Bauteile wiederverwenden – Werte entdecken

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Ute Dechantsreiter
Bauteile wiederverwenden –
Werte entdecken
Ein Handbuch für die Praxis
fachlich begleitet und finanziell gefördert durch die
Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Dezember 2015
Antragsteller des Projektes: Forschungsvereinigung für Recycling
und Wertstoffverwertung im Bauwesen e.V., Bremen,
begleitet von (a. D.) Geschäftsführer J. J. Lau
Autor/innen: Ute Dechantsreiter (Projektleitung), mit inhaltlichen
Beiträgen von Michael Bär, Barbara Hausmann, Peter Horst,
Andreas Lieberum, Dominique Lunkenheimer, Frank Männicke,
Claudia Neu, Stephan Ott, Anja Urbanek, Dr. Andreas Wittek, Anja Zens
Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden,
reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag.
Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein
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im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 oekom, München
oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,
Waltherstraße 29, 80337 München
Layout, Satz und Lithografie: Reihs Satzstudio, Lohmar
Grafik: Svenja Kerkhoff, handwerk-idee+design, Achim
Umschlag: Elisabeth Fürnstein, oekom
Korrektur: Cornelia Bückmann, Elke und Rolf König, Bremen
Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt.
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-86581-786-0
E-ISBN 978-3-96006-106-9
UTE DECHANTSREITER
Bauteile wiederverwenden –
Werte entdecken
Ein Handbuch
für die Praxis
Bundesverband bauteilnetz Deutschland e.V. (Hrsg.)
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
klima- und ressourcenschonendes Bauen, energieund ressourcenschonende Quartiersentwicklung und
-erneuerung sowie Ressourceneffizienz sind nur einige Klammern, mit denen die neuen Förderleitlinien
der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) eine
nachhaltige Entwicklung umschreiben. Die BauteileWiederverwendung ist für die DBU ein konkreter Ansatz, das Thema Kreislaufwirtschaft in einer der abfallintensivsten Branchen zu behandeln. Dabei ist die Vermittlung der Werthaltigkeit verbauter Materialien und
Bauelemente ein wichtiges Kommunikationsziel, das darüber hinaus geeignet ist,
sich auch über die vorgelagerten Produktionsprozesse im Klaren zu werden.
Um die endlichen Ressourcen (»planetary boundaries«) als einen limitierenden
Faktor eines grenzenlosen Wachstums deutlich zu machen, sind gerade im Bereich
des Hochbaus neues Denken und Kreativität gefragt. Denn es geht darum, Gebäude
so zu konstruieren, dass sie sich schadensfrei und schadstofffrei wieder zurückbauen
oder sich bestenfalls für neue Nutzungsmöglichkeiten effizient umbauen lassen.
In diesem Handbuch werden die Erfahrungen des Bundesverbandes bauteilnetz
Deutschland e. V. als Dachorganisation der Bauteilbörsen beim Rückbau dokumentiert. Sie sollen als Anleitung dienen, in möglichst vielen Kommunen in Deutschland
die Werte des vorhandenen Gebäudebestandes nicht nur zu erkennen, sondern
auch für Folgenutzungen zu sichern.
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat deshalb gern den Start und die Weiterent wicklung der Bauteile-Wiederverwendung gefördert – denn Nachhaltigkeit
braucht konkrete Beispiele für den Alltag. Das vorliegende Handbuch stellt eine gute
Hilfestellung aus der Praxis und für die Praxis der Bauakteure dar, um zur Nachahmung zu motivieren.
Wir danken dem Projektteam unter Koordination von Frau Dechantsreiter ganz
herzlich für die geleistete Arbeit.
Verena Exner
Referatsleiterin »Umweltkommunikation und Umweltmanagement
in der mittelständischen Wirtschaft« der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
2
Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.1
Abfallvermeidung – Erweiterte Zielsetzung beim Bauen und Sanieren . . . . . . 18
2.2
Gebäude bei der Planung rückwärts denken . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.3
Organisatorische Herausforderungen der Bauteilegewinnung
2.4
Verborgene Wertschöpfung der Bauwirtschaft
3
Ziele und Ergebnisse des Forschungsprojektes
»bauteilnetz Deutschland« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.1
Bauteile-Wiederverwendung – erprobte Herangehensweise . . . . . . . . . . 35
3.2
Status quo Wiedereinsatz von Baumaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.3
Der Bauteilkatalog – Erfassung und Bilanzierung
3.4
Darstellung durchgeführter Rückbauprojekte – praktische Erfahrungen
3.5
Darstellung ausgeführter Bauwerke
4
Identifizierung geeigneter Instrumente und Handlungsempfehlungen . 149
4.1
Planung und Konzeption des Gebäuderückbaus
4.2
Wiederverwendung und Gefahrstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
4.3
Planung und Konzeption von Sanierungen und Neubauten
4.4
Produktverantwortung – Rückbauverantwortung
4.5
Darstellung ausgewählter bilanzierter Bauteile . . . . . . . . . . . . . . . 167
4.6
Entwicklung eines Gebäudestoffpasses
4.7
Qualifizierung im Bauwesen »Fachkraft für die Bauteile-Wiederverwendung« . 185
5
Regionale Bauteilbörsen, historische Baustoffhändler . . . . . . . . . 191
5.1
Brandenburg – bauteilbörse berlin-brandenburg
5.2
Bremen – bauteilbörse bremen
5.3
Niedersachsen – bauteilbörse hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
5.4
Nordrhein-Westfalen – bauteilbörse gronau, bauteilbörse herzogenrath
5.5
Saarland – GebrauchtBauMarkt, Saarbrücken
5.6
Unternehmerverband Historische Baustoffe e.V. (UHB)
5.7
Baustoffhändler in den Niederlanden
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
. . . . . . . . . 22
. . . . . . . . . . . . . . . . 23
. . . . . . . . . . . . . . . 80
. . . . . 97
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
. . . . . . . . . . . . . . 149
. . . . . . . . . 153
. . . . . . . . . . . . . . 161
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
. . . . . . . . . . . . . . 192
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
. . . 194
. . . . . . . . . . . . . . . 197
. . . . . . . . . . . 197
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
6
Ausgewählte übergeordnete rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . 199
6.1
Europäische Abfallrahmenrichtlinie
6.2
Europäische Bauprodukten-Verordnung
6.3
Kreislaufwirtschaftsgesetz
7
Entwicklung der Wiederverwendung von Bauteilen . . . . . . . . . . 202
7.1
Bremer Entwicklung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
7.2
Ursprung Bauteilbörse Basel
7.3
Aktuelle Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7.4
Europa-Vergleichsuntersuchung zum Stand der Bauteile-Wiederverwendung
8
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
9
Glossar
9.1
Wärmeschutz bei Fensterglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
9.2
Die recycelte Stadt – Stadtrundgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
9.3
Sanierungsprojekt Heinrichstraße, Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
10
Über die Autoren und den Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . 218
11
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
12
Quellenverzeichnis
13
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
14
Tabellenverzeichnis
15
Abkürzungsverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
. 207
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Einleitung
1 Einleitung
(Andreas Lieberum)
Im Jahr 2015 fiel der Tag, an dem die Menschheit mehr natürliche Ressourcen verbraucht hat als die Erde in der Lage ist zu reproduzieren auf den 13. August 1, vor
zehn Jahren war es der 20. Oktober. Und man kann davon ausgehen, dass bei weiterhin steigenden Bevölkerungszahlen und dem damit verbundenen Hunger nach
Rohstoffen der sogenannte Earth Overshot Day noch früher im Jahr erreicht werden wird. Mit anderen Worten zehren wir das Kapital der Erde auf, anstatt im Sinne
eines nachhaltigen Wirtschaftens, das darauf achtet, das Kapital zu erhalten, von
den Zinsen zu leben.
Für den Baubereich gilt eine ähnliche Verschwendungssucht. Sand ist nach Wasser die Ressource, die am schnellsten zur Neige geht, und der illegale Handel mit diesem wertvollen Material nimmt rapide zu. Der Bauboom in den Schwellenländern,
aber auch die zunehmende Urbanisierung in Europa und damit auch in Deutschland,
tragen maßgeblich dazu bei, dass dieser Trend auch in den kommenden Dekaden
weiter zunehmen wird.
Der Bausektor in Deutschland ist mit Abstand der ressourcenintensivste. Jedes
Jahr werden mehr als eine halbe Milliarde Tonnen Baurohstoffe eingesetzt und über
50 Milliarden Tonnen Material sind bereits in Gebäuden und Bauwerken verbaut.2
Es ist deshalb gut, dass das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm – kurz
ProgRess – nachhaltiges Planen, Bauen und Nutzen von Gebäuden und baulichen
Anlagen als eine der herausragenden Aufgaben für die kommenden Dekaden definiert (BMU, 2012). Und mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz, das sich in der Abfallhierarchie an die Vorgaben der Europäischen Abfallrahmenrichtlinie hält und nach
der Abfallvermeidung die Vorbereitung von Abfällen zur Wiederverwendung als
zweithöchste Qualitätsstufe definiert, sind sowohl die gesetzlichen als auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinreichend beschrieben, um im Bausektor ein
Umdenken zu flankieren.
Noch etwas weiter als das Kreislaufwirtschaftsgesetz geht die Recycling-Baustoffverordnung in Österreich, die am 29. Juni 2015 in Kraft getreten ist. Darin wird
in § 1 zum Ziel gesagt: »Ziel dieser Verordnung ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft und Materialeffizienz, insbesondere die Vorbereitung zur Wiederverwendung von Bauteilen und die Sicherstellung einer hohen Qualität von Recycling-Baustoffen, um das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen im Sinne unionsrechtlicher
Zielvorgaben zu fördern.« (Bundesgesetzblatt Österreich, 2015). In ihr wird dem
1 www.overshootday.org
2 www.umweltbundesamt.de/daten/abfall - kreislaufwirtschaft/entsorgung - verwertung - ausgewaehlter-
abfallarten/bauabfaelle
9
Kapitel 1
Rückbau im Sinne einer Umkehrung der Errichtung eines Bauwerks der Vorrang eingeräumt und damit die Wiederverwendbarkeit von Baustoffen befördert.
Neben diesen abfallrechtlichen Betrachtungen gilt es aber auch, ein Umdenken
in der Gesellschaft zu befördern und deutlich zu machen, dass in den verbauten
Materialien Werte enthalten sind, die es zu bewahren gilt. Denn trotz einer hohen Recyclingquote von Bauschutt und Straßenaufbruch von circa 82 Prozent im Jahr 20103
sind davon nur 16 Prozent für die Asphalt- und Betonherstellung genutzt worden. Der
große Rest geht in den Straßenbau, den Erdbau oder den Bau von Deponien und erfährt damit bestenfalls ein Downcycling. Die wertgebenden Eigenschaften von Baustoffen müssen aber so lange wie möglich erhalten bleiben, das heißt, sie sollten
wieder für den ursprünglichen Zweck eingesetzt werden, wenn sie ihre erste Lebensphase beendet haben. Die Idee des »Cradle-to-cradle« (von der Wiege bis zur Wiege), die von den Kreislaufpionieren Michael Braungart und William McDonough in
den 1990er Jahren entwickelt wurde und seitdem auch in einigen Teilen der Industrie angekommen ist, beschreibt den Einsatz von wiederverwertbaren Rohstoffen als
die eigentliche Lösung des Problems »Abfall«. Es gibt ihn dann einfach nicht mehr, da
alle Stoffe, die bei der Produktion als Reststoffe anfallen oder die nach der Lebensphase eines Produktes übrigbleiben, wieder eins zu eins in den Wirtschaftskreislauf
zurückgeführt werden können. Auch wenn dieses Prinzip aufgrund seiner einfachen
Logik für viele nachvollziehbar ist, ist es immer noch eine kleine Nische mit wenigen, real am Markt verfügbaren Produkten, die dies umgesetzt haben. Denn in der
Hauptsache wird heute – wenn überhaupt – an der Verbesserung der Ökoeffizienz
gearbeitet. Auch wenn wir im Bereich der Produkt-, Material- und Energieeffizienz
eine Menge erreicht haben, ist eine grundsätzliche Abkehr von der klassischen Wirtschaftsweise kaum zu erkennen. Häufig werden die Effizienzgewinne auf der einen
Seite, durch die Mengenströme auf der anderen Seite überkompensiert.
Zurück zu den Baustoffen und den Gebäuden: Würden wir den Ansatz von Braungart/McDonough darauf übertragen, dürften bei der Produktion von Baustoffen
nur natürliche Rohstoffe verwendet werden, die bestenfalls wieder nachwachsen.
Diese müssten so verbaut werden, dass dabei keine Schadstoffe freigesetzt werden
und gleichzeitig die Chance besteht, sie wieder vollkommen schadensfrei zurückzubauen, um anschließend wieder dem Hochbau zur Verfügung zu stehen. Bevor
wir tatsächlich so weit sind, wird noch viel Zeit vergehen. Dennoch gibt es bereits
heute erste Ansätze, Gebäude so zu bauen, dass sie diesen Ansprüchen zumindest
nahekommen. Und es gibt Initiativen, wie den Bundesverband bauteilnetz Deutschland e. V., die es sich zur Aufgabe gemacht haben, aus den Abbruchgebäuden möglichst viele Baustoffe und Bauelemente vor dem Schredder zu retten und sie einer
3 https://www.umweltbundesamt.de/daten/abfall-kreislaufwirtschaft/entsorgung-verwertung-ausgewaehlter-
abfallarten/bauabfaelle
10
Einleitung
sinnvollen Wiederverwendung zuzuführen. In mehreren Pilotprojekten, die unter anderem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wurden, konnte sehr
anschaulich gezeigt werden, was möglich ist, wenn Abbruchunternehmer Hand in
Hand mit örtlichen Bauteilbörsen arbeiten. Dabei konnte dargestellt werden, dass
auch der Abbruchunternehmer profitiert, wenn die Bauteilbörse vorher die Störstoffe
entfernt hat. Dies geht nur dann, wenn der Ablauf auf der Baustelle gut koordiniert
wird und die Akteure die Qualifikation haben, den Rückbau schnell und schadensfrei zu bewerkstelligen.
In diesem Handbuch wollen wir die gemachten Erfahrungen dokumentieren, die
guten Beispiele präsentieren und potenzielle Nachahmer motivieren, die BauteileWiederverwendung in den eigenen Alltag zu integrieren, Teil der Wertschöpfungskette zu werden und das Thema auf die kommunale Agenda zu heben.
11
Kapitel 2
2 Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
(Ute Dechantsreiter)
Die notwendige Schonung der natürlichen Ressourcen einerseits und die Sicherung
der Rohstoffversorgung andererseits haben in den letzten Jahren stärker als zuvor
zu Diskussionen um eine ressourceneffizientere Kreislaufwirtschaft im Bauwesen geführt. In Deutschland werden jährlich 700 bis 800 Millionen Tonnen Rohstoffe für
das Bauen und Wohnen benötigt (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
GmbH, 2008). Die Gesamtförderung an nicht energetischen Rohstoffen in Deutschland lag zwischen 1995 und 2010 bei 560 Millionen Tonnen/Jahr. Die größte
Nachfrage wird, Tendenz gleichbleibend, aus dem Bausektor verzeichnet. Die herausragenden Gruppen dabei sind Bausande und Kiese mit einem Abbauvolumen
von 305 Millionen Tonnen. Nach Verbandsangaben wurden 2010 Sande und Kiese
zu 75 Prozent im Tiefbau und für die Betonherstellung benötigt (DIW Berlin, 2013).
Der gesamte Bedarf an Baumaterial für den Bereich des Wohnungs- und Gewerbebaus wird auf 120 Millionen Tonnen im Jahr geschätzt (Schiller et al., 2015).
Gleichzeitig ist das Bauwesen in Deutschland der größte Abfallproduzent. Das
Bauabfallaufkommen in Deutschland (Bundesumweltamt 2009, Statistik von 2000
bis 2007) betrug je nach Bautätigkeit circa 250 Millionen Tonnen pro Jahr. Die Bauund Abbruchabfälle stellen damit mengenmäßig die größte Gruppe am gesamten
Abfallaufkommen in Deutschland dar. Im Betrachtungszeitraum 1995 bis 2013 sind
durchschnittlich pro Jahr 205 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle angefallen.
Diese Bauabfälle teilen sich zu einem Drittel in Bauschutt, Straßenaufbruch und Baustellenabfälle, zu zwei Drittel in Bodenabfälle auf. Aus den in den Fraktionen Bauschutt, Straßenaufbruch und Baustellenabfälle im Jahr 2012 anfallenden 80,2 Millionen Tonnen je Jahr werden durchschnittlich 55,5 Millionen Tonnen (69,2 Prozent)
Recyclingbaustoffe hergestellt, während 18,1 Millionen Tonnen (22,5 Prozent) einer
sonstigen Verwertung zugeführt werden. Durchschnittlich 6,6 Millionen Tonnen
(8,2 Prozent) dieser Fraktionen werden auf Deponien beseitigt. Wobei von wirklicher »Beseitigung« der 6,6 Millionen Tonnen Materialien pro Jahr – im Sinne von
nicht mehr existent – ja nicht die Rede sein kann. Diese Deponien entstehen aus
kontaminierten oder undifferenzierten Mischmaterialien, die auch in Zukunft einer
Überwachung bedürfen und von den Kommunen unterhalten werden müssen.
Interessante Möglichkeiten zur Wiederverwendung bestehen bei einer näheren
Betrachtung der Zusammensetzung des Bodenmaterials, das durchschnittlich mit
125,1 Millionen Tonnen pro Jahr anfällt (zum Beispiel Steine), des Bauschuttes mit
54,9 Millionen Tonnen (Steine, Pfähle, Betonfertigelemente, Keramik etc.) und der
12
Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
Abbildung 1: Rückbau von drei Villen.
Abbildung 2: Wiederverwendung nicht vorgesehen.
Baustellenabfälle mit 8,8 Millionen Tonnen4. In welchem Umfang sich in den zuvor
genannten Massen noch gut erhaltenes, wiederverwendbares Material verbirgt, ist
nicht bekannt.
Unter einem Stoffstrommanagement am Bau wird heute also in erster Linie die
möglichst sortenreine Verwertung von Bauabfällen, die Sortierung nach Stofffraktionen verstanden. Eine Entnahme von Bauteilen vor Abbruch findet in der Regel nicht
statt. Auch »kleinere« Gebäude, die sich aus Erfahrung besonders gut für eine Bauteilentnahme eignen, werden durchaus vom Bagger zertrümmert, mit dem Ergebnis,
dass alle Bestandteile auf einem Haufen landen. Später muss und wird die Masse
dann mit entsprechendem Aufwand wieder getrennt.
Die Recyclingwirtschaft hat sich auf die stoffliche Verwertung spezialisiert. Die
Möglichkeiten zur hochwertigen Verwertung dieser neuen RC -Baustoffe werden
derzeit allerdings noch nicht ausgeschöpft. Sehr wohl kann davon ausgegangen
werden, dass hier ein enormes Potenzial für die Wiederverwendung und eine Fortent wicklung des hochwertigen Recyclings liegt. Flankierend dazu werden die Grundstoffe wie Kies und Sand zunehmend teurer und damit das Recycling, die Herstellung
von Ersatzstoffen, tendenziell immer wirtschaftlicher.
Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (siehe auch Kapitel 6.3) legt in der neu gestaffelten Hierarchie fest, dass die Abfallvermeidung und zusätzlich die Vorbereitung zur
Wiederverwendung an vorderster Stelle stehen. Erst anschließend setzen theoretisch die Recyclingverfahren ein, die aus Steinen Granulat für den Straßenunterbau
und aus Dielenfußböden Späne für die Spanplattenindustrie herstellen.
4 Aktueller Monitoringbericht Datenbasis 2012, Stand Februar 2015, http://www.kreislaufwirtschaft-bau.
de/akt_ber.html (aufgerufen am 11. 12. 2015).
13
Kapitel 2
Abbildung 3: Hierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes.
Durch die direkte Wiederverwendung, aber auch durch die Weiterverwendung
wird Abfall vermieden. Mit wenigen Handgriffen und Aufarbeitungsaufwand können Bauteile für die Wieder- oder Weiterverwendung vorbereitet werden. Nicht selten kommt es dabei zu einer Aufwertung des Materials. Die Bauteile, die schon auf
der Stufe zum Recycling standen, werden durch die Vorbereitung zur Wiederverwendung in den Stand eines Produktes erhoben.
Dass es praktisch – trotz Zeitdruck am Bau – möglich ist, vor Abbruch gut erhaltene Bauteile schadensfrei zu entnehmen, beweisen die Bauteilbörsen des Bundesverbandes bauteilnetz Deutschland e. V. Zwölf Rückbauprojekte wurden in dem
von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekt »bauteilnetz
Deutschland« (2011–2015) durchgeführt und dokumentiert. Ebenso bewahrt und
vermarktet der Unternehmensverband für Historische Baustoffe seit circa 30 Jahren
mit seinen Mitgliedern Bauteile aus Altbeständen bis 1940 (Kapitel 5.7). Für die Diskussionen im Netzwerk, aber auch mit Abbruchunternehmen, wurden folgende Auslegungen der Begrifflichkeiten herausgearbeitet.
Wiederverwendung
Der wiederholte Gebrauch (reuse) eines Produktes für den gleichen Verwendungszweck. Vorangegangen ist die schadensfreie Demontage. Das Bauteil wird in seiner
Form/Geometrie nicht verändert. Die wertgebenden Eigenschaften (Ma terialbeschaf fenheit, Funktionalität) des Bauteils sind zu überprüfen sowie zu dokumentieren.
14
Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
Weiterverwendung
Das Produkt/Bauteil wird zu einem anderen Zweck verwendet, eine Tür als Wandverkleidung in einem Restaurant oder ein Metallgartenzaun als Garderobe. Eine
Aufwertung (upcycling) ist möglich: Gerüstbohlen werden zur Tischplatte oder alte
Dielen zu einem Schrank. Die wertgebenden Eigenschaften (Materialbeschaffenheit, Funktionalität) des Bauteils sind zu überprüfen und zu dokumentieren.
Recycling (stoffliche Verwertung)
Produkte/Bauteile werden als Grundstoff für gleiche oder ähnliche Produkte verwertet, zum Beispiel Flaschen geschmolzen und daraus wieder Glasflaschen hergestellt. Oder das Produkt wird zerkleinert, geschreddert und als Granulat oder Zuschlagstoff Teil eines neuen Produktes: Steinsplitt wird für Putzmischungen oder
Bauholz (entsprechender Klassifizierung) für die Spanplattenherstellung eingesetzt.
Stadt als Rohstofflager
Nach Schätzungen des Bundesumweltministeriums enthält der Gebäudebestand
(Wohnen und Gewerbe) in Deutschland rund 10,5 Milliarden Tonnen mineralischer
Baustoffe, circa 220 Millionen Tonnen Holz und um die 100 Millionen Tonnen Metalle. Im deutschen Stromnetz sind allein über drei Millionen Tonnen Kupfer verbaut.
Diese Rohstofflager sollen außerdem bis 2050 um weitere 20 Prozent anwachsen.
Um Baumaterial herzustellen wird außerdem Energie (Graue Energie) benötigt. Das
Augenmerk beim Planen und Bauen von Gebäuden liegt allerdings zurzeit hauptsächlich noch auf dem Energieverbrauch der Immobilien während der Nut zungsphase.
Entgegen der aufgezeigten Bedeutung des Bausektors ist eine Kreislauf wirtschaft,
die eine hochwertige Verwertung der anfallenden Baurestmassen beinhaltet, bisher
nicht erreicht. Mineralische Bauabfälle aus dem Hochbau (Bauschutt) werden zu
einem erheblichen Anteil verwertet, allerdings nicht immer hochwertig, das heißt
den spezifischen wertgebenden Eigenschaften entsprechend. Darüber hinaus fallen
beim Rückbau eines Gebäudes weitere Bauabfälle zur Entsorgung an, wobei auch
hier die Quote einer stofflichen und damit hochwertigen Verwertung oft vergleichsweise gering ist (BbtnD, 2014). »Deutschland hat ein enormes Vermögen in Form von
Bauwerken, Infrastrukturen und sonstigen langlebigen Gütern angehäuft. Hierin befindet sich ein wertvolles Sekundärrohstoffreservoir – ein anthropogenes Materiallager. Es ist als Kapitalstock der Zukunft zu begreifen, den es systematisch zu bewirtschaften gilt.« (Schiller et al., 2015)
Die ordentliche Bewirtschaftung wird allerdings erschwert durch die Kombination einer Vielzahl von Baumaterialien, deren Zusammensetzung und Verbindungen in den meisten Fällen nur schwer nachvollziehbar sind. Eine Dokumentation über
15
Kapitel 2
Abbildung 4: Heterogene Stofflager.
Abbildung 5: Granulat aus der Aufbereitung.
die verwendeten Baustoffe und deren Verbindungen liegt im Einzelnen nach Fertigstellung nicht vor, was folglich die Einschätzung für den Arbeitsaufwand zur Stofftrennung erschwert. Für Asbest, Mineralwolle oder mit Holzschutz behandelte Materialien werden weiterhin Verfahren wie die thermische Verwertung (sonstige
Verwertung) und die Deponierung (Beseitigung) notwendig sein. Außerdem wurden und werden in wachsendem Maße Baumaterialien eingesetzt, die aus einem
Materialverbund bestehen (zum Beispiel Mauersteine5, Wärmedämmsysteme oder
mehrschichtige Innenausbauteile), der sich weder auf der Abbruchbaustelle noch
bei einer nachgeordneten Aufbereitung auftrennen lässt. Nach derzeitigem Stand ist
für diese Verbundmaterialien nur eine Entsorgung auf Deponien oder die thermische
Verwertung in Müllverbrennungsanlagen möglich. (BbtnD, 2014)
Um zu einer Einschätzung der Größe und Zusammensetzung des derzeitigen anthropogenen Rohstofflagers von Gebäuden, Infrastrukturen und ausgewählten langlebigen Gütern in Deutschland zu kommen, wurde vom Umweltbundesamt 2014 ein
Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses beinhaltet auch die Analysen von Datenquellen und Kenngrößen, anhand derer sich die Dynamik der Veränderung des anthropogenen Lagers beschreiben lässt. Interessant für die Bauteilgewinnung sind die
Hochrechnungen der relevanten Mengen im Wohn- und im Nichtwohngebäudebestand (zum Beispiel Gewerbe-, Industrie- und landwirtschaftlich genutzte Gebäude etc.). Für die Wohngebäude ergab sich 2010 eine Nutzfläche von 3,57 Milliarden Quadratmeter Wohnfläche mit einem Materiallager, das zwischen 8,4 und
9,3 Milliarden Tonnen liegt. Das Materiallager der Haustechnik hat hier zwar nur
einen geringen Anteil von 16,5 Millionen Tonnen, dafür liegen in dieser Position aber
begehrenswerte Stoffe wie Metalle und Kunststoffe für das Recycling verborgen.
5 http://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/umwelt/schadensfaelle/andere/Woolit.pdf
16
Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
Da für Nichtwohngebäude keine statistische Erfassung vorlag, wurde hierfür ein
Schätzverfahren entwickelt. Auf diese Art und Weise wurde ein Nichtwohngebäudebestand von rund 3 Milliarden Quadratmeter Nutzfläche, das 6,7 Milliarden Tonnen Material, davon 4,5 Millionen Tonnen Metalle (nur Verteilungs- und Entsorgungsleitungen) beherbergt, aufgezeichnet. »Insgesamt dominieren mineralische
Baustoffe. Bei Nichtwohngebäuden ist der Anteil weiterer Materialien (insbesondere Metalle, Kunststoffe, Holz) mit 13 Prozent circa doppelt so hoch wie beim
Wohngebäudebestand (5 bis 7 Prozent).« (Schiller et al. 2015)
Gebäude als Zwischenlager für Bauteile?
Dass die Gebäude, in denen wir leben und arbeiten, aus wertvollen Rohstoffen bestehen bzw. aus Bauteilen, für deren Herstellung (Graue Energie) ein großer Teil
unserer fossilen, unwiederbringlichen Energieträger benötigt wurde, wird von allen
am Bau Beteiligten (einschließlich den Endverbrauchern) bisher bewusst kaum wahrgenommen oder spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die vorhandenen materiellen
und kulturellen Werte werden allenfalls beachtet, wenn es sich um historisches Material handelt. Beim Abbruch wird bestenfalls, wie oben angegeben, der Verwertungsweg eingeschlagen, das heißt mineralische Baustoffe werden gebrochen, Holzbauteile werden gehäckselt oder andere geschreddert und für den Neubau wird im
Bauhandel neues Material bestellt. Bisherige Arbeits- und Entscheidungsprozesse
im Bauwesen sehen Kreislauf- oder Stoffstromanalysen auf der Ebene der direkten
Wiederverwendung (Tür als Tür, Stein als Stein) nicht vor. Eine Bilanzierung des Herstellungsaufwandes (Energie und Rohstoffe) wird nur selten als Kriterium für ein effizientes Bauen in Betracht gezogen. Bestandsbewahrung und Langlebigkeit, Umnutzung und Veränderbarkeit haben in der Effizienzdiskussion keinen Stellenwert.
Abbildung 6: Allerlei Metallteile.
Abbildung 7: Ordentliche Materialtrennung.
17
Kapitel 2
Wurden vor 30 Jahren Gebäude noch im Schnitt mit 80 Jahren Lebensdauer veranschlagt, minimiert sich diese aktuell auf 50 Jahre. Diese Herangehensweise wäre vor
100 Jahren undenkbar gewesen. Ansätze, Bauteile bis hin zu ganzen konstruktiven
Gebäudeelementen aus Rückbauvorhaben zu gewinnen und bei Neubauvorhaben
oder Sanierungen wieder einzusetzen, haben sich – abgesehen von einigen Beispielen – in der Praxis bisher nicht umsetzen lassen.
Es fehlen erstens breit gefächerte Informationsstrukturen, die dieses unumgängliche Handeln befördern, und zweitens die Möglichkeiten zur Qualifizierung von
Fachkräften. Beides wird notwendig, um einen Umdenkprozess im gesamten Baubereich und Bauablauf anzuregen und aufzubauen. Gebäude als »Zwischenlager«
zu verstehen und hochwertig zu nutzen, ist nur möglich, wenn Planer, Architekten,
Abbruchunternehmer und die Bauhandwerker, aber auch Entscheidungsträger in Behörden und Kommunen und die Endverbraucher die Verwendung von gebrauchten
Materialien akzeptieren und auf Dauer in ihr Alltagshandeln und noch konkreter in
die Gesetzgebungen integrieren. Andererseits ist die Demontierbarkeit der Gebäude
bzw. Gebäudeteile eine vorrangige Planungsanforderung, um die Gewinnung der
Bauteile und die spätere sortenreine Trennung der Baustoffe zu gewährleisten.
Außerdem sorgt die Vorgabe zur Verwendung von umweltfreundlichen Baustoffen
möglichst aus nachwachsenden Rohstoffen dafür, dass unsere Gebäude kein vorübergehendes Abfalldepot darstellen. Werden die Abfallvermeidung und die Wiederverwendung schon als primäre Kriterien in der Planung berücksichtigt, können die
verwendeten Materialien in Zukunft durchaus als Wertanlage angesehen werden.
2.1 Abfallvermeidung –
Erweiterte Zielsetzung beim Bauen und Sanieren
Der intelligente Umgang mit Ressourcen führt unweigerlich wieder zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Bestandsbewahrung, die Instandhaltung und die Pflege
von Gebäuden, die Entwicklung der Innenstadtkerne und der Stadtquartiere. Auch
hier gilt zu nutzen, was schon da ist. Gründe für vernachlässigte Gebäude und
Leerstand müssen identifiziert und die Immobilien nach Möglichkeit wieder in das
Quartier integriert werden (zum Beispiel durch Umnutzung). Der genaueren Betrachtung auch der stofflich vorhandenen Seite und einer damit verbundenen ganzheitlichen Bilanz (Lebenszyklusanalyse) sollte bei der Bewertung einer Baumaßnahme in
Zukunft eine besondere Bedeutung zukommen.
»Unter Rohstoff-Gesichtspunkten ist es viel günstiger, ein altes Haus zu sanieren als
ein neues zu bauen. Wer ein altes Gebäude saniert, spart rund zwei Drittel an Baumaterialien. Deutschland sollte daher seinen Gebäudebestand intensiver nutzen,
anstatt neu zu bauen. Das geht, indem wir davon absehen, immer weitere Neubau18
Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
Abbildung 8: Leerstand in der Innenstadt.
gebiete auf der grünen Wiese auszuweisen, sondern die alten Stadtkerne attraktiver machen«, sagte UBA-Präsident Flasbarth. Damit wäre auch dem viel zu hohen
Verbrauch der Ressource »Fläche« Einhalt geboten – hier ist Deutschland »Spitze«:
Jeden Tag werden fast 87 Hektar, das entspricht 124 Fußballfeldern, neu versiegelt.6
Der Abbruchgedanke kommt seit Jahren schnell auf, wenn Gebäude aus den
1950er und 1960er Jahren modernisiert werden sollen. Das sofortige Bild, wenn
wir uns die Gebäudetypologie der Zeit vor Augen führen: minderwertige Baustoffe,
knapp dimensioniert und das Risiko vorhandener Schadstoffe.
Große Sorge bereitet tatsächlich der Leerstand von Gebäuden in Deutschland,
der 2011 auf 1,7 Millionen (Forschungsinstitut empirica, 2015) Wohnungen beziffert wurde, dem ebenfalls mit Abbruch begegnet wird. Der Mut zu Umnutzungsaktivitäten wird auch angesichts des Leerstandes von 10 Millionen Quadratmeter Büroräumen und dem Leerstand von unter anderem innenstadtnahen Kaufhäusern und
Kirchen vermisst. Dazu kommt noch der Leerstand von Kasernen. Es wird erwartet,
dass sich bis zum Jahr 2030 bundesweit ein Überschuss von 3,3 bis 4,6 Millionen
Wohnungen ergibt, wenn hier nicht für kreative Nachnutzung gesorgt wird.
Ein Höchstmaß an Abfallvermeidung wird also erreicht, wenn dieser nicht entsteht. Hierfür wird es notwendig, den Schalter umzulegen und die (Be-)Wertung für
6 Umweltbundesamt, Artikel vom 13. 11. 2012.
19
Kapitel 2
das schon Geschaffene oder das zu Schaffende mit der neuen lebenszyklusorientierten Betrachtungsweise zu entwickeln und dafür die Verantwortung zu übernehmen.
Die direkte Wieder- oder Weiterverwendung, also der Einsatz des Materials zum
gleichen Zweck seiner ursprünglichen Funktion oder in einer anderen Funktion trägt
ebenfalls zur Abfallvermeidung und Stoffstromreduzierung bei. In insgesamt sieben Jahren Projektarbeit des Netzwerkes ist deutlich geworden, dass alle Akteure,
die am Bau beteiligt sind, einen Beitrag in ihrem Wirkungsfeld dazu leisten können.
Das Ineinandergreifen der verschiedenen Bereiche ist für den Erfolg einer nachhaltigen Sanierung oder den Neubau eines Gebäudes notwendig. Um Entscheidungen
auch auf Grundlage der umweltrelevanten Faktoren treffen zu können, stellt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) allen
Akteuren die ÖKOBAUDAT 7, eine vereinheitlichte Datenbasis für ökologische Bewertungen von Bauwerken, zur Verfügung. Es werden Baumaterialien sowie Bauund Transportprozesse der folgenden Kategorien hinsichtlich ihrer ökologischen
Wirkungen beschrieben: Mit der neuen Datenbank eLCA8 wird ein Ökobilanzwerkzeug (kostenlos) zur Verfügung gestellt, mit dem es möglich ist, alle Umweltwirkungen der geplanten Maßnahme unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus
bestimmen und bewerten zu können.
2.2 Gebäude bei der Planung rückwärts denken
Das Bauen der letzten 80 Jahre ist geprägt von einer Materialvielfalt, die eine für
die Zukunft kaum differenziert zu kalkulierende Abfallmenge darstellt. Und noch nie
wurden so viele verschiedene Materialien und Verbundbaustoffe für das Bauen verwendet wie heute. Je nach Gebäudealter, Gebäudetypologie und Sanierungsfolgen
sind verschiedene Herangehensweisen beim Rückbau notwendig. So können, nach
den Erfahrungen der letzten 25 Jahre, Gebäude um 1900 vom First bis zum Sockel
abgetragen und dabei bis zu 80 Prozent schadensfrei ausgebaut werden (Dechantsreiter, 1992). Kulturhistorisch wertvolle, einmalige Bauteile, aber auch Massenbaustoffe wie zum Beispiel Steine, Fliesen, Dachpfannen etc. (siehe Kapitel 3.2) können
geborgen und wiederverwendet werden.
Wie viel Abfall bei Sanierung, Umbau oder Abbruch eines Gebäudes entsteht,
entscheidet sich, wenn es geplant wird.
Außerdem werden bei der Planung von Sanierungen, Umbauten oder beim Neubau die Weichen für die Lebensdauer von Bauteilen gestellt. Die ausgewählten Materialien, Konstruktionen und vor allem die Verbindungen sind entscheidend für die
»neue« Wertigkeit eines Gebäudes. Sind Bauteile so zusammengefügt, dass sie wie7 http://www.nachhaltigesbauen.de/baustoff-und-gebaeudedaten/oekobaudat.html
8 http://www.bauteileditor.de/
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Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
der zerstörungsfrei voneinander trennbar sind, garantiert dies eine höhere Reparaturfreudigkeit und damit Dauerhaftigkeit der Gebäude. Am Ende können Bauteile so
einfacher für die Wiederverwendung gewonnen werden; das spart nicht nur Energie und Rohstoffe ein, sondern verzögert auch den Entsorgungszeitpunkt. Außerdem
werden Um- und Anbauten dadurch leichter bzw. schneller durchführbar und mit
geringem Abfallaufkommen möglich. Negative Umweltauswirkungen, die unweigerlich bei der Neuherstellung von Baumaterial verursacht werden, können durch den
gezielten Erhalt gerade von Gebäudekonstruktionen vermieden werden. Aus den
Rückbauerfahrungen wurden Prinzipien für eine nachhaltige Planung, bezogen auf
die Effektivität des Materialeinsatzes, entwickelt.
Die Schlüsselrolle der Architekten
Den Architekten und Planern fällt hier eine besondere Rolle in der Zukunft zu. Die
planerischen Herausforderungen sind im Wesentlichen:
▷ die Umweltauswirkungen der Planungen mit vorhandenen Datenbanken zu ermitteln;
▷ bei Neubauten schon die Demontierbarkeit zu berücksichtigen, um die Wiederverwendbarkeit von Bauteilen zu gewährleisten, das heißt konstruktive Verbindungen vorzudenken (»schrauben statt kleben«), bei Sanierungen eventuell alte
lösbare Verbindungsmethoden nutzen;
▷ bei der Vorauswahl Verbundbaustoffe und Bauprodukte mit unbekannten Inhaltstoffen zu vermeiden;
▷ Material aus nachwachsenden Rohstoffen einzusetzen (Zertifizierungen c2c);
▷ in Ausschreibungen den alternativen Einbau von gebrauchten Materialien zu berücksichtigen und
▷ bei Abbruch die zerstörungsfreie Demontage werthaltiger Bauteile vorzugeben.
Der Wiedereinbau von gebrauchtem Material zum gleichen Zweck oder die Weiterverwendung in einer anderen Funktion bei Sanierung und Neubau bedeuten eine
zusätzliche Herausforderung und provozieren im zweiten Fall die planerische Kreativität.
Angesichts der komplexen Aufgaben, die heute mit einer zeitgemäßen effizienten
Bauweise verbunden sind, sind die Aufgaben der Rückbaubarkeit und der möglichen
Trennung in Materialfraktionen nach Gebrauch nicht mehr separat zu sehen. Sie sind
ein Bestandteil integraler Planung und werden unter anderem ergänzend über die
Bauproduktenverordnung (siehe Kapitel 6.2) gefordert. Zur Ausführung einer solchen Planung gehört fachliche Kenntnis. Qualifizierung und Weiterbildung aller am
21
Kapitel 2
Bau Beteiligten sind analog der Passivhaus-Qualifizierung ebenso notwendig wie
die neue alte Haltung zum sparsamen Umgang mit Material und dem Bauen von dauerhaften Bauwerken.
2.3 Organisatorische Herausforderungen
der Bauteilegewinnung
Drei wesentliche Arbeitsfelder, die logistisch miteinander verknüpft werden müssen,
sind ausschlaggebend für die Bewahrung und Gewinnung von gebrauchten, werthaltigen Materialien:
▷ Informationssystem,
▷ Ausbau,
▷ Transport.
Öffentliche Stellen/Behörden, Verwaltungen und private Hauseigentümer brauchen
Informationen, wo sie ihre Materialien für den Zweck der Wiederverwendung (Abfallvermeidung) abgeben können, bzw. den Kontakt zu Unternehmen, die dieses für
sie organisieren können. Dabei muss sich die Entnahme für die Abbruchunternehmer/den Handwerksbetrieb/die Bauteilhändler und den Bauherrn lohnen, also wirt-
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Abbildung 9: Aufgabenfelder Bauteilegewinnung.
22
INFORMATION
über
Bautätigkeiten,
Lagerbestände,
Restbaustoffe
Status quo der Kreislaufwirtschaft Bau
schaftlich sein. Der behutsame Rückbau, der den schadensfreien Ausbau der Bauteile möglich macht, muss also kalkulierbar sein. Ebenso muss der Erlös über den
Verkauf geschätzt werden können. Die Bauteile, die geborgen werden, sind brandneu bis hin zu historisch wertvoll. Für die Kalkulation und den Ausbau braucht es
also qualifizierte Fachkräfte, die je nach Gebäudealter/Gebäudetypologie wissen,
wie die Bauteile zusammengefügt, die Materialien beschaffen sind, wie viel Zeit für
die Entnahme und welche Fahrzeuge für den Transport benötigt werden. Eine weitere Voraussetzung ist die Fach- bzw. Sachkunde im Bereich der Gefahrenstoffe. Der
Zeitfaktor spielt im Baugewerbe allgemein eine große Rolle, wobei das Abbruchgewerbe hier eine besondere Stellung hat. Sobald der Auftrag zum Abbruch erteilt wird, muss es meist sehr schnell gehen. Um Bauteile schadensfrei auszubauen,
braucht es allerdings Zeit, die üblicherweise für einen Abbruch nicht eingeplant
wird, und damit ist die nächste Herausforderung schon identifiziert.
2.4 Verborgene Wertschöpfung der Bauwirtschaft
Da der Markt noch nicht sehr ausgeprägt vorhanden ist, sind regionale Annahmestellen für Bauteile, die über eine Vermarktungsstruktur verfügen und Lagerfläche mit
regelmäßigen Öffnungszeiten vorhalten, ein wesentlicher Systembaustein. Ist eine
Annahmestelle, ein Bauteillager, regional vorhanden, dann hat der Bau-/Abbruchunternehmer die Möglichkeit, den Service der Bauteilbörsen oder der historischen
Baustoffhändler zu nutzen (siehe Kapitel 5). Gut erhaltene gebrauchte, vermessene
oder übrig gebliebene Bauteile und Baustoffe werden ausgebaut, ab geholt, gesammelt, angenommen und weiterverkauft. Das schafft Luft auf dem Platz, im Lager und
in den Remisen, spart Entsorgungskosten und bringt Gewinne im Verkauf. Ökologische Effekte können hier ebenso verbucht werden.
Damit die direkte Bauteile-Wiederverwendung in unterschiedlichen Regionen
angeregt wird, wurde in der Zeit von 2006 bis 2009 ein bundesweites Netzwerk
(gefördert durch die DBU) aufgebaut, das heute unter dem Dach des Bundesverbandes bauteilnetz Deutschland e. V. agiert. Seit 2009 waren insgesamt 13 Bauteilbörsen in Deutschland vertreten. Heute sind es noch fünf Standorte, die nur durch ein
erweitertes Dienstleistungsangebot oder/und durch Arbeitsplatzförderung existieren
können. Der Aufbau und der Betrieb einer Bauteilbörse/Bauteillager setzt sehr viel
Engagement der Beteiligten voraus. Die Zusammenarbeit der Bauteillager mit den
regional am Bau Beteiligten ist eine Voraussetzung für den reibungslosen und damit
wirtschaftlichen Ablauf.
»Mit der Netzwerkarbeit des ›bauteilnetzes Deutschland‹ und der Initiierung der
dezentralen Bauteilbörsen auf Grundlage der Projektarbeit wird das von Professor
von Weizsäcker und anderen sowie auch im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
23
Kapitel 2
Beschaffung
Kommunikation
Wieder-/
Weiterverwendung
Logistik
Qualifiziertes
Personal
Lagerung
Organisation
Verkauf/
Beratung
Abbildung 10: Aufgaben der Bauteilanbieter.
geforderte Prinzip realisiert, Wertgegenstände – hier: gebrauchte Bauteile – zu erhalten und zu bewahren. Durch den Wiedereinbau bzw. die Wiederverwendung
der beim Abbruch anfallenden Bauteile werden sowohl wertvolle Rohstoffe als auch
Energie gespart, womit ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz geleistet wird. BauteileWiederverwendung ist damit ein wichtiger Baustein in der Wertschöpfungskette der
Bauwirtschaft und leistet einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz.«9
Gut etablierte Bauteilbörsen können auch mit wenig Fläche (mindestens 400 bis
750 Quadratmeter) circa 2.000 bis 2.500 Bauteilposten pro Jahr verkaufen. Die
einzelnen Positionen können mehrere Bauteile gleicher Art beinhalten, zum Beispiel
3.500 Kalksandsteine, 500 Dachpfannen oder zwei Türen.
»Die bundesweit am stärksten nachgefragte Bauteilgruppe ist die der Türen/
Tore, wobei die Anzahl der Innentüren überwiegt. Von knapp 4.000 Positionen des
Online-Bauteilkatalogs (www.bauteilnetz.de) wurden aktuell 3.110 Innentür- und
56 Haustürpositionen plus 180 Positionen für Türenzubehör ermittelt. Danach folgen
die Bauteilkategorien Fenster, Sanitärobjekte und Heizkörper. In zwei Bauteilbörsen
stehen die Sanitärartikel auf Rang zwei der Verkäufe, gefolgt von Fenstern, Heizkörpern und Heizkörperventilen.«10
9 Zitat Dr. Brickwedde am 13. 3. 2009, Abschlussveranstaltung bauteilnetz Deutschland.
10 Telefonische Befragung der Betreiber von Bauteilbörsen, Juli 2013.
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