wirklich mit vier Schlägeln unabhängig auf dem Instrument spielt. Und es gibt natürlich auch noch ganz exotische Instrumente wie z. B. die Tabla oder die Congas, also sozusagen die brasilianische Abteilung, und verschiedene Glocken. Es gibt in den verschiedenen Kulturen nämlich auch ganz verschiedene Glocken. Jung: Da gibt es z. B. die Kuhglocken bei uns. Sadlo: Ja, genau. Agogobells klingen nun einmal ganz anders als afrikanische Glocken, die ja handgeschmiedet sind, oder z. B. unsere einheimischen und berühmten Kuhglocken, die ja wirklich noch der Kuh um den Hals gehängt werden. Diese Vielfalt von verschiedenen Möglichkeiten macht eben das Instrumentarium eines Percussionisten sehr interessant und natürlich auch schwierig, weil wir als Percussionisten ja auch auf die verschiedenen Klangeigenschaften, auf die verschiedenen Anschlagtechniken dieser ganz unterschiedlichen Instrumente eingehen müssen. Zudem kommen dann quasi nach außergewöhnliche Instrumente hinzu, die von bestimmten Komponisten wie John Cage oder György Ligeti verwandt werden: Bremstrommeln oder Autohupen usw. Diese "Instrumente" muss sich der Schlagzeuger dann erst einmal zusammensuchen und sie dann auch wirklich beherrschen. Jung: Der Phantasie sind hier also sozusagen keine Grenzen gesetzt. Sadlo: Genau. Jung: Diese Vielzahl von Instrumenten bringt natürlich auch eine unerschöpfliche Kombinationsmöglichkeit mit sich. Das erfordert dann enorme spieltechnische und andererseits auch klangorganisatorische Fähigkeiten vom Interpreten. Ich könnte mir vorstellen, dass das eine enorme Arbeit ist. Sadlo: Man muss hier ja unterscheiden zwischen dem klassischen Schlagzeuger, der ausschließlich Werke von Komponisten spielt, die konkret notiert sind, und dem freien oder Jazzdrummer, der eben auch die Möglichkeit hat, sich improvisatorisch auszuleben. Bei uns ist es eben so, dass eine gewisse Menge an Instrumenten auch eine bestimmte Grundorganisation nötig macht. Nehmen wir das Beispiel des Komponisten Iannis Xenakis: Da muss man sich als Schlagwerker erst einmal sein Instrumentarium zusammensuchen, denn er schreibt in einem Stück meinetwegen fünf Metalle, drei Felle, fünf Woodblocks oder fünf Hölzer vor. Da muss man also erst einmal auf die Suche gehen nach diesen Metallen und muss sie dann auch aufeinander abstimmen. Man hat also schon große Freiheiten, aber das bedingt eben auch, dass man sich in organisatorischer Hinsicht dieses Instrumentarium für sein eigenes Klangspektrum erst einmal zusammensuchen muss. Jung: Es fällt als Erstes auf, dass der Schlagwerker im klassischen Orchester eher steht. Im Jazz-Drumset sitzt er vorzugsweise. Haben Sie manchmal ein bisschen Neidgefühle gegenüber dem Jazzschlagzeuger, denn er kann ja immerhin mit seinen vier Gliedmaßen gleichzeitig Rhythmen angeben? Das heißt, der Jazzdrummer hat doch viel mehr Möglichkeiten zur gleichen Zeit. Sadlo: Das ist richtig und es ist auch wirklich faszinierend, was die Jazzdrummer bzw. die Drumset-Spieler an Fähigkeiten haben: Sie haben wirklich die Möglichkeit, mit allen vier Körperteilen ganz unabhängig voneinander ihren Rhythmus zu bedienen. Wobei es so etwas bei uns als Klassikerwerke schon auch gibt. Denken Sie nur einmal an den "Anvil Chorus": Da muss der Schlagzeuger die Metalle mit den Füßen spielen. Er hat also ein Stück, in dem er nur Metalle spielt: Er spielt mit zwölf Metallen, bei denen er zwei quasi mit Fußmaschinen spielen muss. Das wird natürlich jedes Mal speziell vorbereitet: Das heißt, es gibt da meinetwegen einen Benzinkanister dafür. So etwas kann sich der Schlagzeuger eben selbst zusammensuchen. Es steht ihm frei, ob er konventionelle Klänge wie meinetwegen eine Kuhglocke oder eben doch etwas Außergewöhnliches nimmt. Ich habe mir immer einen mit Schrauben gefüllten Benzinkanister für diese Fußmaschinen gesucht, weil das eben doch etwas außergewöhnlicher klingt als herkömmliche Schlaginstrumente, die ganz normal im Geschäft zu kaufen sind. Es kann also auch in unserem Bereich vorkommen, dass wir unabhängig von den Händen auch mit unseren Füßen arbeiten müssen. Aber so etwas kommt in der Tat seltener vor. Jung: Im Jazz hat es ja auch eine größere Differenzierung gegeben. Man könnte auch sagen, im Jazz hat es eine stärkere Arbeitsteilung gegeben. Für das, was der klassische Schlagzeuger alleine beherrschen muss, gibt es im Jazz einfach unterschiedliche Musiker. Ich habe noch nie erlebt, dass im Jazz ein Musiker gleichzeitig Vibraphon spielt. Ein Percussionist dort ist in der Regel auch wieder etwas anderes als ein Schlagzeuger. Das heißt, hier hat wirklich eine größere Arbeitsteilung stattgefunden. Glauben Sie, dass das zusammenhängt mit der Funktion, mit dem Stellenwert des Rhythmus einerseits in der europäischen, andererseits in der eher jazzorientierten Musik? Sadlo: Ich glaube, dass im Bereich der populären Musik die Stilistik der Grund war, um eine solche Trennung zu vollziehen. Sie werden das sicherlich kennen: Es gibt phantastische Bigband-Drummer, die aber im Latin-Bereich oder im speziellen Bereich meinetwegen von kubanischer Musik nicht spezialisiert sind. Sie können natürlich auch dort Rhythmus spielen, aber stilistisch eben nicht so einwandfrei. Aus diesem Grund hat hier eine Spezialisierung stattgefunden. Das Spielen auf dem Vibraphon ist schon etwas sehr Außergewöhnliches. Durch den Einfluss von kubanischer, brasilianischer und überhaupt südamerikanischer oder gar afrikanischer Musik gibt es natürlich mittlerweile auch Percussionisten, die sich ausschließlich mit Handspieltechniken beschäftigen. Das Spektrum ist natürlich bei uns Klassikern insofern größer, als bei uns jeder die Vielfalt beherrschen muss. Dafür sind wir aber andererseits stilistisch nicht so eingeengt. Das heißt, wenn man sich als klassischer Schlagzeuger mit dem Conga-Schlag beschäftigt, dann kann man sehr wohl auch ein Stück für Conga spielen, aber man wird doch nie diese spezielle Technik wie meinetwegen ein Kubaner oder Brasilianer erreichen, der mit diesen Instrumenten aufgewachsen ist. Das ist meiner Meinung nach der Grund, warum im "Popularbereich", wenn ich das mal so nennen darf, eine Spezialisierung vorhanden ist. Jung: Wobei natürlich "Popularbereich" tatsächlich ein problematischer Begriff ist, denn der Jazz ist hier ja höchstens noch am Rande mit einzuordnen. Sadlo: Ja, klar. Jung: Ich möchte Ihnen gerne ein Zitat vorlesen: "Die rhythmischen Aspekte der Musik werden bei uns immer noch stiefmütterlich behandelt. Die Sensibilität des Hörens war in Bezug auf das Schlagzeug leider verkrüppelt und ist es z. T. heute noch." Wissen Sie, von wem das ist? Sadlo: Nein, da müssen Sie mir auf die Sprünge helfen. Jung: Von Ihnen! Sadlo: Ach, das ist ja interessant. Jung: Wie erklären Sie sich diese stiefmütterliche Behandlung, diese "Verkrüppelung der Sensibilität" – das ist ja schon ein starkes Wort – in Bezug auf das Hören? Sadlo: Das Problem besteht darin, dass in unseren Breitengraden speziell im Klassikbereich eine Entwicklung stattgefunden hat, aufgrund der sich andere Instrumentengruppen sehr stark noch vorne entwickelt haben. In der klassischen Musik hat es durchaus Virtuosen gegeben, die die Pauke so perfekt gespielt haben, dass sie auf acht oder zehn Pauken wirklich Melodien interpretieren konnten. Nur kam dann eben diese Entwicklung, die das wieder zurückgenommen hat. Durch die Einflüsse der Popularmusik bzw. durch die Einflüsse von außenstehenden Kulturkreisen sind wir heute zwar alle so beeinflusst, dass das Schlagzeug von allen mehr und mehr beachtet wird; aber die nötige Sensibilisierung, um etwa das zu hören, was bei einem solchen Stück wie von Reifeneder passiert, diese Sensibilisierung für einen Klang, den man zelebrieren kann, den man wirklich “aushören” kann und bei dem man die Vibrationen spüren kann, ist natürlich immer noch nicht vorhanden. Die Virtuosität und doch das eher plakative Sehen des Trommelns oder des Schlagzeugspielens stehen immer noch im Vordergrund bei uns. Sie sind ja Fachmann im Jazzbereich: Dort gibt es ja Drummer, die wahnsinnig toll irgendwelche technischen Sachen abliefern können, aber es gibt eben auch einige, die ihr Instrumentarium zum Singen und zum Klingen bringen. Sie sind zwar keine Über-Virtuosen, aber wenn sie auf ihren Drumsets spielen, dann denkt man, sie spielen eigentlich Melodie. Das ist das Faszinierende, das auch mich sehr interessiert. Aber auch im Orchesterbereich gibt es im Hinblick darauf natürlich verschiedene Lager. Da gibt es z. B. Dirigenten, die sehr auf Perfektion achten, und da gibt es Dirigenten, die das Orchester atmen und leben lassen. Jung: Ich hatte meine Frage auch ein wenig in Bezug auf eine sozusagen kulturkritische Problematik gemeint: in Bezug auf das, was man Leibfeindlichkeit nennen kann, die ja in unserer europäischen Tradition durchaus zu konstatieren ist, wie ich glaube. Das heißt, es hat gewissermaßen immer so etwas wie ein Verpönung der Sinnlichkeit und speziell der rhythmischen Sinnlichkeit gegeben. Glauben Sie, dass das auch eine Rolle gespielt hat? Sadlo: Sicherlich ist das einer der Hauptgründe für diese Entwicklung gewesen. Jung: Damit hat ja auch zu tun, dass in der traditionellen klassischen Musik das Schlagzeug doch eher nur eine begleitende Funktion hat: Da geht es im Wesentlichen um Akzentuierungen, um Ostinato-Figuren. Sadlo: Ja, schon, aber in der neueren Orchester-Literatur und speziell in der Solo-Literatur ändert sich das freilich gewaltig. Jung: Ich kann mir vorstellen, dass das auch durch den Einfluss des Jazz' so gekommen ist. Sadlo: Sicherlich auch, ja. Man kann sich ja solche Parallelen wie Frank Zappa und Ensemble Modern ansehen: Da gibt es in der Tat diesen Kontaktpunkt, da passiert natürlich ein Austausch, der enorm ist. Jung: Man könnte vielleicht auch sagen, dass der Jazz ein wenig näher am Herz- bzw. Pulsschlag der Menschen dran ist. Sie selbst haben diesen Ausdruck mal im Zusammenhang mit dem so genannten Ur-Rhythmus erwähnt. Im Jazz ist man wohl an einem pulsartigen Rhythmus interessiert. Sadlo: Ja, ich glaube auch, dass die Entwicklung einiger zeitgenössischer Literatur meinem Gefühl nach ein wenig zu stark in Richtung Intellektualität geht. Ich bin jedenfalls ein Interpret, der auch emotional versucht ein Werk zu erfassen und nicht ausschließlich intellektuell. Sich an den Tisch zu setzen und zu versuchen, so ein Werk erst einmal geistig zu erfassen, bevor man es spielt, ist für einen Interpreten natürlich schon oberste Prämisse: Man muss sich Gedanken darüber machen, wie sich der Komponist das gedacht hat, was man interpretatorisch sehen kann usw. Jung: Es ist ja schwierig genug, das zu erkennen. Sadlo: Ja, es ist schwierig genug, z. B. alle diese Verbindungen zu studieren und auch abzuspeichern. Das heißt, es geht um die Symbiose des geistigen Prozesses auf Seiten des Komponisten mit der je eigenen Interpretation. Man muss eine eigene Interpretationsansicht in der Weise finden, dass man eben nicht "Peter Sadlo" spielt, sondern dem jeweiligen Komponisten dient. Auf der anderen Seite ist es aber meiner Meinung nach leider auch so, dass die Struktur des Pulsierenden, das ja typisch ist für das Schlagzeug, teilweise zu wenig beachtet wird. Der musikantischmusikalische Aspekt beim Schlagzeug wird teilweise wirklich vernachlässigt. Ich selbst versuche daher mit meiner Programmgestaltung und auch mit der Wahl der Komponisten, mit denen ich zusammen arbeite, verstärkt in Richtung dieses vernachlässigten Aspekts zu gehen. Jung: Mich interessiert jetzt, wie Sie geworden sind, was Sie heute sind. Betreiben wir also ein wenig Biographie. Sie sind 1962 in Zirndorf bei Nürnberg geboren. Da gibt es doch schon seit eh und je ein Lager für Aussiedler und Asylbewerber. Hat das in Ihrer Kindheit für Sie eine Rolle gespielt? Hatten Sie dadurch schon in der Kindheit Kontakt zu Vertretern anderer Kulturen? Sadlo: Nein, in dieser Zeit noch nicht. Als ich dann in Nürnberg und später in Würzburg studiert habe, kamen vor allem in Würzburg viele Kontakte zu ausländischen Musikern zustande. Aber im Alter von fünf oder sieben Jahren hat es diesen Kontakt noch nicht gegeben. Jung: Aber mit fünf, sechs Jahren ging es ja bei Ihnen schon los, oder? Sadlo: Ich bin als Musiker so aufgewachsen, wie das wohl typisch ist für Bayern: Ich bin nämlich mit der Blasmusik aufgewachsen. Das waren meine ersten “Gehversuche”. Ich hatte dabei einen sehr guten Lehrer, einen Lehrer, der mich früh gefördert hat und der mich auch technisch so auf die Höhe gebracht hat, dass man gemerkt hat, dass ich eine gute Substanz für eine professionelle Karriere habe. Jung: War das Privatunterricht? Sadlo: Nein, das war im Rahmen der Blaskapelle, also in einem Blasmusikverband. Jung: In einem Spielmannszug. Sadlo: Genau. Aber die erste Entdeckerin meiner Möglichkeiten, die ich hier keinesfalls vergessen darf, war meine Mutter gewesen: Ich habe immerzu auf ihren Kochtöpfen getrommelt. Mein Onkel hat das eines Tages beobachtet und gesagt: "Dem Jungen müssen wir ein Schlagzeug schenken!" Und ich bekam dann auch tatsächlich von einer bekannten Kaufhauskette so ein Pappschlagzeug, und so fing das alles an. Ich war also in der Blaskapelle, im Spielmannszug und macht dann mein erstes Studium in Nürnberg. Jung: Ich wollte es kaum glauben, als ich das gelesen habe, aber dieses erste Studium haben Sie ja bereits mit zwölf Jahren angefangen. Wie war denn das bitte schön möglich? Sadlo: Ich habe damals quasi als Jungstudent bereits am Meistersinger-Konservatorium studieren dürfen. Jung: Sie haben das neben der Schule gemacht. Sadlo: Ja, neben der Schule. Heute würde man solche Projekte als Frühförderung bezeichnen; so etwas würde gezielt gefördert werden. Aber damals war es eine sehr große Ausnahme, sozusagen schon als Kind an einem Universitätsinstitut studieren zu dürfen. Jung: Das ist ja auch verblüffend. Zwei Jahre später waren Sie dann schon im Landesjugendorchester. Sadlo: Ja, im bayerischen Landesjugendorchester. Jung: Ich nehme an, dass auch das für Sie eine ziemlich wichtige Phase gewesen ist. Sadlo: Das war insofern eine wichtige Phase, als ich da zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, mich als Pauker zu versuchen. Das Schlagzeug in seiner Vielfalt hat mich im Rahmen meines Studiums schon immer sehr interessiert, aber wirklich gezielt als Pauker arbeiten zu können und zu wollen ist mir das erste Mal durch das Landesjugendorchester bewusst ermöglicht geworden. Der künstlerische Leiter des Orchesters, der Werner Andreas Albert, hat mich da auch sehr gefördert. Er gab mir die Chance, wirklich meine Nerven und meine Musikalität zu prüfen. Jung: Sie waren erst 14 Jahre alt, als Sie dem Orchester beitraten. Sadlo: Ja, genau. Jung: Verblüffend. Danach dann ging es auf die Musikhochschule in Würzburg. Ich nehme an, das geschah nach dem Abitur. Sadlo: Nach der Schulausbildung, genau. Jung: Dort sind Sie dann ja wohl auf einen ganz wichtigen Mann gestoßen, der für Ihre Karriere eine große Bedeutung gewonnen hat. Sadlo: Das war der Siegfried Fink. Er war der eine von zwei wirklich wichtigen Persönlichkeiten, die ich im Hinblick auf meine eigene Entwicklung im künstlerischen Bereich getroffen habe. Jung: Inwiefern war er von so großer Bedeutung für Sie? Sadlo: Siegfried Fink war erstens ein Mensch, der ein unheimliches musikalisches Wissen hatte. Das heißt, er konnte alle damals bekannten Solostücke spielen: In Deutschland gab es damals höchstens zwei, drei Leute, die sich das selbst erarbeitet hatten. Er hatte guten Kontakt zu allen zeitgenössischen Komponisten, sei es zu Lachenmann oder zu Hans Werner Henze usw. Er hat all ihre Werke uraufgeführt und wusste unheimlich gut dieses Instrumentarium zu vermitteln. Und er war zweitens ein Mann, der mir diese ganze organisatorische Arbeit beigebracht hat. Das ist ja in unserem Metier eine unglaublich wichtige Angelegenheit. Es geht nämlich darum, eine Partitur oder einen Konzertabend so zu organisieren, dass alle Instrumente für die jeweiligen Stücke wirklich zusammenpassen, dass die Programmatik stimmt, dass die Werke vom Ablauf her ineinander übergehen, dass der Zuhörer wirklich ein Konzertprogramm ähnlich wie bei einem Pianisten oder einem Geiger erleben und nachvollziehen kann. Aus diesem Grund war Fink einer der wichtigen Mentoren in meinem Leben. Jung: Er war dann ja wohl auch derjenige, der Sie speziell zur zeitgenössischen Musik geführt hat, denn Sie haben ja solche Leute wie Lachenmann oder Henze bereits erwähnt. Sadlo: Richtig. Ich hatte damals das große Glück, dass ich in Stuttgart die Uraufführung von "Five Scenes from the Snow Country" von Henze machen durfte. Eigentlich war das für Siegfried Fink komponiert worden, er hatte sich dann aber zwei Wochen vor der Uraufführung verletzt. Und so hat er mich gefragt, ob ich das übernehmen könnte. Jung: Wie alt waren Sie da? Sadlo: Ich war damals knappe 18 Jahre alt. Jung: Da hatten Sie ja gerade erst angefangen an der Musikhochschule. Sadlo: Ja, das stimmt. Er hat mich jedenfalls gefragt, ob ich das übernehmen könnte ... Jung: Moment, Moment, diese "Five Scenes from the Snow Country" von Henze sind ja ein unglaublich komplexes Werk. Und über das haben Sie schon damals verfügen können? Sadlo: Ja. Technisch ohnehin. Ich hatte ja in meinen Nürnberger Zeiten die Möglichkeit gehabt, meine Technik auf Hochglanz zu polieren. Und musikalisch hat mir dann Fink dabei geholfen, mir so ein komplexes Werk auch wirklich erarbeiten zu können. Jung: Das heißt, er hat das sozusagen mit Ihnen zusammen erarbeitet. Sadlo: Ja, damals war er noch unterstützend mit dabei. Heute könnte ich so ein Werk natürlich eigenständig erarbeiten. Aber es ist schon wichtig, dass man einen Lehrer hat, der einen auf diese wunderbare Weise führen kann. Jung: Dort in Würzburg haben Sie dann auch das Staatsexamen gemacht: als Pauker und als Schlagzeuger? Sadlo: Eigentlich schon als Multi Percussion Player und nicht als Pauker. Es war allerdings so, dass ich in dieser Zeit sehr viele Wettbewerbe als Pauker gespielt habe. Und 1982 habe ich dann auch bei den Münchner Philharmonikern eine Stelle bekommen. In diesen Zeitraum ist eben auch mein normales Staatsexamen gefallen. Ich habe ja noch eine Meisterklassenprüfung absolviert, also mit dem Meisterklassendiplom abgeschlossen. Jung: Einen Preis aus dieser Zeit sollten wir doch erwähnen, nämlich den Concours International de Geneve. Ich glaube, das ist schon ein ziemlich bedeutender Preis. Sadlo: Er ist einer von den zwei bedeutendsten Wettbewerben im Musikbereich, zumindest wenn man die Wettbewerbe meint, die für alle Instrumente gelten. Es gibt nämlich daneben noch einige Spezialwettbewerbe, die sehr bedeutend sind wie z. B. der Tschaikowsky-Wettbewerb für Klavier. Aber die beiden Wettbewerbe, bei denen alle Disziplinen antreten dürfen, sind dieser Concours in Genf und der Münchner ARD-Wettbewerb. Jung: Ich nehme an, dass Sie dann nach dem Gewinn dieses Preises bei den Philharmonikern in München vorgespielt haben. Stimmt das? Sadlo: Genau. Im Jahr 1982 habe ich von den Münchner Philharmonikern eine Einladung bekommen. Ich kam gerade aus Genf zurück und bekam eine Einladung für ein Probespiel bei den Münchner Philharmonikern. Ich habe dort also ein Probespiel gemacht als sehr junger und noch "unbeschriebener" Mann. 1983 habe ich dann offiziell bei Celibidache begonnen, aber noch 1982 habe ich dort bereits als Aushilfe Solo-Pauke gespielt. Jung: Man wird wohl mit Fug und Recht sagen dürfen, dass Celibidache neben Fink der zweite wesentliche Einfluss in Ihrer musikalischen Entwicklung gewesen ist. Sadlo: Ja, das ist richtig. Jung: Erzählen Sie uns ein bisschen über Celibidache. Denn anfangs gab es ja wohl gewisse Schwierigkeiten zwischen Ihnen beiden. Sadlo: Wer Celibidache auf der Bühne erlebt hat, und es gibt ja auch viele Filmdokumente, auf denen man das heute noch sehen kann, weiß, dass er ein vor Temperament schäumender Mensch gewesen ist. Wenn ihm etwas in die Quere gekommen ist, was ihm nicht gepasst hat, dann hat er das mehr oder weniger mit einem Handstreich vernichtet. Das war schon eine anstrengende Zeit am Anfang, aber er hat immer versucht, die Sache, also seine Philosophie, Musik zu machen, zu transportieren. Das war anfänglich sehr schwierig, denn als junger Mann ohne Orchesterpraxis zu begreifen, wie meinetwegen Phrasierungen seiner Ansicht nach gespielt gehören, war schon schwer nachzuvollziehen und zu durchschauen. Insofern gab es also am Anfang schon gewisse Reibungspunkte zwischen uns. Ich muss hier unbedingt eine Anekdote erzählen. Er hat mich ja quasi immer nur so in meiner Funktion als Pauker gesehen. Nachdem ich den ARD-Wettbewerb gewonnen hatte, habe ich mir eigentlich gedacht, jetzt wird er doch einmal ein nettes Wort zu mir sagen. Der Vorstand hat mir gratuliert, er hat mir quasi im Namen des ganzen Orchesters zu diesem Preis gratuliert, und Celi ging an mir vorbei, schüttelte mir die Hand und sagte zu mir nur: "Weißt du, was ich nicht an dir mag? Dein Ego ist zu stark!" Das war diese Begegnung nach dem ARDWettbewerb. Aber so langsam kam dann doch die Akzeptanz auf seiner Seite: Er hat gesehen, dass ich ihn akzeptiere, dass zwischen uns beiden wirklich eine musikalische Zusammenarbeit möglich ist. Jung: Sie haben ihn ja immerhin mal "meinen Star" genannt. Sadlo: Nein, er hat mich so bezeichnet. Jung: Ach so, dann bin ich da falsch informiert. Sadlo: Er hat mal erwähnt, dass ich eines der Aushängeschilder des Orchesters sei. Aber es gab da wirklich phantastische Musiker: Er wusste natürlich ganz genau, dass er sehr wohl mehrere Stützen im Orchester haben muss, um so ein Orchester auf den für ihn richtigen Weg bringen zu können. Jung: Sie haben bereits in der Frühphase Ihrer Tätigkeit bei den Philharmonikern begonnen zu unterrichten. Schon ab 1983, wenn ich mich nicht irre. Sadlo: Ab 1985. Jung: Da haben Sie als Lehrer an der Münchner Musikhochschule angefangen. Kaum waren Sie also selbst der Ausbildung entronnen, haben Sie schon angefangen auszubilden. Das ist doch auch erstaunlich. Sadlo: Ich habe bereits als Student gerne meine Erfahrungen weitergegeben. Mir war wichtig, dass ich all das, was ich mir in mühevollster Kleinstarbeit zusammengeklaubt hatte, weitergeben konnte und zu meinen Studenten-Kollegen sagen konnte: "Schaut mal, ich habe das jetzt mal eine Woche lang ausprobiert, so funktioniert das!" Das war mir immer ein Bedürfnis. Es gibt freilich auch so manche Kollegen, die das lieber für sich behalten. Mein Bedürfnis war es jedoch immer schon gewesen, den Menschen alles zeigen zu können, ihnen zeigen zu können, wie man an diese Arbeit so herangehen kann, wie ich das aufgrund meiner eigenen Lehrer lernen durfte. Als ich von einem Münchner Professorenkollegen, der damals im Direktorium gesessen hat, nach einer Aushilfe bei den Münchner Philharmonikern gefragt worden bin, ob ich Lust hätte, in der Musikhochschule als Lehrbeauftragter anzufangen, war das für mich ein phantastisches Angebot. Ich fühle mich bis heute sehr wohl dort und das Ganze ist auch in der Tat sehr erfolgreich. Nächstes Jahr bin ich 20 Jahre an diesem Institut und es sind mittlerweile wirkliche Weltstars aus unserer Schule geboren worden, die in allen möglichen bedeutenden Orchestern der Welt spielen. Einige unserer Studenten haben heute selbst schon wieder Professuren usw. Und das Schönste ist: Wir sind alle miteinander auch noch über unsere Arbeitszeit hinaus befreundet. Es erfüllt mich mit sehr viel Stolz, dass das so funktionieren darf und kann. Jung: Das heißt, Sie haben sozusagen Weltstars hervorgebracht. Sadlo: Ja, es gibt mittlerweile schon einige, die in wirklich ganz, ganz großen Orchestern sitzen. Denken Sie an den leider schon verstorbenen Edgar Guggeis: Er war einer der führenden Schlagzeuginterpreten in der neuen Musik. Da gibt es schon einige große Kaliber, wie man bei uns im Jargon sagt, die bei uns studiert haben. Jung: Es gibt einem doch eine große Befriedigung, wenn man so etwas miterleben darf, oder? Sadlo: Ja, das gibt einem schon Erfüllung und es schenkt einem auch innere Freude, wenn die menschliche Struktur dabei so in Ordnung ist. Wenn man so durch Europa oder gar durch die Welt reist und überall seine Freunde und Kollegen trifft, die eben dieselbe Philosophie haben, Schlagzeugmusik zu transportieren, dann ist das schon sehr schön. Jung: Wir haben in den Tiefen des Archivs ein Beispiel gefunden für ihr Vibraphonspiel, und zwar aus dem Jahr 1985, als Sie beim Wettbewerb der ARD in München den ersten Preis gewonnen haben. Das würde ich Ihnen und uns jetzt gerne vorspielen. (Filmausschnitt aus dem Jahr 1985: Peter Sadlo spielt von Darius Milhaud "Konzert für Marimba, Vibraphon und Orchester") Jung: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie sich diese fast 20 Jahre alte Aufnahme anhören? Sadlo: Etwas gewichtiger. Jung: Sie haben immerhin 15 Jahre bei den Philharmonikern gearbeitet und dann aber diesen sicheren Hafen nach dem Tod von Celibidache verlassen. Warum? Sadlo: Das war so ungefähr zwei, drei Jahre nach Celibidaches Tod. Warum? Ich habe mich eigentlich immer mehr als Solist gesehen und die Engagements und die Arbeit als Solist haben mir sehr viel Freude gemacht. Dazu kam dann die Sache mit dem Unterrichten: Ich bekam das Angebot, an der Münchner Musikhochschule eine volle Professur zu bekommen. Das wollte ich natürlich unbedingt wahrnehmen. Die Verbindung Orchester und Solist ist nämlich etwas schwieriger zu handhaben als die Verbindung Professur und Solist. Hinzu kommt, dass man in einem Orchester natürlich auch immer versuchen muss, in so einem Ensemble integrativ zu arbeiten. Der Solist denkt und spielt nämlich letztlich doch ein bisschen anders. Ich hatte daher ein bisschen Angst, dass mir das verloren geht, wenn ich zu lange versuche, mich quasi zu integrieren. Jung: Sie wollten nicht mehr länger "Rhythmusknecht" sein. Sadlo: Nein, das ist es nicht. Aber man muss sich halt wirklich zurücknehmen: Man erfüllt in einer Partitur als Pauker, als Schlagzeuger in so einem Ensemble nur einen ganz kleinen Teil. Die Anforderungen sind manchmal geringer und manchmal auch genauso groß wie bei einem Solisten. Es gibt sicherlich Werke von Olivier Messiaen, die für Marimbaphon geschrieben sind, die genauso anspruchsvoll sind. Das war übrigens vorhin ein Marimbakonzert von mir, denn Sie haben vorhin gesagt, das wäre ein Vibraphonkonzert gewesen: Das war der letzte Satz aus dem Darius Milhaud-Konzert für Marimbaphon, Vibraphon und Orchester. Aber wie gesagt, es gibt natürlich schon auch Partituren, bei denen der Orchestermusiker genauso gefordert ist wie der Solist. Nur, die Struktur, wie er sich integrieren muss oder wie er eben rausspielen muss aus so einem Ensemble, ist eben anders: Das erfordert immer eine schwierige Umstellungsphase. Weil mir das so viele Probleme machte, habe ich irgendwann beschlossen, dass mir die reine solistische Aktivität doch wichtiger ist: Das war von da an mein hauptsächliches künstlerisches Ziel. Jung: Ich nehme an, dass Sie sich auch aus Zeitgründen eher auf den solistischen Weg begeben haben. Denn im Orchester ist das ja immer nur sehr schwer zu koordinieren. Sadlo: Ja, es war schon sehr schwierig, das alles mit den Kollegen so zu kombinieren, dass wirklich jeder den gleichen Anteil des Dienstes macht. Aber ich möchte noch eine wichtige Sache hinzufügen zu diesem Thema. Ich halte es nämlich für sehr, sehr wichtig, dass die Professoren wirklich am Puls der Zeit bleiben: technisch wie auch mit der Möglichkeit, sich intellektuell mit der Literatur auseinander zu setzen. Ich halte das für sehr wichtig, denn ich kenne doch so manchen Kollegen, der sein Wissen aus den letzten 20, 30 Jahren wunderbar transportieren kann, der sich aber nicht mehr aktuell erneuert. Für mich ist das jedenfalls eine wichtige Angelegenheit: Ich möchte neue Kompositionen, neue Literatur spielen und erarbeiten können, um mich selbst weiterzuentwickeln. Jung: Sie haben dann sehr viel Unterschiedliches gemacht: Sie waren Ensembleleiter, Dirigent und auch Komponist. Sie haben nämlich schon auch viele Sachen selbst komponiert. Sadlo: Nun, ich habe viele Sachen arrangiert und vor allem auch eigene Stücke komponiert für Schlagzeug-Ensemble, teilweise für Marimba-Solo, für die kleine Trommel usw. Ich versuche halt einfach meine Einflüsse, die ich durch meine musikalischen Reisen oder aufgrund meiner Zusammenarbeit mit anderen Komponisten und Kollegen gewonnen habe, selbst in Literatur umzusetzen. Jung: Erzählen Sie uns ein bisschen über die verschiedenen Projekte, über die verschiedenen Musiker, mit denen Sie gearbeitet haben, seit Sie vorwiegend solistisch tätig sind. Was war Ihnen in den letzten Jahren wirklich wichtig? Sadlo: Die wichtigste Zusammenarbeit nach den zwei großen Meistern Fink und Celibidache ist die mit Gidon Kremer. Es verbindet uns auch eine große Freundschaft über die musikalische Freundschaft hinaus. Mich fasziniert an ihm vor allem die Tatsache, dass er immerzu auf der Suche nach neuen Klängen oder neuen Werken ist. Er ist wirklich rastlos und ich glaube, es gibt keinen oder nur ganz wenige Musiker, die so ein umfangreiches Repertoire wie er besitzen. Er ist im klassischen Bereich mit den traditionellen Violinkonzerten genauso zu Hause wie auch bei den Uraufführungen. Ich glaube, er spielt pro Jahr 50, 60 Uraufführungen. Er hat auch wirklich schon viele bedeutende Komponisten entdeckt, ob das ErkkiSven Tüür ist oder Sofia Gubaidulina. Er hat viele sehr gute Komponisten gefördert und deswegen ist er wirklich mein künstlerisches Vorbild. Das war also die nächste Stufe meiner Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Dann habe ich viel mit Martha Argerich im Kammermusikbereich zusammengearbeitet. Und dann habe ich eben auch meine eigenen Ensembles gegründet, u. a. mit meinen ehemaligen Studenten und noch zusätzlichen Musikern. Dabei entstand u. a. auch "Drum Together". Jung: Ich darf diese CD mal in die Kamera halten. Sadlo: Diese CD "Drum Together" ist folgendermaßen aufgebaut: Das ist ein multikulti Programm – aber im klassischen Bereich. Das heißt, es gibt darauf Werke, die für mich komponiert worden sind, die jedoch aus gewissen Stilrichtungen aus je eigenen kulturellen Bereichen stammen. Da gibt es z. B. traditionelle Komponisten wie John Cage: Auf der CD ist sein Stück "Third Construction" zu hören. Aber es gibt darauf eben auch Werke für afrikanisches Ensemble und Marimba oder auch Werke für Didgeridoo und Jazzensemble. Jung: Ich möchte die Aufmerksamkeit unserer Zuschauer auch noch auf diese CD lenken: "Peter Sadlo, Percussion, spielt Werke von Minas Borboudakis". Vielleicht könnten Sie noch ein wenig über dieses Werk erzählen. Sadlo: Ich habe ja vorhin schon erwähnt, dass ich mir in den letzten Jahren Komponisten suche, die mit mir die gleiche musikalische Sprache sprechen. Ich habe da einen ganz jungen und phantastischen Komponisten kennen gelernt: einen Griechen namens Minas Borboudakis. Er hat mir quasi eine ganze Reihe an Werken komponiert. Jung: Für Sie? Sadlo: Ja, für mich speziell. Es gibt auf dieser CD z. B. ein Werk für Streichorchester und metallisches Schlagzeug oder auch ein großes Solostück für verschiedene Trommeln, für hölzerne wie für metallische Trommeln, das Iannis Xenakis gewidmet ist. Das letzte Projekt, das wir zusammen gemacht haben, war ein Projekt mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart: Das war ein großes Konzert für Schlagzeug und großes Orchester. Jung: Schön. Fazit: Worum geht es Ihnen ganz allgemein? Was ist Ihr Anliegen? Was möchten Sie bewirken? Sadlo: Ich möchte, dass die Zuhörer unser Instrumentarium in einem anderen Licht sehen können. Ich glaube, in den letzten 20 Jahren ist es uns – also meinen anderen bedeutenden Kollegen, die auf der Solobühne arbeiten, und mir – auch wirklich gelungen, das Schlaginstrumentarium aus diesem doch etwas nicht beachteten Schattendasein heraus und ins Rampenlicht der Bühne zu bringen. Ich wünsche mir, dass es irgendwann für uns genau dieselbe Literatur gibt, die jeder Violinist oder Pianist zur Verfügung hat: mit Tausenden von guten Stücken, sodass man sogar ein ganzes Konzertprogramm meinetwegen nur mit der kleinen Trommel spielen kann. Jung: Herr Sadlo, ich bedanke mich ganz herzlich, dass Sie bei uns waren. Ich würde Sie nun bitten, dass Sie uns noch die beiden letzten Sätze von Wolfgang Reifeneders "Crossover for Snare Drum" zu Gehör bringen. Davor wünsche ich Ihnen aber noch alles Gute für Ihren künftigen Werdegang. Sadlo: Danke. (Professor Peter Sadlo spielt von Wolfgang Reifeneder das Stück "Crossover" für kleine Trommel) © Bayerischer Rundfunk