Interview ohnetitel

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Sommerszene Salzburg
20. Juni – 1. Juli 2017
Presseinformation, 7. Juni 2017
ÜBER DAS VERSCHWINDEN
Auch in diesem Jahr zeigt die Sommerszene Präsenz im öffentlichen Raum: Ein Gespräch mit
ohnetitel, dem Salzburger Netzwerk für Theater- und Kunstprojekte über ihre Produktion Gärten
von Gestern, in der sie am Salzburger Kommunalfriedhof gemeinsam mit dem Publikum den
Techniken des Erinnerns nachgehen. Die Uraufführung ist am 21. Juni.
ohnetitel versteht sich als Netzwerk der verschiedenen Kunstformen und ihrer Akteure: Welche
davon kommen in den Gärten von Gestern zum Einsatz, welche Schnittstellen wird es geben?
ohnetitel: Wir erarbeiten unser Material in kleineren Konstellationen, u. a. mit einer Gruppe vom SEAD,
Studierenden vom Thomas-Bernhard-Institut, mit Theaterleuten oder Musikern. Am Ende fügen sich die
einzelnen Puzzlesteine wie eine Komposition zusammen und auch die Akteure mischen sich untereinander.
Der Friedhof soll für das Publikum sehr bildhaft und sinnlich erlebt werden, als klanglich-visuelle
Komposition, die im inneren Kosmos weiterläuft.
In Euren Projekten werden immer wieder durch Interventionen Fragmente des Alltags gezeigt: In
Eurem Projekt Die Loge am Salzburger Hauptbahnhof für die Sommerszene 2015 konnte der
Zuschauer das Geschehen aus der Vogelperspektive beobachten und gleichzeitig via Kopfhörer an
kurzen Lebensmomenten der Vorbeigehenden teilnehmen. Was interessiert Euch am
Ausschnitthaftem?
ohnetitel: Sehr viele unserer Projekte finden im öffentlichen Raum statt, an Plätzen, an denen Alltag
stattfindet – manchmal wird ein ganzer Stadtteil zum Thema. Wir untersuchen sehr genau die innere
Struktur, die Grammatik dieser Orte. Darauf entwickeln wir dann unsere künstlerische Arbeit und machen
für ein Publikum den Ort sichtbar, entwerfen einen neuen Blick darauf. Ob Geschäftsgründungen oder eine
Loge in luftiger Höhe. Uns geht es um die temporäre Konstruktion von Wirklichkeit und da ist Alltag als
Material spannend.
Friedhöfe sind meist Orte am Rand einer Gemeinschaft, abgegrenzt vom Alltag und seinen Ritualen.
Viele Eurer Projekte finden im belebten öffentlichen Raum statt: Wie kam die Idee, als Spielort
einen Friedhof zu wählen?
ohnetitel: Friedhöfe sind so etwas wie Fußnoten zu einer Stadt. Sie sind stumme Erzähler und Flüsterer.
Hier ist spannend: Legt man den Plan des Kommunalfriedhofs neben den von New York Manhattan, dann
ergibt das eine verblüffende Ähnlichkeit. Der Raster, der über N.Y. gelegt ist, gliedert in selbiger Form den
Friedhof. Der Friedhof als „unsichtbare Stadt“, mit unterirdischen Hotels, der Rhythmus des Flüchtigen,
kurze Momente von Tagträumen oder Chimären des Alltags. Ein bildhafter Zugang, der uns sehr inspiriert
hat zu einer Andersdeutung des Ortes und ihn vielleicht doch „tiefer“ zeichnet.
Die ersten Assoziationen zu Friedhof und Begräbnissen sind in unserer Kultur meist Trauer, Verlust,
Abschied, Schmerz – und vor allem Stille, während in anderen Kulturkreisen Feste gefeiert werden.
Was sind Eure Assoziationen?
ohnetitel: Erinnerung ist ein siamesischer Zwilling der Zeit. Wir brauchen Erinnerung zur Konstruktion
unserer Identität – übrigens nicht umsonst sind die beunruhigenden Themen des Altwerdens Demenz oder
Alzheimer, also das Verschwinden des Ich. Die Kunst ist voll mit gewaltigen Epen zur Erinnerung – von
Proust bis Joyce. Wir beschränken uns auf zwei Phänomene: Das Paradoxon, dass mit jedem Erinnern an
ein Ereignis oder an eine Person, diese etwas mehr verschwinden, abrücken, blasser werden. Mit jedem
Sommerszene Salzburg
20. Juni – 1. Juli 2017
Erinnern überschreiben wir den Gegenstand neu, verändern ihn. Wir wollen gerne was behalten, ein Bild
der Zeit einreißen, aber in dem Moment entgleitet es auch schon wieder. Immer verbunden mit der
Erinnerung ist eben die Zeit. Daraus entwickeln wir das Konzept, das uns zu den Techniken des Erinnerns
führt.
Ein Friedhof ist ja eine Art verbindende Bruchlinie zwischen Erinnern und Vergessen: Wie geht Ihr
künstlerisch darauf ein?
ohnetitel: Wir arbeiten mit wiederkehrenden Elementen, die sich immer wieder selbst überschreiben, sei es
im Wort, in Bildern oder mit Klang. Auch das Schemenhafte taucht auf, Bilder, die sich nicht greifen
lassen oder ein verfremdetes Detail in sich tragen – eine kleine Verbeugung vor der Kreativität der
Erinnerung. Weiters interessiert uns die Aufteilung der „Erinnerungstechniken“ in individuelle und
kollektive Formen. Gerade dazu bietet sich der Friedhof als beispielhafter Boden an: wir gehen auf den
Friedhof, um unserer persönlichen Erinnerung Raum zu geben, oder versammeln uns als Gruppe, um
gemeinsam Halt zu finden. Gleichzeitig, und das interessiert uns wieder mit Blick auf die Architektur des
Ortes, trägt der Kommunalfriedhof viele Landschaften (oder „Stadtteile“ in sich), die andere Bezüge des
Lebens mitbringen, den Park, den Garten, das Eigenheim oder den Blick auf den Berg.
ohnetitel
Gärten von Gestern. Techniken des Erinnerns.
Mi 21. und Do 22. Juni, Sa 24. und So 25. Juni, 17.00 und 19.00 Uhr
Kommunalfriedhof Salzburg, ± 70 min
Uraufführung
ohnetitel.at
„Wenn man dann wieder unten ist, hat man auch von dort einen anderen Blick auf das Ambiente.
Pathetisch könnte man sagen: Theater verwandelt. Praktisch wäre es schön, würden solche Spielflächen
immer wieder und immer anders und immer wieder überraschend entstehen. Was ohnetitel hier aufführt, ist
eine poetische Metapher, die gerade in ihrer Unaufdringlichkeit einen besonderen, weil spielerischassoziativen Reiz hat. Die pompöse Theatralik der Loge ist eine Hülle, hinter (und unter) der sich das
Leben abspielt.“
Salzburger Nachrichten, Karl Harb über Die Loge, die im Rahmen der Sommerszene 2015 am
Bahnhofsvorplatz gezeigt wurde, lesen Sie den gesamten Text hier
ohnetitel – Netzwerk für Theater- und Kunstprojekte
2007 gründete sich ohnetitel als Plattform für spartenübergreifende Theater- und Kunstprojekte in
Salzburg. Ihre Mitglieder kommen aus den Bereichen Theater, Tanz, bildende Kunst, Musik, Film und so
zeichnen sich auch ihre Arbeiten durch einen vielseitigen Umgang mit Formaten aus. Die Produktionen
umfassen theatrale Inszenierungen für den öffentlichen Raum, literarische Spaziergänge, Installationen,
textbasierte Kammerstücke und Salonabende. Die personelle Besetzung des vierköpfigen Vorstandes des
Vereins: Thomas Beck, Dorit Ehlers, Sabine Jenichl, Arthur Zgubic.
Hinweis: Michikazu Matsune What the Hell: Uraufführung 23. Juni, Alter Markt
Am Alten Markt wirft der japanische Performer Michikazu Matsune gemeinsam mit SEAD-Studierenden
in What The Hell einen humorvollen Blick auf unsere heutige Welt in ihrer Hoffnungslosigkeit und mit
ihren ungelösten Problemen: Die performative Intervention überrascht mit absurden Aktionen und
irrationalen Gesten in den scheinbar sicheren Zonen, in denen wir leben. (Uraufführung – Fr 23. Juni, 18.00
Uhr, Sa 24. Juni, 11.00 Uhr, Mo 26. Juni, 18.00 Uhr, Alter Markt – Eintritt frei)
Weitere Informationen unter:
szene-salzburg.net
facebook.com/szenesalzburg
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