Textvorlage Lex länger Febr2010

Werbung
Textvorlage: Fachlexikon der Sozialen Arbeit, 7.. Auflage 2011
Hrsg. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge,
Berlin, Eigenverlag
Juliane Sagebiel
Macht in der Sozialen Arbeit
Von gesellschaftlichen Macht-balancen- und -beziehungen hängen sowohl die Entstehung,
wie die Definition von sozialen Problemen, die Durchsetzung professioneller
Bewältigungsformen und die Anerkennung der Sozialen Arbeit als Wissenschaftsdiziplin
ab. Machtstrukturen und die daraus resultierenden sozialen Probleme als Gegenstand der
Sozialen Arbeit konstituieren das Praxisfeld der Profession.
Macht ist ein Kräfteverhältnis und das Ergebnis von sozialen Beziehungen, das sich in
sozialen Systemen über die Interaktionen von Individuen widerspiegelt. Machtbeziehungen
zeichnen sich durch eine Positions- und Interaktionsstruktur aus, in der diejenigen, die über
Ressourcen, Fähigkeiten und Symbole verfügen, ein Oben und diejenigen, die über weniger
Ressourcen verfügen, ein Unten bilden. Hierarchisch angeordnete Beziehungen sind
sowohl Ergebnis als auch Voraussetzung für soziale Chancen und Integration. Sie
verweisen auf Status und Position und somit auf Teilhabechancen innerhalb der
Gesellschaft. AdressatInnen der Sozialen Arbeit nehmen in der Regel eine niedrige soziale
Position ein, die auf strukturelle Abhängigkeiten, bzw. soziale Ungleichheit verweist. Ihre
Lebenssituation ist geprägt durch einen Mangel an ökonomischen, bildungsmäßigen,
symbolischen und sozialen Ressourcen i.S. fehlender Mitgliedschaften, sozialer Isolation,
Ausgrenzung, fehlender sozialer Anerkennung, mangelndem Einfluss und Fremdbestimmung. Sie leiden nach sozialarbeitswissenschaftlicher Auffassung unter praktischen,
sozialen Problemen, die als Machtprobleme zuungunsten der AdressatInnen strukturiert
sind, denn sie erschweren ihnen, ihre biologischen, psychischen und sozialen Bedürfnisse
angemessen zu befriedigen.
Die individuelle Ausstattung eines Menschen bilden Machtquellen, die sofern sie erkannt
und genutzt werden, über das Maß an Einfluss in sozialen Beziehungen i. S. von Position,
Anerkennung und Status entscheiden. Als Machtquellen gelten: a. Körpermacht i. S. von
physischer Stärke und Attraktivität, b. Ressourcenmacht i.S. von kaptialwerten Gütern,
Bildung, soziokulturellen Eigenschaften (Position) und Mitgliedschaften, c. Modell- und
Artikulationsmacht i. S. von Überzeugungsfähigkeit, Wissen und Problemlösungsfähigkeit,
e. Positions- und Organisationsmacht i.S. von Vernetzungs- u. Organisationsfähigkeit. Die
Erschließung von Machtquellen und der Aufbau legitimer Macht zur Bewältigung von
sozialen Problemen kann durch problemorientierte Arbeitsweisen wie
Ressourcenerschließung, Bewusstseinsbildung, Vernetzung, und Empowermentstrategien
erreicht werden.
Ob Macht problematisch i.S. von menschenverachtender und behindernder
Ungleichheitsordnung ist oder gerecht i.S. von bedürfnis- und menschengerechter sozialer
Ordnung, hängt ab von der Art wie die Verteilungsmuster von Gütern und die
Arbeitsteilung geregelt ist, wie Ideen und Werte institutionalisiert, legitimiert und
sanktioniert werden. In der strukturellen Schichtung der Gesellschaft als hierarchische
Muster und Wertzuschreibungen zeigen sich soziale Ungleichheit und soziale
1
Gerechtigkeit. Staub-Bernasconi unterscheidet für die Soziale Arbeit als normative
Handlungswissenschaft zwei Formen der Macht: die legitime, menschengerechte
Begrenzungsmacht und die illegitime, menschenverachtende Behinderungsmacht.
Begrenzungsmacht als bedürfnisnahe und einschränkende Steuerung von
Machtbildungsprozessen ermöglicht den Individuen den legitimen Zugang zu allen
verfügbaren Ressourcen in allen Lebensbereichen, die Menschen für ihre
Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe benötigen, unabhängig von Alter,
Geschlecht, Nationalität, Religion, Hautfarbe. Behinderungsmacht dagegen schließt
willkürlich einzelne Gruppen von der gesellschaftlichen Partizipation aus, indem
vorhandene Güter künstlich verknappt werden. Behinderungsregeln beschränken und
disziplinieren nach unten und entgrenzen und eröffnen die Umverteilung nach oben.
Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession ist ohne eine theoretische Reflektion und
einen kritisch professionellen Umgang mit Macht nicht denkbar. Denn die Macht ist
allgegenwärtig auf allen gesellschaftlichen Niveaus, in denen Soziale Arbeit agiert. Die
theoretisch basierte, kritische Reflektion reicht von der professionellen Hilfebeziehung über
die Macht der Fachkräfte und der ihr zur Verfügung stehenden Hilfe- und
Kontrollinstrumente, der Macht- und Ohnmacht der AdressatenInnen bis hin zu den Machtund Hierarchiestrukturen der Trägerorganisationen.
Für die Beschreibung, Erklärung und normative Bewertung von Machtverhältnissen bieten
sich Denkfiguren an, die Macht als menschliche Fähigkeit zu handeln beschreiben, wie die
klassische Definition von Max Weber, die handlungstheoretische Konzeption von Hannah
Arendt und die phänomenologische Perspektive von Heinrich Popitz.
Macht bedeutet nach Max Weber die Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den
eigenen Willen auch gegen das Widerstreben anderer durchzusetzen, gleichviel worauf
diese Chance beruht. Ein Akteur kann zum eigenen Nutzen gegenüber einem Schwächeren
durchsetzen und dessen Gehorsam erzwingen, indem er die Chance nutzt seine
Machtquellen einzusetzen. Institutionalisierte Macht legitimiert sich als Herrschaft über
Recht, Tradition und Charisma.
Für Hannah Arendt entspringt Macht der menschlichen Fähigkeit sich mit anderen
zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt
niemals ein Einzelner, sie ist im Besitz organisierter Gruppen und bleibt nur so lange
existent wie diese zusammenhält. Die menschliche Fähigkeit zur Machtbildung verweist
auf die Vergänglichkeit und Veränderbarkeit von Machtstrukturen und Abhängigkeiten.
Heinrich Popitz beschreibt Grundformen der Macht analog ihrer historischen Entwicklung
und bezieht diese auf die anthropologischen Voraussetzungen und Handlungsfähigkeiten
des Menschen. Macht ist eine notwendige Kraft, um soziale Ordnungen zu schaffen und zu
stabilisieren. Da Macht von Menschen geschaffene Strukturen sind, sind sie veränderbar
und müssen legitimiert werden, da sie freiheitsbegrenzend wirken. Machtbeziehungen
entstehen aufgrund der Entsprechung von menschlichen Fähigkeiten einerseits (zu
zerstören, zu drohen, Sicherheit und Anerkennung zu geben und die Natur technisch zu
verändern) und den biologischen, psychischen und sozialen Abhängigkeiten andererseits
(Verletzbarkeit, Angst, Orientierungs- und Anerkennungsbedürfnis und der Abhängigkeit
von einer künstlich veränderte Umwelt).
Michael Foucault hingegen untersucht Machtbildungsprozesse unter Effizienz- und
Ökonomieaspekten als Zusammenspiel von Kräften und Regeln in Kultur und Gesellschaft.
Diese Kräfte und Regeln verbinden und reproduzieren sich und bilden den gesamten
2
modernen Gesellschaftskörper, indem sie sowohl kontrollierende, einschränkende, als auch
steigernde, positive Kräfte entfalten. Macht ist die Verbindung von Wissen über Menschen
und Dinge, die sich in Diskursen entfalten und die Bedingungen festlegen, über was, wie
gesprochen wird, was als aktuelle Wahrheit gilt, und was Normalität und was Abweichung
ist. Vor dem Hintergrund dieser Perspektive entlarven sich wohlfahrts-staatliche,
gesundheits-politische, gentechnologische Diskurse als verfeinerte, unsichtbare Machtdiskurse, die zum einen kontrollierend und disziplinierend konformes Verhalten erzwingen,
zum anderen aber auch hochproduktiv, integrierend und im positiven Sinne kräftesteigernd
auf die gesamte Bevölkerung zielen und wirken.
Als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium des Funktionssystems Politik
beobachtet Niklas Luhmann Macht. Nicht als Eigenschaften oder Besitz einer Person oder
Gruppe, sondern als ein Medium für die Produktion von Erwartungen der Umwelt an das
Politiksystem, kollektiv bindende Entscheidungen zur Sicherung der sozialen Ordnung
bereitzustellen. Macht ist eine codegesteuerte Kommunikation, die als Kontextmarkierung
in allen sozialen Systemen vorkommen kann und von diesen als Selektionsofferte über den
Code Sicherheit/Unsicherheit gesteuert wird. In der Kommunikation unterliegt derjenige,
der über mehr Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten verfügt und es unterliegt derjenige,
der der das Kommunikationsangebot annehmen muss, ohne eine Alternative wählen zu
können.
Juliane Sagebiel, München 2-02-2010
Literatur:
Arendt, H.: Macht und Gewalt, München Zürich 2000
Engelke, E.: Wissenschaft Soziale Arbeit. Werdegang und Grundlagen,
Freiburg i. B., 2003Foucault, M.: Analytik der Macht, Frankfurt M., 2005
Luhmann, N.: Macht, 1988
Popitz, H.: Phänomene der Macht, Tübingen 1992
Sagebiel, J.; Der professionelle Umgang mit Armut nach der Handlungstheorie
von Silvia Staub-Bernasconi, in: Maier, K. (Hg.): Armut und Soziale
Arbeit, Freiburg i. B. 2009
Sagebiel, J., Vlecken, S.: Soziale Arbeit (M)acht Diagnose – Allgemeines
methodisches Professionswissen als Quelle professioneller Identität, in:
Engelfried, C. (Hg.): Soziale Organisationen im Wandel. Fachlicher
Anspruch, Genderperspektive und ökonomische Realität. Frankfurt/New
York, 2005
Staub-Bernasconi, S.: Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft,
Bern.Stuttgart.Wien 2007
Weber, Max: Soziologische Grundbegriffe. Mohr, Tübingen 1984
3
Herunterladen