16 17 Interview Interview Sie gilt als die öffentlichste aller Künste: Architektur. Sie geht alle etwas an, doch wird sie in der Öffentlichkeit viel zu selten diskutiert. Eine wichtige Aufgabe für Architekturkritiker wie Heinrich Wefing. Einmischen und Fragen stellen D r. Heinrich Wefing ist Kulturkorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Berlin und zählt zu Deutschlands renommiertesten Architekturkritikern. Für seine klaren und entschiedenen Urteile wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt im vergangenen Jahr vom Bund Deutscher Architekten mit dem Preis für Architekturkritik. „Meilensteine“ sprach mit dem 41-Jährigen über gute und schlechte Architektur und die Herausforderungen der Zukunft. Meinungen über neue Bauwerke gibt es viele, doch unter Laien gehen sie meist nicht über ein subjektives Gefallen oder Nicht-Gefallen hinaus. Nach welchen Kriterien beurteilen Sie als professioneller Kritiker Architektur? Wefing: Zunächst versuche ich zu verstehen, welchen Gedanken ein Architekt mit einem Bauwerk verfolgt hat. Steht ein Konzept dahinter? Wie schlüssig ist es, und wie ist es verwirklicht worden? Wie fügt sich das Bauwerk in seine Umgebung ein, wenn es sich denn einfügen soll? Bei Gebäuden, die dezidiert herausstechen sollen, muss man sich fragen, ob es eine innere Rechtfertigung gibt, sich in den Vordergrund zu drängen, oder ob es richtiger wäre, sich in den städtebaulichen Kontext einzufügen. Ein gutes Gebäude hat eine Haltung, eine Stimmung. Beispiele dafür sind für mich etwa der von Frank O. Gehry entworfene Neubau der DG-Bank am Pariser Platz in Berlin oder die neue Dresdener Synagoge der Architekten Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch. Missraten finde ich dagegen Gottfried Böhms Hans-Otto-Theater in Potsdam: eine enttäuschende Kiste, Meilensteine | Ausgabe 2/07 | 15.6.2007 an die Böhm den Saal nur angeklebt hat. Im Inneren eines Gebäudes geht es mir um die Detaildurcharbeitung, die Qualität der Materialien, den Fall des Lichts. Ganz wichtig ist die Frage: Ist ein Bau benutzerfreundlich? Auf die Spitze getrieben: Würde ich selbst in so einem Neubau wohnen oder arbeiten wollen? Da wird’s dann wirklich sehr subjektiv. Skeptisch bin ich stets bei Gebäuden, die auf den schnellen Effekt setzen. So etwas verbraucht sich rasch, und ein Haus soll schließlich zwei bis drei Generationen an seinem Platz stehen. So lange kann man nicht über einen Architektenwitz lachen. Doch nicht nur der zwanghafte Wille zur Originalität, sondern auch deren völliges Fehlen kann zum Problem werden … Wefing: Das Hauptproblem sind tatsächlich die Bauten, die 90 Prozent der Städte ausmachen: Shopping Center, mediokre Bürobauten und billige Hotels. Wegwerfarchitektur, die allein ökonomischen Gesetzen gehorcht. Glauben Sie, dass viele Architekten selbst gern in den von ihnen entworfenen Häusern leben würden? Wefing: Der Architekt im Architektenhaus scheint auf dem Rückzug zu sein. Viele Architekten, die ich kenne, leben lieber in Altbauwohnungen, ganz so wie der Rest der Bevölkerung „Ein gutes Gebäude hat eine Haltung, eine Stimmung. “ Dr. Heinrich Wefing, Architekturkritiker für die „FAZ“ nachhaltiger bauen und die Ressourcen schonen müssen. Gutes Beispiel für die Umsetzung eines schlüssigen Konzepts: die neue Dresdener Synagoge auch. So etwas hat stets mit Zeitstimmungen zu tun, aber es sollte den Architekten doch zu denken geben. Viele Altbauten besitzen Qualitäten wie Sinnlichkeit, handwerkliche Durcharbeitung, auch Geborgenheit, die Neubauten meist fehlen. Trotzdem schwören viele Planer auf Fassaden aus Glas und Stahl. Wird eine solche Bauweise vor dem Hintergrund der Diskussion um Energieverbrauch und Klimawandel an Beliebtheit einbüßen? Wefing: Ich denke, es wird eher dazu führen, dass die entsprechenden Formelemente technisch weiterentwickelt werden, bis Glasfassaden auch verschärften Anforderungen genügen. Aber natürlich werden Fragen der Umweltverträglichkeit künftig in allen Bereichen eine größere Rolle spielen. Man wird im Sinne einer „grünen Architektur“ Meilensteine | Ausgabe 2/07 | 15.6.2007 Welche stilistischen Tendenzen werden die Architektur in den kommenden Jahren bestimmen? Wefing: Wir leben mehr denn je in einer Zeit beispielloser Pluralität von Ideen, Stilen und Formen. Immer noch gilt „anything goes“. Ich beobachte daher den Biomorphismus genauso neugierig wie minimalistische Tendenzen. Ein sehr interessanter Bereich bleibt die Auseinandersetzung mit dem Neotraditionalismus als kritischer Kommentar zur Moderne. Darin spiegelt sich der Wunsch der Nutzer nach Werthaltigkeit, hochwertigen Materialien, nach Identitätsstiftung in der globalisierten Welt. Wenn so viele Menschen die Architektur der Vergangenheit schätzen, müssten sich dann nicht viel mehr Architekten an diesen Wünschen orientieren? Wefing: Der Architekturdiskurs ist in Deutschland extrem hermetisch. Manche prominente Architekten scheinen sich wenig darum zu scheren, was die Öffentlichkeit von ihrer Arbeit hält. Sie achten – aus nachvollziehbaren Gründen – vor allem auf die Reaktionen der Fachkollegen. Entsprechend schlecht ist der Ruf der Architekten in der Bevölkerung, die oft den Eindruck hat, sie müsse Bauten hinnehmen wie Schicksalsschläge. Als Architekturkritiker betrachte ich es als Teil meiner Aufgabe, bei wichtigen Projekten schon in der Entwurfsphase auf die Mitsprache der Öffentlichkeit zu drängen. Architekten und Bauherren müssen erläutern, was sie vorhaben, müssen Kritik ertragen und darauf reagieren. Was sie bauen, prägt schließlich für lange Zeit unsere Städte.