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Kultur
Flughafen-Anlage Berlin-Tempelhof (gebaut 1935 bis 1941): Kolossale Kulisse, die den Betrachter zerschmettert und erhebt, zugleich
ARCHITEKTUR
„Worte aus Stein“
Der Berliner Flughafen Tempelhof symbolisiert deutsche Hauptstadt-Geschichte. Von den Nazis
als Macht-Demonstration geplant, nach dem Krieg Landeplatz für „Rosinenbomber“,
wird er jetzt zum Spielfeld für Spekulanten und Show-Veranstalter. Auftakt: ein Weltraum-Musical.
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D. LEISTNER / ARCHITEKTON
Seit zwei Jahren läuft „Space Dream“ in Areal mit seinen 49 Gebäuden, 7 Fluger Traum vom Unendlichen hat
Tradition in Tempelhof. Diesmal Baden bei Zürich. Jetzt soll der „Raum- zeughallen und 9000 Büroräumen die Berauscht er aus den Weiten des Uni- Traum“ in einer aufgeblasenen Version mit gehrlichkeiten zahlreicher Investoren.
Nichts scheint in dem Ambiente mit dem
versums heran, um unter zuckendem La- Tempelhof-Aura Kasse machen. Über 14
serfeuer und in beißenden Kunstnebel- Millionen Mark hat die Berliner Produkti- authentischen Nazi-Look unmöglich: Ob
schwaden mitten im Hangar II niederzu- on verschlungen, die Kosten für den Hal- Eissporthalle, Go-Kart-Bahn oder Technogehen. „Space Dream“ nennt sich das len-Umbau eingeschlossen. In nur zwei Disko – die Pläne für eine neue Nutzung
Weltaumspektakel, das seit vergangenem Jahren, rechnet Eichenberger vor, habe des steinernen Riesen, der aus der Luft
Donnerstag siebenmal die Woche durch sich die Investition amortisiert. Selbst wie ein mächtiger Vogel wirkt, stapeln sich.
Eine imposante Kulisse für gute Gedie alte Flugzeughalle fegt. Ein interga- dann, wenn die Hälfte der 1438 Sitze reschäfte, da sind sich die Unternehmer einig,
laktisches Wiedervereinigungsepos über gelmäßig leer bleiben sollte.
Die Schweizer waren die schnellsten im wäre das Ding durchaus – und es stört sie
zwei verfeindete Weltraumvölker.
Das bunte, rührselige Spektakel des Rennen um die stimmungsvollen Hallen offenbar nicht sonderlich, daß die PrachtSchweizer Hobbymusikers Harry Schärer, auf dem Tempelhofer Gelände. Weil die Anlage Hitlers erster großer Staatsbau ist.
Schon in der Nazi-Zeit war dies ein Ort
37, erzählt vom Friedensschluß zwischen wenigsten Berlin-Passagiere von diesem
ehemaligen Feinden im All, vor allem aber Flughafen abheben, weckt das kolossale für die Massen, ein Ort der großen Show
– nicht des kulturellen, sondern
von dem braven, einsamen Mäddes kultischen Spektakels. Hitchen, das eines Tages durch eiler selbst schaltete sich 1935 in
nen außerirdischen Märchendie Planungen für einen „Weltprinzen beglückt und fortgelockt
flughafen“ ein, schließlich sollte
wird. Musikalisch bedient sich
in Tempelhof, beispielhaft und
das gestelzte Aufsage-Theater
monumental, das verheißene
voll wabernder Weisheiten im
Tausendjährige Reich unerhörte
Supermarkt der Pop-Geschichte.
und unvergängliche Gestalt anLange suchte die Musical-Pronehmen. Schon deshalb folgte
duzentin Brigitte Eichenberger,
Hitler nicht seinem Luftfahrtmibis sie den geeigneten Ort für
nister Hermann Göring, der den
ihre mediokre Moralin-Show geneuen Flugplatz lieber außerhalb
funden hatte. Doch als sie endder Stadt bauen wollte. Für den
lich in Tempelhof landete, war
Führer ein indiskutabler Vores für die Eidgenössin „einfach
schlag: Schließlich sollte die neue
klar“: Die gigantische FlugzeugInszenierung der Macht unüberhalle ist „die ideale location“ für
sehbar das Stadtbild prägen. Er
das Erfolgsmusical.
Tempelhof-Vorfeld mit Kragdach: Kühne Trägersysteme
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dem einzelnen die greifbare Illusion einer stolzen, unzerstörbaren Gemeinschaft darbietet
Berliner Musical „Space Dream“: Popmix und wabernde Weisheiten
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entschied sich für das zentral gelegene
Tempelhof, nur ein paar Kilometer vom
Reichstag entfernt.
Hitler war es auch, der die Form des
Ganzen mitbestimmte: eine streng symmetrische Anlage, gebogen wie eine Banane und 1230 Meter lang. „Wir müssen so
groß bauen, als die technischen Möglichkeiten dies heute gestatten“, forderte der
Diktator, die Architektur sollte zeugen von
der „Größe unseres Glaubens“, sollte
„überwältigend“ sein, „zerschmetternd“
und vor allem „ewig“.
Mit der politischen Äonentat beauftragt
wurde 1935 Ernst Sagebiel, der kurz zuvor
für Göring das Reichsluftfahrtministerium
gebaut hatte, das heutige Detlev-Rohwedder-Haus an der Wilhelmstraße, in das 1999
der Bundesfinanzminister einziehen wird.
In kürzester Zeit hatte der Architekt die
Gebäudemassen hochgezogen und sich so
als Reichsschnellbaumeister für die nationale Aufgabe Tempelhof qualifiziert.
In nur zwei Jahren entstand eine teutonische Trutzburg: Durch die Treppenhäuser, die Sagebiel im regelmäßigen Abstand
von 70 Metern vor die Fassade des Gebäudebügels setzte, erinnert der Flughafen
an eine wehrhafte Stadtmauer. Einladend
ist immerhin die gewaltige Eingangshalle:
Zu einem runden Platz öffnet sich das Gebäude wie die Dreiflügel-Anlage eines
Schlosses und saugt die Massen hinein in
die feierlich hohen Empfangs- und Flugsteighallen.
Es sind die traditionellen Ausdrucksmittel der Macht, erfunden von den Architekten der Renaissance und des Barock,
mit denen Sagebiel das Flughafengebäude
in Szene setzt. So guckte er sich beim
großen Berliner Baumeister Karl Friedrich
Schinkel ab, wie man hoheitsvolle Fassaden entwirft: Langgestreckte, hochgestellte Fenster verbinden das erste und zweite
Geschoß, darüber lagern zwei MezzaninGeschosse mit kleineren Fensterquadra191
F. MONHEIM / ARCHITEKTON
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FOTOS: BPK
Tempelhofer Abfertigungshalle: Feierlich hohe Raumschönheit für Empfang und Abschied
ger Jahren entwickelt worden waren.
Doch Sagebiels staatliches Signal für die Ankunft
einer neuen Ära sollte nicht
nur beeindrucken: Tempelhof sollte auch unterhalten.
So entstand aus den modernen Materialien ein Riesendach, auf dem sich Tribünen
aufbauen ließen mit Platz
für 80 000 Zuschauer. Bei
Reichsflugtagen sollten sich
hier die Massen an den
circensischen Vorführungen
der Flieger vergnügen, hier
umjubelte man die technische Brillanz deutscher Ingenieure und das Können
deutscher Piloten. Tempelhof: ein ziviles Übungsfeld
für nationale Zuversicht.
Sagebiel erfüllte die Erwartungen Hitlers, der zwischen Kunst und Politik
kaum Unterschiede machte: Für ihn sollte die Architektur dazu beitragen, „unser Volk politisch mehr denn
je zu einen und zu stärken“.
Dazu brauchte es nicht unbedingt eine eigene natio-
Flughafenmodell, Architekt Sagebiel (vorn, 1939), Berliner Luftbrücke (1948): Symbolort dramatischer Geschichte
ten, und die Wände sind überwiegend mit
feinem Muschelkalk verkleidet. Tempelhof, das sind fürstliche Formeln der Herrschaft, gebläht ins Gigantische.
Allerdings verzichtete Sagebiel auf
Prunk und Ornament, ganz bewußt entschied er sich für die klare, nackte Form
und die geometrische Strenge. Und so gelang ihm der Spagat zwischen Tradition
und Moderne: Der 1892 geborene Architekt beherrschte die Sprache der jungen,
innovativen Kollegen seiner Zeit, hatte lange in Köln bei Jakob Körfer gearbeitet, der
die ersten Hochhäuser Deutschlands baute, und war später sogar Büroleiter beim
großen, jüdischen Berliner Baumeister
Erich Mendelsohn. Doch als erster deut192
scher Architekt, noch vor Albert Speer, steigert Sagebiel die sachliche Linie der Moderne ins Monumentale, im Dienst einer
Macht, die, ähnlich wie ihr kommunistischer Widerpart, restaurative Ästhetik mit
technischem Fortschrittsgefuchtel verband.
Sagebiel hatte die bautechnischen Neuerungen, die seinen Flughafen auszeichnen,
bei Mendelsohn kennengelernt: kühne Trägersysteme aus Stahl und Stahlbeton, mit
denen er selbst die 400 Meter lange Flugsteighalle ohne Stützen überdachen konnte. Aus wenigen genormten Einzelteilen
wurden die Wände und Fassaden hochgezogen: eine industrielle Bauweise, die auch
für die gewaltigen Wohnungsbauprogramme der Sozialdemokraten in den zwanzid e r
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nalsozialistische Architektursprache – nie
konnten sich die Nazi-Größen definitiv
darauf einigen, in welchen Formen man
denn nun eigentlich das neue Reich errichten wollte.
Viel entscheidender waren die schiere
Wucht der Gebäude, ihre herkulische
Kraft-Anmutung: Erst all dies zusammen
machte die Bauten zu „Worten aus Stein“.
Sie sollten „hineinragen in die Jahrtausende der Zukunft“, so wünschte es sich
der Führer. Dem einzelnen deutschen Bürger wurde so die greifbare Illusion geboten, zu einer erhabenen, unzerstörbaren
Gemeinschaft zu gehören.
Allerdings: Der Krieg war schneller als
die Erhabenheit. Bis 1938 war der Rohbau
zwar abgeschlossen, und danach wurde
drei Jahre lang noch weiter am Innenausbau gerarbeitet. Doch 1941 war Schluß:
Die Gelder flossen in die Rüstung, und die
zivile Luftfahrt wurde fast gänzlich eingestellt. Nur unterirdisch, in dem kilometerlangen Tunnelsystem unter dem Flughafen, bauten Arbeiter im Akkord Kampfflugzeuge zusammen.
Den Krieg überstand die „Mutter aller
modernen Flughäfen“, so der britische
Architekt Sir Norman Foster, so weit
unbeschadet, daß die Alliierten das
Flugfeld rasch für ihre Zwecke umbauen
konnten.
Zu existentieller Bedeutung für Berlin
gelangte Tempelhof erst wieder, als die
Sowjetunion von Juni 1948 bis Mai 1949
eine Blockade über die Stadt verhängte
und der Flughafen Hauptziel der amerikanischen „Rosinenbomber“ wurde. In
Spitzenzeiten landete hier alle zwei Minuten eine Maschine. So wurde aus der
Machtdemonstration der Nazis ein BauSymbol westlicher Freiheit.
Heute wird in Berlin der Flugverkehr
vor allem über Tegel und Schönefeld abgewickelt. Zwar wird Tempelhof weiterhin
von kleinen Fokkers oder Saabs angeflogen, doch seitdem feststeht, daß der einstige DDR-Zentralflughafen Schönefeld
zum Groß-Airport ausgebaut wird, ist die
Zukunft für die historische Anlage ungewiß.
Seit 1995 steht der Bau zusammen mit
dem Vorfeld unter Denkmalschutz, ein Abriß ist also ausgeschlossen. So sind die meisten Denkmalpfleger nicht beunruhigt
über die drohende Schließung: „Wenn keine Flugzeuge mehr fliegen, ist das einfach
besser für das Gebäude“, sagt die Berliner
Denkmalpflegerin Christine Wolf. Erst neulich sei wieder eine Maschine beim Landen
so dicht über die Dächer gerast, daß die
Pfannen herunterflogen. „So ein Musical
wie Space Dream“, sagt Wolf, „ist da doch
die viel sicherere Lösung.“
Unterdessen gibt es für die gewaltige
Freifläche von vier Quadratkilometern bereits einige kühne Vorschläge: Beim Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD)
liegt das Projekt einer „Flughafenstadt“
mit 7500 Wohnungen. Der Berliner Berufsvisionär und Publizist Wolf Jobst Siedler will auf dem Gelände gar einen Central
Park aufziehen lassen, ein Freizeit- und
Vergnügungsangebot für die Berliner.
Damit liegt Siedler sehr nah an den
Träumen des Architekten Albert Speer.
Hitlers Chefbaumeister und späterer
Rüstungsminister entwickelte schon 1938
die Idee, den Tempelhofer Flughafen –
weil er langfristig nicht ausbaufähig sei –
in ein gigantisches Kraft-durch-FreudeFeld zu verwandeln, in ein Tivoli für die
Massen.
Das war ein Raum-Traum, ein „Space
Dream“, der im Zeitalter der Rockfestivals, Lasershows und Jumbo-Konzerte von
Star-Tenören durchaus Wirklichkeit werden könnte.
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